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An Carl Friedrich Zelter

Nehmen Sie den besten Dank, lieber Freund, für das was Sie an dem jungen Eberwein thun wollen und können. Die Kunstwelt liegt freylich zu sehr im Argen, als daß ein junger Mensch so leicht gewahr werden sollte worauf es ankommt. Sie suchen es immer wo anders als da wo es entspringt, und wenn[191] sie die Quelle ja einmal erblicken, so können sie den Weg dazu nicht finden.

Deswegen bringen mich auch ein halb Dutzend jüngere poetische Talente zur Verzweiflung, die bey außerordentlichen Naturanlage schwerlich viel machen werden was mich erfreuen kann. Werner, Öhlenschläger, Arnim, Brentano und andere arbeiten und treibens immerfort; aber alles geht durchaus ins form-und charakterlose. Kein Mensch will begreifen, daß die höchste und einzige Operation der Natur und Kunst die Gestaltung sey, und in der Gestalt die Specification, damit jedes ein besonderes bedeutendes werde, sey und bleibe. Es ist keine Kunst sein Talent nach individueller Bequemlichkeit humoristisch walten zu lassen; etwas muß immer daraus entstehen, wie aus dem verschütteten Samen Vulcans ein wundersamer Schlangenbube entsprang.

Sehr schlimm ist es dabey, daß das humoristische, weil es keinen Halt und kein Gesetz in sich selbst hat, doch zuletzt früher oder später in Trübsinn und üble Laune ausartet, wie wir davon die schrecklichsten Beyspiele an Jean Paul (Siehe dessen letzte Production im Damenkalender) und an Görres (Siehe dessen Schriftproben) erleben müssen. Übrigens giebt es noch immer Menschen genug die dergleichen Dinge anstaunen und verehren, weil das Publicum es jedem Dank weiß, der ihm den Kopf verrücken will.

Haben Sie die Gefälligkeit, lieber Freund, wenn [192] Sie eine Viertelstunde Zeit finden, mir die Verirrungen der musikalischen Jugend mit einigen Zügen zu schildern: ich möchte sie mit den Mißgriffen der Maler vergleichen; denn man muß sich ein für allemal über diese Dinge beruhigen, das ganze Wesen verfluchen, an die Bildung anderer nicht denken und die kurze Zeit die einem übrig bleibt zu eigenen Werken verwenden.

Indem ich mich aber so unfreundlich hierüber ausdrucke, so muß ich doch, wie es den gutherzigen Polterern zu gehen pflegt, mich sogleich zurücknehmen und Sie ersuchen, Ihre Aufmerksamkeit auf Eberwein wenigstens bis Ostern fortzusetzen, da ich ihn denn abermals zu Ihnen senden werden. Großes Zutrauen zu Ihnen, großen Respect vor Ihrer Anstalt hat er gefaßt; aber auch das will leider bey jungen Männern nicht viel sagen: denn heimlich dencken sie denn doch, man könne das Außerordentliche auch auf ihre eigne alberne Manier hervorbringen. Vom Ziel haben viele Menschen einen Begriff, nur möchten sie es gern schlendernd auf irrgänglichen Promenaden erreichen.

Durch die Zeitungen sind Sie diesen Monat über genugsam an uns erinnert worden. Bey diesen Begebenheiten persönlich gegenwärtig zu seyn, war viel werth. Von einer so seltsamen Constellation habe ich auch günstigen Einfluß erfahren. Der Kaiser von Frankreich hat sich sehr geneigt gegen mich erwiesen. Beyde Kaiser haben mich mit Sternen und Bändern[193] beehrt, welches wir denn in aller Bescheidenheit dankbar anerkennen wollen.

Wie sehr wünsche ich daß auch Sie und Ihre Mitbürger von dieser Epoche an Trost und Beruhigung finden mögen; denn Ihre Leiden gingen bisher über das erträgliche Maaß. Sie sind also persönlich noch immer in öffentlichen Geschäften? Sagen Sie mir gelegentlich ein Wort, in welchen Verhältnissen. Herrn Geheimrath Wolf grüßen Sie vielmals: wir denken bald sein Töchterchen bey uns zu sehen.

Verzeihen Sie, wenn ich über die neusten Begebenheiten nicht mehr schreibe. Verwundern werden Sie sich schon beym Lesen der Zeitungen, wie diese Fluth von Mächtigen und Großen der Erde sich bis nach Jena gewälzt. Ich enthalte mich nicht Ihnen einen merkwürdigen Kupferstich beyzulegen. Der Punct wo der Tempel steht ist der fernste wohin dießmal Napoleon gegen Nordost gekommen ist. Wenn Sie uns besuchen, welches der Himmel gebe! so will ich Sie auch auf den Fleck stellen, wo hier das Männchen mit dem Stocke in die Welt deutet.

Für heute nicht mehr. Ich habe so viele Briefschulden, daß ich nicht weiß wo ich anfangen soll sie abzutragen.

Weimar den 30. October 1808.

G. [194]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1808. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AF5-2