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An Friedrich Wilhelm Riemer

Von Ihren willkommenen Emendationen konnte leider nur zum dritten Bogen Gebrauch gemacht werden; ein Irrthum der hiesigen Post-Expedition war Ursache der Verspätung. Hiebey folgt der vierte, welchen ich Dienstag durch die Kinder, welche früh herüber fahren, oder allenfalls Mittwoch Abends durch die Boten zu erhalten wünsche.

Daß Ihre Theilnahme an meinen Naturgedichten[157] mir höchst erfreulich seyn müsse, sehen sie aus beykommendem Blatt; diese Strophen enthalten und manifestiren vielleicht das Abstruseste der modernen Philosophie.

Ich werde selbst fast des Glaubens, daß es der Dichtkunst vielleicht allein gelingen könne, solche Geheimnisse gewissermaßen auszudrücken, die in Prosa gewöhnlich absurd erscheinen, weil sie sich nur in Widersprüchen ausdrücken lassen, welche dem Menschenverstand nicht einwollen.

Leider ist bey solchen Dingen das Wollen dem Vollbringen nicht sehr förderlich, es sind Gaben und Gunsten des Augenblicks, die zuletzt, nach langer Vorbereitung, zufällig, ungefordert erscheinen.

Noch muß ich berichten daß ein Engländer sich auf das zierlichste für die Einheit homerischer Gesänge erklärt; es scheint daß nach der Zeit des Sonderns und Zerstreuens nun die Epoche des Sammlens und Vereinens sich hervortue.

Schubarth ist himmlisch, der Engländer bewegt sich in derselben Region, nur nicht so durchgreifend. Dieß ist denn doch zusammen höchst erfreulich; dem Dichter muß, wenn er sich auch stille verhält, das Chorizontenwesen immer unangenehm und störend bleiben.

Manches andere Gute ist mir noch begegnet; womit ich nächstens meinen Eintritt in Weimar zu illustrieren hoffe.

[158] Leben Sie recht wohl, grüßen die lieben Ihrigen und erhalten mir Wohlwollen und Theilnahme lebendig.

treulichst

Jena den 28. October 1821.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Friedrich Wilhelm Riemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E2B-8