1828, Juli oder August.


Mit Gottlob Friedrich Krauße
und Karl August Christian Sckell

Einmal war einiger Mangel in Küche und Vorrathskammer eingetreten; ich ging daher mit dem Secretär und dem Bedienten, als am späten Nachmittag die Gäste abgereist waren, nach dem nahen Dorndorf, um Einkäufe zu machen. Unsere Geschäfte waren bald besorgt, Zeit war noch übrig. Wir benutzten dieselbe und gingen zusammen zu einem Weinbergsbesitzer, um dort ein Glas Wein zu trinken. Der Stoff mundete; [310] wir blieben ziemlich, lange sitzen. Als wir endlich aufbrachen, hatte ich große Noth, meine beiden Begleiter nach Hause zu bringen; sie hatten nicht geglaubt, daß der Dornburger Wein auch zu Kopfe steigen könne. Endlich hatte ich sie auf ihr Zimmer gebracht. Die Sache war mir höchst unangenehm; denn beide befanden sich in einem Zustande, in dem sie unmöglich vor Goethe erscheinen konnten, und doch war bereits die Zeit gekommen, zu welcher er gewöhnlich den Bedienten verlangte, um das Nachtlicht anzuzünden, welches er allnächtlich brennen ließ. Kurze Zeit darauf, als ich sie verlassen, begab ich mich wieder in ihre Zimmer; sie lagen bereits in tiefem Schlafe; sie zu ermuntern war unmöglich. Bald darauf rief Goethe: »Friedrich! Friedrich!« Vergebens! Ich ging sofort zu Goethe hinauf und fragte, was zu Befehl stehe. Er antwortete: Friedrich sei noch nicht dagewesen, um das Nachtlicht anzuzünden. Ich besorgte das Licht und entfernte mich wieder. Bald darauf rief er nicht allein nach dem Bedienten, sondern auch nach dem Secretär. Keiner hörte. Ich begab mich sofort wieder auf sein Zimmer und fragte nach seinem Begehren. Goethe antwortete: »Ich will ausgekleidet sein und mich zur Ruhe begeben. Wo sind denn die beiden? Es läßt sich ja keiner sehen und hören!« Ich zuckte mit den Achseln und gab zur Antwort, daß ich es nicht wisse. Mein Anerbieten, ihm behilflich zu sein, wies er höflich dankend zurück, und ich empfahl mich.

[311] Ich hatte die Nacht über wenig Ruhe, indem ich fürchtete, Goethe werde den wahren Sachverhalt erfahren, recht ungehalten auf mich sein und mir einen Theil der Schuld zuschreiben. Mit Tagesanbruch stand ich auf und sah vor allen Dingen nach den beiden, welche Tags zuvor so durstige Kehlen gehabt hatten. Ich fand sie wohl und munter. Als ich ihnen mitgetheilt hatte, daß Goethe zweimal nach ihnen gerufen habe, stellte sich freilich der moralische Katzenjammer ein. Ganz besonders war Friedrich über meine Nachricht erschrocken; er wollte sich gar nicht beruhigen lassen. Als ihn bald darauf Goethe rief und den Kaffee zu bringen befahl, wurde er todtenbleich und wankte mit schlotternden Gliedern die Treppe hinauf. Neugierig, was Goethe wohl sagen werde, schlich ich mich hinter dem Bedienten her und blieb horchend an der Thür stehen. Als der Bediente eingetreten war, sagte Goethe: »Na, na, Friedrich! Du zitterst ja wie ein armer Sünder. Setze nur das Kaffeebret ab, sonst lässest Du es noch fallen. Nicht wahr, Du glaubst, ich werde Dich recht auszanken? Das thue ich nicht; Du hast ja Deine Strafe wohl so schon bekommen? Wie sieht es denn heute hier aus?« fuhr er fort, sich mit dem Zeigefinger über die Stirne streichend. »Setz nur ab und gehe! Es ist abgemacht.« – Hoch erfreut, mit diesem kleinen Verweise davongekommen zu sein, verließ der Bediente das Zimmer.

Einige Tage nach diesem Vorfall fragte mich Goethe, [312] ob es denn bei den vielen Weinbergen hier auch trinkbaren Wein gebe? Ich erwiederte, daß im vorigen Jahre die Ernte reichlich und gut ausgefallen sei und in Dorndorf ein Weinbergbesitzer wohne, welcher bereits einen guten Rothwein ausschenke. Auf seinen Wunsch besorgte ich sogleich eine Flasche dieser Sorte, welche ihm so wohl mundete, daß er dem Bedienten den Auftrag gab, jeden Tag eine Flasche dieses Weins zu besorgen, die zum Frühstück und Nachmittags 5 Uhr – Abends speiste Goethe nicht – zu einem Franzbrode getrunken wurde. Dies geschah acht Tage, dann aber äußerte er gegen den Bedienten: »Höre Friedrich! der Wein schmeckt zwar sehr lieblich, aber ich bekomme etwas Schärfe an mir; daran ist dieser junge Wein schuld. Ich muß also aussetzen und mein Glas alten Moselwein wieder trinken.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1828. 1828, Juli oder August. Mit Gottlob Friedrich Krauße. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A459-1