209. Der Kynsberg und seine Sagen.

(S. Müller, Vaterländische Bilder, S. 33 etc. nach Büsching, Sagen und Geschichten aus dem Schlesierthale und von der Burg Kynsberg. Breslau, 1824, in 4°.)


Auf einsam stehender Berghöhe ringsum von mächtigeren Bergen umgeben, in dem von der Weistritz durchströmten Thale, etwa 500 Fuß über dem Spiegel des Baches, liegt auf ziemlich breiter und nur mit einer dünnen Erdschicht überdeckten Bergeskuppe und mit waldigem Gebüsch umkränzt die alte Burg Kynsberg, um's Jahr 1198 erbaut. Von dieser Burg existiren eine Anzahl Sagen.

a) Das steinerne Kreuz im Teufelsthal.

In einer düstern Gegend, nahe am Fuße des wilden Eulengebirges lag ein einsames Haus mit einem schönen Garten; in diesem wohnten einst zwei Frauen: die eine in mittleren Jahren, die andere im blühenden Jugendalter, eine Nichte der erstern. Ein alter treuer Diener besorgte ihre häuslichen Geschäfte, Umgang mit andern Menschen hatten sie nicht. In der Nähe des Häuschens stand ein steinernes Kreuz zwischen hohen Fichten am Fuße eines schroffen Felsens angeblich zum Andenken daran gesetzt, daß einst hier ein junger Rittersmann aus Habsucht seinen Vetter im Zweikampf erschlagen hatte. Einst saß die Jungfrau, wie sie dies fast täglich zu thun pflegte, an einem schönen Oktobernachmittag an diesem Kreuze, als sie von Weitem Hundegebell und Stimmengewirr vernahm; plötzlich stürzte ein großer Hirsch in rasender Eile an ihr vorüber, eine Meute bellender Hunde folgte ihm und oben auf der steinernen Felswand, gerade über dem Kreuze sah sie plötzlich mehrere Männergestalten, von denen der eine, ein junger blonder Rittersmann, den Abgrund hinabklimmen wollte, aber von einem seiner Knappen mit den laut gesprochenen Worten davon abgehalten ward, er solle sich nicht in dieses Thal wagen, das noch keiner seiner Vorfahren wieder betreten habe, seitdem sein Großvater dort am Kreuze seinen Vetter erschlagen habe. Der junge Ritter warf einen Blick in die Tiefe hinab nach der ihm ganz unvermuthet aufgestoßenen Erscheinung und entfernte sich, das Mädchen aber eilte auch nach Hause zurück und theilte ihrer Base das, was sie gesehen, mit. Diese erkannte aus der gegebenen Beschreibung, daß der Ritter der Enkel ihres Todfeindes, des Ritters von Kynau sein müsse, dem das ganze Gebiet des Weistritzthales zu eigen gehörte. Da sie nun aber wußte, daß dieser ein Todfeind ihrer Familie sei, so hielt sie es für das Beste, ihre bisherige einsame Wohnung zu verlassen und sich einen andern, mehr verborgenen Aufenthaltsort zu suchen. Dies that sie auch, und als der junge Ritter von Neugier getrieben an einem der nächsten Tage ohne Begleitung wieder auf der in das Teufelsthal hinabblickenden Felswand erschien, [230] sah er sich vergeblich nach dem schönen Mädchen am Kreuze um, es war verschwunden. Da er nun aber das Häuschen erblickte, so glaubte er die Jungfrau jedenfalls in diesem anzutreffen; er klomm also den Felsen hinab und näherte sich demselben. Da er keine menschlichen Stimmen darin vernahm, auch auf sein wiederholtes Klopfen keine Antwort erhielt, so öffnete er die übrigens gar nicht verschlossene Thüre; allein er fand alle Zimmer leer, nur ein an der Wand hängendes Bild stieß ihm auf, welches einen Ritter darstellte, der einem ungeharnischten Gegner, der vor ihm kniete, sein Schwert in die Brust stieß, während eine etwas entfernt stehende gut gekleidete Frau einen Knaben in die Höhe hielt, um ihn gewissermaßen zum Zeugen des begangenen Mordes zu machen. Aus diesem Gemälde erkannte er leicht, daß in dieser Wohnung die Nachkommen des von seinem Großvater schmählich gemordeten Ritters ihren Aufenthalt genommen haben müßten, er beschloß aber gleichzeitig auch, das, was jener verbrochen, nach Möglichkeit wieder gut machen zu wollen. Diese Absicht wiederholte er auch dem in diesem Augenblicke in das Gemach tretenden Diener der bisherigen Bewohnerin dieses Hauses, der ihm gleichzeitig eröffnete, daß seine Herrin eben darum, weil sie diese endliche Entdeckung gefürchtet, einen bessern Versteck aufgesucht habe. Von diesem erfuhr er auch den genauen Bericht über die Unthat seines Großvaters.

