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An Kaspar von Sternberg

[26. September 1826.]

Daß ich meinen gnädigsten Herrn in Gedanken nach Prag begleitet und weimarische Freunde in Carlsbad besucht habe, beides mit dem Wunsche, den [164] unterhaltenden und belehrenden Umgang des verehrten Freundes zu genießen, darf ich nicht aussprechen noch versichern. Möge gegenwärtiges, sehr tumultuarisch zusammengebrachte Paquet geneigt aufgenommen werden; ich sende es ab unter dem Vorbehalt von mancherlei andern Mittheilungen, welche beweisen sollen, daß ich nicht müßig noch meiner Freunde uneingedenk geblieben bin. Dagegen ich mir denn auch Nachricht und Kenntniß erbitte, wie der verehrte Freund seine Zeit benutzt, was er von seiner Reise weiter aufzeichnen möge, was ihn zunächst umgibt und interessirt.

Bey mir drängt sich so vieles zusammen, wovon erst in einiger Zeit genießbare Resultate, wie ich hoffe, sich ergeben werden; die Aussicht aber auf ein persönliches Erscheinen im künftigen Frühjahre, die man mir eröffnete, bleibt mir das Allerwünschenswertheste.

Tausend Lebewohl! und Verzeihung dieses höchst tumultuarisch zusammengebrachten, aber nicht weiter zu verspätenden Paquets.

treu anhänglich
Weimar den 21. September 1826.
Goethe.

Gegenwärtige Sendung enthält:

1) Kunst und Alterthum V, 3, dem geneigten Empfänger gewidmet.

2) Ein Exemplar, mit Bitte, solches an Professor Zauper zu befördern.

[165] 3) Einiges auf Herzog Bernhards Reise nach den Vereinigten Staaten Bezügliches.

4) Anfrage wegen einer merkwürdigen Versteinerung.

5) Einige botanische Notizen.

6) Ein Gedicht zum 28. August.

7) Einige Exemplare Anzeigen von Goethe's Werken.

8) Herrn Professor Pohls Ultimatum über die Eschwegische Raiz preta.

Auch mit diesem Hefte, verehrter Freund, muß ich wiederholen, daß ich mich bey'm Verfassen und Redigiren desselben im voraus gefreut habe, meinen theuren Abwesenden, denen ich so lange geschwiegen und von denen ich wenig vernommen, werde dadurch einiges Angenehme zubereitet. Hier ist es, wie es gelingen wollen und möge nun erfreuen, aufregen und Gedanken veranlassen die es nicht bringt.

Ich habe diese schönen Sommerwochen her ein körperlich-zufälliges Übel geduldet, ohne eigentlich zu leiden. Billigen Forderungen an meine Geisteskräfte konnte ich genugthun. Ich habe einiges hervorgebracht, das sich ausweisen läßt, manches Andere in's Ganze gearbeitet, in der Absicht, daß die ersten Sendungen meiner Werke immer bedeutender werden möchten, sodann um den übrigen auch manchen Vortheil zu [166] verleihen. Wie denn hiebey einige Exemplare der Anzeige zu gefälligem Gebrauch erfolgen.

Sollte das französische Journal Le Globe bis zu Ihnen gelangt seyn oder dort Eingang finden können, so darf nicht erst bitten, solches zu beachten. Personen höhern Standes und Einsicht dürfen es nicht ungelesen lassen. Die erste Nummer des 4. Bandes ist den 15. August ausgegeben worden. Diese Blätter geben uns dreymal die Woche viel zu denken. Ich sehe recht gut, daß ihre Zwecke weiter liegen, als mir in meinem Alter und nach meinen Gesinnungen auszublicken erlaubt ist; aber ihre Betrachtungen rückwärts und vorwärts sind höchst belehrend. Die Verfasser zeigen sich streng und kühn, gründlich und mitunter rhadamantisch; sie sprechen absichtlich, deshalb man sich ihnen nicht hingeben darf, mit großem Verstand und Umsicht, die man bewundert, wenn auch nicht beystimmt. Der Zeitgeist läßt sich hier klar, mächtig und furchtbar erblicken.

