[269] [271]Der schlaue Alte und die vier entlaufenen Mädchen.

Es geschah einmal, daß vier junge Mädchen ihren Eltern entliefen, und sich in der Irre im Lande herumtrieben, ohne daß man ihrer wieder habhaft werden konnte, denn sie hielten redlich zusammen und zufällig sahen sie sich auch untereinander sehr ähnlich. Unter diesen vieren war eine eine Bäuerin, die andere ein simples Fräulein, die dritte eine Gräfin und die vierte eine Prinzessin. Aber wie gesagt, sie hielten treu beisammen und hatten sich das Wort gegeben, keine wolle die andere verraten und jede sollte in Gefahr und Not der Gefährtin beistehn.

Da war nun guter Rat teuer.

Wie sollten nun die Angehörigen wieder in Besitz dieser Mädchen kommen?

Es wohnte ein alter weiser Mann in der Nähe, und an den wandten sich der König, der Graf, der Vater des Fräuleins und endlich auch der Bauer.

[271] »Meine Herren,« entgegnete dieser weise Mann, »ich bin kein Zauberer, noch habe ich mit Hexen oder Feen irgendwie Gemeinschaft, allein was natürlicher Mutterwitz leisten kann, das hoffe ich auch zustande zu bringen. Wir wollen mal sehen.«

Damit entließ der weise Mann den Gesandten des Königs und des Grafen; der Vater des Fräuleins und der Bauer waren in Person erschienen.

Mittlerweile streiften nun die vier Mädchen im Lande herum, fest überzeugt, daß niemand sie erkennen werde, denn sie hatten die List gebraucht, alle vier sich ganz gleich zu kleiden, und ganz dieselbe Sprache und Manier anzunehmen, wenn sie irgendwo in menschliche Gesellschaft kamen.

So kamen sie denn auch zum weisen Manne und verdangen sich bei ihm als Mägde.

»Wie heißt ihr«, fragte der weise Mann, der schon merkte wen er vor sich hatte.

»Ich heiß Ursel«, sagte die Prinzessin.

»Und ich Grete«, rief die Gräfin.

»Und ich Annemarie«, sagte das Fräulein, und die Bäuerin setzte hinzu: »Und ich Superba.«

»Ach!« dachte der Bauer bei sich: »Superba ist kein Bauername; es ist möglich, daß diese die Prinzessin ist. Nun wir wollen mal sehen!«

[272] »Liebe Kinder,« sagte er, »ich will euch fürs erste ein Abendessen vorsetzen, denn ihr werdet hungrig sein. Welche von euch ist gewohnt mit silbernen Löffeln zu essen? Sagt es frei heraus, denn ich besitze in meinem ganzen Vermögen nur zwei silberne Löffel, die andern sind von Zinn.«

Die Prinzessin und die Gräfin hätten für ihr Leben gern gesagt: wir wollen die silbernen Löffel, allein sie hielten an sich, sahen das Fräulein und die Bäuerin an, und da diese mit dem Kopfe nickten und ein Zeichen gaben, riefen sie: »Ei seht doch! wir sind alle vier Bäuerinnen, wie kommt Ihr nur auf diese Frage? Keine von uns ist an silberne Löffel gewöhnt, und wir bitten Euch, gebt uns zinnene, wie es Euren Mägden geziemt.«

»Wie ihr wollt,« sagte der weise Mann, der da merkte, daß auf diese Weise das Rätsel sich nicht wolle lösen lassen. »Nun, wir wollen mal sehen,« sagte er, und legte den Finger an die Nasenspitze, indem er die vier Damen sich genau betrachtete. Allein es half ihm nichts, denn sie sahen alle vier ganz gleich aus. Dieselben roten Mieder, dieselben blauen Röcke, dieselben grauen Strümpfe, dieselben Haarzöpfe!

Der weise Mann fühlte sich nicht um ein Haarbreit weiser wie jeder Dummkopf, und er legte nochmals[273] den Finger an die Nasenspitze. Da fiel ihm nochmals etwas ein. Er setzte vor jedes der Mädchen ein Glas Warmbier und dachte dabei: die Prinzessin wird nur nippen, denn ohne Zweifel ist Warmbier nicht das Getränk, an das sie gewöhnt ist, die Gräfin gleichfalls, auch das Fräulein, die Bäuerin wird in vollen Zügen trinken.

Allein er irrte sich auch hier. Wie vorhin das Fräulein und die Bäuerin der Prinzessin und der Gräfin Zeichen gegeben hatten, so jetzt umgekehrt gaben diese jenen ein geheimes Merkmal, und die Prinzessin und die Gräfin tranken ihr Warmbier in ebenso vollen Zügen, wie es die Bäuerin und das Fräulein taten.

Abermals wußte der weise Mann nicht, was er hatte wissen wollen. »Wir wollen mal sehen!« sagte er nochmals, »es ist nicht aller Tage Abend. Wer sich am Tage verstellt, nachts verstellt er sich nicht, und wenn man verhindert wird, sich Zeichen zu geben, so handelt man ohne Zeichen unverstellt. Wir wollen die Nacht abwarten.«

Die Nacht kam und jedes der Mädchen erhielt seine eigene Schlafkammer.

