[146] 21/5870.

An Carl Friedrich Zelter

Wann und was ich Ihnen zuletzt geschrieben, weiß ich wahrlich nicht mehr: denn die Tage versehen bey mir den köstlichen Dienst des Schwammes, daß sie das nächstvergangene unmittelbar vor der Erinnerung[146] auslöschen. Im Gefühl bleibt mir alles und das sagt mir, daß ich Ihnen mancherley schuldig bin. Indem ich mir nun das wider vors Gedächtniß hervorrufe, so erscheine mir zuerst die kostbaren Rübchen, welche zu vergessen mir auch schwer werden würde, weil sie, ehe ich mich's versehe, wieder einmal ganz köstlich auf dem Tische stehn. Donnerstags und Sonntags zunächst läßt uns Eberwein gar manches hören was er mitgebracht und was er uns nur in Kraft Ihrer Sendung und Salbung mittheilen kann. Die Schillerschen Sachen sind ganz vortrefflich gefaßt. Die Composition supplirt sie, wie eigentlich das Lied durch jede Composition erst vollständig werden soll. Hier ist es aber ganz was eignes. Der denkende oder gedachte Enthusiasmus wird nun erst in das freye und liebliche Element der Sinnlichkeit aufgehoben oder vielmehr aufgeschmolzen. Man denkt und fühlt und wird mit hingerissen.

Daß die scherzhaften Sachen ihren Effect nicht verfehlen, können Sie gleichfalls denken, da ich zu diesen Dingen mehr Neigung habe und am Ende sich's jeder gefallen läßt froh zu seyn oder zu werden.

Eberwein nimmt sich recht gut. Er ist durch Ihre Hülfe in allem weiter gekommen als die die er in der kleinen Anstalt zu dirigiren hat, und arbeitet sich, soviel ich in einer Sache urtheilen kann die ich gar nicht verstehe, ganz gut heraus. Der Vorrath unseres kleinen musikalischen Archivs ist für unsere Zwecke [147] auch schon ganz ansehnlich, und so schwach das alles ist, gegen das was Sie gethan und thun, so ist es doch immer etwas. Wie schätzen wir nicht einen Kupferstich von einem Gemälde das wir nicht sehen können.

Diese Wintermonate bin ich fleißig so gut es gehen will, um das Farbenwesen loszuwerden; alsdann will ich aber auch selbst dem Regenbogen den Rücken kehren, welcher durch diese boshafte Attitüde auf alle Fälle für mein Ich vernichtet wird. Wie sich der Frühling nur spüren läßt, gehe ich nach Carlsbad, um wo möglich nach meiner alten Weise dort zu leben.

Sagen Sie mir gelegentlich etwas von sich und schicken Sie mir irgend etwas, mich zu erfreuen. Wir haben zwar des alten unerforschten sehr viel, aber das neue Nächste hat den größten Reiz.

Weimar den 21. December 1809.

G.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1809. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8E0C-A