[130] Oetingers Mantel

Als den Elias unsrer Zeit,
Als Oetingern ein Cherubswagen
Ins Reich von Christus Herrlichkeit
In sanftem Säuseln aufgetragen,
Ließ er den Mantel schnell von Strahlenschultern fliegen;
Er wogte durch die Luft herab,
Und blieb an des Propheten Grab
In sanftem Mondenschimmer liegen.
Viel Modeweise unsrer Zeit,
Zu blind für Oetingers verborgene Herrlichkeit,
Und stolz auf ihr Gewand von Spinneweben,
Verachteten den Mantel; ihn
Vom Grab nur aufzuheben,
War viel zu klein für ihren stolzen Sinn.
Auch Herder kam auf seinem Riesengange
Zum Hügel Oetingers, und funkelt lange
Mit Augenblitz den Mantel an;
Doch wandelt' er mit kühnen Schritten
Bald wieder fort auf seiner Bahn,
Und dacht': Mein Mantel ist aus gleichem Stoff geschnitten.
Auch Hahn, des Todten Jünger kam, und stumm
Blieb er am Hügel seines Lehrers stehen;
Sah demuthsvoll hinauf zu Gottes Höhen,
Bückt' sich, und warf den Mantel um.

Notes
Entstanden 1782. Erstdruck nicht ermittelt.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Oetingers Mantel. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-008A-8