[62] Antons Pansa von Mancha
Abhandlung über das Sprichwort: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand,

zugeeignet

dem großen Esel des großen Sancho Pansa.

Dem Verfasser zum Besten und dem Leser zur Erbauung ans Licht gestellt.

(1751.)


Wenn irgend ein Sprichwort ist, dessen Wahrheit durch die tägliche Erfahrung bestätigt wird, so ist es dieses, wenn man sagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand. Da ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfassung meines Vaterlandes sehr genau kennen zu lernen, so getraue ich mich sehr wohl, zu behaupten, daß wenigstens zwei Dritteile meiner Mitbürger ihren Verstand nicht eher erlangt haben, als bis sie das Amt bekommen; und kaum ein Dritteil ist (ich weiß nicht, durch was für einen Zufall) vor der Erlangung des Amts mit Verstand begabt gewesen. Ich sage mit gutem Vorbedacht: kaum ein Dritteil. Denn ich muß noch für diejenigen ein wenig Platz lassen, welche die Ausnahme von dem Sprichwort machen und das Amt zwar seit langer Zeit – noch bis auf diese Stunde aber nicht den geringsten Verstand haben.

Ich finde von unserm Sprichwort verschiedene Lesarten. Ein sehr altes Manuskript, welches zu Heinrich des Voglers Zeiten geschrieben worden, liest ausdrücklich: Wem Gott etc.; und dieser Lesart habe ich mich bedienet. Die meisten der neueren Schriftsteller sagen hingegen nur: Wem er etc. Beide Lesarten haben ihren guten Grund und beide sind in ihrer Art merkwürdig. In den damaligen rohen und unaufgeklärten Zeiten war es noch hie und da Mode, daß Gott die Ämter gab ... Jetzt braucht man diese Weitläufigkeit nicht mehr, und man hat Mittel gefunden, die Ämter zu erlangen, ohne daß man nötig hat, Gott mit der Austeilung derselben beschwerlich zu fallen ... Inzwischen muß ich doch zum Ruhm unserer Zeiten erinnern, daß man wieder anfängt, die alte Lesart hervorzusuchen und aus einer andächtigen Höflichkeit so zu thun, als habe man das Amt von Gott, ob man sich gleich in acht nimmt, der über rechtsverwährte Zeit wohlerlangten Gerechtsame sich zu begeben und das Amt von Gott zu erwarten, da man es näher haben kann ... Ich nehme [63] es also für bekannt an, daß Gott das Amt giebt. Es hebt dieser Satz dasjenige gar nicht auf, was man aus der Erfahrung dawider einwenden möchte. Recht wahrscheinlich ist es freilich nicht; aber ein guter Ausleger weiß alles zusammen zu räumen.

Ich halte mich in einem sehr kleinen Städtchen auf, und doch ist es noch immer groß genug, meinen Satz zu behaupten. Außer dem Nachtwächter weiß ich niemand, welcher auf eine erlaubte Weise zu seinem Amt gekommen wäre. Er würde als ein alter wohlverdienter und abgedankter Soldat haben verhungern müssen, wenn er nicht zu diesem wichtigen Posten zu eben der Zeit erhoben worden wäre, als die Bürgerschaft so weit gebracht war, daß sie ihn als einen Hausarmen ernähren sollte. Man machte ihn ohne sein Ansuchen zum Nachtwächter und sein Beruf muß doch rechtmäßig sein, weil er den Amtmann nicht bestochen hat und von keinem Ratsmann ein Vetter ist ... Im Vorbeigehen muß ich auch erinnern, daß er der einzige in unserm Orte ist, welcher den Verstand eher hatte als das Amt.

Mit den übrigen ist es ganz anders beschaffen. Der Stadtschreiber hatte als Advokat das Unglück, daß er wegen seiner Geschicklichkeit, die verschiedene Obere aus Unverstand Betrügerei nannten, in die Inquisition kommen sollte. Seine Sache war so beschaffen, daß er nach dem Eigensinn altväterischer Rechte gewiß den Staupbesen würde bekommen haben: aber ein edler wohlweiser Rat sah die unvermeidliche Folge davon ein. Der größte Teil von ihnen stand in einer so genauen Verbindung mit ihm, daß sie gewiß an seinem Staupbesen hätten Anteil nehmen und des regierenden Herrn Bürgermeisters Hochedeln hätten am Galgen ersticken müssen, wenn man diesen wackern Mann nicht den Händen der blinden Gerechtigkeit entrissen hätte. Man überlegte mit der Frau Amtmännin die Sache genau, und eine Kleinigkeit von etlichen Ellen Brabanter Spitzen legte seine Unschuld dergestalt an den Tag, daß er sich mit Ehren von seinem Handel befreit sah. Der Frau Bürgermeisterin war der Hals ihres teuren Gemahls so lieb, daß sie vor Freude nicht eher ruhte, bis diesem angefochtenen Mann die Gerechtigkeit der Stadt und das Wohl der ganzen Bürgerschaft anvertraut und er ungesäumt zum Stadtschreiber erwählt wurde. Ein jeder seiner Vorgesetzten glaubte, er sei diesen Dienst sich selbst schuldig, weil ein jeder wünschte, daß man sich bei dergleichen besorglichen Fällen auf gleiche Weise seiner annehmen möchte.