So eben vernehme, daß die drey ersten Theile des Globe wieder abgedruckt werden sollen und Subscription darauf angenommen wird. Sollte das alles schon bekannt seyn, so möge das Gegenwärtige als Zeugniß meines Antheils gelten. Jeder Staats- und es Weltmann sollte sich wöchentlich solche Betrachtungen verschaffen, wenn er sie auch vor der Menge secretirt, die ohnehin nur zufällig gebraucht oder mißbraucht, was ihr der Art geboten wird.

[167] Freundliche Mittheilungen aus Frankreich, besonders von Herrn Cuvier, haben mich wieder in die Naturbetrachtung gezogen. Die Elogen von Beauvais, Banks, Hauy, Berthollet, Richard, Thouin, deren verschiedene ich schon einzeln gekannt, nunmehr in Einem Bande zu sehen, hinter einander wegzulesen, ist von großer Bedeutung.

»Solche Mühe hat Gott den Menschen gegeben.« Im Arbeiten belohnen wir uns selbst, und die Resultate sind denn doch auch erfreulich. Herrn Cuviers beide Vorträge über die Veränderungen der neusten Chemie und die praktischen Vortheile derselben, so wie der Vortrag über den Zustand der Naturgeschichte und ihren Zuwachs seit dem Frieden geben die schönsten Übersichten. Am reichsten aber und vollkommen zusammenhängend ist der Discours sur les révolutions de la surface du globe 1826, die dritte Ausgabe, wo der Verfasser alles benutzt hat, was seit der ersten ist bemerkt worden. Es zeigt dieses Werk den gegenwärtigen Zustand der Geologie auf das klarste, und ich erkenne es mit höchstem Dank. Doch fällt mir bey meiner Art, die natürlichen Dinge zu betrachten, jenes geistreiche Wort dabey ein: »Der Franzose liebt das Positive und wenn er's nicht findet, so macht er es.« Dieses ist zwar aller Menschen angeborne Natur und Weise, die ich, wenn nicht zur Erbsünde doch wenigstens zur Erbeigenheit rechnen möchte und mich deshalb möglichst davor zu hüten oder vielmehr sie auszubilden suche.

[168] Der Mensch gesteht überall Probleme zu und kann doch keines ruhen und liegen lassen; und dieß ist auch ganz recht, denn sonst würde die Forschung aufhören; aber mit dem Positiven muß man es nicht so ernsthaft nehmen, sondern sich durch Ironie darüber erheben und ihm dadurch die Eigenschaft des Problems erhalten; denn sonst wird man bey jedem geschichtlichen Rückblick confus und ärgerlich über sich selbst. Jahrzehnte haben wir uns mit Berthollet in den Wahlverwandtschaften abgemüdet, die man jetzt so wenig als meinen Roman will gelten lassen.

Wenn Herr Cuvier mit seinem obgenannten Discours mich zu den animalischen Resten der spätesten Epochen geführt hat, so nahm ich, weiter in der Weltbildung zurückschreitend, die sehr schöne Vorlesung: Regensburg den 20. September 1824 wieder zur Hand, um mich erfreulich zu belehren.

Die Terrämotisten bringen mich dagegen nicht aus der Fassung; von Zeit zu Zeit findet man doch noch hie und da ein vernünftiges Wort.

»Wenn die Herren fortfahren die Erde von Grund aus zu erschüttern, so muß die Wissenschaft davon einen harten Stoß erleiden.«

Russell
Weimar den 19. September 1826.
G.

Beykommendes Gedicht begrüßte unsern Herzog Bernhard zu seiner glücklichen Rückkehr aus Amerika; [169] das ununterbrochene Tagebuch seiner fast zweyjährigen Wanderungen durch die Vereinigten Staaten ist höchst erfreulich. Die neusten Reisen haben immer das Reizende der Zeitung; wenn diese die letzten Weltereignisse überbringen, so stellen jene die neusten Zustände dar, und da sie das Vergangene mitnehmen müssen, so sieht man auf einmal das Beharren, Vorschritt und Rückschritt. Nächstens mehr über die vorzüglichen Eigenschaften und Eigenheiten dieser weitläufigen Hefte; indessen nur einige Stellen wie ich sie heute las.

