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An Ludwig Ysenburg von Buri

Mein Herr.

Ich will alle meine Entzückungen und alle meine Freuden versparen, biß ich die Ehre habe Ihnen zu sehen, denn meine Feder ist sie nicht vermögend auszudrucken. Sie sind allzugütig gegen mich, da Sie mir sobald Hoffnung machen, in ihre Gesellschaft einzutretten, da ich dieses Glück weit von mir entfernt zu seyn glaubte. Ich bin Ihnen sehr davor verbunden.

Alexis ist einer meiner besten Freunde. Er kann Ihnen gnug aus der Erfahrung erzehlen. Ich habe Ihm eingebunden, alle nur mögliche Wahrheiten zu bekennen. Er soll keinen von meinen Fehlern auslaßen, aber auch mein Gutes nicht verschweigen. Mit allem dem aber bitte ich, daß Sie sich selbst die Mühe geben möchten, mich zu prüfen, denn so klug Alexis auch ist, so könnte ihm doch etwas verborgen bleiben, das Ihnen unangenehm seyn möchte. Ich gleiche ziemlich einem Camaeleon. Ist nun meinem Alexis zu verdencken? Wenn Er mich noch nicht von allen Gesichts-Puncten betrachtet hat. Genug hiervon.

Sie mögen sich aufs leugnen legen, wie Sie wollen, so verrathen Sie sich gar balde. Sie sprechen sich Vollkommenheiten ab, und eben in dem Augenblicke leuchten solche aus ihren Handlungen hervor.

[4] Ihre Vorsichtigkeit ist lobenswürdig. Fern daß Sie mich beleidigen sollten, so ist sie mir vielmehr angenehm, und dienet vielleicht gar zu meinem Ruhm. Wäre ihre Gesellschafft so beschaffen, daß jeder dem es einfiele, ohne Untersuchung hineinkommen könnte, wenn er sich nur meldete, sollte es gleich der größte Dumm-Kopf seyn. Wäre dieses wohl eine Ehre vor mich? O nein! Aber da Sie erst wählen, prüfen und untersuchen, so gereichet mir dieses zur grösten Freude, wenn Sie mich ia noch einnehmen solten. Sie vergleichen sich mit dem Herrn von Abgrund, aber dieses Gleichnüß ist falsch, und zwar sehr falsch. Gehen Sie die ganze Person durch, und halten Sie sich dargegen, so werden Sie lauter Merckmahle finden, die nicht miteinander übereinstimmen. Er macht ein Geheimnüß aus einer Sache, die es nicht ist, und ist in dem übertriebensten Grade mißtrauisch, Sie aber sind es mit Recht. Daß Ihre Vorsicht im geringsten nicht übertrieben ist, will ich mit einem Beyspiel beweisen.

Wir haben viele Dumm-Köpfe in unsrer Stadt, wie Ihnen ohne Zweifel gar wohl bewust seyn wird. Gesetzt nun, einem solchen fiele ein, in Ihre Gesellschaft zu tretten. Er ersucht seinen Hofmeister, ihm einen Brief aufzusetzen, und zwar einen allerliebsten Brief. Dieser thuts, der iunge Herr unterschreibt sich. Da durchbekommen Sie einen hohen Begriff von seiner Gelahrtheit, und nehmen ihn ohne Untersuchung [5] auf, wenn Sie ihn beym Lichte betrachten, so finden Sie, daß Sie statt eines Gelehrten, Ihre Gesellschafft mit einem Rinds-Kopf vermehret haben. Das ist unverantwortlich! Es ist nun gar möglich daß ich auch ein solcher bin, Ihre Vorsichtigkeit ist also wohl angewandt.

Vor diesmal schreibe ich nichts mehr, als nur noch die allergewißeste Versicherung, daß ich bin, und immer bleiben werde

Frankfurth

den 2ten Junii

1764.

Meines Herrn ergebenster Diener Joh. Wolfg. Goethe. [6]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1764. An Ludwig Ysenburg von Buri. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7E3F-8