Dieser war Besitzer der Burg Kynsberg nebst der Umgegend von Kynau bis an die große Steinkohlengrube gewesen, hatte aber nach dem Teufelsthale, welches nebst dem größten Theile des Eulengebirges und dem Weistritzthale seinem Vetter Albert von Falkenberg gehörte, Verlangen getragen und ihn deshalb befehdet. Endlich hatte er ihn hinterlistiger Weise zu einer Zusammenkunft im Teufelsthale geladen, angeblich um auf friedlichem Wege ihre Streitigkeiten auszumachen. Letzterer war auch gekommen, allein da jener sich mit ihm allein glaubte, reizte er ihn, den Unbewaffneten, zum Zweikampf und stieß ihm das Schwert in die Brust. Die Gemahlin Falkenberg's jedoch war ihrem Manne gefolgt und hatte den Mord mit angesehen. Durch ihr Hülfegeschrei aufmerksam gemacht, eilte er herbei, ergriff sie und schleppte sie mit auf seine Burg Kynsberg, wo sie im Gefängniß starb; die Besitzungen seines Vetters aber riß er ohne Mühe an sich, da die zwei Kinder des Gemordeten von einem treuen Diener gerettet und nach Breslau in ein Kloster gebracht worden waren. Letzterer ließ ein Gemälde jener grausigen That anfertigen, und als die Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, herangewachsen waren, ließ er sie vor demselben einen theuern Eid schwören, nicht zu ruhen und zu rasten, bevor sie nicht den Tod ihrer Eltern an dem Mörder gerächt hätten. Der Sohn konnte sein Wort jedoch nicht halten, er blieb auf einem Kreuzzuge und hinterließ eine kleine Tochter, die nun, da auch seine Gattin gestorben war, seiner Schwester zur Erziehung verblieb. Diese zwei Frauen waren es, welche bisher in diesem Häuschen gelebt hatten, und der alte Diener, welcher bei ihnen war, war derselbe, welcher einst die zwei Kinder Falkenberg's gerettet hatte und der jetzt mit dürren Worten dem erstaunten Ritter sagte, daß er sich keine Hoffnung machen dürfe, je das junge Mädchen die Seine nennen zu dürfen, denn er werde sie niemals wiedersehen.

