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An Friedrich Immanuel Niethammer

Wohlgeborner
Insonders Hochgeehrtester Herr,

Meine dankbare Bereitwilligkeit gegen Ihre vertrauliche Mittheilung kann ich nicht besser an den Tag legen, als indem ich Ihnen zu beliebiger weiterer Beförderung meine Gedanken über die Verfassung eines lyrischen Volksbuches aufrichtigst mittheile. Da ich diesen Plan mit ähnlichen schon lange bey mir hege; so wünsche ich daß davon nichts öffentlich bekannt würde, weil er in unsern schreib- und verlaglustigen Zeiten und bey der hergebrachten Präoccupation einer Idee, die sich nur irgendwo blicken läßt, gar leicht durch geschäftliche Hände auf eine ungeschickte Weise zu Tag gefördert werden könnte. Habe Sie[156] die Güte mir anzuzeigen, in wie fern er den mir geäußerten Wünschen entgegenkommt.

Fände man ihn jenen Zwecken gemäß, so würde ich mich gern näher darüber erklären; wozu ich mir aber Frist, wenigstens bis Weihnachten, auszubitten hätte. Es findet sich gar zu viel Dringendes um mich her, als daß ich mich mit Ernst sogleich zu einem so bedeutenden Gegenstande wenden könnte.

Überhaupt ist es eine von den Unternehmungen, die immer wachsen jemehr man sich ihnen nähert, die immer tiefer werden, je tiefer man hineinkommt, wobey ein entschiedner Plan, ein förmliches Engagement kaum denkbar ist, weil man vielleicht ganz zuletzt den Stoff den man nach einer Methode gesammelt hat, nach einer ganz andern zu ordnen bewogen wird.

Daß die Idee des Ganzen von Einem ausgehe und die endliche Redaction von Einem abhange, ist vielleicht eine unerläßliche Bedingung und ich verehre daher die Einsichten und das Zutrauen eines hohen Gouvernements, das eine solche Einleitung beliebt und mir das besondere Vertrauen geschenkt hat. Die Zeit die ich mir erbitte, die Sache genauer zu überlegen, soll für das Geschäft nicht verloren seyn. Jedoch wünschte ich einen förmlichen Antrag bis auf jene Epoche verschoben; wobey ich Ew. Wohlgebornen bitte meine dankbare Ergebenheit Hohen und Höchsten Ortes auf das lebhafteste auszusprechen.

Möchten Sie vielleicht indessen was den technischen [157] äußern Theil betrifft, einige Berechnungen machen lassen sowie auch wegen des Betriebs und zu hoffenden Absatzes. Vielleicht könnte gerade bey Gelegenheit dieses Werks die gewünschte Einleitung geschehen, daß in allen Bundesstaaten kein Nachdruck stattfinden könnte. Vielleicht ließe sich dieß auch in den östreichischen Erblanden durch hohen Einfluß erhalten, und so müßte das Werk die darauf zu verwendenden Unkosten, wie mich dünken sollte, sattsam wieder einbringen, und für die Folge da sich mehrere Auflagen nothwendig machen werden, noch eine Rente versprechen, wie bey solchen fortdauernden Verlagsartikeln mehr oder weniger der Fall ist.

Was wir sonst bey meinen Überlegungen und Vorarbeiten zur völlig zweckmäßigen Leitung dienen könnte, bitte mir auf das freyeste mitzutheilen. Es wäre gewiß so interessant als nothwendig manches locale Bedürfniß, so wie manche örtliche Gesinnung zu beachten.

Ich bitte das Extemporirte und Aphoristische meines Aufsatzes und Briefes zu entschuldigen. Beyde wurden unter mancherley Drang concipirt. Ich eile jedoch, um den zufälligen Aufschub wieder gut zu machen.

Eine Antwort auf das gegenwärtige bitte nach Weimar zu senden, weil es ungewiß ist, wie lange ich mich hier noch aufhalte.

Der ich mich unter den besten Wünschen zu geneigtem Andenken empfehle, und mich gar zu gern[158] jener Zeiten gemeinsamen Strebens erinnere, die für uns und unser Vaterland nicht ohne Folgen geblieben sind.

Ew. Wohlgeboren

Carlsbad

gehorsamster Diener

den 19. Aug. 1808.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Friedrich Immanuel Niethammer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6FCA-7