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[...] Ihre Theilnahme und die Thätigkeit der jungen Männer[174]hat mich in's Leben wie zurückgerissen. Das nächste Stück von

folgt balde; sobald die entoptischen Blätter abgedruckt sind erhalten Sie solche. Denken Sie ja darauf, wie wir jungen Leuten das alles theoretisch überliefern und praktisch in die Hände geben. Sehen Sie nur den Greuel an, wie Ihr Professor Fischer die Farbenlehre vorträgt.

[...]

Gar mancherlei Einzelnheiten zur Farbenlehre hatten sich in diesen Jahren bey mir gehäuft und ich dachte, in meinem Überhinsinne, sie am Schlusse des neuesten Heftes noch eilig abdrucken zu lassen. Nun sehe ich aber, daß wir viel weiter sind, als wir selbst gedacht: denn die Darstellung der entoptischen Farben, wie sie nun abgeschlossen vor mir liegt, giebt unserm Wesen einen ganz neuen Halt; ich sistire den Druck und gedenke, zwar kein explicites, aber ein implicites Ganze zusammenzustellen; was man in unserer ästhetischen Literatur vor einigen Jahren ein organisches Fragment nannte.

Hiezu aber bedürfte ich dringend Ihres Beystandes. Könnten Sie die Hauptmomente dessen, was Sie für physiologe Farben gethan, uns darstellen? könnten Sie mir einen anschaulichen Begriff von Comparetti's und des Purkinje Verdiensten kürzlich geben; so würde[175]ich's mit Freuden einfügen; ich selbst muß Verzicht tun, dergleichen zu durchdringen und, wenn ich's gewonnen hätte, darzustellen.

Höchst merkwürdig ist in Professor Fischers Lehrbuch der mechanischen Naturlehre die wunderlich angeschobene Farbenlehre; ich konnte noch nicht die Sache näher ansehen; es ist aber für uns ein lustiger Einblick, wie die Herrn einen ganz verständigen Rückzug anlegen. Die Franzosen, wenn sie flüchteten, nannten das ein mouvement rétrograde. Des Herrn Akademikers Rückschritt ist so tanzmeisterlich, daß man wirklich seine Gewandtheit bewundert. Die physiologen Farben schließen nicht allein das Capitel, sondern das ganze Buch, und so steht das wieder auf dem Kopfe, was wir seit so vielen Jahren auf die Füße zu stellen suchten.

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 27. August 1820. Goethe an C. L. F. Schultz. Z_1820-08-27_c.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-BE4D-6