1799, Ende März (?).


Mit Henrich Steffens

[Nachdem Steffens erzählt, daß er sich beim ersten Zusammentreffen mit Goethe von diesem für zurückgesetzt gehalten und darauf schroff abgewehrt habe, mit ihm wieder zusammengebracht zu werden, fährt er fort:]


Die Familie des berühmten Anatomen Loder gehörte auch zu denen, die mich freundlich aufgenommen hatten. Sein Geburtstag nahete und man wünschte diesen Tag durch ein Schauspiel zu feiern; man wählte den »Schauspieler wider Willen«, und meine große Beweglichkeit erweckte die Vermuthung, daß ich wohl fähig wäre, die Hauptrolle zu übernehmen. .... Die Hauptrolle enthält bekanntlich eine Menge declamatorischer Stellen aus Iffland'schen und Schiller'schen Stücken. .... Die Tage der Proben gingen vorüber, wir waren zur Generalprobe versammelt – da trat auf einmal Goethe herein. Er hatte freundlich, wie er bei solchen Gelegenheiten immer war, versprochen, die [201] Generalprobe zu leiten; mir hatte man es verborgen gehalten. Nachdem er die Frauen begrüßt hatte, ging er auf mich zu, sprach mich freundlich und gütig als einen Bekannten an. »Ich habe« – sagte er – »lange erwartet, Sie einmal in Weimar bei mir zu sehen; ich habe vieles mit Ihnen zu sprechen, Ihnen vieles mitzutheilen. Wenn diese Tage verflossen sind, werden Sie mich, wie ich hoffe, begleiten.« Wer war glücklicher, wie ich. Es war mir, als wäre ich jetzt erst heimisch geworden in Jena. Ich jubelte, und der frohe Jubel einer übermüthigen Stimmung ergoß sich in mein Spiel. Hier und da gab Goethe einen guten Rath, und mir schwebten auf eine wunderbar heitere Weise die dramatischen Auftritte in »Wilhelm Meister« vor der Seele, die sich nun hier durch den großen Verfasser zu verwirklichen schienen. Als ich die Stellen aus den Schiller'schen Stücken declamirt hatte, trat Goethe freundlich auf mich zu. »Wählen Sie doch« – sagte er – »andere Stücke: unsern guten Freund Schiller wollen wir doch lieber aus dem Spiele lassen.« Es war seltsam, daß weder ich noch die Mitspieler etwas Anstößiges bei dieser Wahl gefunden hatten. Indessen erbot ich mich auf der Stelle, Kotzebue zu wählen statt Schiller.

[202]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1799. 1799, Ende März (?). Mit Henrich Steffens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A2F2-6