[26] Dritter Gesang

Lange schon hatte die finstre Nacht mit mächtigen Schwingen
Ueber die Welt und das Dorf sich verbreitet. Die furchtsame Schloßuhr
Schlug jetzt zwölf; die schreckliche Stunde, worin die Gespenster
Frei umhergehn, mit rasselnden Ketten, mit glühenden Augen,
Und mit scheußlichen Larven. Die tiefste Ruhe beherrschte
Das altvät'rische Schloß; der alte Raban, Rosaura,
Koch und Kutscher und Magd lag tief im Schlafe vergraben.
Nur Lisette stickete noch, bei nächtlicher Lampe,
Ihrem Geliebten, dem schwarzen Jäger, Manschetten, als plötzlich
Die gefürchtete Mitternachtstunde mit silberner Stimme
Durch das einsame Schloß erschallt; da fiel ihr die Nadel
Aus der zitternden Hand; im Augenblick nahm sie das Nachtlicht
Und ging bebend aus Angst zur schneckenförmigen Treppe.
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Aber wie blind macht öfters die Furcht! Anstatt daß die Zofe
Zu dem niedern Gemach dicht an dem Dache hinaufstieg,
Kam sie in ihrer Bestürzung herab zur Thüre des Kellers.
Dieser war, schrecklich und wüst, schon lange die schwarze Behausung
Aller Gespenster gewesen. In bangen Mitternachtstunden
Hörte man oft ein Winseln darin, auch hatte der Kutscher
Blaue Lichter bei flimmernden Schätzen d'rin brennen gesehen.
Wie vom Donner gerührt stand jetzt die furchtsame Zofe
Vor dem Schlunde des Kellers; ein kalter panischer Schrecken
Sträubte der zitternden Nymphe das Haupthaar empor; mit Entsetzen
Stieg sie die Stufen von Neuem hinauf, und wollte nun sichrer
Ihre Kammerthür öffnen; da kam ihr der Schatten der Katze
Wild entgegen gebraust. Sie sahe die funkelnden Augen,
Und den zähnefletschenden Schlund, und stürzte sich schreiend
Tief in ihr Bette. Hier lag sie in Angst drei schreckliche Stunden,
Ohne den Kopf aus dem tiefen Gewühle der Federn zu wagen;
Bis sie der Schlaf mit dem Anbruch des Tags voll Mitleid besuchte.
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Aber der Schatten des Katers begab sich zur Kammer des Alten,
Schnaubte Rache, sprang wild auf den Tisch, auf welchem ein Nachtlicht
Sterbende blaue Strahlen verstreute. Die zitternde Flamme
Fuhr in die Höh' und erlosch; d'rauf schallte durch's einsame Zimmer
Murner's Todtengeheul. Der Alte fuhr auf aus dem Schlafe,
Furchtsam und blaß; da sah er den Cyper mit glühenden Augen,
Welcher höllische Flammen aus seinem Nasenloch brauste.
Schrecklich riß er den Mund auf und schrie. Vom wilden Geheule
Schallte das Schloß, und endlich verschwand der spukende Murner.
Er flog jetzo mit weniger Schrecken zum Zimmer Rosaurens,
Und erschien ihr im Schlaf mit blassem, entstelltem Gesichte.
Schönste Rosaura, (so sprach zu ihr) vergib es der Seele
Deines getödteten Cypers, wofern er die süßeste Ruhe
Mit der blassen Erscheinung dir stört! vergib es der Seele,
Welche, sogar von den Ufern des dunkeln Cocytus gewiesen,
In der Irre sich quält, da unbegraben mein Leichnam
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Auf dem Miste verachtet liegt, und meine Gebeine
Nicht einmal mit ein wenig Staub mitleidig bedeckt sind.
Ach, Rosaura! verdienet denn dies dein gewesener Liebling?
Hab' ich dir darum so oft im Leben die Hände geküsset,
Und die scharfen Klauen verborgen? und hab' ich dir darum
Deine widrigsten Feinde, die Ratten, so treulich gefangen,
Um nicht einmal ein Grab nach meinem Tode zu haben?
