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An Christoph Ludwig Friedrich Schultz

Zu Gegenwärtigem, verehrten theurer Freund, nöthigt mich der Heißhunger jenaischer Schriftsetzer.

Um 10. Januar ging der Meyersche Kunstaufsatz nach Berlin ab, und wir sistirten das neueste Stück Kunst und Alterthum. Nun sehen wir zwar wohl ein, daß in so großen und bedeutenden Verhältnissen, manches zu überlegen und zu bedenken ist, ehe man sich zu einem entscheidenden Schritt entschließt; hievon soll also gegenwärtig die Rede nicht seyn, nur muß ich, bey herannahender Messe, von dem Buchdrucker gedrängt, um die Erlaubniß bitten, aus unserm andern Manuscripten-Vorrath jenes Stück fortsetzen zu dürfen. Alles Übrige höherem Ermessen anheimgebend.

Ich wünsche zu erfahren, daß der Winter Sie, wie mich, im leidlichen Befinden durchgelassen habe; sehr hartnäckig hielt ich mich zu Hause und gewann dabey so viel, daß mir kein Tag völlig verloren ging. Langsam, aber stetig habe gearbeitet, Freund Meyer desgleichen; wir hoffen Jubilate einige Zeugnisse darzubrigen.

[158] Auch vermelde, daß die Umzeichnung, Umkehrung und Vergrößerung des Blattes von Mantegna höchlich gelungen und der Triumph des Cäsars dadurch recht eigentlich gekrönt worden. Die mir anvertrauten Kupfer folgen nächstens zurück.

Eine besondere Freude jedoch, die mir in diesen Tagen geworden, darf ich nicht verschweigen. Ich erhielt einen Brief vom Professor Hegel, der mir höchst wohlthätig zu statten kam. Er bezog sich auf mein letztes naturwissenschaftliches Heft, besonders auf die entoptischen Farben. Dieser merkwürdige geistreiche Mann hat, wie meine Chroagenesie überhaupt, so auch dieses Capitel dergestalt penetrirt, daß meine Arbeit mir nun selbst erst recht durchsichtig geworden. Höchst erwünscht war mir dieß gerade in dem Augenblick, da ich meine seit zehen Jahren zusammengetragenen Papiere wieder zu sichten und gewissermaßen zu redigiren begann, in Absicht das nächste Stück damit auszustatten.

Eine solche Aufmunterung ist so nöthiger, den Glauben zu stärken, der uns bey Recapitulation von widerwärtigen Hindernissen am Ende zu verlassen droht. Die beschränkte, eigensinnige, oft unredliche Widersetzlichkeit der Gegner möchte einen wenigstens für Augenblicke, in Verzweiflung setzen. Nun ist es denn doch tröstlich, in der Mitwelt so bedeutende Zustimmung zu vernehmen, daß also ein Appell an die Nachwelt mit einiger Zuversicht ausgesprochen werden darf.

[159] Bey dieser Gelegenheit wiederhole meinen Dank für die Bekanntschaft mit Purkinje; ich habe einem Auszuge seines Büchleins mancherley eigene Erfahrungen, verknüpfende und fortleitende Betrachtungen zwischen geschaltet, denen ich Ihre Aufmerksamkeit erbitte. Warum werden Sie doch, mein Theuerster, durch solch ein so mächtig bewegtes Leben, diesen friedlichen Bemühungen auch Ihren schönen Antheil zu gönnen immer mehr wie es scheint abgehalten?

Noch manches Andere hätt ich mitzutheilen. Erreichen wir die Charwoche, so bereite ein solches Schwänchen.

Darf ich zum Schlusse noch bitten, des Herrn Minister von Altenstein, Excellenz, sämmtlichen Gönnern und Freunden, auch der liebwärten Künstler-Genossenschaft mich bestens zu empfehlen. Von Herrn Schinkels Saal, so wohl vom Gefäß als Decoration, hör ich Landsleute und Fremde nur mit Enthusiasmus sprechen. Möge alles zum besten gerathen und gedeihen.

treulichst

Weimar den 10. März 1821.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Christoph Ludwig Friedrich Schultz. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-95D2-6