Caroline de la Motte Fouqué
Der Spanier und der Freiwillige in Paris
Eine Geschichte aus dem heiligen Kriege

1. Kapitel

[1] Erstes Kapitel

Die große metallene Wanduhr schlug unter langen schnarrenden Absätzen zehn. Die junge Blansche sprang unruhig auf, schob den schweren, verblichenen Sammetsessel an die Seite und trat zu ihrer Mutter. Diese schrieb unter häufigen Thränen in schnellen, flüchtigen Zügen eilig fort, und ohne aufzusehen, fuhr sie schmeichelnd mit der flachen Hand über das zarte Gesichtchen der Tochter. Doch plötzlich von den eignen, niedergeschriebenen Worten überwältigt, warf sie sich an ihres Kindes Brust, und rief unter lautem, ungehemmten Schluchzen: Gott, mein Gott, die Freude ist gewaltiger als der Schmerz! wie soll ich es denn ertragen, meinen [1] rechtmäßigen König, die Tochter meiner unglücklichen Königin wiederzusehen! Blansche, liebes, liebes Kind, die Vorsehung schenkt uns die Bourbons wieder! Träume ich auch wirklich nicht? ist es denn wahr?

Frau von Saint Alban hatte die Hände gefalten, und sah, gleichsam über das Unbegreifliche nachsinnend, in unaussprechlichem Entzücken gen Himmel. Blansche kniete vor ihr, und von den Thränen der Mutter aufs tiefste erschüttert, weinte sie still in ihr Tuch.

Beide hielten sich eine Zeit lang fest umschlungen, dem Glück der nächsten Gegenwart voll Theilnahme und Vertrauen hingegeben, als der alte Kammerdiener eintrat und sein Erscheinen ihnen sagte, daß der unruhig erwartete Augenblick nun gekommen sei. Frau von Saint Alban sah gerührt auf den treuen Armand. Er war fein und sorgfältig gepudert, trug einen langen Rock von violetter Seide mit veralteter Stickerei,Points Manschetten und geränderte Schnallen, sein scharfes, hageres Gesicht war ernst, doch strebte er vergeblich durch feierliche Haltung und gemessene Worte die große Bewegung [2] seiner Seele zu verbergen. Just so gekleidet, so gerührt und so förmlich war er vor sechs und zwanzig Jahren als Frau von Saint Alban dies Haus zuerst betrat, dessen schlechtere Zimmer sie zeither bescheidentlich bewohnte. Armand, sagte sie, ihm die Hand reichend, wir könnten denken, wir hätten geschlafen und wachten jetzt erst wieder auf, aber die Zeit hat entsetzlich gearbeitet, ihre Spuren schneiden schringend in die Sinne. Sie blickte fast beschämt auf die knappe, mühsam ergänzte Kleidung, auf das beschädigte, gebrechliche Geräth, die abgesprungene Vergoldung, und den langen, eingelegten Spiegel, der ihr das Bild der schönen Blansche so blühend und so schmucklos zurückwarf. Sich abwendend sprang sie hastig auf, wie man wohl thut, wenn eine störende Empfindung unbequem in unsere Freude hineinsieht, faltete darauf das beschriebene Blatt zusammen, siegelte und addressirte unter angenehmem Lächeln, wog dann den Brief hoffnungsvoll zwischen Daum und Zeigefinger und eilte mit kurzen, schnellen Schritten in ein Seitenzimmer.

[3] Blansche sah ihr bewegt nach. Sie wußte an wen der Brief gerichtet war, und daß er den ersten, freien, innigen Gruß der Mutter an die Herzogin von Angouleme enthielte, den mündlich auszusprechen ihr die Beschränkung ihrer Lage für den Augenblick noch verbot. Zum erstenmal lastete der Druck enger Verhältnisse peinlich auf dem kleinen Herzen, es regte sich ein wehmüthiger Streit, das Außenleben war weniger hell, sie sah mit einiger Beschämung auf sich selbst zurück, als Frau von Saint Alban mit einem Lilienzweig vor sie hintrat. Diese schwieg eine kleine Weile, ihr stockten die Worte in der Brust, sie verschluckte die Thränen, und sagte dann mit einer lieblichen, ihr eignen Neigung des Kopfes: mein armes Kind, das ist der einzige Schmuck, den ich dir geben kann, denk' aber, das befreiete Frankreich habe ihn dir geschenkt, und trage ihn so mit Ehrfurcht und Dankbarkeit.

Blansche war vor ihr hingesunken und fühlte mit Stolz die Lilie zwischen ihren blonden Locken befestigen. Frau von Saint Alban hing darauf einen Schleier über, legte ein schwarzes [4] Sammetmäntelchen an, und die etwas vergelbten weißen Handschuh sorgfältig anziehend, gab sie der Tochter die Hand. Armand öffnete beide Flügelthüren, und eilte dann in schicklicher Entfernung voraus an den Schlag eines bescheidenen Miethswagens. Den einen Fuß auf dem Tritt, wandte sich Frau von Saint Alban noch einmal, Gott! sagte sie, Freude wie Schmerz pressen die Brust ängstlich zusammen, und jeder Entscheidung, der glücklichen wie der unglücklichen, geht eine erstickende Beklommenheit voran.

Als nun der Schlag zufiel und der Kutscher sich fragend umwandte, sagte sie: nach der Kathedrale! ich will meinen König betend vor Gottes Thron begrüßen.

2. Kapitel

Zweites Kapitel

Der Wagen fuhr langsam durch die gedrängten Straßen. Jeden Augenblick stockte die ungeheure, immer aufschwellendere Menschenmasse. [5] Cabriolets und Kutschen, Truppenabtheilungen, feierliche Aufzüge, alles gerieth verwirrend aneinander, das Geläute der Glocken, die Trommeln und Pfeiffen, die Pauken und Trompeten, die schreiende, jubelnde, schwatzende Menge, die ganze wogende Stadt betäubte die arme Blansche, die zitternd neben der Mutter saß, und jedesmal mit ersticktem Schrei zusammenfuhr, wenn das Volk sich immer dichter und dichter heranpressend, den Wagen fast zu tragen schien. Frau von Saint Alban wußte nichts von allem dem, sie sahe, sie hörte alles und nichts, sie war in einem Taumel, in einer Bewegung, die das Einzelne verschlang, tausendmal ließ sie die Fenster nieder und zog sie wieder auf, sie winkte, sie grüßte Bekannte und Unbekannte, streckte die Hand zum Wagen hinaus, reichte und drückte sie dem Nächsten dem Besten, ihre ganze Seele schwamm in der Freude Frankreichs. Blansche hatte keinen Begriff von den Leidenschaften und der Veränderlichkeit der Menschen; in ihrem Kloster, von dem sie sich seit drei Tagen zum erstenmale trennte, ging alles so sacht und eben, so grade und nothwendig zu, dort freuete man [6] sich auch, aber anders, stiller, innerlicher, sie wußte gar nicht wie ihr hier war, sie glaubte zuletzt, der tolle Strom werde sie unbarmherzig mit fortziehn.

Endlich waren sie vor der Kirche. Der Wagen hielt. Mit zitternden, wankenden Knieen traten sie in den Dom. Es waren eben noch nicht viel Menschen hier versammelt. Die Meisten trieb es nach Außen hin. Frau von Saint Alban kniete vor einem Betpult, Blansche an ihrer Seite, beide, den Kopf auf die Brust gesenkt, die Augen geschlossen, beteten unter leisen, immer wachsenden Schauern, je näher der heranrollende Freuderuf den Namen des Königs an ihr Ohr trug. Jetzt trat Ludwig der Geprüfte unter die leinene Halle. Sein würdevolles, edles Angesicht entfaltete sich heiter als er zwischen den getheilten Reihen hingetragen, nun vor dem Hochaltar, den heiligen Boden betretend, niederkniete, und das Gebetbuch aus des Erzbischofs Händen empfing. Die Wunder einer großen, unerhörten Zeit, die Gewalt göttlichen Willens, der mit dem König so sinnlich nahe trat, die tief empfundene heilige Scheu [7] vor dem Geweiheten des Schicksals, zügelte die taumelnden Sinne. Minutenlang ward kein Athemzug gehört, Blick und Minen lagen in heiligen Banden, Blansche sahe zitternd vor sich nieder. Jetzt ward das: Domine salvum fac regem angestimmt, ihr schwindelte, sie schlug die schönen blauen Augen auf, die Kirche war gepfropft voll, die gepreßte Luft trat ihr zum Herzen, die Töne schienen in wunderbaren Gestalten an ihr hinumzuziehn, ängstlich umblickend streiften ihre Augen an einem jungen Mann vorüber, der sich nach ihr hinwandte und sie mit Theilnahme betrachtete. Die Haltung seines Kopfes war überaus edel, er hatte die Arme übereinander geschlagen und schien in jeder Bewegung gehalten. Die ganz schwarze Kleidung und das aufwärts gehobene, nach einer Seite der Stirn hingeworfene, bläulich schwarze Haar gab ihm zudem ein düster ernstes Ansehn. Blansche zitterte heftiger, die Sinne vergingen ihr, sie fühlte sich zusammensinken, als sie ein starker Arm umfaßte und sie gewandt und schnell an dem königlichen Gefolge hin, nach der Halle trug. Sie athmete tief an des fremden Mannes[8] Brust, sah dankbar in seine dunkle melankolische Augen, und fühlte sich alsobald von ihm verlassen an der Seite einer ältlichen Frau, dem königlichen Leibarzt gegenüber, der ihr geschäftig die Schläfe mit starken Wassern rieb, und sie wohlmeinend der frischen Luft entgegenführte.

Sie erholte sich bald, doch sie fühlte sich mit Bangigkeit allein unter Fremden. Sie schrie laut auf und stürzte ihrer Mutter, die sich endlich zu ihr durcharbeitete, schluchzend und mit einer Freude in die Arme, als hätten sie Jahre getrennt.

An einen Pfeiler gelehnt, das Gedränge an sich vorbeilassend, erzählte Blansche in großer Bewegung ihr kleines Abentheuer, während sie Armand und den Wagen erwarteten. Die Mutter war voll Dankbarkeit, voll Ungeduld, den großmüthigen Ritter ihrer Tochter zu sehen, als Blansche rief, das ist er! das ist er gewiß! Frau von Saint Alban theilte die Menge, erreichte, faßte den jungen Mann – und ließ nun ihr volles Herz in reichen Wortströmen überfließen. Der Fremde dankte bescheiden, doch einsilbig und nachdem er gefragt, ob er noch [9] nützlich sein könne, entfernte er sich unter etwas stolzer, ernster Verbeugung; die Tochter wie die Mutter sahen ihm gedankenvoll nach und fuhren, jedes in sich beschäftigt, nach Hause.

3. Kapitel

Drittes Kapitel

Als Blansche am folgenden Morgen zu ihrer Mutter kam, fand sie einen ältlichen fremden Herrn, im dunkeln Frack mit dem Ludwigskreutz im Knopfloch neben ihr sitzen. Frau von Saint Alban rief, sogleich auf sie zueilend, mit unglaublicher Schnelligkeit: der Herzog, dein Oheim, liebste Blansche, der so lange Jahre mit seinem König auf fremdem, unheimathlichen Boden lebte und litt, er ist in alle seine Würden wieder eingesetzt, er liebt uns wie immer, er will unser Glück; wir werden künftig bei einander wohnen und alles, alles Leid ist vergessen. Sie drückte die Tochter heftig an sich, und warf sich dann in großer Rührung an des Herzogs [10] Brust. Dieser erwiederte schweigend, mit liebreichem Ernst und herzlich wohlmeinender Geberde der Schwester rasche Freude, indem er sich etwas beeilte die junge anmuthige Nichte in angebohrner Galanterie und höfisch bequemer Sitte zu begrüßen.

Blansche besaß jene anmuthige Verbindlichkeit der Worte und Minen, welche schnell in ein unbefangnes Verhältniß setzt. Ihre Blödigkeit schwand sogleich vor einer tief empfundenen innern Berührung, es blitzte dann etwas von der Lebhaftigkeit der Mutter hervor, doch weniger glühend, eher wehmüthig heiter. Die große Unschuld ihres Sinnes hielt noch jeden herben Lebensstreit fern, welcher Leiden schafft und über die Gränzen vollständiger Natur hinausstreift. Doch öffnen sich die Tiefen des Daseins oft vorahndend in jungen Gemüthern, und machen das Gefühl an sich ernst und heilig in der innerlichen Erwartung naher und großer Lebenserfahrungen. Wenn daher der Oheim in ihr klares, weiches Gesichtchen wie in die Maientage seiner Jugend verjüngt zurücksah, so empfand sie ihrer Seits voll Ehrfurcht und Theilnahme [11] bei seinem Anblick die schwere Arbeit der Zeit.

Der Herzog betrachtete sie mit vergleichenden Blicken auf die Mutter, es schien, er suche die Vergangenheit in neu belebten, redenden Zeichen wieder auf. Doch ließ sich hier eben keine sonderliche Uebereinkunft finden. Frau von Saint Alban war von kleinem, zartem Bau und sehr lebendiger Gewandtheit, ihre großen, feurigen Augen beleuchteten in spielenden Blitzen ein bleiches Gesicht und überaus bewegliche, feine Züge. Ohne Unruhe oder ängstigende Ueberfülle in ihrem Wesen zu spüren, empfand man doch eine höchst empfängliche, stets mit Vielem beschäftigte Seele, ihre redende Physiognomie reflektirte das Außen- und Innenleben in ununterbrochener Berührung, und schien nur auf diesem Wege die Sicherheit der Reife erlangt zu haben. Man fühlte sich ihr gegenüber behaglich angeregt, zu Theilnahme und Mitleben getrieben. Blansche im Gegentheil war hoch und schlank, ihre stillen, edlen Züge strahlten im Frieden unangeweheter Jugendblüthe, die schwimmenden blauen Augen empfingen ihr sanftes Licht nur von der [12] Eintracht innerer Unschuld und Güte. Der Gang, die Bewegungen waren leicht, doch leise und eben, nirgend eine Spur leidenschaftlicher Heftigkeit, und zog auch eine dunkle Frage, eine unverstandene Bangigkeit durch sie hin, so perlete wohl ein Thränchen in den Augen, aber der ruhige Einklang des holden Ganzen blieb ungestört. Man konnte sie Stundenlang sehen, empfinden, ohne sich etwas anderen als wachsender Liebe, freudiger unbekümmerter Hingebung bewußt zu werden, ihre anmuthige Nähe war durchaus beschwichtigend und heiter.

Das eine schöne Kind, sagte der Herzog zur Schwester gewandt, ist dir allein noch geblieben. Ach Türgis! mein Türgis! rief Frau von Saint Alban aufs lebhafteste erschüttert. Alle Freude war aus den Blicken, aus der Seele plötzlich weggewischt, sie konnte sich kaum fassen und die Erinnerung über das wunde Herz hinziehen lassend, lehnte sie, das Tuch vor den Augen, den Kopf abwärts von dem Bruder, an einen Wandpfeiler. Der Herzog sahe fragend auf Blansche. Diese entgegnete leise, um die Mutter zu schonen: mein Bruder fiel ohne Zweifel in Spanien, [13] wir haben seitdem nicht wieder von ihm gehört. Im Dienste des Tyrannen? unterbrach sie der Herzog heftig. Blansche senkte die Augen. War das nicht zu vermeiden? setzte er begütigend hinzu. Es giebt Verhältnisse, Herr Herzog, sagte Blansche schüchtern, die Augen noch immer nicht aufschlagend, welche das Gefühl bezwingen und uns harte Pflichten auflegen, mein Bruder hat das sehr bitter empfunden. Die Ehre, gutes Kind, erwiederte der Oheim, ist immer die erste Pflicht: Ach, seufzte Blansche, ich hörte den armen Türgis wohl sagen, in unserm unglücklichen Frankreich habe man nur die persönliche Ehre zu retten. Dem jungen redlichen Gemüthe bleibe glücklicher Weise noch der Degen sich selbst einen Weg damit zu bahnen.

Der Herzog spielte, vor sich hinsehend, mit dem Stock auf den Teppich. Hm! sagte er, halb in Gedanken, die Jugend – freilich, sie will leben – es ist ein Unterschied, man sucht eine Wirksamkeit, einen Namen, und dann die Fesseln der Zeit, alles Hohe und Große in den Staub getreten. – Ach! rief er aufblickend, [14] hätte er seinen König gesucht! Bruder, sagte Frau von Saint Alban, das trübe Gesicht seitwärts nach ihm hingewandt, er hat wohl seinen Gott gefunden. Der Herzog schloß sie sehr gerührt in die Arme und äußerte sich beruhigend und liebreich über ihren gerechten Schmerz.

Es gelang ihm auch bald diesen zu mildern, man kam nach und nach wieder in die vorige heitere Haltung zurück. Die kleine Erschütterung hatte sie unbewußt einander genähert, ein jedes hatte sich, vom Gefühle überrascht, unbewunden geäußert, man kannte, man schätzte sich in der bezeugten Treue fester Gesinnungen. Entstehendes Vertrauen windet unwillkührlich ein Band nach dem andern vom Herzen los, man will sich in jeder Beziehung lieb werden, und alles was im wohlbegründeten Verhältniß vielleicht unberührt liegen bliebe, tritt hervor, und macht sich Luft. Frau von Saint Alban hatte tausenderlei zu sagen und zu fragen, der Herzog seiner Seits manches aus seinem abgerissenen, zerstückelten Leben zu ergänzen. Die letzte Vergangenheit lag beiden gleich nahe. Vieles wurde von den Sorgen und der Angst, von der [15] heftigen Bewegung geredet, welche großen Umwälzungen stets vorangeht, alles ward noch einmal durchempfunden, und so kam man auch auf heute und gestern. Frau von Saint Alban konnte den Eindruck nicht genugsam beschreiben, den der Anblick des Königs auf sie gemacht habe. Sie sagte, es sei ihr ein Zittern durch alle Glieder gegangen, die Knie habe sich von selbst gebeugt und ohne es zu wissen, hätte sie das Domine salvum fac regem mitgesungen, wobei ihr nicht anders gewesen, als rolle dumpfer Donner über ihr hin und die Erde schwinde unter ihren Füßen. Beiden Geschwistern war es zugleich unbegreiflich und höchst rührend einander unerkannt so nahe gewesen zu sein. Frau von Saint Alban wußte überall nicht viel von dem was um sie vorgegangen war und wie ihre Tochter so plötzlich von ihrer Seite kam. Sie äußerte sich über diesen letzten Vorfall mit behaglicher Liebe für Blansche und einer Art mütterlichen Triumpfs. Viel, sagte sie, gebe ich darum, den jungen Fremden noch einmal wiederzusehen, ob er gleich meinen Dank etwas frostig und spröde von sich wies. Hieran, fuhr [16] sie fort und an den richtigen, ohne Accent, gleichwohl etwas langsam und feierlich gesprochenen Worten habe ich den Deutschen oder den Spanier erkannt. Und grade in diese beide Nationen, just weil sie uns so hassen, bin ich ganz verliebt. Es war Charakter in der Physiognomie, mein Bruder, das versichere ich dich, sehr viel Charakter, und eine Melankolie und eine Weltverachtung, die unsere Theilnahme immer anregt, wäre es auch nur um den stolzen, kalten Sinn zu bezwingen.

Blansche war während dem an das Fenster getreten und knüpfte in bunten Seiden allerlei Figuren und Bilder, der schwierigen Mosaic-Arbeit gleich. Der Herzog maß lächelnd ihre schöne Gestalt, und sagte leise zur Schwester geneigt, wer weiß, ist es diesem Engel nicht aufbehalten, den freundlich feindlichen Fremden zu versöhnen! Glaube mir, wir Franzosen brauchen solche Engel.

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4. Kapitel

Viertes Kapitel

Frau von Saint Alban hatte recht gesehen. Der junge Mann, der ihre Dankbarkeit verdiente, ihre Theilnahme, ihren Stolz reizte, war ein Spanier, Don Alonzo de Mendoz. Seit Jahren in französischer Gefangenschaft, hatte ihn jetzt Ferdinand der Siebente in Aufträgen nach Paris gesandt. Hier lastete die Luft centnerschwer auf seiner Brust. Der plötzliche Umschwung äußerer Gestaltung konnte ihn weder mit der Gegenwart überhaupt, noch mit einer Nation versöhnen, die ihm in allen Bedingungen seines Wesens entgegenstand, die er aus persönlicher nicht ausgewaschener Ehrenkränkung, aus Grundsatz und Ueberzeugung hassen zu müssen glaubte. Alles, bis auf die unbetonte, dumpf verschwimmende Sprache war ihm an ihr in der Seele zuwider. Er hielt sich deshalb still und eingezogen, und wehrte das Außenleben von sich ab, so viel es die Natur seines Geschäftes wie seiner Stellung zu hiesiger Welt erlaubte.

[18] Zu den Kunstschätzen flüchtete er noch am liebsten. Sie ermangelten eben auch durch rohe Gewaltthat heimathlicher Uebereinkunft, und er konnte sie sich, losgerissen wie sie waren, ganz frei von aller störenden Beziehung aneignen.

Unter den hohen Gebilden früherer, arbeitender Ge danken ward ihm das Herz weit, er vergaß Zeit und Ort, sich selbst, und ließ den beschwichtigenden Eindruck stiller Harmonie friedlich über sich walten. Er konnte sich so hineinsehen und empfinden, daß er, wie in völliger Einsamkeit nicht allein, wenig oder gar nicht auf solche achtete, die Neugier und Ruhmsucht, das Außerordentliche gesehen zu haben, hieher lockte, sondern auch unbewußt an Gleichfühlende vorüberging.

Wie sich indeß der Mensch auch umbauen und verschanzen mag, Empfänglichkeit ohne Mittheilung wird zur drückenden Ueberfülle. Man schwelgt ungesellig, heimlich und im Dunkeln. Das Licht des antwortenden Auges fehlt. Herz und Gemüth brauchen den spiegelnden Strom der Rede, um sich klar zu werden.

Unzähligemal schwebte auf Alonzos Lippe ein[19] Laut der Bewunderung, jener staunende Ruf der Seele, die plötzlich das Geahndete erkennt. Aber er drängte ihn ängstlich in sich zurück, und erstickte fast im Uebermaaß des Entzückens.

Sehr willkommen daher, wenn gleich überraschend, war es ihm, als er eines Tages einen jungen preußischen Offizier an seiner Seite vernahm, der mit gleicher Lust und Innerlichkeit aufmerksam ein vor ihnen stehendes Bild betrachtete, und das beseelte Auge langsam zu Alonzo hinwendend, ihn bequem und sicher in spanischer Sprache anredete.

Alonzo ehrte die preußische Armee weit mehr als er es sagen konnte, er achtete die Ration wie die seine, und konnte nicht ohne demüthige Rührung den reinsten Heldenkönig sehen und nennen hören. Wenn er gleichwohl die ehrenwerthesten aller Kampf- und Waffengenossen auch jetzt nicht aufgesucht hatte, sich nicht von ihnen finden ließ, so lag es wohl darin, daß der Spanier wie der Deutsche niemals unaufgefordert in des Andern Weg tritt, und beide es verschmäheten die französische Sprache in diesem Augenblick zur Vermittlerin zu machen. Denn [20] es ist natürlich und dem Menschen eigen, sich von dem mit Widerwillen abzuwenden, was man los zu werden einmal beschlossen hat. Es fiel daher jetzt jede bisherige Scheidewand vor Alonzo nieder. Hatte ihn früher die frische, fröhliche Weise der tapfern Preußen, ihre naive Wißbegier und aufmerkende Theilnahme eben so wie die abhaltende Höflichkeit ihres Benehmens erfreuet, so gelangte er hier durch die Fülle frei und kräftig gebildeter Künstlernatur, den Scharfsinn und die gemüthvollste Gewandtheit unversehens zum Einverständniß deutscher Nationalität.

Wer sich eine Zeitlang vor der Welt verschlossen und alles daraus abgewehrt hat, was ihn ansprechen könnte, wird dem neu hineinfallenden Lebensstrahle um so mehr Gewalt über sich gönnen müssen. Die wohlthätige Wärme und Klarheit eines hellen Gespräches treibt Blut und Sinn und Worte zu schnellerem Lauf, ein Funke zündet den andern, es glühet von allen Seiten. Gedanken brennen zusammen, die Flamme leuchtet weit über die gewohnten Gränzen hinaus.

Alonzo fühlte sich immer freier und verständlicher, sein Gefühl immer lebendiger umgetrieben, [21] je leiser und sachter der junge Fremde ihm entgegentrat, ohne ihn gleichwohl absichtlich suchen zu wollen. Beide gingen bald von der Kunst zu dem Leben und der Gegenwart über, und in den Sälen, als der gemeinsamen Heimath, auf und ab gehend, redeten sie ohne Zwang über den gemischten und höchst wunderbaren Eindruck, den Paris unter den gegenwärtigen Zeitumständen auf sie mache. Alonzo hütete seinen Haß zu sorgfältig, um ihn in Worten zersplittern zu wollen, er äußerte sich nur im allgemeinen, daß er den ganzen Streit nicht für geschlichtet halte, so lange noch ein Einziger in dem eigenen Bewußtsein gefesselt bleibe. Er könne sich nun einmal mit der Freiheit nicht beruhigen, die ihm Andre erkämpften. Teuflische List habe ihn um die Mitwirkung betrogen und daß er das nicht rächen dürfe, hetze ihm eben das Blut durch alle Adern. Ehe gebe es auch keine Ruhe für ihn, bis dies heiße Blut auf eine oder die andere Art sich gekühlt habe. Der Deutsche war bei weitem milder. Er konnte manches Tadelnswerthe nicht in Abrede sein, gleich wohl ging er, als etwas Außerwesentlichem, [22] nur leicht darüber hin. Ueberall betrachtete er in dem Ort nicht sowohl die Hauptstadt Frankreichs, als vielmehr den Brenn- und Scheidepunkt ungeheurer Reibungen, die sich hier sichtend, befriedigt und vollständig in die ruhige Natur ihrer Bestimmung zurücktreten müßten. Die wechselnden Berührungen so verschiedenartiger Elemente, fuhr er fort, können schon an sich nicht kalt lassen, zudem spiegeln sich die großen Ereignisse in eines jedem Dasein eigenthümlich zurück, und wenn man acht darauf hat, werden Kunst und Leben eben nicht zu kurz dabei kommen.

Alonzo hatte ihn unter dem Reden aufmerksam beachtet. Es ging ein leises, weiches Minenspiel über sein jugendlich braunes Gesicht, das die Züge höchst angenehm belebte. Um den Mund vorzüglich schwebte ein feines sittiges Lächeln, in welchem sich Güte und Schalkheit wunderbar mischten. Er öffnete die Lippen nur wenig, wenn er sprach, doch ohne den Ton zu pressen, schlüpften die Worte behend, wie leichtfertige Boten darüber hin, während sich der kaum hervorgelockte Bart wie ein ernster Wolkenstreif darüber hinzog. Die Augen waren den stillen[23] Grubenlichtern zu vergleichen, die in ihrem dunklen Glanz sicher in tiefe Schachten dringen, ohne durch flackernden Schein die Sinne zu irren. Er trug sich wohl und edel, ob er gleich weder groß noch hervorstechend gebauet war. Gestalt, Ton und Geberde, alles an ihm verkündete innere Uebereinstimmung, die in ihrer leisen, biegsamen Sicherheit nichts abwehrt und sich immer bewahrt.

Es war nicht leicht möglich den bildenden Künstler in ihm zu verkennen. Auch erfuhr Alonzo bald im Laufe des Gesprächs, daß er Mahler sei, Philipp heiße und als Freiwilliger nur für die Kriegszeit Soldat geworden, jetzt in die stille Künstler-Laufbahn zurücktrete.

Beide schieden darauf mit dem Versprechen, einander wieder aufzusuchen. Als nun Alonzo einen herrlichen Barber Hengst bestieg, der draußen am Thore auf ihn wartete, blieb Philipp mit untergeschlagenen Armen vor ihm stehn, und sagte lächelnd: Alonzo gebe ihm das Bild zu einem ritterlich maurischen Helden der alten Spanierwelt, auch spüre er etwas von der eifersüchtigen Gluth in seinen Augen, er wolle sich [24] hüten, ihm in den Weg zu treten. Alonzo sah sich nicht ungern in jene Zeit zurückgewiesen, und als Philipp schalkhaft grüßend, in eine Seitengasse bog, blickte er ihm mit einer Befriedigung und einem Wohlwollen nach, wie er es lange nicht in dem Maaße empfanden hatte.

In dieser erhöheten glücklichern Stimmung ritt er ganz behaglich durch den kühlen Abend hin, ohne sonderlich von dem lästigen Schwarm umher gestört zu werden. Die Nähe liebenswürdiger Menschen hebt uns immer eine Zeit lang über uns selbst hinaus, und trennen wir uns nun, so glimmt und dämmert das Herz noch eine Weile in sich fort, ohne daß wir uns gerade davon Rechenschaft geben. Wir können nicht sagen was in uns vorgeht, wir lassen das Unbekannte eben walten. Alonzo erging es nicht anders.

Die duftigen, verschwimmenden Abendlichter schienen sich in seinem Innern zurückzuspiegeln, er träumte so nachempfindend fort bis ihn das ganz unerträgliche Gedränge an den Boulewards hin, alle zehn Schritt einmal zwang, seinen unruhigen schnaubenden Barber anzuhalten. Das [25] stolze Thier warf ungeduldig den Kopf in die Höhe, und machte mahl auf mahl Mine, über alles das wegzusetzen, Alonzo mußte in einem Strafen und Zügeln bleiben. In diesem unbequemen Geschäft ärgerte ihn so viel zwecklose Beweglichkeit, das heisere Durcheinanderschreien, die Fremden, die sich nach dem Größterlebten in eingefleischtem Vorurtheil, zu dem Unbedeutenden drängen konnten, die vergiftende Thorheit, der Schmutz, die Sünde doppelt und dreifach, und er würde es dem Barber just eben nicht verdacht haben, wenn er den Boden aufwühlend all der geschäftigen Verdorbenheit ihr Grab gegraben hätte. Im höchsten Unwillen hielt er hart an einem kürzlich eingeäscherten Hause. Tanzende Affen, Leierkasten, Marionetten, Sträußermädgen und Betteln der Invaliden, Hundecomedien und Vaudeville-Sänger, alles schwirrte, gaukelte und preßte sich an ihm hin. Auf einem niedergebrannten Pfeiler dicht neben ihm saß ein braunes Mädgen von zartem Alter in knappem blauen Kattunhemd und drüber hingeworfenem dunkeln Mantel, dessen Risse und Schlitzen und abgetragene Wolle eine weitläuftig überkommene [26] Erbschaft verriethen. Neben ihr kauerte sich ein altes, dürres Mütterchen fröstelnd zusammen, die blinden Augen in der Kleinen Schoos gedrückt. Diese sang in demselben leiernden Ton, die gefaltenen Hände von Zeit zu Zeit mit auswendig gelernter, zur Gewohnheit gewordener Geberde gen Himmel hebend; um Gottes und des Heilands Liebe willen, für eine arme Blinde ein paar Sous. Alonzo warf ihr Geld hin! Das Kind stand auf und verneigte sich, indem sie ihr: Herr, Gott wird es Ihnen vergelten: eben so nothwendig, eben so eintönig wie die frühern Worte hersagte. Die Alte aber, vom Klange des Geldes aufgeweckt, richtete sich in die Höhe und mit den geschlossenen Augen mühsam zu Alonzo hinaufblinzelnd, rief sie: das schönste Herz Frankreichs wird so viel Großmuth lohnen. – Alonzo schauerte zurück, theils vor dem gespenstischem Anblick des Weibes, theils vor der unwillkommenen Prophezeihung. Er wandte sich mit einiger Heftigkeit, doch die Blinde reckte sich, auf den Schultern des Mädgens gestützt, zu ihm hin, indem sie sagte: Bereuen Sie es [27] ja nicht, wenn es Sie übereilte, es ist auch zu Ihrem Glück.

