1828, 9. October.


Mit Jenny von Pappenheim

Einige Tage 1 später war Thee bei Ottilie. Man stand umher, sprach mit gedämpfter Stimme, sah sich bei jedem Geräusch erschrocken nach der Thür um, als [155] ob eine Geistererscheinung erwartet würde, aber sie kam nicht, Ottilie sollte sie herausbeschwören, doch die irdischen wie die himmlischen Geister sind eigensinnig. Man wurde unruhig. Tieck wechselte die Farbe, biß sich auf die Lippen, immer häufiger flogen die unsichtbaren Engel durch's Zimmer. Ich wandte mich an Eckermännchen, der still in einer Ecke stand und eben sein unvermeidliches Notizbuch einsteckte. ›Er will nicht,‹ sagte er. Da nahm ich meinen Muth zusammen und ging hinunter. Die ersten Stufen lies ich, die letzten schlich ich nur langsam; denn ich fürchtete mich doch etwas und wäre fast schon umgekehrt, wenn ich mich nicht vor Friedrich geschämt hätte. Er wollte mich nicht melden; ich sollte nur so hineingehen, meinte er.

Goethe stand am Schreibpult im langen, offenen Hausrock, einen Haufen alter Schriften vor sich. Er bemerkte mich nicht; ich sagte schüchtern: »Guten Abend!« Er drehte den Kopf, sah mich groß an, räusperte sich, – das deutlichste Zeichen unterdrückten Zornes. Ich hob bittend die Hände. »Was will das Frauenzimmerchen?« brummte er. »Wir warten aus den Herrn Geheimrath und Tieck –« – »Ach was!« polterte der alte Herr; »Glaubt Sie, kleines Mädchen, daß ich zu jedem laufe, der wartet? Was würde dann aus dem da?« und damit zeigt er auf die offenen Bogen; »wenn ich todt bin, macht's keiner. Sagen Sie das droben der Sippschaft. Guten Abend.« Ich zitterte beim Klang der immer mächtiger anschwellenden[156] Stimme, sagte leise »Guten Abend!« Doch er mochte wol sehr traurig geklungen haben; denn Goethe rief mich zurück, sah mich freundlich an und sprach mit ganz verändertem Tonfall: »Ein Greis, der noch arbeiten will, darf nicht jedem zu Gefallen seinen Willen umstimmen; thut er's, so wird er der Nachwelt gar nicht gefallen. Gehen Sie, Kind! Ihre frohe Jugend wird denen da oben besser behagen, als heut Abend mein nachdenkliches Alter.«


Note:

1 Irrig statt: »einen Tag«.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1828. 1828, 9. October. Mit Jenny von Pappenheim. TextGrid Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A4E8-0