[64] Wie der Amtmann zu seinem Dienst gelangt ist, das weiß die ganze Stadt. Er hatte es durch seine patriotischen Bemühungen so weit gebracht, daß ganze Dörfer wüst und eine ansehnliche Menge nichtswürdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler geworden waren. Die Beute, die er dabei gemacht, setzte ihn in den Stand, unverschämter zu sein als sein Vorfahr, welcher einfältig genug war sich einzubilden, daß man es mit dem Landesherrn nicht redlich meinen könne, wenn man es nicht zugleich mit den Unterthanen redlich meine. Er stürzte diesen gewissenhaften Tropf und bemächtigte sich seines Amts auf eine Art, welche zu gewöhnlich ist, als daß man sie tadeln sollte.

Es sind nicht mehr als zwei Priester in unserer Stadt, der oberste davon wäre vielleicht noch jetzt Kandidat, wenn er nicht die Geschicklichkeit besessen hätte, alle diejenigen zu verkleinern, und ihre Lebensart verdächtig zu machen, welche mit ihm um ein geistliches Amt ansuchten. Er meinte es aber mit seiner christlichen Gemeinde so gut, daß er sich den Kapellan zu seinem Kollegen selbst ausersah und ihm dazu beförderlich war, weil die natürliche Dummheit dieses lieben Mannes ihm vorteilhaft zu sein schien ...

Diese wenigen Exempel beweisen schon genug, wie wunderbar oftmals die Wege sind, zu einem Amte zu gelangen. Die Abschweifung würde überflüssig sein, wofern ich nicht versichern könnte, daß der Stadtschreiber, der Amtmann und die Geistlichen in Gesellschaften niemals von ihrem Amte reden, ohne Gott mit darein zu mengen, der es ihnen gegeben haben soll.

Diejenigen, welche sich dieses Sprichworts auf eine so bequeme Art bedienen, sind als ein überzeugender Beweis wider diejenigen Lästerer anzuführen, welche uns vorwerfen, daß in unsern Zeiten das Zutrauen auf die göttliche Fürsorge nur gar zu matt geworden und fast gänzlich abgekommen sei. Ich freue mich, daß ich hier eine Gelegenheit finde, das Christentum meiner Landsleute zu verteidigen, und ich erwarte dafür alle Erkenntlichkeit. Denn ich nehme eine Sache über mich, bei der auch der beste Advokat verzweifeln würde.

Ich finde besonders dreierlei Gattungen Leute, welche dieses sagen. Es sind entweder diejenigen, durch welche (nach ihrer Sprache zu reden) Gott die Ämterausteilt, oder es sind solche, welche die Ämterbekommen, oder es sind endlich die, welche als Zuschauer über die wunderbare Führung und Besetzung der Ämter erstaunen.

[65] Die, letzten fühlen dabei in ihrem Herzen den freudigen Trost, daß Gott, welcher so vielen Narren Ämter giebt, auch sie nicht unversorgt lassen – und wenn sie versorgt sind, auch alsdann mit dem nötigen Verstand ausrüsten wird, den sie nicht haben, und den sie ohne ein Wunderwerk auch nicht zu erlangen hoffen. Diese Betrachtungen zeugen von ihrer Demut, und sie beschämen dadurch eine unzählige Menge Leute, welche doppelt unglücklich sind, da sie keinen Verstand haben und ihn doch nicht vermissen.

Noch weit stärker aber ist das Vertrauen zur göttlichen Fürsorge bei denjenigen, welche die Pflicht auf sich haben, die Ämter zu besetzen. Bei verschiedenen von ihnen würde ihr Betragen unsinnig sein ... aber man darf nur denken, daß sie überzeugt sind: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand – so ist dieser Widerspruch gehoben. Sie können dieses mit einer desto gewissern Zuversicht hoffen, da sie an ihren eigenen Personen ein so erstaunliches Wunder erfahren und nach dem glaubwürdigen Zeugnis aller ihrer demütigen Klienten gegenwärtig die verständigsten Männer, die weisesten Väter der Stadt sind, ungeachtet sie vor der Erlangung des Amtes die unverständigsten Narren waren ....

