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An Sulpiz Boisserée

Ihr werthes Schreiben vom 23. October war eben an dem Tage angelangt, als ich Abends wieder mit Professor Riemer die Zelterische Correspondenz durchging. An dieser vermehrt sich der Genuß, da sie sich durchaus gleich bleibt und noch so frisch ist, als wenn [219] sie gestern auf die Post gegeben wäre. Wenn ich mich wegen der Ursachen dieses guten Eindrucks befrage, so möchte ich sie darin suchen, daß die Freunde stets würdige Gegenstände mit Neigung und Wohlwollen behandeln, daß ihre Mißbilligung aufrichtig und unverstellt mit Mäßigung und Heiterkeit sich ausspricht. Und so hoffe ich, mein Bester, soll unser Briefwechsel auch noch in 20 Jahren aussehen.

Den Wunsch, manchmal etwas über meine Arbeiten im Morgenblatt vernehmen zu lassen, will ich bedenken. Leider hat mich das unerfreuliche Betragen unsres guten Schorn wieder scheu gemacht. Da war nicht einmal böser Wille, sondern eigentlich nur Ungeschicklichkeit. In der Hauptsache stimmte man ja glücklich überein, und bey einer so geringen Nebendifferenz hätte ein gewandter Redacteur ein freundlich Wort an seine Correspondenten erlassen. Genug, das bis dahin so schön gelungene Unternehmen wird gewissermaßen hiedurch vernichtet, indem das corpus controversiae niemandem vor Augen liegt; ich habe wenigstens meine Exemplare sämmtlich zurückgehalten, um den Fragen auszuweichen, deren mehrere schon an mich gekommen waren: was denn dieser Nachsatz heißen solle?

Verzeihen Sie diese weitläufige Darlegung. Alles, was zur Aufklärung unsrer Verhältnisse dienen kann, ist wohl werth, daß man eine Briefseite daran wendet, wobey ich mich abermals einer allgemeinen Betrachtung nicht enthalte: in allem Irdischen, Ökonomischen, [220] Finanziellen, Merkantilischen kann man vorsichtig mit jedermann Verbindungen eingehen, der Gewinn gibt sich klar, und der Verlust wird denn auch am Ende zu verwinden seyn; aber in höhern Regionen ist eine falsch ergriffene Verbindung im Ästhetischen, Sittlichen, Religiosen voller Gefahr, und jedes Mißlingen von traurigen Folgen. Ich tadle nicht, wenn Sie lächeln, daß ich schon wieder in's Allgemeine gehe; als ethischästhetischer Mathematiker muß ich in meinen hohen Jahren immer auf die letzten Formeln hindringen, durch welche ganz allein mir die Welt noch faßlich und erträglich wird.

Daß die Medaille so gut gerathen, eben am Jahrstag, am 7. November, wieder zum Vorschein kommt, dient mir zum großen Trost; denn diese ganze Zeit über lief dieses höchst bedeutende, einzige, vielleicht allzu kühne Unternehmen Gefahr zu mißglücken und in nichts aufzugehen. Es ist jedoch schön, daß gerade durch diese prüfende Erwartung die Last der übergroßen Kunst einigermaßen erleichtert werden sollte.

Da Vorstehendes noch zur rechten Zeit geschrieben ist, möge es mit der heutigen Sendung abgehen; ist Oberbaudirektor Coudray bey Ihnen, so grüßen Sie ihn zum schönsten; ist er schon vorüber, so haben Sie auf alle Fälle Dank für die guten Adressen, mit denen Sie ihn ausgestattet.

|: Wird fortgesetzt :|

Weimar den 3. November 1826.

G. [221]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Sulpiz Boisserée. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-905D-3