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An Charlotte von Stein

Nun muß ich meiner Liebsten ein Wort sagen. Ich bin über Hoffen wohl und es geht mir recht gut. Die Herzoginn sieht übel aus und spricht sehr heiser. Des Abends wird gelesen und man scheint mit mir zufrieden, der Wind saußt entsetzlich auf dem Schlosse, und bläst mein ganzes Zimmer durch, so daß ich am Ofen sitze, an der einen Seite brate, an der andern erstarrt bin.

Der Theater Calender, den ich gelesen hat mich fast zur Verzweiflung gebracht; noch niemals hab ich ihn mit Absicht durchgesehn wie ietzt und niemals ist er mir und sein Gegenstand so leer, schaal, abgeschmackt und abscheulich vorgekommen.

[170] Man sieht nicht eher wie schlecht eine Wirthschafft ist, als wenn man ihr recht ordentlich nachrechnet und alles umständlich bilancirt. Mit der desolantesten Kälte und Redlichkeit, ist hier ein Etat aufgestellt woraus man deutlich sehen kann daß überall, besonders in dem Fache das mich iezt interessirt, überall nichts ist und nichts seyn kann. Meine arme angefangne Operette dauert mich, wie man ein Kind bedauern kann, das von einem Negersweib in der Sclaverey gebohren werden soll. Unter diesem ehrnen Himmel! den ich sonst nicht schelte, denn es muß ia keine Operetten geben. Hätte ich nur vor zwanzig Jahren gewusst was ich weis. Ich hätte mir wenigstens das Italienische so zugeeignet, daß ich fürs Lyrische Theater hätte arbeiten können, und ich hätte es gezwungen. Der gute Kayser dauert mich nur, daß er seine Musick an diese barbarische Sprache verschwendet. Unglücklicher Weise habe ich den Pariser Theater Almanac auch hier gefunden, von dem der deutsche eine deutsche Nachahmung ist. Du kannst dir das Elend dencken, Seckendorfs Prolog des Improvisatore, Vulpius Lob Gedichte auf Herrn Kurz und Mad. Ackermann, ein Prolog von Kozebue auf dem Jenaischen Bubentheater machen die Gedichte aus. Mit den Exkremente der Weimarischen Armuth würzt Herr Reichardt seine oder vielmehr die deutsche Theater Miserie.

Lebe wohl. Ich habe niemanden als dich dem ich[171] meinen grosen Verdruß klagen kann. Ich lese nun meine Sachen hier vor und schäme mich von Herzen indem man sie bewundert und darf nur gegen den Prinzen meine Herzensmeynung sagen, der sehr brav und sehr Kranck ist.

Lebe wohl. Liebe mich ich bin ganz und gar dein, du musst mir eben alles ersezen, ich halte mich an dich.

Gotha d. 26. Jan. 86.

G.


Grüse Stein und Fritz.

Ich komme wohl erst Sonntag Abends, da mich der General Superintendent so gedultig anhört, denn er ist alle Mittag und Abend da; so muß ich auch so höflich seyn und ihn hören. Nach der Kirche sez ich mich ein und fahre fort.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9215-8