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An Carl Friedrich Zelter

Da du, mein lieber schweigsamer Freund, grade zur rechten Zeit die Zähne von einander thust; so soll dir das bisherige Versäumniß von Herzen verziehen und überdieß der schönste Dank gesagt seyn. Schon waren mir verständige und ausführliche Nachrichten von der Aufführung des Epimenides zugegangen, nun kommst du aber mit kühner Feder, das Tüpfchen auf das i, das Häkchen über's u zu setzen, und nun wird mir die Schrift erst vollkommen lesbar.

Alles beruht darauf, daß ein solches Stück ein Dutzend mal hintereinander gegeben werden könne. Vergegenwärtige man sich die Elemente, aus welchen[265] eine solche Vorstellung zusammengesetzt ist, und man wird an einer glücklichen Ausführung beynahe verzweifeln.

1) Die Arbeit es Dichters als Grundlage, der durchaus hier immer den äußern Sinn beschäftigen und zugleich den innern anregen will, der vom Zuschauer verlangt, daß er jeden Augenblick schaue, merke und deute.

2) Der Componist, der das Gedicht begleiten, tragen, heben und fördern soll, und auch diese seine Pflicht mehr oder weniger erfüllt.

3) Das Orchester, das die Intention des Capellmeisters vollkommen ausführen soll.

4) Schauspieler und Sänger, die an dem ihnen in die Hand gegebenen Leitfaden sich durch so manche Gefährlichkeiten hindurch zu winden haben, jeder einzeln seine Pflicht thun, und doch auf die übrigen merken soll.

5) Gedenken wir der Kleidung, die auch nicht gleich paßt und bequem ist.

6) So mancher kleinen Requisiten, auf die soviel ankommt.

7) Der Decoration, deren Erfindung zum Ganzen stimmen, an deren Verändrung nichts stocken soll

8) Und nun dann ein Publicum aus so vielen Ständen und Culturen zusammengesetzt, das, wenn gleich mit gutem Willen, doch nur kalt und unvorbereitet heran kommt, und dem man [266] gar nicht übel nehmen kann, wenn es im gegenwärtigen Fall mit Unglauben, und in der schlechtesten Stimmung der Welt sich versammelte.

Wieviel Dutzend zinnerne Teller gehörten dazu, um die refractären Ingredienzien einer solchen Glockenspeise zu schmelzen. (vid. Cellini II. Th. pag. 176.)

Bey öfterer Wiederholung ist es ganz etwas Anders, da entstehen ohne Blasebalg und Flammen, ohne Kunst und Vorsatz, die zarteste Wohlverwandtschaften, welche jene abgesondert scheinenden Glieder auf die gefälligste Weise zu einem Ganzen verbinden. Von der handelnden Seite mehr Sicherheit und Gelenkigkeit, erworben durch Übung, gestärkt durch Beyfall, getragen durch lebendige Ein- und Übersicht des Ganzen. Von der schauenden Seite Bekanntschaft, Gewohnheit, Gefallen, Vorurtheil, Enthusiasmus, und wie die guten Geister alle heißen mögen, ohne die uns die Ilias und Odyssee selbst nur ein todtes Gerüste bleiben werden können, weil die Schauspieler das Stück und das Publicum die Schauspieler immer mehr andern aufregt in's Theater zu gehen, und das allgemeine Wochengespräch zuletzt die Nothwendigkeit hervorbringt, daß jeder die Neuigkeit gesehen habe.

[267] So erlebt ich in Rom daß eine Oper, Don Juan (nicht die Mozartische), vier Wochen, alle Abende gegeben wurde, wodurch die Stadt so erregt ward, daß die letzten Krämers-Familien, mit Kind und Kegel in Parterre und Logen hauseten, und niemand leben konnte, der den Don Juan nicht hatte in der Hölle braten, und den Gouverneur, als seligen Geist, nicht hatte gen Himmel fahren sehen.

Dieß alles sage ich dir, mein Freund, mehr zum Schwätzen, denn ich spreche zu einem Wissenden, und möchte wohl einmal einer deiner Aufführungen vom Tode Jesu beywohnen. Durch dich aufmerksam gemacht auf alle Erfordernisse, welche unerläßlich sind, damit ein solches Werk zur Erscheinung komme.

Daß du die Achse, worauf sich mein Stück herumdreht, (doch wie ich hoffe ohne Knirschen und Knarren,) so fest gehalten und tief empfunden, freut mich sehr, ob es gleich deiner Natur ganz gemäß ist. Ohne diese furchtbaren Ketten wäre das Ganze eine Albernheit. Daß dieses Exempel an Frauen statuirt wird, macht die Sache läßlicher, und zieht sie in's Gebiet der Rührung; doch wollen wir nichts weiter davon reden, sondern die Wirkung den Göttern anheim stellen.

Zu allem was dir, in öconomischem Sinne, Gutes widerfahren kann, wünsche ich Glück. Wohin ich mich diesen Sommer wende, weiß ich selbst nicht. Wiesbaden hat mir gar zu wohl gethan und ich [268] möchte es gern wiederholen, doch mag sich's draußen am Rheine, wenn auch alles gut geht, jetzt wieder höchst unerfreulich wohnen; doch man steckt sich am Ende in's warme Wasser, und entäußert sich der Außenwelt.

Das Catelsche Heft will ich gelegentlich durchsehen. Empfiehl mich dem Verfasser schönstens. Ich hüte mich zwar jetzt vor der Architectur wie vor dem Feuer. Je älter man wird, desto mehr muß man sich beschränken, wenn man thätig zu seyn begehrt. Nimmt man sich nicht in Acht, so geht man, bey so vielen fremden Aufforderungen, für lauter Theilnahme und Urtheilsprechen mit geist- und leiblichen Kräften in nichtigen Rauch auf.

Daß du dem Hans Adam eine tüchtige Jacke auf den Leib gepaßt haben wirst, daran zweifle ich keineswegs, und freue mich ihn darin stolziren zu sehen. Unter meinen spätern Dingen will ich etwas aussuchen. Das Orientalisiren finde ich sehr gefährlich, denn eh man sich's versieht, geht das derbste Gedicht, wie ein Luftballon für lauter rationellem und spirituellem Gas, womit es sich anfüllt, uns aus den Händen und in alle Lüfte.

Soviel möge für dießmal genug seyn. Versäume nicht manchmal zu schreiben, wenn du ja auch nur das Theater zum Text nimmst; mir wäre in mehr als einem Sinne dran gelegen, zu erfahren und zu schauen, was das neue Regiment leistet und wirkt, [269] wobey es mir denn auch auf eine halbe Stunde dictiren nicht ankommen soll woran dir, recht betrachtet, doch auch gelegen seyn müßte.

Eben als ich bedachte was ich noch auf diesen Raum setzen sollte, kommt Herr M. und bringt mir Gruß und Gabe, beydes erfreulich. Ich habe ihn heiter empfangen, aber zerstreut: denn eben als er ankam war ich über hundert Meilen weit vom Hause weg. Die Notenblätter sind köstlich! Keinen von drey Männern besas meine Sammlung. Also den schönsten Danck. Da wir die Berliner zum Nachdencken und zum Calembour gebracht haben; so wollen wir's eine Weile dabey bewenden lassen. Herrn Staatsrath Schulz grüsse schönstens. Seine Hefte habe die Zeit wieder durchstudirt, sie und Er sind mir nur desto lieber geworden. Nun Adieu! möge dies ein glücklicher Anfang neueröffneter Communication werden.

W. d. 17. Apr. 1815.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8F54-F