Vorher hatte der schlaue Alte heimlich unter dem Pfühle einer jeden einen kleinen Kieselstein verborgen, ungefähr in der Größe eines Kibitzeies. Nun wartete [274] er ab, und wie sie am Morgen wieder zum Vorschein kamen, fragte er, wie sie geschlafen hätten. »Gut,« entgegneten alle viere. Aber der Alte merkte alsbald, daß drei der Mädchen trübe Augen hatten, wie jemand, der die ganze Nacht hindurch gewacht, und nur die vierte hatte klare Augen. Als daher die Nacht wiederum kam, stellte er sich lauschend bald hinter diese, bald hinter jene Tür, guckte durch ein Astloch und gewahrte nun, wie drei der Mädchen auf ihren Betten aufrecht wie ein Licht saßen und kein Auge zutaten, die vierte aber schlummerte auf ihrem Lager ganz vortrefflich. Nun hörte er auch, wie die eine der wachenden zu der andern sagte: »Ich weiß nicht, ich kann auf meinem Bette nicht schlafen, es liegt irgendwo ein Stück Felsen, das reibt und stößt mir die Hüfte durch, wenn ich darauf liege.« »Geradeso geht es mir,« rief die andere. »Und mir nicht um ein Haar besser,« bemerkte die dritte. »Der Alte hat ganz erbärmliche Betten.«

»Aha!« rief der schlaue Alte, »nun hab' ich's. Die vierte, die da ruhig schläft und nichts merkt, ist die Bäuerin; die ist an ein hartes Lager gewöhnt; die merkt nichts von dem Felsenstück.«

Am Morgen fragte er wieder die vier Mädchen, wie sie geschlafen, und sie antworteten wieder »gut«. Aber die drei, die kein Auge zugetan, hatten diesmal[275] noch trübere Blicke, die vierte sah aber lustig aus, wie gewöhnlich.

Der schlaue Alte ließ sich nichts von seiner Entdeckung merken. In der nächsten Nacht legte er in die Betten der drei ersten einen Pflaumenkern. Denn, sagte er bei sich, nun muß ich herausbringen, wer das Fräulein ist.

Nun saßen nur zwei wie ein Licht aufrecht im Bette, die dritte schlief ganz gut.

Am Morgen sagten wieder alle vier, sie hätten gut geschlafen, aber von den drei Paar trüben Augen waren nur ein Paar helle geworden.

»Ich weiß, was ich weiß!« sagte der schlaue Alte und legte den Finger an die Nasenspitze. »Jetzt wird es schwer sein ans Ziel zu kommen, denn die Gräfin und die Prinzessin haben so ziemlich einerlei Art. Allein wir wollen sehen.«

Jetzt legte er eine Erbse in beide Betten; allein weder die eine noch die andere konnte schlafen. »Was ist dir?« fragte die eine die andere. »Ich weiß nicht,« entgegnete diese, »es liegt in meinem Bette ein Stein wie ein Kinderkopf groß, ich kann nicht schlafen.«

»Geradeso geht's auch mir,« entgegnete die andere. »Wenn der Alte nicht bessere Betten anschafft, so geb' ich den Dienst bei ihm auf.«

[276] »Ei, ei, ihr Vögel!« lachte der Alte, »ist euch eine Erbse und ein Kinderkopf von derselben Größe? Das ist spaßhaft. Allein wir wollen sehen.«

Und er legte eine Linse zwischen das Bettuch und den Pfühl.

Da hörte er die Klage: »Wieder nichts mit dem Schlaf! Es liegt etwas wie ein Hühnerei groß in meinem Bette.«

»Geradeso etwas liegt auch in meinem Bette!« rief's an der andern Tür.

»Hol' euch beide der Kuckuck!« murrte der Alte. »Ihr verwünschten, verzogenen Katzen! Wie soll ich mit euch fertig werden? Da reicht ja die Schlauheit des Schlauesten nicht mehr hin. Aber ich muß die Prinzessin herausfinden. Wollen wir einmal sehen!«

Und er legte ein zusammengerolltes Rosenblatt in jedes Bette.

Jetzt hatte er's getroffen.

Die eine schlief vortrefflich, die andere konnte auch diesmal kein Auge zutun, und diese andere war die Prinzessin, die so zart gewöhnt war, daß selbst ein zusammengerolltes Rosenblatt auf ihrem Lager sie belästigte. Der Alte ließ jetzt verkünden, er hätte die vier entlaufenen Mädchen richtig gefunden, und man sollte kommen sie abzuholen. Da kamen die Gesandten [277] des Königs und des Grafen, und mit ihnen stellte sich der Vater des Fräuleins und der Bauer ein.

