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An Hetzler jun.

24. Aug.

Sie haben noch immer zu viel Liebe und Gütigkeit für mich, es tuht mir leid; wie lange wollte ich es Ihnen schon sagen? Ich finde gar keinen Vortheil in dem allzugünstigen Begriff, den Sie Sich von mir zusammengemacht haben. Es ist eine alte Wahrheit, eine gewisse Erfahrung die mich hier zu fürchten macht; heben Sie dieses Blat wohl auf, ich möchte vielleicht in Zukunft mich drauf zu berufen Ursache finden. Ich wünschte daß Sie mein Freund blieben; aber dazu müssen Sie mich erst für das halten was [242] ich würcklich binn, damit Sie in der Folge der Zeit nicht Ihre Gesinnung mit Ihrer Meynung verändern.

Ihre Neigung für mich hat mir Vorzüge geliehen die ich nicht habe. Man liebt seine Freunde wie sein Mädgen, und eines ieden Phillis ist einem ieden die schönste; so geitzig sind wir immer das beste haben zu wollen.

Wir sind getrennt. Entfernung ist ein gewaltig niederschlagend Pulver, und Ihr Herz kann nicht leer bleiben.

Sie gehen auf Akademien; das erste was Sie finden sind hundert Leute wie ich. Er war doch also nicht allein! dencken Sie, und gehen weiter, und finden hundert bessere als mich, Sie messen mich nach dem neuen Maasstab, finden allerley Fehler, und dann binn ich verlohren. Einen den man vollkommen gehalten hat, und an Einer Seite mangelhafft findet, beurtheilt man nicht leichte mit Billigkeit.

Unsre Eitelkeit ist dabey im Spiele, wir haben uns betrogen, und wollen es nicht Wort haben, und thun uns die Ehre an zu glauben daß wir betrogen worden sind, damit werfen wir alle Schuld, Verdruß, und eine Art von Haß, auf einen Unglücklichen, der doch gar keinen Theil daran hat, daß ihn unsre Ubereilung für etwas ansah, für das er nicht angesehen zu sein verlangte.

Uberhaupt um die Welt recht zu betrachten (wozu Sie doch auch Lust bezeugen) muß man sie weder [243] für zu schlimm, noch zu gut halten; Liebe und Haß sind gar nah verwandt, und beyde machen uns trüb sehen.

Es fehlt nicht viel, so fang ich an zu wäschen. Die Mittelstrase zu treffen wollen wir nicht verlangen so lang wir iung sind. Lassen Sie uns unser Tagewerck verrichten und den alten nicht in das Handwerck pfuschen.

Die Sachen anzusehen so gut wir können, sie in unser Gedächtniß schreiben, aufmerksam zu seyn und keinen Tag ohne etwas zu sammeln, vorbeygehen lassen. Dann, ienen Wissenschafften obliegen, die dem Geist eine gewisse Richte geben, Dinge zu vergleichen, iedes an seinen Platz zu stellen, iedes Wehrt zu bestimmen (eine ächte Philosophie meyn ich, und eine gründliche Mathesin) Das ists, was wir ietzo zu thun haben.

Dabey müssen wir nichts seyn, sondern alles werden wollen, und besonders nicht öffter stille stehen und ruhen, als die Nothdurfft eines müden Geistes und Körpers erfordert.

Ich weiß wohl daß es uns beyden nicht iederzeit aufgeräumt ist zu tuhn was wir sollen; aber wenn man ein wenig seinen Vortheil kennt und Kräffte hat, so erweckt eine edle Empfindung leicht den Muth wieder. Die Morgenträgheit ist balde weg, wenn man sich nur einmal überwunden hat den Fus aus dem Bette zu setzen pp

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1770. An Hetzler jun.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-991A-2