Jean-Baptiste Boyer, Marquis d'Argens
Die philosophische Therese
oder
Beiträge zur Geschichte
des Paters Dirrag
und des Fräuleins Eradice
(Thérèse philosophe)

Die Geschichte der philosophischen Therese

[5] Wie, Herr Graf, Sie wünschen allen Ernstes, daß ich meine Geschichte schreibe? Sie wünschen, daß ich die mystischen Vorgänge schildere, die sich zwischen Fräulein Eradice und dem hochwürdigen Vater Dirrag abspielten? Daß ich Ihnen von den Abenteuern der Frau C. mit dem Abbé T. erzähle? Sie verlangen von einem Mädchen, das niemals etwas geschrieben hat, eine ausführliche Beschreibung, wozu eine systematische Anordnung des Stoffes nötig ist? Sie wünschen ein Gemälde, worauf die Vorgänge, von denen ich Ihnen erzählt habe oder die wir selber mit erlebt haben, mit dem ganzen Zauber der Wollust dargestellt sind? Und Sie wünschen zugleich, daß die metaphysischen Betrachtungen mit ihrer vollen Kraft wiedergegeben werden? Wahrhaftig, mein lieber Graf, dies scheint mir über meine Kräfte zu gehen. Übrigens war Eradice meine Freundin, und Pater Dirrag war mein Beichtvater; ich schulde der Frau C. und dem Abbé T. Gefühle der Dankbarkeit. Soll ich das Vertrauen von Leuten täuschen, gegen die ich die größten Verpflichtungen habe? Denn die Handlungen der einen und die weisen Betrachtungen der anderen haben mir allmählich die Augen geöffnet und mich über die Vorurteile der Jugend aufgeklärt. Aber, sagen Sie, das Beispiel und die Belehrung haben Sie glücklich gemacht – warum wollen Sie nicht versuchen, durch Beispiel und Belehrung auch zum Glücke Ihrer Mitmenschen beizutragen? Welche Furcht hält Sie ab, Wahrheiten niederzuschreiben, die nur dem Nutzen der menschlichen Gesellschaft dienen können?

Nun, mein lieber Wohltäter, so widerstehe ich denn nicht länger: Ich werde schreiben; denkende Menschen werden die Mängel meines Stiles um [5] meiner Aufrichtigkeit willen mir verzeihen, und aus Dummköpfen mache ich mir nicht viel. Nein, Ihre zärtliche Therese wird Ihnen niemals einen Wunsch abschlagen; Sie werden von ihrer zartesten Kindheit an in alle Falten ihres Herzens sehen; ihre ganze Seele wird sich vor Ihnen entfalten in der genauen Beschreibung der kleinen Abenteuer, die sie sozusagen ohne ihr Zutun Schritt für Schritt zum Gipfelpunkt der Wollust geführt haben.

Törichte Menschen! Ihr glaubt es in eurer Macht zu haben, die Leidenschaften zu ersticken, die die Natur euch eingepflanzt hat! Nein, sie sind Gottes Werk! Ihr wollt diese Leidenschaften zerstören, sie in gewisse enge Grenzen bannen. Wahnsinnige! Ihr gebt euch also für neue Schöpfer aus, die mächtiger sein wollen als der alte? Werdet ihr denn niemals sehen, daß alles so ist, wie es sein muß, und daß alles gut ist? Daß alles von Gott ist und nicht von euch, und daß einen Gedanken zu schaffen ebenso schwierig ist wie die Erschaffung eines Armes oder eines Auges?

Mein Lebenslauf ist ein unbestreitbarer Beweis dieser Wahrheiten. Seit meiner zartesten Kindheit hat man mir stets Liebe zur Tugend und Abscheu vor dem Laster gepredigt. Man sagte zu mir: Du wirst nur in dem Maße glücklich sein, wie du die christlichen und moralischen Tugenden übst. Alles was sich davon entfernt, ist Laster; das Laster zieht dir Verachtung zu und die Verachtung erzeugt als natürliche Folgen Scham und Gewissensbisse. – Von der Trefflichkeit dieser Lehren überzeugt, habe ich bis zum Alter von fünfundzwanzig Jahren mich ehrlich bemüht, nach diesen Grundsätzen zu leben. Sie werden sehen, wie weit mir dieses gelungen ist.

[6] Ich bin in der Provinz Vencerop geboren. Mein Vater war ein guter Bürgersmann, ein Kaufmann in dem hübschen Städtchen * * *, wo alles Lust und Freude atmet; die Galanterie scheint das einzige zu sein, wofür die dortige Gesellschaft Interesse hat. Man liebt, sobald man zu denken beginnt und man denkt nur zu dem Zweck, sich die Wonnen der Liebe leichter zu verschaffen. Meine Mutter verband mit der Lebhaftigkeit der Frauen ihrer Heimatprovinz, die der Provinz Vencerop benachbart ist, das glückliche Temperament einer sinnlichen Venceropalin. Meine Eltern lebten sparsam von ihren bescheidenen Renten und von dem Ertrage ihres kleinen Geschäftes. Durch ihre Arbeit änderte sich nichts an dem Stande ihres Vermögens; denn mein Vater bezahlte eine junge Witwe, die in der Nähe unseres Hauses einen Laden hielt, meine Mutter aber wurde von ihrem Liebhaber bezahlt, einem sehr reichen Edelmann, der die Güte hatte, meinen Vater mit seiner Freundschaft zu beehren. Alles ging in bewunderungswürdiger Ordnung vor sich: Man wußte auf beiden Seiten, woran man war, und niemals hat eine Ehe den Eindruck größerer Einigkeit gemacht.

Nachdem zehn Jahre in so löblicher Eintracht verflossen waren, wurde meine Mutter schwanger; sie brachte mich zur Welt. Meine Geburt verursachte ihr ein Leiden, das vielleicht schrecklicher für sie war, als sogar der Tod gewesen wäre: Durch eine heftige Bewegung beim Kreißen entstand ein Riß, der sie in die traurige Notwendigkeit versetzte, für immer auf jene Freuden zu verzichten, denen ich mein Dasein verdanke.

Alles änderte sich jetzt in meinem Elternhause. Meine Mutter wurde fromm. Die eifrigen Besuche des Herrn Marquis, der seinen Abschied erhielt, [7] hörten auf, und dafür kam der Pater Guardian der Kapuziner. Das Zärtlichkeitsbedürfnis meiner Mutter wechselte nun den Gegenstand: Sie gab aus Notwendigkeit von nun an Gott, was sie bis dahin aus Neigung und Temperament dem Marquis gegeben hatte.

Mein Vater starb, als ich noch in der Wiege lag. Meine Mutter zog aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen nach der berühmten Hafenstadt Volnot. Die galanteste Frau war zur keuschesten, vielleicht auch tugendhaftesten geworden, die jemals gelebt.

Ich war kaum sieben Jahre alt, als meine zärtliche Mutter in ihrer unaufhörlichen Sorge um meine Gesundheit und um meine Erziehung bemerkte, daß ich zusehends abmagerte. Ein geschickter Arzt wurde gerufen und wegen meiner Krankheit befragt. Ich hatte einen unstillbaren Hunger, aber kein Fieber und keine Schmerzen; trotzdem schwand meine Lebhaftigkeit dahin, und meine Beine vermochten mich kaum noch zu tragen. Meine Mutter fürchtete für mein Leben; sie ließ mich keinen Augenblick von ihrer Seite, und ich mußte in ihrem Bett schlafen. Wie groß war ihre Überraschung, als sie eines Nachts bemerkte, daß ich im Schlaf die Hand auf jenem Körperteil hatte, der uns von den Männern unterscheidet, und daß ich durch ein sanftes Reiben mir Genüsse verschaffte, die unter Mädchen von fünfzehn Jahren gang und gäbe sind, die aber einem Mädchen von sieben Jahren nicht bekannt zu sein pflegen. Meine Mutter wollte kaum ihren Augen trauen, leise hob sie Decke und Bettlaken hoch; sie holte die Lampe, die in dem Zimmer brannte, und wartete als kluge und erfahrene Frau die weitere Entwicklung ab. Es kam, wie es kommen mußte: Ich bewegte mich hin [8] [10]und her, ich zitterte, und – der Genuß erweckte mich.

In der ersten Aufregung schalt meine Mutter mich tüchtig aus; sie fragte mich, wo ich die Greuel gelernt hätte, die sie soeben beobachtet hätte. Ich antwortete ihr weinend, ich wüßte nicht, was ich ihr zu Leide getan hätte, und ich wüßte nicht, was sie mit den von ihr gebrauchten Ausdrücken »unanständige Berührung«, »Schamlosigkeit« und »Todsünde« sagen wollte. Die Naivität meiner Antworten überzeugte sie von meiner Unschuld. Ich schlief wieder ein. Von neuem begann ich mich zu kitzeln, von neuem schalt meine Mutter mich aus. Nachdem sie mich mehrere Nächte aufmerksam beobachtet hatte, bezweifelte sie nicht mehr, daß die Stärke meiner Sinnlichkeit mich trieb, im Schlafe zu tun, woran so viele arme Nonnen im Wachen Trost finden. Meine Mutter beschloß, mir die Hände eng zusammenzubinden, so daß es mir unmöglich war, meine nächtlichen Unterhaltungen noch weiterhin fortzusetzen.

Bald hatte ich meine Gesundheit und frühere Kraft wiedererlangt. Ich legte die übliche Gewohnheit ab, aber meine Sinnlichkeit wurde immer größer. Im Alter von neun oder zehn Jahren verspürte ich eine seltsame Unruhe, fühlte ich Begierden, deren Ziel ich nicht kannte. Mit anderen kleinen Mädchen und Knaben meines Alters war ich oft auf einem Dachboden beisammen. Dort trieben wir unsere kleinen Spiele. Einer von uns wurde zum Schulmeister erwählt; das geringste Vergehen wurde mit dem Stock bestraft. Die Knaben ließen ihre Höschen herunter, die Mädchen hoben Röckchen und Hemdchen hoch. Wir betrachteten uns gegenseitig aufmerksam; fünf oder sechs kleine Popochen wurden eins nach dem andern bewundert, [10] gestreichelt und gepeitscht. Die Gnigni der Knaben, wie wir es nannten, waren ein Spielzeug für uns; hundertmal streichelten wir sie mit den Fingern, nahmen sie in die Hand, machten Püppchen daraus und küßten das kleine Instrument, von dessen Gebrauch und Wert wir gar keine Ahnung hatten. Dann kamen unsere Popochen dran. Auch sie wurden geküßt. Nur um den Mittelpunkt aller Freuden kümmerte niemand sich. Woher kam diese Vernachlässigung? Ich weiß es nicht. Aber so waren unsere Spiele; die einfache Natur leitete sie, ich schildere sie der Wahrheit gemäß.

Nachdem ich mich zwei Jahre lang diesen unschuldigen Ausschweifungen hingegeben hatte, brachte meine Mutter mich in ein Kloster; ich war damals ungefähr elf Jahre alt. Die erste Sorge der Oberin war, mich auf meine erste Beichte vorzubereiten. Ich trat ohne Furcht vor dieses Gericht, denn ich hatte keine Gewissensbisse. Dem alten Guardian der Kapuziner, der das Gewissen meiner Mutter beriet und auch mir die Beichte abhörte, sagte ich alle die dummen kleinen Sünden eines Mädchens meines Alters. Nachdem ich alle Fehler eingestanden hatte, deren ich schuldig zu sein glaubte, sagte der gute Vater zu mir: Du wirst eines Tages eine Heilige sein, wenn du wie bisher die von deiner Mutter dir eingeflößten Grundsätze der Tugend befolgst. Vor allen Dingen höre niemals auf den Teufel des Fleisches! Ich bin der Beichtvater deiner Mutter; was sie mir von deiner Neigung zur Unkeuschheit, dem gemeinsten aller Laster, erzählte, hatte mich ernstlich beunruhigt. Ich freue mich herzlich, daß sie sich geirrt hat. Die Krankheit, an der du vor vier Jahren littest, hatte sie auf diesen Gedanken gebracht; ohne ihre treue Sorge, mein liebes Kind, wärest du verloren gewesen an [11] Leib und Seele. Ja, ich bin jetzt gewiß, daß deine Bewegungen, die sie beobachtete, unfreiwillig waren, und ich bin überzeugt, daß der Schluß, den sie daraus auf dein Seelenheil zog, irrig war.

Was mein Beichtiger mir sagte, beunruhigte mich, und ich fragte ihn, was ich denn nur getan hätte, daß meine Mutter einen so schlechten Begriff von mir bekommen hätte? Er sagte mir ohne Umstände in den deutlichsten Worten, was vorgefallen war und welche Maßregeln meine Mutter ergriffen hatte, um mir einen Fehler abzugewöhnen, dessen Folgen ich, wie er sagte, hoffentlich niemals kennenlernen würde.

Diese Worte erinnerten mich unwillkürlich an unsere bereits von mir erwähnten Unterhaltungen auf dem Dachboden. Meine Wangen bedeckten sich mit einer dunklen Röte, sprachlos senkte ich die Augen, und zum erstenmal glaubte ich in unseren Vergnügungen eine Sünde zu sehen. Der Pater fragte mich nach der Ursache meines Schweigens und meiner Traurigkeit; ich sagte ihm alles. Nun verlangte er alle Einzelheiten zu wissen. Die Unschuld meiner Ausdrücke, meine unbefangene Beschreibung unserer Stellungen und unserer Vergnügungen überzeugte ihn noch mehr von meiner Unschuld. Er tadelte diese Spiele, aber er tat es mit einer klugen Vorsicht, wie sie den Dienern der Kirche für gewöhnlich nicht eigen zu sein pflegt. Aber seine Ausdrücke bezeugten zur Genüge, welchen Begriff er sich von meinem Temperament machte. Fasten, Beten, Nachdenken und das Tragen eines Bußhemdes waren die Waffen, mit denen er mir fortan meine Leidenschaften zu bekämpfen befahl.

Berühre niemals, so sprach er zu mir, mit der Hand oder nur auch mit dem Blick deiner Augen jenen gemeinen Körperteil; er ist nichts anderes als [12] der Apfel, der Adam verführt hat, er hat das Menschengeschlecht durch die erste Sünde in Verdammnis gestürzt. In ihm wohnt der Teufel, er ist sein Aufenthalt, sein Thron; lasse dich ja nicht durch diesen Feind Gottes und der Menschen überraschen. Die Natur wird bald diesen Körperteil mit häßlichen Haaren bedecken, gleich jenem Fell, das die wilden Tiere tragen, um durch diese Strafe anzuzeigen, daß du dich seiner schämen mußt, daß Dunkelheit und Vergessenheit sein Los sein müssen. Noch vorsichtiger hüte dich vor jenem Stück Fleisch der jungen Knaben deines Alters, woran ihr dort oben auf dem Dachboden euren Spaß gehabt habt. Dieses Stück Fleisch, meine Tochter, ist die Schlange, die unsere gemeinsame Mutter Eva in Versuchung führte. Laß niemals deine Blicke und Finger durch dieses ekelhafte Tier besudelt werden. Es würde dich stechen und früher oder später unfehlbar dich verschlingen!

Wie, hochwürdiger Vater, antwortete ich ganz aufgeregt, ist es möglich? Kann es eine Schlange sein, und ist es wirklich so gefährlich, wie Sie sagen? Ach, mir kam das Tier so sanft vor! Es hat keine von meinen Freundinnen gebissen; ich versichere Ihnen, es hatte nur einen ganz kleinen Mund und gar keine Zähne – ich habe es genau gesehen ...

Geh, mein Kind, unterbrach mein Beichtvater mich, glaube, was ich dir sage: Die Schlangen, die du vorwitzigerweise angefaßt hast, waren noch zu jung und zu klein, um das Unheil anzurichten, dessen sie fähig sind; aber sie werden länger und dicker, sie werden sich auf dich stürzen, und dann mußt du die Wirkung des Giftes fürchten, das sie mit einer Art von Wut zu verspritzen pflegen: es würde dir Leib und Seele vergiften.

[13] Nach einigen anderen Lehren gleicher Art entließ der gute Pater mich in einem Zustande eigentümlicher Ratlosigkeit.

Ich zog mich in mein Zimmer zurück. Die Worte, die ich vernommen hatte, machten Eindruck auf meine Phantasie; aber der Gedanke an die hübsche Schlange wirkte viel tiefer als die Ermahnungen und Drohungen, die ich hatte anhören müssen. Trotzdem hielt ich ehrlich mein Versprechen; ich widerstand dem Antrieb meines Temperaments und wurde ein Muster von Tugend.

Welche Kämpfe, mein lieber Graf, habe ich bestehen müssen, bis ich fünfundzwanzig Jahre alt war und meine Mutter mich aus dem verdammten Kloster herausnahm! Ich war kaum sechzehn fahre alt, als mich infolge meiner Gedanken eine krankhafte Schwäche überfiel: Ich hatte deutlich zwei Leidenschaften in mir erkannt, die ich unmöglich miteinander versöhnen konnte. Einerseits hatte ich eine aufrichtige Liebe zu Gott; ich wünschte von ganzem Herzen, ihm so zu dienen, wie man mir versicherte, daß er es verlangte. Andererseits fühlte ich heftige Begierden, ohne deren Ziel erraten zu können. Unaufhörlich sah ich das Bild der hübschen Schlange in meiner Seele; im Wachen wie im Schlafen war es, mir unbewußt, vorhanden. Zuweilen glaubte ich in meiner Aufregung, die Schlange in der Hand zu halten; ich streichelte sie, ich bewunderte ihre edle, stolze Haltung, ihre Festigkeit, obgleich ich noch nicht wußte, zu welchem Zweck diese dienen könnte. Mein Herz schlug mit erstaunlicher Schnelligkeit; auf dem Höhepunkt meiner Verzückung oder meines Traumes durchlief mich ein wollüstiges Zittern. Ich war beinahe besinnungslos. Der Apfel zog meine [14] Hand an, mein Finger vertrat die Stelle der Schlange.

Erregt durch diese Vorgefühle der Wonne, war ich keines anderen Gedankens mehr fähig; hätte sich die Hölle vor meinen Augen auf getan, ich wäre nicht imstande gewesen, innezuhalten. Nutzlose Gewissensbisse! Ich versank ganz und gar in Wollust. Aber dann die Unruhe nachher! Fasten, Geißeln, Nachdenken waren meine Zuflucht; ich zerfloß in Tränen. Diese Mittel heilten mich allerdings von meiner Leidenschaft; aber sie zerstörten nicht nur meine Sinnlichkeit, sondern auch meine Gesundheit. Ich geriet schließlich in einen Zustand von Schwäche, der mich zusehends dem Grabe zuführte, bis endlich meine Mutter mich aus dem Kloster nahm. –

Antwortet mir, betrügerische oder unwissende Priester, die ihr nach eurem Belieben uns Verbrechen andichtet: Wer hatte die beiden Leidenschaften in mich gepflanzt, mit denen ich zu kämpfen hatte, Liebe zu Gott und Liebe zum fleischlichen Genuß? War es die Natur oder der Teufel? Entscheidet euch! Oder wagt ihr wirklich zu behaupten, daß der Teufel oder die Natur mächtiger seien als Gott? Wenn sie ihm untergeordnet sind, so mußte also Gott erlaubt haben, daß diese Leidenschaften in mir waren; dann war es sein Werk.

Aber, werdet ihr mir antworten, Gott hat dir die Vernunft gegeben, um dich aufzuklären.

Gewiß, aber nicht um meinen Willen zu bestimmen. Die Vernunft hat mich allerdings die beiden Leidenschaften bemerken lassen, durch die ich bewegt war. Durch sie habe ich später begriffen, daß ich diese beiden Leidenschaften in ihrer ganzen Gewalt von Gott habe, wie ich alles von Gott habe. [15] Aber eben diese Vernunft, die mich aufklärte, gab mir keine Willenskraft.

Aber Gott hatte dir doch die Herrschaft über deinen Willen gelassen; du warst frei, dich für das Gute oder für das Böse zu entscheiden.

Das ist ein reines Spiel mit Worten. Die Stärke dieses Willens und dieser augenblicklichen Freiheit entspricht nur der Stärke der Leidenschaften und Begierden, die uns treiben. Ich habe zum Beispiel anscheinend die Freiheit mich zu töten, mich aus dem Fenster zu stürzen. Keineswegs! Sobald die Liebe zum Leben stärker in mir ist als der Wunsch zu sterben, werde ich mich niemals töten.

Aber man ist doch gewiß der freie Herr, den Armen oder seinem mildherzigen Beichtvater hundert Goldstücke zu geben, die man in der Tasche hat.

Man ist's nicht. Wenn der Wunsch, sein Geld zu behalten stärker ist als der, eine unnütze Vergebung seiner Sünden zu erlangen, so wird man selbstverständlich sein Geld nicht hergeben. – Mit einem Wort, ein jeder kann sich selber überzeugen, daß die Vernunft nur dazu da ist, dem Menschen zu zeigen, wie stark sein Wunsch ist, dieses oder jenes zu tun oder zu lassen, und wieviel Behagen oder Unbehagen ihm dies verursachen wird. Aus dieser von der Vernunft erlangten Kenntnis ergibt sich unser sogenannter Wille. Aber dieser Wille hängt vollkommen so von dem Grade unserer Leidenschaft oder unseres Wunsches ab, wie ein Gewicht von vier Pfund notwendigerweise die Schale einer Waage zum Sinken bringt, deren andere Schale nur durch ein Gewicht von zwei Pfund belastet wird.

Aber bin ich denn nicht mein freier Herr, beim Essen eine Flasche Burgunder oder eine Flasche[16] Champagner zu trinken? Bin ich nicht mein freier Herr, in der großen Allee der Tuilerien oder auf der Terrasse der Feuillants spazierenzugehen?

Ich gebe zu, daß wir in allen Fällen, wo die Entscheidung unserer Seele völlig gleichgültig ist, wo unsere Wünsche, ob etwas so oder so ausfällt, sich das Gleichgewicht halten, diesen Mangel an Freiheit nicht bemerken können: In der Ferne bemerken wir eben die einzelnen Gegenstände nicht mehr. Aber treten wir diesen Gegenständen ein bißchen näher, so werden wir bald deutlich bemerken, daß die Handlungen unseres Lebens durch mechanische Gesetze bestimmt werden, und sobald wir eines dieser Gesetze kennen, werden wir sie alle kennen, denn die Natur handelt stets nach einem und demselben Grundsatz. – Sie setzen sich zu Tisch; man trägt Ihnen Austern auf, dies entscheidet Sie für den Champagner.

Aber, sagen Sie, ich hätte auch Burgunder wählen können. Es stand mir frei, dies zu tun.

Ich sage: Nein! Allerdings hätte ein anderer Beweggrund, eine andere Lust, die stärker gewesen wäre als die erste, Sie bewegen können, Burgunder zu trinken. Nun, in diesem Fall hätte eben diese zweite Lust Sie in Ihrer angeblichen Willensfreiheit gelenkt.

Sie treten in die Tuilerien ein und sehen auf der Terrasse der Feuillants eine Ihnen bekannte hübsche Frau. Sie entschließen sich, zu ihr zu gehen, es sei denn, daß ein anderer Grund Sie nach der großen Allee zieht, um dort Ihren Nutzen oder ein Vergnügen zu verfolgen. Aber, mag Ihre Wahl für diese oder jene Seite ausfallen, stets wird es ein Wunsch sein, der Sie mit unwiderstehlicher Gewalt veranlaßt, unabhängig von Ihrem Willen diesen oder jenen Entschluß zu fassen.

[17] Um zugeben zu können, daß der Mensch frei ist, müßte man annehmen, daß seine Entschlüsse aus ihm selber hervorgehen; wenn er sich aber je nach der mehr oder weniger großen Leidenschaft entschließt, womit ihn die Natur und seine Sinne begabt haben, so ist er nicht frei: die größere oder geringere Stärke eines Wunsches bestimmt ihn so unwiderstehlich, wie ein vierpfündiges Gewicht ein dreipfündiges hochschnellt.

Und ferner frage ich Sie: Was hindert Sie, über diese Frage ebenso zu denken wie ich, und warum kann ich mich nicht entschließen, darüber ebenso zu denken wie Sie? Ohne Zweifel werden Sie mir antworten, daß Ihre Gedanken, Ihre Begriffe, Ihre Empfindungen Sie zwingen, so zu denken, wie Sie es tun. Diese Erwägung aber muß Sie innerlich überzeugen, daß es nicht in Ihrem Belieben steht, ebenso zu denken wie ich, und daß es nicht von mir abhängt, ebenso zu denken wie Sie, und darum müssen Sie wohl zugeben, daß wir nicht nach unserem Belieben so oder anders denken können. Wenn wir aber nicht die Freiheit des Denkens besitzen, wie könnten wir dann in Freiheit handeln? Das Denken ist ja die Ursache, das Handeln ist nur die Wirkung. Kann aber aus einer nicht freien Ursache eine freie Wirkung hervorgehen? Dies wäre ein Widerspruch in sich selbst.

Um uns vollends von dieser Wahrheit zu überzeugen, wollen wir uns von der Fackel der Erfahrung erleuchten lassen: Gregor, Dämon und Philint sind drei Brüder, die von denselben Lehrern bis zum Alter von fünfundzwanzig Jahren erzogen worden sind; sie haben sich niemals verlassen, sie haben die gleiche Erziehung, den gleichen Unterricht in Moral und in der Religion erhalten. Trotzdem liebt Gregor den Wein, Dämon liebt die [18] Frauen und Philint ist fromm. Was hat nun den Willen dieser drei Brüder in dreifach verschiedener Weise bestimmt? Die Kenntnis des moralisch Guten und Bösen kann es nicht sein, denn sie hatten von denselben Lehrern dieselben Lehren erhalten. Jeder von ihnen hatte also in sich selber verschiedene Grundsätze und verschiedene Leidenschaften, und durch diese wurde trotz der Gleichförmigkeit der erworbenen Kenntnisse ein verschiedener Wille ausgebildet. Ich gehe noch weiter: Gregor, der den Wein liebte, war der ehrenhafteste Mensch, der unterhaltendste Gesellschafter, der beste Freund, wenn er nicht getrunken hatte; sobald er aber den Zaubertrank im Leibe hatte, wurde er boshaft, verleumderisch, händelsüchtig; er hätte mit Wonne seinem besten Freund den Hals abgeschnitten. War nun Gregor freier Herr über diese Willensänderung, die sich plötzlich in ihm vollzog? Nein, ganz gewiß nicht; denn bei kaltem Blut verabscheute er die Handlungen, die er im Weinrausch hatte begehen müssen. Einige Dummköpfe bewunderten allerdings die Enthaltsamkeit Gregors, der die Frauen nicht liebte, die Nüchternheit Dämons, der den Wein nicht liebte, und die Frömmigkeit Philints, der weder Frauen noch Wein liebte, aber dasselbe Vergnügen wie die beiden andern in seiner Neigung zur Frömmigkeit fand. So betrügen die meisten Menschen sich selber mit ihren eigenen Begriffen von den menschlichen Lastern und Tugenden.

Hieraus folgt: Die Art der Organe, die Verteilung der Fibern im Körper, eine gewisse Bewegung, das Vorhandensein von Säften – dies alles bestimmt die Art unserer Leidenschaften; der Grad ihrer Stärke bestimmt unseren Willen bei den wichtigsten Angelegenheiten unseres Lebens. Und so gibt [19] es leidenschaftliche Menschen, weise Menschen, verrückte Menschen. Der Verrückte ist nicht mehr oder weniger frei als die beiden andern, denn er handelt nach denselben Grundsätzen. Die Natur ist immer gleich. Wenn wir annehmen, daß der Mensch frei sei und seinem eigenen Willen folge, so setzen wir ihn damit Gott gleich.

Doch zurück zu meiner Geschichte!

