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An Johann Gottfried Herder

[10. Mai.]

Ich wünschte dir mit diesem Blatt noch irgendwo zu begegnen, da ich von deiner Frauen höre daß du, mehr als gut ist, dem Gedancken nachhängst: von hier zu scheiden und nach Göttingen zu gehen. Wenn es dein Glück, dein oekonomischer Vortheil ist; so will ich dir es gern gönnen und selbst rathen; aber wenn man vortheilhaft tauschen will; so muß man das [112] nicht verachten was man besitzt. Entschließe dich zu nichts biß du wieder da bist, laß uns alles erwägen und dein und deiner Kinder Heil soll entscheiden. Jetzt beruhige dich! Allein, unberathen, ohne Stimme eines Freundes, agitirt von so vielen Gegenständen, unbehaglich mitten in den Unbequemlichkeiten der Reiße, da ist warrlich nicht der Platz einen Entschluß zu faßen der das künftige Schicksal bestimmen soll. Hier ist zu rechnen und nicht zu fühlen, zu erwägen und nicht in einen Loostopf zu greifen.

Dein und deiner Frauen jetziger Zustand macht mir recht bange. Wenn ihr euch nicht im Glauben und Zutrauen an einen Freund halten mögt, den ihr lange genug kennt, so seyd ihr in Gefahr euch auf Zeitlebens zu Grunde zu richten.

Ich wiederhohle: Mir ist nicht an Weimar noch Göttingen gelegen, sondern an dir und den deinigen. Bedencke daß du nicht als ein junger Mensch dein einzeln Schicksal aufs Spiel setzest, das in der Folge sich immer wieder besser kann, wenn man es auch einmal verpfuscht, sondern daß du in Jahren, mit einer großen Familie dich veränderst und daß dein Gemüthe, wie das deiner Frau nicht aushalten würde, wenn der Göttinger Zustand mißlingen und euch drückend werden sollte.

Reiße glücklich und komm gebadet zu uns, dann wollen wir consultiren und dein Heil soll das höchste Gesetz seyn.

[113] Lebe wohl. Ich habe mich wacker durchgehalten und bin wohl und vergnügt. Ich brauche noch auf mehr als eine Weise deinen Segen und deine Hülfe, die du mir nicht versagen wirst, wenn auch dein Entschluß sich zum Scheiden von uns neigen sollte. Leb wohl.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1789. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8C5F-2