Alonzo glaubte, sie fasele, er wußte im Grunde nicht recht was sie wolle, das eben ängstete ihn. Er spornte sein Pferd an und theilte in ein paar wilden Galoppsprüngen die gaffende Menge, die bewundernd nachrief: herrlich! herrlich! auf Ehre echt englisch! – Die Thoren! dachte Alonzo, ohne im Herzen ganz sicher zu sein, ob es nicht ebenfalls Thorheit genannt werden könne, sich durch ein paar Worte so jagen und hetzen zu lassen. –

5. Kapitel

Fünftes Kapitel

Er konnte gleichwohl den wüsten Eindruck jener Worte mehrere Tage hindurch nicht los werden. Und was ihn vollends belästigte, war die Nothwendigkeit, mit verschiedenen Behörden verhandeln zu müssen, wozu ihn die Beschaffenheit seiner Sendung ganz natürlich verpflichtete. [28] Berührungen der Art waren ihm stets verletzend. Er konnte nun einmal sein Gefühl nicht bezwingen. Er empfand die Verschiedenheit diplomatischer und ritterlicher Galanterie ums o schärfer, je reiner das letztere Element in ihm ausgesprochen war. Was auch die französische Behendigkeit ersinnen, was die regelrechte ausgleichende Sprache auch verbindliches sagen mochte, er ahndete, er sah überall den Hohn, die Geringschätzung leichtsinniger Beschränktheit; und unerträglich drückte ihn die versteckt gehaltene Ueberlegenheit, mit welcher Besiegte zu ihren Siegern reden durften. Ihm kochte das Blut jedesmal, daß er so oft etwas ähnliches hörte, alle Sinne geriethen in Aufruhr, er mußte sich selbst entfliehen, und Haß und Stolz und jede heiße Regung beleidigter Natur tödten, um Sitte und Anstand retten zu können.

Ganz ermattet von so unseligen Kämpfen, flüchtete er einst zu Philipp, dessen Wohnung er ausgemittelt hatte. Der junge ritterliche Künstler saß im dunkeln, leicht umgeworfenen Mantelkragen, mit übergeschlagenem Hemdestreif und entblößtem Hals, pfeiffend vor einer saubern [29] Staffelei. Alonzo blieb ganz verwundert vor ihm stehen. Wie denn, sagte er, sie haben Lust und Muße gefunden, hier selbst etwas zu bilden? Wo nehmen sie nur den Frieden, die Eintracht im Innern her? Nun, entgegnete jener lächelnd, was soll ich mich weiter in dem Tumult verlieren! Auch sind mir die Eindrücke nicht so neu, ich war früher hier und finde daher manchen unbesetzten Augenblick. Mir schien es billig, daß ich dem einzigen beruhigenden Eindruck, den ich hier empfing, Gestalt und Dauer gebe und ein versöhnendes und werthes Andenken aus so merkwürdiger Zeit in die Heimath zurückbringe. Alonzo war näher getreten. Er sah zur Zeit nur die noch erst höchst dürftig und weich gehaltenen Umrisse eines Engelskopfes auf dem Leinen. Das Gesichtchen blickte überaus unschuldig aus einer weißlichen Lichtwolke hervor, die fast blendend an dem nächtlichen Himmel vorüberzog. Unterwärts arbeitete ein dunkel wogendes Meer, dessen nakte, kalte Kreideufer in wunderlich hieroglyphischen Spitzen und Zacken heraussprang. Den Hintergrund deckten tiefblaue Dunststreifen, man [30] unterschied keinen einzigen Gegenstand. Die schauerliche Einöde und tief empfundene Seele des Bildes erfüllte Alonzo mit Ehrfurcht. Er hielt das Ganze für eine Vision, deren der Künstler hier gewürdigt worden und sah andächtig auf dessen Arbeit.

Wie indeß nicht leicht im Innern ein Ton angeschlagen wird, den forthallend nicht noch viel andre Klänge und Stimmen wecken und sich ganz eigne Akkorde und Chöre bilden sollte, so rauschte auch jetzt etwas durch Alonzo hin wie der dunkle Flügelschlag der Nacht, von dem die einsame Seele in Sehnsucht erbebte. Alle Empfindungen wurden wach, sie fuhren schauernd aneinander, das Herz stockte fast in den gewaltsamen Wirbeln. Er hatte sich über Philipps Sessel gelehnt, und sah und empfand sich in das Bild hinein, ohne eben deutlich zu denken oder gar zu reden. Die Arbeit ging indeß still fort. Philipp war ohnehin nicht einer von vielen Worten. Es war ihm schon recht, daß nichts Fremdes in sein Thun und Sinnen hineinfiel, Alonzos Blicke begleiteten ihn vielmehr auf ganz eigene, geheime Weise. Mehr und mehr ging [31] ein warmer Hauch von dem Lichtglanz der Wolke aus, Philipp selbst bog sich fast geblendet zurück, das strahlende Engelsgesicht sah wie ein Friedensbote zwischen silberne Mondflämmchen hindurch, die Landschaft war unbegreiflich hell geworden, die wüste Angst der Nacht sank ganz zusammen. Plötzlich fuhr Alonzo mit beiden Händen über die Augen, er sah und sah, seine Blicke wurden immer fester, immer flammender, mein Gott, rief er, wie kommen Sie grade zu diesen Zügen? das ist ja das Gesicht des Mädgens, das ich neuerlich aus dem Gedränge der Cathedrale trug. Thaten Sie das? fragte Philipp, den Kopf nach ihm hinwendend, nun da kann es ja sein, daß es dieselbe ist, die ich neben der Mutter knieend, in so seligem Schauen des reinen, ungetrübten Himmels fand, daß ihr still entzückter Blick wie linder Engelsgrus über die unruhig wirre Menge zu schweben schien. Ich habe nie etwas Klareres gesehen. Die blonden Haare spielten so kindlich weich um Schläfe und Wangen, der eingeflochtene Lilienkranz spiegelte sich in dem ruhigen Schein der Stirn zurück, doch nichts glich dem lösenden, [32] beschwichtigenden Zauber jener schwimmenden, ganz von Begeisterung aufwärts gehobenen Augen, sie sahen, sie empfanden nur das Licht ewiger Liebe. Nirgend noch begegnete ich so fester Andacht in Mitten so sündlichen Tobens.

Philipp hatte mit großer Lebhaftigkeit geredet, die Begeisterung spielte in röthlichen Streifen auf seiner Stirn, seine Augen schienen größer als sonst, sie bewegten sich leuchtend in ihren Kreisen. Doch wie die Jugend oft beschämt da inne hält, wo sie mit liebenswürdigem Selbstvergessen über sich hinauszugehen bereit war, so zügelte auch hier anmuthige Blödigkeit Philipps Zunge, er schwieg, sah Alonzo noch einen Augenblick nachsinnend an, und wandte sich dann zu seiner Arbeit zurück.

Daher also, sagte Alonzo zerstreuet. Wie konnte Sie nur die Französin so begeistern? Das lassen Sie sich weiter nicht anfechten, entgegnete Philipp, das kommt hier ganz und gar nicht in Betracht. Es ist Gottlob nicht sowohl die Frage, wo sich ein Künstler befindet, als ob überhaupt ein Künstlerauge da ist, denn Offenbarungen denke ich giebt es überall!

[33] Alonzos Blicke hingen unverwandt an dem Bilde, er schien ganz hineingewachsen. Offenbarungen, wiederholte er langsam, giebt es überall! Und alle Werkzeuge der Offenbarung sind geheiligt? Fragen Sie sich das noch, unterbrach ihn Philipp lächelnd? Alonzo wandte sich mit einiger Heftigkeit abwärts. Er trat zum Fenster und starrte mehrere Augenblicke finster in die dunkle, unter menschliche Thorheit veraltete und verjüngte Stadt; Haß und Unwille behaupteten wieder ihr verjährtes Recht. Er athmete tief auf, und ohne das Bild weiter anzusehen, reichte er Philipp die Hand, drückte und schüttelte sie und fragte mit abwehrender Eile: wo treffen wir einander nun wohl wieder? Jener sah ihn etwas befremdet an, doch eine leise Empfindlichkeit schnell unterdrückend, entgegnete er heiter und zuversichtlich: Nun es trifft sich ja wohl bald einmal auf diese oder die andre Weise.

Er war aufgestanden und beschäftigt, Pinsel und Palette an die Seite zu legen. Das Bild stand frei. Alonzos Blicke streiften unwillkührlich daran hin. Er riß sich unter glühendem [34] Erröthen davon los, als Philipp wieder zu ihm gekehrt, seinen Augen begegnete. Alonzo drückte den jungen, anmuthigen Künstler an seine Brust und flog wie ein Getriebener aus dem Zimmer.

6. Kapitel

Sechstes Kapitel

In Paris war es indeß nach und nach zu einer gewissen Ordnung gekommen. Die Eingebornen hatten sich in gänzlicher Sicherheit beruhigt, die Fremden leidlich gewöhnt. Das Neue war alt geworden. Kein Mensch wunderte sich mehr. Man langweilte sich so alltäglich aneinander hin, und die Stadt würde vergessen haben, wie ihr geschahe, hätten Kaiser und Könige nicht von Zeit zu Zeit ihre Truppen zur Heerschau versammelt. Dahin drängte denn doch immer wieder Alt und Jung. Man ward es nicht müde die schönen, kräftigen Gestalten, den Glanz, die Behendigkeit und würdig stille Haltung der ritterlichen Helden zu bewundern. [35] Der Trompete weckender Klang, der Waffen heller Schein, das Hurrah, der pfeilschnelle Flug behender leichtfüßiger Pferde, das Leben, die Bewegung war doch jedesmal wieder neu und verlockte Herz und Augen.

Einst hatte der König von Preußen seine Garden zusammenberufen. In langen glänzenden Reihen füllten sie die Avenüe von Saint Germain. Ihr königlicher Führer hielt neben dem unvollendet gebliebenen Triumpfbogen von Jena. Die Lust ewiger rächender Vergeltung blitzte aus Aller Augen. Ohne Stolz, mit treuherziger Vergnüglichkeit sahen die zuversichtlichen, ehrenfesten Krieger auf jenes schmähende Denkmal, und nachdenklich erwogen sie, wie wunderbar Gott der Zeit und den Kräften gebiete, nur fertige, was bestehen solle.

Unzählige Wagen hielten dicht aneinander gereihet, unzähliges Volk wimmelte dazwischen, Adjudanten und Commandirte rauschten nur so eben an den Zuschauern hin, man hörte nicht den Hufschlag ihrer Pferde, halb schreitend, halb fliegend schienen diese kaum den Erdboden zu berühren. Federbüsche wogten, Bajonette blitzten, [36] Helm und Küraß leuchtete golden in spielenden Sonnenstrahlen. Voll und gewaltig schmetterten helle Kriegsklänge dazwischen, alles Leben wurde wach, alle Herzen schlugen freier, man musterte, verglich und lobte nicht mehr, man sahe, man jubelte nur.

Alonzo hielt im Gefolge eines englischen Generals nahe an der Barriere de l'Etoile. Hier hatten sich viel Wagen zusammengedrängt, der Lärm war ungeheuer, Alonzos Pferd wieherte jedem Trompetenstoß nach, und stampfte und schüttelte schäumend an dem zügelnden Gebiß. Er strich ihm wohl begütigend den schlanken Hals, und meisterte und wendete sich mit ihm bald rechts bald links, aber in der Seele war ihm wie dem feurigen Thier; vorwärts! rief es mit tausend Stimmen und die Zähne zusammenbeißend, schlug er die zündenden Augen gen Himmel. Er beachtete es nicht, daß dicht hinter ihm viel Lärmens und Gelächter war; ein junger französischer Offizier sprengte mit fliegendem Ellenbogen und schwerfälliger Beweglichkeit bald hin bald her, hatte überall zu sehen und zu reden. Jetzt bog die lange Wagenreihe etwas [37] seitwärts, die Preußische Garde dü Corps marschirte vorbei. Unwillkührlich lief ein leises Murmeln durch die Menge, man hatte nie etwas Schöneres gesehen. Ernst und gemessen ging der Zug vorbei. Alonzos Herz bebte bei dem Rasseln der Waffen, dem stolzen, sichern Tritt der Pferde, dem heitern Glanz freudiger Maiengesichter. Er hatte sich etwas genähert, um genauer zu sehen. Sein Pferd arbeitete und drängte ungestüm an die Wagen hin, er war gezwungen es zu beachten als er eben an einem perlfarbenen Muschelwagen mit silbernen Verzierungen streifte und durch einen gewaltigen Satz ein junges schlankes Frauenzimmer tödtlich erschreckte, die mit dem Rücken gegen ihn gewandt, die eine Hand auf dem Knopf des Schlages gestützt, stehend, die Regimenter vorüberziehen sah. Sie fuhr leise aufschreiend zusammen, und blickte etwas bleich und verstört nach dem schnaubenden Barber um. Ein leichter Strohhut mit blaßrothen Rosen beschattete das feine Gesichtchen, gleichwohl waren diese Augen nicht zu verkennen, Alonzo neigte sich überrascht vor seiner Unbekannten aus der Kathedrale. Der [38] junge laut bewegliche Franzose, der sich schon früher viel um diesen Wagen zu schaffen machte, hielt auf jener Seite, so daß er Blansche gegenüber war, er machte in diesem Augenblick eine etwas rasche Bewegung zu Alonzo hin, öffnete die schmahlen, eingezogenen Lippen und stand im Begriff etwas Scharfes zu sagen, als sich Fahrende und Reuter plötzlich in Bewegung setzten und alles aneinander und durcheinander zur Stadt lenkte.

Alonzo war immer grader und höher auf seinem Pferde geworden und schien noch jene gedrohete Anrede zu erwarten. Jetzt schoß er pfeilschnell nach der Barriere zu, er hätte die Welt darum gegeben, dem übermüthig fragendem Gesicht noch einmal zu begegnen, aber das wüste Gewirr wickelte sich immer dunkler, immer unkenntlicher in einander, ganz von weitem zeigte sich die silberne Muschel von vier Apfelschimmeln gezogen, noch einmal. Alonzo hielt die Hand wie geblendet vor die Augen. Als er wieder aufsah, stand ein allerliebstes zierliches Kind, mit den aufgehobenen Armen ein Körbchen voll der glühendsten Rosen haltend, neben [39] ihm. Mine und Geberde sagte: schöner lieber Herr, kaufen Sie doch. Alonzo blickte ganz tiefsinnig in die hellen Rosenlichter, es trabte ein Preußischer Freiwilliger vorbei und sang:


Ihr habt uns geladen
Wie ringen wir baden
Durch Blut und durch Wolken
An's herrliche Ziel.

Alonzo hatte früherhin auf spanischem Boden tapfere Deutsche gekannt, die der allgemein heiligen Sache im fremden Streite dienten. Das Wort Blut war ihm wohlbekannt, es fiel wunderbar in sein Ohr; er wandte sich nach dem Reuter und griff fast zugleich in das weiche Blumenmeer, die rothen, duftenden Wellchen spielten kühlend um seine Finger, er faßte eine Hand voll Blumen und sagte ganz unwillkührlich: rothe Rosen, rothes Blut: und Geld in das Körbchen werfend, trabte er ganz in sich versunken nach seinem Quartier.

[40]

7. Kapitel

Siebentes Kapitel

Hatte Alonzo bis dahin still und verborgen gelebt, so hielt er es jetzt seiner Ehre gemäß, überall, so viel sichs thun ließ, an öffentlichen Orten zu erscheinen. Kein Mensch sollte ihn vergebens suchen, keine an ihn gerichtete Frage unbeantwortet bleiben. Er war deßhalb, alles Widerwillens ohnerachtet, fast zu jeder Stunde im Palais Royal zu finden. Sein stattlich stolzes Wesen, der feste Trotz, mit dem er etwas zu erwarten schien, die kalte Geringschätzung in Blick und Minen bezeichnete ihn bald genug. Karikaturen und Vaudevilles malten den tiefsinnig spröden Spanier auf komisch neckende Weise, ohne daß er selbst eine Ahndung davon hatte. Sein Auge war auf ganz Anderes gerichtet. Mit scharfem Adlerblick faßte er jedes verwandte Gesicht, ohne gleichwohl seinen Mann finden zu können.

Unwillkührlich hatte er denn doch manche Bekanntschaft gemacht, sich manchem Kreise angeschlossen. Es konnte nicht fehlen, daß er hin [41] und her zur Theilnahme gezwungen, in Gespräche verwickelt ward, in denen er ein tiefes, überaus edles Gemüth offenbarte. So fand er sich bald gesucht und schon in den ersten Tagen unter mehreren verbündeten Offizieren einheimisch. Es kam hier vieles zur Sprache, das die gemischten, oft verletzenden Verhältnisse der Zeit mit immer gesteigertem Unwillen aus den empörten Herzen riß, man stachelte sich so gegenseitig und es sprüheten Funken, die oft nur des zündenden Gegenstandes ermangelten, um hell aufzuflammen. Niemand machte just ein Hehl daraus, daß er das Land, die Stadt und die Einwohner hasse, daß dies Gefühl rechtmäßig und nun und nimmermehr auszurotten sei. Wir haben es leider nur allzuzeitig vergessen, sagte einst ein wackrer Oestreicher, wie uns seit dem spanischen Successionskriege her und wohl früher dies Volk gehofmeistert und durch seinen sündlichen Einfluß unterjocht hat. Das waren Franzosen wie jetzt. Man sagt immer: die Revolution und der Napoleon habe alles so schlimm gemacht, aber es lese nur Eins wie es damals zuging, Treue und Glauben war niemals drin.

[42] Da hinter, sagte ein blonder, hochgewachsener Brandenburger, sind nun wohl nach grade auch alle gekommen, mit dem Vertrauen ist's meist aus und jedweder bleibt gefaßt und auf seiner Hut. Was schmeichelt man ihnen denn noch lange, unterbrach ihn der Oestreicher, und läßt sie glauben, sie seien nicht besiegt. Es hätte nicht viel gefehlt, wir maßten die grünen Zweige verstecken, weil ihnen das ehrenwerthe Feldzeichen in die Augen schlug. Darf sich wohl Einer rein heraus Sieger nennen, wir umgehen und umgehen das Wort und thun mit ihnen, wie mit kranken Kindern, darüber werden sie vollends thöricht und vorlaut. Ich glaube, sagte der Brandenburger aufstehend, man macht es mit den Franzosen wie mit den Besessenen, man scheuet und windet sich vor ihren krampfigen Zuckungen, und läßt sie laufen. Ich habe nur eine Zeitlang das Wesen so mit angesehen, und all' die Manövres und Kunststückchen vormachen lassen, es war mir spaßhaft genug, daß sie mich zu imponiren glaubten, aber es nehme mir kein Mensch übel, lange hält man das nicht aus, [43] zuletzt wird man ganz müde und matt und geht ihnen gern aus dem Wege.

Ein feiner, schlanker Russe, der eine Zeitlang lächelnd in den Streit hinein gesehen hatte, sagte jetzt in etwas gepreßtem weichem französisch, wir hätten doch alle sammt unrecht, die Nation zu hassen, da wir ihrer Sprache jede gesellige Mittheilung und selbst den jetzigen, kameradschaftlichen Verkehr verdanken. Auch können wir es uns nicht wohl ableugnen, daß, die augenblicklichen Mißverständnisse abgerechnet, Paris der Sitz aller urbanen Gewandheit, des feinsten Gesellschaftswitzes und einer Cultur ist, wie wir sie anderswo nur im matten Wiederscheine finden. Die Franzosen bleiben immer unsre Vorbilder und wir streben vergebens sie zu erreichen. Gestehen wir es nur, wir bleiben bei allem Stolz weit hinter ihnen zu rück. Solch Streben, fiel der Preuße ein, verdient solchen Lohn. Gottlob! bei uns ist die alte Comödie ausgetrommelt. Es bringt sie kein Mensch mehr aufs Tapet. Wir fangen denn doch nach grade an uns zu ehren. Im Selbstgefühl liegt die Selbstständigkeit, darauf soll der deutsche Ritter [44] wieder seine Burgen bauen, und denn wirds auch mit der vielgepriesenen Welt- und Gesellschaftssprache ein Ende mit Schrecken nehmen. Ich sehe gar nicht ein, weshalb sie nicht zu entbehren sei. Es kommt nur darauf an, daß nothwendiger Ausgleichungen im Leben wegen, das klassisch, poetische Italiänisch Hofsprache werde. Welch ganz anderer Geist würde in die Gesellschaft übergehen. Und gleichwohl, fiel der Russe ein, bestechen die Franzosen uns heut wie immer, uns reitzt und lockt die Meisterschaft dessen, was wir kennen, ohne es zu können. Mich nicht, fiel ein alter Landwehroffizier ein, mich wahrhaftig nicht. Ich wollte das Meer verschlänge das ganze Land, ehe ist doch keine Ruhe in der Welt.

Philipp war während dem hinzugekommen. Er lachte über des alten guten Mannes Eifer, und malte seinen Vernichtungswunsch noch deutlicher aus, indem er in den Franzosen schon Seeungeheuer sahe, die nach tausend und tausend Jahren die Uferfahrenden durch wunderlichen Spuk erschrecken würden und deren räthselhafte Fabeln die späten Nachkommen von diesem [45] Kriege und der Ahnherrn tapfere Thaten hören sollten. Man lachte und umspann Zorn und Unwillen in allerlei possenhaften Ausfällen.

Alonzo hatte sich etwas entfärbt als Philipp ihm zutraulich auf die Schulter klopfte und neckend fragte: Wie nehme ich es denn, daß Sie zu dem allem schweigen? Was sollen Worte? entgegnete jener. Wir sehens ja, man kühlt sich gegenseitig wieder ab. Es ist immer ein müßiges Geschäft, das Skelett eigner Empfindung einem Andern ins Herz drücken zu wollen, jener wirft es heraus wie es ihm beschwert und behält höchstens einen widrigen Eindruck davon.

Er hatte sich selbst im Reden erbittert und sah tiefsinnig und kalt an Philipp hin. Dieser schlenderte neben ihm, an etwas anders denkend, hin Beide traten in die Vorhöfe des ungeheuren Gebäudes. Es war schon spät, der Nachtwind wehete kühl. Im Caffé de la Rotonde erlosch ein Licht nach dem andern. Die Patrouillen gingen spähend umher, die Menge verließ sich. Mich friert, sagte eine bebende Stimme dicht neben Alonzo, gehn wir, mir ist so angst, es ist [46] Zeit, niemand kommt mehr, alles wird still. Alonzo wandte sich nach der Stimme hin, er erkannte die Blinde von den Boulevards, an der Hand des braunen Kindes. Da steh'n noch zwei, flüsterte dieses; wo? fragte die Alte. Die Kleine bog die dürre Hand der Mutter bittend nach Alonzo. Doch diese zog sie sogleich zurück; laß nur, sagte sie, laß, tritt niemand mehr in den Weg, es ist keine gute Stunde, stöhre niemand, hörst du, komm, jeder hat sein Geschäft, ach Gott, mir wird so angst! Sie keuchte an Alonzo vorbei, er hörte sie noch dumpf aus der Ferne stöhnen, bis sie in dem Caveau des aveugles verschwand! –

Wo wollen Sie hin? fragte Philipp, als sich Alonzo schnell nach den Zimmern zurückwandte, aus denen sie gekommen waren. Ich habe drinnen etwas zu zahlen vergessen, erwiederte dieser flüchtig. Lassen Sie's doch bis morgen, rief ihm Philipp nach, Sie hörens ja, es ist keine Zeit mehr zu Geschäften. Alonzo stand einen Augenblick unschlüssig, doch gleich darauf war er verschwunden. Philipp ging einige Zeit auf und ab, in der Absicht ihn zu erwarten. [47] Er hätte ihn gern noch gesprochen. Doch währte es lange. Er konnte das nicht begreifen und halb verdrießlich, halb von einem beklommenden Vorgefühl getrieben, folgte er dem Zögernden nach.

Es war fast überall schon öde und leer. In einem hintern Spielzimmer endlich fand er Alonzo an einen Pfeiler gelehnt, mit festem Blick auf mehrere französische Offiziere sehend, die unter tollem lautem Gelächter einen jungen Cameraden aus ihrer Mitte zuhörten. Dieser hielt ein Blatt in der Hand, und fuhr mit dem länglichen Zeigefinger, seinem Witz bei sehr beweglichem Minenspiel mehr Nachdruck gebend, geschäftig darüber hin. Man trieb hier sichtlich höchst leere und flache Possen. Philipp trat daher ganz entrüstet zu Alonzo, ihm zuflüsternd, um Gotteswillen was thun Sie hier? lockt Sie die verrenkte Spaßhaftigkeit so unwiderstehlich an? Es hatte mich vorlängst, entgegnete Alonzo mit unverwandtem Blick, einer der Herrn etwas zu fragen, ich erwarte nun daß ers thue. Ah! so! erwiederte Philipp, ohne sonderlich den Sinn jener Worte zu beachten. Er hatte viel [48] anderes in Gedanken, und übersah leicht was um ihn vorging. Nachläßig zog er einen Stuhl in eine Fenstervertiefung, stützte den Ellenbogen auf den Sims und den Kopf in die Hand gelegt, richtete er die dunkeln Augenlichter in die Nacht stiller träumender Erinnerungen. Jetzt ward es jedoch laut neben ihm, er ließ die Hand sinken und wandte das Gesicht nach dem Geräusche hin. Der junge Franzose trat mit eingeknicktem Beine und nachläßig schleppendem Gange, die geringschätzige Weise des Kaisers Napoleon nachahmend, Kopf und Nase in die Höhe geworfen vor Alonzo, und fragte mit Talmas Heldenmine: ob er etwas an ihm auszusetzen finde, da er ihn seit lange auf belästigende Weise fixire. Ich erwartete Sie, entgegnete Alonzo trocken. Sollte, fuhr der Franzose die Antwort überhörend, fort, in Spanien, wie ich Ursache habe zu glauben, unsre freie, reiche Lebensgewandtheit noch fremd sein, so erlauben Sie mir Ihnen zu sagen, daß es bei uns höchst auffallend ist, jemand anzusehn, ohne ihn zu begrüßen. Der Gebrauch verbietet das durchaus, es darf nie geschehn! Alonzo stand, beide [49] Hände übereinander auf den aufgestemmten Säbel gelegt, höchst stolz und feierlich vor ihm, und mit einem Feuerblick, an dem der Franzose fahrig hin und her flog, sagte er gelassen, ich habe mich niemals um französische Gebräuche bekümmert, spanische Rittersitte, aber denke ich, sollte man in Frankreich kennen gelernt haben. Die Bekanntschaft, fiel der Franzose rasch ein, ist nicht seit gestern, sie war gegenseitig, auch ermangelten wir nicht ähnliche Notizen zu sammeln. Er hob ein bemaltes Blatt gegen die flache Hand gelehnt, schräg gegen Alonzo auf, und mit gekniffenem fuchsartigen Lächeln setzte er hinzu: wenn Umstände und Nationaldekrete uns die Waffen aus der Hand winden, so sehen Sie, daß wir die Waffe des Spottes unbestritten besitzen, vor der dennoch ganz Europa zittert. Alonzo hatte nur ein halbes Auge an die bunte Fratze gewandt, in welcher er sein und seiner Nation karikirtes Bild in der Person des Donquichot aus einem Lieblingsstück der Variétés, Croque mitaine genannt, in allen seinen Zügen sprechend ähnlich, erkannte. Der Zorn flammte leuchtend auf seiner Stirn, er [50] behielt die eine Hand an dem Säbel, neigte die andre gleichsam winkend gegen seinen Gegner, und sagte mit stiller Sicherheit, wir Spanier pflegen die Franzosen nur mit Blut zu malen. Er winkte noch einmal, und vorausgehend, setzte er hinzu, ich bitte zu folgen.

Philipp hatte schon längst sein weißes Barett in die Augen gedrückt, das Schwerdt heftig unter die Arme geklemmt, sich ungeduldig die Hände gerieben und bald den einen bald den andern Fuß zum Weggehen gehoben. Er zitterte vor innerer kaum verhaltener Wuth, er hätte den Uebermüthigen auf der Stelle niederstoßen mögen. Jetzt stand er unter heftigem Herzklopfen neben Alonzo. Der Franzose lächelte auf eigne höhnisch verbindliche Weise, redete ein paar Worte mit seinen Cameraden und folgte Alonzo dann mit theatralischer Vornehmheit.

Sie gingen rasch und schweigend durch Straßen und über Plätze, jetzt standen sie an einer Gartenmauer. Alles war still, der Raum bequem. Die Entfernung ward ausgeschritten, man stellte sich. Alonzo blickte noch einmal umher, er sah über die ausgebogene Mauer zwischen dunkeln [51] Buchenwänden auf einen frischen Rasenplatz, hohe Rosen und Lilien weheten duftend herüber, ganz von fern schimmerte ein weißes Gewand, wie ein Lichtwölkchen durch die Schatten. Arme Taube! dachte Alonzo, so nahe bei dir rauscht vielleicht der Todesengel. Er hob das schöne Auge ernst gen Himmel, silberne Mondlichter spielten auf seinem Gesicht, die dunklen Locken wogten in der Nachtluft, das Schwerdt blitzte in seiner Rechten. Mit Gott, rief er, die freie Hand aufs ungestüme Herz drückend, schnell trafen dann die scharfen Waffen aneinander, es ging eine Weile Stich um Stich, drauf taumelte der Franzose, der Säbel fiel ihm aus der Hand, das Blut sprang dicht unter dem Herzen hervor, todtenbleich sank er in seines Kameraden Arme. Alonzo schöpfte Athem, da rauschte das weiße Gewand immer näher und näher heran, das Gartenpförtchen sprang auf, Türgis, mein Türgis, rief eine Engelsstimme! Bediente stürzten herbei, man umringte, man bestürmte den Verwundeten und trug ihn endlich unter lautem Jammergeschrei in den Garten. Die Thür schlug hinter ihm zu, alles ward still, [52] Alonzo stand auf Philipp gestützt, einsam in der kühlen Nacht. Er seufzte tief, drückte Philipp die Hand und ging von dem stillen, innigen Jüngling begleitet, im wunderbarsten Taumel der Sinne nach Hause.

8. Kapitel

Achtes Kapitel

Philipp war des andern Tages schon geraume Zeit bei Alonzo, ohne daß beide noch eigentlich mit einander geredet hätten, es wußte eben keiner recht anzufangen, indeß Blick und Minen tausend Fragen an des Andern Seele thaten.

Sie haben wohl nichts gehört, hub endlich Alonzo an, das Auge unsicher auf Philipp gerichtet. Doch, entgegnete dieser, ich weiß wenigstens, daß Ihr Gegner lebt, daß er der Sohn einer Frau von Saint Alban und eines Herzogs Neffe ist, in Spanien für den Unterdrücker focht, und daß just nicht viel an ihm verloren wäre, [53] falls der Himmel dennoch über ihn beschlossen hätte. Er hatte dies Letztere schon mit halbem Lächeln gesagt und der lustige Glanz der Augen zeigte, daß er auf dem schönsten Wege war, seiner neckenden Laune Bahn zu machen.

