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An Friedrich Schiller

Der Körnerische Brief hat mir sehr viel Freude gemacht, um so mehr als er mich in einer entschiedenen ästhetischen Einsamkeit antraf. Die Klarheit und Freyheit, womit er seinen Gegenstande übersieht, ist wirklich bewundernswerth, er schwebt über dem Ganzen, übersieht die Theile mit Eigenheit und Freyheit, nimmt bald da bald dort einen Beleg zu seinem Urtheil heraus, decomponirt das Werk um es nach seiner Art wieder zusammen zu stellen, und bringt lieber das was die Einheit stört, die er sucht oder findet, für diesmal bey Seite, als daß er, wie gewöhnlich die Leser thun, sich erst dabey aufhalten, oder gar recht darauf lehnen sollte. Die unterstrichene Stelle hat mir besonders wohlgethan, da ich besonders auf diesen Punkt eine ununterbrochene Aufmerksamkeit gerichtet habe und nach meinem Gefühl dieses der Hauptfaden seyn mußte, der im Stillen alles zusammenhält und ohne den kein Roman etwas werth seyn kann. Bey diesem Aufsatz ist es aber auch überhaupt sehr auffallend, daß sich der Leser productiv verhalten muß, wenn er an irgend einer Production Theil nehmen will. Von den passiven Theilnahmen habe ich leider schon die betrübtesten Beyspiele wieder erlebt, und es ist nur immer eine Wiederholung des Refrains: ich kann's zu Kopf nicht bringen! Freylich faßt [265] der Kopf kein Kunstproduct als nur in Gesellschaft mit dem Herzen.

So hat mir neulich jemand geschrieben, daß er die Stelle im zweyten Bande, Seite 138: »Nein! rief er aus, du bildest dir ein, du abgestorbener Weltmann, daß du ein Freund seyn könnest. Alles was du mir anbieten magst, ist der Empfindung nicht werth die mich an diese Unglücklichen bindet!« zum Mittelpunct des Ganzen gemacht und seinen Umkreis daraus gezogen habe, dazu passe aber der letzte Theil nicht und er wisse nichts damit zu machen.

So versicherte mir ein andrer, meine Idylle sey ein fürtrefflich Gedicht, nur sey ihm noch nicht klar, ob man nicht besser thäte es in zwey oder drey Gedichte zu separiren.

Möchte bey solchen Äußerungen nicht die Hippokrene zu Eis erstarren und Pegasus sich mausen! Doch das war vor 25 Jahren, als ich anfing, eben so und wird so seyn wenn ich lange geendigt habe. Indessen ist nicht zu leugnen daß es doch aussieht, als wenn gewisse Einsichten und Grundsätze ohne die man sich eigentlich keinem Kunstwerk nähern sollte, nach und nach allgemeiner werden müßten.

Meyer grüßt herzlich von Florenz, er hat endlich auch die Idylle erhalten. Es wäre doch gut wenn wir ihm durch Cotta und Escher einen ganzen Almanach zuspediren könnten.

[266] Ich hoffe daß die Kopenhagner und alle gebildete Anwohner der Ostsee aus unsern Xenien ein neues Argument für die wirkliche und unwiderlegliche Existenz des Teufels nehmen werden, wodurch wir ihnen denn doch einen sehr wesentlichen Dienst geleistet haben. Freylich ist es von der andern Seite sehr schmerzlich daß ihnen die unschätzbare Freyheit, leer und abgeschmackt zu seyn, auf eine so unfreundliche Art verkümmert wird.

Körners Aufsatz qualificirt sich, wie mich dünkt, recht gut zu den Horen. Bey der leichten und doch so guten Art wie das Ganze behandelt ist, werden sich die Contorsionen, die sich von andern Beurtheilern erwarten lassen, desto wunderlicher ausnehmen.

Übrigens wird es höchst nothwendig daß ich Sie bald sehe, es ist doch gar manches zu besprechen. Ich verlange sehr Ihre Fortschritte an Wallenstein zu erfahren. Von dem Dienstgesuch habe ich etwas gehört, aber keine Gesinnung oder Meynung darüber, doch zweifle so ich auch am Gelingen. Leben Sie recht wohl und grüßen die Freunde.

Weimar den 19. Nov. 1796.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Friedrich Schiller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-95BA-D