Traurig kehrte der junge Kynsberger nach seiner Burg zurück, beschloß aber doch, sein Wort zu halten und die Schuld seines Ahnen durch Buße [231] zu sühnen. Er begab sich also am nächsten Tage nach Breslau, um dort in ein Kloster als Mönch zu treten. Dort angekommen, ging er nach der Elisabethkirche, die Messe zu hören; allein wie ward ihm, als er unter den Andächtigen die zwei Frauen aus dem Teufelsthale erkannte. Er wollte zwar, als sie die Kirche verließen, sich zu ihnen durchdrängen, allein diese hatten ihn auch erkannt, und so gelang es denselben, ihm auszuweichen und eher die Kirche zu verlassen, als er bis zu ihnen gelangen konnte. Als er endlich den Ausgang erreichte, waren sie verschwunden und trotz aller angewandten Mühe vermochte er nicht zu erfahren, wohin sie sich gewendet hatten. Sie hatten sich an einen Ritter von Zedlitz, der die Burg auf dem Zobtenberge besaß, gewendet, ein Freund ihrer Familie, und dieser war gern bereit gewesen, sie sammt ihrem alten Diener mit auf sein festes Schloß zu nehmen. Zwei Jahre vergingen für den jungen Kynsberg mit vergeblichem Suchen nach den zwei verschwundenen Frauen, er konnte sie nicht wiederfinden; da beschloß er eines Tages auf die Eberjagd im Teufelsthale zu gehen und ließ sich auch von seinen Dienern, welche ihm sagten, seit einiger Zeit sei dasselbe durch Teufels- und Gespenstergestalten heimgesucht und deshalb von Jedermann gemieden, nicht abwendig machen. Er nöthigte sie, mit ihm in den Abgrund über dem Kreuze hinabzusteigen und war nicht wenig verwundert, statt des Häuschens ein großes Gebäude im Thale zu erblicken. Als er in der Nähe des Kreuzes war, hörte er plötzlich eine klagende Frauenstimme, die einer andern drohenden antwortete; er schlich sich heran und sah seine geliebte Verschwundene auf den Knieen vor einer Teufelsgestalt liegen, welche ihr mit dem Dolche drohte. Dieses sehen und durch das Gebüsch dringen und gleichzeitig die Gestalt niederstoßen, war Eins; allein gleichzeitig sah er auch aus dem Hause eine ähnliche Gestalt nach dem Kreuze und dem an demselben befindlichen kleinen Weiher eilen. Er hatte keine Zeit nach der Ursache der Anwesenheit des Mädchens an diesem grauenvollen Orte zu fragen; er hob sie auf den Arm und klomm mit ihr die Felsenwand hinan, wo seine Diener standen, und ehe ihm noch die Verfolger nachkommen konnten, hatte er sich schon auf sein obenstehendes Roß geschwungen und jagte mit seinen Begleitern den Falkenberg hinab über den Stenzelberg, das Weistritzthal entlang der Kynsburg zu; seine Verfolger aber gaben bald die Verfolgung auf, da sie zu Fuß waren, und so gelang es ihm, die Burg seiner Väter unangefochten zu erreichen. Dort angekommen erfuhr er denn, daß das Mädchen mit ihrer Base und ihrem Diener vor zwei Jahren auf der Reife nach dem Zobtenberge von einer Räuberschaar überfallen worden war, die Letztere und ihren Beschützer, den Ritter von Zedlitz, bei der Vertheidigung der Frauen ermordet und diese dann erst nach ihrem Raubneste, und als dieses bald darauf von Rittern der Umgegend belagert und eingenommen ward, in das Teufelsthal geschleppt hatte. Hier erbauten sich die Wegelagerer ein ziemlich festes Haus und setzten die ganze Umgegend dadurch, daß sie sich in Thierhäute verkappten und in Teufelsgestalt herumliefen, in Furcht, so daß Niemand in die Nähe ihres Wohnsitzes zu kommen wagte. Das Mädchen rettete blos dadurch ihr Leben, daß sie dem Anführer der Bande vorspiegelte, sie wisse, daß unter dem Kreuze ein Schatz verborgen liege, der aber erst nach Verlauf von zwei Jahren von einer reinen Jungfrau am Tage der h. Walpurgis zwischen [232] acht und neun Uhr Morgens gehoben werden könne. Diese Zeit war gerade um und der Kynsberger dazu gekommen, als der Räuberhauptmann die Jungfrau dorthin geschleppt und sie mit dem Tode bedroht hatte, wenn sie nun nicht ihr Wort halten werde, den Schatz versprochenermaßen an's Tageslicht zu fördern. Glücklicher Weise hatte die Dazwischenkunft des Kynsbergers die nun ihr bevorstehende Katastrophe abgewendet. Da mittlerweile auch ihre Base gestorben war, hinderte nichts mehr ihre Vermählung mit ihrem Erretter, und so ward denn die Blutthat des Großvaters durch die Tapferkeit des Enkels gesühnt.

b) Die Gluckhenne auf Kynsberg.