Gestehe ich es Ihnen nur, fiel Alonzo niedersitzend ein, mir ist es lieb, daß er lebt. So lange ich gegen das namenlose Wesen focht, schlugen Haß und Rache flammend über mir zusammen, ich sahe, ich hörte nichts als die verhaßten Töne, die meine Brust unter tausend Qualen unaufhörlich zerrissen. Ich dankte dem Himmel für diesen Augenblick, der ätzende Aerger war mir Labsal und da mir nun die warmen Blut quellen hell entgegensprudelten, athmete ich leicht, Gott, dachte ich, hat gerichtet. Als aber jene Klagestimme mir einen Namen nannte, da war es mit dem Zorne plötzlich aus, ich fühlte ein menschliches, von warmen Herzen geliebtes Wesen nahe. Der wunde Jüngling kam mir mit einem male ganz anders vor, er lag so bleich, so rührend da, aller Uebermuth war von der Stirn weggehaucht, sie schien mir ganz klar und rein. Der Schmerz zuckte wehmüthig [54] an seiner Lippe, es ging mir durch alle Nerven, ich hätte ihn küssen, ihn Bruder nennen mögen. Philipp, darf auch der Mensch so über den tief bewartesten, heiligsten Gefühlen schalten lassen, darf er dem Mitleid diese Gewalt einräumen?

Philipp war auf- und abgegangen. Die Schultern etwas gehoben, mit der Hand auf Allgemein hinweisend, sagt er: Gott trägt auch Mitleid mit dem Sünder, wir sollen uns freuen, wenn wir einmal eine freie göttliche Regung in uns spüren. Was ängstigen wir uns überhaupt über etwas, was einmal nicht anders sein kann.

Sie erkannten sie gleich? fragte Alonzo ohne aufzusehen. Jener wandte sich rasch, sah ihm scharf ins Auge und halb ernst halb lächelnd, sagte er unter leichtem Erröthen, glauben Sie, daß das anders möglich sei? Alonzo schwieg. Philipp blieb vor ihm stehen. Mir war, sagte er, als habe sich eine von den hohen Lilien herübergeneigt und lege sich nun an des gefallenen Jünglings Brust. Es kam alles so schnell, so traumartig.

Alonzo faßte seine Hand. Ich reise, lieber [55] Philipp, ich muß hier fort, die Luft drückt mich entsetzlich. Ich habe meiner Mutter schon geschrieben. Es geht nicht länger. Sie muß sich bei dem Könige für mich verwenden, er wird mich zurückrufen, er siehts ja, ich tauge hier nichts, wie konnte er mich auch wählen!

Ich wollte, ich könnte Sie begleiten, sagte Philipp, seine Hand immer noch in der seinen haltend, aber mein Weg ist mir schon vorgezeichnet.

Bei allem dem, fuhr Alonzo ganz in Gedanken fort, wie gut daß er lebt. Er schien ihr so werth, so unaussprechlich theuer zu sein! Wenn er – o höchst wunderbarer unbegreiflicher Gott! –

Beide schwiegen unter ernstem Nachdenken als ein Wagen vor dem Hause anhielt, und man Alonzo, Türgis Oheim, den Herzog meldete. Störe ich Sie, sagte Philipp aufbrechend, so leben Sie für jetzt wohl. Im Gegentheil, erwiederte Alonzo, Ihre Nähe thut mir ganz unumgänglich noth. Ich denke es kömmt hier noch wohl mancherlei zur Sprache, und wir halten und bewahren uns nie besser, als wenn wir [56] wissen, daß uns ein Freund beachtet. Nun fiel jener lachend ein, das wird einmal wieder einen komischen Aufzug geben, am Ende sollen Sie sich wohl gar noch mit dem alten Herrn herumschlagen. Ich dächte Sie überließen mir das, wir können leicht die Rollen vertauschen, er kennt keinen von uns beiden, und ich zeige ihm dann sein eignes Gesicht, ich weiß schon all die Minen, Phrasen und Luftsprünge der Gedanken auswendig, er soll glauben sich in einem Spiegel zu sehen, hören Sie nur, da geht's los. Die Thüren schlugen auf, der ältlich würdige Mann trat ein und gab durch sein bloßes Erscheinen den beiden Jünglingen Ehrfurcht. Sie neigten sich schweigend gegen ihn. Das stille Leiden vieler Jahre, die Kraft und Ruhe der Ueberwindung lag auf den verfallenden Zügen, er richtete die großen Augen nach Alonzo; die Nacht hereinbrechenden Alters umdämmerte bereits ihre frühere Gluth, und gab ihnen jenes wehmüthig verschwimmende Licht, das leise zum Herzen redet. Mit altadelich sicherm Anstande sagte er darauf, ich fühle mich gedrungen Sie aufzusuchen, ihnen persönlich zu eröffnen, wovon [57] mein Herz voll ist. Sie sind zum Unglück meines Hauses auf unverzeihliche Weise gereitzt worden, und haben nach würdig anerkannter Sitte ihr Recht genommen, ich kann jenes nur bedauern, wie dieses ehren. Wenn indeß der leichtsinnige Uebermuth eines Unbesonnenen, wenn die empörende Frechheit meines vergifteten Frankreichs sich so verletzend gegen Sie, gegen eine ganze edle Nation äußern durfte, werden Sie dem Bereuenden, dem Todtwunden verzeihen? werden Sie einer verzweifelnden Mutter den Trost geben wollen, daß kein Fluch ihrem Liebling ins Grab folgt? Mein Herr, Sie haben keinen Begriff von dem Schmerze, alle Lebenshoffnungen in seinem Kinde, in seinem eignen Blute scheitern zu sehen! Herr Herzog, entgegnete Alonzo in großer Bewegung, Ihnen ist es zu wohl bekannt, daß der geendete Kampf auch den Streit beendet. Die Ehre ist befriedigt, das Gefühl hat keine Stimme mehr; auch ist dieses beruhigt, und ich darf Ihnen mein Ritterwort geben, daß ich um so freier von allem Groll bin, als durchaus keine weitern Beziehungen zwischen mir und meinem Gegner statt finden, [58] und nur die allgemeinen, tief liegenden Elemente verschiedener Nationalität sich durch uns einen Weg bahnten, um aneinander zu gerathen. Die Gesetze wie die Weihe der Waffen haben hier geschlichtet und entschieden. Den Frieden der Gemüther behindert fortan nichts weiter. Wenn Sie, nahm der Herzog auf innige Weise das Wort, wenn Sie meiner Schwester das selbst sagen, wenn Sie uns die Beruhigung Ihrer Nähe nur auf kurze Augenblicke gönnen wollten. Alonzo sah ihn betreten an. Sie erschrecken, fuhr jener fort, schon vor der bloßen Möglichkeit persönlicher Befreundung, Sie hegen die lebhafteste Scheu gegen jede Art von Gemeinschaft mit allem was Franzose heißt? Ich kann Sie nicht tadeln, aber eben daß ich es nicht kann, lastet härter als der Fluch der Verbannung auf mir. Ich will Sie, fügte er einlenkend hinzu, weiter nicht in Verlegenheit setzen. Sie werden es ja nicht übersehenwollen, daß es auch hier tapfere und freie Herzen giebt, die Pflicht und Ehre, Gott und Gewissen über alles hoch halten, und diesen Ihre Theilnahme schenken, je mehr Sie sie zu bedauern Ursach [59] finden. Er hatte die letzten Worte mit frommen Eifer gesprochen, in seinen Augen glänzte eine Thräne. Alonzo sahe beschämt vor sich nieder. Ich gehe, sagte der Herzog nach kurzem Schweigen um vieles getrösteter von ihnen als ich kam, ich sehe Ihr menschliches Gefühl überwiegt den Nationalhaß bei weitem, wenn dieser gleich nicht duldet, daß Sie sich aussprechen dürfen. Ich verstehe Sie, junger Mann, und noch einmal, ich ehre Sie deshalb. Wo das Recht und die Wahrheit, rief Alonzo sehr bewegt, so gebietend sprechen, ist es nicht länger erlaubt zu wanken. Sie haben mich bezwungen, Herr Herzog, ich bitte Sie zu glauben, daß Sie, daß Ihre Familie meine Theilnahme in einem weit höhern Maaße besitzen als ich es sagen kann, daß ich stolz sein werde, Ihnen das zu bezeigen. Sie waren unter diesen Worten bis an die Thür gekommen. Der Herzog wandte sich noch einmal und mit prüfendem Blick auf beide Fremdlinge, rief er, möchten Sie doch Frankreich wahrhaft befreien können!

Philipp sah ihm gedankenvoll nach. Wie eitel die Jugend ist, sagte er nach einer Pause [60] zu Alonzo gewandt, wie klug und sicher waren wir vorher, und wie stehen wir nun da! Mich ärgern meine voreiligen Worte! Leben Sie wohl, ich bin verdrüßlich, weiß nicht recht wie ich mit mir selbst dran bin. Der Haß ist von dieser Welt, aber die Gerechtigkeit ist Gottes, das fühle ich wohl! Der Krieg macht doch wüst und einseitig, es muß wieder anders werden! Leben Sie für heute wohl.

Hören Sie doch, rief Alonzo ihn zurückhaltend, Sie schlugen noch so eben vor, wir sollten unsere Rollen in dieser Sache vertauschen, so ganz denke ich Sie nicht beim Worte zu nehmen, doch einigermaßen müssen Sie in meiner Seele handeln. Gott weiß es, setzte er tiefsinnig hinzu, ich bin mir selbst fremd geworden, wer mag sagen, wie weit das gehn kann, ich muß mich bei Zeiten zügeln, ich darf mich keiner allzu großen Weichheit hingeben, und doch bin ich der Familie, dem braven alten Manne etwas schuldig, es muß etwas gescheh'n, ich darf nicht in dieser gemessenen Zurückhaltung verharren. Wollen Sie in meinem Namen zu dem Kranken, zu der Mutter gehn? Ihnen wird [61] es leichter sein, ein allgemein begütigendes Wort zu sprechen, ohne doch zu viel zu sagen. Sie werden das schon zu machen wissen, und verschaffen mir dadurch Zeit, mich zu sammeln. Es hat mich dies alles sehr überrascht, ich muß mich wirklich erst wiederfinden. Vielleicht begnügen sich auch die Menschen mit dieser einen Höflichkeit, sie wollen die Formen beobachtet wissen, sie vergessen nachher das Uebrige. Thun Sie es immer, lieber Philipp. Ich merke wohl, sagte dieser, es ist eine erschreckliche Sache mit den Worten, sie fallen einem so unversehens aus dem Munde und verstricken nachher in Dinge, die besser fern blieben. Ohne meinen unzeitigen Spaß vorhin wären Sie gar nicht auf den Gedanken gekommen. Nun ich gehe, fuhr er fort, aber was daraus entsteht, setzte er mit halb verstecktem Ernst hinzu, kommt dennoch auf Sie.

[62]

9. Kapitel

Neuntes Kapitel

Alonzo vermied es auf alle Weise, mit sich zur Sprache zu kommen. Er ließ die innern Wogen über Herz und Brust zusammenschlagen, ohne viel zu rühren und zu rücken. Die beklemmende Schwüle hielt jeden freiern Lebensstrom gefangen. Das eben war ihm recht, er scheuete die eigne Kühnheit.

Gleichwohl erwartete er Philipps Rükkehr mit weit mehr Unruhe als ihm lieb war. Er wollte etwas hören, etwas erfahren, er wußte selbst nicht was? Mit jeder Minute schwoll das Verlangen, die Sehnsucht immer stürmischer an. Er ging heftig auf und ab, Thüre und Fenster standen offen, er wollte durch kein falsches Geräusch länger getäuscht werden. Bei dem ersten Tritt, dem ersten Laut seiner Stimme, wollte er Philipp entgegentreten, er mußte doch endlich kommen, es konnte gar nicht fehlen.

Ob der Kranke wohl noch lebt? fragte er zuweilen, mit dem allerinnigsten, tiefsten Mitleid, [63] dazwischen drang eine andre Frage herauf, der er niemals Herr werden konnte, sie sah ihn so lange und so fest an, bis er ganz verwirrt die Hand auf die Augen drückte und nichts mehr hören und nichts mehr sehen mochte.

So quälte er sich stundenlang. Endlich sagte er ganz trotzig: mag er kommen oder nicht, was ist's weiter? – Er ging aus, und verträumte den Abend über in Theater und Caffees. Aber mitten unter den tausend Lampen, unter den fremden Menschengesichtern schlich es wie ein Gespenst heran? was ist das schlanke, weinende Mädgen dem wunden Jüngling? liebt sie den Bruder, liebt sie den Freund in ihm? Und kann sie anders als den Mörder hassen? –

Als er spät nach Hause kam, erfuhr er, daß ihm Philipp aufgesucht, ihn zu sprechen gewünscht, gleichwohl etwas eilig und zerstreut, nichts an ihn zurückgelassen habe. Gleichviel! sagte Alonzo, es ist auch so gut. Doch legte er sich ins Fenster und hoffte, jener solle noch einmal heransprechen. Es blieb indeß alles wie es war. Seltsam ist es bei allem dem, sagte er mißmüthig, daß Philipp nicht wenigstens ein [64] paar Zeilen schreibt! wer weiß, was er mir zu sagen hatte! Es war schon tief in der Nacht. Er warf sich aufs Bett. Ihm ward unerträglich heiß. An Schlaf war nicht zu denken. Er sprang wieder auf, ging im Zimmer hin und her und griff dann in Gedanken nach der Guitarre, und da sie verstimmt war, spannte er an den Saiten, und rührte in die Töne, ohne etwas mehr als einzelne Akkorde anzuschlagen. Er saß dem Nachtlicht gegen über, die Klänge hallten leise an ihm hin, ein kühler Lufthauch strich durch das offene Fenster, auf den Straßen war es still geworden, Alonzo sann und spielte sich so in eine tiefe Wehmuth hinein, als ein kleiner weißer Schmetterling, den man Nacht- oder Todtenvogel zu nennen pflegt, in blendenden Kreisen aus dem Dunkel an das Licht flog und vorüberschwirrend bald wieder verschwand. Alonzo wehete ein Schauer an, er wußte nicht woher noch worüber. Lange nachher kam es ihm vor, als höre er noch das Schillern der bleichen Flügel, er griff deshalb stärker in die Saiten und stimmte zuletzt unter lautem Begleiten der Stimme einen Choral an, vor dem seine Seele sich hob und dehnte.

[65] Er hatte die ganze Nacht über aufgesessen und die heiße Brust dem frischen, beruhigendem Morgenstrahl geöffnet. Der Thau lag perlend auf einem kleinen Blumengärtchen unter seinen Fenstern. Levkoyen und Reseda dufteten balsamisch, durch die Blätter säuselte der Morgenwind und schüttelte die hellen Tropfen erquicklich auf den Rasen. Es ward recht still und hell in Alonzo, und er konnte sogar dem erwachenden Leben umher, vom einförmigen Treiben der Hökerer und Verkäufer an bis zum emsigen Fleiß in der geöffneten Werkstatt freudig zu sehen. Nach und nach ward alles lauter, auch in seiner nächsten Nähe. Es war noch frühe, als er folgenden Zettel von Philipp erhielt:

»Sie waren gestern Abend nicht zu finden, ich habe Sie vergeblich gesucht. Heute bin ich gedrängt und eilig. Nur so viel, Ihr Auftrag ist ausgerichtet und auf genommen wie Sie wünschen können. Man sagt es nicht, aber man erwartet Sie. Sie hätten unrecht, dies Vertrauen zu täuschen. Leben Sie für ein paar Tage wohl. Ich mache einen kleinen Streifzug nach Versailles und dort umher. Gott mit Ihnen!«

[66] Weich und offen und unbewaffnet gegen unerwartete Eindrücke, wie Alonzo es in der frühen Morgenstunde war, trafen ihn die flüchtigen unbefriedigenden Zeilen höchst unangenehm. Er warf den Zettel heftig vor sich hin. Es ist doch wahr, rief er, Künstler sind schroffe Egoisten, sich selbst in der Kunst heraufschmeichelnd und verwöhnend, lassen sie alles andre im Leben, all' die tausend rührenden Beziehungen des Daseins unbeachtet, und kränken unaufhörlich durch Nachläßigkeit und Leichtsinn! In Versailles! was will er da! nach alten Bildern jagen, je verbleichter und bestäubter, je lieber sind sie ihm freilich, die heiße, lebendige Nähe des wartenden Freundes, was ist sie dagegen! sie fällt nur unbequem in seine Träume. Die Gegenwart ist so wahr, sie sieht so scharf und nahe ins Auge, die Phantasie hat nicht Raum, nicht Zeit zu spielen, sie will die That, die rund herausgesprochene, feste That, man hat es leichter drüben hin zu sehen und jeden flüchtig auf sich selbst zurückzuwerfen!

Er war in großer Bewegung auf- und abgegangen. Da blitzte es dunkel in ihm auf, er [67] hat mir wohl gar etwas zu verbergen! er will mit der Sprache nicht her aus, ich soll selber sehen. Das ist so recht! dem unangenehmen Eindruck geht man aus dem Wege.

Immer unwilliger, immer zerrissener im Innern beschloß er jetzt all' der Quälerei ein Ende zu machen. Der schwere Gang zu Frau von Saint Alban ward unternommen. Der Weg war lang, Alonzo hätte ihn noch um Stunden ausdehnen mögen. Endlich fuhr der Wagen jener wohlbekannten Mauer entlängst. Der Tag schien hell und deutlich auf die verhängnißvolle Stelle nieder, das Pförtchen stand offen, Kinder liefen hinein und heraus und sammelten in Körbchen die abgefallenen Rosenblätter, um sie weiter zum Verkauf zu tragen. Ein alter Mann stand daneben und hütete die blühenden Zweige vor Beschädigung. Es ward alles so wirklich, so beängstigend um Alonzo. Vor einem dunkeln Eisengatter, am Eingange einer dichten hochgewölbten Kastanienallee hielt jetzt der Wagen. Der Schlag flog auf, Alonzo blieb länger keine Wahl, er war gemeldet, angenommen, so trat er denn in Gottes Namen [68] in den schattigen Gang. Die Brust war ihm so beklemmt, daß er ein paarmal hustete und stille stand, um nur des stockenden Athems wieder Herr zu werden. Eine breite Rasentreppe herauf zwischen künstlichen Blumenbeeten erstieg er mühsam die Terassen, und trat nun unter das Portal des vornehmen altväterlichen Gebäudes. Gewölbte Gänge, in Stuck gearbeitete Verzierungen, breite Fliesen, ein paar steinerne Ritterbilder, an die sich die freche Hand der Zeit vergeblich wagte, alles hier sprach von gediegener, fester Sinnesweise. Armand öffnete feierlich, mit gesenktem Blick einzig auf sein Geschäft bedacht, eine Thür, und Alonzo stand vor Frau von Saint Alban.

Wie er hieher gekommen? was er hier sollte? es war ihm selbst ein Räthsel. Er verbeugte sich tief, als die lebhafte Frau mit schnellem Blick an ihm hinfliegend ausrief: das erwartete ich. Sie mußten es sein! Ich erkannte sie sogleich und das ist bei dem Tumulte dieser Zeit recht sehr viel, Sie sehen, wie tief Sie in unserm Herzen leben. Alonzo hatte bei dem ersten Laut ihrer Stimme die Mutter seiner [69] Unbekannten wiedergefunden. Ein Strahl unaussprechlicher Freude blitzte durch seine Seele. Es scheint, fuhr Frau von Saint Alban fort, Ihr Eintritt in dies Haus bringt Segen. Mein Sohn ist heut um vieles wohler, er dankt das unfehlbar Ihrer gestrigen Botschaft, die ihm sichtlich wohl that.

Die linde verbindliche Weise, mit der das zerrissene Mutterherz dem Trost zu geben bemühet war, der ihr so unaussprechlich wehe that, verwirrte Alonzo vollends. Gnädige Frau, stammelte er unter flammendem Erröthen, wie ich Ihnen gegenüberstehe, Sie trauen mir zu, daß ich es fühle. Ihre Güte macht mich vor mir selbst schuldiger als ich es wirklich bin. Ich kann Ihnen nichts, gar nichts sagen, daß nicht zu viel oder zu wenig wäre. Ihr scharfer Geist aber macht es Ihnen klar, daß es unglückliche Werkzeuge in der Hand des Himmels giebt, die ohne ihre Schuld bestimmt sind, den Frieden Anderer zu trüben. Gewiß es giebt im Leben verhängnißvolle Augenblicke, die dunkel und gewaltsam über uns gebieten. Daß mein Gewissen rein ist, sagt Ihnen mein Anblick, wie könnte ich anders vor Ihnen erscheinen. Ach [70] mein Herr, entgegnete Frau von Saint Alban, indem sie ihn gütig bei der Hand fassend, neben sich niedersetzen ließ, Sie finden in mir eine herb geprüfte, viel erfahrene Bürgerin dieser Welt. Das Glück kenne ich nur trügerisch und doch bin ich nicht unglücklich. Ich müßte nach so vielen Täuschungen verzweifeln und doch hoffe ich gern, es ist mir nöthig, und so oder so, am Ende geht mir doch mancher Wunsch aus, und es schickt und fügt sich mir zum Heil. Ich beweinte und betrauerte lange den einzigen Sohn. Ich gab ihn auf. Da fand ich ihn wieder. Aber anders, ganz anders, höchst fremd, und doch mein Kind. Sein Leben ward mir ein Schmerz. Ich war nicht ohne Schuld, ich hätte es denken können. Wer darf den Pesthauch dieser Luft ungestraft einathmen! Unter allen Gräueln der Revolution aufgewachsen, hatte ich ihn gehegt, bewahrt und so tief ist der Grund, den ein frommer Sinn in eines Kindes Herzen legt, daß der falsche Schein nur augenblicklich weichen darf, so tritt das rechte Wesen lebendig hervor. Mein Türgis war so weich, so hold, so leicht beweglich, der Höllendämon der Armee, [71] faßte und bearbeitete das arme, junge Herz. Mein Herr, Thorheit und Leichtsinn sind Gespielen der Jugend, wer darf einen Stein auf ihn werfen? Glücklich alle die, welche ein reines Vaterland haben, und bescheidene Vorliebe und feste Treue hegen dürfen!

Sie schwieg einige Sekunden, den Blick tiefsinnig am Boden geheftet. Drauf leicht und vertraulich zu Alonzo gewandt, sagte sie lächelnd, es scheint, der Himmel habe es sich vorgesetzt, unsre Bekanntschaft nicht fallen zu lassen. Zu stolz, meinen Dank anzunehmen, zwingt Sie die Vorsehung nun zum Mitleid. Sie erinnern sich, daß es ein menschliches Auge ist, dem Sie Thränen auspreßten, und eilen menschlich fühlend es zu trocknen. Sie sahen, es mußte so kommen, widerstreben Sie denn nicht länger, lassen Sie uns Freunde sein. Sie hatte ihre Hand mütterlich auf die seinige gelegt, Alonzo drückte sie gerührt an die Lippen. Ich bin stolz darauf, entgegnete er lebhaft, von Ihnen gnädige Frau erkannt zu sein, Sie tadeln nicht, was mich früherhin bestimmte, Sie fühlen, was mich jetzt zu Ihnen führt, und zweifeln keinen Augenblick [72] an dem, was Sie zu unverhohlen in meiner Seele lesen.

Nun denn, sagte Frau von Saint Alban aufstehend, so ist Friede zwischen uns, und so Gott will, ein festerer als alle Politik der Welt zu schließen vermag. Lassen Sie mich Sie nun meiner Familie vorstellen, der arme Kranke sehnt sich unaussprechlich Ihre Hand brüderlich zu fassen. Sie nahm Alonzos Arm und ging mit ihm durch mehrere Zimmer in einen kleinen Gartensaal. Türgis lag unter leichter Decke auf einem Ruhebett, den Kopf matt an Blansches Brust gelehnt. Diese hielt seine Hände in der ihrigen, das Gesicht wandte sich gedankenvoll nach dem offenen Fenster. Hohe Blumen wiegten draußen die Kelche hin und wieder, Bienen und glänzende Käfer summten begehrlich an ihnen hin, der Kranke schlummerte in leichten Fieberträumen. Zuweilen hob Blansche die längliche Hand, und wehete leicht die Fliegen von des armen Türgis Stirn. Alonzo und die Mutter waren herzugetreten. Blansche wagte nicht sich zu regen, aus Furcht den Bruder zu erwecken, eine leichte Neigung des Kopfes, der gesenkte [73] Blick und das feinste Erröthen begrüßten indeß den Eintretenden. Alonzo betrachtete sie in stummer Ueberraschung. Die reichen blonden Haare waren in dichten Flechten aufgesteckt, Brust und Arme umschloß ein knappes weißes Kleid, das Gesichtchen sahe aus hohem Spitzenkragen, so schuldlos rein und friedlich wie der Engelskopf auf Philipps Bilde. Er hätte stundenlang so gegen ihr über stehen können, ohne das tiefe Schweigen in ihm und um ihn durch einen Laut zu unterbrechen. Frau von Saint Alban war nicht so geduldig. Sie machte eine rasche Bewegung, Türgis schlug die Augen auf, ein leichter Schatten flog über seine Stirn, die bleichen Wangen färbten sich leise. Alonzo hatte seine Hand gefaßt und sah hell und versöhnlich in die schönen, sich mehr und mehr belebenden Augen. Es ist mein Loos, sagte jener mit rührender Stimme, Sie überall als Sieger zu sehen, Sie werden es indeß begreifen, daß auch der Ueberwundene ein stolzes Herz hegen darf, und nur im wiedergefundenen Selbstgefühl sich und dem Schicksal verzeihet, ihm so gedemüthiget zu haben. So gefallen und so gehoben darf [74] ich Ihren brüderlichen Händedruck erwiedern. Alonzo ging ein tiefer Schauder durch die Seele, als er den matt gebrochenen Klang der jugendlichen Stimme hörte, er sah mit bangem Herzklopfen die feinen, kaum geöffneten Lippen unter dem Sprechen beben, und als Türgis erschöpft auf die Kissen zurücksank, beugte er sich unwillkührlich ihn zu unterstützen. Frau von Saint Alban weinte in großer Rührung, ihres Sohnes Stirn küssend, Blansche allein sah ruhig und klar auf den ritterlichen Versöhnungsbund. Es kostete ihr auch weder Anstrengung, noch spürte man einen Wechsel in ihrem Wesen, als sich nach und nach das Gespräch gewöhnlich gestaltete und alles mehr und mehr das Ansehn eines ruhig befreundeten Krankenbesuches gewann. Sie blieb unbefangen und innig, alle ihre Achtsamkeit auf den Bruder gerichtet; und theilte so den Andern eine Stille und Wärme mit, die Alle beglückte. Alonzo vergaß, wo er war. Er fühlte sich ganz einheimisch, im Innern mit einer Familie verwachsen, von der er sich nur spät und mühsam losriß.

[75]

10. Kapitel

Zehntes Kapitel

Von da kostete es Alonzo weder Kampf noch Ueberredung zu seinen neuen, wunderbar gewonnenen Freunden zurückzukehren. Unwillkührlich führte ihn der Weg jeden Tag zu ihnen. Er übte die angenehme Pflicht des Trostes und der Theilnahme mit einer Freudigkeit, in der er sich bald genug selbst vergaß. Sein Blut floß leichter, sein Blick ward heller, der strenge Frost seines Wesens linder, er empfand sich mit unaussprechlicher Rührung, ohne sich zu kennen, ohne zu forschen und zu fragen. Der Schmerz wie die Freude, jedes heilige und wahre Gefühl ziehet schnell das Band unter den Menschen zusammen. Wie durch ein Wunder war Alonzo plötzlich zu Hause unter den Fremden. Kam er, so hatte man ihn immer schon erwartet, seine Gegenwart schien allen mit einem male unentbehrlich, und nur unter herzlichen Versicherungen baldiger Wiederkehr schied man von einander. Blansche empfing ihn jedesmal mit verschämter [76] und doch höchst edler Verbindlichkeit. Dem süßen Gemisch ihrer reizenden Natur widerstand leicht niemand, das Stimmchen so hell und rein, so einfache Worte und kindlich herzliches Lachen, die allerliebste Freudigkeit über Kleines und Großes, und doch wieder so fest und ruhig, so heilig still. Von solcher unbefangenen Hingebung, von diesem ernsten Selbsterfassen hatte Alonzo früher nie eine Vorstellung gehabt. Alles war leise an dem zierlichen Mädgen, ihr Gehen und Kommen, ihr Neigen und Grüßen, jede Handreichung, die sie dem Bruder leistete, selbst die Worte flogen nur säuselnd über die feinen Lippen, man glaubte eine Blume wehen und rauschen zu hören und athmete ihr Wesen wie den Duft der Maienglöckchen, ihr linder Zauber hielt alle Gemüther gefangen. Litt Türgis, weinte die Mutter, sahen der Oheim und Alonzo zweifelhaft drin, so beschwichtigte ihr frommer Blick den Aufruhr der Sinne, die Herzen wandten sich unwillkührlich zu dem, den ihr Auge suchte, und still und ergeben erwartete man des Himmels ewigen Willen.

In solcher Nähe hatte Alonzo weder an [77] Gefahr noch Trennung gedacht. Ihm war wohl, und er hielt das Störende abwärts. Auch blieb er sich selbst und seiner neuen Verbindung. Riemand hemmte den verborgenen Andrang und Wachsthum seiner Gefühle. Philipp war immer noch nicht wieder da. Alonzo dachte nicht an ihn, er vermißte ihn nicht, er vermißte nichts in der Welt, er schien alles zu besitzen, was ihn beglücken durfte.

Sehr überrascht war er daher, als er eines Morgens den abwesend geglaubten an Türgis Bett zwischen Blansche und ihrer Mutter im ruhigen Gespräch begriffen fand. Alle drei traten ihm entgegen. Die alte Freude begrüßte ihn heut wie immer. Er erwiederte sie zerstreuet und als ihm Philipp lächelnd zuflüsterte: ich war gewiß, Sie hier zu finden, deßhalb suchte ich Sie auch nur hier, konnte er sich nicht entschließen, in seine harmlose Neckerei einzugehen, sondern blieb ernst und einsylbig. Ihm war als sehe er in Philipps Augen wie in einen Spiegel, alles was er früher gedacht, empfunden und gesagt hatte, ward ihm mit einem male gegenwärtig. Er fühlte sich unsicher,[78] durch die Nähe des Freundes auf unbequeme Weise gedruckt. Die Uniform, welche Philipp trug, erinnerte ihn an Krieg und Streit, und seine Stellung zu Frankreich, eine Beschämung, deren er nicht Herr werden konnte, hielt Herz und Zunge gefangen. Dazu lagen Philipps Blicke in stiller Beschaulichkeit immer fester und innerlicher auf Blansches Zügen, er konnte es sich nicht ableugnen, daß der Glanz und die Seele des hellen Künstlerauges eine Welt ausströme, die unter tief empfundenen Schauren das verborgene Dasein wecke. Philipp kannte nur ein Leben, er hatte sich ihm hingegeben, sein ganzes Wesen in ihm aufgelöst, er achtete nach Jünglings- und Künstlerweise wenig auf das, was um ihn vorging, ruhig horchte er der Offenbarung, welche ihm durch des Menschenbildes ewige Verkündigung aufging.

Alonzo befiel eine Angst, daß er nicht zu bleiben wußte. Er stand auf und setzte sich nieder, redete kurz und hastig, ohne mit sich zurecht zu kommen. Frau von Saint Alban spottete über seine Unruhe. Aber er konnte sich [79] nun einmal nicht finden, schützte Geschäfte vor, und eilte nach Hause.

So zerrissen und geklemmt, traf ihn folgender Brief seiner Mutter auf das peinlichste.

»Alonzo, ich sehe Dich ungern in einer Stimmung, die Deiner Würde wie Deinem Frieden drohet. Was ängstet dem Adler das wüste Geflatter der Raben. Der Spanier lebt stets in Mitten seiner Welt, voll Ehre und Ruhm. An diese Glorie reicht kein Gleißen, noch Flimmern. Richte Du dein Auge nach der Sonne, und laß der Nacht ihr dunkles Wesen. Was geht's Dich an! Dein unruhiger Haß gefällt mir nicht. Er zeigt von Ungleichheit und Streit, man haßt niemals, was man unbeachtet ließ.