Wie ich bereits sagte, nahm mich meine Mutter beinahe sterbend aus dem Kloster, als ich dreiundzwanzig Jahre alt war. Mein ganzer Körper war erschöpft; mit meiner gelben Haut, meinen fahlen Lippen glich ich einem lebenden Skelett. Die Frömmigkeit hätte mich zur Selbstmörderin gemacht, wenn ich nicht im letzten Augenblick in das Haus meiner Mutter zurückgekehrt wäre. Ein tüchtiger Arzt, den sie in mein Kloster schickte, hatte sofort den Ursprung meiner Krankheit erkannt. Jener göttliche Saft, der uns die einzige körperliche Wonne verschafft, die einzige Wonne, deren Genuß keine Bitterkeit hinterläßt – jener Saft, dessen Erguß Menschen von gewissem Temperament ebenso notwendig ist wie die Aufnahme von Nahrungsmitteln –, jener Saft war aus den Gefäßen, die zu seiner Aufnahme bestimmt sind, in andere Gefäße übergetreten, und dadurch war mein ganzer Körper in Unordnung geraten. Man riet meiner Mutter, mir einen Gatten zu suchen; dies sei das einzige Mittel, um mir das Leben zu retten. Sie sprach freundlich mit mir darüber, aber ich war völlig in meinen Vorurteilen befangen und antwortete ihr schroff, ich wolle lieber sterben als Gott mißfallen, indem ich eine Ehe einginge, denn dies sei eine verächtliche Sache, die er nur in seiner großen Güte dulde. Alle Gründe, die sie vorbrachte, erschütterten mich nicht; meine geschwächte [20] Natur ließ keine Wünsche mehr für diese Welt, ich sehnte mich nur noch nach dem Glück, das man mir dort in der andern verheißen hatte.

Ich setzte also mit ungeheurem Eifer meine frommen Übungen fort. Man hatte mir viel von dem berühmten Pater Dirrag erzählt; ich suchte ihn auf, er wurde mein Gewissensrat, und sein eifrigstes Beichtkind, Fräulein Eradice, wurde bald meine beste Freundin.

Sie kennen, mein lieber Graf, die Geschichte dieser beiden berühmten Persönlichkeiten; ich denke nicht daran, Ihnen alles zu wiederholen, was die öffentliche Meinung von ihnen weiß und von ihnen gesagt hat; aber ein eigentümlicher Vorfall, dessen Zeugin ich war, wird Sie vielleicht ergötzen und wird dazu beitragen, Sie zu überzeugen, daß Fräulein Eradice, wenn sie sich auch schließlich mit vollem Bewußtsein den Umarmungen des Muckers preisgegeben hat, doch jedenfalls lange Zeit von ihrer eigenen wollüstigen Frömmigkeit betrogen worden ist.

Fräulein Eradice war meine zärtlichste Freundin geworden; sie vertraute mir ihre geheimsten Gedanken an. Wir trieben die gleichen frommen Übungen, wir dachten vollkommen gleich, und wir hatten vielleicht auch das gleiche Temperament; durch dies alles wurden wir unzertrennlich. Wir waren beide tugendhaft, und unsere herrschende Leidenschaft war der Wunsch, für fromm zu gelten, noch mehr aber, schließlich sogar Wunder zu vollbringen. Diese Leidenschaft beherrschte meine Freundin so mächtig, daß sie mit der Standhaftigkeit der ersten christlichen Blutzeugen alle möglichen Foltern ertragen haben würde, wenn man ihr eingeredet hätte, es könnte ihr dadurch gelingen, [21] einen zweiten Lazarus von den Toten zu erwecken. Pater Dirrag besaß im höchsten Maße die Gabe, sie alles glauben zu machen, was er wollte.

Eradice hatte mir mehrere Male mit einer Art von Eitelkeit gesagt, der Pater teile sich nur ihr ganz und gar mit; bei den vertraulichen Unterhaltungen, die sie oft in ihrem Hause hätten, habe er ihr versichert, sie brauche nur noch wenige Schritte zurückzulegen, um eine Heilige zu werden; dies habe Gott ihm in einem Traum enthüllt; hierdurch habe er klar und deutlich erkannt, daß sie demnächst die größten Wunder verrichten würde, wenn sie fortführe, Tugend zu üben und das Fleisch abzutöten.

Eifersucht und Neid findet man in allen Ständen der Menschen; aber fromme Jungfrauen sind vielleicht am empfänglichsten dafür.

Eradice bemerkte, daß ich auf ihr Glück eifersüchtig war und daß ich sogar an ihre Erzählungen nicht zu glauben schien. Ich war allerdings über ihre Berichte von seinen vertraulichen Gesprächen mit ihr um so mehr erstaunt, als der Pater es stets vermieden hatte, mit mir im Hause einer seiner Büßerinnen ähnliche Gespräche zu führen. Diese Büßerin war ebenfalls meine Freundin und war wie Eradice stigmatisiert. Ohne Zweifel waren mein trauriges Gesicht und meine gelbe Haut dem ehrwürdigen Vater nicht anregend genug erschienen, um ihn in die notwendige Stimmung für seine geistlichen Arbeiten zu versetzen. Ich war ärgerlich darüber: Für mich gab es keine Stigmata, für mich keine vertraulichen Frömmigkeitsübungen! Meine Verdrießlichkeit wurde sichtbar, ich tat, wie wenn ich an die Erzählungen meiner Freundin überhaupt nicht glaubte.

[22] Hierüber regte Eradice sich auf; sie erbot sich, mich schon am nächsten Morgen zur Augenzeugin ihres Glückes zu machen. Du wirst sehen, sagte sie feurig zu mir, wie kräftig meine geistlichen Übungen sind, wie der gute Vater von einem Grade der Buße zum anderen mich dem Ziel entgegenführt, eine große Heilige zu werden, und du wirst nicht mehr an den Ekstasen und Verzückungen zweifeln, die eine Folge eben dieser Übungen sind. Möchte doch, meine liebe Therese, mein Beispiel an dir das erste Wunder wirken, daß es kraft geistlichen Nachdenkens deinen Geist völlig dem Stoff abwendet und zu Gott allein hinführt!

Am anderen Morgen ging ich der Verabredung gemäß schon um fünf Uhr zu Eradice. Ich fand sie im Gebet, ein Buch in der Hand. Sie sagte zu mir: Der heilige Mann wird gleich kommen und Gott mit ihm. Verbirg dich in jenem Kämmerchen; von dort aus kannst du hören und sehen, wie weit durch die from me Sorge unseres Beichtvaters seine göttliche Güte für ein niedriges Geschöpf sich erstreckt.

Gleich darauf wurde leise an die Tür geklopft; ich flüchtete in die Kammer, deren Schlüssel Eradice an sich nahm. Ein handgroßes Loch in der Kammertür, das mit einer alten bergamaskischen Stickerei verdeckt war, gestattete mir, das ganze Zimmer frei zu übersehen, ohne daß ich selber bemerkt werden konnte.

Der gute Pater trat ein und sagte zu ihr: Guten Morgen, meine liebe Schwester in Gott, der heilige Geist von Sankt Franziskus sei bei Ihnen!

Sie wollte sich ihm zu Füßen werfen, er aber hob sie auf und befahl ihr, sich neben ihn zu setzen. Dann sagte der heilige Mann zu ihr: Ich muß Ihnen die Grundsätze wiederholen, von denen Sie bei allen[23] Handlungen Ihres Lebens sich müssen leiten lassen; aber sagen Sie mir zuvor, wie es mit Ihren Wundmalen steht; ist das Stigma, das Sie auf der Brust haben, noch immer in demselben Zustande? Lassen Sie einmal sehen!

Eradice entblößte sofort ihre linke Brust, unterhalb welcher sich das Stigma befand.

Oh, oh, halten Sie ein, Schwester! Bedecken Sie Ihren Busen mit diesem Taschentuch! (Er reichte ihr ein Tuch.) Solche Dinge sind nicht für ein Mitglied unserer Gesellschaft gemacht; es wird genügen, wenn ich die Wunde sehe, die der heilige Franz Ihnen aufgedrückt hat. Ah, sie ist noch da, gut, ich bin zufrieden. Sankt Franziskus liebt Sie immer noch; die Wunde ist rosig und rein. Ich habe auch wieder das heilige Stück von seinem Strick mitgebracht; wir werden es später bei unseren Übungen nötig haben. Ich haben Ihnen schon gesagt, liebe Schwester, daß ich Sie vor allen meinen Beichtkindern, Ihren Freundinnen, auszeichne, weil ich sehe, daß der liebe Gott selber Sie vor seiner frommen Herde auszeichnet, wie die Sonne vor dem Mond, vor den anderen Planeten ausgezeichnet ist. Aus diesem Grunde habe ich mich auch nicht gescheut, vor Ihnen die verborgensten Geheimnisse zu enthüllen. Ich habe Ihnen gesagt, meine liebe Schwester: Vergessen Sie sich und lassen Sie geschehen; Gott will von den Menschen nur Herz und Geist. Nur wenn Sie den Körper vergessen, kann es Ihnen gelingen, in Gott aufzugehen, eine Heilige zu werden, Wunder zu wirken. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, mein kleiner Engel, daß ich bei unserer letzten Übung bemerkt habe, daß Ihr Geist noch dem Fleisch Untertan ist. Wie? Konnten Sie denn nicht wenigstens zum Teil es machen wie jene seligen Märtyrer, welche gegeißelt, mit glühenden [24] Zangen gezwickt, auf dem Rost gebraten wurden, ohne den geringsten Schmerz zu leiden, weil all ihr Denken dermaßen von Gottes Ruhm erfüllt war, daß jeder kleinste Teil ihres Geistes nur damit beschäftigt war? Unsere Sinne, liebe Tochter, sind untrügliche Werkzeuge: Nur durch sie fühlen wir, nur durch sie begreifen wir sowohl das körperliche wie das moralische Gute und Böse. Sobald wir einen Gegenstand berühren, hören, sehen, fließen kleine Teilchen unseres Geistes in die kleinen Nervenhöhlungen, und dadurch erhält die Seele Mitteilungen. Wenn Sie stark genug an die Liebe denken, die Sie Gott schuldig sind, um alle Partikeln Ihres Geistes zusammenzuhalten und nur auf diesen Gegenstand zu konzentrieren, so wird ganz gewiß keine einzige Partikel übrigbleiben, um Ihrer Seele Kunde zu geben von den Schlägen, die Ihr Fleisch empfängt: Sie werden sie nicht fühlen. Sehen Sie den Jäger, wie seine ganze Seele von dem Gedanken an das Wild erfüllt ist, das er verfolgt; er fühlt weder Stacheln noch Dornen, wenn er durch das Dickicht der Wälder bricht. Sie sind schwächer als er, aber der Gegenstand, der Sie beschäftigt, erregt tausendmal mehr Ihre Teilnahme. Werden Sie die schwachen Schläge der Geißel fühlen, wenn Ihre Seele so tief von dem Gedanken an das Glück erfüllt ist, das Sie erwartet? Diese Prüfung müssen wir überstehen, wenn wir Wunder vollbringen wollen; solchen Grad der Vollkommenheit müssen wir erreichen, wenn wir in Gott aufgehen wollen!

Wir wollen gewinnen, liebe Tochter: Erfüllen Sie gut Ihre Pflicht und seien Sie gewiß: Dank dem Strick des heiligen Franziskus und dank Ihren frommen Betrachtungen wird diese heilige Übung mit einem Schauer unaussprechlicher Wonne für [25] Sie enden. Auf die Knie, mein Kind! Entblößen Sie jene Teile des Fleisches, die Gottes Zorn erregen; der Schmerz, den Sie erleiden, wird Ihren Geist in innige Verbindung mit Gott bringen. Ich wiederhole Ihnen: Vergessen Sie sich und lassen Sie geschehen!

Fräulein Eradice gehorchte sofort, ohne ein Wort zu erwidern. Ein Buch vor sich hinhaltend, kniete sie auf einen Betschemel nieder. Hierauf hob sie ihre Röcke und ihr Hemd bis zum Gürtel hoch und zeigte ihre schneeweißen und vollkommen geformten runden Hinterbacken, die von zwei herrlich schönen Schenkeln getragen wurden.

Heben Sie Ihr Hemd noch höher! sagte er zu ihr. Es sitzt nicht gut. So – jetzt ist es besser. Nun falten Sie Ihre Hände und erheben Sie Ihre Seele zu Gott. Erfüllen Sie Ihren Geist mit den Gedanken an das ewige Glück, das Ihnen verheißen ist!

Der Pater zog nun seinen Schemel heran und kniete ein wenig rückwärts neben ihr nieder. Unter seiner Kutte, die er hoch schürzte und an seinem Gürtel befestigte, zog er ein dickes Bündel langer Ruten hervor, das er seiner Büßerin zum Kuß reichte.

Von einem frommen Schauer erfüllt, beobachtete ich aufmerksam diesen Vorgang; ich fühlte eine Art von Entsetzen, das ich nicht beschreiben kann. Eradice sagte kein Wort. Der Pater betrachtete mit glühenden Blicken ihre Schenkel, die er vor sich hatte; und während er seine Blicke auf sie geheftet hielt, hörte ich ihn voll Bewunderung leise flüstern: Ach, der schöne Busen! Was für reizende Brüste!

Bald bückte er sich, bald richtete er sich wieder auf, wobei er einige Bibelworte murmelte. Nichts entging seiner geilen Neugier. Nach einigen Minuten[26] [28] fragte er die Büßerin, ob ihre Seele in Andacht sei.

Ja, ehrwürdigster Vater! Ich fühle, daß meine Seele sich vom Fleisch loslöst, und ich flehe Sie an, das heilige Werk zu beginnen.

Dies genügt. Ihr Geist wird zufrieden sein.

Er sagte noch einige Gebete her, und die Zeremonie begann mit drei ziemlich leichten Rutenschlägen, die er ihr auf den Hintern versetzte. Diesen drei Schlägen folgte ein Bibelvers, den er hersagte. Hierauf kamen wieder drei Rutenstreiche, etwas stärker als die ersten.

Nachdem er fünf oder sechs Verse hergesagt und jedesmal auf die gleiche Art unterbrochen hatte, sah ich plötzlich zu meiner höchsten Überraschung den Pater Dirrag seine Hose aufknöpfen, und es schoß ein glühender Pfeil hervor, der jener verhängnisvollen Schlange glich, um welche mein früherer Beichtvater mich gescholten hatte.

Das Ungeheuer war so lang, so dick und so fest wie jenes, von denen der Kapuziner gesprochen hatte; ich schauderte vor Entsetzen. Der rote Kopf dieser Schlange schien Eradices Hinterbacken zu bedrohen, die von den Schlägen eine wunderschöne rote Farbe angenommen hatten. Das Gesicht des Paters glühte.

Sie müssen jetzt, sagte er, im Zustande vollkommener Andacht sein: Ihre Seele muß von den Sinnen losgelöst sein. Wenn meine Tochter meine frommen Hoffnungen nicht enttäuscht, so sieht, hört, fühlt sie nichts mehr.

In demselben Augenblicke ließ der grausame Mensch einen Hagelschauer von Schlägen auf Eradices Körperteile niedersausen, die sie entblößt hatte. Sie sagte jedoch kein Wort dabei; sie war anscheinend [28] [30]unbeweglich und ganz gefühllos gegen diese entsetzlichen Schläge; ich bemerkte an ihr nur eine krampfhafte Bewegung ihrer beiden Hinterbacken, die sich jeden Augenblick zusammenzogen und wieder ausdehnten.

Ich bin mit Ihnen zufrieden, sagte er zu ihr, nachdem er sie eine Viertelstunde lang auf diese grausame Art gezüchtigt hatte. Es ist Zeit, daß Sie die Früchte Ihrer heiligen Arbeiten zu genießen beginnen. Hören Sie nicht auf mich, meine liebe Tochter, aber lassen Sie sich leiten. Werfen Sie sich mit dem Gesicht zur Erde nieder; ich werde mit dem ehrwürdigen Strick des heiligen Franziskus alles Unreine vertreiben, das noch in Ihnen ist.

Der gute Pater brachte sie nun in eine Stellung, die allerdings erniedrigend, aber für seine Absichten sehr bequem war. Niemals hatte ich meine Freundin so schön gesehen: Ihre Hinterbacken waren halb geöffnet, und ich sah den doppelten Weg zur Wonne offen vor mir liegen.

Nachdem der Mucker sie einen Augenblick bewundert hatte, benetzte er den sogenannten Strick mit Speichel, hierauf sprach er einige Worte im Tone eines Priesters, der durch seine Beschwörung den Teufel aus dem Leibe eines Besessenen austreibt, und dann begann der ehrwürdige Herr den Strick hineinzuschieben.

Ich konnte von meinem Platz aus den geringsten Umstand des ganzen Vorganges sehen; die Fenster des Zimmers lagen der Tür der Kammer gegenüber, worin ich eingeschlossen war. Eradice kniete auf dem Fußboden; ihre Arme hatte sie über den Fuß ihres Betschemels gekreuzt, und ihren Kopf stützte sie auf die Arme. Ihr Hemd war sorgfältig bis zum Gürtel aufgehoben, und ich konnte halb von der Seite ihren Hintern und eine Rückenlinie von [30] herrlicher Schönheit sehen. Dieser lockende Anblick fesselte die Aufmerksamkeit des ehrwürdigsten Vaters, der sich selber auf die Knie geworfen hatte. Er hatte die Beine seines Beichtkindes zwischen die seinigen geklemmt, seine Hosen hatte er heruntergelassen, in der Hand hielt er seinen schrecklichen Strick, und in dieser Stellung murmelte er einige unverständliche Worte.

In dieser erbaulichen Stellung verharrte er einige Augenblicke; er musterte den Altar mit glühenden Blicken und schien unentschlossen zu sein, in welcher Form er das Opfer darbringen wollte. Zwei Mündungen boten sich ihm; ungewiß, welche er wählen sollte, verschlang er sie beide mit den Augen. Die eine war ein Leckerbissen für einen solchen Kuttenträger; aber er hatte seiner Büßerin Wonne, Verzückung versprochen. Wie sollte er's also anfangen? Mehrere Male wagte er es, mit der Spitze seines Werkzeugs leise an die Lieblingstür zu pochen; endlich aber war die Klugheit stärker als die Lust. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen: Ich sah deutlich den rötlichen Priap Seiner Ehrwürden den kanonischen Weg einschlagen, nachdem der fromme Herr mit dem Daumen und Zeigefinger jeder Hand die rosigen Schamlippen zart zur Seite geschoben hatte.

Die Arbeit begann mit drei kräftigen Stößen, durch die er ungefähr die Hälfte hineinbrachte; dann verwandelte sich plötzlich die anscheinende Ruhe des Paters in eine Art von Wut. Welch ein Gesicht: Gott, stellen Sie sich, Herr Graf, einen Satter vor, der offenen Mundes mit schaumbedeckten Lippen bald mit den Zähnen knirscht, bald wie ein Stier schnauft, der brüllen will. Seine Nüstern waren leicht geöffnet und zitterten. Seine Hände hielt er einige Fingerbreit über Eradices Hinterteil; ich [31] sah, daß er es nicht wagte, sich mit ihnen aufzustützen; seine Finger waren krankhaft gespreizt und sahen aus wie die Pfoten eines gebratenen Kapauns. Den Kopf hielt er gesenkt, und seine funkelnden Augen hafteten fest an der Arbeit des sogenannten Stricks, dessen Hin und Her er genau bemaß, so daß er beim Zurückziehen niemals die Scheide verließ und daß beim Eindringen sein Bauch niemals den Hintern der Büßerin berührte, die sonst leicht hätte ahnen können, woran der angebliche Strick befestigt war. Welche Geistesgegenwart!

Ich sah, daß ungefähr eines Daumens Breite des heiligen Werkzeuges beständig draußen blieb und nicht an dem Fest teilnahm. Ich sah, daß bei jeder Rückwärtsbewegung des Paters die Schamlippen des Fräulein Eradice sich halb öffneten und mit ihrer lebhaften rosigen Färbung einen entzückenden Anblick boten. Wenn dagegen der Pater sich vorwärts bewegte, so sah ich von diesen Schamlippen nichts mehr als die feinen schwarzen Haare, die sie bedeckten; dann umschlossen sie den Pfeil so eng, daß er von ihnen verschlungen zu sein schien und daß man kaum erraten konnte, welcher von den beiden handelnden Personen jener Zapfen angehörte, an welchem sie beide befestigt zu sein schienen.

Welches Schauspiel, mein lieber Graf, für ein junges Mädchen, das von derartigen Geheimnissen gar nichts wußte! Die verschiedensten Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber es waren lauter ganz unbestimmte Vorstellungen; ich erinnere mich nur, daß ich zwanzigmal auf dem Sprunge stand, mich dem berühmten Beichtvater zu Füßen zu werfen und ihn zu beschwören, es mit mir ebenso zu machen, wie mit meiner Freundin. War [32] dies Frömmigkeit? War es fleischliche Begierde? Selbst jetzt könnte ich dies nicht genau sagen.

Doch zurück zu unserem frommen Paar! Die Bewegungen des Paters wurden schneller; kaum vermochte er sich noch im Gleichgewicht zu halten. Sein Körper bildete jetzt vom Kopf bis zu den Füßen ungefähr die Form eines S, dessen vordere Ausbauchung sich waagerecht hin und her bewegte.

Ist dein Geist jetzt zufrieden, meine kleine Heilige? fragte er mit einem tiefen Seufzer; ich, ich sehe alle Himmel offen, die Gnade entrückt mich von der Erde, ich ...

Ach, ehrwürdiger Vater, rief Eradice, welche Wonne stachelt mich! Ja, ich genieße himmlisches Glück; ich fühle, daß mein Geist ganz und gar vom Stoff befreit ist. Verjagen Sie, Vater, verjagen Sie alles Unreine, das noch in mir ist. Ich sehe ... die ... Engel; stoßen Sie stärker ... Tiefer ... Stoßen Sie doch ... Ach ...! Ach ...! Guter ... heiliger Franz! Verlaß mich nicht! Ich fühle den Stri ... Stri ... Strick ... Ich kann nicht mehr ... Ich sterbe ...!

Der Pater fühlte ebenfalls die höchste Wonne nahen; er stieß, stammelte, schnaufte, stöhnte. Eradices letzte Worte aber waren für ihn das Signal zum Rückzuge. Ich sah die stolze Schlange, die ganz demütig geworden war, schaumbedeckt herauskriechen.

Alles verschwand wieder in der Hose; der Pater ließ seine Kutte herab und ging mit schwankenden Schritten nach dem Betschemel. Er kniete hin, wie wenn er betete, befahl seinem Beichtkinde aufzustehen, sich zu bedecken und dann neben ihm zu knien, um Gott für die Huld zu danken, die sie von ihm empfangen habe.

Was soll ich Ihnen noch weiter sagen, mein lieber Graf? Dirrag entfernte sich, Eradice öffnete mir [33] die Kammertür, fiel mir um den Hals und rief: Ach, meine liebe Therese, nimm teil an meiner Seligkeit! Ja, ich habe das Paradies offen gesehen, ich habe das Glück der Engel geteilt. Welche Wonnen, liebe Freundin, für einen Augenblick des Schmerzes! Dank dem heiligen Strick war meine Seele beinahe ganz vom Irdischen losgelöst. Du hast wohl gesehen, auf welchem Wege unser guter Beichtvater ihn in meinen Leib eingeführt hat. Nun, ich versichere dir, ich fühlte ihn bis an mein Herz eindringen; noch ein bißchen weiter, und ich wäre ganz gewiß auf immer zu den Seligen im Himmel gekommen!

Eradice sagte mir noch tausend andere Dinge in einem Tone und mit einer Begeisterung, daß ich an der Wirklichkeit der von ihr genossenen höchsten Wonne nicht zweifeln konnte. Ich war so aufgeregt, daß ich ihr kaum antwortete, um ihr Glück zu wünschen; mein Herz klopfte in wilder Erregung, ich umarmte sie und ging.

Wie viele Gedanken kommen mir jetzt! Wie werden die ehrbarsten Anschauungen unserer Gesellschaft mißbraucht! Wie kunstvoll benutzt dieser Kuttenbruder sein Beichtkind zu seinen unzüchtigen Zwecken! Er erhitzt ihr die Phantasie mit der Begierde, eine Heilige zu werden; er redet ihr ein, dies könne ihr nur gelingen, indem sie den Geist vom Fleisch loslöse. Dies könne nur durch harte Züchtigungen erreicht werden. Wahrscheinlich war dies ein Kräftigungsmittel für den Heuchler, wodurch er die erschlaffte Elastizität seines Gliedes wiederherstellte. Er sagt zu ihr: Wenn deine Andacht vollkommen ist, darfst du nichts fühlen, nichts sehen, nichts hören!

Auf diese Weise versichert er sich, daß sie sich nicht umwenden, daß sie von seinen schamlosen [34] Begierden nichts sehen wird. Die Rutenstreiche, die er ihr auf den Hintern gibt, erhöhen das Gefühl in jenem Teil, den er anzugreifen gedenkt, denn sie erhitzen ihn. Der Strick des heiligen Franz, den er seinem Beichtkinde in den Leib steckt, um dadurch alles Unreine zu verjagen, das noch in ihr ist, verschafft ihm den gefahrlosen Genuß der Gunst seiner gelehrigen Neubekehrten: Sie glaubt in eine göttliche, rein geistige Ekstase zu geraten, während sie sich in Wirklichkeit der allersinnlichsten Wollust des Fleisches ergibt.

Ganz Europa hat die Geschichte vom Pater Dirrag und Fräulein Eradice gehört; alle Welt hat darüber gesprochen, aber nur wenige kennen die wirklichen Verhältnisse, die dieser Geschichte zugrunde liegen, die zu einer Parteiangelegenheit zwischen den Molinisten und den Jansenisten wurde. Ich will hier nicht alles wiederholen, was darüber gesagt worden ist: Sie kennen den ganzen Prozeß; Sie haben die Streitschriften gesehen, die von beiden Parteien erschienen sind, und Sie wissen, welche Folgen daraus entstanden. Das Wenige, das ich selbst außer dem soeben geschilderten Vorgang weiß, will ich Ihnen mitteilen.

Fräulein Eradice ist ungefähr ebenso alt wie ich. Sie ist in Volnot geboren und ist die Tochter eines Kaufmanns, in dessen Hause meine Mutter Wohnung nahm, als sie sich hier niederließ. Sie ist gut gewachsen, und ihre Haut ist von einer außerordentlichen Schönheit und entzückend weiß; ihre Haare sind schwarz wie Ebenholz; ihre sehr schönen Augen verleihen ihr das Aussehen einer Madonna. Als Kinder waren wir Freundinnen; als ich aber dann ins Kloster gebracht wurde, verlor ich sie aus den Augen. Ihre Hauptleidenschaft war stets, sich vor ihren Freundinnen auszuzeichnen, von [35] sich sprechen zu machen. Diese Leidenschaft veranlaßte sie, fromm zu werden, weil sie dadurch am leichtesten ihren Zweck erreichen konnte. Sie liebte Gott, wie man einen Liebhaber liebt. Als ich sie als Beichtkind des Paters Dirrag wiederfand, sprach sie nur noch von frommen Betrachtungen, von Andacht, von Gebeten; dies war damals Mode bei der frommen mystischen Sekte in Stadt und Land. Ihr bescheidenes Auf treten hatte sie schon seit langer Zeit in den Ruf hoher Tugend gebracht. Eradice hatte Geist, aber sie wandte diesen nur an, um ihre maßlose Lust zu befriedigen, die sie antrieb, Wunder zu verrichten. Alles, was dieser Leidenschaft schmeichelte, wurde sie für unbestreitbare Wahrheit. So sind wir schwache Menschen: Die herrschende Leidenschaft, die ein jeder von uns hat, absorbiert stets alle anderen. Wir handeln nur nach dieser Leidenschaft, die uns hindert, die einfachsten Tatsachen zu bemerken, die unsern Irrtum sofort zerstören müßten.

Pater Dirrag stammte aus Lôde. Er war damals ungefähr dreiundfünfzig Jahre alt und hatte ein Gesicht, wie unsere Maler es einem Satyr geben. Trotz der ungeheuren Häßlichkeit lag etwas Geistvolles in seinen Zügen. Aus seinen Augen blickten Unzucht und Schamlosigkeit; in seinen Handlungen aber schien er nur mit dem Seelenheil der Menschen und mit dem Ruhme Gottes beschäftigt zu sein. Er hatte viel Talent für die Kanzel; seine Ansprachen und Predigten waren freundlich und salbungsvoll. Er besaß die Gabe der Überredung. Seine ganze angeborene Klugheit verwandte er darauf, den Ruf eines Bekehrers zu erlangen; und in der Tat, eine beträchtliche Anzahl Frauen und Mädchen der guten Gesellschaft haben unter seiner Leitung Buße getan.

