Zwanzigste Erzählung.

Der Ritter von Ryant liebt eine Edeldame, die ihm gegenüber sehr ehrbar thut und ihn nicht erhören will. Eines schönen Tages findet er die Tugendreiche in den Armen eines ihrer Stallknechte und ist sofort von ihrer Liebe geheilt.


In der Dauphiné lebte ein Edelmann, der Ritter von Ryant, ein Nachkomme des Königs Franz I., ein schöner und angesehener Mann. Dieser bewarb sich lange Zeit um eine Witwe, welche er [161] so sehr liebte und achtete, daß er aus Furcht, ihre Gunst zu verlieren, nicht in sie zu dringen wagte, ihn für seine Treue und Ausdauer zu belohnen. Er wußte, daß er schön war und werth, geliebt zu werden, und er glaubte fest an ihre häufigen Schwüre, daß sie ihn mehr als irgendwen auf der Welt liebe und daß, wenn sie sich einmal bewegen ließe, einem Manne gefällig zu sein, nur er dieser sein würde, da sie ja auch nie einen vollkommeneren Menschen gesehen habe. Sie brachte ihn auch dahin, sich mit dieser Freundschaft zufrieden zu geben, ohne Weiteres zu begehren, indem sie ihn versicherte, daß, wenn sie einmal erführe, daß sein Verlangen weiter gehe, sie auf keine Gründe hören und für ihn ganz verloren sein würde. Der arme Ritter wurde nicht nur ganz still und demüthig, sondern schätzte sich auch noch glücklich, das Herz einer so ehrbaren Frau gewonnen zu haben. Es würde zu weit führen, die langen Versicherungen ihrer Freundschaft wiederzugeben, und von ihrem Umgang und den langen Reisen, welche er, um sie zu besuchen, unternahm, zu erzählen. Kurz, der arme Märtyrer dieses Liebesfeuers, das, wenn es den Menschen erst einmal erfaßt hat, immer nach neuer Nahrung trachtet, suchte nur immer nach neuen Mitteln, sein Martyrium zu vergrößern. Eines Tages kam ihn die Lust an, mit Eilpost seine angebetete und hochgepriesene Geliebte zu besuchen. Als er angekommen war, fuhr er beim Schloß vor und fragte nach ihr. Man sagte ihm, sie wäre eben vom Nachmittagsgottesdienst gekommen und sei in den Garten gegangen, um ihre Andacht zu beenden. Er stieg aus und ging geradewegs in den Park, in dem sie sein sollte, fand auch ihre Frauen dort, welche ihm sagten daß sie allein in einer großen Allee spazieren gehe. Sofort kam ihm der freudige Gedanke, daß er heute vielleicht vom Glück begünstigt sein würde; so leise er konnte und ohne den geringsten Lärm zu machen, suchte er nach ihr und wünschte vor allen Dingen, sie allein anzutreffen. Als er aber an eine aus niedergebogenen Baumzweigen errichtete Laube kam, einem wie zum Ausruhen geschaffenen Ort, trat er mit raschen Schritten ein, wie einer, den es drängt, seine Geliebte nun endlich zu sehen. Und er fand die Dame auf dem Grase in den Armen eines ihrer Stallknechte liegen, eines eben so häßlichen und schmutzigen Kerls, als er selbst schön und anmuthig [162] war. Die Verachtung und den Aerger, den er empfand, will ich Euch nicht zu schildern versuchen; erstere war aber so groß, daß sie in einer kurzen Sekunde sein so lange sorgfältig unterhaltenes Liebesfeuer auslöschte. Dann sagte er ihr, jetzt ebenso von Unwillen wie vordem von Liebe erfüllt: »Wohl bekomm's, Madame! Jetzt hat mich Eure Gemeinheit mit einem Schlage von meinem Liebeskummer, deren Veranlassung Eure vermeintliche Ehrbarkeit war, geheilt und befreit.« Und ohne weiter ein Wort zu sagen, kehrte er schneller heim als er gekommen war. Die Frau vermochte kein Wort der Antwort zu sagen; sie deckte die Hand über ihre Augen, denn da sie ihre Schande nicht verdecken konnte, wollte sie den nicht sehen, der sie trotz ihrer langen Verstellung vollständig erkannt hatte.

