16/4591.

An Friederike Unzelmann

Ihr Söhnlein, meine liebe kleine Freundin, ist, wie Sie aus beyliegendem Zettel sehen werden, nunmehr aufgetreten und hat sich dabey als einen wackren Sohn gezeigt. Er besitzt von Natur gar manches, was durch keine Mühe erworben wird, bildet er das aus, und sucht zu überwinden was ihm etwa entgegensteht; so können Sie Freude an ihm erleben.

Nachdem ich sein Talent hie und da versucht hatte, kam ich auf den einfachen Gedanken ihm den Gürge in den beyden Billets zu geben, den soll er nun auch im Stammbaum und im Bürgergeneral machen, wobey manches zu lernen ist. Das erstemal übereilte er die Rolle zu sehr; weil aber jederman das Stück gleichsam auswendig weiß und er sich sehr dreist, gewandt und artig benahm, auch einige naive Hauptstellen glücklich heraushob; so gewann er sich Gunst und Beyfall, die sich, hoffe ich, nicht vermindern sollen.

Er hat Lust zu dem Bruder des Mädchens von Marienburg bewiesen, eine Rolle die ihm unser Becker abtritt, mit dem er überhaupt in gutem Verhältniß steht, dessen Dauer ich wünsche. Ich werde, ehe er auftritt, jedesmal seine Rolle, es sey auf dem Theater, oder im Zimmer, hören, um zu sehen, wo es hinaus geht. An fortdauernden Erinnerungen, besonders, anfangs, wegen des technischen, soll es nicht fehlen.

[150] Übrigens kann man bey seinem Talent dem Glück und der Routine viel überlassen.

Bey einer Theaterdirecktion ist, wie Sie wissen, wenig Freude und Trost zu erleben, indessen hoffe und wünsche ich, daß er mir die Zufriedenheit, die ich mir, in der Folge, von ihm verspreche, nicht verkümmern werde.

Gegen Weihnachten will ich, mit seinem Hausvater, dem Professor Kästner, ein ausführliches Gespräch halten, der bis dahin schon mehr Gelegenheit hat ihn kennen zu lernen.

Theilen Sie meinen Brief Ihrem werthen Gatten, nebst vielen Empfehlungen, mit. Jedermann will den Vater in diesem Sprößling sehen, möge er doch bey uns recht wohl gedeihen!

Ich drücke Ihnen die Hand und küsse Ihre freundlichen Augen.

W. d. 2. Dez. 1802.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1802. An Friederike Unzelmann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6B05-5