Vor Zeiten ließ sich in einer Stube der alten Burg zuweilen eine Gluckhenne sehen, von schwarzer Farbe mit goldgelben Küchlein; sie kam regelmäßig unter dem Ofen hervor. Der Burgherr hatte sie nie selbst gesehen, wohl aber viele der Burgleute, die es jedoch möglichst vermieden, in diesem Zimmer sich aufzuhalten. Einst kam ein fremder Ritter zur Burg auf Besuch und zufällig wies man demselben das bewußte Zimmer zum Nachtaufenthalte an. Nachdem das Abendbrod vorüber war, begab sich derselbe mit seinem Knappen, für den in dem Zimmer ein zweites Bett vorgerichtet worden war, zur Ruhe; allein kaum war der Tag am nächsten Morgen angebrochen, so ließ der fremde Gast auch seinem Wirthe anzeigen, daß er auf der Stelle abreisen wolle. Natürlich verlangte Letzterer, er solle zuvor wenigstens mit ihm ein Frühstück einnehmen, und um nun nicht in den Verdacht der Unhöflichkeit zu kommen, ließ sich der Ritter auch bewegen, noch einige Stunden zu verweilen. Indeß fiel dem Burgherrn beim Eintritt desselben in den Speisesaal dessen verstörtes Aussehen auf und er fragte ihn deshalb, ob er denn nicht gut geschlafen habe. Der Gast versetzte, dies sei allerdings nicht der Fall gewesen, und da nun jener bestürzt und erzürnt fragte, wer ihn denn gestört, so erzählte jener, er sei bald nachdem er sich niedergelegt ebenso wie sein Knappe eingeschlummert; nach einiger Zeit sei er aber durch ein sonderbares Geräusch erwacht; zwar sei die Lampe, welche sie auf den Tisch gestellt, noch nicht erloschen gewesen, allein da habe er plötzlich gesehen, wie unter dem Ofen hervor eine schwarze Gluckhenne, von einigen Küchlein begleitet, hervorgekommen, mitten in das Zimmer mit ihnen gegangen sei und dort gegluckt und gescharrt, dann aber mit ihren Flügeln so stark geflattert habe, daß davon die Lampe erloschen sei. Darauf durchwandelte sie das ganze Zimmer, kam endlich auch vor das Bett des Gastes, flatterte in die Höhe und plötzlich flammte die Lampe wieder auf, dann kehrte sie wieder nach der Mitte des Zimmers um, pickte auf dem Fußboden wie nach Futter, die Küchlein versammelten sich um sie und sie kehrte dann nach dem Ofen zurück, unter dem sie verschwand. Der Ritter, der anfangs meinte, es sei eine wirkliche Henne, welche hier vielleicht ihr Nest aufgeschlagen, sprang aus dem Bette, nahm die Lampe und suchte unter dem Ofen nach ihrem Lager, konnte aber nichts finden. Er weckte nun seinen Knappen, der sonderbarer Weise nicht aufgewacht war, also auch nichts gesehen hatte, erzählte ihm, was er gesehen, und nun blieben Beide vor Grausen bis gegen Morgen wach, wo mit dem Tageslichte erst wieder Muth in ihr Herz zurückkehrte. Nach einem solchen Zeugniß konnte nun der Burgherr freilich[233] nicht mehr zweifeln, daß das Gerede von der spukhaften Henne, worüber er bisher stets gespottet, doch etwas Wahres enthalte; er befahl also den Ofen wegzureißen, und man fand unter demselben eine viereckige kastenartig gemauerte Vertiefung, in dieser aber ein Kästchen mit den Gerippen zweier längst schon verweseten Kinder. Diese Gebeine wurden sofort in geweihter Erde beigesetzt, wer aber hier eine Unthat verübt und an wem sie vollzogen, ist niemals an den Tag gekommen, die Gluckhenne und die Küchlein jedoch sind seit dieser Stunde niemals wieder zum Vorschein gekommen.

c) Die große Forelle im Eselsbrunnen.