[36] Wie man sieht, waren der Pater und Fräulein Eradice in Charakter und Streben einander so ähnlich, daß ihre Vereinigung nicht ausbleiben konnte. Sobald Pater Dirrag in Volnot erschien, wohin ihm sein Ruf bereits voraufgegangen war, warf Eradice sich ihm sozusagen in die Arme. Kaum hatten sie sich kennengelernt, so sahen sie sich gegenseitig als Werkzeuge an, um ihren beiderseitigen Ruhm zu erhöhen. Eradice handelte anfangs sicherlich in gutem Glauben; aber Dirrag wußte, woran er war: Das liebliche Gesicht seines neuen Beichtkindes hatte ihn verführt; er ahnte, daß er sie ebenfalls verführen würde und daß er leicht ein zärtliches, weiches, vorurteilloses Herz betrügen könnte, und einen Geist, der gelehrig und mit vollster Überzeugung seine lächerlichen mystischen Anspielungen und Ermahnungen aufnahm. Darauf baute er seinen Plan, dessen Ausführung ich vorhin geschildert habe. Dieser Plan versprach ihm schon in den ersten Stadien eine Menge wollüstiger Unterhaltungen: nämlich durch die Geißelung. Der gute Pater hatte diese schon seit einiger Zeit bei einigen anderen seiner Beichtkinder in Anwendung gebracht; darauf aber hatte sich bis jetzt seine wollüstige Unterhaltung mit ihnen beschränkt. Das feste Fleisch, die schönen Umrisse, die weiße Farbe von Eradices Hintern hatten jedoch dermaßen seine Einbildungskraft erhitzt, daß er beschloß, einen Schritt weiterzugehen.

Große Männer überwinden die größten Hindernisse; dieser Pater ersann also die Einführung eines Stückes vom Strick des heiligen Franz. Diese Reliquie sollte alles Unreine und Fleischliche austreiben, das noch in seinem Beichtkinde war, und sollte es in Ekstase versetzen. Zugleich verfiel er [37] auch auf die Wundmale von gleicher Art wie die des heiligen Franz. Er ließ im geheimen eine von seinen frommen Büßerinnen nach Volnot kommen; diese besaß sein volles Vertrauen und hatte bis dahin mit Bewußtsein die Rolle gespielt, die er dem Fräulein Eradice zugedacht hatte. Er fand diese zu jung und zu begeistert von der Aussicht auf das Wunderverrichten, als daß er es hätte wagen mögen, sie in sein Geheimnis einzuweihen.

Die alte Büßerin kam und schloß bald eine Betschwesterbekanntschaft mit Eradice, der sie eine besondere Verehrung für ihren Schutzpatron, den heiligen Franz, einzuflößen verstand. Der Pater gab ihr eine Flüssigkeit, um damit falsche Wundmale hervorzubringen; am Gründonnerstag vollzog die alte Büßerin an Eradice die herkömmliche Zeremonie der Fußwaschung und wandte bei dieser Gelegenheit das Ätzwasser an, das denn auch seine Wirkung tat.

Zwei Tage darauf vertraute Eradice der Alten an, sie habe eine Wunde auf jedem Fuß.

Welches Glück! Welcher Ruhm für Sie! rief die Betschwester. Sankt Franziskus hat Ihnen seine Wundmale geschenkt, Gott will die größte Heilige aus Ihnen machen. Wir wollen doch einmal nachsehen, ob nicht auch Ihre Seite das Stigma trägt, wie bei Ihrem großen Heiligen.

Sofort berührte ihre Hand Eradices Seite unter der linken Brust und brachte dort ebenfalls ihr Ätzwasser an. Am nächsten Tage war ein neues Wundmal vorhanden.

Eradice sprach natürlich mit ihrem Beichtvater über das Wunder; dieser wünschte jedes Aufsehen zu vermeiden und riet ihr, demütig zu sein und die Sache geheim zu halten. Doch vergeblich; die Hauptleidenschaft des Mädchens war gerade die [38] Eitelkeit, als eine Heilige dazustehen; sie konnte darum ihre Freude nicht verbergen, machte allerlei Geständnisse; ihre Wundmale erregten Aufsehen, und alle Beichtkinder des Paters wollten stigmatisiert werden.

Dirrag begriff die Notwendigkeit, seinen Ruf aufrechtzuerhalten, zugleich aber die Aufmerksamkeit des Publikums von Fräulein Eradice abzulenken. Es wurden also auch einige andere Büßerinnen auf die gleiche Art mit Wundmalen versehen; alles ging gut.

Unterdessen weihte Eradice sich dem heiligen Franz; ihr Beichtvater versicherte ihr, er habe selber das größte Vertrauen auf die Wunderkraft des Heiligen; er selber habe zahlreiche Wunder durch ein großes Stück von dem Strick des Heiligen verrichtet, das ein Pater von seiner Gesellschaft ihm aus Rom mitgebracht habe. Mittels dieser Reliquie habe er aus mehreren Besessenen den Teufel ausgetrieben, indem er sie in den Mund oder, je nach den Umständen, in eine andere natürliche Öffnung des Leibes hineingesteckt habe. Endlich zeigte er ihr den angeblichen Strick; dieser war in der Tat nichts anderes als ein acht Zoll langes Stück von einem wirklichen, ziemlich dicken Strick, der mit einem Kitt überzogen und dadurch hart und glatt gemacht worden war. Er lag sehr sauber in einem Futteral von dunkelrotem Samt und war, mit einem Wort, nichts anderes als einer jener Nonnenapparate, die man Godemiché nennt. Ohne Zweifel hatte Dirrag ihn von irgendeiner alten Äbtissin geschenkt bekommen, die er darum gebeten haben mochte. Wie dem auch sei, Eradice erhielt nur mit großer Mühe die Erlaubnis, in aller Demut die Reliquie zu küssen, deren Berührung durch profane [39] Hände nach der Versicherung des Paters ein Verbrechen war.

Auf diese Weise, mein lieber Graf, brachte Pater Dirrag allmählich seine junge Büßerin dahin, daß sie mehrere Monde lang seine unzüchtigen Umarmungen duldete, während sie nur ein reingeistiges und himmlisches Glück zu genießen glaubte.

Alle diese Umstände habe ich bald nach dem Erlaß des Urteils in ihrem Prozeß von ihr selber erfahren. Sie vertraute mir an, daß ein gewisser Mönch – der in dieser ganzen Geschichte eine große Rolle gespielt hat – ihr endlich die Augen öffnete. Er war jung, schön, kräftig und leidenschaftlich in sie verliebt. Als Freund ihrer Eltern speiste er oft mit ihr zusammen. Er gewann ihr Vertrauen und entlarvte den schamlosen Dirrag. Aus dem, was sie mir erzählte, ging deutlich hervor, daß sie sich nunmehr mit vollem Bewußtsein den Umarmungen des wollüstigen Mönches preisgab. Allem Anschein nach hat dieser dem guten Rufe seines Ordens auf diesem Gebiete keine Schande gemacht. Durch seine glückliche körperliche Bildung und durch verdoppelten Unterricht bot er seiner Neubekehrten reichliche Entschädigung dafür an, daß sie auf das allwöchentliche Opfer ihres alten Druiden verzichtete.

Nachdem Eradice durch die angenehme Anwendung des natürlichen Gliedes des Mönches die Täuschung des angeblichen Strickes erkannt hatte, fühlte sie sich gröblich betrogen. Ihre Eitelkeit war verletzt, und um sich zu rächen, beging sie nunmehr alle jene Ihnen bekannten Ausschreitungen; hierbei unterstützte sie der heißblütige Mönch, den nicht nur Parteigeist trieb, sondern auch Eifersucht auf die Gunstbeweise, welche Dirrag sich durch seinen Betrug von seiner Geliebten verschafft [40] [42]hatte. Ihre Reize waren ein Gut, das nach seiner Meinung für ihn allein geschaffen war; der Pater hatte also offenbar einen Diebstahl begangen, für den er ihn exemplarisch bestrafen zu können hoffte: Sein Nebenbuhler mußte verbrannt werden; nur hierdurch konnte seine Rache befriedigt werden.

Wie ich bereits sagte, ging ich nach Hause, sobald Pater Dirrag das Zimmer meiner Freundin verlassen hatte. Kaum war ich in meinem Kämmerlein, so warf ich mich auf die Knie und bat Gott um die Gnade, ebenso behandelt zu werden wie Fräulein Eradice. Mein Geist war in einer Aufregung, die dem Wahnsinn nahekam; ein inneres Feuer verzehrte mich. Bald saß ich, bald stand ich, bald lag ich auf den Knien – aber in keiner Stellung konnte ich es aushalten. Ich warf mich auf mein Bett; das Eindringen jenes roten Gliedes in die Schamteile meiner Freundin wollte mir nicht aus dem Sinn, obgleich ich dabei nicht an einen fleischlichen Genuß, geschweige denn an ein Verbrechen dachte. Endlich versank ich in eine tiefe Träumerei, und dabei kam es mir vor, als ob eben dieses Glied, vom Leibe des Paters gänzlich losgelöst, auf die gleiche Weise in mich eindränge.

Unbewußt nahm ich dieselbe Stellung ein, in der ich Eradice gesehen hatte, und ebenso unbewußt rutschte ich auf dem Bauche rückwärts, bis der Bettpfosten sich zwischen meinen Schenkeln befand und jenen Teil berührte, in welchem ich ein unerklärliches Jucken verspürte. Die Berührung des Bettpfostens bereitete mir einen leichten Schmerz, der mich aus meiner Träumerei aufweckte, ohne jedoch das Jucken zu vermindern. Um mich aus meiner Lage zu befreien, mußte ich [42] meinen Hintern hochheben; dadurch wurde eine Reibung an dem Bettpfosten hervorgebracht, die mir ein eigentümliches Kitzeln verursachte; ich machte eine zweite Bewegung, dann eine dritte und so weiter. Die Wirkung steigerte sich noch, und plötzlich ergriff mich eine Art von Raserei: Ohne einen bestimmten Gedanken dabei zu haben, bewegte ich mit unglaublicher Geschwindigkeit meine Hinterbacken am wohltätigen Bettpfosten auf und ab. Bald übermannte mich ein wonniges Gefühl; ich verlor das Bewußtsein und versank in einen tiefen Schlaf.

Als ich nach zwei Stunden erwachte, hatte ich immer noch meinen lieben Bettpfosten zwischen den Schenkeln; ich lag auf dem Bauch, und meine Hinterbacken waren entblößt. Ich wunderte mich über diese Stellung, denn ich hatte das Vorgefallene vergessen, wie man wohl beim Erwachen sich eines Traumbildes nicht mehr erinnert. Ich war jedoch ruhiger geworden, und infolge der Entleerung jenes himmlischen Saftes war mein Geist freier geworden; ich dachte über das bei Eradice Geschehene nach und auch über das, was mit mir selber vorgefallen war, doch konnte ich zu keinem vernünftigen Entschluß kommen. Der Körperteil, den ich am Bettpfosten gerieben hatte, und das Innere meiner Oberschenkel, die ihn umschlungen hatten, taten mir furchtbar weh. Trotz dem Verbot meines früheren Klosterbeichtvaters wagte ich hinzusehen; aber mit der Hand jene Teile zu berühren, konnte ich mich nicht entschließen; dies war mir zu strenge verboten worden.

Als ich gerade eben mit dieser Untersuchung fertig wurde, kam unsere Magd und sagte mir, Frau C. und der Abbé T. wären da; sie würden zum Essen bleiben, und meine Mutter befehle mir, herunterzukommen[43] und ihnen Gesellschaft zu leisten. Ich ging hinunter.

Ich hatte Frau C. seit einiger Zeit nicht gesehen. Obwohl sie sehr freundlich gegen meine Mutter war, der sie große Dienste erwiesen hatte, und obwohl sie für eine sehr fromme Frau galt, hatte ich sie in der letzten Zeit nicht mehr besucht, um nicht meinem Beichtvater zu mißfallen. Sie trug nämlich gegen die Grundsätze und die mystischen Ermahnungen des Paters Dirrag eine sehr deutliche Abneigung zur Schau, und der Pater war in diesem Punkte sehr streng; er duldete durchaus nicht, daß seine Herde sich mit den Herden anderer Beichtväter, seiner Konkurrenten, vermischte. Ohne Zweifel fürchtete er vertrauliche Mitteilungen und Aufklärungen. Kurz und gut, es war eine unerläßliche Vorbedingung, auf welche der ehrwürdige Herr sehr strenge hielt und die von allen seinen Beichtkindern ebenso strenge eingehalten wurde.

Wir setzten uns zu Tische. Die Mahlzeit war fröhlich, ich fühlte mich viel besser als gewöhnlich. Meine Mattigkeit war einer lebhaften Stimmung gewichen; meine Lendenschmerzen waren verschwunden, ich fühlte mich wie neu geboren. Bei Tische wurde nicht über die Nächsten gelästert, wie dies sonst der Fall zu sein pflegt, wo Priester und fromme Frauen beisammen sind. Abbé T., der viel Geist und noch mehr Welterfahrung besitzt, erzählte uns eine Menge hübscher Geschichten, die dem guten Rufe keines Nächsten zu nahe traten und uns alle in eine fröhliche Stimmung versetzten.

Nachdem wir Champagner getrunken und den Kaffee eingenommen hatten, zog meine Mutter mich auf die Seite und machte mir lebhafte Vorwürfe, daß ich seit einiger Zeit mich so wenig um [44] die Freundschaft und das Wohlwollen der Frau C. bekümmert hätte.

Sie ist eine liebenswürdige Dame, sagte sie zu mir, und ihr verdanke ich das ganze Ansehen, dessen ich mich in unserer Stadt erfreue. Ihre Tugend und ihre aufgeklärte Klugheit erwerben ihr die Achtung und Verehrung aller Leute, die sie kennen. Wir brauchen ihren Beistand, und darum wünsche und befehle ich dir, Therese, nach Kräften dazu beizutragen, um uns diesen Beistand zu erhalten.

Ich antwortete meiner Mutter, sie möge nicht bezweifeln, daß ich mich ihrem Willen blindlings unterwerfen würde. Ach, die gute Frau hatte keine Ahnung, was für Belehrungen ich von dieser Dame empfangen sollte, die in der Tat im allerbesten Rufe stand.

Meine Mutter und ich begaben uns wieder zur Gesellschaft. Einen Augenblick später trat ich an Frau C. heran und entschuldigte mich bei ihr, daß ich ihr so lange nicht meine Aufwartung gemacht hätte. Ich bat sie, diese Verfehlung wiedergutmachen zu dürfen, und versuchte ihr im einzelnen die Gründe auseinanderzusetzen, die daran schuld gewesen wären. Aber Frau C. ließ mich nicht ausreden und sagte gütig zu mir: Ich weiß alles, was Sie mir sagen wollen, wir wollen auf diese Sachen, die nicht hierher gehören, nicht näher eingehen. Ein jeder Mensch glaubt seine Gründe zu haben, und vielleicht sind sie alle gut. Soviel ist gewiß: Ich werde Sie stets mit großem Vergnügen bei mir sehen, und um Ihnen dies zu beweisen, fuhr sie fort, indem sie die Stimme erhob, nehme ich Sie mit, damit Sie heute abend bei mir essen. Ist Ihnen dies recht? fragte sie meine Mutter. Selbstverständlich müssen Sie und der Herr Abbé ebenfalls kommen; [45] Sie haben jetzt beide zu tun, und ich lasse Sie Ihren Geschäften nachgehen. Ich dagegen werde mit Fräulein Therese Spazierengehen; Sie wissen ja, wann und wo wir uns treffen.

Meine Mutter war entzückt. Die Grundsätze des Paters Dirrag gefielen ihr ganz und gar nicht. Sie hoffte, die Ratschläge der Frau C. würden mich von meiner Neigung zur Gefühlstötung abbringen, zu der, wie sie glaubte, der Pater mich anhielt.

Vielleicht waren meine Mutter und Frau C. sogar im Einverständnis. Wie dem auch sei, ihre Wünsche wurden bald über alle Erwartung hinaus erfüllt.

Frau C. und ich gingen also aus, aber kaum hatte ich hundert Schritte gemacht, so überfiel mich ein so heftiger Schmerz, daß ich mich kaum recht aufrecht halten konnte. Frau C. bemerkte es und fragte mich: Was haben Sie denn, liebe Therese, mir scheint, Ihnen ist nicht recht wohl?

Ich sagte ihr zwar, es sei nichts, aber Frauen sind von Natur neugierig; sie stellte mir tausend Fragen und brachte mich dadurch in eine Verlegenheit, die ihr nicht entging.

Sollten Sie etwa, sagte sie, auch zu unseren Stigmatisierten gehören? Sie können sich ja kaum auf den Füßen halten und sind ganz außer Fassung. Kommen Sie mit mir in meinen Garten, liebes Kind; dort können Sie sich beruhigen.

Der Garten war ganz in der Nähe; wir gingen dorthin und setzten uns in ein reizendes kleines Gartenhäuschen, dicht am Meeresstrand.

Nach einigen allgemeinen Redensarten fragte Frau C. mich von neuem, ob ich wirklich Wundmale hätte und wie ich mich unter der geistlichen Führung des Paters Dirrag befände. Ich kann Ihnen nicht verhehlen, sagte sie, daß ich über diese Art [46] von Wunder sehr erstaunt bin und den glühenden Wunsch habe, mit eigenen Augen zu sehen, ob es wirklich vorhanden ist. Also, liebe Kleine, verbergen Sie mir nichts, erklären Sie mir, wie und wann diese Wunden erschienen sind. Sie können sich darauf verlassen, daß ich Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen werde, und ich denke, Sie kennen mich zur Genüge, um hieran nicht zu zweifeln.

Frauen sind nicht nur neugierig, sondern sprechen auch gerne; an diesem Fehler litt auch ich ein wenig; außerdem hatten einige Gläser Champagner mir den Kopf erhitzt. Ich hatte Schmerzen; und so bedurfte es keiner langen Überredung; ich beschloß, ihr alles zu sagen. Zunächst sagte ich natürlich der Frau C., ich hätte nicht das Glück, zu jenen auserwählten Bräuten Gottes zu gehören, aber ich hätte gerade an diesem Morgen die Wundmale des Fräuleins Eradice gesehen, und der hochwürdige Pater Dirrag hätte sie in meiner Gegenwart besichtigt. Durch neue eindringliche Fragen veranlaßte Frau C. mich, ihr nach und nach alles zu sagen. Ich erzählte ihr nicht nur, was ich bei Eradice gesehen hatte, sondern auch, was später in meiner Kammer geschehen war und welche Schmerzen davon die Folge gewesen waren.

Während dieser ganzen eigentümlichen Beichte war Frau C. so klug, nicht die geringste Überraschung zu verraten. Sie gab allem ihren Beifall und veranlaßte mich dadurch, ihr alles zu sagen. Wenn ich in Verlegenheit war, weil mir die Ausdrücke fehlten, um das Geschehene zu erklären, nötigte sie mich zu Beschreibungen, deren Unzüchtigkeit im Munde eines so jungen und unschuldigen Mädchens ihr ohne Zweifel viel Spaß machten. Niemals sind vielleicht so gemeine Sachen mit so würdevollem Ernst erzählt und angehört worden.

[47] Als ich mit meiner Erzählung fertig war, schien Frau C. in ernste Gedanken versunken zu sein; sie gab auf einige Fragen, die ich an sie richtete, nur einsilbige Antworten. Endlich faßte sie sich und sagte mir, das von mir Erzählte sei recht eigentümlich und verdiene große Aufmerksamkeit; sie wolle mir später sagen, wie sie darüber denke und wie ich mich verhalten müsse; einstweilen solle ich daran denken, meine Schmerzen zu lindern und zu diesem Zweck die an dem Bettpfosten wundgeriebenen Körperteile mit heißem Wein bähen. Nehmen Sie sich ja in acht, liebes Kind! sagte sie zu mir. Sagen Sie von dem, was Sie mir anvertraut haben, weder zu Ihrer Mutter noch sonst zu einem Menschen etwas, besonders aber nicht dem Pater Dirrag. Es ist Gutes wie Böses dabei. Kommen Sie morgen früh gegen neun Uhr zu mir, dann werde ich Ihnen Näheres sagen. Rechnen Sie auf meine Freundschaft; ihr ausgezeichneter Charakter hat mich ganz gewonnen. Da sehe ich Ihre Mutter kommen; wir wollen ihr entgegengehen und von etwas anderem sprechen.

Eine Viertelstunde darauf kam Abbé T. In der Provinz ißt man früh zu Abend; es war halb acht; es wurde aufgetragen, und wir setzten uns zu Tisch.

Während der Mahlzeit konnte Frau C. sich nicht enthalten, einige satirische Bemerkungen über den Pater Dirrag zu machen. Der Abbé schien hierüber überrascht zu sein und wies sie zurecht. Warum, sagte er, soll sich nicht jeder so benehmen, wie er es für recht hält, vorausgesetzt, daß er nicht gegen die gesellschaftliche Ordnung verstößt? Bis jetzt haben wir den Pater Dirrag sich dagegen nicht vergehen sehen; gestatten Sie mir also, gnädige Frau, so lange nicht Ihrer Meinung zu sein, bis das Urteil, [48] das Sie über den Pater aussprechen, durch tatsächliche Ereignisse gerechtfertigt wird.

Um nicht antworten zu müssen, brachte Frau C. die Unterhaltung geschickt auf ein anderes Thema. Gegen zehn Uhr standen wir vom Tisch auf; Frau C. sagte dem Herrn Abbé etwas ins Ohr, und er brachte meine Mutter und mich nach Hause.

Sie müssen, mein lieber Graf, zum Verständnis meiner Geschichte wissen, wer die Frau C. und der Herr Abbé T. waren, und ich halte es daher für angezeigt, Ihnen einen Begriff davon zu geben.

Frau C. entstammte einer adeligen Familie; mit fünfzehn Jahren hatten ihre Eltern sie gezwungen, einen alten Seeoffizier von sechzig Jahren zu heiraten. Dieser starb fünf Jahre nach der Verheiratung und hinterließ seine Gattin mit einem Knaben schwanger, dessen Geburt der Mutter beinahe das Leben gekostet hätte. Drei Monate darauf starb das Kind, und durch seinen Tod wurde Frau C. Erbin eines ziemlich bedeutenden Vermögens. Die hübsche Witwe, die im Alter von zwanzig Jahren ihre eigene Herrin war, wurde bald von allen Heiratslustigen der ganzen Provinz umworben; aber sie erklärte so deutlich ihre Absicht, sich niemals wieder in eine Gefahr zu begeben, der sie bei der Geburt des ersten Kindes nur durch ein Wunder entgangen sei, daß selbst die eifrigsten Freier bald ihr Spiel verloren gaben.

Frau C. hatte viel Geist; sie war fest in ihren Gefühlen, denen sie sich nur nach reichlicher Prüfung hingab. Sie las viel und unterhielt sich gerne über die abstraktesten Themata. Ihre Aufführung war tadellos. Sie war eine treue Freundin und zeigte sich gerne gefällig, sooft sie nur konnte. Meine Mutter hatte dies zu ihrem Vorteil erfahren. Frau C. war damals sechsundzwanzig Jahre alt. Ihre körperliche [49] Erscheinung werde ich späterhin Ihnen zu beschreiben Gelegenheit haben.

Herr Abbé T., der besondere Freund und zugleich Gewissensrat der Frau C., war ein wirklich verdienstvoller Mann. Er war vier- oder fünfundvierzig Jahre alt, klein, aber gut gewachsen, mit offenen, geistvollen Gesichtszügen; sorgfältig beobachtete er die Anforderungen, die sein Stand an ihn stellte; die gute Gesellschaft, deren Zierde er war, liebte und suchte ihn. Er war sehr geistvoll und besaß ausgebreitete Kenntnisse. Seine allgemein anerkannten Vorzüge hatten ihm das Amt verschafft, das er damals bekleidete und das ich Ihnen verschweigen muß. Er war der Beichtvater und Freund vieler wackerer Leute beiderlei Geschlechts, wie Pater Dirrag der Beichtvater der berufsmäßigen Betschwestern, aller enthusiastischen, quietistischen und fanatischen Weiber war.

Am nächsten Morgen ging ich zur verabredeten Stunde wieder zu Frau C.

Nun, meine liebe Therese, rief sie mir beim Eintritt entgegen, was macht denn Ihre arme geschundene Kleine? Haben Sie gut geschlafen?

Es geht mir viel besser, gnädige Frau; ich habe alles getan, was Sie mir vorgeschrieben haben. Ich habe die schmerzenden Teile tüchtig mit Wein gebäht, und dies hat mir Erleichterung verschafft; aber ich will doch hoffen, daß der liebe Gott mir deshalb nicht böse ist.

Frau C, lächelte; sie schenkte mir eine Tasse Kaffee ein und sagte dann: Was Sie mir gestern anvertraut haben, ist wichtiger, als Sie denken. Ich habe geglaubt, mit Herrn Abbé T. darüber sprechen zu müssen; er erwartet Sie in diesem Augenblick in seinem Beichtstuhl. Ich verlange von Ihnen, daß Sie ihn aufsuchen und ihm Wort für Wort alles [50] wiederholen, was Sie mir gesagt haben. Er ist ein Ehrenmann und wird Ihnen guten Rat geben; Sie haben solchen nötig. Ich denke mir, er wird Ihnen neue Verhaltensmaßregeln geben; befolgen Sie diese! Das ist für Ihr Seelenheil und für Ihre Gesundheit notwendig. Ihre Mutter würde vor Kummer sterben, wenn sie erführe, was ich weiß; denn ich kann Ihnen nicht verhehlen: Was Sie bei Fräulein Eradice gesehen haben, ist grauslich! Gehen Sie jetzt, Therese, schenken Sie Herrn T. Ihr volles Vertrauen; Sie werden es nicht zu bereuen haben. – Ich brach in Tränen aus und verließ, an allen Gliedern zitternd, ihr Haus, um zum Herrn Abbé T. zu gehen, der sich, sobald er mich sah, in seinen Beichtstuhl begab.

Ich verbarg Herrn T. nichts. Er hörte mich aufmerksam bis zum Ende an und unterbrach mich nur einige wenige Male, um sich gewisse Umstände, die er nicht verstand, näher erklären zu lassen.

Als ich fertig war, sagte er: Sie haben mir da erstaunliche Mitteilungen gemacht; Pater Dirrag ist ein Betrüger, ein Unglücklicher, der sich von der Gewalt seiner Leidenschaften fortreißen läßt; er läuft ins Verderben und wird auch Fräulein Eradice ins Verderben stürzen. Gleichwohl, Fräulein Therese, sind Sie mehr zu beklagen, als zu tadeln. Wir haben nicht immer die Kraft, den Versuchungen zu widerstehen; Glück und Unglück unseres Lebens werden oft durch einen Zufall entschieden, oder dadurch, daß sich eine gute oder schlechte Gelegenheit bietet. Vermeiden Sie daher sorgfältig solche Gelegenheiten; geben Sie den Verkehr mit Pater Dirrag und mit allen seinen Beichtkindern auf, aber sprechen Sie nicht böse von ihnen; dies verlangt die christliche Liebe. Besuchen Sie recht oft[51] Frau C; sie meint es gut mit Ihnen und wird Ihnen nur gute Ratschläge geben; es wird gut für Sie sein, ihr Beispiel zu befolgen.

Und nun, mein Kind, wollen wir von jenem heftigen Jucken sprechen, das Sie oft in den Körperteilen spüren, die Sie an Ihrem Bettpfosten gerieben haben. Das Jucken deutet auf Bedürfnisse Ihres Temperaments, die ebenso natürlich sind wie Hunger und Durst. Man darf diese Bedürfnisse nicht anstacheln; aber wenn Sie sehr von ihnen bedrängt werden, so ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie mit Ihrer Hand, mit Ihrem Finger durch eine notwendige Reibung jenem Körperteil Erleichterung verschaffen. Ich verbiete Ihnen indessen ausdrücklich, Ihren Finger in das Innere der dort befindlichen Öffnung hineinzustecken; vorläufig brauchen Sie nur zu wissen, daß dadurch der Gatte, den Sie einmal heiraten werden, eine schlechte Meinung von Ihnen bekommen könnte. Im übrigen ist es, ich wiederhole es Ihnen, ein Bedürfnis, das die Gesetze der Natur in uns erregen, und wir haben daher auch aus der Hand der Natur das von Ihnen bezeichnete Mittel empfangen, um dieses Bedürfnis zu befriedigen.

