1804, Ende Februar.
Mit Friedrich Wilhelm Gubitz
Nur vier Tage wollte ich in Weimar rasten; vorhabende Arbeiten, hier wenig gefördert, bedrängten mich, und ich bereute schon, nicht mit den Empfehlungsbriefen mein Heil bei Goethe Versucht zu haben. Bereits packte [265] ich mein Bischen Habe, .... da kam Abends nach sieben Herr v. Lynker in einem Domino, ließ auch mir einen darreichen von seinem mitgebrachten Diener mit den Worten: »Im Theatersaal ist Probe von einem Maskenspiel, Goethe muß dabei sein; ich habe vermittelt, daß sie als Fremder Zuschauer sein können; beeilen wir uns!« Bebend zog ich das Beste an, was ich hatte, ein hellblauer Seidenmantel wurde mir übergeworfen, eine Maske sollte ich dort empfangen – was sich jedoch nicht erfüllte. Bald stand ich in einem mäßig großen Saal und drückte mich neben einem Gewirr von Menschen, nur zum Theil maskirt, an die Seite ..... »Wenn er da ist, erfahren sie es im Moment.« Mit diesem Zuruf beruhigte mich mein Beherrscher, der irgendwo beschäftigt sein mußte ..... Etwa sehr lange anderthalb Stunden waren vergangen, bevor es hieß: »Da ist er! Dort steht er!« und es bedurfte mancher Windung, um mir bis zur angedeuteten Stelle zu helfen. Endlich kam ich näher; ich hörte seine starke klangvolle Stimme. O weh! Goethe, der seinen Seidenmantel, rosenfarb oder gelb – bei dem Lichtschimmer konnte ich mir die Farbe nicht genau bestimmen – hin- und herwerfend behandelte, sprach so heftig mit einem andern, – mit dem Theater-Intendanten [vielmehr: Mitglied der Theatercommission] Kirms, was ich nachher entdeckte – daß ich noch ängstlicher wurde. Aus dem lauten Gespräch ging hervor: bei einer Abendprobe im Theater war Goethe über [266] einen Schauspieler – sein Name lautete, wenn ich dessen mich richtig entsinne, Zimmermann – so bitterböse geworden, daß er sich höchst unglimpflich äußerte über Anmaßungen der Komödianten. Mir flog der Athem ; in mir rief es: jetzt oder nie! Meine Zaghaftigkeit gipfelte, wurde unwillkürlich im Wagemuth, und ohne Überlegung hatte ich mich in den Eifer gegen Komödianten gemischt. Was mir erst in der Zukunft als Erfahrung reifte – wie raschbereit der Aufgebrachte, wenn ihm einer recht giebt, sich zu diesem wendet, das bewährte sich hier. Ich hatte den Erfolg, daß Goethe auf mich einredete, unterhielt seinen Zorn so gut oder schlecht meine sich nicht zurechtfindende Stimmung dies vermochte, habe keine Spur mehr von dem Gemengsel, was ich schwatzte, bis er hell auflachte, dann aber, wie in Haft zur Hoheit gleichsam umgeschaffen, mit wahrhaft erschütterndem Gebieterton fragte: »Aber mit wem spreche ich? Wer sind Sie?« Meine Empfehlungsbriefe von Mahlmann und Rochtitz hatte ich im Widerstande gegen mein Zittern in der Tasche fast krampfhaft festgehalten; sie schnell hervorziehend, nannte ich, nun bis zu Thränen erschreckt, meinen Namen, demüthig scheu hinzufügend: »Ihnen diese Briefe zu überreichen, suchte ich in den wenigen Tagen hiesigen Aufenthalts vergeblich Gelegenheit, die Gunst des Augenblicks verlieh sie mir, und frevelhaft habe ich sie ergriffen.« – »Wer sind Sie? Doch nicht der Gubitz, der sich in der Holzschneidekunst auszeichnete?« so fiel Goethe fragend ein, wie selber[267] betroffen, und nach meiner Entgegnung: »Ob auch von Ihrer gütigen Meinung beschämt, habe ich freilich zu antworten: der bin ich.« – Ohne etwas darauf zu erwiedern, erfaßte er mich beim Arm, schob mich an einen Pfeiler, sagte: »Hier bleiben Sie stehen! Hier will ich Sie treffen, jetzt hab' ich zu thun.« Dann verschwand er, und ich stand nochmals da in zweifelsüchtiger Hoffnung, die indeß der Geduld nicht lange bedurfte. Zurückkehrend rief Goethe mich an: »Aber, mein Gott! sind Sie's denn wirklich? wie alt sind Sie?« – »Im achtzehnten Jahr,« antwortete ich und er entgegnete: »Man möcht's nicht glauben! wie lange bleiben Sie hier?« – Ich sagte ihm, daß ich nur gezögert habe, Weimar zu verlassen, um ihm genähert zu sein; der kommende Morgen treibe mich nach Jena, dort meine Universitätszeit mit dem Examen zu enden. Überrascht fragte er weiter, und ich gab nun schüchtern Bescheid, bis er dringlich einfiel: »Von der Abreise sei einstweilen nicht die Rede! Heut noch zeige ich Ihnen meine Wohnung, erwarte sie dort morgen Vormittag um Zehn;« und auf meine Bemerkung, daß ich schon vor seinem Hause gewesen sei, erwiderte er mir die Hand reichend: »Also, morgen früh!« in flüchtiger Weise; denn eben wurde nach ihm gesandt.
Noch zwei Tage blieb ich in Weimar, stundenlang in Goethes Zimmern, wo ich, zwischeninne oft ohne seine Anwesenheit, die musterhaft geordneten Sammlungen von Zeichnungen und Kupferstichen beschauen, [268] mich zugleich noch mancher Beweise seiner Zuthulichkeit erfreuen konnte. In bester Laune erwähnte er, daß er als Student in Leipzig sich im Breitkopf'schen Hause auch mit dem Holzschnitt beschäftigt habe, also wohl wisse, was mir gelungen, und ich vernahm dabei aufmunternde Äußerungen; dennoch hielt mich sein Benehmen in Scheu. Meinem Hang zum Dorfpastor war er nicht gleichgesinnt, obwohl er »das schließlich Anhaltsame in dieser Entzweiheit« gelten ließ, und als ich erzählte, wegen meiner Bemühung im Holzschnitt sei ich bereits von drei Kupferstechern öffentlich besehdet, sagte er aufgeregt und mir unvergeßlich: »es steckt etwas Verruchtes in solcher steten Negation, die immer bei der Hand ist; man muß sich nicht daran kehren, doch das Rechte thun, sonst ist nichts zu heben.«
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