29. Der seltsame Traum.

Der alte Fritz lag im Bette und schlief. Da sprach eine Stimme zu ihm im Traum: »König Friedrich, steh auf und geh stehlen, oder es kostet dich dein Leben!« Der König erwachte und lachte über die seltsamen Worte, die er im Traume vernommen, dann legte er sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Kaum hatte er die Augen geschlossen, so erscholl die Stimme zum zweiten Male, und die Rede klang dringlicher: »König Friedrich, steh auf und geh stehlen, oder es kostet dich dein Leben!« Der alte Fritz fuhr auf und dachte bei sich: »Was soll der Spuk? Nicht einmal im Schlaf habe ich Ruhe.« Nachdem er sich darauf eine Zeit lang schlaflos im Bette herum gewälzt hatte, wurden ihm endlich die Augen schwer, und er versank von neuem in Schlaf. Es dauerte aber gar nicht lange, so sprach es zum dritten Male, laut und gebieterisch: »König Friedrich, ich sage dir, steh auf und geh stehlen, oder es kostet dich dein Leben!«

Jetzt ward dem alten Fritz nachdenklich zu Mute, als er erwachte, und ihm bangte für sein Leben; darum stand er auf, warf sich einen alten, abgetragenen Mantel um und ging in die finstere Nacht hinaus. Im Schlosse seines ersten Ratgebers war ein Fenster hell erleuchtet, und eine Leiter lehnte dort an der Wand; darauf stand ein Soldat, der schaute in die Stube hinein. »Was machst du da oben?« fragte ihn der König leise. »Ich schaue nur eben einmal in das Fenster hinein,« erhielt er zur Antwort, »im übrigen gehe ich heut Nacht aus, um zu stehlen; denn mit dem geringen Sold, den [158] uns der König giebt, müssten ich und die Meinen Hungers sterben.« – »Nimm mich mit auf den Gang,« bat der alte Fritz, »du kannst mir glauben, mir fehlt's auch an allen Ecken und Enden.«

Der Soldat war damit einverstanden, stieg von der Leiter herab, und sie wanderten zu zweien in die Stadt hinein auf den Marktplatz, wo die reichen Kaufleute ihre Läden haben. Bei dem grössten zog der Soldat eine Wünschelrute unter dem Rocke hervor, und als er damit die Thüre berührte, sprangen die festen Vorlegeschlösser von selbst auf, und sie gingen in den Laden. Ein Schlag mit der Gerte auf die eiserne Kasse, und der Deckel that sich auf, und all das Gold und Silber des reichen Kaufmanns lag vor ihnen in dem Kasten. Von dem Gelde machte der Soldat drei Teile, dann sprach er zum König: »Dieser Haufen ist das Geld, welches der Krämer zum Einkauf der Waren verausgabt hat; dieser zweite ist sein rechtmässiger Gewinn, der dritte aber gehört ihm zu Unrecht, weil er ihn durch schlechtes Mass und falsches Gewicht erworben hat; das Geld wollen wir ihm nehmen.« Sprach's und machte zwei gleiche Teile; davon schob er den einen dem alten Fritz in die Tasche, den andern nahm er für sich und seine Angehörigen in Beschlag.

Der alte Fritz rieb sich vor Verwunderung die Augen und kniff sich in die Ohren, als er das sah, denn er dachte, er läge noch im Schlafe und träume; endlich sprach er: »Guter Freund, kannst du mit deiner Wünschelrute alle Schlösser öffnen?« – »Gewiss,« antwortete der Soldat, »alle ohne Ausnahme.« – »Auch des Königs Schatzkammer?« forschte der alte Fritz weiter. – »Wenn ich es wollte, könnte ich's schon thun;« versetzte sein Gefährte, »aber ich mag nicht dahin gehen.« Da bat nun der alte Fritz so lange, bis der Soldat müde ward und mit ihm in des Königs Schloss ging. »Aber das sage ich dir vorher,« sprach er zum alten Fritz, »rührst du auch nur ein Goldstück dort an, so geht es dir schlecht!«