Da wir nun sicher sind, daß das Naturgesetz von Gott stammt, so dürfen wir auch nicht fürchten, Gott zu beleidigen, indem wir durch diese Mittel, die sein eigenes Werk sind, die er selber uns eingeflößt hat, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, besonders wenn durch diese Mittel die gesellschaftliche Ordnung nicht gestört wird. Anders, liebe Tochter, steht es mit dem, was zwischen dem Pater Dirrag und Fräulein Eradice vorgegangen ist. Der Pater hat sein Beichtkind betrogen; er hat sie der Gefahr ausgesetzt, Mutter zu werden, indem er an Stelle des angeblichen Strickes des heiligen Franz [52] [54]das natürliche männliche Glied anwandte, das zur Fortpflanzung dient. Hierdurch sündigte er gegen das Naturgesetz, das uns vorschreibt, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Ist das Nächstenliebe, wenn der Pater ein Mädchen, wie Fräulein Eradice, in Gefahr bringt, seinen guten Ruf zu verlieren und für das ganze Leben entehrt zu sein? Sie haben, mein liebes Kind, gesehen, wie der Pater sein Glied hineinsteckte und wie er es bewegte. Ein solches Hineinstecken in den Körperteil, der den Erzeugungsapparat des Menschengeschlechts bildet, ist nur bei einer verheirateten Frau erlaubt. An einem Mädchen vorgenommen, kann solche Handlung das Glück der Familie zerstören; sie ist daher gegen das öffentliche Interesse, das man achten muß. Solange Sie daher nicht durch das Sakrament der Ehe gebunden sind, hüten Sie sich wohl, von irgendeinem Mann eine solche Handlungen sich geschehen zu lassen, einerlei, in welcher Stellung sie vorgenommen wird. Ich habe Ihnen ein Mittel bezeichnet, das Ihre Begierden mäßigen und das Feuer, das sie hervorrufen, besänftigen wird. Eben dieses Mittel wird bald auch Ihre schwache Gesundheit wiederherstellen, und Ihr Körper wird dadurch seine Fülle wiedergewinnen. Als dann wird Ihr liebliches Gesicht unfehlbar Liebhaber anlocken, die versuchen werden, Sie zu verführen; seien Sie wohl auf der Hut, und vergessen Sie niemals die Lehren, die ich Ihnen gebe. – Nun, für heute mag es genug sein; in acht Tagen werden Sie mich hier um dieselbe Stunde wiederfinden. Vergessen Sie auf keinen Fall, daß alles, was im Beichtstuhl gesagt wird, für das Beichtkind ebenso heilig sein muß wie für den Beichtvater und daß es eine ungeheure Sünde ist, auch nur den kleinsten Umstand anderen Leute mitzuteilen.

[54] Die Vorschriften meines neuen Beichtigers entzückten meine Seele; ich erkannte in ihnen eine Wahrheit und ein Gefühl christlicher Nächstenliebe, und ich empfand die Lächerlichkeit des geistlichen Zuspruchs, den ich bis dahin vom Vater Dirrag empfangen hatte.

Nachdem ich den ganzen Tag darüber nachgedacht hatte, setzte ich mich am Abend vor dem Schlafengehen auf den Rand meines Bettes, um die immer noch schmerzenden Teile abermals zu laben. Ich spreizte die Schenkel, so weit ich konnte, und begann aufmerksam jenen Körperteil zu untersuchen, der uns zu Frauen macht; ich schob die Schamlippen zur Seite und suchte mit dem Finger die Öffnung, in die Pater Dirrag bei Fräulein Eradice sein dickes Instrument hineingeschoben hatte. Ich entdeckte diese Öffnung, aber ich konnte nicht glauben, daß es dieselbe wäre; sie schien mir zu klein zu sein, und ich versuchte den Finger hineinzustecken, als ich mich plötzlich des Verbotes des Abbé T. erinnerte. Schnell zog ich den Finger wieder heraus und fuhr mit ihm die Spalte entlang. Ich traf auf eine kleine Erhöhung, und ein Zittern durchzuckte mich. Ich rieb diese Erhöhung und befand mich bald auf dem Gipfel der Wonne. Welch glückliche Entdeckung für ein Mädchen, das in sich eine so reichlich fließende Quelle des Lebenssaftes hatte.

Fast sechs Monate lang schwamm ich in einem Meer von Wollust; während dieser Zeit begegnete mir nichts Erwähnenswertes. Meine Gesundheit war völlig wiederhergestellt; mein Gewissen war ruhig, dank meinem neuen Beichtvater, der mir weise Ratschläge gab, die den menschlichen Leidenschaften angepaßt waren. Ich sah ihn regelmäßig jeden Montag im Beichtstuhl und am Tage bei [55] Frau C. Beständig war ich bei dieser liebenswürdigen Dame; die Finsternisse meines Geistes zerstreuten sich; allmählich gewöhnte ich mich, vernünftig zu denken und zu urteilen. Für mich gab es keinen Pater Dirrag mehr und auch keine Eradice.

Wie trefflich wird durch Beispiel und Vorschrift Herz und Geist gebildet! Wenn es wahr ist, daß diese uns nichts geben und daß ein jeder in sich selbst die Keime zu allem trägt, was er werden kann, so ist doch zum mindesten sicher, daß Beispiel und Vorschriften dazu dienen, diese Keime zu entwickeln und uns Gedanken und Gefühle erkennen zu lassen, deren wir fähig sind, die aber ohne Beispiel und ohne Unterricht in ihrer Hülle verborgen geblieben wären.

Unterdessen hatte meine Mutter ihren Großhandel betrieben, aber mit schlechtem Erfolge: Sie hatte große Forderungen ausstehen, und der drohende Bankrott eines Pariser Kaufmanns konnte sie zugrunde richten. Nachdem sie sich mit ihren Freunden beraten hatte, beschloß sie, eine Reise nach der herrlichen Hauptstadt zu unternehmen. Meine zärtliche Mutter liebte mich zu sehr, als daß sie mich während dieser Reise, die sich sehr in die Länge ziehen konnte, hätte aus den Augen verlieren mögen; es wurde daher beschlossen, daß ich sie begleiten sollte. Ach, die arme Frau ahnte nicht, daß sie dort in Paris ein so trauriges Ende finden sollte, daß ich dort in den Armen meines Grafen die Quelle meines Glückes finden würde!

Es wurde abgemacht, daß wir in einem Monat reisen sollten und daß ich die Zeit bis dahin bei Frau C. auf ihrem Landgut verbringen sollte, das eine kleine Meile vor der Stadt lag. Abbé T. kam alle Tage hinaus und schlief auch dort, wenn seine sonstigen Pflichten es ihm erlaubten. Er sowohl [56] wie Frau C. überhäuften mich mit Liebenswürdigkeiten; sie fürchteten sich nicht mehr, in meiner Gegenwart ziemlich freie Bemerkungen zu machen und sich über Gegenstände der Moral, Religion und Metaphysik in einer Art zu unterhalten, die von den mir früher beigebrachten Grundsätzen beträchtlich abwich. Ich bemerkte, daß der Frau C. meine Art des Denkens und Urteilens gefiel, und daß sie sich ein Vergnügen daraus machte, mich von einer Schlußfolgerung zur anderen, und so allmählich zu klaren und deutlichen Beweisen zu führen. Indessen mußte ich einige Male zu meinem Kummer bemerken, daß der Abbé ihr zuwinkte, in gewissen Dingen nicht zu weit zu gehen. Diese Entdeckung kränkte mich; ich beschloß, alles zu versuchen, um das zu erfahren, was man vor mir verbergen wollte. Ich hatte damals noch nicht den geringsten Argwohn, daß sie durch eine gegenseitige Zärtlichkeit verbunden waren. Bald blieb mir nichts mehr zu wünschen übrig, wie Sie gleich hören werden.

Sie werden, mein lieber Graf, die Quelle kennenlernen, aus der ich jene moralischen und metaphysischen Grundsätze geschöpft habe, die Sie so sorgsam ausgebildet haben. Diese Grundsätze haben mich darüber aufgeklärt, was wir in dieser Welt sind und was wir in der andern zu befürchten haben; ihnen verdanke ich die Ruhe eines Lebens, dessen ganze Wonne Sie sind.

Es war damals die schönste Sommerszeit; Frau C. stand für gewöhnlich gegen fünf Uhr früh auf und ging in einem kleinen Wäldchen am Ende ihres Gartens spazieren. Ich hatte bemerkt, daß auch Abbé T. sich dorthin begab, wenn er draußen übernachtet hatte; nach einer oder zwei Stunden gingen sie zusammen in Frau C's. Schlafzimmer, und [57] hierauf wurden beide erst um acht oder neun Uhr im Hause sichtbar.

Ich beschloß, mich im Gebüsch des Wäldchens so zu verstecken, daß ich sie hören konnte. Da ich nicht den leisesten Verdacht hatte, daß sie in einem Liebesverhältnis zueinander standen, so dachte ich nicht daran, daß ich etwas verlieren würde, wenn ich sie auch nicht sähe.

Ich sah mir dabei die Örtlichkeit an und suchte einen Platz aus, der mir für mein Vorhaben günstig zu sein schien.

Beim Abendessen kam das Gespräch auf die Wirkungen und Erzeugnisse der Natur.

Aber was ist denn diese Natur? fragte Frau C. Ist sie ein besonderes Wesen? Sollte nicht alles von Gott geschaffen sein? Wäre etwa die Natur eine untergeordnete Gottheit?

Es ist wirklich nicht vernünftig von Ihnen, so zu sprechen! rief der Abbé lebhaft, indem er ihr mit den Augen zuwinkte. Ich verspreche, Ihnen morgen früh gelegentlich unseres Spaziergangs auseinanderzusetzen, welchen Begriff man von der gemeinsamen Mutter des Menschengeschlechts haben muß; heute ist es zu spät, um diesen Gegenstand zu behandeln. Sehen Sie denn nicht, daß Fräulein Therese todmüde ist? Ein solches Thema würde sie zu sehr langweilen. Lassen Sie sich raten, meine Damen, und gehen Sie zu Bett; ich werde noch meine Gebete verrichten und dann sofort Ihrem Beispiel folgen.

Der Vorschlag des Herrn Abbé wurde angenommen; wir zogen uns alle in unsere Zimmer zurück.

Am nächsten Morgen versteckte ich mich schon bei Tagesanbruch in meinem Hinterhalt. Dieser befand sich in dem Gebüsch hinter einem mit Heckenrosen eingefaßten kleinen Platz, der mit grünen [58] Holzbänken und einigen Statuen geschmückt war. Nachdem ich eine Stunde lang ungeduldig gewartet hatte, kamen meine Helden und setzten sich gerade auf die Bank, hinter welcher ich versteckt war.

Ja, sagte der Abbé beim Eintreten, sie wird wirklich jeden Tag hübscher; ihre Brüste sind so stark geworden, daß sie jetzt vollkommen die Hände eines ehrenwerten Priesters ausfüllen würden; ihre Augen haben eine Lebhaftigkeit, die vollkommen ihrem feurigen Temperament entspricht; denn Temperament hat sie sehr viel, die kleine Spitzbübin Therese. Denke dir, ich habe ihr ja die Erlaubnis gegeben, sich mit dem Finger Erleichterung zu verschaffen, und sie macht sich dies in der Weise zunutze, daß sie es jeden Tag einmal tut. Gib mir zu, ich bin ein ebenso guter Arzt wie geschickter Beichtvater; ich habe sie an Leib und Seele geheilt.

Aber Abbé! rief Frau C. Bist du nun bald fertig mit deiner Therese! Sind wir etwa hierhergekommen, um uns bloß über ihre schönen Augen und ihr Temperament zu unterhalten? Ich glaube, Herr Spaßvogel, Sie hätten nicht übel Lust, ihr die Mühe zu ersparen, Ihre Vorschrift selber zu befolgen. Übrigens bin ich; wie du weißt, eine gute Herrin, und ich würde es gerne erlauben, wenn ich nicht voraussähe, daß es für dich gefährlich werden kann. Therese ist ein kluges Mädchen, aber sie ist zu jung und weiß noch nicht genug von der Welt, als daß du wagen könntest, dich ihr anzuvertrauen. Ich habe bemerkt, daß sie sehr neugierig ist. Sie kann wohl später einmal brauchbar für uns werden, und wenn sie nicht die Fehler hätte, von denen ich eben sprach, so würde ich dir ohne Zögern vorschlagen, sie als dritte zu unseren Vergnügungen heranzuziehen; denn es ist ja wirklich töricht, auf [59] unsere Freunde eifersüchtig zu sein oder sie um ihr Glück zu beneiden, wenn dieses dem unsrigen nicht den geringsten Abbruch tut.

Da hast du vollkommen recht, sagte der Abbé. Eifersucht und Neid sind zwei Leidenschaften, mit denen Leute, die nicht vernünftig denken können, ganz zwecklos sich selber quälen. Indessen ist doch zwischen Neid und Eifersucht ein Unterschied zu ma chen. Der Neid ist eine Leidenschaft, die dem Menschen angeboren ist und zu seinem Wesen gehört; schon die Kinder in der Wiege sind neidisch auf das, was andere Kinder bekommen. Nur durch Erziehung können die Wirkungen dieser Leidenschaft, die wir von der Natur ererbt haben, gemildert werden. Anders aber ist es mit der Eifersucht, insofern diese sich auf die Freuden der Liebe bezieht. Eifersucht ist eine Wirkung unserer Eitelkeit und des Vorurteils. Wir kennen ganze Völkerschaften, wo die Männer ihren Gästen den Genuß ihrer Weiber anbieten, wie wir den unsrigen den besten Wein unseres Kellers vorsetzen. So ein Insulaner liebkost den Liebhaber, der seine Frau in den Armen hält; seine Landsleute loben und beglückwünschen ihn. Ein Franzose macht im gleichen Fall ein, ärgerliches Gesicht; jener zeigt mit dem Finger auf ihn und lacht ihn aus. Ein Perser erdolcht den Liebhaber und die Geliebte; alle Welt spendet diesem Doppelmord Beifall.

Offenbar ist also die Eifersucht keine Leidenschaft, die uns von der Natur eingepflanzt ist; sie entsteht erst durch die Erziehung, durch das Vorurteil des Landes. Eine Pariserin liest und hört schon als Kind, die Untreue eines Liebhabers sei eine Beleidigung für die Frau: man versichert einem jungen Menschen, eine ungetreue Geliebte oder Gattin verwunde sein Selbstgefühl, entehre [60] den Liebhaber oder den Gatten. Diese Grundsätze saugen sie sozusagen mit der Muttermilch ein; aus ihnen wächst die Eifersucht, ein Ungeheuer, das die Menschheit ganz zwecklos mit Leiden quält, die nichts Wirkliches an sich haben.

Wir müssen indessen Unbeständigkeit und Untreue unterscheiden. Ich liebe eine Frau, von der ich geliebt werde; ihr Charakter ist dem meinigen sympathisch; ihre Schönheit, ihre Sinnlichkeit beglücken mich. Sie verläßt mich. In diesem Fall ist der Schmerz nicht mehr die Wirkung eines Vorurteils, sondern er ist berechtigt; ich verliere ein wirkliches Gut, ich verliere einen Genuß, an den ich mich gewöhnt hatte und den ich nicht sicher bin, mit allen seinen Freuden wiederfinden zu können. Aber was hat eine vorübergehende Untreue zu bedeuten, deren Ursache oft nur eine Laune oder Sinnlichkeit oder oftmals auch nur Dankbarkeit ist, und zu der ein zärtliches Herz, das für Schmerz oder Freude des Nächsten empfänglich ist, so leicht sich verleiten läßt. Mag man sagen, was man will – man muß wirklich recht wenig vernünftig sein, wenn man sich um etwas beunruhigt, was doch nur ein Schlag ins Wasser ist und weder im Guten noch im Bösen das geringste zu bedeuten hat.

Hier unterbrach Frau C. den Abbé und rief: Oho! Ich merke, worauf du hinauswillst. Dies will ganz einfach bedeuten, daß du, aus Gutmütigkeit oder um ihr ein Vergnügen zu machen, nicht abgeneigt wärest, unserer Therese einen kleinen Unterricht in der Wollust zu geben, ihr ein kleines Liebesklistier zu verabfolgen, das nach deiner Behauptung für mich weder im Guten noch im Bösen Bedeutung hätte. Nun, meinetwegen, mein lieber Abbé, ich bin mit Freuden einverstanden. Ich liebe euch [61] alle beide. Ihr beide werdet bei diesem Versuch gewinnen, wobei ich nichts verlieren werde. Warum sollte ich mich also widersetzen? Wenn ich mich darüber aufregte, würdest du mit Recht daraus schließen, daß ich nur mich selber liebe, daß mir nur meine eigene Befriedigung am Herzen liege und daß ich sie auf Kosten derer zu vermehren wünsche, die du anderswo finden könntest. Dies aber ist nicht wahr; das Glück, das ich mir zu verschaffen weiß, hat mit der Versuchung deines Glückes nichts zu tun. Du brauchst also, lieber Freund, nicht zu befürchten, mir zu nahe zu treten, und kannst ganz nach deinem Belieben an Thereses Mäuschen krabbeln. Das wird dem armen Mädchen außerordentich wohltun; aber ich wiederhole dir: Hüte dich vor Unvorsichtigkeit!

Was für ein Unsinn! Ich schwöre dir: Ich denke gar nicht an Therese. Ich wollte dir nur ganz einfach den Mechanismus erklären, durch den die Natur ...

Nun, sprechen wir nicht mehr davon! versetzte Frau C. Aber bei dem Worte »Natur« fällt mir etwas ein: Du vergaßest, wie mir scheint, dein Versprechen, was diese gute Mutter betrifft. Laß mich doch mal hören, wie dir diese Erklärung gelingen wird; denn du behauptest ja, alles erklären zu können.

Ich will deinen Wunsch erfüllen, antwortete der Abbé; aber, Mamachen, du weißt, was ich vorher brauche; erst muß ich machen, was meine Phantasie auf das lebhafteste erregt – sonst tauge ich zu nichts, denn meine anderen Gedanken sind nicht klar und werden oft von diesem einen Gedanken absorbiert oder in Verwirrung gebracht. – Ich habe dir ja soeben erzählt, wie es mir früher ging, als ich in Paris mich fast nur mit Lesen und mit dem Studium [62] der abstraktesten Wissenschaften beschäftigte: Sobald ich den Stachel des Fleiches verspürte, hatte ich ein Mädchen ad hoc, wie man einen Nachttopf hat, um sein Wasser zu lassen; dieser machte ich ein oder zweimal, was du mich leider bei dir auf meine Weise nicht machen lassen willst. Mit ruhigem Geist und klaren Gedanken ging ich dann wieder an meine Arbeit. Ich behaupte: Jeder Gelehrte, jeder Staatsmann, die ein bißchen Temperament haben, müssen dieses Heilmittel anwenden, das für die Gesundheit des Leibes ebenso notwendig ist wie für die des Geistes. Ja noch mehr. Ich behaupte: jeder Ehrenmann, der seine Pflichten gegen die Gesellschaft kennt, müßte davon Gebrauch machen, um sicher zu sein, daß er nicht in seiner Aufregung seine Pflichten außer acht läßt und die Frau oder Tochter seines Freundes oder Nachbars verführt.

Nun wirst du mich vielleicht fragen, was denn die Frauen und Mädchen tun sollen. Sie haben, sagst du, ihre Bedürfnisse wie die Männer: sie sind aus demselben Teige. Trotzdem können sie sich nicht derselben Hilfsmittel bedienen: Schamgefühl oder Furcht vor einem Schwatzhaften, einem Ungeschickten, einem Kindermacher erlaubt ihnen nicht, sich desselben Mittels zu bedienen wie die Männer. Wo sollen sie außerdem Männer finden, die augenblicklich bereit sind, fragst du mich, wie es dein kleines Mädchen ad hoc war?

Nun, meine Liebe – Frauen und Mädchen mögen tun, was du tust und was Therese tut. Wenn dieses Spiel ihnen nicht recht gefällt – und es gefällt in der Tat nicht allen –, so mögen sie sich jener sinnreichen Instrumente bedienen, die man Godemiché nennt, sie sind eine ziemlich natürliche Nachbildung der Wirklichkeit, außerdem auch noch mit [63] der Phantasie nachhelfen. Kurz und gut, ich wiederhole: Männer und Frauen dürfen sich nur solche Vergnügungen verschaffen, die den Frieden und die Ordnung der menschlichen Gesellschaft nicht stören können. Wenn aber die Frauen sich Genüsse verschaffen, die ihnen zusagen, so müssen sie dabei auf die ihnen auferlegten Pflichten Rücksicht nehmen. Du magst dies eine Ungerechtigkeit nennen; aber was du als eine besondere Ungerechtigkeit ansiehst, sichert die allgemeine Wohlfahrt, gegen die niemand sich vergehen darf.

Oho! Da hast du dich festgerannt, mein lieber Abbé! Du sagst mir in diesem Augenblick, eine Frau oder ein Mädchen dürfen sich nicht das Bewußte von Männern machen lassen und ein Ehrenmann dürfe die allgemeine Wohlfahrt nicht stören, indem er uns zu verführen sucht. Du selber aber, du kleiner Heuchler, hast mich hundertmal gequält, um mich so weit zu bringen, und es wäre schon längst geschehen, wenn ich nicht die unbesiegliche Furcht vor dem Schwangerwerden hätte. Du hast also, um deine besonderen Wünsche zu befriedigen, unbedenklich gegen das allgemeine Wohl gehandelt, wovon du soviel Aufhebens machst.

Na, da sind wir ja wieder einmal bei dem alten Thema, versetzte der Abbé. Du singst immer wieder das alte Lied, Mamachen! Habe ich dir nicht gesagt, daß man bei Anwendung gewisser Vorsichtsmaßregeln dieses Unglück nicht zu befürchten braucht? Hast du mir nicht zugegeben, daß die Frauen nur dreierlei zu befürchten haben: den Teufel, den Verlust des guten Rufes und die Schwangerschaft? Hinsichtlich des ersten Punktes bist du, denke ich, vollkommen beruhigt; ich glaube ferner nicht, daß du von meiner Seite eine Indiskretion oder Unvorsichtigkeit befürchtest, und nur solche [64] [66]könnten deinem guten Rufe schaden; drittens aber wird eine Frau nur durch die Unbesonnenheit ihres Liebhabers Mutter. Ich habe dir aber schon mehr als einmal nachgewiesen, daß bei der Beschaffenheit des männlichen Zeugungsapparates nichts leichter zu vermeiden ist. Ich will dir das oft Gesagte noch einmal wiederholen:

Der Liebhaber gerät durch die Vorstellungen seiner Phantasie in den Zustand, der zur Vollbringung des Zeugungsaktes notwendig ist: Das Instrument des Blutes hat seinen Liebespfeil dick und steif gemacht. Da sie beide einig sind, nehmen sie die geeignete Stellung ein: Der Pfeil des Liebhabers wird in den Köcher der Geliebten hineingestoßen. Durch die gegenseitige Reibung der Schamteile werden die Säfte zum Ausfluß vorbereitet. Schon will das göttliche Elixier fließen – in diesem Augenblick zieht der weise Liebhaber, der seine Leidenschaften zu beherrschen versteht, den Vogel aus dem Nest heraus, und seine Hand oder die seiner Geliebten bringt durch eine leichte Bewegung die Ejakulation zustande. Auf diese Weise sind keine Kinder zu befürchten.

Der Unbesonnene und rohe Liebhaber dagegen stößt, so tief er kann, in die Scheide hinein; er verspritzt seinen Samen, dieser dringt in den Muttermund hinein und von dort in die Gebärmutter ein, wo die Frucht sich bildet.

Das ist der mechanische Vorgang beim Liebesgenuß, den ich auf deinen Wunsch noch einmal geschildert habe. Du kennst mich doch – kannst du wirklich glauben, daß ich zu den letztgenannten Unvorsichtigen gehöre? Nein, liebe Freundin, ich habe hundertmal das Gegenteil erfahren, laß mich, ich beschwöre dich, laß mich heute dasselbe mit dir tun; sieh, in welchem triumphierenden Zustand [66] mein Kerlchen ist; du hältst ihn in der Hand. Ja, drücke ihn tüchtig! Du siehst, er bittet dich um Gnade und ich ...

Nicht doch, bitte, mein lieber Abbé! rief Frau C; ich beschwöre dich, ich tue es nicht. Alles, was du gesagt hast, kann meine Befürchtungen nicht beruhigen. Ich würde dir einen Genuß verschaffen, an welchem ich nicht teilnehmen könnte, und dies wäre nicht gerecht, laß mich nur machen; ich werde den frechen kleinen Kerl schon zur Vernunft bringen ... Nun, fuhr sie nach einer kleinen Weile fort, bist du mit meinen Brüsten und mit meinen Schenkeln zufrieden? Hast du sie genug geküßt und gestreichelt? Warum streifst du denn meine Ärmel bis über den Ellenbogen hinauf? Der Herr sieht ohne Zweifel gerne die Bewegungen eines nackten Armes? Mache ich es gut so? Du sagst kein Wort! Ach, der Schelm! Welchen Genuß er hat!

Einen Augenblick war alles still. Plötzlich hörte ich den Abbé rufen: Liebe kleine Mama, ich halte es nicht mehr aus, ein bißchen schneller! Komm doch, komm doch bitte, mit deinem Züngelchen, ach ... es ... spritzt!

Stellen Sie sich vor, mein lieber Graf, in welchem Zustande ich während dieser erbaulichen Unterhaltung war. Zwanzigmal versuchte ich aufzustehen, um irgendeine Öffnung zu finden, um die Vorgänge sehen zu können, aber das Rascheln des Laubes hielt mich zurück. Ich hatte mich aufrecht gesetzt und machte mich so lang wie ich nur konnte; ein Feuer verzehrte mich, und um es zu löschen, bediente ich mich meines gewöhnlichen Hilfsmittels.

Nach einer Pause, während welcher er ohne Zweifel seine Kleider in Ordnung brachte, sagte der Abbé: Wahrhaftig, meine liebe Freundin, wenn ich [67] alles wohl überlege, so glaube ich, du hast recht gehabt, mir den erbetenen Genuß zu versagen; ich fühlte eine so übermäßige Wonne, ein so heftiges Kitzeln, daß ich glaube, ich hätte es laufenlassen, wenn du mich hättest gewähren lassen.

Ja, wir sind wirklich recht schwache Geschöpfe und wissen unseren Willen sehr wenig zu beherrschen. Ich weiß ja das alles, mein guter Abbé, du sagst mir nichts Neues, aber sage mir, vergehen wir uns wirklich nicht gegen das Interesse der Gesellschaft, indem wir uns solchen Genüssen hingeben? Und jener vernünftige Liebhaber, dessen Vorsicht du lobst, der den Vogel aus dem Nest herauszieht und den Lebensbalsam draußen laufen läßt, begeht er nicht ebenfalls ein Verbrechen? Denn wir müssen doch zugeben, daß wir alle die Gesellschaft eines Mitglieds berauben, das nur nützlich werden könnte.

Dies klingt allerdings zunächst ganz richtig, erwiderte der Abbé, aber du wirst sehen, meine Schöne, daß diese Anschauung ganz an der Oberfläche bleibt. Wir haben kein menschliches oder göttliches Gesetz, das uns einlüde, geschweige denn zwänge, an der Vermehrung des Menschengeschlechtes zu arbeiten. Alle diese Gesetze gestatten den Junggesellen wie den Jungfrauen, einer Menge von faulen Mönchen und überflüssigen Nonnen im ledigen Stande zu verbleiben; sie erlauben dem verheirateten Manne, seiner schwangeren Frau beizuwohnen, obgleich dabei sein Samen ohne jede Möglichkeit der Befruchtung vergeudet wird. Man stellt sogar den Stand einer Jungfrau höher als den einer verheirateten Frau.

Ist es nun nicht sicher, daß Leute, die beim Koitus mogeln oder die wie wir sich an den Freuden des Gänschenkrabbelns ergötzen, nicht mehr tun [68] als diese Mönche und Nonnen und überhaupt alle, die unverheiratet bleiben? Diese behalten in ihren Hoden ganz zwecklos einen Samen, den die andern ebenso zwecklos vergeuden. Sind nun nicht beide Teile der Gesellschaft gegenüber genau in der gleichen Lage, weder die einen noch die andern geben der Gesellschaft neue Mitglieder; aber sagt uns nicht die gesunde Vernunft, daß es immerhin besser ist, diesen Samen nutzlos zu vergeuden und dabei uns eine Freude zu verschaffen, die keinem Menschen schadet, als sie ebenso unnütz, aber obendrein auf Kosten unserer Gesundheit und oft unseres Lebens in unseren spermatischen Gefäßen aufzubewahren? Du siehst also, Frau Philosophin, unsere Belustigungen schaden der Gesellschaft nicht mehr als der von ihr anerkannte Zölibat der Mönche, Nonnen und so weiter; wir können also ruhig dabeibleiben.

