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An Johann Kaspar Lavater

Weimar den 4. Oktober 1782.

Vor das viele Gute was du zeither an uns gethan hast, habe ich dir noch nicht danken können, und auch iezo habe ich nicht so viel Sammlung um dir etwas dagegen von dem meinigen zu geben, denn daß man immer von dir empfängt bist du gewohnt.

Die kurze Schilderung der Personen die du auf deiner Reise im Fluge berührtest, hat mir viele alte Bekanndtschaften neu und mich auf unbekante aufmerksam gemacht. Was du von dem Fürsten von Deßau sagst bestätigt mein Verhältniß zu diesem würdigen Manne noch mehr. Zwar sind wir bisher einander noch nichts geworden, und ich bin alle Tage auch gegen gute und trefliche Menschen weniger andringend, genug wenn man weiß daß eine schöne und große Natur irgendwo existirt, und daß man sie, wie es so tausendfältig geschieht, nicht verkennt.

Der erste Theil deiner Bekenntniße, wie ich sie nennen will, hat mir großes Vergnügen gemacht. Es ist immer sehr intereßant dergleichen zu lesen, ob ich gleich wieder dabey die Bemerkung gemacht habe,[64] daß wenn ich so sagen darf, der Leser eine eigene psychologische Rechnungsoperation zu machen hat um aus solchen Datis ein wahres Facit heraus zu ziehen. Ich kann meine Idee iezo nicht auseinander legen, nur so viel davon: Das was der Mensch an sich bemerkt und fühlt, scheint mir der geringste Theil seines Daseyns. Es fällt ihm mehr auf was ihm fehlt, als das was er besizt, er bemerkt mehr was ihn ängstiget, als das was ihn ergözt und seine Seele erweitert; denn in allen angenehmen und guten Zuständen verliert die Seele das Bewußtseyn ihrer Selbst, wie der Körper auch, und wird nur durch unangenehme Empfindungen wieder an sich erinnert; und so wird meistentheils, der über sich selbst und seinen vergangenen Zustand schreibt, das enge und schmerzliche auszeichnen, dadurch denn eine Person, wenn ich so sagen darf, zusammenschrumpft. Hierzu muß erst wieder das, was mir von seinen Handlungen gesehen, was wir von seinen Schriften gelesen haben chymisch hinzugethan werden und alsdenn entsteht erst wieder ein Bild des Menschen, wie er etwa mag seyn oder gewesen seyn. Dies von vielen tausend Betrachtungen Eine.

Daß du mir in deinem Briefe noch einmal den innern Zusammenhang deiner Religion vorlegen wolltest, war mir sehr willkommen, wir werden ia nun wohl bald einmal einander über diesen Punkt kennen und in Ruhe laßen. Großen Dank verdient die [65] Natur daß sie in die Existenz eines ieden lebendigen Wesens auch so viel Heilungskraft gelegt hat, daß es sich, wenn es an dem einen oder dem andern Ende zerrißen wird, selbst wieder zusammenfliken kann; und was sind die tausendfältigen Religionen anders als tausendfache Äußerungen dieser Heilungskraft. Mein Pflaster schlägt bey dir nicht an, deins nicht bey mir, in unsers Vaters Apotheke sind viel Recepte. So habe ich auf deinen Brief nichts zu antworten, nichts zu widerlegen, aber dagegen zu stellen habe ich vieles. Wir sollten einmal unsere Glaubensbekenntniße in zwey Columnen neben einander sezen und darauf einen Friedens- und Toleranzbund errichten.

An Tischbeinen habe ich heute geschrieben und ihn an dich gewiesen. Du wirst meinen Brief wohl verstehen aber nicht ganz; ich kann ihm weder gewähren noch verschaffen was er gerne mögte, denn der Herzog von Gotha siehts anders an und hat seine festgesetzen Begriffe über die Sache, auf die ich weiter nicht wirken kann. Rede ihm ia zu, daß er sich besonders gegen Reifensteinen leidlich beträgt, denn dieser Mann hat Einfluß auf die Großen. Freylich mag dem guten Tischbein, der Gott sey Dank in weltlichen Dingen noch nicht geübt ist, so ein Verhältniß ganz und gar fatal und unerträglich scheinen; indeß ist immer beßer er weiß so etwas voraus, und richtet sich einigermaßen darnach, als daß er in seinem Wesen hin geht [66] und wir in einem halben Jahr den Lärmen haben. Es wird ohnedies nicht ganz ohne alles abgehen du weißt es am besten lieber Bruder, daß wo Menschen zusammen zu schaffen haben, es mehr oder weniger Friktion giebt. Je älter man wird desto gewißer sieht man das wie und wo voraus und kann sie doch weder bey sich selbst noch andern immer so gern man wollte verhüten. Besonders treib ihn daß er fortkommt, denn der Herzog ist schon über das Zaudern und über meine Vorstellungen, die ich nicht gespart habe, verdrieslich. Wenn wir unter einander etwas haben, so können wir herüber hinüber markten, ein großer Herr will gehorcht seyn. Sie sind nicht alle wie der Herzog von Weimar, der ieden gerne auf seine Weise das Gute thun läßt und doch daran Theil nimmt. Adieu Bruder! Ohne Berührung sagst du ist keine Religion; ohne Berührung ist keine Freundschaft. Lebe herzlich wohl alter Christe und grüse Bäben.

G.


Sag mir doch gelegentlich ein Wort über das Portrait Carls des fünften von Albrecht Dürer das du bey Merck gesehn hast, wir haben es gegenwärtig hier. Es ist ganz herrlich, ich mögte auch dich drüber hören.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9E0F-5