Ach! was kann ich dafür, daß einer Furie Listen
Mich auf deinen Vogel erhitzt? und kann ich die Triebe,
Welche die mächt'ge Natur zum Morden mir einblies, verändern?
Bin ich dafür nicht genug mit dem schmerzlichsten Tode bestrafet?
Göttliche Schöne, wenn anders dein Herz Erbarmen empfindet,
Wenn dein Cyper dir je in seinem Leben gefallen:
O, so lass' es nicht zu, daß sein verachteter Leichnam
Den gefräßigen Hunden und schnatternden Enten ein Raub sey!
Gib den armen Gebeinen ein Grab, und gönne die Ruhe
Seinem irrenden Schatten, daß ihm der mürrische Charon
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Ueber die Stygische Fluth die Fahrt verstatte; daß nicht mehr
Sein gepeinigter Geist mit andern Gespenstern umhergeh',
Und in finsterer Nacht mit seiner Erscheinung erschrecke.
Also sagte der Schatten des Katers, und flog in die Lüfte.
Aengstlich erwachte Rosaura. Die Morgenröthe bedeckte
Die Gebirge mit Purpur. Es tönte vom blumigen Anger
Das erweckende Horn des Hirten. Die nützlichen Stiere
Gingen langsam am Pfluge zum Acker. Der frühe Verwalter
Trabte mit seinem wiehernden Fuchs durch Haiden und Felder;
Dreimal zog Rosaura mit Macht die tönende Schelle,
Welche mit hellem, scharfem Geläute Lisetten erweckte.
Sie erschien vom nächtlichen Schrecken noch blaß und entstellet,
Und das Fräulein red'te zu ihr mit geflügelten Worten:
Ach! wie haben wir's denn vergessen, den armen Cyper
In die Erde zu scharren! Im Traum erschien mir sein Schatten,
Welcher herumirrt, weil wir ihn nicht mit Ehren bestattet.
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Ich vergeb' es mir nie, ich Undankbare! Wie hast du
Mich nicht erinnert, Lisette! So lägen seine Gebeine
Nicht verachtet in freier Luft, den Thieren zum Raube!
Eile, befiehl dem Gärtner, sogleich vom Mist ihn zu nehmen,
Und ihm unter den Linden am Wasser ein Grab zu bereiten.
Also das Fräulein. Lisette versetzt': Noch beb' ich vor Schrecken,
Denn auch mir ist der Schatten des todten Cypers erschienen.
O, wie gräßlich drohte sein Blick, indem er wildheulend
Ueber den Weg mir lief! Wir wollen ihn schleunig begraben,
Daß er nicht wieder mit seiner Erscheinung die Nacht durch uns störe!
Als sie noch sprach, da kam auch der Alte mit zitternden Füßen,
Lehnte sich auf den Dornstock und sprach: Ihr Kinder, begrabet
Schleunig den Leichnam des Katers! Noch bin ich des Todes vor Schrecken!
Denn, potz Stern! ich hab' ihn gesehn! Wie glühten dem Teufel
Seine höllischen Augen! Wie schnaubte die grimmige Nase
Flammen umher – ich verlang' es nicht wieder noch einmal zu sehen!
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Eilend begab sich die Iris des Fräuleins zum Gärtner und sagte:
Conrad, folge mir nach, und nimm vom Miste den Leichnam
Unsers verstorbenen Cypers. Am Wasser unter den Linden
Mach' ihm ein Grab, und leg' ihn darein; damit er nicht wieder
In dem Schlosse mit seiner Erscheinung die Lebenden schrecke.
Deine Mühe soll dir ein blanker Gulden belohnen,
Und ein Glas voll herrlichen Branntweins die Kehle dir netzen.
Also sprach sie. Ihr folgete Conrad, von Branntwein ermuntert,
Ging auf den Hof, und nahm auf den Spaten den Leichnam des Cypers,
Trug ihn unter die Linden, und legte die starren Gebeine
Tief in ein kühles Grab. Gleich flog sein irrender Schatten
Wieder zur Hölle hinab und mischte sich unter die Seelen,
Die zum schwankenden Kahn des alten Charons sich drängten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm. Gedichte. Murner in der Hölle. Dritter Gesang. Dritter Gesang. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AB2D-7