Ohne Zweifel fühlte im Anschluß an diese Betrachtungen der Abbé sich verpflichtet, Frau C. gewisse Dienste zu erweisen; denn einen Augenblick darauf hörte ich diese sagen, ach, laß doch das, häßlicher Abbé! Fort mit deinem Finger! Ich bin heute nicht dazu aufgelegt, ich spüre noch die Nachwirkungen unserer gestrigen Ausgelassenheiten. Also laß es bis morgen; außerdem weißt du ja doch, daß ich es gerne recht bequem habe und dabei auf meinem Bett zu liegen wünsche. Diese Bank ist gar nicht bequem. Also schnell, mache Schluß! Ich wünsche von dir jetzt weiter nichts als die versprochene Aufklärung über Frau Natur. Nun, da bist du ja ruhig, Herr Philosoph. Sprich, ich höre.

Über Frau Natur? Wahrhaftig, von der wirst du bald ebensoviel wissen wie ich. Sie ist ein Wesen, das nur in der Einbildung besteht, ist weiter nichts als der sinnlose Klang eines Wortes. Die ersten Religionsstifter [69] und die ersten Staatengründer waren in Verlegenheit, wie sie dem Volk den Begriff des sittlich Guten und des sittlich Bösen erklären sollten; darum erfanden sie ein Wesen, das zwischen Gott und uns steht. Dieses Wesen machten sie zum Urheber unserer Leidenschaften, unserer Krankheiten, unserer Verbrechen. Wie hätten sie auch ohne diese Aushilfsmittel ihr System mit der unendlichen Güte Gottes in Einklang bringen können? Womit hätten sie die menschlichen Gelüste des Diebstahls, der Verleumdung, der Vergewaltigung, des Mordes erklären wollen; warum gäbe es so viele Krankheiten, so viele körperliche Leiden? Was hatte dieser unglückliche Krüppel ohne Beine, der sein ganzes Leben lang auf der Erde kriechen muß, dem lieben Gott getan?

Ein Theologe antwortet uns auf diese Fragen: Es sind die Wirkungen der Natur. Aber was ist denn diese Natur? Ist sie ein anderer Gott, den wir nicht kennen? Handelt sie aus sich selber und unabhängig von dem Willen Gottes? Nein, sagt der Theologe wieder ganz trocken. Da Gott nicht der Urheber des Bösen sein kann, so kann das Böse nur durch die Natur existieren. – Was für ein Unsinn! Muß ich mich über den Stock beklagen, der mich schlägt, oder nicht viel mehr über denjenigen, der den Schlag geführt hat? Denn ist nicht dieser der Urheber des Schmerzes, den ich verspüre?

Warum wollen wir denn einfach nicht zugeben, daß »Natur« nur ein sinnloses Wort ist, ein Begriff, den unsere schwache menschliche Vernunft geschaffen hat? Warum wollen wir nicht zugeben, daß Gott alles ist; daß das körperliche Leiden, das dem einen schadet, einen anderen glücklich macht, daß alles, so wie es ist, gut ist; daß es in Hinsicht auf die Gottheit auf der Welt nichts [70] Schlechtes gibt? Alles, was wir gut oder schlecht nennen, verdient diese Bezeichnung nur im Verhältnis zu der menschlichen Gesellschaft, nicht aber im Verhältnis zu Gott, durch dessen Willen wir notwendigerweise nach den ersten Gesetzen, nach den ersten Grundsätzen handeln, nach denen er die ganze Welt eingerichtet hat. Ein Mensch stiehlt; das ist von seinem eigenen Standpunkt aus gut; es ist schlecht, weil er dadurch die gesellschaftliche Ordnung verletzt, aber vom Standpunkt Gottes ist es weder gut noch schlecht. Ich gebe allerdings zu, daß dieser Mensch bestraft werden muß, obgleich er aus Zwang gehandelt hat und obgleich ich überzeugt bin, daß er nicht frei war, sein Verbrechen zu begehen oder nicht zu begehen. Aber er muß bestraft werden, weil die Bestrafung eines Menschen, der die gesellschaftliche Ordnung gestört hat, ganz mechanisch einen sinnlichen Eindruck macht, der die Bösewichte davon ab hält, etwas zu wagen, was ihnen dieselbe Strafe zuziehen könnte, und weil die Strafe, die dieser Unglückliche für seine Gesetzesübertretung erleidet, zum allgemeinen Besten beitragen muß, das in diesem Falle dem Wohle des einzelnen vorzuziehen ist.

Man muß daher sogar die Eltern und Freunde von Verbrechern und alle, die mit ihnen Umgang haben, als ehrlos brandmarken, um dadurch alle Menschen zu veranlassen, sich gegenseitig untereinander Abscheu gegen Handlungen und Verbrechen einzuflößen, die die öffentliche Ruhe stören können. Unsere natürliche Anlage, unsere Bedürfnisse und die Rücksicht auf unser eigenes Wohl treiben den einzelnen unaufhörlich an, diese Ruhe zu verletzen. Diese natürliche Anlage des Menschen kann nur durch Erziehung überwunden werden [71] oder durch die Eindrücke, die seine Seele durch den Umgang und Verkehr mit anderen Menschen empfängt, und zwar entweder durch das gute Beispiel oder durch die Lehren, die sie geben – mit einem Wort, durch äußerliche Eindrücke, die im Verein mit unseren innerlichen Anlagen alle Handlungen unseres Lebens bestimmen. Man muß also die Menschen auslachen, man muß sie zwingen, sich gegenseitig zu diesen Empfindungen anzuspornen, die dem allgemeinen Wohl nützlich sind.

Ich glaube, meine Liebe, du begreifst jetzt, was man sich bei dem Wort Natur denken muß. Morgen früh gedenke ich, dir auseinanderzusetzen, was man von den Religionen zu halten hat. Dies ist ein für unser Glück sehr wichtiges Thema; aber für heute ist es zu spät, es noch zu behandeln. Ich fühle das Bedürfnis, jetzt meine Schokolade zu trinken.

Mir ist es recht, sagte Frau C. aufstehend. Der Herr Philosoph bedarf ohne Zweifel einer körperlichen Kräftigung nach den von mir verursachten Kräfteverlusten; das ist ganz in der Ordnung. Du hast dich ganz vorzüglich benommen und wundervolle Sachen gesagt. Deine Bemerkungen über die Natur sind vortrefflich; aber nimm es mir nicht übel, wenn ich stark daran zweifle, daß du mich in derselben Weise auch über das Kapitel der Religion aufklären kannst, das du bereits mehrere Male mit viel geringerem Erfolge berührt hast. Allerdings, wie solltest du bei einem so abstrakten Thema, wobei alles Glaubensartikel ist, Beweise anführen können?

Nun, das werden wir morgen sehen, erwiderte der Abbé.

Gut, aber glaube nur nicht, daß du mit Worten davonkommen wirst; morgen werden wir, mit deiner [72] [74]Erlaubnis, frühzeitig in mein Zimmer gehen, und dort werde ich deiner Hand und meines Ruhebettes bedürfen.

Einige Augenblicke später gingen sie beide nach dem Hause zurück; ich folgte ihnen unter dem Schutze einer dichten Hecke. In meinem Zimmer blieb ich nur einen Augenblick, um ein anderes Kleid anzuziehen; dann ging ich sofort in die von Frau C. bewohnten Räume, denn ich befürchtete, der Abbé möchte vielleicht das Kapitel von den Religionen doch sofort behandeln, und ich wollte seine Bemerkungen auf alle Fälle hören. Sein Vortrag über die Natur hatte großen Eindruck auf mich gemacht; ich sah klar und deutlich, daß Gott und die Natur nur ein und dasselbe sind, oder daß zum mindesten die Natur nur dem unmittelbaren Willen Gottes folgt. Ich zog daraus meine kleinen Schlußfolgerungen und begann vielleicht zum erstenmal in meinem Leben zu denken.

Ich zitterte, als ich zu Frau C. ins Zimmer trat. Mir war, als wüßte sie von der Hinterlist, die ich gegen sie begangen hatte, und als könnte ihr meine Aufregung nicht entgehen. Abbé T. sah mich aufmerksam an. Ich hielt mich für verloren; bald aber hörte ich ihn halblaut zu Frau C. sagen: Sehen Sie doch, wie hübsch Therese ist! Sie hat reizende Farben, ihre Augen funkeln und ihre Gesichtszüge werden jeden Tag geistreicher.

Ich weiß nicht, was Frau C. ihm antwortete; aber sie lächelten beide. Ich tat, wie wenn ich nichts gehört hätte, und wich ihnen den ganzen Tag nicht von der Seite.

Als ich mich am Abend auf mein Zimmer zurück gezogen hatte, entwarf ich meinen Kriegsplan für den nächsten Morgen. Aus Furcht, nicht rechtzeitig aufzuwachen, schlief ich überhaupt nicht. [74] Gegen fünf Uhr früh sah ich Frau C. nach dem Wäldchen eilen, wo der Abbé sie bereits erwartete. Nach dem, was ich am Tage vorher gehört hatte, mußte sie bald in ihr Schlafzimmer zurückkehren, wo das von ihr erwähnte Ruhebett stand. Ohne mich zu besinnen, schlüpfte ich in das Zimmer hinein und versteckte mich im Bettgäßchen; ich setzte mich am Kopfende auf den Fußboden, so daß ich mich mit dem Rücken an die Wand anlehnte. Vor mir hatte ich den Bettvorhang, den ich nötigenfalls etwas zur Seite schieben konnte, um das in der entgegengesetzten Ecke des Zimmers stehende Ruhebett zu übersehen; es konnte kein Wort gesprochen werden, ohne daß ich es hörte.

Ich wartete lange und begann in meiner Ungeduld schon zu fürchten, daß mir mein Plan fehlgeschlagen wäre; schließlich aber traten die beiden Helden der Komödie doch ein.

Mach es mir recht tüchtig! lieber Freund, sagte Frau C, indem sie sich auf ihr Ruhebett sinken ließ. Die Lektüre deines bösen Pförtners der Kartäuser hat mich ganz in Flammen gesetzt; seine Porträts sind sprechend ähnlich; sie tragen einen bezaubernden Ausdruck von Wahrheit; wenn es weniger schmutzig wäre, es wäre ein unnachahmliches Buch in seiner Art. Stecke ihn mir heute hinein, Abbé! Ich beschwöre dich! Ich sterbe vor Lust, und ich bin bereit, alle Folgen zu tragen!

Fällt mir nicht ein! versetzte der Abbé. Und zwar aus zwei guten Gründen nicht: Erstens liebe ich dich und ich bin zu anständig, um deinen guten Ruf aufs Spiel zu setzen, auch möchte ich deine gerechten Vorwürfe wegen einer solchen Unvorsichtigkeit nicht anhören; zweitens ist der Herr Doktor, wie du siehst, nicht eben in glänzender Verfassung; ich bin kein Gascogner, und ...

[75] Ich sehe vollkommen genug, rief Frau C. Dieser letzte Grund ist so stark, daß du wirklich nicht nötig gehabt hättest, dich mit dem ersten zu brüsten. Aber höre, setze dich doch wenigstens neben mich, fuhr sie fort, indem sie sich wollüstig auf dem Bett ausstreckte; wir wollten, wie du es nennst, das kleine Meßopfer bringen.

Ah, von ganzem Herzen, meine liebe kleine Mama! rief der Abbé. Er hatte sich erhoben und entblößte bedächtig ihren Busen. Dann hob er ihren Rock und ihr Hemd bis zum Nabel auf und öffnete ihr die Schenkel, indem er zugleich ihre Knie ein wenig emporhob, so daß ihre Absätze beinahe einander berührten.

In dieser Stellung küßte der Abbé abwechselnd alle Schönheiten des Leibes seiner teuren Geliebten. Frau C. lag unbeweglich und schien von den Wonnen zu träumen, deren Vorboten sie bereits nahen fühlte. Ihre Augen waren halb geschlossen; die Spitze ihrer Zunge erschien auf dem Rande ihrer Rosenlippen, und alle Muskeln ihres Gesichtes zuckten in wollüstiger Erregung. Mach doch endlich ein Ende mit deinem Küssen! rief sie dem Abbé zu. Siehst du denn nicht, daß ich auf dich warte? Ich halte es nicht mehr aus!

Der gefällige Beichtvater ließ sich dies nicht zweimal sagen. Er ließ sich zwischen Frau C. und der Wand auf das Ruhebett sinken, schob seine linke Hand unter den Kopf der zärtlichen Frau C. und gab ihr die wollüstigsten züngelnden Küsse auf den Mund. Seine andere Hand verrichtete derweilen das Hauptgeschäft: Sie liebkoste mit vollendeter Künstlerschaft jenen Teil, durch den unser Geschlecht sich von dem männlichen unterscheidet und der bei Frau C. sehr reichlich von wunderschön schwarzem lockigem Haar geschmückt ist. Der [76] [78]Finger des Abbés spielte hier die interessanteste Rolle. Ich war in der denkbar günstigsten Stellung, um dieses Gemälde betrachten zu können. Das Ruhebett stand so, daß ich das Vlies der Frau C. vor Augen hatte. Unter demselben zeigten sich zum Teil ihre beiden Hinterbacken, die sie leicht von unten nach oben bewegte – ein Zeichen ihrer innerlichen Bewegung. Ihre Schenkel, die schönsten, rundesten, weißesten Schenkel, die man sich nur denken kann, vollzogen mit den Knien eine andere leise Bewegung von links nach rechts und umgekehrt, die ohne Zweifel ebenfalls zu ihrem wollüstigen Genuß beitrug. Der Finger des Abbés war in dem dichten Vlies verschwunden, machte aber alle diese Bewegungen mit.

Es wäre ein vergebliches Bemühen, lieber Graf, Ihnen sagen zu wollen, was ich in jenem Augenblick dachte. Mechanisch äffte ich einfach nach, was ich sah. Meine Hand leistete mir denselben Dienst wie die des Abbés der Frau C.; ich ahmte alle Bewegungen meiner Freundin nach.

Ach! Ich sterbe! rief sie plötzlich. Steck ihn hinein, lieber Abbé! Ja ... recht tief ... ich beschwöre dich, stoß! Stoße recht stark! Stoße, Kleiner! Ach welche Wonne ... Ich vergehe ... Ich zerfließe ... Ich ... ich ...

Ich machte alles nach, was ich sah, und ohne einen einzigen Augenblick an das Verbot meines Beichtvaters zu denken, stieß ich mir ebenfalls meinen Finger hinein. Ein leichter Schmerz, den ich verspürte, hielt mich nicht zurück. Ich stieß, so stark ich nur konnte und bald war ich auf dem Höhepunkt der Wollust.

Ihre verliebte Erregung hatte sich beruhigt, und ich war trotz meiner unbequemen Lage beinahe in Schlaf gesunken, als ich Frau C. sich dem Platze [78] nähern hörte, wo ich mich versteckt hielt; ich glaubte schon entdeckt zu sein, aber ich kam mit der Furcht davon. Sie zog die Klingelschnur und bestellte Schokolade; während die beiden diese tranken, rühmten sie die Freuden, die sie soeben gehabt hatten.

Warum sind Sie nicht ganz und gar unschuldig? sagte Frau C. Sie mögen noch so oft sagen, daß sie den Vorteil der Gesellschaft nicht beeinträchtigen, daß wir durch ein Bedürfnis zu ihnen getrieben werden, das für gewisse Temperamente ebenso natürlich ist und ebenso notwendig befriedigt werden muß wie Hunger und Durst. Sie haben allerdings vollkommen bewiesen, daß unsere Handlungen nur von Gottes Willen abhängen, daß »Natur« ein sinnloses Wort ist, aber was sagen Sie von der Religion? Sie verbietet uns die außerehelichen Freuden der Fleischeslust. Ist »Religion« ebenfalls ein sinnloses Wort? Wie? Erinnern Sie sich denn nicht mehr, daß wir nicht frei sind, daß alle unsere Handlungen notwendigerweise vorherbestimmt sind? Und wenn wir nicht frei sind, wie können wir dann sündigen? Doch da Sie es wünschen, so wollen wir dies Thema von den Religionen einmal ernstlich vornehmen. Ich kenne Ihre Verschwiegenheit, Ihre Vorsicht, und ich trage um so weniger Bedenken, mich deutlich auszusprechen, da ich vor Gott beschwören kann, daß ich ehrlich und aufrichtig versucht habe, den wahren Sinn der Religion zu ergründen. Meine Arbeit und mein Nachdenken über diesen wichtigen Gegenstand haben mich zu folgenden Entschlüssen geführt: Gott ist gut, sage ich; seine Güte ist mir Gewähr, daß er mich nicht täuschen wird, wenn ich eifrig zu erkennen suche, ob er einen wirklichen Kultus von mir verlangt. Es muß mir offenbar gelingen, diesen [79] Kultus zu erkennen, denn sonst wäre Gott ungerecht; er hat mir die Vernunft gegeben, um mich ihrer zu bedienen, mich von ihr leiten zu lassen; wozu konnte ich sie besser anwenden?

Wenn ein aufrichtiger Christ seine Religion nicht prüfen will, warum verlangt er denn – wie es ja geschieht – von einem aufrichtigen Mohammedaner, daß dieser die seine prüfen soll? Sie glauben beide, daß ihre Religion ihnen von Gott offenbart worden ist, die eine durch Jesus Christus, die andere durch Mohammed.

Unser Glaube stammt nur daher, daß Menschen uns gesagt haben, Gott habe gewisse Wahrheiten enthüllt. Aber andere Menschen haben den Anhängern anderer Religionen dasselbe gesagt; wem soll man also glauben? Um zur Wahrheit zu gelangen, müssen wir prüfen; denn alles, was von Menschen stammt, muß unserer Vernunft unterworfen sein.

Alle Stifter der verschiedenen Religionen, die auf der Erde verbreitet sind, haben sich gerühmt, daß Gott sich ihnen offenbart habe; welchem dürfen wir glauben? Untersuchen wir also, welche Religion die echte sei. Da aber von Kindheit an durch unsere Erziehung alle unsere Begriffe durch Vorurteile gebildet sind, so müssen wir zunächst dem lieben Gott alle Vorurteile zum Opfer bringen und hierauf mit der Fackel der Vernunft eine Frage beleuchten, von der in unserem zeitlichen und ewigen Leben Glück und Unglück für uns abhängt.

Ich mache zunächst die Bemerkung, daß es vier Weltteile gibt; daß höchstens der zwanzigste Teil von dem einen dieser vier Teile katholisch ist. Alle Bewohner der anderen Teile behaupten, daß wir einen Menschen, daß wir Brot anbeten; sie behaupten, alle Kirchenväter hätten sich in ihren Schriften [80] widersprochen, und dies beweise, daß sie nicht von Gott inspiriert worden seien.

Alle Änderungen in den Religionen, die seit Adams Zeiten von Moses, von Salomon, von Jesus Christus und später von den Kirchenvätern vorgenommen worden sind, beweisen, daß alle diese Religionen nur Menschenwerk sind. Gott ändert sich niemals; er ist unwandelbar.

Gott ist allgegenwärtig. Trotzdem sagt die Heilige Schrift, daß Gott Adam im irdischen Paradiese gesucht habe: Adam, wo bist du? Sie erzählt, daß Gott im Garten Eden spazierengegangen sei, daß er sich mit dem Teufel über Hiob unterhalten habe. – Die Vernunft sagt mir, daß Gott keiner Leidenschaft unterworfen sein kann, aber die Genesis läßt im sechsten Kapitel Gott sagen, er bereue, den Menschen geschaffen zu haben, und sie läßt seinen Zorn nicht unwirksam sein. In der christlichen Religion erscheint Gott so schwach, daß er nicht einmal den Menschen nach seinem Willen lenken kann: er bestraft ihn durch Wasser, dann durch Feuer – der Mensch bleibt immer derselbe. Er schickt die Propheten – der Mensch bleibt immer derselbe. Er hat einen einzigen Sohn; er schickt diesen, er opfert ihn – die Menschen ändern sich nicht. Wie lächerlich macht die christliche Religion ihren Gott!

Jeder gibt zu, daß Gott weiß, was in Ewigkeit geschehen wird, also hat Gott, als er uns geboren werden ließ, bereits gewußt, daß wir unfehlbar verdammt werden müssen und daß wir ewig unglücklich sein werden.

Wir lesen in der Heiligen Schrift, daß Gott Propheten sandte, um die Menschen zu warnen und sie zur Besserung aufzufordern. Der allwissende Gott wußte aber doch auch, daß die Menschen sich [81] nicht ändern würden. Die Heilige Schrift nimmt also an, daß Gott ein Betrüger sei. Lassen diese Begriffe sich mit unserer Überzeugung von Gottes unendlicher Güte in Einklang bringen?

Man gibt dem allmächtigen Gott einem gefährlichen Gegner in der Gestalt des Teufels, der ihm gegen seinen Willen unaufhörlich drei Viertel von der kleinen Zahl von Menschen raubt, die er ausgewählt hat, für die sein Sohn sich geopfert hat, ohne sich um den Rest des menschlichen Geschlechtes zu bekümmern. Was für klägliche Albernheiten!

Nach der christlichen Glaubenslehre sündigen wir nur, weil wir in Versuchung geführt werden; der Versucher, sagt man uns, ist der Teufel. Gott brauchte nur den Teufel zu vernichten, so wären wir alle gerettet; da er es nicht tut, so ist er entweder sehr ungerecht oder sehr ohnmächtig.

Eine ziemlich große Anzahl der Diener der katholischen Religion behauptet, Gott gebe uns Befehle, wir könnten aber diese nicht befolgen ohne die Gnade, welche Gott nur gewissen, ihm angenehmen Menschen schenke; trotzdem bestraft Gott diejenigen, die seine Gebote nicht halten! Welcher Widerspruch! Welche ungeheure Gottlosigkeit!

Gibt es etwas so Elendes wie die Behauptung, daß Gott rachsüchtig, eifersüchtig, zornig sei? Ist es nicht ein jämmerlicher Anblick, die Katholiken ihre Gebete an die Heiligen richten zu sehen? Wie wenn diese Heiligen gleich dem lieben Gott allgegenwärtig wären! Wie wenn diese Heiligen in den Herzen der Menschen lesen und ihre Stimme hören könnten.

Welch lächerliches Gerede, daß wir alles zum größeren Ruhme Gottes machen werden. Kann denn Gottes Ruhm durch die Gedanken oder [82] Handlungen der Menschen vermehrt werden? Können sie überhaupt etwas an ihm vermehren? Ist er sich nicht selbst genug?

Wie haben die Menschen sich einbilden können, daß die Gottheit sich mehr geehrt und befriedigt fühlte, wenn sie einen Hering statt einer Lerche essen, eine Zwiebelsuppe statt einer Specksuppe, eine Scholle statt eines Rebhuhns, und daß dieselbe Gottheit sie mit ewiger Verdammnis strafen würde, wenn sie an gewissen Tagen den Vorzug der Specksuppe geben?

Ihr schwachen Menschen, ihr glaubt Gott beleidigen zu können! Könntet ihr auch nur einen König, einen Prinzen beleidigen, wenn diese vernünftig wären? Sie würden eure Schwäche und Ohnmacht verachten. Man spricht euch von einem rächenden Gott und sagt euch, die Rache sei ein Verbrechen, welcher Widerspruch! Man versichert euch, die Vergebung einer Beleidigung sei eine Tugend, und man wagt euch zu sagen, Gott räche sich für eine ungewollte Beleidigung, nämlich die Erbsünde, durch ewige Höllenqualen!

Man sagt: Wenn es einen Gott gibt, muß es auch einen Kultus geben. Indessen kann man doch nicht leugnen, daß vor Erschaffung der Welt ein Gott, aber kein Kultus war. Übrigens gibt es seit der Erschaffung der Welt Tiere, welche Gott durch keinen Kultus ehren. Wenn es keine Menschen gäbe, gäbe es doch stets einen Gott, Geschöpfe und keinen Kultus. Die Menschen leiden an der krankhaften Sucht, die Handlungen Gottes nach ihren eigenen beurteilen zu wollen.

Die christliche Religion gibt einen falschen Begriff von Gott; denn nach ihrer Lehre ist die menschliche Gerechtigkeit ein Ausfluß der göttlichen Gerechtigkeit. Nach der menschlichen Gerechtigkeit [83] aber müßten wir unbedingt Gott wegen der Handlungen verurteilen, die er gegen seinen Sohn, gegen Adam, gegen die Völker, denen niemals seine Lehre gepredigt worden ist, gegen die Kinder, die vor der Taufe sterben, begangen hat und begeht.

Nach der Lehre der christlichen Religion müssen wir nach der höchsten Vollkommenheit streben. Nach ihr ist der Stand der Jungfräulichkeit vollkommener als der Ehestand; daraus geht klar hervor, daß die christliche Religion auf die Vernichtung des Menschengeschlechtes abzielt. Wenn die Bemühungen und Reden der Priester Erfolg hätten, würde in sechzig oder achtzig Jahren das Menschengeschlecht vernichtet sein. Kann eine solche Religion von Gott sein?

Gibt es etwas so Törichtes, als daß man durch Priester, durch Mönche, durch andere Personen für sich zu Gott beten läßt? Man macht sich von Gott einen Begriff wie von einem Könige.

Welch ein unglaublicher Wahnsinn ist der Glaube, Gott habe uns geboren werden lassen, damit wir nichts anderes tun, als was gegen die Natur ist und was uns in dieser Welt nur unglücklich machen kann! Man fordert von uns, wir sollen uns alles versagen, was unsere Sinne und Begierden, die Gott in uns gepflanzt hat, befriedigt! Ein Tyrann könnte nicht schlimmer sein, der uns von dem Augenblick unserer Geburt bis zur Todesstunde mit seinem Grimme verfolgt.

Um ein vollkommener Christ zu sein, muß man unwissend sein, blindlings glauben, auf alle Freuden, auf Ehre und Reichtum verzichten, seine Verwandten und Freunde verlassen, seine Jungfräulichkeit bewahren; mit einem Wort, man muß alles tun, was gegen die Natur ist. Und doch handelt [84] diese Natur sicherlich nur nach Gottes Willen. Welche Widersprüche nimmt die Religion bei einem Wesen an, das unendlich gerecht und gut ist!

Da Gott der Schöpfer und Herr aller Dinge ist, so müssen wir diese zu dem Zweck verwenden, für den er sie bestimmt hat, und müssen uns ihrer gemäß der Absicht bedienen, welche Gott bei ihrer Erschaffung hatte, soweit es uns durch unsere Vernunft und durch die von ihm uns eingepflanzten Gefühle möglich ist, seinen Zweck und seine Absicht zu erkennen und diese mit dem Interesse der menschlichen Gesellschaft in den von uns bewohnten Ländern zu vereinbaren.

Der Mensch ist nicht zum Müßiggang geschaffen; er muß sich mit irgend etwas beschäftigen, wodurch er seinem eigenen Vorteil dient, ohne dem Gemeinwohl zu schaden. Gott hat nicht das Glück einzelner gewollt; er will das Glück aller, wir müssen uns also gegenseitig alle möglichen Dienste leisten, vorausgesetzt, daß diese Dienste nicht dem einen oder anderen Zweige der bestehenden Gesellschaft schaden; nach diesem Gesichtspunkt müssen unsere Handlungen sich richten. Wenn wir bei allem, was wir sind und tun, dies im Auge behalten, so erfüllen wir alle unsere Pflichten; alles übrige ist nur Einbildung, Vorurteil.

Alle Religionen ohne jede Ausnahme sind Menschenwerk; es ist unter ihnen keine einzige, die nicht ihre Märtyrer, ihre angeblichen Wunder gehabt hätte. Was können unsere Wunder mehr beweisen als die Wunder der anderen Religionen?

Die Religionen beruhen zunächst auf der Furcht: Gewitter, Stürme, Hagelschläge zerstörten die Früchte und das Getreide, wovon die ersten Menschen, [85] die über die ganze Erde verbreitet waren, sich nährten. Sie standen diesen Ereignissen ohnmächtig gegenüber; deshalb mußten sie sich mit ihren Gebeten an eine Macht wenden, die sie als die stärkere erkannten und von der sie glaubten, daß sie Freude daran habe, sie zu quälen. Später traten in verschiedenen Jahrhunderten und in verschiedenen Ländern ehrgeizige Men schen, große geistesbedeutende Politiker auf, die sich die Gläubigkeit der Völker zu Nutzen machten. Sie predigten Götter, die oftmals seltsame und phantastische Tyrannen waren; sie richteten geordnete Gottesdienste ein, sie bildeten gesellschaftliche Ordnungen, deren Oberhäupter und Gesetzgeber sie werden konnten. Sie erkannten, daß zur Aufrechterhaltung dieser gesellschaftlichen Ordnungen jedes einzelne Mitglied oftmals seine Leidenschaften, seine besonderen Genüsse dem Glück der anderen aufopfern mußte. Infolgedessen mußten sie aber auch ein Gleichgewicht schaffen: sie mußten Belohnungen in Aussicht stellen und mit Strafen drohen, um die einzelnen zu solchen Opfern zu bewegen.