Dein Verhältniß, dein Geschäft, sagst du, drücken dich? Die Pflicht darf niemand eine Last sein. Uebe sie ruhig, sie wird Dein Gemüth klar machen.

Des Königs Vertrauen ehrt Dich. Ich darf nichts dazu noch davon thun. Er hat Dich gesandt, fordre nicht, daß ich Dich zurückrufe. Alonzo, die Welt hat ihre Ketten abgeschüttelt, [80] bist du noch unterjocht, daß du seufzst? Wehre den kränklichen Aerger von dir, er mattet das Herz ab und lockt die Schmach auf unser Haupt. Denke an den Heiland und seinen Stellvertreter auf Erden, er duldete und klagte nicht, und überwand! Was kann Alonzo de Mendez mit einem Volk zu theilen haben, das nicht Gott, nicht Glauben, nicht Treue kennt! Vergiß es nicht, daß Deinem Blick das Unwürdige nicht begegnen darf, nicht begegnenkann, wenn er rein ist. Mein Sohn bete, und harre aus. Schlage das Kreuz Morgens und Abends auf Brust und Lippen, laß nichts Unreines hineinfallen, nichts Unbesonnenes herausgehn. Bete mein Kind, Deine Mutter betet mit dir. Bewahre Auge und Sinn.«

Er hielt das Blatt in der Hand, und sah starr auf die strengen, heftig bewegten Züge. Seine Augen füllten sich mit Thränen. Hat sie dich verstanden, Unglückseliger, rief er unter gewaltiger Angst, hat ihr ahndendes Herz es ausgesprochen, ohne es zu wollen, ohne es zu wissen? und ist es nun wahr? Mein Gott ja, der Streit ist es, der Haß und die Liebe, die [81] mich noch um Sinn und Verstand bringen werden. Er preßte die gefaltenen Hände schmerzlich gegen die Brust. Blansches Bild stieg fromm und rührend in ihm auf, er sah das liebe Auge, den kleinen, rosigen Mund, das zarte weiche Minenspiel, es kam ihm vor als weine sie, als rede sie zu ihm! Ach Blansche, rief er, willst du den Freund nicht lassen, rufen Deine sanften Engelblicke ihn zurück? Armes Herz, du weißt nichts von Feindschaft und Eigensinn der Menschen! –

11. Kapitel

Eilftes Kapitel

Einen ganzen langen Tag hatte Alonzo zugebracht, ohne Blansche zu sehen. Es war so wüst und dumpf in ihm, daß er nichts dachte, nichts zu wollen vermochte. Was in ihm vorging, was trübe und schwer aus der tiefen Seele heraufdrängte, und die Bande lang gehegter Festigkeit und Ruhe zu sprengen drohte, es[82] schwebte ihm dunkel vor, er wußte es nicht zu nennen, doch an der gährenden Angst im Herzen spürte er, daß er sich länger selbst nicht trauen dürfe, und arbeitete nun über einen Gedanken, der ihn retten könne.

Unter dem unsichern Dämmern ging die Zeit unbemerkt an ihm hin. Der Abend nahete, er hatte nichts gewonnen, der Pfeil steckte nur noch tiefer in der Wunde. Und wie denn Umstände und Ereignisse selten die Hand bieten uns zu retten, wenn wir es selbst nicht anzufangen wissen, im Gegentheil Kraft und Wille nur noch ängstlicher verstricken, so waren auch folgende Zeilen, die Alonzo jetzt erhielt, wenig geeignet es zu einem klaren Entschluß in ihm kommen zu lassen. Frau von Saint Alban schrieb ihm:

»Was hält Sie ab, daß Sie nicht kommen? Ich bin glücklich, und deßhalb brauche ich Sie; Türgis ist heut so still, so schmerzensfrei, ich hoffe so viel, dürfen Sie uns fehlen, wenn wir hoffen? Lassen Sie jetzt alles andre bei Seite, auch ihren gestrigen chinesischen Ernst, Sie waren mir ganz fremd geworden. Ueberlegen Sie [83] nicht lange, kommen Sie. Wir rechnen auf Sie,« Hat denn, rief Alonzo plötzlich aufgeschüttelt, hat denn die Ehre zwei Stimmen? Darf sie das Eine gebieten und zugleich untersagen? Kann ich hier zurückbleiben? Soll ich den Verdacht auf mich laden, als habe ich wie ein Mörder meines Gegners Tod gewollt, zweideutig mit dem Worte Versöhnung gespielt und dem Genesenden jetzt gehässig den Rücken gewandt? Soll ich kleinmüthig mit mir selber heucheln und aus früherer That eine Lüge machen? Blansche, darf ich das Gift des Mißtrauens in deinen Freudenbecher gießen? Nein Engel, zweifeln sollst du nie an deinem Freund.

Er war unter diesen Worten schon über die Schwelle der Thür, schon aus dem Hause getreten. Immer schneller und schneller trug ihn die Ungeduld nun vorwärts. Er hatte zuletzt keinen Athem mehr, und stand verschnaufend an dem Gartenpförtchen. Es war nur angelehnt, er trat hinein. Der Tag war fast ganz gesunken. Der Himmel unendlich rein und duftig. Hin und her funkelte schon ein Sternchen durch das bleichende Licht. Die blassen Umrisse des Mondes [84] traten leuchtend hervor. Alles war still; schweigend ging er an den flüsternden Blumenwänden hin. Die glühende Lichnis, der hochflammende Mohn neigten sich grüßend auf ihren zarten Stengeln, von fern sah er in den geöffneten Saal, die Thüren standen auf, Blansche schwebte daran hin und wieder. Wie sie ihn erblickte, flog sie zurück, bald darauf trat sie mit der Mutter heraus, ihm entgegen. Alle drei hatten eine Freude, als wären sie einander aufs neue gegeben. Zuerst schalt Frau von Saint Alban, dann erzählte sie von ihrer Hoffnung, von Türgis sichtlicher Besserung. Alonzo hatte beiden den Arm geboten, er ging, ohne Worte zu finden, zwischen ihnen. Blansche war so innig, so gerührt, ihre Blicke richteten sich aufwärts zum Himmel. Alonzo suchte ihr Auge, sie sah ihn lächelnd an, aber es schwebte eine Wehmuth um ihren Lippen, vor der sein ganzes Herz zitterte. Leise drückte er ihren Arm an seine Brust. Die Mutter trat zuerst in den Saal. Alonzo hielt noch Blansches Hand, ihre Finger schlüpften leicht durch die seinigen, ihm war als flöge ein sanfter Druck, fast wie ein [85] Lufthauch, drüber hin. Alle Nerven bebten ihm, die glühenden Augen lagen verzehrend auf Blanches Gestalt. Sie war schon weit von ihm, neben dem Bruder, der aufgerichtet im Bett, Alonzo freundlich zunickte. Diesem ging die Welt noch in wunderlichen, ungleichen Kreisen hin und wieder. Er sahe und hörte nur halb. Gleichwohl fiel ihm die außerordentliche Blässe und der feste, beinah verklärte Blick des Kranken auf. Er trat überrascht zu ihm. Türgis redete stark und schnell. Er schien voll Theilnahme, empfänglich für alles. Seine Zärtlichkeit für die Mutter hatte etwas unbeschreiblich Reizendes. Ueberall entfaltete er in der großen Beweglichkeit der Züge unwiderstehliche Anmuth.

Frau von Saint Alban sah liebkosend auf ihn nieder, mein bestes Kind, sagte sie, wenn werde ich dich wieder so frisch und freudig pfeifend und singend die Treppe hinauffliegen, deinen raschen Schritt durch Zimmer und Säle schallen hören. Gott weiß es, mir ist all' die Tage so still und ängstlich gewesen, wie im Grabe. Blansche barg das Gesicht in Türgis Kissen. Es wird alles nach grade kommen, [86] sagte der Oheim auf- und abgehend. Ja Gottlob, fiel Frau von Saint Alban ein, den heutigen Tag darf ich als eine Crisis ansehen, heut' ist er ganz umgewandelt. Nicht wahr, Türgis, dir ist viel leichter? Viel, erwiederte der Kranke, dankbar, ihre schmeichelnde Hand mit seinen Lippen suchend. Blansche küßte ihm auf die Stirn, sie hatte ihm Früchte und Blumen, und alles was ihr junges Herz erfreuen konnte, auf die Decken gelegt. Er sah sie liebreich an, auf seinen Lippen schwebten die herzlichsten, süßesten Worte, doch schwieg er, und ließ die Blicke in stiller Rührung an sie hingleiten. Als sie aber aus Furcht ihn zu hindern, zurücktrat, hielt er sie bei der Hand: bleibe so, sagte er leise, deine sanfte Nähe thut mir wohl. Ueberall ängstete ihn das zerstreuete Umhergehn im Zimmer. Er wollte niemand entfernt wissen, und sahe es gern, als der Theetisch dicht an sein Bett geschoben ward, und alle nun ruhig umhersaßen.

Frau von Saint Alban war von der sorglosesten Heiterkeit. Ein wenig vorgelehnt, mit übereinandergeschlagenen Armen, saß sie recht [87] behaglich da, und sprach von Türgis Krankheit wie von etwas, das nun überwunden, nur noch in der Erinnerung schrecklich sei. Ein Vorgefühl von dem, was mich treffen würde, sagte sie, hatte ich doch wohl. Mir träumte, ich sah Türgis ganz klein in seiner Wiege liegen. Ich wollte ihn putzen und trug allerlei veraltete Stücke Zeug und staubigen Wust herbei. Sehr geschäftig hielt ich das zusammengetragene prüfend gegen das Licht. Eins kam mir ganz auserlesen vor, ich zeigte es mehreren, die umherstanden, man lobte es sehr, ich legte es zurecht, als ich es aber dem Kinde nun anthun wollte, sah ich mit einem mal, daß es ein steifer, schwerer grauer Mantel war, ich erschrack sehr, und ließ vor Entsetzen das häßliche Ding auf die Wiege fallen. Mir zitterten alle Glieder beim Erwachen, und als ich gar drüber nachdachte, und die Nacht mir das Blut rascher durch die Adern jagte, befiel mich solch ein Schauder, daß ich nicht zu athmen wußte. Früher, fuhr sie fort, habe ich niemals darüber reden wollen. Aber nun, da das Unglück geschehen und zum Theil wieder gehoben ist, hat es weiter nichts zu bedeuten.

[88] Wie gebannt lagen alle Blicke am Boden, niemand wagte die Augen aufzuschlagen, niemand sprach. Frau von Saint Alban bedachte zurücksehend das Vergangene, und blieb einen Augenblick gedankenvoll. Nach einer Weile sagte Türgis: ich vermisse ungern den jungen Deutschen unter uns, er brachte mir die erste versöhnende Bothschaft von Ihnen Alonzo, ich wollte er wäre hier, mein Friedensbote! Er kommt wohl gewiß noch, entgegnete Frau von Saint Alban, denn hat er auch nicht das Ansehn die Menschen zu suchen, so kann er doch nicht von ihnen lassen. Ihm steht das etwas spröde Verschmähen im Umgang recht wohl. Der Künstler muß nicht allzuviel umhersehen, es stört ihn nur, darum liebe ich den abhaltenden Ernst, ja den ganzen wunderlichen Trotz in Philipp, der doch auch niemals die gute Sitte und den Anstand verletzt. Und denn, fuhr sie fort, hat er so innige verklärte Augen, so heilig verschämte Blicke, sein treuer Mund redet so liebe Worte. Ich bin gewiß, er hegt und bewahrt im Herzen, was Andre fahrig am Leben veräußern. Sie redeten noch mancherlei über[89] Philipp und das Uebersehen und flüchtige Abschätzen der Jugend. Es liegt, nahm der Herzog das Wort, in dem Nichts oder Alles, dem Entweder: Oder der Jünglingsseele einzig der Keim zu festerer Lebensgestaltung. Die Verhältnisse der Gesellschaft, die Behaglichkeit des Daseins vermitteln und gleichen nachher aus, wogegen früherhin die frische Jugend in Zorn und Bewunderung aufloderte. Wir lassen es eben gehn, aber was wir empfinden und denken, es wird blaß und fahl. Wer nicht über alles lieben und aus voller Seele verabscheuen kann, der denke nicht zu leben. Frau von Saint Alban legte zutraulich ihre Hand auf seine Schulter, sie dachte mit Ehrfurcht an die feste Treue seines ganzen Lebens, und wie er sich auch im wiederkehrenden Glücke nicht verleugne. Doch das Gespräch auf Vergangenes zurücklenkend, nicht allzu ernst werden zu lassen, sagte sie mit angenehmen Lächeln: nun, wenn wir Frauen uns auch nicht so streng und scharf bezeigen, so übt auch das Alter keinesweges diese niederschlagende Gewalt über uns. Ich für mein Theil empfinde noch immer die lebendigste [90] Theilnahme, ich kann mich heute wie ehemals mit derselben Lebhaftigkeit dem Schmerz und der Freude entgegenwerfen, und so außer mir vor Entzücken und Leidwesen gerathen, tadeln, loben, lieben, hassen, schelten und entschuldigen, als wäre ich achtzehn Jahr. Die Frauen, entgegnete der Herzog, mit gutmüthiger Galanterie ihre Hand küssend, wollen schon höher beachtet sein. Wir sollten ihnen billig eine andre Sphäre anweisen, sie stehn keinesweges so mitten inne im Lebensverkehr, oder wissen sich doch drüber hinauszuheben, die Zeit kann ihnen, wenn sie indeß wollen, eben nicht sonderlich viel anhaben. Zu Anfang sind sie in lieblicher Unbestimmtheit alleszugleich, man ahndet jede schöne Tugend in ihnen, man empfindet den schuldlosen Einklang aller Gefühle an ihrer Seite, dann zwingt sie das Geschick so oder so in eine besondere Richtung, und scheint sie zu bestimmen. Sie stehn ausgesprochen vor uns, und man vermißt nicht selten die verschwimmende Weichheit und anmuthige Sorglosigkeit früherer Zeit an ihnen. Absichtlich berechnet, verschlossen oder zerrissen, verarbeiten und durchsteuern sie so ein [91] paar Umschwungsperioden, dann aber haben sie gesiegt, oder sind erlegen. Wir fühlen uns wohl bei den ältern Frauen, deren Wesen sich klärt und setzt und ihnen die Gluth der Reife läßt. Man spürt noch all' die tausend Elemente menschlicher Leidenschaften und wird durch sie mit dem Leben in bewegliche Verhältnisse gesetzt, ohne jemals das Unbequeme gegenwärtiger Vorwirrung zu empfinden.

Frau von Saint Alban begleitete seine Worte mit beifälligem Blicke, jedes Stufenjahr weiblicher Anmuth, sagte sie lächelnd, findet doch in Frankreich seinen Ritter. Niemand taste mir mein galantes Frankreich an! Alonzo sahe überrascht auf sie hin. Es fuhr schneidend durch seine Seele, er spürte ein unangenehmes Beben und das Unheimliche verborgener Störung. Aengstlich suchte er Blansche. Sie saß in qualvoller Anstrengung neben Türgis, seine Hand in der ihrigen, von Zeit zu Zeit einen Strauß weißer Rosen gegen die heißen, überfließenden Augen drückend. Ach! dachte er, könntest Du so alle schringende Wunden der Seele kühlen.

Philipp war indeß geräuschlos eingetreten, [92] er grüßte sittig und still, und nahm seinen Platz zu Türgis Füßen, Blansche gegenüber. Seine Blicke lagen mitempfindend auf beiden Geschwistern. Blansche hielt sich kaum noch, ihr Bruder sah sie oft lang und forschend an. Wehet es Sie nicht zu kühl aus der offnen Thür entgegen? fragte Philipp den Kranken. Dieser lächelte und machte eine verneinende Bewegung. Er schien schlafen zu wollen, die Wimpern senkten sich so bleiern nieder. Alle redeten nun leiser, das Licht ward unter einer gefärbten Glasglocke gedämpft, die mondhelle Nacht spielte in grüßenden Flämmchen durch die bewegten Zweige vor Thür und Fenstern, in den Blättern säuselte es hörbar durch die wispernden Worte. Blansche schlüpfte zur Thür hinaus. Alonzo sah sie in den dunkelsten Gängen langsam auf- und niedergehen. Er konnte nicht zurückbleiben, er folgte ihr unsicher und beklommen nach. Die Stirn an eine junge schlanke Birke, wie an Schwesterbrust gelehnt, unvermögend sich länger zu bezwingen, weinte das arme bekümmerte Kind aus voller heißer Seele. Alonzo faßte ihre Hand, sie wehrte es nicht, sie dachte nichts, sie [93] fühlte nur den unaussprechlich tiefen Schmerz. Blansche, flüsterte er scheu und innig, meine arme Freundin, was ängstet Sie nur gerade jetzt so herzzerreißend, so unbezwinglich? Er stirbt, ach Gott er stirbt ja! schluchzte sie. Sehn Sie's denn nicht! Sieht's denn kein Mensch als ich, welch' ein Lächeln ihm den ganzen Tag schon um die Lippen schwebte, so lächeln nur Engel, das ist der Tod! – Der Tod! wiederholte Alonzo schaudernd! ihm war als stoße er erst jetzt den kalten Stahl in des armen Türgis Brust! Es schien ihm ganz unglaublich, ganz unerhört, daß es jemals dahin kam! Wie im Traum blieb er vor Blansche stehn, er ließ ihre Hand fahren und sahe starr vor sich nieder. Ich konnte, klagte sie leise, länger die entsetzliche Angst nicht aushalten. Ganz langsam hörte ich den Todesengel heranrauschen und als Türgis die Augen senkte, da brach mir das Herz, da war mir's als sehe ich den dunkel glänzenden Fittig, der sein liebes, liebes Gesicht beschattete. Sich abwendend, weinte sie still in die kleinen, vorgehaltenen Hände. Ihre Thränen fielen brennend in Alonzos [94] Herz, zerreißender als Vorwürfe es gekonnt, klagten sie ihn an, er hatte nicht den Muth, Blansche anzusehn, und eiskalt überlief es ihn, als sie plötzlich gefaßt und ernst sagte: die Mutter ahndet es nicht, sie ist so kindlich vertrauend, alles, alles überhört sie. Mein Gott, wie wird ihr sein, wenn nun der verhaßte graue Todtenmantel auf ihren Liebling niederfällt.

Sie schlug die Augen bittend zum Himmel und ging langsam nach dem Hause zu. Alonzo wagte es nicht sie zu begleiten. Er blieb den einen Arm um die Birke geschlungen tiefsinnig zurück. Der weiße Stamm leuchtete so hell im Mondenlicht, die schwanken Zweige spielten kühlend um seine Schläfe, aber ihn konnte nichts erfreuen, nichts trösten. Das Leuchten und Flüstern jagte ihm nur Graus in die Seele, er wand sich von dem Baume wie aus Gespenstes Armen und schritt rasch durch die Gänge Blansche nach.

Bei dem Kranken war es dunkler und stiller geworden. Frau von Saint Alban hatte sich entfernt, der Herzog und Philipp saßen etwas abwärts, ohne zu reden. Alonzo sah schüchtern [95] umher, er glaubte dem Todesengel irgendwo zu begegnen. Ich bitte, sagte Blansche zu ihrem Oheim gewandt, lassen Sie uns noch einige Stunden hier versammelt bleiben, ich fürchte mein Türgis ist nicht mehr lange unter uns. Der Herzog strich ihr die blasse Wange und sah mit feuchten Augen auf das schmerzliche Beben ihrer Lippen, die nur mühsam die wenigen Worte herausbrachten. Er versprach zu thun was sie wolle und gestattete, daß der Beichtvater geholt ward, der unter frommem Gebet die scheidende Seele des Sterbenden geleitet.

Philipp sah ernst in den Garten hinein. Ueber dem breiten Rasenplatz hin zogen Nachtdünste in seltsamen Nebelbildern aufwärts. Alonzo war seinen Blicken gefolgt. Es ist eine tiefsinnige Bedeutung deutscher Sprache, sagte Philipp leise, daß Nebel umgekehrt Leben ist, und Eines in dem Andern liegt. So ist es ja denn auch wirklich, und erst wenn die Wahn-und Trugspiele sinken, bricht die Lebenssonne an! Er hatte die Knie übereinander geschlagen, und das Gesicht in die aufgestemmte Hand gesenkt, als spüre er im Innern das Dämmern ew'ger Glorie.

[96] Türgis griff indeß unruhig mit den Händen in die Luft, dann zupfte er an den Decken und schien in Gedanken Blumen zu zerpflücken. Noch einmal schlug er die gebrochenen Augen auf, er machte eine verlangende Bewegung mit den durstenden Lippen. Der Geistliche hielt das Crucifix an seinen Mund. Blansche zitterte heftig, doch faßte sie sich schnell. Niederkniend betete sie mit Engelsklarheit, Alonzo und Philipp an ihrer Seite. Es ist vorbei! sagte der Geistliche zu den Umstehenden gewandt. Blansche richtete sich auf. Sie drückte die Hand aufs Herz. Der Athem verging ihr. Tief aufseufzend sank sie ohnmächtig an Alonzos Brust. Er hielt sie, er trug sie wie ehemals aus der Kirche. Erde und Dasein, Leben und Tod, alles was Worte nennen, schwand vor seinen Blicken. Er fühlte das arme Herz matt an seinem schlagen, den holden Leib kraftlos hingegeben in seinen Armen ruhen! Das zarte Köpfchen senkte sich gebeugt auf tiefbewegter Brust, ein scharfer Nachthauch schien es, habe der schlanken Blume wehe gethan. Alonzo fürchtete sie mit seinem Athem zu berühren. Ganz leise legte er sie im Nebenzimmer [97] auf ein Ruhebett, ein Schauder, eine Scheu wehete ihn an, er hatte sie einen Augenblick sein genannt, zum zweitenmal hatte sie Gott unter heil'ger Weihe an seine Brust gelegt, doch er durfte, er konnte sie so nicht halten, er selber ließ sie aus seinen Armen los. Noch hielt er ihre beiden Hände, er kniete schweigend neben ihr, kein Wort, kein Laut drang über seine Lippen. Jetzt regte sie sich, sie schlug die Augen auf. Blansche, flüsterte er, sagen Sie, das Sie mir den ungeheuren Schmerz verzeihen, daß Sie mich nicht hassen! Sie sahe klar zum Himmel, wie käme, sagte sie, in dieser Stunde Haß in meine Seele. Er starb ja versöhnt. Vor dem Klang ihrer weichen, rührenden Stimme sprangen alle Banden von seiner Seele. Nichts mehr sehend als sie, unfähig zu denken, alles andre vergessend, rief er ganz außer sich, so nehmen Sie denn das Opfer meines ganzen Lebens, Blansche, lassen Sie mich nur für Sie Herz und Dasein haben, verwerfen Sie mich nicht, ich bin, ich athme nur durch Sie! Aufgerichtet, innig in sein schönes Auge sehend, schwieg Blansche einen Augenblick, dann legte sie die erröthende [98] Wange wie der auf die Kissen zurück und winkte Alonzo schweigend, mit linder Güte in Blick und Bewegung, sie zu verlassen.

Er gehorchte. Wie im Traume schwankte er nach dem Saale zurück. Philipp stand seitwärts neben der Leiche, den einen Arm über sie hingestreckt, drückte er sanft dem schlummernden Jüngling die Augen zu, die seinen schwammen in dunkelm Glanz, er sah fast aus wie der Todesengel selbst. Der alte Herzog lehnte weinend an ein Fenster. Die Lichte waren ausgebrannt, der Morgen dämmerte fahl herein, Einer erschrack vor des Andern Leichenblässe. Armand trat ein, er nahm seinen Platz zu seines jungen Herrn Füßen, der Herzog wandte sich traurig zu den beiden Freunden, die schwere Nacht, sagte er, war überstanden, wir wollen uns alle einen hellen Morgen wünschen! Er neigte sich sehr liebreich und ging, das Taschentuch gegen die brennenden Augen haltend, aus dem Zimmer. Noch einmal faßten beide Türgis Hand, sie sahen sich gerührt an und sanken laut schluchzend einander in die Arme. Schweigend, mit gesenktem Blick gingen sie darauf durch den hellen, [99] lauter werdenden Tagesschein, in der Seele schmerzliches Entzücken und die Verheißung unvergänglichen Daseins.

12. Kapitel

Zwölftes Kapitel

Es vergingen mehrere Tage, ohne daß Alonzo Blansche und ihre Mutter sahe. Die Familie begleitete die Leiche nach einem unweit gelegenen Landgute. Alles war leer und öde im Hause, niemand als Armand zurückgeblieben. Es gereichte gleichwohl Alonzo zum Trost dahin zurückzukehren und des Abends unter den Blumen und Bäumen sitzend, von Blansche träumen zu können. Zuweilen gesellte sich der alte Diener zu ihm. Dieser redete gern von dem frühern Glanz und der langen Prüfungszeit seiner Herrschaft. Er erzählte von der Hochzeitfeier der Frau von Saint Alban, und den vielen Gästen, von seinem Gehen und Laufen, und wie die verstorbene Herzogin Mutter gesagt habe: [100] es ist wahr, niemand in der Welt versteht zu serviren wie der Armand; worauf der selige Herr von Saint Alban lächelnd erwiederte: er hat mich stets auf meinen Reisen begleitet, er war überall in London, Wien und Petersburg mit mir, er hat die feinere Lebensart gebildeter Menschen studirt und kennt die Weise guter Häuser. Dieser Tag, der wie eine Ordensfeier in seine Dienstjahre fiel, ward denn plötzlich durch die Schrecken der Revolution verdunkelt. Er wußte von den damaligen Gräueln und der sinnreichen Bosheit der Rebellen viel zu erzählen, beweinte noch heut den König und die Königin, und schloß gewöhnlich mit der Versicherung: Ströme Blutes, mein Herr, sind hier geflossen, Ströme Blutes, sie haben die alte Zuverläßigkeit, den Respekt und die Devotion aus den Herzen der Franzosen weggespült. Glauben Sie mir, ich erkenne meine Mitbürger nicht, alles ist seitdem anders geworden, auch der junge Herr von Saint Alban war angesteckt, das Gift hatte ihn gewonnen, hatte ihn gefaßt, ich verstehe mich darauf, so etwas kränkelt heimlich fort, haben Sie mich verstanden, so etwas wird niemals [101] ganz ausgeheilt, glauben Sie mir, der Tod hat es gut mit ihm gemeint.

Alonzo half ihm über alles dies hinaus zu Blansches Jugendleben hin. Armand schenkte ihm indeß keinen Schreckenstag, kein bedeutendes oder unbedeutendes Ereigniß, und nur Schritt vor Schritt erfuhr er, daß Frau von Saint Alban Türgis im Arm, viele Meilen zu Fuß flüchten müssen, mit seinem Beistand und Geistesgegenwart endlich nach Holland übergeschifft, und lange nachher durch den Schutz einer deutschen Fürstin in ihr Vaterland zurückgekehrt sei. Hier, fuhr er fort, lebte sie in ehrwürdiger Verborgenheit einige Jahre an der Seite ihres kränkelnden Mannes und gab erst wenige Monate nach seinem Tode der schönen Blansche das Licht der Welt. Armes Kind, sagte sie bei ihrer Geburt, du hast nicht Vater, nicht Vaterland, was willst du in deiner verwaisten Familie! Doch ich lächelte, und dachte bei mir, dies ist, oder ich kenne mich nicht darauf, das schönste Kind der Welt und recht gemacht die Ungerechtigkeit des Geschickes zu versöhnen. Frau von Saint Alban war um ihre Erziehung verlegen. [102] Sie hatte indeß ein zu stolzes Herz und zu gute Sitten, um von ihren Grundsätzen abzuweichen, und widerstand daher allen Versuchungen, die sie mit der verderbten Gesellschaft des heutigen Frankreichs in Berührung setzen konnte. Doch die Vorsehung sieht ins Verborgene, und weiß die Aufopferungen der Tugend zu lohnen. Die Aebtissin vom Kloster Sainte Genevieve sah die kleine Blansche, nahm sie zu sich, und erzog sie in Demuth und Weisheit bis zu diesem Tag.

Alonzo ward es nicht müde, auf verschiedene Fragen und Wendungen fast immer mit denselben Phrasen, dieselben Antworten zu hören. Die Sprache, die geschwätzige Beredsamkeit, das narcißartige Selbstbespiegeln, beäugeln und belehren, schien ihm nicht mehr lästig! Er hatte sich in die Weise hineinsingen lassen, sie war ihm schon nicht mehr fremd, er fühlte sich sogar nie gemächlicher, nie entfernter von Streit und Ungleichheit, als wenn die veralteten Redensarten so schnarrlend an ihm hinleierten und jeder mahnende Aufschwung der Phantasie vor dem Paßschritt eingefugter Alltäglichkeit unterduckte. Armand kam ihm ganz gescheut vor, er erinnerte [103] ihn an alles, was ihm die feinere französische Welt gezeigt, die Blüthe geselligen und litterärischen Witzes von Frau von Sévigné. an bis auf den heutigen Tag gelehrt hatte. Die Bildungsfähigkeit der Individuen fiel ihm zum erstenmale auf, er bemerkte, daß wenn man Armands Erzählungen Wort für Wort aufschriebe, und sie in irgend einem französischen Roman einschalten wollte, man just kein Buch dadurch verschlechtern würde.

Der gute, redselige Alte ward es denn auch nicht müde die Conversation zu machen, und Alonzo durch Garten und Haus umherführend, das Geringfügige und Gewöhnliche so zu erklären, so umständlich zu entwickeln und dergestalt als Außerordentliches hinzustellen, daß jener oftmals irre an sich selber ward und nicht wußte, ob er auch wirklich jemals etwas Aehnliches sahe. Doch in so fern nur irgend eine Beziehung auf Blansche zu entdecken war, folgte Alonzo der weitschweifigen Anekdotenkrämerei und Erklärungssucht wie ein gebundener Löwe, ohne Widerstreben.

Einst traten sie in eine schmale staubige Gallerie.[104] Unter mehreren leer gewordenen Feldern hingen hin und her vergelbte Familienbilder, meist verzeichnet, unschön, in steifen, gezwängten Stellungen, den Tapetenfiguren ähnlich. Ganz im Schatten, aus dichtem Spinnengewebe, wie durch einen Schleier sah ein hübsches, blondes Gesichtchen auf die Beschauer nie der. Alonzo glaubte Blansche im veralteten Putz zu sehen. Armand auf seine Blicke aufmerksam, war sogleich auf einem Stuhl gestiegen und fuhr mit einem Tuch reinigend über das Bild. Eine junge Dame stand unter sehr hellem Himmel, und ließ mit der einen Hand einen Schmetterling aufwärts fliegen, während sie mit der andern den bräunlichen Carmelitermantel über die Schultern hing. Waren Minen und Geberden gleich etwas peinlich und geziert, so war doch Seele in dem Gedanken und ein wehmüthiger Anklang, der Alonzo blitzesschnell traf. Die Herzogin von la Valliere, sagte Armand erklärend, sie war Frau von Saint Alban mütterlicher Seits verwandt. Die schöne la Valliere rief Alonzo, das demüthige Veilchen! Sie starb im Kloster, fiel jener ein. Ich weiß, entgegnete[105] Alonzo gedankenvoll. Du früh gebrochenes Herz, sagte er gegen das Bild gewandt, die Welt hat dich zertreten, verworfen, aber du lebst in jeder fühlenden Seele fort. Sie ward selig gesprochen, unterbrach ihn Armand mit Erhebung. Sie hatte dreißig Jahr gebüßt, und war nun mit der Welt fertig. – War mit der Welt fertig, wiederholte Alonzo, wer das sagen könnte! Und doch vergessen, doch in staubige Winkel geworfen! Er schüttelte Armand die Hand und schlich ganz aufgestört und tiefsinnig durch den Garten, in Willens nach Hause zu gehen. Doch wie er sich aus den Buchenhecken wendend, nun den Rückweg antreten wollte, sahe er des Herzogs Wagen zu dem Eisengatter hineinbiegen. Er war im Begriff ihm nachzueilen. Doch besann er sich. Es fiel ihm ein, daß sein plötzlicher Anblick wohl die kaum beruhigten Gemüther stören könne. Er sagte sich das zuerst, wie man sich wohl aus schicklicher Rüksicht an etwas Hinderndes erinnert, allein kaum hatte er es ausgesprochen, so erschrak er auch auf das heftigste vor dem entsetzlichen Gedanken. Ja, ja, rief er, mein Anblick wird sie stören, muß sie [106] ewig stören! wie ein Gespenst werde ich zwischen ihre fromme Ergebung treten, werde die ungeheure Pflicht mir verzeihen zu müssen, in die zurückgezogene Herzen drücken. Unter Eisesschauern, scheu, in Todesangst werden sie mir gegenüber stehn. Kann ich den Schmerzesstachel aus ihrer Seele ziehn, kann ich das Geschehene ungeschehen machen? Wie soll die Mutter mir vergeben! Sie dachte es wohl, da das Unglück ihr so fern schien, jetzt aber! – Blansche – und du? wirst du hassen und lieben zugleich! Ach Gott! was die Rührung, was des offnen Grabes Stimme Dir aus dem Herzen riß, was Du bewegt verhießest, es ist auch wohl jetzt verklungen. Der stumme Schmerz verschließt dir nun die Welt, du bist ernst und ruhig; von da zur Kälte und Strenge ist nur ein Schritt! Verdammen wird deine Engelsmilde mich just nicht, doch abwehren, zurückdrängen wirst du den feindlichen Störer!