Als sie vor der Schatzkammer waren, zog der Soldat wieder die Gerte hervor und schlug damit an das Schloss, und sogleich sprang es auf, und sie konnten nun sehen, wie das Gold scheffelweis in dem Zimmer aufgehäuft lag. »Du willst den Kerl doch einmal auf die Probe stellen,« sprach der alte Fritz bei sich, bückte sich und steckte einen Dukaten in die Tasche. Sogleich hatte er aber auch einen Schlag hinter die Ohren bekommen, dass ihm die Backe dick anschwoll. »Schämst du dich nicht, Schlingel!« rief er zürnt der Soldat, »Der König muss uns alle ernähren, und wer es nur kann, betrügt ihn, und nun willst du ihm gar noch das Geld aus der Schatzkammer stehlen? Auf der Stelle legst du den Dukaten wieder hin, wo du ihn hergenommen.« Nachdem der alte Fritz das gethan, stiess ihn der Soldat zur Kammer hinaus und warf die Thüre ins Schloss, dass er nur ja nicht wieder an das Stehlen denke. Draussen gab er ihm noch eine gute Mahnung auf den Weg, und dann trennten sie sich von einander.

Dem König ging die Sache durch den Kopf, und nachdem er [159] am andern Morgen aufgewacht war, liess er den Soldaten kommen und sagte ihm auf den Kopf zu, dass er gestern Nacht ausgegangen sei zu stehlen und dass er in seiner Schatzkammer gewesen sei. Anfangs legte sich der Soldat auf das Läugnen, als er aber dem König scharf ins Gesicht sah und auch die geschwollene Backe bemerkte, erkannte er, dass sein Gefährte von gestern niemand anders, als der alte Fritz selbst, gewesen sei. »Königliche Majestäten,« bat er darauf flehentlich, »lasst mir Gnade angedeihen, ich habe nicht gewusst, mit wem ich ginge.« – »Du hast mir freilich übel mitgespielt,« lachte der König, »aber da du meines Schatzes geschont hast, will ich dir verzeihen und den Galgen schenken; aber die Wünschelrute lass bei mir, sonst könntest du doch einmal in Versuchung geraten.«

Der Soldat gab dem alten Fritz die Gerte und dankte ihm, dass er seines Lebens geschont habe; dann sagte er: »Königliche Majestäten, Ihr habt mir mein Leben geschenkt, so will ich Euch das Eure erhalten.« – »Wie meinst du das?« fragte der König. – »Gestern Nacht, als Ihr mich auf der Leiter traft,« antwortete der Soldat, »sah ich in ein hell erleuchtetes Zimmer. Da stand Euer erster Ratgeber mit seiner Frau, und sie berieten, wie sie den Herrn König umbringen könnten, um selbst die Krone zu erlangen. Endlich wurden sie dahin eins, dass der Herr König bei dem Gastmahl, dass Ihr heute Abend bei dem Ratgeber einnehmen werdet, mit dem ersten Becher Weins vergiftet werden solle.«

Der alte Fritz wurde weiss, wie der Kalk an der Wand, als er das hörte, und dachte an seinen Traum; dann befahl er dem Soldaten zu schweigen und wartete ab, bis der Abend herankam. Vergnügt und heiter, als ob er von nichts wüsste, ging er zu dem Schmaus, den der erste Ratgeber ihm hergerichtet hatte, und als dieser aufstand und ihm im goldenen Becher den Wein reichte, erhub er sich und sprach: »Ihr Herren, mein erster Ratgeber hat mir schon viele Jahre treu gedient, und ich weiss nicht mehr, womit ich ihm das lohnen soll. Heute will ich ihm grössere Ehre anthun, als je zuvor einer von mir genossen, er soll mit seiner Frau den köstlichen Wein trinken, den er mir soeben gereicht hat.«

Der erste Ratgeber meinte, das sei zu viel Ehre für ihn und er habe nur gethan, was ein treuer Diener seinem König schuldig sei. Aber sein Sträuben half ihm nichts, er musste trinken. Mit Zittern und Beben setzte er den Becher an den Mund, und kaum hatte er den ersten Schluck gethan, so sank er zu Boden und gab den Geist auf. Und ebenso erging es auch seiner Frau. Da erzählte der alte Fritz den anderen Herren seinen Traum und, wie er in der Nacht stehlen gegangen wäre und dadurch hinter des ersten Ratgebers böse Ränke und Schliche gekommen sei. Auch den Soldaten liess er herbeirufen und gab ihm Geld, so viel er haben wollte, dass er fortan nicht mehr nötig hatte, mit dem Geld, das die reichen Kaufleute veruntreuen, seinem kargen Sold aufzuhelfen.

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TextGrid Repository (2012). Jahn, Ulrich. Märchen und Sagen. Volksmärchen aus Pommern und Rügen. 29. Der seltsame Traum. 29. Der seltsame Traum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-8C10-7