Diese Politiker erfanden also die Religionen. Alle versprechen Belohnung und drohen mit Strafen und bewegen dadurch einen großen Teil der Menschen zum Widerstände gegen ihren natürlichen Trieb, sich das Gut, die Frau, die Tochter des Nächsten anzueignen, sich zu rächen, zu verleumden und den guten Ruf des Nächsten herabzusetzen, um den eigenen desto höher zu heben. Später wurde zu den Religionen auch noch die Ehre erfunden. Dies ist ebenfalls ein chimärischer Begriff, aber er ist ebenfalls für das Glück der Gesellschaft und für jeden einzelnen sehr nützlich; er wurde erfunden, um nach den gleichen Grundsätzen eine [86] Anzahl anderer Menschen in denselben Schranken zu halten.

Zweifeln wir nicht daran: Es gibt einen Gott, der das alles geschaffen hat und in Bewegung erhält; zu diesem Alles gehören auch wir, und wir handeln nur im Einklang mit der ersten Bewegung, die Gott hervorgerufen hat. Alles ist zusammenhängend und notwendig; der Zufall bringt nichts hervor. Drei Würfel, die ein Spieler auf den Tisch wirft, müssen unfehlbar soundso viel Augen ergeben; die Anzahl der Augen hängt davon ab, wie die Würfel vorher in dem Becher lagen und mit welcher Kraft sie geworfen wurden. Alle Handlungen unseres Lebens sind so ein Würfelspiel. Ein Würfel trifft einen anderen und teilt ihm dadurch eine notwendige Bewegung mit; aus soundso vielen Bewegungen geht mit physikalischer Notwendigkeit eine gewisse Anzahl von Augen hervor. In derselben Weise wird der Mensch durch seine erste Bewegung oder Handlung unfehlbar zu einer zweiten, einer dritten bestimmt usw.

Denn, wenn man sagt, der Mensch will etwas, weil er es will, so sagt das gar nichts; damit würde man annehmen, daß das Nichts eine Wirkung hervorbringen könnte. Offenbar wird der Mensch durch einen Grund, eine Ursache dazu bestimmt, etwas zu wollen, aber alle Gründe sind von anderen Gründen notwendig gemacht worden und machen wieder neue Gründe notwendig; dadurch ist der Mensch unwiderstehlich gezwungen, sein ganzes Leben lang dies oder jenes zu tun, und am Ende läuft alles auf ein Würfelspiel hinaus.

Laß uns Gott lieben – nicht weil er es von uns verlangt, sondern weil er unendlich gut ist – und laß uns nur die Menschen und ihre Gesetze fürchten. Laß uns diese Gesetze achten, weil sie [87] dem Gemeinwohl, das für uns alle gilt, notwendig sind.

Dies alles sage ich Ihnen über die Religionen, weil ich Ihr Freund bin. Es ist die Frucht zwanzigjähriger Arbeiten und Nachtwachen, und ich habe mich aufrichtig bemüht, die Wahrheit von der Lüge unterscheiden zu lernen. Laß uns also, liebe Freundin, aus dem Gesagten den Schluß ziehen, daß die Freuden, die wir beide uns verschaffen, rein und unschuldig sind, denn sie beleidigen weder Gott noch die Menschen, da wir sie geheimhalten und stets die Regeln des Anstandes bewahren. Wenn wir diese beiden Bedingungen nicht erfüllten, so gebe ich allerdings zu, würden wir Ärgernis erregen und uns der Gesellschaft gegenüber schuldig machen; unser Beispiel könnte junge Herzen verführen, die durch ihre Familien, durch ihre Geburt dazu bestimmt sind, dem Gemeinwohl gegenüber Pflichten zu erfüllen, die sie vielleicht vernachlässigen würden, um sich vom Strudel des Vergnügens fortreißen zu lassen.

Aber, versetzte Frau C., wenn unsere Freuden unschuldig sind, wie ich jetzt einsehe, warum lehren wir nicht im Gegenteil die ganze Welt, sie ebenfalls zu genießen? Warum teilen wir nicht das Ergebnis deiner metaphysischen Untersuchungen unseren Freunden und Zeitgenossen mit, da doch nichts so sehr zu ihrer Ruhe und ihrem Glück beitragen könnte; hast du mir nicht hundertmal gesagt, daß es keine größere Wonne gibt, als Menschen glücklich zu machen?

Ich habe dir dies gesagt und habe die Wahrheit gesprochen, antwortete der Abbé. Aber hüten wir uns wohl, den Dummen Wahrheiten zu enthüllen, die sie nicht fühlen und die sie mißbrauchen würden! Nur wer zu denken versteht, wer seine Leidenschaften [88] so im Gleichgewicht hält, daß er sich von keiner von ihnen unterjochen läßt, nur der darf diese Wahrheit kennen. Solche Männer und Frauen sind aber sehr selten: unter hunderttausend Menschen gibt es keine zwanzig, die gewöhnt sind zu denken, und unter diesen zwanzig wirst du kaum vier finden, die wirklich selbständig denken oder sich nicht von irgendeiner vorherrschenden Leidenschaft fortreißen lassen. Darum muß man mit solchen Wahrheiten, wie wir sie heute untersucht haben, außerordentlich vorsichtig umgehen.

Nur wenige Menschen begreifen die Notwendigkeit, sich um das Glück des Nächsten zu bekümmern, um dadurch ihnen das Glück zu sichern, das man für sich selber begehrt. Darum darf man nur wenigen die Unzulänglichkeit der Religionen nachweisen; denn diese Religionen sind unablässig wirksam und veranlassen eine große Anzahl von Menschen, ihre Pflichten zu erfüllen und die Regeln zu beachten, die im Grunde nur dem allgemeinen Wohl dienen. Die Religion ist nur der Schleier, das wirklich Wirksame sind die Androhung ewiger Strafen und die Verheißung ewiger Belohnungen. Diese Furcht und diese Hoffnung lenken die Schwachen; deren Zahl ist groß. Ehre, Gerechtigkeit, Rücksicht auf das Gemeinwohl lenken die Denkenden; deren Zahl ist wirklich sehr klein.

Abbé T. schwieg, und Frau C. dankte ihm in Ausdrücken, in denen sich ihre volle Befriedigung zeigte.

Du bist anbetungswürdig, mein lieber Freund, rief sie, indem sie ihm um den Hals fiel. Wie glücklich bin ich, einen Mann zu kennen und zu lieben, der so klar denkt wie du! Sei versichert, daß ich niemals dein Vertrauen mißbrauchen werde und [89] daß ich deine vernünftigen Grundsätze stets getreulich befolgen will.

Sie gaben sich noch einige Küsse, wobei ich mich sehr langweilte, weil ich mich in einer sehr unbehaglichen Lage befand. Dann gingen mein frommer Beichtvater und seine gelehrige Schülerin in den Saal, wo wir für gewöhnlich zusammenkamen. Ich lief schnell in mein Zimmer und schloß mich ein. Einen Augenblick später rief man mich im Auftrage der Frau C. Ich ließ ihr sagen, ich hätte die ganze Nacht nicht geschlafen und bäte, mich noch einige Stunden ruhen zu lassen. Ich benützte diese Zeit, um alles Gehörte aufzuschreiben.

Unsere Tage verflossen in dieser ländlichen Ruhe unter gegenseitigen Freundschaftsbeweisen, als plötzlich eines Morgens meine Mutter kam und mir sagte, daß unsere Reise nach Paris schon am nächsten Tage vor sich gehen müßte. Meine Mutter und ich speisten noch einmal bei der liebenswürdigen Frau C., von der ich unter heißen Tränen Abschied nahm. Die herrliche Frau, die vielleicht einzig in ihrer Art war, überhäufte mich mit Liebkosungen und gab mir die weisesten Ratschläge, ohne mich durch kleinliche und überflüssige Ermahnungen zu demütigen. Herr Abbé T. war nach einer benachbarten Stadt gefahren, wo er acht Tage zu verbringen gedachte; so sah ich ihn nicht mehr. Wir kehrten nach Volnot zurück, wo wir übernachteten. Alle Vorbereitungen zu unserer Reise waren getroffen. Am nächsten Morgen setzten wir uns in einen Wagen, der uns nach Lyon brachte, von wo wir mit der Post nach Paris fuhren.

Wie ich bereits erwähnte, hatte meine Mutter sich zu dieser Reise entschlossen, weil ein Pariser Kaufmann ihr eine beträchtliche Summe schuldete, von deren Bezahlung unser ganzes Vermögen [90] abhing; meine Mutter hatte Schulden, ihr Handelsgeschäft wollte nicht gehen. Vor der Abreise von Volnot hatte sie alle ihre Geschäfte einen mit uns verwandten Advokaten übergeben. Dieser richtete uns vollends zugrunde. Eines Tages erfuhr meine Mutter, daß zu Hause alles gepfändet worden war, und um das Unglück vollzumachen, wurde ihr an demselben Tage mitgeteilt, daß ihr Pariser Schuldner, von seinen vielen Gläubigern zu heftig gedrängt, einen betrügerischen Bankrott gemacht hatte. So viele Schicksalsschläge auf einmal waren zuviel. Meine Mutter erlag ihnen; innerhalb von acht Tagen raffte ein bösartiges Fieber sie hinweg.

So stand ich also mitten in Paris allein, auf mich selber angewiesen, lohne Verwandte, ohne Freunde. Ich war, wie man mir sagte, hübsch, ich besaß mannigfache Kenntnisse, aber ich hatte keine Lebenserfahrung.

Vor ihrem Tode hatte meine Mutter mir eine Börse gegeben, worin ich vierhundert Louisdor fand. Da ich außerdem mit Wäsche und Kleidern recht gut versehen war, so dünkte ich mich reich. Trotzdem war mein erster Gedanke, in ein Kloster einzutreten und Nonne zu werden; diese Absicht gab ich aber auf, als ich daran dachte, was ich früher in ähnlicher Lage gelitten hatte. Dazu kamen außerdem noch die Ratschläge einer neben mir wohnenden Dame, mit der ich eine flüchtige Bekanntschaft angeknüpft hatte.

Diese Dame, eine Frau Bois-Laurier, wohnte neben meinem Zimmer in einem Hotel garni. Sie war so freundlich, mich während des ersten Monats nach dem Tode meiner Mutter fast keinen Augenblick zu verlassen, und ich schulde ihr ewige Dankbarkeit für ihre Bemühungen, mich in meinem [91] tiefen Schmerz zu trösten. Frau Bois-Laurier war, wie Sie inzwischen erfahren haben, eine von jenen Frauen, die aus Not während ihrer Jugend den Ausschweifungen des Publikums dienen. Wie so viele andere, spielte sie später unter einem anderen Namen die Rolle einer anständigen Frau, was ihr dadurch ermöglicht wurde, daß sie mit den Ersparnissen ihres früheren Berufes sich eine Leibrente gekauft hatte.

Die Traurigkeit, die mich verzehrte, wich allmählich einem ernsten Nachdenken. Meine Zukunft machte mir Sorge. Ich eröffnete mich meiner Freundin, weihte sie in meine finanziellen Verhältnisse ein und sagte ihr, daß meine Lage mir entsetzlich zu sein schien. Sie hatte eine gesunde Vernunft, die durch die Erfahrung noch gestärkt war.

Wie unvernünftig sind Sie, sagte sie eines Morgens zu mir, daß Sie sich so sehr um eine Zukunft beunruhigen, die für die Reichsten ebenso unsicher ist wie für die Ärmsten, von der aber gerade Sie weniger zu befürchten haben als andere Leute. Mit einer Bildung, einem Wuchs, einem Gesicht, wie Sie sie haben, ist ein Mädchen niemals in Verlegenheit, wenn es sich nur ein wenig vernünftig zu benehmen weiß. Nein, liebes Fräulein, beunruhigen Sie sich nur nicht, ich werde für Sie finden, was Sie brauchen. Vielleicht sogar einen guten Ehemann, denn mir scheint, Sie haben es durchaus auf das Sakrament abgesehen. Ach, mein liebes Kind, da wissen Sie wirklich nicht, wie gefährlich ein solcher Wunsch sein kann! Aber lassen Sie mich nur machen. Eine Frau von vierzig Jahren, die die Erfahrung einer fünfzigjährigen hat, weiß, was ein Mädchen wie Sie nötig hat. Ich werde Mutterstelle bei Ihnen vertreten, und unter meinem Schutze werden [92] Sie in die Welt eintreten. Gleich heute werde ich Sie meinem Oheim B. vorstellen, der mich besuchen wird; er ist ein reicher Finanzmann und ein sehr anständiger Mensch, er wird bald eine gute Partie für Sie finden.

Ich fiel der Bois-Laurier um den Hals und dankte ihr von ganzem Herzen. Ich gestehe aufrichtig, der zuversichtliche Ton, in dem sie zu mir sprach, überzeugte mich, daß mein Glück gemacht wäre.

Wie dumm ist ein Mädchen ohne Erfahrung, aber mit viel Selbstbewußtsein! Die Unterweisungen des Abbé T. hatten mir allerdings die Augen geöffnet, und ich wußte recht gut, wie wir uns hier auf der Welt dem lieben Gott und den Gesetzen der Menschen gegenüber zu verhalten haben, aber von dem Treiben der Menschen hatte ich gar keine Ahnung.

Alles, was ich sah und hörte, erschien mir vollkommen so rechtschaffen, wie die Gesinnungen der Frau C. und des Abbé T., und ich hielt nur den Pater Dirrag für einen Bösewicht, ich arme Unschuldige! Wie entsetzlich täuschte ich mich! Der reiche B. kam gegen fünf Uhr abends zu Frau Bois-Laurier. Die ersten Viertelstunden seines Besuches wurden ohne Zweifel ganz anders angewandt, als sich von mir zu unterhalten. Die Nichte war zu schlau, um nicht zuerst ihren Oheim in einen Zustand der Ruhe zu versetzen, damit sie von der Wirkung meiner, wie sie sagte, gefährlichen Reize nichts zu befürchten hatte. Ich mußte lange warten. Gegen sieben Uhr wurde ich Herrn B. vorgestellt; ich machte ihm bei meinem Eintritt eine tiefe Verbeugung, er hielt es aber nicht für nötig, aufzustehen. Doch ließ er mich auf einem Stuhl neben einem großen Lehnsessel Platz nehmen, auf welchem er halb saß, halb lag. Sein dicker Bauch [93] war nur mit dem Hemd bedeckt, und er empfing mich mit der Miene und den Manieren der meisten Angehörigen seines Standes. Trotzdem fand ich alles wunderbar, sogar die Lobsprüche, die er der Festigkeit meines Schenkels spendete, als er plötzlich den Arm ausstreckte und mich mit aller Kraft kniff, so daß ich laut aufschreien mußte.

Meine Nichte hat mir von Ihnen erzählt, sagte er, ohne sich um den Schmerz zu bekümmern, den er mir verursacht hatte. Alle Wetter, was haben Sie für Augen, was für schöne Zähne, was für ein festes Fleisch! Oh, wir werden noch etwas aus Ihnen machen. Gleich morgen werde ich Sie mit einem meiner Kollegen speisen lassen, der im Golde schwimmt. Ich kenne seinen Charakter, er wird sich sofort in Sie verlieben. Seien Sie nett zu ihm! Er ist ein Ehrenmann, und Sie werden mit ihm zufrieden sein. Nun guten Abend, meine Kinder! fuhr er fort, indem er aufstand und seine Weste zuknöpfte, gebt mir alle beide einen Kuß und seht in mir euren Vater; und du, liebe Nichte, schicke nach meinem Lusthäuschen und bestelle für morgen das Essen.

Als der reiche Herr fort war, sagte die Bois-Laurier zu mir, sie sei hocherfreut, daß er mich nach seinem Geschmack gefunden habe, er sei ein Mann ohne Umstände, aber er habe ein ausgezeichnetes Herz und sei ein treuer Freund. Lassen Sie mich nur machen, ich empfinde aufrichtige Freundschaft für Sie. Folgen Sie nur meinen Ratschlägen! Vor allen Dingen seien Sie nicht zimperlich, dann bürge ich Ihnen dafür, daß Sie Ihr Glück machen werden.

Ich speiste mit meiner neuen Beschützerin zu Abend; sie brachte durch geschickte Fragen aus mir heraus, wie ich bisher gelebt hatte und wie meine Denkweise war.

[94] Ihre Offenherzigkeit brachte mich auch zu Geständnissen. Ich schwatzte mehr als ich eigentlich wollte. Es beunruhigte sie anfangs, hören zu müssen, daß ich noch keinen Liebhaber gehabt hatte, aber sie beruhigte sich bald, als sie aus meinen Antworten, die sie mir schlau zu entlocken wußte, entnahm, daß ich die Freuden der Liebe wohl zu würdigen wüßte und ich mir schon mein Teilchen davon verschafft hätte. Die Bois-Laurier herzte und küßte mich und suchte mich auf alle mögliche Weise zu überreden, bei ihr zu schlafen. Ich dankte ihr jedoch und ging auf mein Zimmer, alle meine Gedanken voll von der glücklichen Zukunft, die mir bevorstand.

Die Pariserinnen sind lebhaft und zuvorkommend. Gleich am nächsten Morgen kam meine freundliche Nachbarin zu mir und erbot sich, mir als Kammerzofe zu dienen, mich zu frisieren und mir beim Ankleiden behilflich zu sein. Da ich aber noch Trauer um meine Mutter trug, so lehnte ich ihre Anerbietungen ab und behielt mein kleines Nachtmützchen auf. Die neugierige Bois-Laurier trieb allerlei kleine Scherze mit mir, sie untersuchte mit den Augen und den Händen alle meine Reize, bevor sie mir ein Hemd gab, das sie durchaus mir selber anziehen wollte. Plötzlich aber fiel ihr etwas ein, und sie rief: Aber, du kleine Schelmin, ich glaube gar, du ziehst dein Hemd an, bevor du dein Mäuschen geputzt hast! Wo ist denn dein Bidet?

Ich weiß wirklich nicht, was Sie mit Ihrem Bidet sagen wollen.

Was? Kein Bidet? Laß nur ja keinen Häscher hören, daß dir ein Möbel fehlt, das für ein Mädchen von gutem Ton so notwendig ist wie ein sauberes Hemd. Für heute will ich dir gerne meines leihen; aber [95] spätestens morgen mußt du dir ein Bidet anschaffen.

Das Bidet der Frau Bois-Laurier wurde also gebracht; ich mußte mich daraufsetzen, und trotz all meinem Sträuben wusch sie selber diensteifrig und unter lautem Lachen mir mein Mäuschen, wie sie sich ausdrückte. Sie sparte dabei das Lavendelwasser nicht. Ich hatte keine Ahnung, was für ein Fest sie meinem Mäuschen zugedacht hatte und warum sie diese gründliche Waschung vornahm.

Gegen Mittag fuhr ein braver Droschkenkutscher uns nach dem Lusthäuschen, wo Herr B. uns mit seinem Kollegen und Freunde R. erwartete. Dieser war ein Mann von achtunddreißig bis vierzig Jahren, mit leidlich hübschem Gesicht. Er war reich gekleidet und zeigte gern seine Ringe, seine Tabaksdose und andere Schmuckgegenstände, spielte überhaupt den Wichtigen. Indessen geruhte er doch, auf mich zuzugehen, meine Hände anzufassen und mir aufmerksam ins Gesicht zu sehen. Donnerwetter, sie ist hübsch, rief er. Auf Ehre, sie ist reizend; ich werde sie zu meiner kleinen Frau machen.

Oh, mein Herr, Sie erweisen mir eine große Ehre, und wenn ...

Nein, nein, fiel er mir ins Wort. Kümmern Sie sich nur um gar nichts, ich werde alles so einrichten, daß Sie zufrieden sein sollen.

Der Diener rief zum Essen. Wir setzten uns zu Tisch. Die Bois-Laurier kannte den Ton, der bei solchen Mahlzeiten üblich ist, und war reizend. Sie suchte mich ebenfalls dazu aufzumuntern, aber ich fühlte mich gar nicht an meinem Platz; ich sagte kein Wort, oder wenn ich einmal sprach, geschah es in Ausdrücken, die den beiden Finanzherren so unwürdig erschienen, daß der anfangs so lebhafte [96] Herr R. ganz still wurde. Er sah mich mit großen Augen an, und ich bemerkte, daß er sich allerlei Gedanken über mich machte. Einige Gläser Champagner ermunterten jedoch bald wieder Herrn R's. Phantasie, so daß er sich über die Nüchternheit meiner Unterhaltung hinwegsetzte. Er wurde dringender, und ich wurde fügsamer. Sein wohlhabendes Aussehen machte Eindruck auf mich. Seine Hände gestatteten sich allerlei Freiheiten, und aus Furcht, gegen gesellschaftliche Bräuche zu verstoßen, die ich für allgemein üblich hielt, unterließ ich es, ihn zurückzuweisen. Ich glaubte mich um so mehr berechtigt, den Dingen ihren Lauf zu lassen, da ich Herrn B. auf einem Sofa an der entgegengesetzen Seite des Zimmers sich noch viel ungenierter mit den Reizen seiner Nichte beschäftigen sah. Kurz und gut, ich wehrte mich so schlecht gegen die scherzhaften Angriffe des Herrn R., daß er nicht daran zweifelte, er würde auch mit Ernsterem Erfolg haben. Er schlug mir vor, mich mit ihm auf ein Ruhebett zu setzen, das dem Sofa gegenüberstand. Recht gern, mein Herr, sagte ich in meiner Einfalt; ich denke, wir werden dort bequemer sitzen, denn ich fürchte, Ihre augenblickliche Stellung auf meinem Schoß würde für Sie zu ermüdend sein.

Er hatte sich nämlich auf meine Knie gesetzt. Sofort stand er auf und trug mich nach dem Ruhebett. Hierbei bemerkte ich, daß Herr B. und seine Nichte das Zimmer verließen. Ich wollte aufstehen, um ihnen zu folgen. Aber der stürmische Herr R. sagte mir kurz und bündig, er liebe mich rasend und wolle mein Glück machen. Gleichzeitig hatte er mit der einen Hand mir Rock und Hemd bis zum Gürtel aufgehoben, mit der andern holte er ein steifes, kräftiges Glied aus seiner Hose hervor. Sein [97] Knie befand sich zwischen meinen Schenkeln, die er so weit wie nur möglich auseinanderspreizte. So wollte er seine tierische Lust an mir auslassen, als plötzlich mein Blick auf das mich bedrohende Ungeheuer fiel. Ich sah, daß es ungefähr dieselbe Größe und Gestalt hatte wie der Weihwedel, womit Pater Dirrag die unreinen Geister aus den Leibern seiner Beichttöchter trieb.

In demselben Augenblick erinnerte ich mich der Schilderungen, die Herr Abbé T. mir von den mit solcher Handlung verbundenen Gefahren entworfen hatte. Meine Gefügigkeit verwandelte sich sofort in eine Art von Wut; ich packte den frechen Herrn R. an seiner Halsbinde und hielt ihn mit ausgestrecktem Arm von mir ab, so daß er nicht imstande war, seinen Angriff gegen mich durchzuführen. Ohne einen Blick von dem Feinde abzuwenden, von dem ich durch einen Stoß durchbohrt zu werden fürchtete, rief ich aus Leibeskräften Frau Bois-Laurier zu Hilfe. Mochte sie nun mit R's. Absichten im Einverständnis gewesen sein oder nicht, jedenfalls konnte sie nicht umhin, herbeizueilen und ihn wegen seines Überfalles laut zu tadeln.

Wütend über die Beschimpfung, die R. mir angetan hatte, wollte ich ihm die Augen auskratzen; ich warf ihm in den härtesten Ausdrücken seine Frechheit vor. Herr B. und die Bois-Laurier konnten mit vereinten Kräften mich kaum davon abhalten, mich ihren Armen zu entwinden und über R. herzufallen. Plötzlich aber brach dieser durch ein maßloses Gelächter das Schweigen, nachdem er das kritische Instrument in aller Ruhe wieder an seinem Ort verwahrt hatte.

Potz Blitz, die kleine Landpomeranze! rief er mit erkünstelter Lustigkeit. Gestehen Sie, ich habe Ihnen[98] eine Heidenangst gemacht. Sie haben also allen Ernstes geglaubt, ich wollte ...? Na, so ein Mädel aus der Provinz, das keine Ahnung hat, wie es in der feinen Welt zugeht, ist doch ein schnurriges Ding! Stelle dir vor, mein lieber B., fuhr er fort, ich habe das Fräulein auf das Ruhebett gelegt, habe ihre Röcke hochgehoben und habe ihr meinen ... gezeigt, was meinst du, die kleine Zimperliese hat sich eingebildet, es sei etwas Unrechtes dabei! Sie macht Radau, ihr kommt herein, und das schöne Kind kriegt von dieser dummen Geschichte Krämpfe, wie ihr seht. Das ist ja zum Schieflachen! Und dabei lachte er von neuem los. Plötzlich aber wurde er ganz ernst und fuhr fort: Aber hören Sie, Bois-Laurier, ich bitte Sie, mich nicht mehr mit solchen dummen Gänschen zusammenzubringen; ich bin kein Schulmeister und kein Professor der Anstandslehre; Sie werden guttun, wenn Sie dem Fräulein Lebensart beibringen, bevor Sie sie mit Leuten zusammenbringen, wie B. und ich es sind!

Ich gestehe, mir stand bei dieser sonderbaren Rede der Verstand still. Ich hörte R. mit offenem Munde an, sah ihn mit weitaufgerissenen Augen an und sagte kein Wort.

B. und R. verschwanden, ohne daß ich sozusagen etwas davon bemerkte; ich lag halbbewußtlos in den Armen der Bois-Laurier, die ebenfalls zwischen den Zähnen einige Wörtchen murmelte, die mir zu verstehen geben sollten, daß auch ich nicht ganz ohne Schuld sei. Wir stiegen in unseren Fiaker und fuhren wieder nach Hause.

Die überstandene Aufregung überwältigte mich. Als ich in unser Zimmer trat, vergoß ich einen Strom von Tränen. Meine keusche Begleiterin war in großer Unruhe, was ich wohl von dem Erlebnis denken möchte, und wich mir nicht von der Seite; [99] sie suchte mich zu überreden, die Männer seien stets neugierig und wünschten immer zu wissen, bis zu welchem Grade ein Mädchen, daß sie zu heiraten gedächten, mit den Freuden der Liebe bereits vertraut wäre. Sie schloß ihre schöne Ansprache mit der Versicherung, daß die Klugheit mir geboten hätte, mich unwissender zu stellen, sie sähe mit Bedauern, daß meine Lebhaftigkeit mich um mein Glück gebracht hätte.

Ich antwortete ihr hitzig, ich sei kein Kind mehr und wisse ganz genau, was der elende R. mit mir habe anfangen wollen; und ich fügte ziemlich schroff hinzu, auch das größte Vermögen sei mir kein genügender Preis für so etwas. Von meiner Aufregung fortgerissen, erzählte ich ihr hierauf, was ich vom Pater Dirrag und dem Fräulein Eradice gesehen hatte und von dem Unterricht, den ich vom Abbé T. und von Frau C. empfangen.

Kurz und gut: Die listige Bois-Laurier wußte nach und nach die ganze Geschichte aus mir herauszulocken. Als sie alles wußte, schlug sie einen ganz anderen Ton gegen mich an. Sie hatte gesehen, daß ich mit den Bräuchen und Sitten der Welt wenig vertraut war, und um so mehr war sie überrascht über meine Kenntnisse in Moral, Metaphysik und Religion.

Die Bois-Laurier hatte ein ausgezeichnetes Herz; sie schloß mich innig in ihre Arme und rief: Wie entzückt es mich, ein Mädchen wie dich kennenzulernen! Du hast mir den Schleier von den Augen genommen, und ich durchschaue jetzt das Geheimnis, das das Unglück meines Lebens war; unaufhörlich muß ich über mein früheres Verhalten nachdenken, und das raubt mir alle Ruhe. Wer hätte mehr als ich die Höllenstrafen fürchten müssen, mit denen man uns bedroht, aber für Verbrechen [100] bedroht, die, wie du mir nachgewiesen hast, unfreiwillig sind! Der Anfang meines Lebens war ein wüstes Durcheinander von allen möglichen Greueln; aber so große Überwindungen es auch mein Selbstgefühl kostet, ich schulde dir Vertrauen für Vertrauen, Belehrung für Belehrung.

