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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

[Franckfurt, 3. September 1815]

Ew. Königliche Hoheit möge gegenwärtiges Blatt, womit ich diesen mir so wichtigen Tag im Stillen feyere, vollkommen hergestellt antreffen, damit meine aufrichtigen und treuen Wünsche mit ganz heiterem Sinne mögen aufgenommen werden. Gedenke ich der vielen Jahre, die ich das Glück habe Ihnen anzugehören und der unendlichen Abwechselung der äußern und innern Welt, so bekräftigt sich mir auf's neue die alte Wahrheit, das nichts dauerhaft sey als echte Neigung, Anerkennung und Ergebenheit, mit welchen unveränderlichen Gesinnungen ich die Hoffnung nähre, Höchstdieselben bald glücklich wieder zu sehen.

An dem Oberrhein verklingt nun auch nach und nach der Kriegsdonner, meinen stillen Betrachtungen kann ich hier am Mayn am stillsten Orte nachhängen, der bey heiterem Wetter auch wohl für den angehemsten gelten kann; es ist ein unmittelbar am [72] Fluß gelegener, der Holzausischen Familie gehöriger Wohnort, welchen Geheimde Rath Willemer auf seine Lebzeit gepachtet und nun die vor mehr als dreyßig Jahren gepflanzten Bäume immerfort gen Himmel streben sieht.

Von denen mich betroffenen Ereignissen melde nur soviel, das ich von Wiesbaden den 11. August mit Boisserée nach Maynz gefahren, daselbst die Merkwürdigkeiten die man wohl empfehlen darf, unter Anleitung des Sammlers und Ordners betrachtet, und in Abwesenheit Ihro Kaiserl. Hoheit des Erzherzogs den 12. wieder abgefahren, und hier wieder angelangt bin. Mancherley Besuche, Bewirthung und Feste verzehrten eilig die Zeit, überraschend war mir der Besuch des Herzogs und der Herzogin von Cumberland und des Erbgroßherzogs von Sterlitz; auch sah ich Frau von Berg, die durch ein kleinen Unfall länger in Frankfurt gehalten wurde; kostbare und schätzenswerthe Sammlungen zu betrachten werde ich jeden Tag veranlaßt, es ist unglaublich, was Privatpersonen im Stillen während diesen traurigen und drängenden Zeiten aufgehäust und erhalten haben. Hiedurch werde ich denn veranlaßt, zu jenem unternommenen Auffaß über Kunst und Alterthum sammelnd nachzudenken, wobey es mir aber geht, wie jenem Zauberlehrling; die Geister die ich berief, mehren sich und ich sehe nicht wie ich sie los werden will; doch wird es am Ende Belohnung seyn, sich von diesen Zuständen [73] gründlich unterrichtet zu haben. Eine klare Darstellung derselben kann, da alles im Gähren und Werden ist, vielleicht verhüten, daß bey dem besten Willen mancher Mißgriff geschehe. Schon glaube ich in Frankfurt durch diensame Vorstellungen auf manchen schädlichen Wahn die Hauptpersonen aufmerksam gemacht zu haben.

Ew. Hoheit werden die Gnade haben, mir von dem Oberrhein das mir noch Mangelnde mitzutheilen, wozu ich die dringende Bitte hinzufüge, die Boisseréesche Sammlung in Heidelberg ja nicht vorbey zu gehn.

Seit einigen Tagen besucht uns Doctor Seebeck, und der Wunsch diesen vorzüglichen Mann für unsere Kreise zu gewinnen wird auf's neue rege; leider find die Ursachen, die ihn damals von Jena entfernten, noch immer dieselben, er bedarf zu Benutzung seines Vermögens einer handelsthätigen Umgebung.

Die paar Jahre, daß ich ihn nicht gesehen, hat er auf's ernstlichste und bedächtigste seine früheren physisch-chemischen Arbeiten fortgesetzt und mir das, was er mir bisher durch Briefe angedeutet, ausgelegt und vorgezeigt; es ist bewunderungswürdig, mit wie sicherem Schritt er bey einer weiten und sicheren Umsicht in den gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft den einmal eingeschlagenen Weg verfolgt und dabey sich und andere controllirt. Von manchem was er mir mitgeteilt, wünsche in Jena gute Anwendung machen zu können.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1815. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-954D-5