(Da aber noch Platz übrig ist, setze hier her, wie ich mich vor einiger Zeit darüber ausdruckte.)

»Was ich vorzüglich bewunderte, war die Strategie, womit der Zug unternommen und ausgeführt wurde; es geschieht kein zufälliger Schritt und also auch kein unnützer. Der Reisende erscheint durchaus im Gleichgewicht; alle seine Eigenschaften begleiten sich geschwisterlich, und wer ihn nicht kennte, müßte gar eigen herumrathen. Man sieht einen überall willkommenen Welt- und Lebemann einen wohlunterrichteten geprüften Militär, einen Theilnehmenden an Staats- und bürgerlichen Einrichtungen, bey Gastmahlen und Tänzen an seinem Platz, gegen Frauen-Anmuth nicht unempfindlich. Ferner sehen wir ihn bey öffentlichen Gelegenheiten beredt aus dem Stegreife, in der Conversation unterhaltend, mit Anstand frey gesinnt, seiner Würde sich bewußt und die Vortheile seines [170] hohen Standes zu einem leichtern und raschern Leben benutzend.

Dabey entzieht er sich keiner Unbequemlichkeit. er weiß vielmehr, besonders auf der Reise, die geselligen oft beschwerlichen Fahrten zu Leben und Unterricht zu benutzen. In Philadelphia verließ ich ihn an dem wichtigen Jahrstage von Penns Ankunft an jenem waldigen Ufer, wo nun zwischen zwey Gewässern eine merkwürdige reiche Stadt bewohnbar ist.«


Fossile Muschel.

Vom Berg Salève bey Genf, entdeckt vom Herrn de Luc und von ihm Bivalve Pennigène genannt. Zu lesen ist die nähere Beschreibung Voyage de Saussure dans les Alpes, Tom. I § 244, und die Abbildung Tab. II fig. 5 und 6 zu sehen.

Ich erhielt aber eine solche von Ihro Durchlaucht dem Fürsten

von Thurn und Taxis,

sie findet sich auf seiner Herrschaft in Böhmen, von welcher den Namen vergessen habe und leider unter meinen Papieren nicht finden kann; daher wünsch ich denselben zu erfahren.


Im Namen meines Sohnes, der sich ehrerbietig empfiehlt, um einige Exemplare Trilobiten ersuchend.
23. S. 26.

G.


[171] Vorstehendes wäre als der Abschluß einer weitläufigen Correspondenz zu betrachten, welche, auf Veranlassung des Langsdorffischen Trompetenstoßes, zwischen Herrn Nees v. Esenbeck, Martius, mir und andern, mit Theilnahme unsres gnädigsten Herrn und einiger hiesigen Ärzte geführt ward. Hieraus erhellet, daß die Irrung hauptsächlich durch eine falsche Abbildung verursacht war, an der nun wohl weiter nichts aufzuklären seyn dürfte.

G.


Ein von dem Ausfluß der Elbe herkommender Freund gibt folgende Nachricht: das mit vielen erdigen Theilen geschwängerte Wasser dieses großen Flusses jetzt, von der Fluth zurückgehalten, auf jedem angeschwemmten Kies die fruchtbaren Theile nieder. Da erscheint denn im ersten Jahre

Salicornia herbacea,

welche tiefe Wurzeln schlägt und das Land befestigt.
Dann kommt

Salsola Kali.

Zuletzt, bey völlig gebildetem Boden, kommt

Triglochin maritimum.

Man glaubt hier ein Analogon urzeitlicher Pflanzensteigerung zu erblicken.
Verzeihung, daß ich Eulen nach Athen trage!
[172]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Kaspar von Sternberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7B76-6