Höre also, meine liebe Therese, die Erzählung meiner Abenteuer; sie wird dich über die Launen der Männer belehren, und es ist gut, daß du diese kennenlernst; sie werden dazu beitragen, dich in der Überzeugung zu bestärken, daß in der Tat Laster und Tugend von Temperament und Erziehung abhängen.

Hierauf begann sie sofort mit ihrer Geschichte.

[101]

Die Geschichte der Frau Bois-Laurier

Du siehst in mir, liebe Therese, ein eigentümliches Wesen. Ich bin weder Mann noch Weib, bin weder Mädchen noch Witwe noch Ehefrau. Ich bin eine gewerbsmäßige Buhlerin gewesen und bin noch Jungfrau. Nach diesen einleitenden Worten wirst du mich ohne Zweifel für verrückt halten; aber nur ein bißchen Geduld bitte – du wirst sofort des Rätsels Lösung hören. Die launenhafte Natur hat bei mir den Weg der Wonnen, die aus einer Jungfrau eine Frau machen, durch unüberwindliche Hindernisse versperrt: ein häutiges Gebilde verschließt den Zugang so genau, daß selbst der schlankste Pfeil, den jemals Amor in seinem Köcher hatte, das Ziel nicht hat erreichen können. Und was dich noch mehr überraschen wird, man hat mich niemals überreden können, mich einer Operation zu unterziehen, die mich geeignet gemacht hätte, die Freuden der Liebe zu gewähren und zu genießen, obgleich man, um meinen Widerstand zu überwinden, mir fortwährend unzählige Mädchen zugeführt hat, die sich unter gleichen Umständen dazu herbeigelassen hatten.

Ich war seit meiner zartesten Kindheit zum Beruf einer Buhlerin bestimmt. Der körperliche Fehler, der allem Anschein nach dazu angetan war, mir in diesem schandbaren Gewerbe die Aussicht auf Erfolg zu nehmen, hat im Gegenteil am meisten zu meinem Glück beigetragen. Wenn ich dir gesagt habe, meine Abenteuer würden dich über die Launen der Männer belehren, so wollte ich damit von den verschiedenen Stellungen sprechen, deren sie in ihrer Wollust sozusagen eine unendliche Menge [102] erfunden haben, um die Vereinigung mit dem Weibe zu vollziehen. Alle diese verschiedenen verliebten Stellungen sind von dem berühmten Pietro Aretino, der im sechzehnten Jahrhundert lebte, so eingehend behandelt worden, daß darüber heutzutage nichts mehr zu sagen ist. Es handelt sich also bei dem, worüber ich dich belehren will, nur um Ausartungen der Phantasie, um jene seltsamen Gefälligkeiten, die manche Männer von uns verlangen und die ihnen einen vollkommenen Genuß ersetzen, sei es, weil sie eine Vorliebe dafür haben, sei es infolge einer mangelhaften Körperbildung. Ich komme jetzt zur Sache:

Ich habe weder meinen Vater noch meine Mutter je gekannt. Eine Frau namens Lefort, die in Paris bürgerlich gut lebte und mich wie ihre Tochter gut aufgezogen hatte, nahm mich, als ich fünfzehn Jahre alt geworden war, eines Tages geheimnisvoll beiseite und sagte mir folgendes:

Du bist nicht meine Tochter; es ist Zeit, daß ich dich über deine Verhältnisse aufkläre. Als sechsjähriges Kind hattest du dich in den Straßen verlaufen; ich fand dich, nahm dich in mein Haus auf und habe dich aus Barmherzigkeit bis zu diesem Tage gekleidet und genährt. Wer deine Eltern sind, habe ich trotz aller Bemühungen nicht entdecken können.

Du hast wohl bemerkt, daß ich nicht viel bin, obgleich ich nichts versäumt habe, um dir eine gute Erziehung geben zu lassen. Jetzt ist es an dir, selber das Werkzeug zu deinem Glück zu sein. Um dieses zu erreichen, will ich dir folgendes vorschlagen: Du bist gut gewachsen, hübsch und reicher entwickelt als Mädchen deines Alters zu sein pflegen. Der Herr Präsident von * * *, mein Gönner und Nachbar, ist in dich verliebt; er hat sich entschlossen, [103] dich auf anständige Weise zu unterhalten, wenn du deinerseits alle Gefälligkeiten für ihn tun willst, die er von dir verlangen wird. Was soll ich ihm also in deinem Namen sagen, Manon? Ich darf dir nicht verschweigen, daß du dich entschließen mußt, noch heutigen Tages mein Haus zu verlassen, wenn du nicht ohne Einschränkungen die Unterbreitungen annimmst, die dir zu machen er mich beauftragt hat; denn ich bin nicht imstande, dich noch länger zu nähren und zu kleiden.

Diese niederschmetternde Eröffnung und besonders ihr Schluß erfüllte mich mit eisigem Schrecken. Ich brach in Tränen aus, aber es gab kein Erbarmen; ich mußte mich entscheiden. Nachdem ich noch einige Aufklärungen erhalten hatte, versprach ich alles zu tun, was man von mir verlangte, worauf Frau Lefort mir versicherte, sie werde stets ihre Liebe und Sorge für mich bewahren, und ich dürfe sie auch in Zukunft mit dem süßen Namen Mutter nennen.

Am nächsten Morgen gab sie mir ausführliche Unterweisungen über die Pflichten des Berufes, dem ich mich zuwenden sollte, und im besonderen über mein Verhalten gegenüber dem Herrn Präsidenten. Hierauf mußte ich mich ganz nackt ausziehen; sie wusch mich von oben bis unten, kämmte und frisierte mich und zog mir Kleider an, die viel hübscher und sauberer waren als die, die ich für gewöhnlich trug.

Um vier Uhr nachmittags erschienen wir vor dem Herrn Präsidenten. Der war ein großer dürrer Mann, dessen gelbes, runzeliges Gesicht in einer sehr langen und sehr breiten viereckigen Perücke verschwand. Diese achtenswerte Persönlichkeit ließ uns Platz nehmen und sagte in ernstem Tone zu meiner Mutter: Nun, da haben wir also das bewußte [104] [106]Persönchen? Sie ist recht nett; ich hatte Ihnen ja immer gesagt, daß sie Anlagen hätte, hübsch und stattlich zu werden. Bis jetzt ist das Geld, das sie gekostet hat, nicht schlecht angewandt. Aber sind Sie auch sicher, daß sie noch ihre Jungfernschaft hat? Wir wollen doch mal nachsehen, Frau Lefort.

Sofort ließ meine Mutter mich rücklings auf den Rand eines Bettes legen, hob meine Röcke und mein Hemd auf und wollte meine Schenkel auseinanderspreizen, als der Herr Präsident barsch zu ihr sagte: Ei was! Die Weiber haben immer die Manie, das Vorderteil zeigen zu wollen. Nein, lassen wir sie sich herumdrehen!

Oh, gnädiger Herr, ich bitte Sie um Verzeihung! rief meine Mutter. Ich glaubte, Sie wollten sehen, wie sie ... Hoppla, steh auf Manon! Setze ein Knie auf diesen Stuhl und beuge den Oberkörper so weit nach vorne, wie du kannst!

Wie ein Opfer tat ich mit niedergeschlagenen Augen alles, was man mir befahl. Meine würdige Mutter hob mir die Kleider bis zu den Hüften auf, der Herr Präsident trat heran, und ich fühlte, wie sie die Lippen meiner ... auseinanderhielt. Der gnädige Herr steckte den Finger hinein, versuchte jedoch vergeblich einzudringen. Dann sagte er zu meiner Mutter: Sehr schon, ich bin zufrieden, ich sehe, daß sie ganz gewiß Jungfer ist. Sie soll jetzt unbeweglich in derselben Stellung bleiben; unterdessen geben Sie ihr mit der Hand einige leichte Schläge auf die Hinterbacken. Dieser Befehl wurde ausgeführt, dann folgte tiefes Schweigen. Meine Mutter hielt mit der linken Hand die hochgehobenen Röcke und das Hemd fest, während sie mich mit der Rechten sanft auf den Hintern schlug. Ich war neugierig, was denn eigentlich der Präsident [106] tat, und drehte ein kleines bißchen den Kopf zur Seite; er kniete zwei Schritte von meinem Hintern entfernt auf dem Fußboden und hielt ein kleines Fernrohr auf mein Hinterteil gerichtet; mit der andern Hand schüttelte er zwischen seinen Beinen etwas Schwarzes, Schlaffes, das er trotz aller Bemühungen nicht hochbringen konnte.

Ich weiß nicht, ob er sein Geschäft zustande brachte oder nicht; endlich aber, nachdem ich eine Viertelstunde in dieser Stellung verbracht hatte, die ich gleich noch aushalten konnte, stand der gnädige Herr auf und schleppte sich auf seinen schwindsüchtigen alten Beinen wackelnd zu seinem Lehnstuhl. Er gab meiner Mutter eine Börse und sagte ihr, sie würde darin die versprochenen hundert Louisdor finden. Nachdem er mich mit einem Kuß auf die Wange beehrt, sagte er mir, er würde dafür sorgen, daß es mir an nichts fehle, vorausgesetzt, daß ich artig wäre, und er würde mir Bescheid geben, sobald er mich brauche.

Als meine Mutter und ich wieder zu Hause waren, dachte ich ernstlich über alles nach, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden gesehen und gehört hatte; meine Gedanken glichen denen, die du nach Eradices Geißelung durch den Pater Dirrag hattest. Ich erinnerte mich nun alles dessen, was seit meiner Kindheit im Hause der Frau Lefort gesagt und getan worden war. Während ich noch damit beschäftigt war, aus meinen Gedanken einen vernünftigen Entschluß zu ziehen, trat meine Mutter ein und machte meinen Träumereien ein Ende.

Ich habe dir nichts mehr zu verbergen, meine liebe Manon, sagte sie, indem sie mich umarmte, denn du bist jetzt meine Verbündete in der Ausübung eines Gewerbes, das ich mit Auszeichnung [107] seit mehr als zwanzig Jahren betreibe. Höre also aufmerksam an, was ich dir noch zu sagen habe; befolge gelehrig meine Ratschläge und schaffe dir dadurch Ersatz für das, was der Präsident dir antut. Auf seinen Befehl habe ich vor acht Jahren dich in mein Haus geführt. Er hat mir seit jener Zeit eine sehr bescheidene Pension gezahlt, die ich ganz und gar auf deine Erziehung verwandt habe, ja, ich habe sogar noch aus Eigenem dazugelegt. Er hat mir versprochen, er würde jeder von uns hundert Louis geben, sobald dein Alter ihm gestatte, dir deine Jungfernschaft zu nehmen; aber wenn der Wüstling seine Rechnung ohne den Wirt gemacht hat, wenn sein verrostetes und verrunzeltes abgebrauchtes Ding ihm nicht mehr erlaubt, so etwas fertigzubringen – ist das unsere Schuld? Er hat mir allerdings nur die hundert Louis gegeben, die auf meinen Teil kommen sollten. Aber beunruhige dich deswegen nicht, liebe Manon, ich werde dich bei anderen viel mehr verdienen lassen. Du bist jung, hübsch und nicht bekannt. Ich werde, um dir eine Freude zu machen, das ganze Geld darauf verwenden, dir schöne Kleider zu kaufen; und wenn du dich von mir willst leiten lassen, so werde ich dich allein soviel verdienen lassen, als wie früher zehn oder zwölf Fräuleins, denen ich als Freundin behilflich war.

Sie hielt mir noch eine Menge Reden dieser Art, aus denen mir klar wurde, daß meine gute Mama vor allen Dingen die hundert Louis, die der Präsident gegeben hatte, sich selber aneignete. Hierauf schlössen wir einen Vertrag, wonach sie diese Summe mir leihen sollte; der Ertrag meiner ersten Arbeiten sollte dazu dienen, dieses Darlehen zurückzuzahlen; hierauf wollten wir die Erträgnisse unseres Kompagniegeschäftes gewissenhaft teilen.

[108] [110]Die Lefort besaß in Paris eine unerschöpfliche Menge von guten Bekanntschaften. In kaum sechs Wochen wurde ich mehr als zwanzig Freunden von ihr vorgestellt; einem nach dem andern mißlang der Versuch, die Erstlinge meiner Jungfernschaft zu rauben. Da Frau Lefort zum Glück eine sehr ordnungsliebende Frau war, so ließ sie sich vorsichtigerweise das Vergnügen dieser aussichtslosen Arbeit vorausbezahlen. Eines Tages glaubte ich wirklich, ein dicker Doktor der Sorbonne, der durchaus etwas für seine aufgewandten zehn Louis haben wollte, würde bei der Arbeit, mich zu entjungfern, krepieren.

Diesen zwanzig Athleten folgten mehr als fünfhundert andere im Laufe von fünf Jahren. Geistliche, Offiziere, Beamte und Finanzleute ließen mich abwechselnd die verschiedensten und seltsamsten Stellungen einnehmen – vergebliche Mühe! Das Opfer wurde am Eingang des Tempels vollzogen, oder die Spitze des Messers bog sich um, so daß das Opfer unversehrt blieb. Endlich machte die Beständigkeit meiner Jungfernschaft doch gar zuviel Aufsehen und kam auch zu den Ohren der Polizei; diese beschloß, dem Fortgang der Versuche Einhalt zu tun. Ich erhielt rechzeitig Nachricht davon. Die Lefort und ich waren der Meinung, daß die Vorsicht erfordere, eine kleine Entfernung von dreißig Meilen zwischen Paris und uns zu legen.

Nach drei Monaten hatte die Hitze der Behörde sich gelegt. Ein Beamter derselben Polizei, Gevatter und Freund der Frau Lefort, übernahm es für einen Betrag von zwölf Louis, den wir ihm zahlten, die Gemüter zu beruhigen. Wir kehrten mit neuen Projekten nach Paris zurück.

Meine Mutter, die anfangs mich lange bedrängt hatte, die Operation mit dem Bistouri an mir [110] vollziehen zu lassen, war von dieser Ansicht vollständig abgekommen; sie sah bald in meiner Mißbildung einen wahren Schatz, der ein großes Einkommen brachte, ohne der geringsten Pflege zu bedürfen; da waren keine »Gewächse«, keine Kinder, keine »geistlichen Schnupfen« zu besorgen. Ich selber hatte kein Vergnügen dabei, wollte ich mir welches verschaffen, so hielt ich mich notgedrungen an diejenigen Mittel, mit denen auch du, liebe Therese, vernünftigerweise dich begnügst.

Wir hatten also neue Pläne ausgeheckt und gingen in einem ganz neuen Stil vor. Sobald wir aus unserer freiwilligen Verbannung zurück waren, nahmen wir vor allen Dingen eine andere Wohnung und schlugen, ohne dem Präsidenten ein Wort davon zu sagen, unsere Behausung im Faubourg St. Germain auf.

Die erste Bekanntschaft, die ich dort machte, war die einer gewissen Baronin, die in ihrer Jugend zusammen mit ihrer Schwester, einer Gräfin, erfolgreich dem Vergnügen junger Lebemänner gedient hatte und nunmehr dem Hauswesen eines reichen Amerikaners vorstand; sie weihte ihm die Überreste ihrer verblühten Reize, die er weit über ihren Wert bezahlte. Ein anderer Amerikaner, sein Freund, sah mich und verliebte sich in mich. Wir trafen ein Abkommen. Ich vertraute ihm meine Lage an, und mein Geständnis entzückte ihn, anstatt ihn abzustoßen. Die berühmte Petit hatte den armen Mann in den Händen gehabt; er fühlte, daß er in den meinigen keinen Rückfall zu besorgen hatte. Mein neuer Liebhaber von jenseits des Meeres hatte ein Gelübde getan, sich auf die Freuden der Handarbeit zu beschränken, aber er wandte bei der Ausführung einen ganz eigentümlichen Trick an. Sein Vergnügen bestand darin, daß ich mich bis [111] über den Nabel hinauf entblößt neben ihm auf ein Sofa setzte, während ich nur seinen Gebärvater an der Wurzel umspannt hielt und mit leichten Stößen schüttelte, mußte ich dulden, daß eine Kammerzofe, die er mir besorgt hatte, mir einige Haare von meinem Vlies abschnitt. Ohne diese sonderbare Vorbereitung hätte, glaube ich, die Kraft von zehn Armen nicht genügt, den Ast meines guten Freundes emporzurichten, geschweige denn ihm einen Tropfen Saft zu entlocken.

Ein solcher phantastischer Mann war auch der Freund Minettes, der dritten Schwester der Baronin. Diese hatte schöne Augen; sie war groß und ziemlich gut gewachsen, aber häßlich, schwärzlich, dürr, mürrisch; sie prunkte mit Geist und Gefühl, obwohl sie weder den einen noch das andere hatte. Die Schönheit ihrer Stimme hatte ihr nach und nach eine Menge Anbeter zugeführt. Der, den sie damals gerade hatte, war nur durch ihr Talent bezaubert worden: Nur die Klänge der melodischen Stimme dieses weiblichen Orpheus vermochten das Glied des Liebhabers aufzurichten und ihm die höchste Wonne zu bereiten.

Eines Tages hielten wir drei ein reiches, fröhliches Mahl; es wurde gesungen, auch über die Eigentümlichkeit meines ... gescherzt, und wir hatten alle möglichen Tollheiten geredet und getrieben. Wir wälzten uns auf einem großen Bett herum. Wir stellen unsere Reize zur Schau, und die meinigen wurden für köstlich anzusehen erklärt. Der Liebhaber kam in Feuer; er zog Minette an den Rand des Bettes, hob ihr die Röcke auf, steckte seinen ... hinein und bat sie zu singen. Die gelehrige Minette beginnt nach einem kleinen Vorspiel eine Melodie im Dreivierteltakt; der Liebhaber legt los, stößt und zieht zurück: seine Lippen scheinen den [112] [114]Takt anzugeben, während die Stöße seines Hintern das Tempo regulieren. Auf demselben Bette liegend, sehe und höre ich zu und lache dabei Tränen! Soweit ging alles gut; plötzlich aber fand die wollüstige Minette allzuviel Vergnügen an der Sache: sie sang falsch, kam aus dem Takt und sang einen halben Ton zu hoch.

Ah, verfluchtes Ding du! rief sofort unser Eiferer für gute Musik, du hast mir das Ohr zerrissen. Der falsche Ton ist mir durch Mark und Bein gegangen und, da sieh! rief er, indem er zurücktrat, sieh, was dein verfluchter halber Ton angerichtet hat.

Ach, der arme Teufel war vom Dur ins Moll geraten, der Taktstock war nur noch ein schlaffer Fetzen.

Meine Freundin war in Verzweiflung und machte die unglaublichsten Anstrengungen, ihren Helden ins Leben zurückzurufen; aber die zärtlichsten Küsse, die wollüstigsten Berührungen waren vergeblich an ihm verschwendet; sie konnten dem erschlafften Gliede nicht seine Spannkraft zurückgeben. Ach, lieber Freund, rief sie endlich, verlaß mich nicht! Nur meine Liebe zu dir und die Wollust hat meine Stimme vom rechten Wege abgebracht; du wirst mich doch nicht in solchem glücklichen Augenblick verlassen? Manon, meine liebe Manon, hilf mir doch! Zeig ihm dein Mäuschen! Das wird ihn wieder lebendig machen, wird mir selber das Leben retten, denn ich sterbe, wenn er's nicht zu Ende macht. Lege sie aufs Bett, lieber Bibi, sagte sie zu ihrem Liebsten, laß sie die wollüstige Stellung einnehmen, wie zuweilen meine Schwester, die Gräfin. Manons Freundschaft bürgt mir dafür, daß sie uns diesen Gefallen tun wird.

Während dieses ganzen eigentümlichen Auftritts hatte ich unaufhörlich gelacht, bis mir der [114] [116]Atem ausging. Und in der Tat – hat man jemals gesehen, daß einer singt, während er so was macht, und daß er mit solchem Ding den Takt dazu schlägt? Und kann man sich vorstellen, daß durch eine Note, die um einen halben Ton zu hoch gesungen ist, ein kräftiger Mann plötzlich zur Null wird? Ich begriff sehr wohl, daß die Schwester der Baronin gern auf alle Launen ihres Liebhabers einging – weniger aus Wollust, als um ihn durch ihre Gefälligkeiten, die sie sich teuer bezahlen ließ, in ihren Banden zu halten. Aber ich wußte bisher noch nicht, welche Rolle die Gräfin dabei spielte, deren Stelle zu vertreten man mich bat. Bald aber wurde ich darüber aufgeklärt. Ich hatte folgendes zu tun: Die beiden Liebenden legten mich auf den Bauch und schoben mir drei oder vier Kissen unter, so daß mein Hintern hoch in die Luft ragte. Hierauf streiften sie mir die Röcke bis über die Hüften empor, mein Gesicht lag am Kopfende des Bettes. Minette streckte sich auf dem Rücken aus, so daß ihr Kopf sich zwischen meinen Schenkeln befand und mein Vlies ihre Stirn gewissermaßen wie eine Perücke bedeckte. Bibi zog Minette die Röcke und das Hemd aus und legte sich auf sie, indem er sich auf seine Arme stützte. Bemerke, liebe Therese, daß Bibi in dieser Stellung unmittelbar vor seiner Nase die Aussicht auf das Antlitz seiner Geliebten, auf mein Vlies, meinen Popo usw. hatte. Diesmal machte er es ohne Musik; er küßte ohne Unterschied alles, was er vor sich hatte: Gesicht, Popo, Mund. Keines von diesen wurde bevorzugt, ihm war alles einerlei. Sein Pfeil, von Minettes Hand geleitet, fand bald wieder die frühere Elastizität und schlüpfte wieder hinein, wo er vorher gewesen war. Und nun ging es mächtig los: Der Liebhaber stieß, Minette fluchte, biß und bewegte mit unglaublicher[116] [118] Schnelligkeit ihren Hintern. Ich aber lachte bis zu Tränen, während ich kein Auge von dem wandte, was hinter meinem Rücken vorging. Nachdem sie peinlich lange gearbeitet hatten, hauchten endlich die beiden Liebenden ihre Seele aus und schwammen in einem Meer von Wonnen.

Einige Zeit darauf wurde ich mit einem Bischof bekannt gemacht, der eine höchst gefährliche Art hatte, bei der Vollziehung des Beischlafes so zu brüllen, daß er das beste Trommelfell bedrohte und den Ruf seiner Besucherinnen kompromittierte. Mag es nun zum Vergnügen geschehen sein oder war es ein Fehler seiner Organisation, genug – sobald Seine Gnaden dem Höhepunkt der Wollust sich nahe fühlten, fingen sie an zu brüllen und schrien: A-ih! A-ih! A-ih!, und zwar um so lauter, je größer die Wonne war, die er empfand. Man hätte die Stärke des Kitzels, den der dicke und breite Bischof verspürte, nach dem Kraftaufwand bemessen können, womit er sein A-ih! a-ih! a-ih! hervorstieß. In dem Augenblick, wo der gnädige Herr seinen Schuß abgab, wurde der Lärm so stark, daß man ihn auf tausend Schritte in der Runde gehört hätte, wenn nicht der Kammerdiener so vorsichtig gewesen wäre, Türen und Fenster der bischöflichen Wohnung mit Matratzen zu verstellen.

Ich würde niemals ein Ende finden, wollte ich dir alle die sonderbaren Geschmacksrichtungen und Eigentümlichkeiten schildern, die ich an Männern wahrgenommen habe, ganz abgesehen von den verschiedenen Stellungen beim Koitus, deren Einnahme sie von den Weibern verlangen.

Eines Tages wurde ich durch ein Hinterpförtchen zu einem hochberühmten und sehr reichen Manne geführt, dem seit fünfzig Jahren jeden Morgen ein Mädchen, das er noch nicht kannte, einen [118] ähnlichen Besuch abstattete. Er öffnete mir selbst die Tür seiner Wohnung. Mir war vorher gesagt worden, welche Etikette ich bei diesem ergrauten Wüstling zu beobachten hätte. Ich zog daher sofort Kleider und Hemd aus. Sobald ich nackt war, bot ich ihm, der mit ernster Miene in einem Lehnstuhl saß, meinen Popo zum Kuß.

Nun lauf aber schnell, Mädel! rief er, indem er mit der einen Hand sein Gemachte hielt, das er mit aller Kraft schüttelte; in der anderen hielt er ein Bündel Ruten, mit denen er meinen Hintern bedrohte. Ich fing an zu laufen; er verfolgte mich. So liefen wir fünf-oder sechsmal durchs Zimmer, während er wie ein Teufel fortwährend schrie: Lauf doch, du Spitzbübin, lauf doch! Endlich sank er befriedigt in seinen Sessel; ich zog mich wieder an, er gab mir zwei Louis und ich ging.

Ein anderer setzte mich, bis an den Gürtel nackt, auf den Rand eines Stuhles. In dieser Stellung mußte ich mich mit dem Kopfe eines Godemiché reiben, was ich aus Gefälligkeit, manchmal aber auch mit Vergnügen tat. Er saß in gleicher Haltung am andern Ende des Zimmers und arbeitete mit der Hand auf gleiche Weise, während er mit den Augen allen meinen Bewegungen folgte und ganz besonders darauf achtete, daß er nicht früher fertig wurde, als bis er an meinem Gesichtsausdruck sah, daß ich auf dem Gipfel der Wollust angelangt war.

Ein dritter – und zwar ein Arzt – gab kein Lebenszeichen mehr, wenn ich ihm nicht hundert Stockhiebe auf den Hintern gab, während eine Kameradin von mir mit entblößtem Busen vor ihm kniend, mit den Händen den Erektionsnerv des modernen Äskulap bearbeitete, bis endlich die Lebensgeister, die durch die Geißelung in Bewegung gebracht worden waren, sich in der unteren Region [119] sammelten und einen Ausweg fanden. Auf diese Weise setzten meine Genossin und ich durch verschiedene Manipulationen ihn instand, den Lebensbalsam zu vergießen. Der Doktor versicherte uns, auf diese Weise könne man eine abgenutzte Manneskraft wieder frisch machen, ja sogar einem Impotenten das Zeugungsvermögen geben, so daß eine bis dahin unfruchtbare Frau ein Kind bekommen könnte.

Ein vierter, ein wollüstiger Hofkavalier, der durch Ausschweifungen abgestumpft war, ließ mich nebst einer Freundin zu sich kommen. Wir fanden ihn in einem Kabinett, dessen vier Wände ganz und gar mit Spiegeln bedeckt waren, so daß man von einem mit rotem Samt überzogenen Ruhebett aus, das in der Mitte des Zimmers stand, alles sehen konnte. – Sie sind reizende, anbetungswürdige Damen, sagte der Kavalier sehr höflich. Sie werden indessen mir's nicht übelnehmen, wenn ich nicht die Ehre haben werde, Sie zu v ..., sondern, wenn es Ihnen recht ist, wird einer meiner Bedienten, ein hübscher und kräftiger Junge, die Ehre haben, Sie zu amüsieren. Ja, was wollen Sie, meine schönen Kinder, man muß seine Freunde mit allen ihren Fehlern zu lieben wissen, und ich habe nun mal den Fehler, den Genuß nur darin zu suchen, daß ich in meiner Phantasie mir den Genuß vorstelle, den vor meinen Augen andere haben. Außerdem ist das gewöhnliche V ... doch etwas zu Alltägliches. Es wäre ja geradezu erbärmlich, wenn Leute wie wir es einem plumpen, häßlichen Bauern nachmachten.

Nachdem er mit honigsüßer Stimme diese einleitenden Worte gesprochen hatte, ließ er seinen Bedienten hereinkommen. Dieser trug als Turnierkleid ein kurzes Säckchen aus fleischfarbigem [120] [122]Atlas. Meine Freundin wurde auf das Ruhebett gelegt, und der Diener schürzte ihr die Röcke auf; hierauf war er mir behilflich, mein Mieder und Hemd auszuziehen, so daß mein Oberkörper bis zum Gürtel herab nackt war. Dies alles wurde sorgfältig und bedächtig gemacht. Der Herr lag in seinem Lehnstuhl, sah zu und hielt dabei sein schlaffes Ding in der Hand. Der Bediente dagegen, der seine Hose bis zu den Knien heruntergelassen und sein Hemd emporgerollt hatte, ließ uns einen ganz prachtvollen Schwanz sehen. Er wartete, um zu beginnen, auf den Befehl seines Herrn, der ihm denn endlich auch winkte, daß er anfangen könne. Sofort kletterte der glückselige Bediente auf meine Freundin hinauf; er stieß ihr seine Waffe in den Leib und blieb dann unbeweglich. Seine Hinterbacken waren unbedeckt.