Achthundert Schritte von der Burg Kynsberg, an der Thalseite des Schloßbergs ist der Eselsbrunnen, aus dem die noch jetzt auf der Burg wohnenden Leute ihr Koch- und Trinkwasser holen, weil sie das Wasser des tiefen Windebrunnens im Schloßhofe für ungesund halten. Weil aber zum Hinaufschaffen des Wassers ein Esel verwendet wurde, so hieß der Brunnen der Eselsbrunnen. Nun hatte einer der früheren Burgherrn, um das Wasser im Brunnen rein und klar zu halten, eine große Forelle hineinsetzen lassen und der Eseltreiber hatte darauf zu achten, ob die Forelle noch darin sei. Einst stand nun der Burgherr bei einer mondhellen Nacht im obern Saale und schaute am Schloßberge hin, da sah er einen Mann beschäftigt, den Brunnen auszuschöpfen. Da nahm er sein Sprachrohr und rief ihm mit mächtiger Stimme zu: »Laß die Forelle stohn, sonst ist der Strang Dein Lohn!« Aber der Fischer ließ sich nicht stören; der Brunnen war bald ausgeschöpft; der Dieb eilte flüchtig mit der Forelle davon und ließ sie sich herrlich schmecken. Als nun aber der Eseltreiber am nächsten Morgen mit seinem Esel hinkam, sah er die Forelle nicht mehr; er machte also hierüber Anzeige beim Burgherrn und dieser ließ den Dieb, den er genau bezeichnen konnte, zur Strafe wirklich henken.

d) Die weiße Frau.

Auf der Burg Kynsberg hat sich bis auf die neuere Zeit herab eine weiße Frau sehen lassen. Einstmals war hier ein großes Fest; die Männer zechten im Rittersaale, die Damen aber hatten sich einstweilen zum Lustwandeln in den Garten begeben. Nun war aber einer der Ritter, ein gewisser Bernhard von Haugwitz, der Liebhaber einer der mit anwesenden Jungfrauen, einer gewissen Adelheid von Schafgotsch. Es gefiel ihm nach der Entfernung seiner Angebeteten nicht länger unter den wilden Zechern. Er verließ also das Gelage und begab sich in den alten Rittersaal, aus dessen Fenstern er in den Burghof sehen konnte. Wie er nun so träumerisch hinabschaute, sah er auf einmal aus dem Burgthore ein weiß gekleidetes Fräulein langsam nach dem Windebrunnen, der sich daselbst befindet, schreiten. Er glaubte es sei seine Geliebte und rief sie laut bei ihrem Namen; sie drehte sich schnell um, winkte ihm mit der Hand, trat dann an den Rand des Brunnens und stürzte sich kopfüber hinab. Mit einem Schrei des Entsetzens taumelte der Ritter vom Fenster hinweg, eilte mit lautem Hülferuf in den Hof hinab und erzählte den eilig Hinzukommenden, was er gesehen. Während nun aber Alle rathlos dastanden, traten auf einmal sämmtliche Frauen aus dem Schloßgarten in den Hof, Adelheid mitten unter ihnen, [234] und nun wußte Jeder, wer die weiße Gestalt gewesen war; es war die weiße Frau gewesen. Späterhin hat man sie noch oft gesehen; sie kam aus dem Schlosse herunter, ging unter der Kapelle durch und dann rechts über die Treppe hinunter auf die Pferdeställe zu und verschwand beim alten Stalle.

e) Das goldene Eselsfüllen.

Als im Jahre 1476 die Räuber, welche die Kynsburg besetzt hielten, vertrieben wurden, sollen sie einen großen Schatz in dem Gemäuer derselben verborgen haben, den man bisher noch nicht wiedergefunden hat. Allerdings erzählt man sich, es habe im Jahre 1633, als die Schweden die Burg besetzten, ein Oberst derselben in einem Pfeiler ein goldenes oder mit Gold gefülltes Eselsfüllen gefunden mit der Inschrift: »Gold ist mein Futter, nicht weit hiervon steht meine Mutter!« Die Stelle, wo dasselbe gestanden hat, zeigt man noch, seine Mutter aber hat man trotz der vielen Löcher, die man, um sie zu suchen, in die Mauern gemacht hat, noch nicht gefunden.

f) Der treue Hund.

