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An Sulpiz Boisserée

Herzlicher Dank für Ihr Kommen und Bleiben sey Ihnen auch gesagt, daß Sie alsobald von Frankfurt aus unsere wichtigen Gespräche fortsetzen und erneuern wollen. Möge sich alles dergestalt fügen, daß man hoffen darf, sich öfter wieder zu sehen; denn wie merkwürdig und selten ist es, daß zwey Personen, von so verschiedenem Alter, von verschiedenen Lebenspuncten [52] ausgehend, doch immer wieder, wenn sie sich nach langen Jahren auf ihren Wegen treffen, eine Weile gerne zusammen fortgehen, sich im Innersten aller Hauptpuncte übereinstimmend finden, wenn die Peripherie der Zustände und Gesinnungen ihnen auch zunächst auf gesonderte Wege hindeutet.

Höchst wichtig war es mir, auf die gründlich basirte Kenntniß von Paris, die ich durch Sie, mein Theuerster, gewonnen, nun die neusten Erfahrungen niederzulegen, wie Herr Professor Rauch sie mir in diesen Tagen brachte. Die Unterhaltungen mit meinen Freunden vom Globe werden dadurch nur lebendiger, und ich bin an dem Orte so gut als persönlich gegenwärtig, den ich, ungeachtet aller Schnellposten, nicht mehr erreichen kann.

Gar manches Andere hätt ich wohl bey längerem Aufenthalte mitgetheilt, andere Mittheilungen mir erbetend; denn freylich läßt sich dergleichen durch Briefe weder suppliren noch surrogiren.

Mein Übel ist im Abklingen, aber dem Unfall meiner Schwiegertochter hat sich ein Zwischenübel beygemischt, das die Ärzte in der Hauptsache für günstig halten, wir aber als ein unerfreuliches Zwischenspiel empfanden.

Ich aber habe keine Pause gemacht, meine Obliegenheiten zu erfüllen, und ich konnte mein Übel, das Sie mir schon so sehr erleichterten, um so mehr ertragen, da es mich zuletzt nicht im mindesten hinderte.[53] Die ersten Revisionsbogen von Kunst und Alterthum sind angelangt, möge doch auch in diesem Hefte Sie einiges zur Theilnahme rufen.

Merkwürdiges ist von manchen Seiten zu mir gekommen, sogar von der besten Art, was ich wohl noch gern mitgetheilt hätte; auch bin ich, zufällig wie es zu gehen pflegt, in das Lesen älterer Werke, in den Conflict des 16. Jahrhunderts gerathen, wo eben Sitte, Religion, Wissenschaften unaufhaltsam durch einander geschüttelt werden und zwar, genau besehen, durch äußere Weltereignisse, die sich mit ihnen in Verhältniß setzen, ohne eigentlich einen Bezug auf sie zu haben.

Über München hab ich durch Herrn Rauch gleich falls mehr Klarheit erhalten. Es ist eine höchst lebhafte Bewegung daselbst; wie sie sich regelt und modelt ist abzuwarten; der große gute Wille ruft alle unsere besten guten Wünsche zum glücklichen Gelingen. Geben Sie mir bald Nachricht, inwiefern sich Ihr Geschäft entscheidet. Ich bin freylich allzusehr dabey interessirt, doch mag ich weder Gemüth noch Einbildungskraft dabey walten zu lassen. In Gefolg Ihres Besuchs bey den Frankfurter Freunden, hoff ich, soll auch bald etwas dorthin von mir gelangen, wenn ich nur erst ein viertelhundert versäumte Antworten vom Stapel gefördert habe.

Soviel für dießmal, grüßen Sie die theuren Ihrigen, in deren Nähe Gegenwärtiges Sie wahrscheinlich [54] antrifft. Auch Herrn und Frau v. Cotta bitte meine besten Empfehlungen auszurichten. Sodann erlauben Sie, daß ich wieder einmal in Geschäften einiges vermelde und anfrage. Setzen Sie Ihre geneigte Vermittlung fort, die bey einem so mannichfaltig verschränkten Unternehmen immer höchst nöthig und dankenswerth bleibt.

treu angehörig

Weimar den 16. Juni 1826.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8399-A