»Aber hast du auch wirklich die Rechten?« fragten alle vier. »Es sind uns so viel Unrechte zugeführt worden.«

»Es sind die Rechten,« entgegnete der schlaue Alte, »wenn sie's nicht sind, so schlagt mir den Kopf ab.«

»So sei es!« sagte der Gesandte des Königs. »Wir lassen uns nicht weiter betrügen. Die Mädchen sind gar zu schlau.«

»Ja, das sind sie. Aber sagt mir, ihr Herren, was bekomme ich für meine Mühe?«

Nun dachten die Gesandten und die zwei Väter hin und her, was sie dem Manne geben sollten. Der Bauer kratzte sich hinterm Ohr und murmelte vor sich hin: »Ich armer Mann, was soll ich geben? ich hab' ja nichts. Ich hab' nur einen einzigen Dukaten, und der ist noch beschnitten.«

»Ich will euch einen Vorschlag machen,« hub der schlaue Mann an, »gebt mir in Gewicht so viel an Gold, als die vier Gegenstände betragen, die ich in den vier Betten der Mädchen gefunden.«

»Potztausend!« riefen die beiden Gesandten heimlich zueinander; »er hat am Ende einen Liebhaber in diesem wie in jenem Bette gefunden, und wir müssen in Gold [278] bezahlen was so ein handfester Bauernbengel wiegt, denn hier auf dem Dorfe werden doch keine andern Liebschaften zu finden sein. Nein, das geht nicht! Das geht nicht! Wenn wir auch reich sind, so reich sind wir doch nicht.«

Der Vater des Fräuleins sagte: »Was kann er im Bette meiner Tochter gefunden haben? Vielleicht ihr Schoßhündchen? Das wäre eine saubere Geschichte, wenn ich in Gold zahlen sollte, was der Köter wiegt! Nein! nein! Ich liebe zwar meine Tochter sehr, allein so viel kann ich nicht geben, um sie wieder zu bekommen. Ich würde für meine ganze Lebenszeit ein bettelarmer Mann.«

Der Bauer dachte bei sich: »Was kann meine Strusel bei sich im Bette liegen gehabt haben? Sie ist ein ordentliches Mädchen, und dann hat sie auch nichts. Aber gleichviel, was es auch sei, ich geb's in Golde, und wenn ich auch meinen einzigen Dukaten und dazu mein Häuschen und Höfchen und mich selbst dazu hingeben sollte.«

»Nun, meine Herren?« fragte der schlaue Alte, wie lautet eure Antwort.

»Wir werden uns noch bedenken,« erwiderten die zwei Gesandten und der Vater des Fräuleins. Der Bauer aber rief: »Nur her damit! was es auch sei, ich zahle!«

[279] Der schlaue Alte ärgerte sich über die drei ersten Antworten, und freute sich nicht wenig über die letztere. Er erwiderte demnach: »Nein, meine Herren, was ich in Vorschlag brachte, war nur zum Scherz gesagt und um zu prüfen, wieviel Wert ihr auf eure Angehörigen legtet. Was mich betrifft, so hab' ich grade soviel, als ich brauche, und kann eher etwas verschenken, als daß ich nötig hätte, Geschenke anzunehmen. So will ich denn aus meiner Kasse jedem von euch das in Gold geben, was der Gegenstand wiegt, den ich in den Betten der Mädchen gefunden.«

»Ach, das läßt sich hören,« sagte der Gesandte des Königs mit einem tiefen Bückling, und dachte nun nicht anders, als würde er samt der Prinzessin auch das Gewicht ihres vermeintlichen Liebhabers in Gold heimbringen, und dafür gut bezahlt werden. Ebenso dachten der Gesandte des Grafen und der Vater des Fräuleins, der schon berechnete, daß der Schoßhund lange nicht geschoren sei und daher viel Wolle angesetzt haben müsse. Der Bauer dachte: »Nun, es wird das kupferne Ringlein sein, das mein Kind noch von der Mutter geerbt. Ei, den Ring in Gold zu bekommen, ist auch nicht übel.«

Aber alle vier täuschten sich in ihren Erwartungen, als nun der schlaue Alte die Gegenstände hervorholte, [280] und dem Gesandten des Königs ein dünnes Goldblättchen, gleich dem zusammengerollten Rosenblatte, dem Gesandten des Grafen ein Goldkörnchen, einer Linse groß, dem Vater des Fräuleins eine goldene Erbse, dem Bauer aber einen tüchtigen Goldklumpen, wie ein Kibitzei groß, übergab.

So hatte der schlaue Alte sein Wort gelöst, und gab dem ehrlichen Bauer nebst der Tochter auch Reichtum ins Haus, den er verdiente; die drei andern hatten zwar die entlaufenen Mädchen, aber dafür Neid, Bosheit und Verdruß in ihrem getäuschten Herzen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ungern-Sternberg, Alexander von. Märchen. Braune Märchen. Der schlaue Alte und die vier entlaufenen Mädchen. Der schlaue Alte und die vier entlaufenen Mädchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7282-7