»Im Anschluß an diese Erzählung«, schloß Saffredant seine Geschichte, »bitte ich Euch nun, meine Damen, wenn Ihr nicht gewillt seid, ehrlich zu lieben, einen achtungswerthen Mann nicht an der Nase herumzuführen und ihm zu Eurer Unterhaltung nicht Aerger zu verursachen. Denn den Heuchlern wird mit ihrer Münze heimgezahlt, und Gott begünstigt diejenigen, welche in Ehren lieben.« »Nun wahrlich«, sagte Oisille, »Ihr habt uns etwas Schönes für das Ende des heutigen Tages aufgespart. Und wenn wir nicht abgemacht hätten, nur die Wahrheit zu sagen, so möchte ich nicht glauben, daß eine Frau ihres Standes einen Edelmann wegen eines häßlichen Pferdejungen im Stich ließ.« »Gott sei's geklagt, Madame«, erwiderte Hircan, »wenn Ihr den Unterschied eines Edelmannes, der sein Leben lang den Harnisch trug und an allen möglichen Orten sich herumschlug, und eines Dieners, der nicht von der Ofenbank heruntergekommen ist und sich immer gütlich gethan hat, genau wüßtet, Ihr würdet die arme Witwe entschuldigen.« »Nein, Hircan, wie man es auch dreht und wendet, es kann keine Entschuldigung für sie geben.« »Ich habe es sagen hören«, nahm Simontault das Wort, »daß es Frauen giebt, die sich Apostel halten, um ihre Tugend und Keuschheit auszuposaunen, die sie aufs Beste und Liebenswürdigste aufnehmen und gut behandeln, indem sie ihnen zu verstehen geben, daß, wenn ihr Gewissen sie nicht abhielte, sie ihnen noch mehr gewähren würden. Wenn dann diese Thoren [163] in Gesellschaft anderer von jenen sprechen, sind sie bereit, die Hand für sie ins Feuer zu halten, und betheuern, daß es anständige Frauen seien, denn sie hätten sie selbst und vergeblich wankend zu machen versucht. Durch dergleichen Leute lassen sich auch solche loben, welche mit ihres Gleichen zurückhaltend und im vornehmen Ton verkehren, im Geheimen sich aber Männer suchen, die nicht muthig genug sind, davon zu plaudern, oder aber denen, wenn sie es thun, nicht geglaubt wird, da sie niederen und verächtlichen Standes und Berufes sind.« »Das ist eine Ansicht«, erwiderte Longarine, »welche ich schon manchen eifersüchtigen und mißtrauischen Mann habe aussprechen hören. Aber sie ist ganz unhaltbar; mag auch einmal eine solche verirrte Frau vorkommen, so muß man nicht Gleiches bei anderen argwöhnen.« »Wenn wir diesen Punkt nicht bald fallen lassen«, sagte Parlamente, »so werden unsere edlen Ritter hier nicht aufhören diese Gewebe weiter zu spinnen und immer auf unsere Kosten. Gehen wir deshalb lieber in die Messe, damit wir auch heute nicht so lange wie gestern auf uns warten lassen.« Die Gesellschaft war ganz ihrer Meinung; auf dem Wege sagte Oisille: »Wenn der eine oder andere von uns Gott dankbar ist, daß wir heute bei unseren Erzählungen so aufrichtig gewesen sind, so muß Saffredant ihn um Verzeihung bitten, daß er eine die Damen so beschimpfende Geschichte wieder aufgefrischt hat.« »Nun, das ist stark«, erwiderte Saffredant, »ich habe die Geschichte erzählt, so wie ich sie gehört habe. Wollte ich aber von den Frauen erzählen, was ich selbst gesehen und erlebt habe, so würdet Ihr öfter das Zeichen des Kreuzes zu machen haben, als bei der Einweihung einer Kirche geschieht. Von der Beichte zur Reue ist es noch, weit.« »Wenn Ihr solcher Meinung über die Frauen seid«, sagte Parlamente, »so müßten wir Euch unsere Gesellschaft und unseren ehrbaren Umgang entziehen.« Er antwortete aber: »Kein anderer wird sich in Bezug auf mich Euren Rath, mich von gerechten und ehrbaren Dingen auszuschließen, zu Herzen nehmen; sollte es aber einer thun und könnte ich noch Schlimmeres gegen die Frauen sagen oder ihnen anthun, so würde ich den Spieß umkehren und ihn veranlassen, mich an der zu rächen, die mir so Unrecht thut.« Während dieser Worte hatte Parlamente ihren Schleier vor ihr Gesicht gezogen und war mit den anderen [164] in die Kirche getreten. Die Vesperglocken läuteten zwar, es war aber keiner der Klosterbrüder da, um die Messe zu lesen. Dieselben hatten nämlich gehört, daß sich auf der Wiese die Gesellschaft versammelt hatte, um sich lustige Geschichten zu erzählen, und da sie auch einmal etwas Vergnüglicheres als nur ihre Predigten hören wollten, hatten sie sich in einem Graben versteckt und lagen hinter einer dichten Hecke auf dem Bauche auf der Erde, von wo aus sie so aufmerksam auf die Erzählungen gelauscht hatten, daß sie das Läuten der Klosterglocken überhörten. Nun kamen sie so eilig angelaufen, daß ihnen fast der Athem fehlte, die geistlichen Lieder zu singen. Nachdem diese abgesungen waren, wurden sie befragt, weshalb denn die Messe so spät begonnen und die Gesänge so schlecht intonirt worden seien, worauf sie gestanden, daß sie zugehört hatten. Es wurde ihnen deshalb erlaubt, jeden Tag hinter der Hecke zuzuhören und es sich dort bequem zu machen. Das Abendessen verfloß freudig, und sie besprachen noch die Punkte, die sie auf der Wiese nicht zur Entscheidung gebracht hatten. So verging der ganze Abend, bis Oisille sie bat, sich zurückzuziehen, um am andern Morgen frisch aufzustehen. Und nach einer längeren Auseinandersetzung, deren Kernpunkt war, daß eine Stunde vor Mitternacht besser sei, als drei nachher, trennte sich die Gesellschaft und beendete den zweiten Cyclus ihrer Erzählungen.

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TextGrid Repository (2012). Navarra, Margarete von. Erzählungen. Der Heptameron. Zweiter Tag. 20. Erzählung: [Der Ritter von Ryant liebt eine Edeldame]. 20. Erzählung: [Der Ritter von Ryant liebt eine Edeldame]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5F10-0