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An Carl Wilhelm von Fritsch

Ew. Excellenz

erstatte dankbarlichst den höchst gelungenen Aufsatz, welcher immer besser zu werden scheint jemehr man sich mit ihm bekannt macht; nur wenig einzelne Bemerkungen fügt ich bleystiftlich zur Seite. Die Hauptstelle glaubt ich in dem Sinne verfassen zu müssen wie sie etwa in funfzig Jahren ein freydenkender Geschichtsschreiber aufführen würde.

Wenn das Einzelne durch die Zeit ausgelöscht wird so geht das Allgemeine rein hervor; die Handlungen verschwinden, die Gesinnungen bleiben übrig, man hört auf nach den Mitteln zu fragen, die erreichten Zwecke treten vor die Seele des Betrachters.

Billigen Ew. Excellenz diese Gedanken, so werden Sie beurtheilen ob ich in der Ausführung glücklich gewesen. Das niedergeschriebene Wort, insofern der Sinn einigermaßen annehmlich erscheint, einsichtiger Wahl überlassend.

Verehrend, vertrauend angehörig.

J. W. v. Goethe.

Verzeihung der fremden Hand!
Die meine fördert nicht mehr
Weimar den 7. Januar 1826.

[230] [Beilage.]

Leider ward jedoch in jenen bewegten Zeiten manches Mißverständniß fühlbar; das aufgeregte Gemüth deutscher Jünglinge und Männer, vertrauend auf vaterländische Gesinnungen und gelungene That, schien das Neubefestigte abermals zu bedrohen. Dieses gab den edelsten, zu Staatsverwesern berufenen Geistern sorgliche Bedenklichkeiten; und hier mußten zweyerlei Ansichten hervortreten: die eine, das in der Zeit Bewegte, augenblicklich Aufbrausende sey unmittelbar zu dämpfen; die andere, dem Gang dieser Epoche solle man bedächtig zusehen und, auf dessen Verlauf achtsam bleibend, zu rechter Zeit dienliche Heilmittel anwenden.

Jene hielten sich durch manche tadelnswerthe, ja erschreckende Unregelmäßigkeiten berechtigt, auf ihren Grundsätzen zu verharren und deshalb die nöthig erachteten Vorschritte gemessen zu thun; diese jedoch überzeugt, daß nach vorübergegangener Crise eine frische Gesundheit sich offenbaren werde, suchten in stiller Milde das verlorene Gleichgewicht wieder herzustellen.

Freylich gehörten Jahre dazu, und diese Verfahrungsart zu rechtfertigen; und wir dürfen uns glücklich preisen, daß nach manchem Schwanken sich endlich bewahrheitet: nur ein allgemeines Vergeben und Vergessen könne ganz allein das verlorne Gleichgewicht [231] sowohl, als das gestörte wechselseitige Vertrauen nach und nach wieder herstellen.

Wie erfreulich muß es daher seyn in Ihrer Gegenwart verbundene Brüder, getrost auszusprechen, wie wir in so treuen, als mäßigen Gesinnungen, unverwandt ausdauernd und wirkend, uns von diesen erwünschten Folgen auch einen Theil ohne Anmaßung zuschreiben dürfen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1826. An Carl Wilhelm von Fritsch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-91A3-1