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An Friedrich Schiller

Indem ich Ihnen auf einem besondern Blatt, die einzelnen Stellen verzeichne, die ich, nach Ihren Bemerkungen, zu ändern und zu suppliren gedenke, so habe ich Ihnen für Ihren heutigen Brief den höchsten Dank zu sagen, indem Sie mich, durch die in demselben enthaltnen Erinnerungen, nöthigen auf die eigentliche Vollendung des Ganzen aufmerksam zu seyn. Ich bitte Sie nicht abzulassen, um, ich möchte wohl sagen, mich aus meinen eignen Grenzen hinauszutreiben. Der Fehler, den Sie mit recht bemerken, kommt aus meiner innersten Natur aus einem gewissen realistischen Tic, durch den ich meine Existenz, meine Handlungen meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde ich immer gerne incognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten, den unbedeutendern Gegenstand oder doch den weniger bedeutenden Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin und mich so, ich möchte sagen, zwischen mich selbst und zwischen meine eigne Erscheinung stellen. Sie [121] wissen recht gut, theils wie es ist, theils wie es zusammen hängt.

Nach dieser allgemeinen Beichte will ich gern zur besondern übergehn: daß ich ohne Ihren Antrieb und Anstoß, wider besser Wissen und Gewissen, mich auch dieser Eigenheit bey diesem Roman hätte hingehen lassen, welches denn doch, bey dem ungeheuern Aufstand, der darauf gemacht ist, unverzeihlich gewesen wäre, da alles das, was gefordert werden kann, theils so leicht zu erkennen, theils so bequem zu machen ist.

So läßt sich, wenn die frühe Aufmerksamkeit des Abbés auf Wilhelmen rein ausgesprochen wird, ein ganz eigenes Licht und geistiger Schein über das Ganze werfen, und doch habe ich es versäumt; kaum daß ich mich entschließen konnte, durch Wernern, etwas zu Gunsten seines Äußerlichen zu sagen.

Ich hatte den Lehrbrief im siebenten Buch abgebrochen, in dem man bis jetzt nur wenige Denksprüche über Kunst und Kunstsinn liest. Die zweyte Hälfte sollte bedeutende Worte über Leben und Lebenssinn enthalten, und ich hatte die schönste Gelegenheit, durch einen mündlichen Commentar des Abbés, die Ereignisse überhaupt, besonders aber die durch die Mächte des Thurms herbeygeführten Ereignisse zu erklären und zu legitimiren, und so jene Maschinerie von dem Verdacht eines kalten Romanbedürfnisses zu retten und ihr einen ästhetischen Werth zu geben, oder vielmehr ihren ästhetischen Wert ins Licht zu stellen. – [122] Sie sehen daß ich mit Ihren Bemerkungen völlig einstimmig bin.

Es ist keine Frage daß die scheinbaren, von mir ausgesprochenen Resultate viel beschränkter sind als der Inhalt des Werks, und ich komme mir vor wie einer, der, nachdem er viele und große Zahlen über einander gestellt, endlich muthwillig selbst Additionsfehler machte, um die letzte Summe aus Gott weiß was für einer Grille zu verringern.

Ich bin Ihnen, wie für so vieles, auch dafür den lebhaftesten Dank schuldig, daß Sie, noch zur rechten Zeit, auf so eine entschiedene Art, diese perverse Manier zur Sprache bringen und ich werde gewiß, in so fern es mir möglich ist, Ihren gerechten Wünschen entgegen gehn. Ich darf den Inhalt Ihres Briefes nur selbst an die schicklichen Orte vertheilen, so ist der Sache schon geholfen. Und sollte mir's ja begegnen, wie denn die menschlichen Verkehrtheiten unüberwindliche Hindernisse sind, daß mir doch die letzten bedeutenden Worte nicht aus der Brust wollten, so werde ich Sie bitten zuletzt, mit einigen kecken Pinselstrichen, das noch selbst hinzuzufügen, was ich, durch die sonderbarste Naturnothwendigkeit gebunden, nicht auszusprechen vermag. Fahren Sie diese Woche noch fort mich zu erinnern und zu beleben, ich will indeß für Cellini und wo möglich für den Alma nach sorgen.

Weimar den 9. Juli 1796.

G. [123]


[60] [Beilage.]

Zum achten Buche.

1. Die sentimentale Forderung bey Mignons Tod zu befriedigen.

2. Der Vorschlag des balsamirens und die Reflexion über das Band zurück zu rücken.

3. Lothario kann bey Gelegenheit, da er von Aufhebung des Feudal Systems spricht, etwas äußern was auf die Heirathen am Schlusse eine freyere Aussicht giebt.

4. Der Markese wird früher erwähnt, als Freund des Oheims.

5. Das Prädikat der schönen Seele wird auf Natalien abgeleitet.

6. Die Erscheinung der Gräfin wird motivirt.

7. Werners Kinder wird etwas von ihren Jahren abgenommen.

[60]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1796. An Friedrich Schiller Zum achten Buche.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9CF4-D