Ich weiß nicht, ob irgend ein Amt wichtiger ist, als das eines Seelsorgers. Die üble Besetzung eines solchen Amtes kann eine ganze Gemeinde unglücklich machen und das Verderben von mehr als einer Nachkommenschaft nach sich ziehen. Wenigstens würde ich sehr unruhig sein, wenn ich für die Besetzung eines solchen Amtes sorgen sollte. Aber wie glücklich sind nicht diejenigen, welche sich darauf verlassen, daß der Verstand sich schon mit dem Amte finden werde! [Unser Pansa erzählt nun ganz anschaulich, wie er vor einigen Tagen auf dem Lande einer Priesterwahl angewohnt und die »Anzugspredigt« des gutsherrschaftlichen Informators gehört, den er unwillkürlich für einen zum Scherz auf die Kanzel gestellten, verkleideten Reitknecht habe halten müssen, der sich auch beim Investiturschmaus auf dem Schlosse sehr ungeistlich benimmt etc. Er erhält aber dennoch die Stelle, der Patronatsherr glaubt ganz zuversichtlich an die Wahrheit unseres Sprichworts.] ... Alle Stände sind voll von Beweisen meines Satzes. Ich habe nicht den Vorsatz, mein jetztlebendes Vaterland zu schreiben; sonst würde ich mit leichter Mühe noch hundert Exempel anführen können.

Es ist noch übrig, daß ich von der zweiten Gattung der Menschen ein paar Worte sage, denen unser Sprichwort bei [66] allen möglichen Fällen zum kräftigsten Trost gereicht. Es sind dieses diejenigen, welche Ämter suchen. Sie sind so vorsichtig, daß sie keine mühsame Untersuchung, anstellen, ob sie auch den nötigen Verstand haben, der zu den Ämtern erfordert wird. Eine solche Untersuchung verriete ein Mißtrauen, welches ihrer männlichen und gesetzten Religion zuwider, dem geliebten Vaterlande sehr schädlich wäre. Denn dem Vaterlande liegt sehr viel daran, daß diese Herren Ämter kriegen; und wenn sie sich nicht eher darum bewerben sollten, als sie von ihrer Fähigkeit innerlich überzeugt wären, so würde eine große Menge Ämter unbesetzt bleiben müssen ... Sie ängstigen sich daher gar nicht mit dergleichen kindischen und unpatriotischen Fragen: Wo werden wir den Verstand hernehmen? Der dem Vieh sein Futter giebt, der wird auch für ihren Verstand sorgen; und sie genießen bei ihrer nahrhaften Gemütsruhe eben diejenige wahre Glückseligkeit, die ein Mastschwein hat, welches um Weihnachten feist ist, ohne daß es den Sommer über für seine Mastung gesorgt hat. Wenn ich drei Kandidaten beisammen stehen sehe, so kann ich – ohne die Liebe des Nächsten zu beleidigen – gewiß glauben, daß zwei davon keinen Verstand haben, und bei dem dritten ist es noch vielmals ungewiß. Unsre Eltern sind gemeiniglich gegen die Fürsorge des Himmels so erkenntlich, daß sie bei der Erziehung ihrer Kinder nicht den geringsten Vorwitz bezeigen, wenn es auf die Frage ankommt, ob ihre Kinder auch Gelegenheit haben, ihren Verstand so zu bilden, daß er dereinst zu Übernehmung eines Amts und zu dessen würdiger Bekleidung fähig ist ... Ihre Väter dachten ebenso ... Sie haben wohlgestaltete Kinder gezeugt ... Die Natur hat sie ohne ihre Vorsorge so wohlgestaltet hervorgebracht – so überlassen sie auch der gütigen Natur lediglich die Bildung des Verstandes als eines sehr zufälligen Teils des Menschen. [Herr Pansa kennt den Sohn eines vornehmen Offiziers, der noch im 18. Lebensjahr der Aufsicht einer Hausfranzösin anvertraut ist, und den man zur Gemütsergötzung kochen, nähen und stricken läßt. »Wie die Natur in ihm sich regt, kauft man ihm eine Kompagnie. Er hatte kaum eine Stunde lang den Ringkragen umgehabt, als er recht eigentlich spürte, wie ihm der Verstand, der zu einem solchen Kommando gehört, aus dem Magen in alle Glieder des Leibes drang. Er kann fluchen wie der älteste Musketier, er säuft wie ein Korporal, hat sich schon zweimal mit dem Lieutenant geschlagen etc. Ist nicht dies alles ein Beweis, daß der Verstand mit dem Amte [67] kommt ... Wie glücklich muß das Land sein, in welchem ein Überfluß von solchen Personen vorhanden ist, bei denen man ungewiß bleibt, ob sie sich besser vor die Spitze ihrer Truppen oder hinter den Nährahm schicken!«]

Ich muß gestehen, daß wir denjenigen glücklichen Zeiten sehr nahe gekommen sind, wo man einen Kandidaten, welcher die nötige Geschicklichkeit und den Verstand eher hat als das Amt, bald als ein Wundertier für Geld auf Messen sehen lassen wird. – – –

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TextGrid Repository (2012). Rabener, Gottlieb Wilhelm. Satire. Sammlung satirischer Schriften. 1. Satirische Abhandlungen und Erzählungen. Abhandlung über das Sprichwort. Abhandlung über das Sprichwort. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-8B65-F