707. Allerlei Aberglauben.

1.

Geht man in ein Haus, so muß man sich setzen, sonst trägt man beim Gehen den Leuten den Schlaf hinaus.

2.

Verirrt man in einem Wald, darf man nur seine Tasche umkehren, so findet man wieder hinaus.

3.

Wenn bei einem Unschlittlichte die Putze gegen einen hinschaut oder hinneigt, der bekommt bald einen Brief.

4.

Wenn einen die Nase beißt, so gibt es was Neues.

5.

Eine Mutter, welche ein Kind unter dem Herzen trägt, soll nicht im geringsten etwas stehlen, weil das Kind sonst ein Dieb wird.

Ertingen.

6.

Wenn man alte Besenstumpen verbrennt, so zieht das Glück aus dem Haus und das Unglück zieht ein.

Ulm, Laupheim.

7.

Wenn man beim Essen viel spricht, bekommt man einen närrischen Mann, beziehungsweise ein närrisches Weib.

8.

An die Wiege soll man Amuletchen hängen. Man soll keine leere Wiege schaukeln, sonst bekommt das Kind, welches hineingelegt wird, Aissen (d.h. Geschwüre). Man soll keine Wiege überschreiten, sonst wächst das Kind nicht mehr.

Ertingen.

[495] 9.

Man soll keiner Schwangeren etwas versagen, wenn sie nach etwas gelüstet, und von allem, was man Gutes vor ihr ißt, mittheilen; man sagt dann: së! då nimm dês, suşt kriəgt dəẽ Petər kõẽ Nẽslẽ!

Baach.

10.

Wenn zwei Personen einen Gedanken zugleich haben, so heißt es, »schon wieder eine Seele erlöst, die wird springen.«

Baisingen.

11.

In jedem Hause ist eine Hausotter; sie befindet sich irgendwo in der Wand und durchzieht das ganze Haus. Sie bedeutet Glück, verläßt das Haus mit den Hausleuten und bezieht das neue.

Böhmenkirch.

12.

Wenn Kinder von Wurmlingen in die Stadt wollten, so sagte man allemal, bei der Linde hause ein grausamer Wolf, gebunden an einer Kette, komme ein Kind dahin, so reiße er los und fresse es 1.

Fußnoten

1 Pädagogisches Mittel, die Kinder vom »Verlaufen« fern zu halten.

13.

Morgens muß man nüchtern niesen, so bekommt man des Tags über Glück in's Haus.

Rauhe Alb, sonst.

14.

Sehen die Kinder einen »Klämmerhaufen« (Waldameisen), schneiden sie sich von einer Staude ein Rütlein, schälen das, begeifern es und legen es in den Ameisenhaufen, indem sie dazu schreien: »Klämmer, Klämmer, gib du mir einen sauren Wein, hernach gib ich dir einen süßen!« Nach Verfluß von einer Fünfvaterunserlänge nehmen sie Rütlein heraus und lecken es ab.

Lauterthal.

15.

Wer an einem Sonn- oder Festtage für Andere ein Kleidungsstück näht, darin schlägt der Blitz. Geht der oder die Eigenthümerin nach Amerika und trägt es, so geht das Schiff unter.

[496] 16.

Einem seltenen Besuche soll man ein Ei schenken.

Hertfeld.

17.

Wer ein Kind aus der Tauf hebt, baut sich eine Stufe in den Himmel.

Das.

18.

Einem zahnenden Kind soll man ein Ei schenken, dann zahnt es leichter.

Ertingen.

19.

Einen Bändel mit Knoten soll man nicht vom Weg aufheben; wer einen aufhebt, bekommt Warzen.

20.

Hat Jemand die Schnuppen, so wird er davon frei, wenn er unbeschrieen einem Andern in die Schuhe schneuzt.

21.

Taubenfleisch, häufig genossen, verursacht das Zipperlein.

Hertfeld.

22.

Will man von einem Schlafenden Geheimnisse erfahren, fasse man ihn an der großen Zehe und frage herzhaft, was man will. Nur muß man sich hüten den Namen des Schlafenden zu nennen, weil er sonst erwacht.

Ehingen.

23.

Wenn beim Butterausrühren der Rahm nicht brechen will, wirft man drei Brodbröckelein in den drei höchsten Namen in's Rührfaß, so geht's bald aus.

Ertingen.

24.

Man soll während des Kochens oder Essens Niemand die »Spätzlein« oder »Knöpflein« in die Pfanne oder in die Schüssel zählen, denn so »vergunnt« man Jemand das Essen, und der Essende wird von der Speise nicht satt.

Ertingen.

25.

Fällt Jemand etwas Spitziges, Messer oder Scheere, aus der Hand, daß es im Boden stecken bleibt, kommt bald ein Besuch oder erfährt man bald etwas Neues.

Tübingen.

26.

Will man einem Spielenden das Glück zuwenden, soll man ihm den Daumen halten, je fester, desto besser.

[497] 27.