Er ging heftig in den dunkeln Schattengängen auf und ab. Die Nacht war wolkig und kühl, durch die Fenster sah er Licht, nur am Gartensaale hin war alles verschlossen, vor der [107] Glasthüre war noch eine äußere hölzerne angelehnt, breite eiserne Querstangen lagen wie Riegel darüber. Hier, dachte Alonzo, hier trugen sie den Sarg hinaus zwischen den Blumen hin! alle rauschten und klagten über das früh gebrochene Leben! Er sahe den Leichenzug, den bleichen Kerzenschein, der Blumen wunderliches Wanken. Zufällig stieß der Wind gegen die Thür, sie bebte zwischen den Eisenklammern, ihm war als falle sie jetzt erst zu. Gruft und Gewölbe und des Todes dunkle Angst zog durch seine Sinne. Er blieb vor der Thüre stehen. Alles ausgestorben, rief er! und durch dich Unglückseliger! Das war der namenlose Druck, die Pein, die mich hier in Frankreich folterte. Der Haß, der Freiheitsdurst war es nicht allein! Das stolze Herz verlangte nach den großen Worten, es konnte nichts die heiße Brust füllen, die unbestimmte Angst wollte einen Namen haben. Darum befeindete ich das arme, verblendete Volk und dich, du lieber verführter Jüngling! So hämisch riß mich mein Geschick in den Abgrund. Ich hätte dich versteh'n sollen! der Vorschmack dieser Höllenqualen der lag mir in der Seele!

[108] Hier klopfte es leise auf seine Schulter. Er fuhr rasch zurück. Jesus! mein Erlöser rief er, das Kreutz schlagend. Ihm war nicht anders, als sehe er Türgis vor sich steh'n. Was erschrecken Sie nur so heftig, rief eine bekannte Stimme fast unter gleichen Schauern bebend! Sind Sie es Philipp, sagte Alonzo etwas beschämt. Ja, entgegnete dieser, zutraulich seine Hand fassend, ich komme für einige Tage Abschied zu nehmen. Alonzo konnte sich noch nicht recht von dem gehabten Schreck erholen, er betrachtete ihn ganz verwirrt. Philipp war in einen weißen Beutemantel gewickelt, das kleine Barett lag nachläßig auf die dunkeln Locken, so daß diese hervorquillend die Stirn beschatteten und vom Nachthauch bewegt, einen unkenntlich machenden Schein aufs Gesicht warfen. Ich werde, sagte er, jenen durch seine Stimme beruhigend, noch in dieser Nacht von hier in Aufträgen versandt. Ich denke es ist das letzte Geschäft der Art, was mir überkommt. Morgen wird der Friede unterzeichnet, ich fodre dann meinen Abschied. Er kann mir nicht entstehn. Bis dahin bleibe ich bei meinem Regimente. [109] Doch sobald ich frei bin, kehre ich noch einmal zurück, um alsdann von hier meinen Weg nach Rom zu nehmen. Nach Rom, wiederholte Alonzo gedankenvoll. Meine ganze Seele, fuhr jener fort, durstet danach. Haben Sie nicht gelesen, wie der heilige Vater, auf dem Altane stehend, den Segen austheilte und das Weihwasser mild träufelnd vom Himmel sprühete? O die ewige Liebe weiß es, wieviel tausend Wunden jetzt an diesem Balsam heilen müssen! Sein herrliches Auge glänzte wie ein milder Stern im Dunkeln. Alonzo fühlte sich leise erschüttert. Glauben Sie mir, fuhr Philipp fort, wir leben in einer dreisten, kühnen Zeit, die tiefsinnigsten Wunder werden herausgerissen, ans Licht geworfen, beklügelt, besprochen. Alle wollen alles wissen, es thut uns Noth, daß wir uns in Demuth zurückziehn und still und heimlich werden. Die Luft hier ist trocken und kühl, sie wirft einen fahlen Staub auf das Mysterium des Lebens. Wir halten den blassen Nebel für Licht und wenden das Auge bequem ohne Blendung hier hin und dorthin, und bleiben doch immer auf dem alten Fleck. Vor jener Sonne aber reißt das Netz, [110] wir werden erschrecken und das eben brauchen wir. – Sie gingen schweigend weiter. Vor Alonzos Wohnung standen sie noch einen Augenblick. Sie kommen also gewiß wieder, fragte Alonzo? – gewiß, erwiederte Philipp, doch meines Bleibens darf hier nur kurz sein. Auch Sie, setzte er hinzu, thun wohl bald von hier fortzukommen. Alonzo drückte verlegen seine Hand. Der Kampf, sagte Philipp ernst, ist kein Unglück, wohl aber die Beschwichtigung. Nichts ist dem Menschen so gefährlich als sich mit dem aussöhnen, was ihm feindlich entgegenstehen soll, und Frevel wird es, alles Hohe und Herrliche der Seele augenblicklichen Beziehungen unterwerfen, und denken zu wollen, man sei eben nicht größer als das Herz es wolle. Sein Blick flammte, des Geistes fromme Erleuchtung hob ihn über sich selbst hinaus, heftig drückte er den Freund an seine Brust, Gott verlasse Sie nicht, rief er, und eilte dann fort zu seinem Geschäft.

Alonzo sah ihm nach. Ob es Philipp, ob es ein Bote des Himmels, der eben geredet, war, er wußte es nicht, sein Herz bebte, er wollte ihm folgen, – doch tröstlich war es ihm [111] zugleich, daß er ihn nun nicht mehr erreichen konnte.

13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Alonzo erfuhr bald, daß Frau von Saint Alban mit ihrer Tochter im Kloster Sainte Genevieve sei und dort die stille Trauerzeit zuzubringen denke. Er war noch in den bangsten Zweifeln, ob er sie dort aufsuchen dürfe als eine Einladung der liebenswürdigen Frau ihn schnell über alle Unsicherheit hinaushob. Sie schrieb ihm:

Mein armer junger Freund. Ich muß Sie sehen, wir gehören von nun an zusammen, das Unglück verbindet uns; denn mein Gott! wie unglücklich müssen Sie jetzt sein! Ich habe alle die Zeit mit wahrem Schmerz an Sie gedacht. Und ich Alonzo – ich? denken Sie nicht, daß Sie mein Gefühl begreifen, daß Sie es nur entfernt ahnden können! Wie ich an dem fürchterlichen [112] Tage die Augen aufschlug! wie es Nacht war und Nacht blieb, wie es an meinem Herzen riß und ich es mit aller Lebenskraft halten wollte! Es ist gescheh'n, es ist vorbei! Das Herz ist mir aus der Brust gefallen, sie ist seitdem ganz hohl und leer, nur Blansches Bild schwankt noch drin umher. Das arme Kind! sie lernt so frühe weinen! Die Augen sind ihr so trübe, die Wangen so bleich, matt und krank die Stimme, der Gang langsam und schleppend. Ich sahe das mit neuen Sorgen, aber ich habe noch keine Kraft zur Angst, wie müßte ich sein, um ein neues Unglück fassen zu können, Sie werden das alles lesen, die Thränen werden Ihnen in die Augen treten, Sie werden glauben mitzufühlen! Ach mein Herr, der Schmerz der hier wühlt, zittert nur matt in einer andern Seele wieder! Die Einbildungskraft schafft das nicht, die Natur sträubt sich es vorher zu offenbaren, nur wenn das Schicksal sie beschleicht und zwingt, dann tritt sie aus aller Ordnung und wird entsetzlich!

Ich lerne jetzt die Worte recht verachten! sie beschneiden das Gefühl, es kommt ganz eng [113] und matt heraus. Ein Ton, – ein einziger Ton! O Gott, was sagt der nicht! Zuweilen, wenn es mich so befällt, das Namenlose mich packt, ich in der Angst die Hände krampfhaft zusammenpresse, und ein Schrei aus meiner Brust dringt, dann beben selbst der Engel Seelen, die Heiligen weinen, und Menschen ahnden, was ein Mutterherz spaltet und zerbricht!

Alonzo, der graue Mantel ist nun doch niedergefallen! sie haben ihm das liebe Gesicht verhüllt. Das schwere Kleid liegt auf ihm. Vielleicht erbarmt sich der Frühling und streuet leichte Blumen darauf.

Wie ich sonst wohl sein Bett sorgsam zurecht legte, jedes Fältchen aus den Tüchern strich, die Vorhänge zuzog, Luft und Zug abwehrte, so hüte ich nun sein Grab, pflanze und begieße und spiele Leben, aber kein Auge dankt mir, keine Lippe öffnet sich nicht mehr!

Ich hätte unrecht vor Ihnen so zu klagen? Nein, nein, Sie dürfen es hören, Ihre Seele ist rein von aller Schuld, das schwöre ich! Aber auch seine? nicht wahr Alonzo, auch er ist gereinigt?

[114] »Gott weiß es, ich liebe Sie jetzt mehr als sonst. Sie sind mir ein schmerzliches Andenken; und der Schmerz thut mir so wohl! Kommen Sie denn mein trüber, armer Freund. Ich erwarte Sie.«

Es bedurfte der herzerschütternden Worte nicht, um Alonzos ganzes Wesen gefangen zu nehmen. Er hatte ja schon lange keinen andern Wunsch, keinen andern Gedanken mehr. Das Unglück, was er über diese Familie gebracht, erschien ihm so ungeheuer, daß sein Leben nicht hinreichte es auszugleichen. Von jetzt kannte er keine andre Pflicht als die Thränen zu trocknen, die er ausgepreßt. Er hielt sich dazu für berufen. Umsonst hatte ihn das Verhängniß nicht so wunderbar gestellt.

Kaum hatte er die letzte Zeile gelesen, so flog er zu Frau von Saint Alban. Sie schrie laut als sie ihn sahe. Er stürzte zu ihren Füßen, er drückte ihre Hände an seine Brust, seine Augen lagen bittend auf den ihrigen. Sie weinte ohne ein Wort hervorbringen zu können, doch ihm unter den Thränen freundlich zulächelnd, war sie bemüht, Friede in das allzubewegte[115] Herz zu gießen. Blansche stand in großer Anstrengung abwärts. Mit der einen Hand das herabhängende Batisttuch haltend, stemmte sie sich gegen ein Tischchen, die andre spielte in einer neben ihr stehenden Cypressenstaude. Ohne Verrückung der ruhig klaren Züge, flossen die Thränen perlend über ihre Wangen, die Augen senkten sich zur Erde, ein bleiches Roth flog an sie hin, als sie schüchtern aufsehend, Alonzos rührenden Blicken begegnete. Er sahe sie leicht beben. Das war der Strahl, so fühlte er, der ihre Seelen auf ewig vermählte.

Frau von Saint Alban hatte sich schnell gefaßt. Sie zeigte sich ruhiger als es Alonzo erwarten durfte. Mit unaussprechlicher Güte hob sie ihn vom Boden auf, hieß sie ihn neben ihr sitzen. Alles Liebkosende und Süße ihrer Stimme wandte sie an, um jede Scheu, jede Besorgniß aus seiner Seele zu wischen. Wie sie nun so herzlich bemühet war, ihn zu beruhigen und der düstere Zweifel doch nicht von seiner Stirn weichen wollte, sagte sie: denken Sie nicht, daß es anders in mir sei, wenn ich Sie nicht sehe. Ich habe eine sehr lebhafte Vorstellung [116] von den Leidenschaften der Menschen, und wie sie aneinander gerathend das Unerhörteste erzeugen. In ruhigen Stunden liegt der Grund von den Ereignissen, die mich am härtesten treffen, ganz unumwunden vor mir, ich gewinne eine Einsicht und werde stiller und ergebener in dem, was einmal so kommen mußte. Man beschuldigt die Frauen, es komme bei ihnen alles darauf an, eine Ursach, eine Veranlassung auffinden zu können, wenn sie sagen dürfen, das ist es, daher kam es, so sind sie fertig in sich, der Erfolg möge dann sein, welcher er wolle. Ich weiß es nicht, ob die Befriedigung müßiger Neugier das Herz stillen könne, doch leugnen werde ich es nicht, daß, was einmal in nothwendiger Folge vor mir entsteht und wird, aufhört mich wie ein Gespenst mit verstörendem Sinn und Geist umhüllenden Schauder zu erfüllen. Die helle, freiwillige Ergebung in dem Unabwendbaren ist mir eigen, ist den Frauen überhaupt so nothwendig. Wir können so wenig thun, wir müssen so viel leiden! wie kämen wir nur mit uns selbst zurecht, wie bewahrten wir die Duldung und Liebe, wenn ein eingebohrner [117] Sinn nicht von selbst Dinge und Gefühle zu ordnen wüßte? Ich habe es in den gepreßtesten, engsten Verhältnissen erfahren, daß man sich nur dann frei bewegt, wenn man so viel als möglich jedes an seinen Platz zu stellen vermag. Ich weiß Sie zu stellen, Alonzo, auch meinen Türgis. Glauben Sie mir, ich kenne die ewige Ausgleicherin Zeit. Frankreich hat über seine Kräfte hinausgegriffen, es hat sich überlebt, es ist welk und matt geworden. Ihm geht es wie jener Coquette, die täglich roth trug, und es nicht begreifen konnte, daß einmal der Tag kam, wo sie aufhören mußte, da sie es erst gestern und vorgestern that. Der Aufenthalt im Auslande hat mich über vieles belehrt. Wir passen nicht unter die junge Welt, glauben Sie, ich fühle das, und ohne zu wissen, was mit uns werden solle, begreife ich doch jeden Widerstreit.

Frau von Saint Alban kam von hier auf das wechselnde Unglück ihres Vaterlandes zu reden, und was seit Jahrzehnte an ihm gepreßt und gezehrt hätte. Sie verweilte mit Theilnahme bei allem Schönen und Erwünschten, was es [118] zum Lebensgenusse biete. Mehr und mehr erreichte sie sich über sein trübes Geschick. Die Demüthigung, welche es erfahren, schmerzte sie tief, der Unwille gegen die Verbündete blitzte unwillkührlich auf, sie tadelte diese niemals, aber sie lobte das Eigenthümliche französischer Nationalität mit warmer, eingeborner Partheilichkeit, und konnte sich nicht enthalten zu sagen, das jugendlich gewordene Europa solle in seinem aufstrebenden Stolze nicht vergessen, daß es lange in französischer Schule ging, man könne nicht immer angeben, welchen Rutzen man von diesem oder jenem Unterricht gezogen, es solle sich nicht durch unbilliges Herabwürdigen selbst beflecken. Wenn sie gleich der Verderbtheit nicht das Wort reden, und schreiende Thatsachen entschuldigen wollte, so sahe sie diese doch mehr in den Zeitumständen, in der Form zufälliger Gestaltung als in den verschlammten Wust vergifteter Lebenskraft begründet. Und prophezeihete sie auch noch viel unsägliches Unheil für Frankreich, so ahndete sie doch sein phönixartiges Vergnügen und das beschämte Anerkennen ungerechter Feinde. Ein lebhafter Sinn steigerte [119] den Streit in ihrer Brust, bis sie, nicht mehr ausreichend, in matte Wehmuth verfiel. Die Vergänglichkeit, der Wechsel alles irdischen Lebens trat ausgleichend vor sie hin, sie ward stiller und weinte viel.

Alonzo fühlte sich beengt. Es war das erstemal, daß zwischen ihnen Nationalverschiedenheiten berührt, gerügt wurden. Frau von Saint Alban in allen ihren Gefühlen aufgelöst, sprach sich rücksichtslos aus, die Worte reiheten sich unberechnet aneinander und rollten eines durch das andre fortgezogen, in der Fluth unvereinbarer Empfindungen weiter. Endlich stand sie auf und ging in ein Nebenzimmer, wo sie unter vielen Papieren kramte und ordnete. Auch sie also! dachte Alonzo, auch sie kann den Stolz und die Herbigkeit nicht verleugnen, wie gerecht sie auch zu sein denkt. Er näherte sich Blansche. Sie war an das Fenster getreten. Erröthend gab sie es zu, daß er ihre Hand fasse. Blansche, fragte er leise, wenn Sie in dieser Zeit an mich dachten, wie erschien Ihnen mein Bild? Haben Sie es in keinem Augenblick mit Schmerz und Unwillen zurückgedrängt? Haben [120] Sie nie den Unglücklichen verwünscht, der zu Ihrer Qual Frankreichs Boden betrat? Meine Seele, erwiederte Blansche still gefaßt, weiß nichts von der wüsten Qual, die Sie in mir voraussetzen. Ich habe recht friedlich und wie zum Trost in den letzten Stunden an Sie gedacht. Ich wußte Sie voll Theilnahme und Mitgefühl, Ihr Andenken ist ganz rein und ungetrübt in mir.

Das Fenster war offen, sie sahen über die Klostermauern in das weite Feld. Volle Kornähren wogten im glühenden Abendroth wie ein leise wallendes Meer, die Sonne warf scheidend die schärfsten blendensten Lichter zurück, Blansche stand ganz glänzend wie verklärt neben Alonzo. Unwillkührlich sank er vor ihr nieder und mit den heißen Lippen die Falten ihres Kleides berührend, rief er, heiliger Engel! sage, daß du mich nicht verwirfst, daß du das Opfer meines Lebens annimmst! Blansche faltete die Hände, drückte sie gegen die Brust und die Augen zum Himmel gehoben, sagte sie, Gott willst du ein Opfer, nimm mich, laß ihn schuldlos, den Frieden seiner Seele unangefochten! Sie senkte das Gesicht [121] in beide Hände, und blieb einige Sekunden still, drauf sich zu Alonzo wendend und ihn sanft vom Boden aufhebend, fuhr sie zutraulich fort: mein Freund, ich weiß wenig von der Welt, ihre Verhältnisse sind mir meist unverständlich und was sich dunkel und verworren um mich her getrieben, macht mich nicht begierig mehr zu erfahren. Was das Leben von mir fodern wird, es wird es mir ja sagen; ich will es gefaßt erwarten. Was aber in mir lebt, – Sie haben den stillen Gedanken Worte gegeben, ich hege keine Scheu es auszusprechen, ja Alonzo, in mir lebt Ihr Bild, es hat mein ganzes Herz genommen, und ich widerstehe der sanften Gewalt nicht. Geht es Ihnen auch so, so lassen Sie uns in dem innern, geheim gehaltenen Verkehr beglückt und heiter sein, vertrauen Sie Gott, lassen Sie das Uebrige kommen, noch weiß ich gewiß, ist die Stunde nicht da, wo die Welt, wo ein Mensch außer uns darum wissen darf. Alonzo wagte nicht zu sprechen, sie anzurühren, seine ganze Seele war in ihr, doch Wort und Bewegung schien ihm zu roh, zu kühn für dies durchsichtig helle Wesen, ihre Blicke flossen lautlos [122] in einander, die Lippen verschlossen den allzudreisten Klang.

Frau von Saint Alban war wieder hineingetreten. Sie fand Alonzo gedankenvoll, ohne Worte. Freundlich, mit höchst liebenswürdiger Beschämung, die Hand auf seine Schulter gelegt, sagte sie: hat mein rasches Gefühl Sie vorher beleidigt, armer Freund? Ich habe es schon längst vergessen, daß Sie nicht immer zu uns gehörten, wollen Sie, daß ich Worte und Gefühl beherrschend, mich absichtlich daran erinnern soll? – Alonzo war viel zu bewegt, um an irgend etwas außer Blansche und an sein Glück zu denken. Mein Gott, entgegnete er zerstreut, ich glaube, es ist überall Friede, im Himmel und auf Erden, was bleibt uns noch zu wünschen übrig? Freilich, sagte Frau von Saint Alban, Sie haben wohl recht, man ist lange nicht durchdrungen, lange nicht entzückt genug über diese Himmelsgabe! Aber so ist das Herz, niemals gnügt ihm das Eine, das Höchste, es zieht sich mühsam herab in den Streit hinein, es kann nicht Ruhe halten. Nun, Alonzo, nicht wahr, wir streiten nicht mit einander? Nein, [123] gewiß nicht, gnädige Frau, rief er hastig, bei Ihnen ist Liebe und Güte und eine Welt voll Glück. Er war im Begriff mehr zu sagen, Blansche sah ihn warnend an. Frau von Saint Alban war wieder mit sich selbst Eins und über das Vergangene beruhigt. Alonzo allein wußte nirgend hin mit dem gedrängten Herzen, wie im Taumel redete er lebhaft und confus, küßte mit immer wachsender Innigkeit verschiedentlich Frau von Saint Alban die Hand und rettete endlich die überströmende Leidenschaft vor allzu bedrohlichem Ausbruch durch frühes Entfernen.

14. Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Es war gescheh'n, der Bund war geschlossen. Was Alonzo noch vor wenigen Wochen ein frecher Spott über sich selbst geschienen hätte, war Schritt vor Schritt heraufgedrungen, hatte sich Bahn gemacht, stand ausgesprochen vor ihm, und hatte seine Gewalt über ein andres [124] Wesen ausgestreckt, das zu ihm gehörte, das von nun an Pflicht und Ehre an sein Herz legten, das er nicht mehr lassen konnte.

Er erwachte des folgenden Morgens etwas schüchtern, ohne rechtes Vertrauen zu seinem Glück, zu sich selbst. Sein Stolz war geknickt, er verhüllte sich in den Zweifel an menschliche Kraft überhaupt. Er fing an, der Nothwendigkeit ein furchtbares Recht über That und Gedanken einzuräumen und sahe mit Unsicherheit dem fortrollenden Rade der Zeit kein Ziel.

Philipp hatte ihm einen Theil seiner Sachen zum Aufbewahren zurückgelassen. Auch das unvollendet gebliebene Bild. Es stand auf einem Tischchen, die Rückseite nach außen, gegen die Wand gelehnt. Alonzo hatte es schon mehrere male betrachtet, und immer wieder mit einiger Unruhe abwärts gestellt. Unausgeführte Gemählde haben stets etwas schauerlich Rührendes. Das unerschaffene Geheimniß liegt noch wie ein Schleier darüber, das ausgesprochene Leben hat kein Recht daran. Dies Bild ganz besonders sah wie ein Geisterhauch aus der dunkeln Traumwelt herüber. Alonzo ward immer bewegter, [125] je öfter und länger er es ansah. So ist es, rief er sehr erschüttert, so ist es, aufwärts rufst du den Blick, unter dir, auf der trüb bewegten Welle ist nicht Halt, nicht Raum für des Menschenfuß. Das steile Ufer, der kahle Strand, alles glatt und schroff und zurückweisend, nirgend wo der Mensch dem Menschen begegnen mag! O läge ich, wo Türgis liegt, wir wären wohl weniger getrennt! Weißes Nachtwölkchen mit den blendenden Schmetterlings-Schwingen weisest du dahin? Mahntest du nicht umsonst, bleicher warnender Todtenvogel? – Er setzte das Bild schweigend an seine Stelle, und den bangen Druck im Innern los zu werden, ging er, sich an Aeußerem zerstreuend, in die Stadt umher.

Der Friede war bekannt gemacht, der Abmarsch der Truppen bestimmt. Die Freude der Franzosen gewann mehr und mehr ein übermüthiges Gesicht. Des rettenden Schutzes uneingedenk, die lästigen Mahner armen Unvermögens verwünschend, bläheten sich aufs neue viele in Eitelkeit und Hochmuth. Was man nicht ungeschehen machen konnte, wollte man doch wenigstens [126] lächerlich machen. Vertrauen, Mäßigung, ritterliche Treue, alles ward durch solche verhöhnt, die mit behender Gewandheit, mit gespanntem Scharfsinn über alles jenes hinaus ein einziges Gesetz übten und ehrten, die es sich täglich zuriefen: Zügle das Gefühl, nutze den Vortheil der Gegenwart, deren rasche, auf Aeußeres gestellte und geschliffene Fertigkeit tausendmal die Arg- und Harmlosen überlistet, tausendmal in Unbedeutendem den Sieg über sie davon getragen hatten. Deutsche und Russen hoben den Kopf stolz über das fratzenhafte Andrängen hinaus, und wehrten mühelos, mit kaum gehobener Hand, die Pfeile ab, die man höhnisch genug in ihrem Rücken verschoß. Sie athmeten schon in Gedanken überrheinische Luft, sie schüttelten den Staub von ihren Füßen und dankten Gott und freueten sich der Erlösung. Wie nach einem Schiffbruch der Geängstete Land sehend, dem Bruder entzückt die Hand reicht, sie drückt und schüttelt und mit freiem Blick die Spanne mißt, die ihn noch vom Ufer trennt, so traten jetzt Bekannte und Unbekannte, Stammverschiedene und Mitbürger eines Landesstriches [127] zu einander, und was die Unbekanntschaft der Sprache nicht zu sagen verstattete, das zeigten Minen und Geberden und die nach Osten winkende Hand. Jubelnd, den schlanken Leib wie zum Gruß geneigt, in dem behenden Arm die Lanze schwingend, sausten flinke Cosakken durch die Straßen und wie sie an den Franzosen vorüberflogen, fuhren diese doch etwas zusammen, der Witz erstarb auf ihren Lippen, sie schluckten ihn beklemmt hinunter und verbargen geschickt das rasche Wort, bis die furchtbaren Rächer Seine und Rhein hinter sich hatten.

Alonzo vergaß, daß er zurückbleiben mußte. Er gesellte sich zu mehreren jungen Fremden, die frisch und froh gesinnt in dem lustigsten Behagen der überstandenen Prüfungsstunden gedachten und einander mit immer wachsender Innerlichkeit und Rührung die Rückkehr in die Heimath ausmahlten. Ich kann mir kaum denken, sagte ein hübscher frischer Jüngling, mit dem einnehmendsten Gesicht und den freundlichsten, herzlichsten Augen, wie es sein wird, wenn ich die liebe gute Mutter, den Großvater, die [128] Schwestern und alle herzensgute Menschen wiedersehen werde. Als wir uns trennten, – es war eine abscheuliche Zeit, das ganze Land von feindlichen Bundesgenossen überschwemmt, die Hauptstadt! – ach ich mag gar nicht mehr daran denken! wie Gefangene, in bürgerlichen Kleidern mußten wir Offiziere uns hineinschleichen, wir Preußen kennen das sonst nicht, unser Stolz ist die Uniform, mir war als müßte ich den armen Sünderrock anzieh'n und wäre es nicht um meine Mutter gescheh'n, mich hätten wahrhaftig nicht zehn Pferde nach Berlin gebracht. Sie war aber voller Muth, schenkte mir den Säbel hier und wie ihr die Thränen in die Augen traten, drängte sie mich selbst sanft zur Thür hinaus! wie leicht hätten wir uns niemals wiedergesehn! Bei Lützen war es hart dran! Sein älterer Bruder stand hinter ihm, zupfte an dem wohlgehaltenen Bart und strich einigemal über die schöngezeichneten, etwas stolzen Augenbraunen. Gottlob, sagte er, den Kopf gehoben, mit vornehmen zu ihm gehörigen Wesen, es ist niemand unter uns, der nicht leichten Herzens zurückkehren könnte. Unser ganzer Stamm [129] hat seinem Namen Ehre gemacht, wir sind uns in allem, auch in unserm Abscheu und Ekel gegen dies Land treu geblieben. Alonzo fuhr es durch alle Nerven. Ich für mein Theil, fuhr jener fort, nehme noch eine Portion Widerwillen mehr nach Hause, als ich mitbrachte, und das will wahrhaftig viel sagen, denn mir kochte die Rache schon im Herzen, seit ich als Knabe in den Schulferien zum erstenmal nach Hause kommend, die unverschämten Gäste wie lästige Brumfliegen durch die Zimmer summsen hörte, alle Freude war mir verdorben, ich empfand wie Knechtschaft in den kleinsten Lebensbeziehungen drücke, und schwur es einst zu rächen und habe Wort gehalten! Die Herren mochten schon damals spüren, was ihnen die heranwachsende Jugend für ein Süppchen bereite, sie erinnerten die Mutter mit vieler Weisheit meinen Stolz zu mäßigen, ich hege, wie sie sagten, eine vornehme Geringschätzung gegen fremde marquante Personen, die mir späterhin nachtheilig werden könnte. Wir haben jetzt viele von den marquanten Personen marquirt, und ich denke sie werden sich nie wieder aus ihren Gränzen verlaufen. [130] Man sage was man wolle, nahm ein Andrer das Wort, die Rache ist doch die eigentliche Sühnung der Ehre, und wir sollen nicht glauben, durch so ein zimperlich baumwollenes Wesen, unsrer Würde gerade einen großen Zuwachs gegeben zu haben, auf den Schlag gehört der Stich, das ist alte Sitte, also doppelte Bezahlung. Nun, ich denke, erwiederte der Erstere, schuldig sind wir ihnen just nichts geblieben. Diese Wiedervergeltung ist denn aber auch nächst dem befreieten Bewußtsein, das einzig kräftige wahrhafte Gefühl, was man hier haben konnte. In meinem ganzen Leben ist es noch nicht so leer und schal in mir gewesen als hier. Die Luft ist ansteckend, es ist gut daß wir sie gekostet haben, wir werden davon zu sagen wissen. Hoffentlich wird sich die närrische Wuth nach Frankreich und Paris zu reisen, bei Kind und Kindeskind gelegt haben. Was ist denn auch Großartiges, Hohes und Heiliges ehemals von hier aus auf Europa übergegangen? Welche Ausbeute gewann der französirte Ausländer? Liederlichen Witz, schlaffe und flache Philosophie, engherzige Moral und ausgeartete Beredsamkeit, [131] das waren die Schätze, an denen er den eingebornen Reichthum setzte. Und denke niemand, man könne so ungestraft aus sich herausgehen, wie zum Spiele, das Eine thun, das Andre nicht lassen, das ist nichts, entweder warm oder kalt – Gott haben oder nicht, dazwischen giebt's kein drittes.