Im Anfange des 18. Jahrhunderts ritt der Sohn des damaligen Besitzers, eines Freiherrn von Eben, ein junger rascher Knabe, täglich auf einem kleinen Pferde nach Schweidnitz in Begleitung eines großen dänischen Hundes in die Schule. Er kehrte gewöhnlich zu einer gewissen Stunde durch das Schlesierthal und über den sogenannten Karetenweg, einen in Felsen gehauenen schmalen, nur für die Burgbewohner bestimmten Fahrweg, an den ein tiefes Thal mit schroffen Felswänden stößt, zurück. Eines Tages kam er jedoch zur gewohnten Stunde nicht wieder; man glaubte erst, er habe irgendwo einen Besuch gemacht, als aber eine Stunde nach der andern verging, ohne daß er wiederkehrte, machten sich Vater und Mutter des jungen Mannes mit ihren Leuten auf den Weg, um ihm entgegenzugehen. Da sahen sie schon aus weiter Ferne das Pferd am steilen Abhange stehen, und zwar ohne Reiter. Als man aber näher kam, da stand der Hund vorn neben dem Pferde, den Zügel desselben im Maule haltend, der junge Eben aber, mit einem Fuß fest im Steigbügel, hing mit dem ganzen Leibe, den Kopf nach unten, weit hinaus über das Fahrgleis in das tiefe Thal hinab. Wäre das Pferd nur noch drei Schritte weiter gegangen, würde er unfehlbar kopfüber in den Abgrund gestürzt sein; allein die Klugheit des Hundes hatte dies verhindert, indem er den Zügel des Pferdes mit seinem Gebiß eisenfest hielt. Man machte den Knaben sorgfältig los, richtete ihn in die Höhe und als er wieder zu sich kam, erzählte er, daß sein Pferd sich vor Etwas unversehens gescheut und einen ungewöhnlichen Satz gemacht habe, worüber er aus dem Sattel gekommen und herabgestürzt sei, worauf der Hund aber den Zügel ergriff und den Fall verhinderte. Aus Dankbarkeit ließen die erfreuten Eltern den Retter und Geretteten neben einander in Lebensgröße abmalen und zum immerwährenden Andenken in der Burg aufhängen.

g) Die drei Altväter.

Im siebenjährigen Kriege, als die Oesterreicher im Weistritzthale festen Fuß gefaßt hatten, kam auch eine Anzahl Offiziere auf die Kynsburg, um das Innere derselben anzusehen. Die Herrschaft war längst abgereist und [235] hatte sich an einen sichern Ort begeben, nur der Beamte mit seinen Leuten war zu Hause. Die Offiziere verlangten nun von demselben, er solle alle Zimmer öffnen, da sie das Schloß ansehen wollten. Der Verwalter erklärte sich hierzu sofort bereit, bemerkte aber, daß einige Gemächer schon seit vielen Jahren verschlossen seien und er solche darum nicht öffnen könne, weil die Schlüssel längst verloren gegangen seien. Dies half aber nichts, es ward ihm befohlen, einen Schlosser kommen und durch diesen die verschlossenen Zimmer aufsprengen zu lassen.

Während sich nun die Offiziere im andern Theile des Schlosses umsahen, ward der Schlosser angewiesen, im hintern Theile der Burg die verschlossenen Thüren aufzusperren. Er that dies auch ohne große Mühe und so kam er auch an eine schmale eiserne Pforte; er versuchte mehrere Nachschlüssel, endlich paßte einer und plötzlich sprang das Schloß auf. Er trat in ein kleines dunkles Zimmer; aber was sah er? Drei alte Männer in langen Kleidern, denen ihre weißen Bärte die Brust bedeckten, saßen an einem Tische, auf dem ein großes Buch aufgeschlagen war, und hefteten ihre starren Augen auf den Eintretenden. Der Schlosser, ein beherzter Mann, wagte nicht weiter zu gehen, sondern eilte aus dem Gemach und warf hinter sich die Thüre in's Schloß. Dann lief er, was er konnte, den Berg hinunter nach seiner Wohnung und dort angekommen sank er vor Ermattung und Schreck zu Boden; seine Angehörigen hoben ihn auf und legten ihn in's Bett, welches er für längere Zeit hüten mußte. Er ward später noch öfters aufgefordert, die Thüre wieder zu suchen, allein er hat sie niemals wieder auffinden können.


Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 209. Der Kynsberg und seine Sagen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-42A1-4