Wer ein Salzbüchsle umwirft, bekommt am gleichen Tag noch Verdruß.

28.

Wer schimmelig Brod ißt, bekommt weiße Zähne.

Baach.

29.

Die Dreißigst-Eier werden mit einem † bezeichnet, dann kann man sie lange aufheben.

Hertfeld.

30.

Die Engel können so nahe zusammen sitzen, daß ihrer ein ganzes Hundert auf eine Nadelspitze sitzen kann.

31.

Wenn die Kinder unversehens einem Aas begegnen, spucken sie dreimal drauf und schreien: Pfui Teufel!dass məẽ Vatər und Muətər itt rəidig wëərət!

Ertingen.

32.

Den kleinen Kindern soll man die Nägel nicht beschneiden, die Mutter soll sie ihnen abbeißen 1.

Ertingen.

Fußnoten

1 Conlin sagt S. 104 ff.: Viel glauben, der kleinen Kinder ihre Nägel müssen zum ersten Mal von der Mutter abgebissen werden, sonst lernen sie stehlen. O Närrinnen!

33.

Alter Weiberblick ist ein böser Blick, besonders wenn er auf schöne Kinder fällt.

34.

Niemanden wird außerhalb des Familienkreises ein neugeborenes, ungetauftes Kind gezeigt, weil man die Wirkung »böser« Augen fürchtet 1.

Fußnoten

1 Der uralte Aberglaube des »malus oculus« der Römer, des mal occhio der Neapolitaner ist hier zu nennen. Alles, was die Gestalt eines Hornes hat, schüzt nach dem Glauben der Neapolitaner gegen den bösen Blick. Vgl. Theobald Kerners Aufsatz in Hackländers »Ueber Land und Meer« 1860. Nr. 18. S. 276c u. 278a, dem wir einiges entnehmen. »Der Glaube an das böse Auge, an eine manchem Menschen inwohnende Kraft mit dem bloßen Blicke Pflanzen und Thiere welk machen, ja tödten zu können, ist jezt noch ein in Italien und Spanien weitverbreiteter, aber durchaus nicht nur diesen Ländern allein eigen. Schon die urältesten griechischen Sagen berichten von bösen Augen unter dem Namen dertelchinischen Seuche. Die Telchinen waren die in Menschen umgewandelten Hunde des Aktäon, welche Alles, was in ihre Nähe kam, mit mißgünstigem, giftigem Auge betrachteten und demselben Verderben und Tod brachten. – Plutarch erzählt von Anwohnern des Pontus, sie seien nicht blos den Kindern, sondern auch den Männern durch ihren Augenzauber verderblich, denn alle siechten und erkrankten, gegen welche sie Blick und Athem hinwendeten, am gefährlichsten sei es aber kleinen Kindern von wegen ihrer noch weichen und flüssigen Constitution. Plinius in seiner Naturgeschichte lib. VII. c. 2. berichtet, es gebe in Afrika Familien von Solchen, deren lobend Wort das Gelobte verderbe, die Bäume verdorre und die Kinder tödte; dergleichen fänden sich auch bei den Illyriern, die durch ihren Blick bezauberten und Alles tödteten, was sie länger, besonders mit zornigen Augen anblickten, am leichtesten jedoch Kinder, und es sei merkwürdig, daß sie zwei Pupillen in jedem Auge hätten. Auch nach Polyarchus hatten die mit dem bösen Augenzauber behafteten Thybier eine doppelte Pupille an dem einen Auge, die Gestalt eines Rosses an dem andern. Auch im Norden, namentlich bei den an poetischen Sagen und Aberglauben so reichen slavischen Völkern, findet sich neben dem ausgebreiteten Glauben an Vampyrismus auch der an das böse Auge. – In Spanien glaubte das Volk an solche lebendige Todausstrahler. – Merkwürdig, daß in Deutschland auch zu einer Zeit, wo so manches arme Weib dem Aberglauben als Opfer fiel und als Hexe auf dem Scheiterhaufen endete, der Glaube an dasböse Auge keine rechte Wurzel faßte. Zwar liest man in den peinlichen Processen nicht selten von Katzenpfoten und Krötenfüßebildern, die man in den Pupillen der Hexen will wahrgenommen haben, aber die Verhexung selbst geschah mehr durch Zauberworte, sympathetische Mittel und Berührung, als durch böse Blicke. – Die Furcht vor dem bösen Auge ist wunderbarerweise in Italien auch in den gebildetsten Ständen noch nicht erloschen; die Korallenhändchen mit den ausgestreckten Fingerchen, die in Deutschland die Damen nur zum Scherz als Schmuck tragen, haben dort noch eine tiefere Bedeutung und sollen vor den Wirkungen des bösen Auges schützen, so gut als der Ausruf der italienischen Mütter, wenn Jemand ihr Kind lobt oder stark ansieht: ›di grazia non gli date mal d'occhio!‹«


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 707. Allerlei Aberglauben. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-053A-5