Alonzo stand wie auf Kohlen. So hatte er ja auch gedacht, eben so empfunden, so lange er sich dem Ungleichartigen entgegenstellend, Sitte und Sinnesart und Menschen aus der Ferne an sich vorbeigehen ließ, das war die unbewundene Strenge, die noch kein vermittelndes Element mildern konnte. Alles was der hochherzige Jüngling im gerechten Unwillen sagte, hatte ihn ja auch tausendmal durchzuckt, seinen Zorn entflammt und tiefe, unbezwingliche Verachtung in seine Seele gelegt. Und nichts war anders geworden, alles noch heute so wahr und doch sein Gefühl so himmelweit verschieden! Wenn Haß eine Strafe unserer Sünden ist, dachte er, womit, Ewiger, habe ich es verdient, daß ich lieben durfte, wo Andre das empörte Herz abwenden. Er erschrak über die dreiste [132] Frage, und sahe schüchtern und verlegen, als habe ein Mensch in sein Innres gelesen, im Kreise umher. Nicht weit von ihm stand ein fein gebaueter, sehr schlanker Offizier, das helle Haar lag schlicht und kurz an beiden Seiten der Schläfe, reine blaue Augen sahen bescheiden und mehr im sinnigen Nachdenken mit sich als Andern beschäftigt, vor sich nieder, sein Gesicht war kurz, fast kindlich gerundet, die Züge klein. Er hatte noch wenig geredet, seine Freude, dies Land zu verlassen, schien still und bestimmt. Das Widerwärtige lag schon weit hinter ihm. Jetzt zog er aus einer grünen Saffiantasche ein kleines Buch, er hielt es behend und sauber, der Deckel war von mattem Golde, auf der einen Seite sahe man die Verkündigung, auf der andern die Verklärung sehr sauber in Oel gemalt. Er blies fast ängstlich die anfliegenden Stäubchen ab, öffnete es und zu einem nahe stehenden Freunde gewandt, sagte er mit angenehm nordischem Organ: der Kreis wird nun bald geschlossen sein, wer weiß welche Blume die Endpunkte des Kranzes verbindet. Nur keine französische Immortelle, entgegnete sein Nachbar [133] lächelnd, er hielt den Finger, ohne das Blatt zu berühren, gegen die aufgeschlagene Seite des Buches. Nicht doch! rief jener fast unwillig, du weißt ja, dies alles sind die Blüthen eines Jahres, soll das schöne französische Mädchen nicht auch ihren Platz finden dürfen? Auf dem feinen, fast listigen Gesicht des Andern, spielte unaufhörlich neckender Muthwille, o ja, erwiederte er unbefangen, da kann sie recht schön stehn, sie nimmt just keiner bessern den Raum weg, und es ist auch um des Contrastes willen gut. Was diese Lippen übrigens für eine Sprache reden, fuhr er fort, eine leicht entworfene Zeichnung betrachtend, ist doch wirklich keine Frage, man sieht das krause Gelispel aus dem zugekniffenem, nur in der Mitte spitz geöffnetem Munde, kann da wohl ein herzliches Wort heraus? Er hatte dies Letztere in französischer Sprache, zu Alenzo gewendet, gesagt, der es höchst verlegen, unter fliegendem Erröthen bejahte. Dieser suchte indeß die innere Bewegung unter einer äußeren zu verbergen, indem er angelegentlich auf die vorgehaltene Zeichnung sahe, und sie in allen ihren Theilen zu studiren schien. [134] Der Besitzer des kleinen Buches schlug gefällig noch einige andere Blätter um, und vergönnte Alonzo in das zarteste Blüthennez kindlicher, unendlich sinnvoller Gedankenspiele hineinzusehen. Hier, sagte er, hat alles was in dieser unermeßlichen Zeit im tiefsten Schmerz, in der reinsten Freude meine Seele durchzog, was Freundschaft mir gegeben, was Liebe mich ahnden ließ, duftige, traumartige Gestalt gewonnen, der Hauch, der von diesen Bildern wehet, denke ich, soll mein ganzes Leben erfrischen. Alonzo blätterte in dem Arabeskengedicht, Blumenkelche schlossen sich auf, helle Menschengesichter sahen aus dem geheimnißvollen Blätterkragen hervor, kühne Heldensänger auf fliegendem Pferde Regenbogenbrücke erstürmend, ernste Schlachtscenen, tiefsinnige, trauernde Liebe, Engelsköpfe aus Passionsblumen, unverbrüchlicher Treue fester Bund, alles rankte sich phantastisch an Erlebtem und Gedachtem hin. Was eine treu bewahrte Seele in demüthigen Schauern hier geahndet, es war auch Liebe, freundliche allumfangende Engelsliebe, nirgend ein Zwiespalt, nirgend Kampf, keine Spur von unausreichendem Weltsinn, das [135] ganze verderbte Frankreich war so rein an der unbefleckten Einbildungskraft hingegangen, nichts als das zarte Mädgenbild fiel in die Erinnerung zurück. Alonzo schloß beschämt das Buch, er gab es dem stillen Jüngling wieder, ohne seinen Blick zu suchen, die Bilder gaukelten fast ängstlich vor ihm her, was sich auf so ruhiger Fluth zurückgespiegelt, wie sollten die dunklen Wellen das bewahren?

Doch was er heut gesehen und gehört, es war nichts gegen die Qual der folgenden Tage. Alle verbündete Truppen fort, kein verwandtes gleichfühlendes Wesen zu finden, das dreiste laute Geschrei der Eingebohrnen oben auf, kein andrer Ton in den Straßen als dieser eine! Ganz dumpf und hohl schlugen die Klänge zum erstenmale wieder an sein Ohr, wie geächtet wand er sich dann umher, alles Leben schien geschwunden, die Angst der Verdammniß klemmte ihm die Brust. Ich unter diesen? fragte er sich besinnend? – Er flog zu Blansche, sie war in der Messe, ihre Mutter unwohl, verstimmt, der Aufenthalt im Kloster fing an diese zu drücken, die Einsamkeit machte sie schwer, alles haftete [136] an ihr, sie empfand ihr Unglück mit ungekannter Herbigkeit, gleichwohl war der Entschluß hier einige Zeit zu verleben, einmal ausgesprochen, ohne Unanständigkeit war daran nichts zu ändern, so suchte sie denn ihren Kreis zu erweitern, sie war sich das schuldig, sie zog ihre Freunde herbei. Zum erstenmale fand Alonzo mehrere, bis jetzt ungekannte Glieder der Familie bei Frau von Saint Alban versammelt. Die fremden Gesichter fielen ihm unangenehm auf. Man empfing ihn ziemlich leichthin, das Gespräch ward wie es war, fortgesetzt, ohne ihm das Wort zu gönnen. Man redete schnell und flüchtig durcheinander, die Verhältnisse Frankreichs wurden auf unangenehme anmaßende Weise berührt, der Fremden mit Bosheit und üblen Willen gedacht. Frau von Saint Alban wollte einlenken und zugleich nicht allzuviel wagen, ihr Verhältniß zu Alonzo schien ihr in diesem Augenblick mißlich. Eine Dame, welche man die Marschallin nannte, deren Witz man stillschweigend das Patent des guten Geschmackes und liebenswürdigen Muthwillens gab, machte ein hämisches Epigramm nach dem andern. Bei [137] Gelegenheit der Deutschen rief sie: que de vertus ils me font hair! sie nannte sie les braves forcés unddes faiseurs de gloire oder Messieurs du grand air, wußte ihren verschiedenen Dialekt und den langfüßigen weit ausgeholten Schritt ihres sublimen grammairen Französisch grotesk nachzuahmen, bezeichnete ihr stilles innerliches Wesen durch des maniêres du fauxbourg St. Denis, verlegte die Wohnsitze der Preußen hart an die Pole, machte die Kosacken zu ihren Nachbarn und Wölfe und Bären zu ihren Feldkameraden; von den Russen sprach sie gar nicht an ders als des bêtes qui s'abreuvent de l'air de Paris pour en donner aux habitans de Petersbourg. Doch nichts in der Welt stellte sie sich so komisch vor, alsles dames de l'hôpital de Berlin mit einem mal aus dem fond des boutiques de Paris ausstaffirt zu sehen. Wie, sagte sie, der ganze Einzug in diese Mauern ein Spiel war, das sie sich selbst gaben, so sind auch die Trophäen, die sie nach Hause schicken, Hauben und Bänder und Schuhe, für ihr Geld erhandelt, das emsige Mütter und Frauen kärglich ersparten und das [138] man für unser Vergnügen prägen ließ. Alonzo trat das Blut zum Herzen, die Augen rollten drohend in ihren Kreisen, er warf einen flammenden Blick auf die Dame, vor dem sie die elektrischen Spitzen ihres Witzes einzog: Moskau und Madrid, sagte er mit gezwungener Kälte, haben sich nicht gleichen Vortheils zu rühmen, man würde in ganz Europa das französische Sousstück vergebens suchen und gleichwohl fanden wir Moskauer Silber und Shawls, Berliner Porzellan und spanische Tücher in Menge hier, ja der einzelne Eigenthümer sah oft plötzlich seinen Namen in französischen guten Häusern auf längst vermißten Büchern und Karten und Geräthen. Jenseit der Vogesen und Pyrenäen weiß man, wie Sie sehen, von den droits du vainceur noch zu wenig. Er war aufgestanden, verneigte sich, ohne etwas anders als das verletzte Recht, die befleckte Wahrheit, alle Foltern des gereizten Selbstgefühls, in den tapfern Waffenbrüdern zu empfinden, eilte er von hier weg in die tiefe Einsamkeit seiner entlegenen Wohnung.

[139]

15. Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Der Aerger zitterte ihm noch lange in Herz und Gliedern. Er hörte noch immer die höhnenden Worte, er sah das lächelnde, verschmitzte Gesicht; und Frau von Saint Alban hatte zu dem allem geschwiegen, sie hatte nichts versucht, um dem anwachsenden Uebermuth Einhalt zu thun, sie hatte ihm das Wort überlassen und eben dadurch das Widerwärtige, Nieauszugleichende herbeigeführt. Gesinnungen waren laut geworden, die bis dahin nur geahndet, unter dem Schleier zarter Schonung ihren Stachel verbargen. – Jetzt war der Damm durchbrochen. Was Blut und Tod nicht vermochten, das unbezwingliche Wort hatte es für ewig und immer angefacht. Die rasche That konnte ein dunkler Augenblick erzeugt haben, Liebe und Mitleid fühlten sich groß im Verzeihen, wie aber der lang verkleidete Unwille das Innere schreiend auseinander riß, und das Herz des Lebens zerfleischte, da war an kein vergeben und vergessen zu denken. Die Kluft, die von jetzt zwischen [140] Alonzo und der französischen Familie lag, verdeckten nicht Worte, nicht Thaten. Nur an Blansche konnte er sich noch mit seinen Gedanken wenden, sie war über Streit und Unwillen, über Vaterland und Welt hinaus gehoben, beziehungslos ewig Eins in seinem Herzen. Er flüchtete zu ihr, er schrieb ihr in diesen qualvollen Stunden.

»Warum meine Blansche, mußte ich Sie vergeblich suchen, warum waren Sie so weit von ihrem Freunde? Ihr Auge, ihre Stimme, ihre Nähe hätte alles abgewendet! Es sollte so sein! Alles um uns her mußte erst zusammenbrechen, der feindliche Haß alles untergraben, alles dunkel werden, nirgend eine Rettung, als in uns in unsrer Liebe! Ich habe das lange geahndet, jetzt ist es ja ganz unauslöschlich da! Erschrecken Sie Blansche? Ich nicht. Ich habe mich nun erst ganz wieder, ich fühle mich wie über allen Streit hinaus. Was geht mich dies Frankreich an, was habe ich mit seinen Einwohnern zu schaffen! Nichts, in der Welt nichts! Sind Sie auch eine Bürgerin Frankreichs, Blansche? O um Gottes Willen überreden Sie sich das [141] nicht. Sie sind es nicht, Sie dürfen es nicht sein! Welches Land, welches Volk ist stolz genug, Sie sein zu nennen? Sie eine Französin! Wie thöricht und wie unwahr! Der Liebe gehören Sie, das ist Ihre Heimath. Bin ich mit dieser zerfallen, Blansche? Sagen Sie das wirklich! Wie ihre stillen Züge dies dunkle Land erhellen! wie ich bei Ihnen all' die Störungen vergaß! Wird das nun anders sein? Ich weiß es, Ihre Mutter kann das nie verzeihen! Wo werde ich Sie denn wiedersehen? wann wird Ihr liebes frommes Auge Friede in meine Seele gießen? Meinen Sie etwa, ich sei nun entschlossen, Frankreich zu fliehen, Sie aufzugeben? Haben Sie denn ein Herz, Blansche und denken Sie so Entsetzliches? Nein, ich bleibe, ich werde Sie suchen, und so Gott will, finden. Kann Blansche durch die Meinung ihrer Freunde bestimmt werden? Kann irgend etwas mein Bild in Ihrem Herzen verrücken, so stand es niemals fest und dann möge es nur lieber gleich zerbrechen.«

Der eben ausgesprochene Gedanke trat so lebhaft auf ihn zu, er sah ihn so entsetzlich an, [142] daß er ganz gelähmt und erschrocken die Feder wegwarf und nun auch nicht wieder mit sich zurecht kam.

Des folgenden Tages eilte er mit jenen Zeilen zu Blansche, in der Absicht sie ihr heimlich einzuhändigen. Die kleine Scheu vor Frau von Saint Alban konnte ihn nicht zurücke halten. Im Gegentheil empfand er einigen Stolz, ihr so frei und unbekümmert unter die Augen zu treten. Er traf Blansche allein. Sie schien etwas überrascht ihn zu sehen, doch war sie nicht unruhig, noch verlegen. Er gab ihr das Blatt. Sie sah ihn groß an, an mich? fragte sie, von Ihnen? Was können Sie mir denn zu sagen haben, das ich so blöde, so ängstlich in diesem Papier einwickeln müßte? Lesen Sie, bat Alonzo. Sie faltete kopfschüttelnd das Blatt auseinander, und es vor sich hinlegend, las sie, den Kopf in die Hand gestützt, sehr langsam und genau, ohne durch irgend eine ängstliche Anstrengung die Klarheit ihrer Züge zu trüben. Alonzo ging während dem heftig auf und ab. Zuweilen blieb er stehen, sah sie dringend an, oder zählte ungeduldig die ablaufenden Sekunden [143] an der Wanduhr. Jetzt hatte sie geendigt. Sie legte das Blatt sorgfältig in seine Falten zurück, und verschloß es, ohne aufzusehn in dem Nähetischchen. Alonzo faßte ihre Hand. Sie sahe ihn lächelnd an; was sind Sie nur so unruhig, sagte sie mit anmuthiger Freundlichkeit. Sie thun so viel Fragen, lieber Alonzo, ich weiß nicht, wie ich das könnte, ich habe eine außerordentliche Scheu vor dem Ausgesprochenen, lassen Sie doch dem Geheimniß, das bisher waltete, ferner seinen stillen Gang. Sie wollen mir entgehen, Blansche, unterbrach sie Alonzo hier, Sie wissen mir nichts zu antworten, Sie selber sind unsicher. Freilich, entgegnete sie leutselig, Sie könnten mich ängstlich machen, ich habe Sie so nicht erwartet, ich glaubte Sie auf das Unvermeidliche gefaßt, Sie sind so entzweiet mit allem, so unsicher, wo ist denn die Ueberzeugung und die Treue, die allein beglücke? Von welcher Ueberzeugung, Blansche, fiel Alonzo ein, reden Sie hier? Von der einfachsten und natürlichsten, die es giebt, von der Wahrheit des Wesens, das Sie liebend in ihrer Seele tragen, Alonzo, mein Freund, können Sie zweifeln und [144] vertrauen zugleich? Sagen Sie mir, Blansche, hub Alonzo nach einigem Besinnen an, was soll ich bei so widerstrebenden Verhältnissen für ein Opfer von Ihrem Muthe er warten dürfen? Täuschen wir uns nicht; es ist plötzlich ein gewaltsamer Riß zu Ihren Füßen entstanden, Sie sind allein mit mir am jenseitigen Ufer, dorthin das Jugendland, die Mutter, die Freunde, Blansche, werden Sie mich nicht auch verlassen wollen? Was drängen Sie doch, rief Blansche wehmüthig, unser verborgenes Dasein so hastig in das bunte Leben hinein, und geben ihm die dreiste Figur und Sprache! Ach mein Freund, die Scheu, die ich davor habe, sagt mir, daß wir niemals aus dieser Verborgenheit hinaus sollen. Also doch! rief Alonzo heftig, Sie selbst verweisen mich zu ewigem Verstummen, zu Entsagung und Tod! Was Blansche, was denken Sie aus mir zu machen? Wollen Sie den Ueberlästigen aus Ihrer Gegenwart verbannen? Oder soll ich in verzehrender Gluth ein ängstliches, peinliches Leben auf- und abwinden, ein Leben, in welchem Streit und Zorn das einzig Lebendige ist? Das einzig Lebendige? rief Blansche [145] mit gefaltenen Händen, o Herr, mein Gott, so lehr du ihn doch, was Leben ist!

Frau von Saint Alban war herein getreten. Sie warf einen schnellen, scharfen Blick auf Blansche, der dann blitzartig an Alonzo vorüberflog. Sie schien gerührt, gereitzt, heftig und schnell wieder besonnen. Sie wußte das Gespräch am Rande der Vertraulichkeit hinzuhalten, Alonzo hatte sich just nicht zu beklagen, gleichwohl schwebte etwas Aengstigendes im Hinterhalte, was gern herauswollte, und nur der Gelegenheit ermangelte. Man wehrte diese ab, denn niemand hatte Lust es zu einer Erklärung kommen zu lassen. Frau von Saint Alban war Meisterin der Conversation, sobald Sie es wollte. Es schien, sie könne ihrer innern Bewegung plötzlich Einhalt thun. Mit Gewandtheit faßte sie jedes Aeußere an, warf es hin und wieder, und machte es in der Wechselberührung der Laune und des Witzes nach und nach zu etwas, das unterhielt, ohne zu beschäftigen. Alonzo vergaß an ihrer Seite einen kurzen Augenblick, was seine Seele so schwer belastete, was aus der Ferne drohete, was zum Theil schon ganz [146] nahe war. Die flüchtigen Worte wirbelten sich so leicht wie ein gefälliger Tanz an ihm hin, und stahlen seinen Beifall und sein Wohlgefallen, ohnerachtet des Disperaten ihres beiderseitigen Verhältnisses. Zum Lachen gezwungen, vergaß er leicht worüber und verlor ein paar Stunden an einem Spiel, dessen absichtlichen Gang er weit entfernt war zu ahnden. Als er endlich durch Blansches schwebenden Gang und ihr lautloses Verschwinden aufgeschreckt ward, verließ er Frau von Saint Alban etwas wüst und betäubt, ohne ins Klare über sie und sich selbst kommen zu können.

Auf den Straßen sang man das Couplet auf Heinrich den Vierten. Er hatte das tausend und tausendmal gehört, heute frappirten ihn die Worte angenehm. Das höchst wunderbare Gemisch von Galanterie, gutmüthiger Treuherzigkeit und neckendem Volkssinn sprühete auf eigene Weise an sein Gemüth. Er glaubte eine Einsicht in den Volkscharakter gewonnen zu haben. Der Duft frischer Jugendzeit wogte noch in dem alten Liede. Die anmuthigen Gestalten französischen Ritter- und Heldenthums traten [147] höchst lebendig in ihrer feinen, jovialen Sitte in seine Erinnerung zurück. Er glaubte noch verwandte Elemente in dem Herzog und Türgis entdecken zu können. Er dachte an die ritterlichen Könige, an die rührenden Worte Ludwig des Achtzehnten vor seinem Einzug in Paris: die Religion allein vermag mich diese Dornenkrone auf mein greises Haupt zu setzen. Er sahe das würdig stille Angesicht, er fühlte den Kampf und die Leiden der geweiheten Königsfamilie, tiefe Ehrfurcht erfüllte ihn. Er war milder gegen alles, was er sahe. Er ging heute in die Variétés au françois, er glaubte sein Unrecht gegen Frau von Saint Alban nicht genug abbüßen zu können. Das reizende, ergreifende Spiel großer Künstler bezwang seine strenge Abneigung! Vieles ward ihm hier klar, was ihm im Leben verwirrte, die Funken originellen, treffenden Witzes sprüheten fast blendend umher, der behende, flüchtige Verstand wagte die raschesten Flüge, er riß die Bewunderung um so eher fort, als niemand vor sich selbst zu besteh'n, zurückbleiben wollte. Alonzo glaubte sich dem allem mehr und mehr verwandter, je mahnender [148] er zur Theilnahme gezwungen ward. Er stand im Begriff noch heute an Blansche zu schreiben, sich selbst hart anzuklagen, das arme schöne Herz durch Ungestüm und schroffen Ernst erschreckt zu haben. Er wollte es ihr bekennen, daß er alles zu hoch und trübe und gewaltsam genommen, daß er es empfinde, wie im Erkennen fremder Eigenthümlichkeit der Friede im Leben aufgehe, es schien ihm der Gedanke an Versöhnung mit allem, was dem lieben Geschöpf angehörte, so süß, er wollte ihr das sagen und noch vieles andre, wovon sein Herz voll war, als ihm eine Einladung des Herzogs, diesen zu Frau von Saint Alban zu begleiten, die Hoffnung gab, Blansche morgen zu sehen, und in der alten Eintracht und dem schönen, wechselseitigen Vertrauen mit ihr und ihren Freunden. Er schrieb jetzt nicht. Er dachte und malte sich die Stunden nächster Zukunft in dem Gewinn schwankender, unruhiger Leidenschaft bald lockend, bald ängstigend aus, die Bilder flossen ungewiß in einander, und er mußte sich zuletzt fragen, was von dem allem darfst du denn wünschen, bethörtes Herz?

[149]

16. Kapitel

Sechszehntes Kapitel

Alonzo saß schon über eine Stunde Blansche in höchster Spannung gegenüber, ohne ihr ein Wort sagen zu können. Unter mehrern Anwesenden war ein junger Verwandter um sie beschäftigt, in dessen leisem altfranzösischen Wesen sie sich mit der unbefangensten Heiterkeit ausnehmend zu gefallen schien. Sie nannte ihn Louis, und Frau von Saint Alban mein armer, kleiner Vetter, mit einem Ton, der die Theilnahme und das Vertrauen herzlicher Gesinnungen ganz rücksichtslos aussprach. Der junge Mann trug den Lilienorden, war von edler Familienbildung, und sachten, etwas schüchternen Manieren, die eine kleine Beimischung des Fremdartigen und Ausländischen an sich trugen. Auch war er über dem Rhein erzogen. Der Kampf erweiterter Bildung und schmerzlich empfundener, unaustilglicher Blutsverwandtschaft hatte trübe Jahre hindurch tiefe Furchen in die junge Stirn gedrückt und das reiche, dunkel wallende Haar hin und her gebleicht. Oft nach den launigsten [150] Ausbrüchen sanken seine Züge plötzlich zusammen, es lag dann eine Trauer auf diesem Gesicht, die nicht Sehnsucht, nicht Rückerinnerung, die Lebenserfahrung im allgemeinen so wunderbar erzeugte. Frau von Saint Alban hob ihn auf alle Weise heraus, die übrige Familie suchte ihn mit Frankreich zu befreunden, wohin er erst seit kurzem zurückgekehrt war, man neckte ihn und verspottete seine gemischten Sitten. Eine hübsche pikante Brünette sagte mit bedeutendem Seitenblick auf Blansche, er werde sich wohl nach und nach entgermanisiren, man erlaubte sich manche Anspielung auf sein Verhältniß in der Familie, deren Aeltester er nach des Herzogs Tode ward. Er pflegte denn wohl mit einem komischen Seufzer, O du mein Gott! auszurufen und durch einen burlesken Gedankenspruch Spott und Laune auf etwas Anderes zu richten. Er redete etwas gepreßt, die Gedanken rissen sich nur mühsam von dem Innern los, dafür gab er aber auch mit jedem Wort ein Stück Herz in den Kauf. Frau von Saint Alban rief mal auf mal: wie gut er ist! Die kleine Brünette aber konnte sich nicht enthalten, ihn auszulachen, [151] und die ausländischen Sonderbarkeiten und die eigne behutsame Weise, wie eines solchen, der stets anzustoßen oder zu fallen denkt, aufs lebhafteste zu rügen. Sie flüsterte Alonzo zu, Louis nehme sich aus wie ein altfranzösisches Bild, das man in Deutschland unter Glas und Nahmen geschoben und ihm glauben gemacht habe, es sei ein deutsches Kunstwerk. Er passe sich eben deshalb nicht recht in französischen Zimmern und über dem Rhein wittere man doch auch den Franzosen in ihm. Ich mag es nicht leiden, setzte sie hinzu, wenn man sich so verschieben läßt und am Ende nirgend zu Hause ist. Deshalb hasse ich auch die meisten Nordländer, die uns zu Liebe ihre Nationalität aufopfern, hier nicht geachtet und dort nicht verstanden, was wird aus ihnen? Gleichwohl sagte Alonzo, dem die schönen Lippen die Worte anmuthig ins Herz lächelten, steht nicht zu leugnen, daß viele Ausländer durch stete Uebung eine gewisse Meisterschaft in der französischen Eleganz errungen haben, die doch anzuerkennen und von Ihnen, gnädige Frau, zu loben wäre. Zu loben? rief sie heftig, weshalb denn? etwa [152] weil sie auf plumpen Stelzen ungeschickt, eckig und langsam unsre freie, leichte Bewegungen einzeln und auswendig gelernt nachahmen? O ich höre sie auf zehn Meilen kommen, diese gemachten Pariser! steif, formell oder impertinent, nicht achtend wie ihnen veraltete Galanterie oder un mal appris de nos jours im Kopfe spukt, wenn so ein alter Herr mir die Reminiszenze des goldnen Zeitalters wieder auftischt und die ganze Conversation aus lauter Citaten alter bestäubter Bibliotheken besteht, dann schnappe ich nach Luft, denn der Bücherdunst schmeckt nach schwarzer Wäsche, die man ausgezogen und längst weggeworfen hat.

Doch über allen Ausdruck widerlich sind mir jene eifrigen Lehrlinge einer gewissen Schule, die kunstgerecht den Schmutz verderbter Dichter, wie die Aussprüche der Sorbonne, einstudiren und sie in Sälen und Boudoirs geltend machen, die methodisch die Einbildungskraft beflecken, Mangelhaftigkeit im Leichtsinn heucheln, sich brutal in der Liebe und ungeschickt in der Treulosigkeit anstellen, kurz die durch groteske Nachäffung das Gefühl auf alle Weise verletzen. Und sind sie [153] denn anders, dachte Alonzo, die Originale zu diesen Copien? Verweilet man denn nicht noch am liebsten bei den verknöcherten Gestalten, durch die, rührend genug, ein Anklang verschollener Zeit wehet? Stehet man gleich neben ihnen auf dem Grenzstein versunkener Galanterie, so spürt man doch wehmüthige Sehnsucht nach dem, wohin die letzten bleichenden Lichter unter Ludwig dem Vierzehnten zurückweisen. Noch wagt sich die Liebe Liebe zu nennen, noch verspottet niemand den Prinzen und Helden, der in still bescheidener Demuth seiner Dame durch ein ganzes Leben huldigt, keine Zunge lästert den ehrfurchtsvollen Dienst geheimer Treue, galante Rittersitte hat noch Raum auf Erden, Henriette von England darf ohne Erröthen ihr Bild auf einer Heldenbrust wissen, der Leumund schweigt, denn uneigennützige Liebe ist noch kein Unding geworden, und tausende kennen ihr heiliges Panier. Kann das veraltete Wesen gleich nicht sonderlich mehr gefallen, so rührt es doch und verzeihlich wird es, mit dem Schein zu spielen, wenn man das Wesen empfindet. Doch verloren ist die Seele, die mit dem wesenlosen, giftigen [154] Dunst heutiger Sitte liederliche Gaukeleien treibt. Er sah finster umher, Louis saß etwas abwärts, die Hand wie einen Schirm gegen die Stirn gehalten, so daß die Augen ungestört in sich hinein sehend bei Selbstgeschaffenem verweilten. Der Herzog hatte ihn einige Augenblicke beobachtet, mit Alonzo abwärts tretend, sagte er: die freie Gemeinschaft der Geister konnte ihm die leibliche Sicherheit des Daseins nicht ergänzen, die man nur im Vaterlande empfindet, so innig ist der Mensch mit der Heimath verwachsen, wie thörigt darüber hinaus zu wollen! Man ist umsonst bemühet das Ungleichartige zu verschmelzen. Der Natur widerstreben, heißt sich ewigen bittern Kampf bereiten! Wenig sind diesem gewachsen! Auch mein junger Vetter nicht! Er ist zerrissen, nicht hier, nicht dort zu Hause, und gleichwohl zieht ihn seine Vorwelt hieher. Was ist ein Dasein, mein Herr, ohne Erinnerungen? Darf der Mensch an eine Zukunft denken wollen, wenn er die Vergangenheit vernichtet? –

Es schien Alonzo fast als lege der Herzog eine besondere Bedeutsamkeit in diese Worte. [155] Was konnte er sagen wollen? hatte er in seinem Herzen gelesen? Und wollte der ruhig erfahrene Mann ihn warnend auf sich selbst zurückführen? Alles kam ihm heut so absichtlich, so besonders vor. Frau von Saint Alban war von der gesuchtesten Höflichkeit, sie wollte ihn recht eigentlich gegen ihre Familie herausheben, doch alle frühere Innigkeit, das leichte anmuthige Vertrauen wandte sich auf Louis, für Alonzo hatte sie nur Phrasen und achtungsvolles Bezeigen. Einmal als die Rede von einem jungen Ausländer war, den man früher in Paris gekannt und liebenswürdig gefunden hatte, sagte sie mit wegwerfender Bitterkeit, es ist ein Fremder! ich achte ihn ohne ihn zu verstehn, man versteht niemals das Fremde. Ihr Blick flog an Alonzo vorbei, er sahe sie erröthen, er fühlte, daß sie mit Absicht redete. Ihm ward sehr beklommen. Er suchte Blansche. Sie war in ein Nebenzimmer getreten und spielte gedankenvoll mit den Fingern gegen die Fensterscheiben. Was ist es, Blansche, sagte er dringend, was hier im Dunkel gähnt, was ich kommen höre? Sie wenigstens dürfen mich nicht täuschen wollen. Blansche [156] schlug die Augen zum Himmel auf. Sind Sie einig mit sich, lispelte sie leise, was ängstet sie? was kann kommen, das Ihr Herz bezwänge? O um Gottes willen, Wahrheit, rief er heftig, nackte, trockene Wahrheit? ich verstehe sie nicht, ich will sie nicht verstehen, diese dunkle Andeutungen! Von Ihnen will ich es hören, Blansche, Sie sollen mir es sagen, daß Sie, daß alle wortbrüchig waren, daß Sie Herz und Leben zerreißen, zertreten, daß alles frühere Lüge und Possenspiel war, daß Sie das heilige Wort zurücknehmen. Blansche sahe ihn warnend an, hüten Sie sich, Alonzo, sagte sie, daß Sie es nicht zurückgeben. Sie war fort, ehe er sich besinnen konnte. Einen Augenblick darauf sahe er sie lächelnd neben Andren stehn. Sie war ihm ein Räthsel. Ihr Blick traf dann und wann bittend und beruhigend auf den seinen, er wußte ihr nicht zu antworten, seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblick.

Frau von Saint Alban streifte im Vorübergehen an seinen Arm. Sie sahe entschuldigend zu ihm auf, sein düsteres Auge begegnete dem ihrigen. Die alte Rührung flog über ihr Gesicht. [157] Sie neigte den Kopf etwas seitwärts und mit lieblich weicher Stimme sagte sie: es muß sein, lieber Alonzo, es muß wahrhaftig sein. Sie selbst haben es so bestimmt gesagt; man schmeichelt sich immer eine Weile, aber der Irrthum hält nicht vor! – Er wollte ihre Hand fassen, er wollte sie zwingen, ihm zu sagen, was sein müsse? was er selbst gesagt, gethan habe? doch sie war ihm entschlüpft. Man ging auseinander, der Herzog sagte gelassen: der Wagen erwartet uns. Alonzo sahe ihn betroffen an. Doch jener war schon in der Thür, er mußte ihm folgen.

