Die Blumen an Sie

10. oder 11. Juli 1834


Als Sonnenfeuer sprühte
Und heiß der Sommer glühte
Und süß die Linde blühte
Und lieb die Turtel girrte,
Und licht der Glühwurm schwirrte
Sprach sterbend zu der Mirte
Das letzte Licht der Lilie:
[553]
»Geh mit der Leidfamilie,
Und heiß willkommen Emilie,
Drum stehen hier gleich Kerzen
Wir Blumen, stumme Schmerzen
Aus einem kranken Herzen
Und flehen um das Leben.
In unsern Kelchen beben,
Auf unsern Sternen schweben
Unsäglich tiefe Leiden,
Doch sind wir still bescheiden,
O laß uns dir zur Seiten
Ganz linde und gelassen
Verblühen und verblassen,
O Jesus! ohne Hassen!
O Jesus! ohne Höhnen!
O Jesus! dich verschönen,
In dem wir uns versöhnen!
Der uns hat hergesendet,
Der hat ja bald vollendet,
Doch wir sind nicht verschwendet,
Wir stehen auf dem Grabe
Gleich einer Tränengabe,
Gleich einem schwachen Stabe
Des armen Tränenblinden,
Sein' Ruheort zu finden,
Den letzten Kranz zu winden,
Zu Füßen einer Linden
Dem, der bald überwunden
Verblutend unverbunden
An tiefen, tiefen Wunden
Drum laß in stummen Wehen
Uns leis bei dir vergehen,
Es giebt ein Untergehen,
Es giebt ein Auferstehen,
Es giebt ein Wiedersehen,
Da wirst du uns verstehen!«
Amen!

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TextGrid Repository (2012). Brentano, Clemens. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Die Blumen an Sie. Die Blumen an Sie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-414E-2