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An Carl Friedrich von Both

Ew. Hochwohlgeboren

willkommenes Schreiben hat mich abermals überzeugt, daß die Freunde an der Ostsee noch immer zu mir und meinen Verbundenen das alte Vertrauen bewahren und unsere Gedanken bey vorseyenden künstlerischen Arbeiten zu vernehmen wünschen; doch sehe mich dadurch [10] in einiger Verlegenheit, indem ich, soeben im Begriff eine Badereise anzutreten, einem so wichtigen Vorhaben nicht Aufmerksamkeit genug schenken könnte.

Ich habe zwar, weil ich mir nicht anmaßen darf, den Gegenstand sogleich mit unserm trefflichen Ober-Baudirector Coudray und andern Freunden besprochen, da sich denn freylich manches Bedenken hervorthat, besonders aber sich aufdrang, daß es ein schwieriges und weitläufiges Geschäft sey, aus der Ferne in ein solches Bauunternehmen mit Rath und That einzugreifen.

Gar manche Präliminarfrage müßte erst erörtert werden, eine genaue Beschreibung der Umgebung des Bauplatzes nebst Bedingung der Begränzung würde nöthig seyn; ferner wären für eine nothwendige Hausverwaltung hinreichende Räume zu bestimmen; sodann die Anzahl der Logenmitglieder erforderlich, auch die Frage zu beantworten: ob dieß Haus noch zu andern geselligen Zwecken benutzt werden solle? Ferner mit was für Material man dort baut? und was dergleichen Puncte mehr sind, woraus schon eine weitläufige Correspondenz entspringen würde.

Ebenso würde auch die Frage; in welchem Styl das Haus zu erbauen sey? manche Hin- und Widerrede veranlassen; wie man den dießseits zu einem altdeutschen Styl nicht rathen würde, weil die Maurerei zwar auf jene dürfte beklommnen Zeiten gegründet [11] seyn mag, allein in ihren Fortschritten zu Erhöhung der Humanität auch in Künsten einen mehr ausgebildeten und freyeren Geschmack zu begünstigen und zu verbreiten alle Ursache hat.

Weil nun hiezu, wenn man sogar der Ausführung näher rücken sollte, unsern Meistern und Schülern der Architektur eine bedeutende Mühe zuwachsen würde, so könnte dieß Geschäft ihnen nicht ohne Zusicherung eines bedeutenden Honorars übertragen werden. Aber auch hiebey bliebe für beide Theile noch immer ein gefährliches Risiko, weil ein solches Geschäft in der Ferne zu gründen und zu leiten immer höchst bedenklich wäre.

Unser treffliche Ober-Baudirector hat soeben in einer reichen Landstadt eines benachbarten Fürstenthums ein großes und weitläufiges Gesellschaftshaus erbaut, welches nächstens eingeweiht werden soll; allein der Ort zehn Stunden von uns entfernt ist, und der mit Geschäften überladene Mann nur von Zeit zu Zeit nachsehen konnte, so fanden sich, selbst bey dortiger genauer Aufsicht und specieller Beredung, so mancher nicht im Augenblick zu lösende Zweifel, ja sogar einige Mißgriffe, welche dem strengen Künstler Sorge, ja manche unangenehme Augenblicke verursachten.

Gebe ich nun ferner zu bedenken, daß, wenn nur einigermaßen zu jenseitiger Zufriedenheit gearbeitet werden sollte, Grundriß, Aufriß, Durchschnitte nöthig [12] sind, deren Entwurf, Ausführung, Mundiren und Vollenden sowohl Meister als Geselle beschäftigen würde und doch dorthin zur Ausführung gesandt nicht ausführbar scheinen möchten. Die zuletzt unentbehrlichen Details der Ausbildung der Verzierung verlangen gleichfalls viel Sorgfalt, so daß ich kaum weiß, wie ein solches Geschäft einzuleiten und durchzubringen seyn möchte. Ich führe dieß alles weitläufig aus, um recht anschaulich zu machen, daß mit dem besten Willen kaum eingewirkt werden könnte.

Die Consultation wegen der Statue war viel einfacher, und doch sind daraus voluminose Acten entstanden, die ich jetzt mit Vergnügen ansehe, indem sie mich an manche bedenkliche und beynahe sorgenvolle Stunden erinnern.

So viel im Augenblick des Losreißens, da ich nicht mehr aufschieben konnte, meine lange gehegten und mit den Freunden besprochenen Bedenklichkeiten treulich und umständlich auszusprechen.

gehorsamst

Weimar den [12.] Juli 1821.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1821. An Carl Friedrich von Both. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-98F2-8