Sie saßen schweigend neben einander, der Wagen flog an der dunkeln Klostermauer hin. Alonzo sahe seinen Schatten, der immer länger ward und endlich zurückzubleiben schien. Trübes Selbst, dachte er seufzend, du zerfließest in Nacht und Traum, keine Spur bleibt von dir zurück. Lieber Alonzo, hub der Herzog jetzt an, ich hätte fast vergessen, Ihnen zu sagen: daß Ihr Geschäft hier beendigt ist. Ihre Aufträge sind beantwortet, es liegt alles bereit, der Minister erwartet Sie, auch die Abschiedsaudienz beim [158] Könige ist für Sie nachgesucht und auf Morgen festgesetzt. Nachgesucht und festgesetzt? rief Alonzo mit flammender Stirn, wer mischte sich in meine Angelegenheiten? Ich, entgegnete der Herzog. Junger Mann, fuhr er sehr ernst fort, vergessen Sie nicht, daß nach dem Tode meines Neffen mein Ansehn, meine Vorsprache Sie allein hier erhielt. Ich hegte damals andre Wünsche, man hört auch im Alter nicht auf an dem Leben zu meistern und etwas anderes daraus machen zu wollen, als es sein kann. Der Haß ist so trübe, Wohlwollen und Theilnahme so tröstlich! Aus dem Verein der Familien, dachte ich, solle die Versöhnung entzweieter Nationen hervorgehen. Opfer waren gefallen, die Rache hatte ihr Recht genommen, der Natur heilige Anfoderungen sollten sich durch sich selbst ausgleichen, ich durfte einen Augenblick an Erdenglück denken. Und weshalb, fiel Alonzo ganz überwältigt ein, weshalb wollen Sie so gerechte, so bescheidene Wünsche aufgeben? weshalb, ich beschwöre Sie, wollen Sie mich unbarmherzig aus der Reihe Ihrer Hoffnungen ausstreichen? Warum, wenn ich Sie anders zu verstehen wage, warum wollen [159] Sie das linde Band meinen Händen entreißen, daß Sie, daß Ihre Familie mit dem Schicksale aussöhnen könnte? Sie gehören nicht zu uns, entgegnete der Herzog kalt. Haß, wie glühend er sei, kann Blut löschen, Verachtung tritt in den Staub und nie kann man lieben, was man befleckte? Lassen Sie uns davon schweigen, ich fühle mein Blut noch brausend genug, um es fürchten zu müssen. Sie selbst haben zur rechten Zeit den Wahn zerrissen, und mit ihm jeden aufblühenden Verein, wir fallen ganz und auf immer auseinander, und wollen Sie sich anders treu bleiben, so dürfen Sie nie daran denken, diese Kluft zu überschreiten. Dacht' ich's doch, rief Alonzo, französische Eitelkeit konnte niemals verzeihen, was sie durch tausend und tausend ärgere Beleidigungen unserm empörten Gefühl abpreßte. Alles und jedes erlaubt sie sich zu sagen, und die einfachste Thatsache darf ihr nicht unter die Augen gerückt werden! Was ich mir und meinem Gott unter heißem Schmerz bekenne, entgegnete der Herzog, soll mir dennoch kein Anderer laut entgegenrufen, und wer es thut, dessen Anblick wird ewig [160] den Stachel in meine Seele drücken und Gift und Galle aus eiternder Wunde pressen. Und deßhalb also, sagte Alonzo spöttisch, soll ich Frankreich meiden, weil Ihnen mein Anblick unangenehme Wahrheiten ins Gedächtniß ruft! sehr despotisch bei meiner Ehre! Nun ich denke, Alonzo de Mendez geht wohin ihn seine Pflicht ruft, entgegnete der Herzog mehr galant als aufrichtig. Es ist die Frage, fiel Alonzo ein, welche Pflicht mir die höhere ist. Die der Ehre, ohne Zweifel, erwiederte jener.

Beide schwiegen einige Augenblicke aus Furcht zu viel zu sagen. Wozu denn nur, rief Alonzo plötzlich vom Zorne überwältigt, das ganze Spiel des heutigen Tages, wozu dies Zusammenkommen, die trügerische Freundlichkeit und all' das Gleissen, dem Herz und Seele fehlte! Sie sind sehr ungerecht, unterbrach ihn der Herzog, wir waren es Ihnen und uns schuldig, im besten Vernehmen zu scheiden. Die Welt darf nie wissen, wenn wir uns in der Wahl unserer Freunde vergriffen. Ihre neulichen Ausfälle hatten Sie auf unangenehme Weise für Sie und unser Haus affischirt, das mußte durch die Achtung, [161] die wir persönlich gegeneinander an den Tag legten, ausgeglichen werden. Noch einmal mußten Sie in der Gesellschaft erscheinen. Das ist geschehen, auf die schicklichste Weise für alle Theile. Jeder unangenehme Eindruck ist vertilgt. Daß Sie unwissend so geführt wurden, werden Sie der Mäßigung Ihrer Freunde Dank wissen. Und Blansche, rief Alonzo mit bebenden Lippen, sie wußte darum? Sie konnte die Hand zu dem allem bieten? Blansche, erwiederte der Herzog, weiß, was sie sich, ihrem Namen und Vaterlande schuldig ist. Der Wagen hielt. Noch einmal, fuhr der Herzog fort, lassen Sie jeden persönlichen Unwillen schweigen, denken Sie, daß eine unbezwingliche Naturnothwendigkeit so entscheidet, daß Sie diese vielleicht schärfer als ich empfinden und daß niemand gegen das Geschick ankämpft. Ich werde, entgegnete Alonzo, etwas stolz von seinem Sitz aufstehend, wie ich denke, Gelegenheit finden zu zeigen, daß ich nur Vorschriften von mir selbst anzunehmen weiß, und hierin, wie in allen, den Gesetzen der Ehre folge. Er grüßte flüchtig und [162] beeilte seine Schritte, um jeder Antwort überhoben zu sein. –

17. Kapitel

Siebenzehntes Kapitel

In dem raschen Andrang aller Empfindungen, fand Alonzo ganz von selbst Gedanken und Entschluß. Eins stand fest in ihm, darum drehete sich alles Andre in natürlicher Ordnung. Er wollte jener feinen Absichtlichkeit zum Trotz in Paris bleiben und sollte Leib und Seele darüber zu Grunde gehen. Das einmal Eingeleitete war nicht abzubrechen, das sahe er wohl, seine Mission war hiermit beendet, gleichwohl fand er sich andrer Seits eben dadurch um so unabhängiger und zu ganz rücksichtslosem Verhalten berechtigt.

Er betrieb demnach alles auf das sorgfältigste und schnellste, empfing und expedirte Depeschen, beurlaubte sich in der Qualität eines Abgesandten, schickte Couriere ab, schützte Krankheit [163] vor und etablirte sich von da an ganz eigentlich zu Angriff und Vertheidigung.

Für alles andre, als seine eigensten Wünsche todt, ging er nirgend hin als in die Messe, wo er Blansche zu finden hoffen durfte. Durch viele Tage erwartete er sie indeß Morgens und Nachmittags vergeblich. Er ward nicht müde zu gehen und zu kommen. Liebe, Stolz, gekränktes Recht, alles hielt ihm sein Ziel unverrückt vor die Augen, die Leidenschaft hatte ihre Blitze zurückgezogen, die Nacht tiefen Geheimnisses lag über sein ernstes Gesicht und gab dem unbezwinglichen Willen das Ansehen ruhiger Eintracht und festen Gleichmuthes. In welchen Zustand ihn indeß der harte Kampf, die gescheiterte Erwartungen setzten, wie streitend Gefühl gegen Gefühl anstrebte, was die Leidenschaft wollte und nicht wollte, das werden folgende Zeilen an Philipp deutlich machen.

»Wenn die stille Gluth Ihrer Augen der Leitstern zu Ihrem Herzen war, so haben Sie sie geliebt, Philipp, heiß, verzehrend, mit allem Schmerz und aller Lust der durstenden Seele. Das ist der Fluch des Menschen, daß ihn Götterbilder [164] äffen, und den Himmel vor den trunkenen Blicken zaubern. Es ist alles Lüge hier! alles! auch sie, zweifeln Sie nicht. Wie könnte es anders sein! das absichtlich berechnete, auswendig gelernte Spiel fängt mit dem ersten Strahle des Bewußtseins an. Tugend heißt es und Weisheit, Leib und Leben und jeden freien Aufflug des Geistes in die enge Klammern nüchterner Sitte einzupressen, das sind die Formeln, die man dem weichen Kinderhirn eindrückt, ein paar knöcherne Phrasen die ganze Mitgift auf der weit auslaufenden Lebensreise. Unbesonnen nennt man dies Volk, leichtsinnig und flatterhaft im Denken und Thun, schnelleres Blut, heißt es, treibe sie flüchtig an dem Ernst des Lebens hin, nicht Bosheit, nicht Sünde sei in ihnen, unbedacht wie unzuverläßig dürfe man sie höchstens schelten. Hätten wir niemals einen Franzosen gesehen, wir könnten uns unter dem beweglichen Bilde harmlosen Genuß und den spielenden Schaum ungewisser Jugendlohe denken. Aber wie schlägt uns das welke, sich selbst überlebende Gerippe in greiser Kindheit in die Augen! mißtrauisch und lauernd wie das Alter, [165] auf fremder Unkosten erfahren, zu Hause auf der glatt getretenen Bahn gewandt, in Maaß und Takt selbst erfundener Convenienz, verlocken uns die gräulichen Kindergestalten und prunken mit Weisheit, wenn sie den armen Vorrath ihres Herzens zu verschließen, und Vertrauen und Liebe und Hoffnung zu betrügen wissen! Das ist die Klugheit der Welt, Philipp, nach der man Jahrhunderte rang, der man Altäre bauete, die auch noch nicht aufhörte, die Leichtgläubigen zu blenden. Geschwätzig wie die Weiber, das Geheimste entweihend, schlau wie sie, da verschlossen, wo es den eignen Vortheil gilt, täuschen sie, reißen sie das Innere auf, und verletzen die offne Seele mit tausend giftigen Dolchen. Diplomatiker sind sie, das glaube ich, so lange Andre es wollen! Aber es giebt eine Kraft, die all' die abgenutzten Fäden mit einem Griff zerreißt! Glauben Sie, daß sie mir jemals verziehen, mich selbst gegen einen Franzosen behauptet zu haben? Glauben Sie das? Mit Großmuth haben sie eine Weile vor mir, vor der Welt, vor sich selbst gespielt, das war in ihrem Leben noch nicht vorgekommen, das paßte [166] zu irgend einer Theaterscene, es hatte Blut gekostet, es war hochtragisch! Aber die ganz gemeine, unzubestreitende Wahrheit, die so blank und baar da lag, die sich nicht drehen, nicht wenden, aus der sich nichts machen ließ, die konnten sie nicht vertragen, da hatte das Spiel ein Ende, die kalten Herzen hatten nur sich geliebt! Könnte ich Ihnen die lange Comödie erzählen, könnte ich Ihnen sagen, wie sie so natürlich zu hintergehen wußten! Auch sie Philipp, ach Gott! auch sie konnte mich täuschen! Und wie denn am Ende alles so berechnet, so gemäßigt, so vernünftig klar und ruhig endete! Ich sollte einsehen, empfinden, dankbar sein! Gottlob, ich fühlte mich selbst. Freuet Sie das? – Nun mich auch. Und ich denke, es wird uns allen frommen. Ich bin jetzt frei, und bleibe doch hier, aus eigner Kraft, verstehn Sie mich? Man hieß mich gehen. Jetzt ganz gewiß gehe ich nicht. Ich muß Blansche sehen, ich muß sie sprechen. So leichten Kaufes kommt sie nicht los. Vor Gott hat sie gelobt, vor Gott muß sie wiederrufen. Könnte ich Ihnen den Blick malen, so groß und still![167] Vertrauen sollte ich ihr! Herr Gott, ich that es unbedingt, Seele und Leben gehörten ihr, sie hat damit gespielt! Begreifen Sie es? Das Räthsel eben soll sie mir lösen. Weiter will ich ja nichts, sie ist es mir schuldig, mein Glaube, meine Seligkeit hängt davon ab. Philipp, ich wollte, Sie wären hier! Wie unter Todten lebe ich, keine, keine Seele mein! –«

Die letzten Worte waren von einem Strom unbezwinglich hervorbrechender Thränen verwischt. Alonzo schob das Blatt weg, den Kopf in die gefaltenen Hände gelehnt, weinte er heiß und bitterlich. Das Geräusch eines Eintretenden schreckte ihn auf. Beschämt riß er sich empor. Seine Weichheit schien ihm ganz kindisch, er faßte sich zusammen, und die eine Hand vor den Augen empfing er mit der Andern mehrere Briefe, unter denen die Schriftzüge seiner Mutter ihm das Blut beklemmend zum Herzen trieben. Er brach das Siegel mit kaum erzwungener Fassung und las, ohne recht zu wissen, was? folgendes:

»Mit Erstaunen und einem Befremden, von dem ich nicht weiß, ist's des Schreckens oder [168] Zorns Erstarren, erfahre ich, dein Geschäft, Alonzo, sei beendigt, und du gleichwohl noch in Paris. Ich will nicht denken, was ich mich zu hören schämte, und ehe verschließe sich diese Lippe auf ewig, als daß sie Unwürdiges von meinem Blute sage. Gleichviel auch welche Ursach! – keine als Unvermögen des Leibes ist gültig, und auch denn noch, wenn die gelähmten Glieder ihren Dienst versagen, die schwindende Kraft nicht weiter kann, treibe die Angst der Verdammniß, den morschen Leichnam über die verfluchte Erde hin nach geweiheter Stätte!

Nur das Eine Alonzo höre. Den geschäftslosen Mann, der aus Neigung oder Trägheit in Paris verweilt, muß ich verachten, denn da der Einzelne nicht dem ganzen Volke stehen kann, duckt er dehmüthig unter und läßt die Woge des Uebermuths feige über sich zusammenschlagen. Lächeln muß er, wenn ihm das Blut tropfend aus den Augen sprühet, Spaß verstehen, unbeachtet die Pfeile schwirren hören, und wenn's hoch kommt, sie versenden helfen. Anders ist es, wenn ein gegebenes Ziel zu strenger Arbeit ruft, er sieht nicht rechts, nicht links, [169] ihn schützt das Panier der Pflicht. Doch des Müßiggängers fahrig Auge, was kann es anders wollen, als sich im Schmutz der Sünde baden? Alonzo hast du denn jenseit der Pyrenäen noch ein Vaterland? Darfst du dein eigen sein, ein Dasein, Sitte und Gesetz, Gott und einen Heiland haben? O daß ich dich das fragen muß? Ist denn dein Stab so ganz und gar gebrochen, kreist denn keine Ader meines Blutes in deinem Herzen mehr? Ich will's nicht denken, doch muß ich zittern, weinen – und wenn's sein muß, dich geliebtes Kind verfluchen!«

O Mutter, Mutter, rief Alonzo händeringend, verblendet denn die Leidenschaft und macht sie zugleich so scharf und hellesehend! Gute Mutter! wir werden von einer Flamme getrieben, nenne sie Zorn oder Liebe!

Eine lange Zeit saß er ganz tiefsinnig da, die entsetzlichen Worte dreheten sich ihm wie eine kreisende Scheibe im Gehirn umher. Er hatte gar keine Gedanken, ihm war, als werde er wahnsinnig, und so ging er dann wie im Traume, ohne Wille und ohne Widerstand zur gewohnten Stunde in die Messe. Er wußte[170] kaum noch was er hier wollte. Die Augen lagen gesenkt am Boden, die Arme schlaff und matt in einander geschlungen, er betete mechanisch, und ließ betäubt die Worte an sich vorüberklingen, als das Wispern einer weichen Stimme neben ihm, plötzlich tausend Funken zugleich in seiner Seele anschlugen. Blansche kniete mit dem Rücken nach ihm gewandt, das Gesicht auf die Stufen eines kleinen Altars gesenkt, über welchem Maria abgebildet war, wie sie das schlafende Jesuskind mit Liebe und Zuversicht betrachtet, ohne die wunderbare duftige Gestalten zu sehen, die im Traum an des Kindes Bettchen vorübergehen und ihm die Zukunft offenbaren, der Engel mit den Marterwerkzeugen schwebt leicht vorüber, zuletzt überstrahlt des Heilands Verklärung die weißlichen Wolkenspiele. Blansche hob den Kopf in die Höhe, sie sahe das Bild fest an, ihr Blick schien zu sagen, heilige Mutter, von dir geht das trübe Erdenleben aus, aber du gabst uns den Erlöser! Alonzo sahe und ahndete von dem allem nichts, er fühlte nur Blansches Nähe. Seiner kaum noch mächtig, unter ungestümen Klopfen der kochenden [171] Brust, warf er sich neben sie nieder und mit einem Tone und Blick, vor dem das zarte Mädchen zusammenschauerte, flüsterte er, jetzt Blansche, jetzt können Sie mir länger nicht entgehn. Hier im Angesicht aller Heiligen wagen Sie es zu sagen, daß Sie mich verstoßen, daß Sie Ihr eignes Wort zurücknehmen, daß Sie mich hassen! Sie sahe ihn wehmüthig an. Thränen strömten aus ihren schönen Augen. O Gott, sagte sie leise, so haben Sie mich denn nie verstanden; und kein Vertrauen, keine Ahndung meiner Liebe ist in Ihrer Seele! Sie lieben mich noch, Blansche? rief Alonzo ganz außer sich, o sagen Sie nichts, kein einziges Wort weiter, auf Ihrer Zunge schwebt etwas, das ich nicht wissen will, nicht wissen darf, wenn Sie mich lieben – ja unterbrach ihn Blansche ernst, ich liebe Sie, fest und uneigennützig, wie Sie nicht lieben können. Jetzt Alonzo, fuhr sie aufstehend fort, wissen Sie, was Ihnen für diese Welt zu wissen frommt, kann es Ihnen gnügen, so sind wir beide nicht zu beklagen – wenn nicht – ich kann nur aus der Ferne mit Ihnen weinen. Unsre Wege scheiden sich von hier, und ich fodre [172] es im Namen der Kirche, deren Boden kein vermessener Schritt entweihen soll, folgen Sie mir nicht, Alonzo, bei Gott und seinem allmächtigen Sohn bleiben Sie zurück. Sie hatte die letzten Worte mit bebenden Lippen in tödtlicher Seelenangst gesprochen. Alonzo war einen Augenblick wie gelähmt, dann stürzte er ihr nach, drängte und stürmte alles aus seinem Wege, doch sie war fort, wie durch höhere Gewalt seinen Blicken entrückt.

Nun erst war es entschieden in ihm, nun wußte er bestimmt, was er immer gewollt hatte. Blansche sollte, mußte sein werden und ginge auch Ruhe und Frieden und seiner Seelen Seeligkeit drüber zu Grunde. Immer stachelnder und angstvoller wards nun in ihm. – Der Weltklugheit zum Trotz wollte er mit Gewalt besitzen, was man ihm listig entzog. Frau von Saint Alban, der Herzog, seine Mutter – es bestürmte und drängte ihn alles so wunderbar, Haß und Pflicht, und mitten inne die fressende, verlangende Liebe – ein kühner Schlag mußte die dumpfe Wetterschwüle auf einemmal auseinander reissen, er mußte Athem schöpfen, er hielt es so nicht aus.

[173] Ganz ermattet setzte er sich an seinen Schreibtisch. Der angefangene Brief an Philipp lag vor ihm. Er durchlas das Geschriebene noch einmal. Es schwirrte ihm confus durch die Sinne, er griff nach einer Feder, seine Seele durstete nach Mittheilung, Worte, dachte er, müssen die pressenden Bande lösen. Er las laut, was er niederschrieb:

»Ich weiß nicht, Philipp, wie mir ist, noch was aus mir werden soll! Hätte mir ein Sterblicher gesagt, es wird ein Augenblick kommen, wo Don Alonzo de Mendez schwankend zwischen Ehre und Liebe und Pflicht dastehn und nicht wissen wird, welchen Weg er einschlagen soll, ein Blick hätte den Frevler vernichtet. Und jetzt – mein Gott, was wolltest du mit deiner Creatur, als du an geweihter Stätte das schöne Mädchen in meine Arme legtest und von da den Zunder in die offne Seele warfst! Sollte ich löschen, ehe ich brennen fühlte? heimlich dämmerte die Gluth herauf, schlich langsam durch die Adern, bis plötzlich alle Pulse rascher schlugen, die Flamme aufblitzte, Erinnerung, Bewußtsein, ein ganzes hingeträumtes Leben verschlang. [174] Warum ich Ihnen das sage? Sie müssen alles wissen. Ich habe Blansche wiedergesehen, lieber Philipp, sie ist unschuldig, unschuldig wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt. Soll ich sie fallen sehen, wenn ich sie retten kann? Mitten aus dem fahlen Dunst, der das arme Herz beengt, reiße ich sie heraus, verlassen Sie sich darauf. Fragen Sie mich, ob ich das Blut der Mendez mit meiner Feinde Blut beflecken wolle? Feinde – Philipp? Wie sagte Sie doch einmal? ich erinnere mich! der Haß ist von dieser Welt, aber die Gerechtigkeit ist Gottes. – Ja, ja, mein Leidens- und Liebesgefährte, der Haß ist von dieser Welt! lassen wir ihn da sein blutig Wesen treiben. Haben Sie nicht selbst dem Engel Blansche Schwingen gegeben, daß er über das trübe nächtige Meer hinaus den Blick versöhnend zum Himmel trage? Hat die Kunst dem Gedanken Dasein verliehen, soll das Leben zögernd zurückesteh'n?

Ich weiß nicht, weßhalb mich vor Ihnen bangt. Dürfen Sie tadeln, was Sie selbst thaten? Philipp, es giebt Winke und Stimmen in [175] der Natur, die wir nicht überhören dürfen. Umsonst trifft nicht Eines zum Andern, das Schicksal will etwas, es zwingt uns, denn über nichts spottet der Himmel so als über menschliche Absicht. Sie haben es ja erfahren, was wundern Sie sich über Andre! Sein Sie nicht weiser in Worten als Gefühlen. Gefühle allein sind wahr, alles andre ist todtes, angelerntes Gesetz. Was wissen wir auch von Gesetzen! Jedweder trägt einen eignen Schlüssel zu diesem Hieroglyphen in sich. Das ist die göttliche Freiheit. Ich folge ihr, Philipp. Leben Sie wohl!«

Er siegelte mit einer Hast, als wäre ihm um die Antwort zu thun gewesen, und ermahnte seine Leute zu schneller Besorgung. Philipp war noch nicht allzufern bei seinem Regimente. Alonzo hätte ihn gern hier gehabt und auch wieder nicht. Ihm war doch etwas leichter, nachdem er geschrieben hatte, nachdem er denken konnte, es werde ein menschliches Wesen fühlen, wie ihm zu Muthe sei. Erhält ein gefürchtetes Uebel gleich Riesengröße und Gewißheit durch das Wort, so mildert Klage und Mittheilung das schon vorhandene gekannte Leiden. Alonzo kam [176] sich gestärkt und fest durch den Schluß seines Briefes vor. Eines war seinem Willen doch auch schon wirklich gelungen, er hatte Blansche gesehen und gesprochen. Sie liebt ihn, über sie war er beruhigt. Alles andre mußte ja auch kommen, wenn er es nur ernstlich wollte.

So durch sich selbst gehoben und zuversichtlich geworden, ging er noch spät, um Luft zu schöpfen nach den Elisaischen Feldern. Schon von fern sahe er die kleine silberne Muschel und die vier Apfelschimmel des Herzogs, sie hielt an der Barriere, niemand war darin, ein paar müßige Knaben standen auf dem Lackaienbrett und schaukelten an den Riemen. Alonzo beeilte seine Schritte, doch ehe er heran kommen konnte, winkte ein Bediente, der Wagen bog in eine Allee, Frau von Saint Alban und nach ihr Blansche an der Hand ihres jungen Vetters, Louis de Bocourt, stiegen hinein. Dieser stand noch am Schlage, und gab Blansche einen Strauß wilder Kräuter und Blumen, die sie sehr sorgfältig zusammenfaßte und ihn damit grüßend beim Abfahren vertraulich winkte. Louis ging langsam nach der Seite, wo Alonzo stand. [177] Er bückte sich von Zeit zu Zeit nach kleinen unscheinbaren Gräsern oder Pflanzen und beachtete sie genau in allen ihren Fasern und Theilchen. Sein gutes, stilles Gesicht schien unter diesem Geschäft heiterer, sein Auge heller und von einem Strahl ruhiger und sicher gestellter Forschgier angenehm belebt. Er war jetzt dicht vor Alonzo getreten, ohne ihn zu sehen. Diesem war es lieb, einem Wesen zu begegnen, auf dem Blansches Augen freundlich geruhet hatten, er redete ihn an. Louis in seiner schüchternen, unendlich verbindlichen Höflichkeit, sagte etwas verlegen grüßend, o mein Gott! ich wußte nicht – Frau von Saint Alban glaubte Sie längst abwesend von hier. Sie glaubte das, wiederholte Alonzo etwas trocken, mich dünkt sie hätte eine bessere Meinung von meiner Höflichkeit hegen sollen, da keine Ursach denkbar ist, weßhalb ich mich so unter ihren Augen wegstehlen sollte, ohne sie zuvor begrüßt zu haben. Doch, entgegnete jener achselzuckend, hat sie mir nicht anders gesagt, indem sie mit Bedauern und vieler Theilnahme und Liebe von Ihnen, mein Herr, sprach. Beide gingen einige Augenblicke schweigend neben einander, [178] Louis etwas gedrückt, Alonzo etwas hoch und vornehm. Erst seit kurzem, hub dieser an, sind Sie in Ihr Vaterland zurückgekehrt? – Ganz neuerlich, erwiederte Louis. Sie waren lange abwesend, fuhr Alonzo fort, Sie werden Ihre schöne Cousine kaum wiedergekannt haben. Auf des jungen Bocourt Gesicht schwebte eine rührende Freude, mit innigem Lächeln sagte er, ein recht liebes Mädchen habe ich in ihr gefunden, von ungemeinem Liebreiz und einer Unschuld und Durchsichtigkeit, die an die früheste Kindesreinheit der Menschen erinnert. Er sagte das so warm und wahr, so ganz ohne Bezug auf irgend etwas außer Blansche, daß Alonzo hingerissen, sich selbst vergessend aus rief: nicht wahr, Sie fühlen das! O wer ist auch so unglücklich, dagegen verschlossen zu bleiben. Sie hat mir, fuhr jener an Eigenes denkend, fort, das Sinnbild der Lilien klar gemacht, und wie es immer solche Engel gab, die über Frankreich schwebten. Blansche ist ein Engel des Friedens und der Ruhe und erinnert zugleich an alles unbefangen Liebliche und Sinnvolle besserer Zeit, sie versöhnt mit einem Lande, das aus seinem [179] Schoos solche Blüthen hervorgehen ließ. Alonzo sahe ihn groß an, ihn also versöhnt sie mit dem Vaterlande, dachte er, und mich entzweiet sie mit dem meinigen vielleicht auf ewig! Ich habe, hub Louis nach kurzer Pause auf's neue an, geraume Zeit hindurch die Natur in ihrem leisen Verkehr mit der Pflanzenwelt begleitet, und hier ein heimathliches Verhältniß gefunden, das ich bei den Menschen so rein und unbestritten nicht antraf. Blansche nun scheint mir in diese Blumenwelt ganz entschieden zu gehören. Sie steht so rein und bestimmt vor mir da, daß gar kein Zweifel obwaltet, ja durch einen Zug geheimen Einverständnisses glaube ich die stille Natur in ihren verwandten Elementen ganz zu verstehen. Ich weiß nicht was sie thun oder sagen könnte, worüber ich unsicher an ihr würde. So genau, sagte Alonzo mit einem scharfen Blick, glauben Sie Blansche zu kennen? Was man so eigentlich unter kennen versteht, entgegnete jener, möchte ich nicht sagen, es könnte sein, daß sie ganz anders zu handeln durch sich selbst bestimmt würde, als ich mir's vorgestellt hätte, doch sollte mich das nicht irre [180] machen, ich würde sogleich wissen, daß es so sein mußte, dies zusammenklingende gleichartige Wesen kann sich selbst nicht untreu werden.

Sie waren unter diesem Gespräch auf eine Brücke gekommen, ihre Wege schieden sich. Louis war einigermaßen blöde und beschämt, so viel geredet, sich so umständlich geäußert zu haben. Sein gutmüthiges Lächeln, die Art seiner schnell in sich zurücktretenden Verbeugung war auf gewisse Weise eine Entschuldigung dieser allzugroßen Freimüthigkeit. Alonzo wußte nicht recht, was er von ihm denken sollte. Er ging still vor sich hin und sagte sich selbst: was der da so trocken und schwerfällig hinspricht, ist das Größte, was ein Mensch von dem Andern sagen kann, solch' Vertrauen ist göttlicher Art, es müßte den ganzen Menschen begeistern, er bleibt gelassen, er meinte es so nicht, er ist gelehrt, er zwängt alles, was er sieht, in ein System und classifizirt Blansche wie Augentrost und Rosmarin. Was will er von dir wissen, schöne Blansche! dein Herz ist der Schlüssel zu deinem lieblichen Selbst, das aber soll mir keine Natur[181] oder Kunstverwandschaft in aller Welt streitig machen!

18. Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Je mehr die Gluth eigener Leidenschaft in Alonzo anwuchs, je fester bauete er sein Glück und seine Hoffnungen auf Blansches Liebe. Er überzeugte sich ganz innig und unbezweifelt, daß die gleiche Qual, wie sehr sie diese auch zu bergen wisse, an dem armen Herzen nage, und sie endlich über jeden Widerstand hinaus in seine Arme treiben werde. Alles kam für ihn darauf an, Blansche geheim und ungestört zu sprechen. Er war so gewiß wie von seinem Dasein, daß sie der Gewalt seiner Worte nicht widerstehen werde. Er hatte es ihrer Angst, den bleichen, bebenden Lippen, dem feuchten Glanz der schönen Augen ja angesehen, wie all' ihr Leben zum Herzen dringe, wie sie dieses nur unter trüben Schmerzen zügle. Was konnte er wollen, daß [182] nicht auch ihr geheimer, schüchterner Wunsch war! sie sollte das in seinen Armen fühlen, ihm unter leisen, heimlichen Schauern bekennen. Er rang und spähete nur nach Mittel sie zu sehen. In der Messe durfte er nicht hoffen sie zu finden. Frau von Saint Alban und dem Herzog mochte er in dieser Stimmung nicht begegnen, gleichwohl verschmähete sein Stolz wie die Natur seiner Liebe jeden Schritt, den Blansche's Würde zu nahe trat. Unter wechselnden Stürmen und Beschwichtigungen der Seele verwarf er jetzt, was er zuvor als wünschenswerth und nothwendig erkannte, und vergeudete Zeit und Kraft in ungleichen Kämpfen.

