49. Der Spielmann und sein Wohlthäter.

Ein alter Spielmann wohnte bei einem armen Schuster zur Miethe. Das Spottgeld, das er sich verdiente an den Schenktischen, wo er seine alten Weisen ableierte, mochte kaum hinreichen, um sich ein Mittagbrod zu schaffen. Jeden Abend aber saß er beim Schuster zu Tisch, und wenn die Zeit kam, wo die Miethe zu bezahlen war, legte er wol vor dem Meister den Beutel aus, aber es war kein Geld drinnen, und der Meister, aus Erbarmen, schenkte ihm dann selbst einige Schillinge, auf daß er sich seinen Rock flicken, seine Wäsche reinigen, und neue Schuhe sich machen lassen konnte. Diese Wohlthätigkeit des Mannes mißfiel aber der Hausfrau, und sie zankte oft deshalb mit ihm, daß er den alten Lump, wie sie gewöhnlich den Spielmann nannte, im Hause duldete und nährte, wie ein Ungeziefer. Der Mann aber blieb dabei, und that nach- wie vorher, und [127] er sagte sein Sprüchlein auf: gebet, so wird euch gegeben werden. Das ist denn auch wahrgeworden, in mehr als Einem Sinne. Denn erstlich leistete ihm der alte Spielmann täglich Gesellschaft am Abend, und erzählte ihm die Neuigkeiten des Ortes und des Tages, und spielte ihm auch oftmal umsonst ein lustiges Stücklein auf, oder sang ein schönes weltliches Liedlein, so daß der Mann gerne zu Hause blieb und manchen Pfennig ersparte, den er sonst im Wirthshause verbraucht hätte. Und zweitens brachte ihm der Spielmann manchen Kunden zu von seines Gleichen, die aber Geld hatten, um zu bezahlen; und die Nachbarsleute selbst, die von des Schusters wohltätigem Sinne erfuhren, gaben ihm gern Arbeit, verhoffend, er, der gutherzige Mann, werde um so mehr auch ein ehrlicher Mann sein, worin sie sich auch nicht betrogen fanden. Und drittens – aber da muß der Volksfreund sich selbst unterbrechen, um dem Leser alles deutlich zu machen. Der Spielmann war eigentlich ein Duckmäuser. Denn er hatte, wie Judas, einen geheimen Säckel, und ersparte sich viel Geld. Er dachte aber klüglicher Weise so: so lange der Meister lebt von seiner Arbeit, so lange leb' ich auch von seinen Wohlthaten. Stirbt er früher als ich, so habe ich doch einen ersparten Pfennig, von dem ich fortan mich ernähren kann, und er mag dafür Gottes Lohn erhalten. Sterb' ich aber früher, nun dann. – – Es ist aber das Letztere eingetroffen, und was sich der Spielmann gedacht, das hat er auch gethan. Er setzte den Meister Schuster zu seinem Erben ein, und nach seinem Tode fand man in dem geheimen Säckel nicht weniger, als zweihundert Pfund; das thut: zwei tausend und etliche Gulden. Das war drittens. – Der günstige Leser wird daher erstlich dem Spielmann abbitten, wenn er ihn für einen Judas gehalten; zweitens wird er dem Meister Schuster Recht geben und sein Sprüchlein in Ehren halten; und drittens wird er das Gleiche thun; denn umsonst hat der Volksfreund [128] ihm die Geschichte nicht erzählt. – Es hat sich aber diese Geschichte ereignet in der großen Stadt London, wo es 50000 Arme gibt, die in der Früh aufstehen, ohne zu wissen, ob und wo sie Mittags essen oder die folgende Nacht schlafen werden; und der Spielmann ist gestorben im Jahre 1834, wie die Zeitungen gemeldet haben.

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Zweiter Theil. 2. Allerlei erbauliche und ergötzliche Historien. 49. Der Spielmann und sein Wohlthäter. 49. Der Spielmann und sein Wohlthäter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1604-0