[132] Zwei Gedichte Schubarts auf Ph. Matth. Hahn den theosophischen und in der Mathematik erfinderischen Pfarrer in Kornwestheim und Echterdingen, Schubarts Seelsorger während seiner Gefangenschaft auf Hohenasperg

1. An Hahn bei seiner Pfarrveränderung 1781

Mann, vor dem sich Gott enthüllte,
Als er dich mit Licht erfüllte,
Und an Christus statt geschickt;
Hahn, der mit der Lichtgeberde
In die Todesnacht der Erde
Wie ein Stern vom Himmel blickt.
Hör' aus seines Tempels Hallen
Jesu Christi Stimme schallen:
Zeuge meiner Herrlichkeit,
Komm und lasse dein Kornwesten;
Sag es auch zu andern Gästen:
Kommt, denn alles ist bereit!
Ach, nun drängt sich die Gemeinde
Hin zum Lehrer, hin zum Freunde,
Alle Stirnen wölken sich.
Männer, Weiber, Knaben, Kinder,
Christo zugeführte Sünder
Weinen laut und segnen dich.
Wie die Aeltesten der Christen
Ihren Paulus weinend küßten
Und von ihm gen Himmel sah'n,
Ach mit so benetzten Wangen
Seh' ich dir am Halse hangen
Deine Schäfchen, lieber Hahn.
Hahn, du hast uns nichts verhalten,
Sprechen Junge mit den Alten,
Keine Wahrheit, keine Pflicht;
[133]
Warst mit Demuth und mit Zähren
Uns ein Vorbild deiner Lehren,
Hattest Licht und strahltest Licht.
Doch wir danken Gott und schweigen,
Einsame Gebete steigen
Auf zum Himmel, der sie hört;
Nicht die Menschen zu erheben,
Gott die Ehr' allein zu geben,
Hat dein Beispiel uns gelehrt.
Gott, der Herrscher über Welten,
Woll' es ewig dir vergelten,
Was du Gutes an uns thatst.
Jede Fülle, jeden Segen
Woll' er zwiefach auf dich legen,
Den du uns von Gott erbatst.
Droben in des Himmels Höhe,
Vor dem Throne Christus stehe
Dein Kornwesten um dich her.
Jeder fühle neues Leben,
Jeder, den dir Gott gegeben,
Stehe am krystallnen Meer.
Alle rufen: Preis dem Lamme,
Dein erwürgten Gotteslamme!
Brüder, Schwestern betet an!
Jesus Christus der Gerechte
Lohn' es seinem treuen Knechte,
Unserm frommen Lehrer Hahn!
Welch ein Bild vom künft'gen Lohne!
Sieh, ein Blitz von deiner Krone
Zeigt sich schon in dieser Welt.
Ha, zu Myriaden malen
Wird sie dorten heller strahlen,
Wenn die Wolkenhülle fällt.
Laß die Schafe nur zurücke
Mit entwölktem, heiterm Blicke;
Denn dein Hartmann weidet sie.
[134]
Dein getreuer Freund ist Hirte,
Kenner jeder Christenbürde,
Jeder Treu und Hirtenmüh'.
Engel, die Befehle bringen,
Rufen dich nach Echterdingen.
Auf, gehorche dem Befehl!
Wenn auch Welten, wie Satane
Widerständen Gottes Plane –
Geh', hier ist Immanuel.
Steure in des Geistes Rüstung
Der satanischen Verwüstung,
Die der Kirche Christi droht!
Daß der Satan nicht verderbe,
Zeig' ihm bald sein großes Erbe,
Bald den zweiten Feuertod.
Schreibe fort mit Christenmuthe,
Mach' die Feder mit dem Blute
Des erwürgten Lammes roth.
Christi Füße, stark wie Messing,
Treten mehr als einen Lessing,
Treten Teufel selbst in Koth.
Ring' und kämpf' für deine Brüder –
Bete, ach, für Christus Glieder –
Ring' und bete auch für mich!
Dorten blicke in das Ganze,
Dorten im enthüllten Glanze,
Treuer Lehrer, seh' ich dich.
Bruder, gönne mir den Namen,
Ach, den süßen Brudernamen!
Einst im Reiche Jesus soll
Dich mein Geistleib mit Entzücken
An das Herz voll Liebe drücken,
Ganz von Christus Liebe voll.

[135] 2. Auf Hahns Tod

(2. Mai 1790.)


Da senken sie den Mann ins Grab,
Der uns mit treuem Hirtenstab
Ganz nach dem Geist der Gottesschrift
Geweidet auf gesunder Trift.
Wir aber stehen bang und schwer
Um dieses Hirten Leiche her;
Denn, ach, wir irren nun verwaist
Und missen unsers Führers Geist.
Vor seiner Seele stand das Bild
Des treuen Hirten groß und mild,
Der seiner Herrlichkeit gewiß
Sein Leben für die Schafe ließ.
Auch unser Hahn hat Tag und Nacht
Für seiner Heerde Heil gewacht,
Und selbst sein Leben nie gescheut
Für seiner Schafe Seligkeit.
Er sprach mit väterlichem Sinn:
Kommt, Kindlein, kommt zu Jesu hin;
Er ist der Weg, sonst keiner mehr,
Die Wahrheit und das Leben Er.
Dem Sünder ging er sorglich nach.
Wie liebevoll er mit ihm sprach!
Er zeigt' ihm Leben und Gericht
Und macht' ihm fest des Christen Pflicht.
Und riß er dann mit hohem Muth
Die Sünder aus der Höllenglut,
So freute sich der Menschenfreund,
Daß er vor Freude oft geweint.
Sein Herz war ganz von Lieb' erfüllt,
Von Liebe, die aus Christus quillt,
Voll Einfalt, an Erbarmen reich,
Dem Herzen des Johannes gleich.
[136]
Wer war demüthiger, als er?
Sein großer Geist blickt' weit umher,
Sah hoch und tief, sah lang und breit,
Und blieb doch voll Bescheidenheit.
Den Trauernden hat er erquickt,
Den Sterbenden der Welt entrückt;
Denn unsers Hirten Rechte wies
Den Sterbenden ins Paradies.
Schon Mancher steht vor Gottes Thron
Und fleht für ihn um großen Lohn,
Weil er, ach, schon dem Abgrund nah
Durch Hahn des Himmels Pforte sah.
Du starbst so sanft, wie du gelebt,
Vom Todesangriff unerbebt
Sprachst du mit sanfter Stimme Ton:
Mein neues Leben fühl' ich schon.
So nimm den Dank, verklärter Hahn,
Von deinen Echterdingern an.
Dem späten Enkel sagen wir
Noch viel, du theurer Mann, von dir.
Wir weinen alle tief bewegt,
Daß eine Zähr' die andre schlägt.
Tief fühlen wir in unsrer Brust
Den unaussprechlichen Verlust.
Du leuchtest nun im Himmelreich,
Den schönsten Sternen Gottes gleich;
Wir aber wallen noch hinan
Auf dieses Lebens Dornenbahn.
Es sei dein Geist uns immer nah,
Er stärk' uns hier, er stärk' uns da,
Daß unser Geist, von dir beseelt,
Die Himmelsstraße nicht verfehlt.
[137]
Dich aber, Gott, preist unsre Pflicht
Für unsers Lehrers Unterricht.
O gib uns solche Lehrer mehr
Voll Salbung und so treu wie er!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Zwei Gedichte Schubarts auf Ph. Matth. Hahn. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-007A-C