Er erfuhr, daß Blansche mit ihrer Mutter das Kloster verlassen hatte, und wieder bei dem Herzog wohne. Es war ihm ein Trost sie dort zu wissen. Er ritt und fuhr und ging spät und früh an dem dunkeln Eisengatter hin, ohne daß es sich gastlich wie ehemals vor ihm aufschloß. Es schien, die Familie verharre noch in der angenommenen klösterlichen Stille. Nur des jungen Bocourt Cabriolet sahe er zuweilen unter den Kastanien halten. Er ahndete wohl, was [183] Frau von Saint Alban mit dieser auszeichnenden Vertraulichkeit wolle und welche Wünsche Louis hegen durfte. Gleichwohl konnte er dem unbefangenen, anspruchlosen Herzen nicht feind sein, das sich unter der stillen Begünstigung natürlicher Verhältnisse vielleicht zum erstenmale ganz einig fühlte. Er empfand sogar ein schmeichelndes, wohlthuendes Mitleid mit ihm und spürte selbst einige Neigung Louis Gutmüthigkeit und ablich bewahrter Sinnesweise zu vertrauen. Es dünkte ihm wahrscheinlich durch freie Eröffnung der wahrhaften Lage der Dinge, die Theilnahme des treuen Menschen zu gewinnen, er erwartete von der Uneigennützigkeit des geprüften, an nichts verwöhnten Gemüthes um so mehr, als er deren bedurfte. Selbst nicht aus noch ein wissend, in der Verwirrung dunkler, treibender Gefühle wenig auf Gottes Beistand rechnend, dachte er dem Geschick vertrauen zu müssen, das ihm vielleicht in Blansche's Verwandten einen Freund zuführte.

Sehr überrascht war er daher, als er Louis bei ihrem nächsten Zusammentreffen etwas feierlich, bei weitem weniger schüchtern, vielmehr in [184] der Stellung des Erwartens und Kommenlassens fand. Alonzo brannte vor Ungeduld, die fremde angelegte Rinde zu lösen und zu dem Kern des wohlwollenden Innern zu kommen, doch jener blieb behutsam, sprach mit seiner gewohnten leisen Höflichkeit wenig, nannte Frau von Saint Alban gar nicht und suchte sich auf alle Weise los zu machen. Haben Sie ihn auch umstrickt, dachte Alonzo, und führen sie ihn nun an den künstlich gesponnenen Fäden? oder hat er sich selbst so diplomatisch überfeint? Kann denn hier nichts wahrhaft und ungetüncht bleiben? Sie standen noch bei einander als mehrere französische Truppen-Detaschements, die früher Paris verlassen mußten, jetzt wiederkehrend, an ihnen vorbeizogen. Die vergelbten, abgeflachten Gestalten gingen unter brutalem Trotz und dumpfen Gemurr durch die Straßen. Der dünne Wirbel matter Trommeln, das Zittern heiserer Trompeten verkündete ihre unerfreuliche Ankunft. Die Menge achtete bei stetem Hin- und Hertreiben wenig auf sie. Einzelne blieben stehn, es fielen tonlose Worte aus den hohlen Kehlen, wie dunkle Flammen aus qualmender [185] Gluth aufprasseln, der Name des Kaisers, Fluch der Fremden, Schmähung der Regierung schallten rasch und drohend durcheinander. Gemüthloser Halbverstand zischelte daneben und blies luftigen Witz in die glimmenden Kohlen. Auf Louis Gesicht lag ein selbstzufriedenes Lächeln. Das ist etwas! sagte er, in den Kerlen steckt Nationalität, da ist Furchtlosigkeit und Leichtsinn, der gewohnt ist mit der Gefahr zu spielen, da ist Kern und Mark, das macht sich wohl von selbst. Was, fragte Alonzo befremdet, was soll sich von selbst machen? Eine Verfassung, entgegnete jener, die nicht da ist. Und die auch diese Uebermüthigen, fiel Alonzo ein, wahrhaftig nicht wollen, was sollte den Gesetzlosen die stille Ordnung des Daseins? Erwarten Sie doch nichts von dem gährenden Unrath, dem der flüchtige Geist unter unnatürlicher Uebertreibung verflog. Glauben Sie mir, das gehet so in sich selbst und verbrökelt im Wechsel der Zeit. Ich meine nicht, sagte Louis etwas empfindlich, die Elemente sind offenbar vorhanden, sie verlangen nach Bestimmtheit, nach Farbe und Physionomie. Die haben sie schon, erwiederte Alonzo [186] rasch, und eine so fertige, so ausgesprochene, daß sie an Carikatur gränzt, nicht ein Tüttelchen darf die Zeit hinzusetzen, so fällt das mürbe Staubwerk zusammen. Das Rad der Zeit, entgegnete jener, geht um sich selbst herum, was da ist, soll etwas, wo Leben zu spüren ist, dürfen wir an Verjüngung denken. Gallien hat sich vielfach verjüngt, sagte Alonzo lächelnd, doch waren es Fremdlinge, welche die verderbte Frucht zu brechen und neue Keime des Daseins durch gesunde Vermischung hervorzurufen wußten. An solche Verjüngung will ich glauben. Es ist mit der Gesundheit, sagte Louis, nur überall nicht weit her, die Keime sind im Ganzen faul, denn ach du mein Gott, der Rock, den die Gegenwart angelegt hat, ist mit Lumpen geflickt, das hält nicht über das nächste Bedürfniß hinaus, in der Nähe kann man die Fasern nackt und blos liegen sehen, man zieht dann einen neuen an und es ist eben so gut. Alles bleibt am Ende gebrechliches Stückwerk und die Erfahrung giebt zuletzt noch die beste Auskunft, wie wir wieder nach Hause finden. Das ist überall Eins.

[187] Alonzo war es, als würde ihm ein Riegel vor die Brust geschoben. Er war ganz still geworden. Das ist also Weisheit, dachte er, die an alles zweifelt und höchstens das Alte wiederkommen sieht, just so, wie es auf einem gewissen Punkt war. Auch dies warme Herz, das so liebendes Verlangen in sich trägt, ehe giebt er alles auf als das Eine, was ihm einen Leib gab, aus dem er nicht heraus kann. Er konnte nicht mit Louis streiten, und ihm auch nicht vertrauen. Er fühlte, sie verstanden einander nicht. Jener hatte sich gewissermaßen behauptet und war nun wieder mild und einlenkend wie immer. Man sahe offenbar, er war auf Alonzo aufmerksam gemacht und hatte einen Angriff erwartet. Dies alles, was fremde Absichtlichkeit ahnden ließ, verschloß Alonzo Herz und Lippen, er trennte sich sehr lau und ging in verdrüßlicher Ungewißheit in sich selbst zurück.

Auf seinen müßigen Streifzügen durch Straßen, über Plätze und Brücken gerieth er eines Tages an eine kleine Glücksbude. Unter leinenem Dach, auf niederm Schemel saß ein alter Invalide, die beiden Krücken lagen gekreutzt gegen [188] seine Knie, neben ihm stand Alonzos wohlbekannte Blinde, den Becher und die Glückswürfel in den zitternden Händen. Das kleine braune Mädchen hielt einen schmutzigen verknitterten Bogen in der Hand, von dem sie Nummern und Gewinnste ablas. Auf langen rothen Bändern, hingen in verschlungenen Bogen am Saum des überhangenden Daches grüne Börsen, Ringe und Tuchnadeln, Ohrgehänge, Uhrschlüssel und andrer schillernder Tand sorgfältig aneinander gereihet, und sahe vornehm auf braune Tabacksdosen, messingene Leuchter, Balsambüchschen und dergleichen mehr herab. Die blinde Glücksgöttin hatte Alonzo angelockt. Er setzte Geld in ein kleines zinnernes Becken, das ihm der Alte herhielt und nahm die Becher, schüttelte die Würfel hin und her, und warf mahl auf mahl eine Niete. Er ward ärgerlich, auch in dieser Kleinigkeit kein Glück zu haben. Der alte Soldat lächelte über den Eifer des vornehmen Herrn, der so erpicht auf einen kleinen Gewinst schien. Endlich fiel ihm ein kleiner goldner Schlüssel zu, mehr als Zierrath als zum Nutzen an einer Uhr zu tragen. Die Blinde hatte ihn [189] geschickt von dem Bande losgeknüpft und hielt ihn Alonzo hin. Dieser besann sich noch einen Augenblick. Nehmen Sie immer, sagte sie, er gehört ihnen. Sie bedürfen seiner nicht, setzte der galante Franzose hinzu, deßhalb hielt ihn das Schicksal so lange zurück; die Herzen schließen sich Ihnen von selbst auf, hüten Sie sich keinen Mißbrauch davon zu machen. Ein Schlüssel! dachte Alonzo, diesen gedankenvoll zwischen den Fingern hin und her drehend, welch Geheimniß soll er mir eröffnen? Plötzlich fuhr es ihm wie ein Blitz durch den Sinn, vielleicht das Räthsel meines ganzen Lebens! Er sahe die Alte scharf an, durch sie hatte er ihn bekommen, sie konnte, sie sollte vielleicht mehr für ihn thun, von Anfang her war sie ihm hier prophetisch gewesen. Immer hatte er sie vor einem entscheidenden Augenblick gesehen. Er beschied sie zu den andern Morgen nach seiner Wohnung, fest entschlossen ihren Beistand in Anspruch zu nehmen. Noch in selbiger Stunde schrieb er Blansche:

Ein wunderliches Wesen, von dem ich nicht weiß, wie es in meinen Weg kommt, noch [190] was das Schicksal mit ihr will, bringt Dir diese Zeilen, liebste Blansche. Ich weiß nichts von Dir, als daß du mich liebst, daran glaube ich, darauf baue ich. Doch kann ich Frankreich nicht verlassen, ohne dich zuvor gesprochen zu haben. Du sollst über mich bestimmen. Ich verstehe nichts mehr von mir, von der Welt, von den Menschen, ich lebe und denke in Dir, Blansche. Kannst Du wollen, daß es anders sei? O könntest Du dies zerrissene Innere sehen! wüßtest Du, was an eines Menschen Seele zerren und martern kann! – Und weißt Du es nicht, Blansche? Bist Du so ruhig? Ich beschwöre Dich, laß Dir von niemand Dinge einreden, die Deinem schönen Herzen fremd sind. Denke an Deinen armen Freund! fühle, daß Du ihm mit dem holden, berauschenden Geständniß Deiner Liebe Rechte gegeben hast, die keine Klugheit, keine Rücksicht der Welt aufheben kann; die ich, erwäge es wohl, nur mit meinem Leben aufgeben kann. Einmal nur laß mich Dich sprechen, ruhig, ungehindert, allein, Blansche. Kannst Du, so verbanne mich dann auf ewig von Dir. Denkst Du es zu können? Unmöglich, unmöglich! [191] Was willst Du mit einem armen, nüchternen Leben ohne Liebe? Sieh ich möchte dir alles opfern, Namen, Vaterland, den Stolz und die Hoffnung kühner feuriger Jugend, alle Gedanken, alle Wünsche, die mühselige Arbeit angestrengter Jahre, darfst Du zögern, Dein zerrissenes entartetes Frankreich hinter Dir zu lassen? Hast Du ein anderes Glück als das meine? Sieh ich bin so stolz, so kühn und dreist, wenn ich aus der Ferne zu Dir rede, und Du beherrschest mich so gewaltig, wenn ich Dich sehe, Blansche, um Gotteswillen mißbrauche Deine Gewalt nicht. Ich bitte Dich, versage mir lieber die Gunst Dich zu sehen, als Dich streng und ernst wie neulich zu finden! Nein, Blansche, nein, höre das voreilige Wort nicht, willige vor allem andern in meine Bitte, laß mich zu Dir reden, laß mich dir ein einzigesmal alles, alles sagen, was auf diesem Herzen lastet. Morgen Abend, schöne Blansche, bin ich an dem Gartenpförtchen, Engel, laß es mich offen finden! und wenn Du wolltest – wenn du Deinem Freunde folgenkönntest – ein Wagen ist bereit, meine angebetete [192] Geliebte, England giebt dem Gedanken wie dem Herzen eine Freistatt! –

Die Alte kam des andern Tages. Alonzo sprach mit ihr. Sie verstand ihn schnell. Leicht, meinte sie, sei es, in des Herzogs Hause Eingang zu finden und ein Herzchen wie Blansche zu rühren. Vor Abend versprach sie Antwort.

Es ward Alonzo ganz leicht. Es gab Augenblicke, wo er gar nicht an seinem Glücke zweifelte. Er konnte sich die Zukunft mit allem, was sie Reizendes hatte, ausmalen, das Aengstigende, Trübe legte er bei Seite. Blansche liebte ihn ja, was hatte er denn noch zu fürchten! Gleichwohl liefen die Stunden ab, sein Herz schlug immer gewaltiger. Er hatte auf keiner Stelle Ruhe. Jetzt brachte man ihm einen Brief, die Blinde, rief er, und riß das Blatt von einander. Es war Philipps Hand, er schrieb ihm:

»Mußten Sie denn mein stilles Innere aufreißen, um das Ihrige daran zu messen und zu beruhigen? Warum berührten Sie ein Geheimniß, das geahndet noch zu zart ist, um es zu denken? Sie haben dem leisen Traume Worte [193] gegeben, und die bescheidene Woge über des Stromes Bett hinausgerissen! Dachten Sie rein zu werden, wenn Sie sich Mitschuldige schufen? Sie haben fehl geschlossen. Der Maaßstab, den Sie anlegen, paßt hier nicht. Anders ist es mit der Kunst, anders mit dem Leben. Mein schönes Ideal bleibt für alle Ewigkeit rein, wenn Sie das Ihrige im Sturm eigennütziger Leidenschaft tausendfach zerreißen. Dem Leben gehört der unstäte Wunsch, der Kunst die stille Anschauung. Was fahren Sie so ungestüm in den verborgenen Schacht, in welchem Sie nie zu Hause waren, wo Sie durch ihr dreistes Erscheinen nur hindern, ohne selbst belehrt zu werden? Mißgönnen Sie mir den demüthigen Heiligendienst nicht, da Sie so laut den Göttern dieser Welt dienen!

Ihr Brief ist ein trüber Beleg, wie auch ein starkes Herz sich selbst untreu werden kann. Ich verstehe es nicht, Sie mit Worten zu bestreiten, es ist wohl so weitläuftig als unnütz. Doch wenn Sie mich mit den eignen Waffen zu schlagen glauben, so muß ich mich schon vor Ihnen behaupten, und Sie auf den Sinn aufmerksam [194] machen, in welchem diese gebraucht wurden. Der Haß ist von dieser Welt, habe ich gesagt. Sie gehören in ihr, darum hassen Sie aus fester Seele, was nicht zu lieben ist. Werfen Sie nicht alles übereinander, verwischen Sie die Gränzen nicht! es kommt nichts als Unsicherheit, Reue, Trotz und Kälte aus dem wüsten Selbstbetrug heraus. Gott allein darf alles lieben wollen, für uns giebt es Leben und Tod, Haß und Liebe! – Machen Sie sich nicht weiß, Ihre Brust sei weit genug, die ganze Welt zu umfassen. Wir halten nichts, wenn wir nach allem greifen. Und tüchtig gefaßt will die Welt sein, hören Sie wohl, tüchtig, nicht lose und halb. Um Gottes Willen übertünchen und verkleiden Sie den gerechten Zorn nicht, der allein Versöhnung schafft! Im Uebrigen sehen Sie zu, wie weit Sie das schmeichelnde Gelispel bestochener Sinne locken wird. Don Alonzo, Don Alonzo, darf auch ein dritter zwischen ihnen und der Ehre den Dolmetscher machen? Stolzer Castilier, konnte es dahin kommen, und duldet die freie Brust das kranke Herz!«

[195]

19. Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Der Abend dunkelte durch die Fenster, Blitze zuckten in der Luft, der Regen schlug rasselnd gegen die Fenster. Alonzo hielt Philipps Brief in der Hand und sah starr in das Unwetter hinein. Da klopfte es leise. Das braune Kind führte die blinde Mutter über die Thürschwelle, Haar und Kleider trieften, die Alte schauerte fröstelnd zusammen. Mühsam wickelte sie aus einem alten Stück Leinen einen kleinen Zettel, den sie Alonzo mit zitternden Händen hinhielt. Er griff hastig danach, seine Blicke verschlangen die kleinen, mit Bleistift geschriebenen Zeilen, er las folgendes »Das Gartenpförtchen wird sich gegen 11 Uhr Abends öffnen, ich werde Sie sprechen. – Blansche« –

Gold fiel in der Blinden Schoos, Alonzo drückte ihr taumelnd die welken Hände, Himmel und Erde war sein, er hätte alle Herzen beglücken, alle Thränen trocknen mögen. Sie ließ das Geld prüfend zwischen den Fingern hin und her fallen, dann wog sie das Sümmchen [196] bedächtig, indem sie sagte, man sollte denken, mir wäre der Schlüssel zu verborgenen Goldkammern zugekommen, aber das bedeuteten mir die funkelnden Sterne. Meine arme Augen, fuhr sie fort, haben Sie niemals gesehen, doch müssen Sie es sein, ich erkannte Sie an der Stimme, Sie sind mir im Traume erschienen. Alonzo ward es unheimlich, als sie jetzt Zug für Zug seine Gestalt beschrieb, und dann fortfuhr: ich mußte Sie just über dieselbe Brücke führen, wo wir neulich zusammentrafen. Die Brücke war sehr lang, über uns hing eine dunkle Wolke, sie sah aus wie ein langer fliegender Mantel. Sie gingen ganz stolz vor mir her, und es kam mir zuletzt vor als stünden Sie in der Wolke und stießen mit dem Kopf gegen den Himmel. Ich hatte ängstlich in die Höhe gesehen, da stolperte ich und es war mir als schlüge mich jemand in den Rücken, so daß mir der Kopf auf die Brust sank und ich niedersahe, ich erschrak aber sehr, als mir zwei rothe Blutstropfen über die Stirn rannen und auf die Erde niederfielen. Ich lasse Dir mein Herzblut zurück, sagten Sie, und als ich aufblickte, waren [197] Sie und die Wolke fort, aber im Osten funkelten viele, viele tausend Sterne und ein weißlicher Streif zog durch die rothe Gluth. Meiner Liebe Himmel! rief Alonzo ganz entzückt, du hast auch mir den Weg dahin gebahnt, gute Alte, dein stiller Abend soll nun ferner auch hell und ungetrübt bleiben. Er drückte noch mehr Geld in ihre Hand und geleitete sie freudig an die Thür.

Das Wetter tobte indeß ungestüm fort. Alonzo zitterte, daß Blansche vielleicht gehindert werden könnte, Wort zu halten. Doch wickelte er sich in seinen Mantel und ging ungeduldig durch Regen und Sturm dem ersehnten Augenblick entgegen. Er kam an der kleinen Thür an. Es war noch meist um eine Stunde zu früh, alles war dunkel, das Schloß verriegelt, unter ungeduldigen Herzschlägen die Hand an den Degen gelegt, ging er auf und nieder, als halte er Wache hier. Die schwanken Baumstämme jenseit der Mauer wanden sich ängstlich unter heulenden Windstößen, das Laub schüttelte sich rauschend, es rang und arbeitete peinlich in der Natur. Alonzo setzte sich ermüdet auf einen [198] Stein an der Thür. Die Knie übereinandergeschlagen, seine Waffen im Arm, saß er, den Kopf auf die Brust gesenkt, tiefsinnig da, und ließ es nun über sich toben und flüstern und wimmern, er hörte auf nichts als Blansche's leisen Schritt, den er alle Augenblicke über den knirrenden Kies zu vernehmen glaubte. Die Zeit verging langsam, allerlei lief ihm durch den Sinn, er hatte die Augen geschlossen und sah in wachsender Fiebergluth Bild auf Bild vor sich aufsteigen. Die Blinde, der alte Stelzfuß, dann ein hoher, greiser Herr in seiner Landestracht, sahe ihn streng und scheltend an, Alonzo kannte ihn wohl aus alter Bildersammlung, es war sein Ahnherr, den er frühe ehren gelernt. Die hohe Gestalt schien ihm so ängstlich nahe, daß er aufsprang und einen Schritt zurücktrat. Alonzo, rief eine leise Stimme, die Thüre ging auf, Blansche trat heraus, hinter ihr ein Mann, dessen Gesicht im Mantelkragen verdeckt lag. Bei seinem Anblick alles, auch Blansche vergessend, zog Alonzo das Schwerdt aus der Scheide, und: der dritte ist hier überflüßig, rufend, drang er auf den vermummten Begleiter ein. Sehen [199] Sie um sich, sagte Blansche mit gebietender Stimme, dieser Boden hat schon einmal theures Blut getrunken, zügeln Sie die Unglück bringende Hand! Alonzo ließ Arm und Degen sinken und mit einem Schauer, als stehe Turgis Schatten mit aufgehobenem Finger vor ihm, fragte er leise, was wollen Sie mit mir, Blansche, machen Sie es kurz, ich bin gefaßt. Die Erinnerung, mein armer Freund, entgegnete sie sanft, die Sie jetzt so lähmend trifft, sagt Ihnen, was für diese Welt zwischen uns steht. Es ist nicht des Bruders junger, früh geopferter Leib, es ist die Unvereinbarkeit ewig geschiedener Elemente. Alonzo, es ist ein Wahn, das Leben auf ungleichem Boden gestalten zu wollen. Niemand kann aus sich heraus. Sie können uns das nie verzeihen, der Haß bahnt sich tausend Wege, beflecken Sie die Liebe nicht so sehr, sie in solchen Kampf herabzuziehen! Ein andrer Erdenfleck ward Ihnen angewiesen, ein andrer mir, was die Gränzen überstrahlt, ist ein himmlisches Licht, es scheint eine kleine Weile, dann zieht es sich betrübt zurück, es weilt nicht auf dieser Erde. Sie gehören hier nicht her, [200] ich habe das immer beklemmend gefühlt, die Angst hat mich in Ihrer Nähe nie verlassen, darum mein Freund – sie drückte leise seine Hand, ihr Blick lag ungewiß und bang am Boden, Alonzo fühlte ihre Finger auf den seinigen ruhend, ohne aus seiner starren, düstern Hingebung zu erwachen. Wir trennen uns, flüsterte Blansche kaum hörbar, dies Leben gehört der Pflicht, ich habe es mir gelobt, vor diesem Zeugen wiederhole ich es Ihnen und mir. Philipp schlug den Mantel zurück und faßte bebend ihre dargereichte Hand. Alonzo sahe ihn verwundert an. Jetzt bog ein Reisewagen um die Ecke, Alonzo erkannte Gepäck und Leute, es war sein eigner, ha! ich verstehe, rief er, heftig zitternd, Blansche stand abgewandt, ihre Brust arbeitete unter leisem Schluchzen. Nach Osten, sagte Philipp, die Hand nach dem klaren Himmel hebend, der von dort aus die tief blauen Gewitterschauer langsam aufrollte. Nach Osten, wiederholte Alonzo langsam. Er sank an Philipps Brust, Thränen erstickten seine Stimme. Darauf den Kopf muthig in die Höhe gehoben, sagte er, mit kräftigem Blick und Händedruck: [201] junger Preuße, ihr tapfres Volk war der Wegweiser für Europa, ich folge Ihnen, treuer Bundesgenosse! – Nach Rom dann, sagte Philipp, Alonzo schüttelte ihm bejahend die Hand. Da warf sich Blansche an sein krankes Herz, der Scheidekuß, rief sie, sei Ihre Weihe. – Er drückte sie heftig an sich, – Blansche, Blansche stammelte er unter unsäglichem Schmerz – sie wand sich sanft los und verschwand hinter der zufallenden Thür.

Stumm standen beide Freunde einander gegenüber. Ein stiller Heilgendienst? war es nicht so? fragte Alonzo nach einer kleinen Weile. Philipp winkte bejahend. Es mag, fuhr jener fort, leicht der einzige Weg zum Glücke sein, was wir im Leben anfassen, es ist todt und welk, – Philipp führte ihn schweigend zum Wagen. Als sie nun einstiegen und der Postillion in sein Horn stieß und die Räder sich fortbewegten, da brach Alonzos letzte Kraft zusammen. Er warf sich in die Ecke des Wagens, und weinte ohne alle Kraft, dem Schmerz zu widersteh'n. Philipp hatte seine Hand gefaßt, er wagte kein Wort in den augenblicklichen [202] schweren Kampf hineinzureden. Der Wagen rasselte über das Steinpflaster, sie fuhren über die Brücke, wo der Alten kleine Bude stand, Alonzo bog sich weit zum Schlage hinaus, das Wetter war still und klar, tausend Sterne funkelten über seinem Kopf, im Osten dämmette schon die rothe Morgengluth, jetzt waren sie an der Barriere, Alonzo riß plötzlich seine Hand aus Philipps los, warum folge ich Ihnen dann, rief er mit wildem Blick, was wollt Ihr Alle von mir, wer hat über mich zu gebieten? Blansche, entgegnete Philipp, Sie wissen's ja – o Gott, o Gott, rief Alonzo, beide Hände vor die Augen drückend, sie – freilich sie will es! Was, hub Philipp nach kurzer Pause an, was hoffen Sie denn auch, nach dem letzten, höchsten Moment ihres ganzen Lebens noch Großes zu gewinnen? Blansche lag an Ihrer Brust, sie gehörte Ihnen – was noch kommen konnte, was ist's dagegen. Im Genuß spürt der Mensch die Armuth des Daseins. Wie voll und lebendig der Gedanke, wie reich die Phantasie. Das Errungene, Erlebte, wie trübe und gemischt, wie [203] kahl und nüchtern; glauben Sie's doch, nur in der schaffenden Kraft des Gedankens ist Leben!

20. Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Wochen waren verflossen. Alonzo schrieb seiner Mutter aus Rom:

»Von den Stufen der versöhnten, verzeihenden Kirche wende ich mich zu Ihnen, meine hohe, strenge Mutter. Wenn die Liebe mich das Leben vergessen ließ, so wußte sie auch Wege zu finden, mich mit seinen Anfoderungen auszugleichen. Worte sagen nicht, was ich hier erfuhr. Der Mensch wähne nicht, große Offenbarungen kommen ihm durch sich selbst. Auge und Sinne müssen empfangen, ehe die Seele erzeugt. In den Schauren geheimnißvoller Stille sahe Jesu Auge aus menschlicher Bildung auf mich nieder und ich empfand die Prüfung wie die Weihe des Lebens. Wem die Glorie göttlicher Sendung nie geleuchtet, wer vor dem herandringenden [204] Geheimniß niemals erbebte, wer das tiefsinnige Räthsel in des Menschen, in des Geweiheten Nähe nicht empfand, den durchzuckte nie höhere Ahndung, dem ist das Innere todt.

Ich bin gestärkt, zu neuem Dasein gerüstet. Mein Vaterland ruft mich, vieles verwirrt sich dort aufs neue, vieles muß sich lösen. Sie sehen mich in Kurzem wieder. Was aus der Vergangenheit mir blieb, möge Sie nicht stören, es ist die still begleitende Wehmuth, die niemand, der die Welt erkennt, verläßt. Sie sind gerecht, deßhalb bin ich Ihrer wie meiner selbst gewiß.« –

Während Philipp nun immer stiller und innerlicher seiner Kunst lebte und durch frische Heiterkeit einen hellen Glanz in Alonzo zurückwarf, bereitete dieser auf solche Weise seine Rükkehr nach Spanien vor. Er hatte sich schon von seinem treuen Gefährten getrennt, als er, recht wie ein Abschiedsgruß des kurzen, schwindenden Traumes, einen Brief von Frau von Saint Alban erhielt; sie schrieb ihm:

»Wüßten Sie, wie schwer es mir geworden ist, was es mich gekostet hat, wie lieb ich Sie [205] habe! doch alles war dagegen, ich sahe es wohl nachher, wie sehr ich mich auch anfangs selbst betrog. Ich habe geweint, geschluchzt, mit mir, mit dem Herzoge gescholten, ich wollte Blansche den letzten Abend, der mir so viel Thränen gekostet hat, zurückrufen, Sie im Triumph in unser Haus einholen, ich wäre Ihnen um den Hals gefallen, – aber was wäre es gewesen? Sie hätten mich nicht verstanden, so vieles in uns ist Ihnen ganz fremd, das ist es eben! das hat mich in den Tod beleidigt, das vergißt sich nicht. Lieber guter, junger Freund, der Mensch stelle sich wie er wolle, er ist unter Bedingungen da, von denen hängt er ab, die lassen ihn nicht, Sie nun ganz und gar gehörten nicht zu uns. –

Blansche ist so vernünftig, so still und freundlich! das liebe Kind! gestern fragte der Herzog seine Nichte, ob sie sich der Worte noth erinnere, die sie ihm bei ihrem ersten Wiedersehen gesagt habe: es giebt Verhältnisse, die das Gefühl bezwingen und uns harte Pflichten auflegen. Blansche küßte seine Hand, und erwiederte lächelnd, ich habe noch nicht aufgehört so[206] zu denken. Mein armer Alonzo, thut Ihnen das wehe? – Ich berge es Ihnen nicht, lieber Freund, ich habe viel an Louis und eine Verbindung mit meiner Tochter gedacht. Bocourt ist so bescheiden, er versteht das sanfte Kind so gut, aber es wird nichts draus! Blansche liebt ihn wie einen Bruder, doch ich glaube, sie stürbe lieber als diesen Schritt zu thun. Sie fragte mich gestern, wo nähme ich denn ein Gemüth zu solchem Betruge her? – Ich schwieg, lieber Alonzo, ich erröthete vor mir selbst, Pflicht und Gesetz halten die stillen Seelen stets in schicklichem Gleichgewicht, ich beneide sie darum!

Ich fürchte, Blansche hat weit anderes im Sinn. Sie geht fast täglich nach dem Kloster St. Genevieve. Klage ich darüber, so sieht sie mich so bittend an, daß es mir das Herz bricht. Gestern fand ich sie vor dem Bilde der schönen La Vallière. Armand mußte es ihr herunterheben, sie wischte und säuberte daran und betrachtete es mit leidenschaftlicher Theilnahme. Blansche! rief ich, Thränen stürzten mir aus den Augen, sie flog an meine Brust, ich zog sie sanft an mich, mein Kind, fragte [207] ich leise, denkst du daran mir Schmerz zu machen? sie weinte; was recht ist, sagte sie darauf, wird Sie nicht betrüben. Ich weiß es, Alonzo, ich werde Himmel und Erde in Bewegung setzen, zu hintertreiben, was ich fürchte, was ich nicht nennen mag, und werde es doch nicht hindern. Es geschieht gewiß, meine Angst sagt mirs.

Ich suche Sie heut, lieber Alonzo, um Ihnen zu sagen, wovon mir das Herz voll ist. Es ist wohl das letzte mal. Es ist recht betrübt, daß es so ist! ach so vieles ist betrübt im Leben. Es wird alles, alles anders als man denkt! Haben Sie mir denn vergeben, Alonzo? – thun Sie es lieber junger Freund, glauben Sie nur, ich bin auch nicht glücklich, es wird so kraus und bunt um mich her, vielleicht lerne ich mich noch finden! So sagen wir uns nun Lebewohl aus weiter Ferne? Alonzo, ich höre nicht auf ein Kind zu sein! ich weine über das, was ich selbst gewollt!«

Fromme Blansche! rief Alonzo, reife nur in deiner Einsamkeit zur Heiligen herauf! Was willst du auch unter den ungleichen, engen Gemüthern, [208] in der frostigen, abgeblaßten Welt, die sich den eignen Boden untergräbt und den Tag der Rache gewaltsam heranruft.Der Tag wird kommen, tausend Stimmen verlangen, tausend Herzen dursten danach, denn noch ist nichts abgebüßt und keine Schuld getilgt. Ihr Weltklugen mischt nur die Karten und berechnet das Spiel, das Schicksal spielt auch mit und ist ein unzuberechnender Gegner! – Sanfte Blansche, bete du, und rüste deine Schützlinge, laß die Kunst unter Philipps geweiheter Hand groß gewaltig aufblühen, gönne deinem Freunde mit glühenden Waffen seinen Namen in das Buch der Geschichte zu schreiben, und gelte es auch deinem Frankreich und müßte der versteinte Hochmuth noch einmal vor dem Spanier und dem Freiwilligen erzittern!

Er warf sich mit diesen Worten in den Wagen und eilte Kraft und Muth in den Unruhen des Vaterlandes, in neuem glimmenden Krieg zu messen.

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TextGrid Repository (2012). Fouqué, Caroline de la Motte. Romane. Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Der Spanier und der Freiwillige in Paris. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-B1EA-9