Machen Sie sich die Mühe, Fräulein, sagte unser Kavalier, und stellen Sie sich auf die andere Seite des Bettes. Krabbeln Sie bitte meinem Mann, der ein braver Lothringer ist, an seinen Riesenhoden, die ihm, wie Sie sehen, zwischen den Beinen hängen.

Nachdem ich alles nach seinen Befehlen gemacht hatte, sagte der Festordner seinem Lakaien, es könne losgehen. Sofort begann dieser mit einer wunderbaren. Beweglichkeit der Hinterbacken zu stoßen, meine Hand folgte ihren Bewegungen und verließ keinen Augenblick die beiden Riesenhoden. Der Herr sah in die Spiegel und verfolgte in ihnen die verschiedenartigen Bilder des Liebesspieles. Schließlich gelang es ihm, sein Instrument steif zu bekommen, und er begann nun es kräftig zu schütteln; er fühlte, daß der Augenblick der Wollust nahte und sagte zum Lakaien: Du kannst fertigmachen.

[122] [124]Dieser verdoppelte seine Stöße, und endlich gerieten beide gleichzeitig in Ekstase und vergossen den göttlichen Saft.

Liebe Therese, fuhr die Bois-Laurier nach einiger Zeit fort, meine Erzählung erinnert mich an ein scherzhaftes Abenteuer, das ich fast am gleichen Tage mit drei jungen Kapuzinern hatte. Sie wird dir einen Begriff davon geben, mit welcher Sorgsamkeit die guten Väter ihr Keuschheitsgelübde halten.

Nachdem ich den Kavalier verlassen und meiner Freundin Lebewohl gesagt hatte, begegnete ich, gerade als ich um die Ecke bog, um in den dort auf mich wartenden Fiaker zu steigen, der Dupuis, einer Freundin meiner Mutter und würdigen Nebenbuhlerin derselben in ihrem Gewerbe, das sie jedoch in einem weniger lauten und lustigen Kreise ausübte.

Sie eilte auf mich zu und rief: Ach, liebste Mieze, welche Freude, dich zu treffen! Wie du weißt, habe ich die Ehre, fast alle unsere Pariser Mönche zu bedienen. Ich glaube, diese Hunde haben sich heute verabredet, mich in Wut zu bringen: sie sind alle läufig! Seit heute früh habe ich in verschiedenen Zimmern und Stadtvierteln nicht weniger als neun Mädels für sie ins Feld gestellt. Seit vier Uhr laufe ich herum und kann nicht eine zehnte finden, auf welche drei ehrwürdige Kapuziner in einem geschlossenen Fiaker vor meinem Hause warten. Mieze, höre, du mußt mir den Gefallen tun und mitkommen; es sind gute Teufel, und sie werden dir Spaß machen.

Vergebens sagte ich der Dupuis, sie wisse doch, daß ich kein Mönchsbraten sei, weil diese Herren mit Phantasie scherzen, überhaupt mit Handarbeit nicht zufrieden wären, sondern im Gegenteil [124] [126]Mädchen brauchten, bei denen die Türen sehr weit offen ständen.

Potzblitz noch mal! antwortete die Dupuis; das ist ja noch schöner, daß du dich um das Vergnügen solcher Spitzbuben kümmerst! Es genügt, daß ich ihnen ein Mädchen verschaffe. Laß sie selber sehen, was sie damit anfangen! Das ist ihre Sache. Sieh mal, hier hab' ich sechs Louis, die sie mir als Handgeld gegeben haben. Drei davon sind für dich; willst du mitkommen?

Ich ließ mich umstimmen, und zwar noch mehr aus Neugier als aus Gewinnsucht. Wir stiegen in meinen Fiaker und fuhren nach dem Häuschen der Dupuis in der Nähe von Montmartre.

Gleich darauf traten unsere drei Kapuziner ein; sie waren an einen so leckeren Bissen, wie ich es allem Anschein nach war, nicht gewöhnt und stürzten wie drei hungrige Hunde auf mich los. Ich stand grade an einem Stuhl, auf den ich den einen Fuß gesetzt hatte, um mein Strumpfband festzumachen. Der eine, der einen roten Bart hatte und fürchterlich aus dem Munde roch, drückte mir einen Schmatz auf; dabei versuchte er noch dazu, mir die Zunge in den Mund zu stecken. Der zweite tappte mit seiner plumpen Faust an meine Brüste; der dritte hatte mir von hinten das Hemd hochgehoben, und ich fühlte sein Gesicht an meinem Popo, ganz dicht beim süßen Löchel.

Etwas Rauhes, wie Roßhaar, befand sich zwischen meinen Beinen und kitzelte mir die vordere Partie. Ich faßte mit der Hand danach, und was bekam ich zu fassen? Den Bart des Paters Hilarius! Als dieser sich festgehalten und am Bann gezupft fühlte, versetzte er mir, damit ich losließe, einen tüchtigen Biß in die eine Lende. Ich ließ sofort den Bart los und stieß einen gellenden Schrei aus. [126] Glücklicherweise erschreckte dieser die geilen Mönche und befreite mich für einen Augenblick aus ihren Klauen. Ich setzte mich auf ein Ruhebett, das ganz in der Nähe stand. Kaum aber hatte ich Zeit gehabt mich ein bißchen zu sammeln, so wurde ich von drei riesigen Lanzen bedroht. Da rief ich: Ach! Ehrwürdige Väter, einen Augenblick Geduld, bitte! Was wir vorhaben, muß doch in Ruhe und Ordnung vor sich gehen. Ich bin ja nicht hierhergekommen, um die Vestalin zu spielen, aber sagen Sie mir doch, mit wem von Ihnen dreien soll ich ...?

Mit mir! riefen sie alle drei auf einmal, ohne mich ausreden zu lassen.

Mit euch, ihr Milchbärte?! sagte der eine von ihnen mit näselnder Stimme. Ihr wagt es, euch vor euren Superior vorzudrängen, der früher Guardian von * * * und Fastenprediger von * * * war?! Wo bleibt denn da die Subordination?

Ach herrje! rief der eine von den beiden anderen im gleichen Ton, von Subordination redet man nicht bei der Dupuis! Hier ist Pater Anselme genausoviel wert wie Vater Ange.

Du lügst, versetzte der letztere, indem er dem ehrwürdigen Vater Anselme einen Faustschlag mitten ins Gesicht gab. Dieser, der durchaus kein Krüppel war, sprang auf Vater Ange los; sie packten sich, rollten auf den Boden und bearbeiteten sich mit Fäusten und Zähnen. Ihre Kutten waren über ihre Köpfe gestreift, so daß ihre erbärmlichen Glieder bloßlagen, die jetzt durchaus nicht mehr von Manneskraft strotzten, sondern schlaff waren wie Waschlappen. Die Dupuis eilte herbei, um sie auseinander zu bringen; dies gelang ihr aber erst, nachdem sie einen großen Eimer kalten Wassers [127] über die Schamteile der beiden Jünger des heiligen Franz ausgegossen hatte.

Während des Kampfes hatte Pater Hilarius gedacht, es sei besser, sich mit nebensächlichen Dingen zu amüsieren. Ich war, vor Lachen bewußt- und kraftlos, rücklings auf das Bett gesunken. So machte er sich daran, meine Reize zu erobern und selber die Austern zu essen, um welche die beiden anderen Feinschmecker, seine Kameraden, sich prügelten. Überrascht von dem Widerstand, hält er inne und betrachtet sich den Engpaß einmal in der Nähe. Er öffnet die Muschel ein wenig und findet, daß sie versperrt ist. Was tun? Von neuem sucht er einzudringen; aber aller Liebe Müh ist umsonst. Nach immer wiederholten Bemühungen spritzt er schließlich seinen Saft über die Auster, die er nicht verschlucken kann.

Der Wut der Mönche folgte plötzlich völlige Stille. Pater Hilarius bat um einen Augenblick Ruhe; er setzte die beiden Kämpfer von meiner abnormen Körperbildung in Kenntnis und erzählte ihnen von der unübersteigbaren Schranke, die den Zugang zum Orte der Wonne versperre. Die alte Dupuis bekam bittere Vorwürfe zu hören, gegen die sie sich lachend verteidigte. Als erfahrene Frau versuchte sie die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, indem sie eine ganze Ladung Burgunderflaschen hereinkommen ließ; diese waren denn auch bald leergeschlürft.

Unterdessen nahmen die Instrumente unserer Patres wieder ihre frühere Festigkeit an. Die Bacchusopfer wurden von Zeit zu Zeit unterbrochen, um dem Priap Opfer zu bringen. So unvollkommen diese auch waren, so schienen unsere Prügelhelden sich doch damit zufriedenzugeben, und bald dienten [128] meine Hinterbacken, bald meine Schenkel als Altar für ihre Opfergaben.

Nicht lange dauerte es, so bemächtigte eine ungeheure Heiterkeit sich unserer Geister. Wir schmückten unsere Gäste und legten ihnen Schönpflästerchen auf. Sie schmückten sich mit irgendeinem Stück meiner Trauerkleider, so daß ich nach einer kurzen Weile ganz nackt war und nur eine einfache Kapuzinerkutte übergeworfen hatte. In diesem Anzug fanden sie mich ganz reizend. Die Dupuis war halb betrunken und rief: Seid ihr nicht überglücklich, daß ihr ein hübsches Frätzchen sehen dürft, wie die süße Mieze es hat?

Nein, Potzblitz noch mal! versetzte Vater Ange in bacchischer Raserei; ich bin nicht hierhergekommen, um eine Fratze zu sehen; ich wollte 'ne V ... v ... Ich habe redlich bezahlt, und dieser Sch ..., den ich in meiner Hand halte, soll – hol mich der Henker! – nicht nach Hause gehen, bevor er gev ... hat, und wär's den Teufel selber. –

Was ich dir hier schildere, unterbrach die Bois-Laurier sich, ist originell, und du mußt gut aufpassen. Nur muß ich dich – vielleicht ein bißchen spät – darauf aufmerksam machen, daß ich die kräftigen Ausdrücke nicht mildern kann, ohne der Szene ihren ganzen Wert zu nehmen.

Da die Bois-Laurier ihre Erzählung nun einmal in so elegantem Stil begonnen hatte, so mußte ich sie sie auch auf gleiche Weise beendigen lassen. Ich lächelte, und sie fuhr in ihrem Bericht über das Abenteuer fort.

Wär's auch der Teufel! wiederholte die Dupuis, indem sie von ihrem Stuhl aufstand und die Worte in dem näselnden Tone des Kapuziners aussprach. Sieh her, du Hundsfott! rief sie, indem sie sich die Röcke bis zum Nabel hochhob; sieh diese ehrwürdige [129] V ...; sie ist so gut wie zwei andere. Ich bin ein guter Teufel; also v ... mich, wenn du es wagst, damit du was für dein Geld hast.

Zur gleichen Zeit packt sie den Vater Ange am Bart und zieht ihn über sich her, indem sie sich auf das Ruhebett sinken läßt. Der Pater läßt sich durch den Enthusiasmus der Proserpina keineswegs aus der Fassung bringen. Er macht sich gefechtsbereit, und einen Augenblick darauf durchbohrt er sie mit seiner Lanze. Kaum hatte die sechzigjährige Dupuis einige Stöße vom Pater erhalten, als dieses köstliche Vergnügen, das seit fünfundzwanzig Jahren kein Sterblicher ihr zu bereiten sich erkühnt hatte, sie ganz außer sich brachte. Gar bald sprach sie in einem anderen Ton. Ach, Papachen, rief sie, indem sie sich wie eine Rasende hin und her warf, mein liebes Papachen, v ... mich doch, mach mir recht viel Spaß; ich bin ja erst fünfzehn Jahre alt; fühlst du, wie gut ich's mache! Drauf los, mein kleiner Cherubin! Du gibst mir das Leben wieder; du tust ein höchst verdienstvolles Werk.

In den Pausen zwischen diesen zärtlichen Ausrufen küßte die Dupuis ihren Kämpen, kniff ihn und biß ihn mit den beiden einzigen Zahnstummeln, die sie noch im Munde hatte.

Der Vater seinerseits, der übervoll von Wein war, zappelte wie ein Hampelmann. Wir bemerkten bald, daß Vater Ange an Boden verlor und daß seine Bewegungen nicht mehr ganz regelmäßig abgemessen waren.

Ach, du Hundsfott! rief plötzlich die sachverständige Dupuis, ich glaube, du stößt vorbei! Du Hundsfott, wenn du mir solchen Schimpf antätest ...

In demselben Augenblick drehte sich dem Pater infolge der Anstrengung der Magen um. Die Überschwemmung [130] ergoß sich über das Gesicht der unglücklichen Dupuis, als sie gerade zu einem ihrer Liebesausrufe den Mund weit geöffnet hatte. Als die Alte sich von der stinkenden Flut überströmt fühlte, kehrte sich auch ihr das Herz im Leibe um, und sie zahlte dem Mönch in gleicher Münze heim.

Niemals habe ich etwas so Ekelhaftes und zugleich Lächerliches gesehen. Der Mönch fiel zusammen und fiel auf die Dupuis. Diese machte die größten Anstrengungen, um ihn auf die Seite zu wälzen, was ihr denn auch schließlich gelang.

Die beiden schwammen in Unrat, ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Bei der Dupuis brach die Wut los, und sie fiel mit den Fäusten über den Vater Ange her. Die beiden Mönche und ich mußten so unbändig lachen, daß wir nicht die Kraft besaßen, ihnen zu Hilfe zu kommen. Endlich eilten wir herbei und trennten die Kämpfenden. Vater Ange schlief ein, die Dupuis reinigte sich. Als es dunkel wurde, gingen wir alle fort und nach Hause. –

Nach dieser Erzählung, über die wir recht herzlich lachten, fuhr die Bois-Laurier folgendermaßen fort:

Ich will nicht von jenen Ungeheuern sprechen, die nur an widernatürlichen Freuden Genuß haben, einerlei, ob sie dabei handelnd oder leidend mitwirken. Italien bringt heutzutage nicht so viele derartige Menschen hervor wie Frankreich. Bekannt ist ja die Geschichte, wie ein von diesem Laster befallener, übrigens sehr liebenswürdiger und reicher Kavalier in seiner Hochzeitsnacht bei einer reizenden Frau nur dadurch fertig werden konnte, daß er seinen Lakai zu Hilfe rief. Er befahl ihm, mitten in der Verrichtung ihm von hinten dieselbe Einspritzung zu verabfolgen, die er seiner Frau von vorne machte.

[131] Die Herren Päderasten machen sich ja allerdings über unsere üblen Nachreden lustig und verteidigen lebhaft ihren Geschmack, indem sie behaupten, daß ihre Gegner auch nicht nach anderen Grundsätzen handeln als sie selber. Diese Ketzer sagen nämlich: Wir alle suchen den Genuß auf dem Wege, auf den wir ihn zu finden glauben. Der Geschmack leitet unsere Gegner genauso wie uns. Nun werden sie uns doch zugeben, daß wir Menschen nicht freie Herren sind, diesen oder jenen Geschmack zu haben. Man wirft uns ein: Aber wenn ein Geschmack strafbar ist, wenn er gegen die Natur verstößt, dann muß man ihn zurückweisen. – Durchaus nicht! Warum soll man nicht seinem Geschmack folgen, wenn es sich nur um Genuß handelt? Strafbare Genüsse gibt es nicht. Übrigens ist es nicht richtig, daß die konträre Liebe widernatürlich sei; denn gerade die Natur gibt uns ja den Hang zu jenem Genuß. – Aber auf diese Weise kann man sein Geschlecht nicht fortpflanzen, wirft man uns wieder ein. Welch kläglicher Einwand! Welcher Mensch, habe er nun diesen oder jenen Geschmack, gibt sich wohl dem Liebesgenuß hin, um ein Kind zu zeugen?!

Kurz und gut, fuhr die Bois-Laurier fort, die Herren Päderasten führen tausend gute Gründe an, um den Glauben zu erwecken, daß sie weder zu beklagen noch zu tadeln seien. Wie dem aber auch sei, ich verabscheue sie. Ich muß dir doch einen recht komischen Streich erzählen, den ich ein einziges Mal in meinem Leben einem von diesen abscheulichen Feinden unseres Geschlechtes gespielt habe.

Ich war benachrichtigt worden, daß er mich besuchen würde, und obgleich ich schon von Natur ganz gewaltige Winde lasse, hatte ich mir absiehtlich [132] [134]den Bauch voll von Kohlrüben geschlagen, um ihn meinem Plan gemäß empfangen zu können. Ich duldete den Kerl überhaupt nur aus Gefälligkeit gegen meine Mutter. Jedesmal, wenn er in unsere Wohnung kam, beschäftigte er sich zwei Stunden damit, meine Hinterbacken zu untersuchen, sie zu öffnen und wieder zu schließen, den Finger ins Loch zu stecken, in das er gar zu gern etwas anderes gesteckt hätte, wenn ich ihm nicht von vornherein kurz und bündig meine Meinung gesagt hätte. Mit einem Wort: Ich verabscheute ihn.

Um neun Uhr abends kam er an; ich mußte mich am Rande des Bettes platt auf den Bauch legen. Hierauf hob er mir Röcke und Hemd hoch und bewaffnete sich nach seiner löblichen Gewohnheit mit einer Kerze, um den Gegenstand seiner Verehrung genau betrachten zu können. Hierauf hatte ich nur gewartet. Er ließ sich auf das eine Knie nieder und kam mit seiner Nase und seinem Licht meinem Hintern nahe. In diesem Augenblick ließ ich mit aller Gewalt einen kräftigen Wind fahren, den ich mit großer Mühe seit drei Stunden zurückgehalten hatte. Er entwich mit einem Höllenlärm aus seinem Gefängnis und blies das Licht aus. Der Neugierige fuhr zurück, wobei er gewiß ein prachtvolles Gesicht geschnitten hat. Während die seinen Händen entglittene Kerze wieder angezündet wurde, benutzte ich die Gelegenheit und machte mich aus dem Staube. Laut lachend lief ich ins Nebenzimmer und schloß mich ein. Weder Bitten noch Drohungen brachten mich dazu, meinen Zufluchtsort zu verlassen, bis mein Angeforzter aus dem Hause war.

Ich mußte über dieses letzte Abenteuer so fürchterlich lachen, daß Frau Bois-Laurier nicht weitererzählen konnte. Zur Gesellschaft lachte sie [134] herzlich mit, und ich glaube, wir würden so bald nicht aufgehört haben, wenn nicht zwei ihr bekannte Herren sich hätten anmelden lassen. Sie sagte mir, diese Unterbrechung tue ihr sehr leid, da sie mir bis dahin nur die schlechte Seite ihrer Lebensgeschichte habe zeigen können, durch die ich wohl eine sehr schlechte Meinung von ihr bekommen habe. Sie hoffe aber, mir bald auch das Gute erzählen zu können, damit ich sähe, wie eifrig sie die erste Gelegenheit benutzt habe, um aus dem Lasterleben herauszukommen, in das die abscheuliche Lefort sie hineingebracht habe.

Ich muß allerdings der Bois-Laurier die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie während der ganzen Zeit meiner Bekanntschaft mit ihr in ihrem Lebenswandel sich nichts Unrechtes zuschulden kommen ließ, mit Ausnahme meines Abenteuers mit dem Herrn R.; doch hat sie stets ihre Beteiligung an jenem Streiche abgeleugnet. Fünf oder sechs Freunde bildeten ihren ganzen Verkehr; ich war das einzige weibliche Wesen, das sie sah, denn sie haßte die Weiber. Unsere Gespräche waren vor der Welt sehr anständig, aber im höchsten Grade ausgelassen, wenn wir unter vier Augen uns gegenseitig unsere Geständnisse machten. Die Männer, die sie bei sich sah, waren lauter gesetzte Leute. Es wurden Kartenspiele um geringen Einsatz gespielt, und nachher wurde fast jeden Abend bei ihr soupiert. Nur der Finanzmann B., ihr angeblicher Oheim, hatte das Vorrecht, unter vier Augen mit ihr zu verkehren.

Wie ich bereits sagte, waren uns zwei Herren angemeldet. Sie kamen; wir spielten eine Partie Quadrille und speisten dann in sehr heiterer Stimmung zusammen. Die Bois-Laurier war von reizender Laune; vielleicht fand sie es erwünscht, mich nicht [135] allein zu lassen, um über mein Erlebnis vom Vormittag nachzudenken – genug, sie nahm mich mit in ihr Bett. Ich mußte bei ihr schlafen, denn – mit den Wölfen muß man heulen; wir sagten und machten alle möglichen Dinge. –

Am Tage nach dieser ausgelassenen Nacht sprach ich zum erstenmal mit Ihnen, mein lieber Graf, glücklicher Tag! Ohne Sie, ohne Ihre Ratschläge, ohne die zärtliche Freundschaft und glückliche Sympathie, die uns von Anfang an verbanden, wäre ich besinnungslos in mein Unglück gerannt. Es war an einem Freitag; ich erinnere mich noch, Sie waren im Amphitheater der Oper, dicht unter der Loge, worin die Bois-Laurier und ich saßen.

Unsere Blicke begegneten sich zufällig, aber sie blieben wie gebannt aneinander haften. Einer Ihrer Freunde, der an demselben Abend bei uns zu Tisch sein sollte, kam in unsere Loge; kurz nachher redeten Sie ihn an. Man neckte mich mit meinen Moralbegriffen. Sie schienen neugierig zu sein, diese näher kennenzulernen, und Sie waren erfreut, als Ihnen in unserem Gespräch dies gelang. Die Übereinstimmung Ihrer Gefühle mit den meinigen erregte meine Aufmerksamkeit. Ich hörte und sah Sie mit einem Vergnügen, das mir bisher unbekannt gewesen war. Dieses Vergnügen war so stark, daß es mich belebte, mich geistreich machte und Gefühle in mir entwickelte, von denen ich bisher selber nichts gewußt hatte.

Dies ist die Wirkung der Herzenssympathie; es ist, wie wenn man mit den Organen des anderen dächte, der diese Sympathie erregt hat. In demselben Augenblick, wo ich zu der Bois-Laurier sagte, sie solle Sie einladen, mit uns zu soupieren, machten Sie denselben Vorschlag Ihrem Freunde. Wir [136] verabredeten uns: Als die Oper aus war, stiegen wir alle vier in Ihren Wagen und fuhren zu Ihrem kleinen Palais. Dort spielten wir eine Quadrille, wobei wir beide für die Fehler, die wir in unserer Zerstreutheit begingen, reichlich zu bezahlen hatten. Hierauf setzten wir alle uns zu Tisch und speisten zu Abend. Mit Bedauern trennte ich mich von Ihnen, aber ich fand einen angenehmen Trost darin, daß Sie mich um Erlaubnis baten, mich zuweilen besuchen zu dürfen, und daß Sie dies in einem Tone taten, der mich überzeugte, daß Sie wirklich die Absicht hatten, Ihr Wort zu halten.

Als wir allein waren, fragte die Bois-Laurier mich mit aller Neugier aus und suchte in scheinbar unabsichtlicher Weise herauszubekommen, was wir beide nach dem Essen unter vier Augen miteinander gesprochen hatten. Ich sagte ihr ganz einfach, Sie hätten dem Anschein nach gerne wissen wollen, was für eine Angelegenheit mich nach Paris geführt hätte und hier noch zurückhielte; ich sagte ihr, Ihr Benehmen hätte mir so viel Vertrauen eingeflößt, daß ich Ihnen ohne Zögern fast meine ganze Lebensgeschichte und meine augenblickliche Lage erzählt hätte. Ferner sagte ich ihr, meine Lage hätte Sie allem Anschein nach gerührt, und Sie hätten mir zu verstehen gegeben, daß Sie später mir gerne durch die Tat beweisen möchten, welche Gefühle ich Ihnen eingeflößt.

Du kennst die Männer nicht, erwiderte mir die Bois-Laurier; die meisten sind Verführer und Betrüger, die ein Mädchen seinem Unglück überlassen, nachdem sie seine Leichtgläubigkeit ausgenutzt haben. Ich will damit nicht sagen, daß ich dem Grafen persönlich solchen Charakter zutraue; im Gegenteil, er ist allem Anschein nach ein denkender und anständiger Mensch ohne Vorurteil.

[137] Nachdem die Bois-Laurier mir noch manche andere Lehren gegeben, um die verschiedenen Charaktere der Männer kennenzulernen, gingen wir zu Bett und trieben wieder alle möglichen Ausgelassenheiten.

Als wir am andern Morgen erwachten, sagte die Bois-Laurier zu mir: Gestern habe ich dir fast alles Elend meines Lebens geschildert; du hast die schlechte Seite desselben gesehen; habe die Geduld, mich noch weiter anzuhören, und du wirst auch die gute Seite kennenlernen.

Seit langer Zeit war mir das Herz schwer und ich seufzte über das unwürdige, erniedrigende Leben, das zu führen die Armut mich zwang und worin die Gewohnheit und die Ratschläge der Frau Lefort mich festhielten, die es verstanden hatte, eine Art von mütterlicher Autorität über mich auszuüben. Plötzlich wurde sie krank und starb. Da jeder mich für ihre Tochter hielt, so blieb ich freilich im Besitz der ganzen Erbschaft. Diese belief sich, teils in barem Gelde, teils an Möbeln, Silbergeschirr und Wäsche, auf einen Wert von sechsunddreißigtausend Franken. Ich behielt, was zu einer anständigen Einrichtung notwendig ist, wie du sie jetzt in meinem Hause siehst, und verkaufte alles Überflüssige. Im Laufe eines Monats brachte ich alle meine Angelegenheiten in Ordnung und erwarb mir eine Leibrente von dreitausendvierhundert Franken. Tausend Franken schenkte ich den Armen und reiste dann nach Dijon, um dort in der Zurückgezogenheit bis ans Ende meiner Tage ein ruhiges Leben zu führen.

Unterwegs jedoch wurde ich in Auxerre von den Pocken befallen, und mein Gesicht wurde dadurch so verändert, daß ich nicht mehr zu erkennen war. Dieser Umstand und die schlechte Pflege, die ich [138] während meiner Krankheit in der Provinz erhalten hatte, veranlaßten mich, meinen Entschluß zu ändern. Mich dünkte, wenn ich nach Paris zurückkehrte und mich von den Stadtgegenden fernhielte, wo ich während der beiden ersten Perioden meines Lebens gewohnt, so könnte ich ruhig in einem anderen Viertel wohnen, ohne von einem Menschen erkannt zu werden. Seit einem Jahre bin ich wieder hier. Herr B. ist der einzige, der meine Vergangenheit kennt; er ist damit einverstanden, daß ich mich für seine Nichte ausgebe, da ich für eine adelige Dame gelte. Du, Therese, bist die einzige Frau, der ich mich anvertraut habe, weil ich fest überzeugt bin, daß du mit deinen Grundsätzen außerstande sein wirst, das Vertrauen einer Freundin zu mißbrauchen, die du durch die Güte deines Charakters und die Rechtlichkeit deiner Gefühle dir gewonnen hast.

Fortsetzung der Geschichte der philosophischen Therese

[139] Fortsetzung der Geschichte
der philosophischen Therese

Als Frau Bois-Laurier geendet hatte, versicherte ich ihr, sie könne sich auf meine Verschwiegenheit verlassen, und dankte ihr herzlich, daß sie zu meinen Gunsten die natürliche Abneigung überwunden habe, einem anderen Menschen die Verirrungen ihrer Vergangenheit anzuvertrauen.

Es war inzwischen fast Mittag geworden. Die Bois-Laurier und ich waren noch in diesem Austausch höflicher Redensarten begriffen, als die Kammerfrau mir meldete, daß Sie mich zu sehen wünschten. Mein Herz erbebte vor Freude; ich stand auf und eilte zu Ihnen; wir speisten miteinander zu Mittag Und waren fast den ganzen übrigen Tag beisammen.

Drei Wochen verflossen sozusagen, ohne daß wir uns verließen. Ich merkte gar nicht, daß Sie die Zeit dazu benützten, um sich zu überzeugen, ob ich Ihrer würdig sei. Meine Seele war berauscht, von der Freude, Sie zu sehen, und hatte für kein anderes Gefühl Raum; und obgleich ich keinen anderen Wunsch hatte, als Sie mein Leben lang zu besitzen, so kam es mir doch niemals in den Sinn, einen bestimmten Plan zu verfolgen, um mir dieses Glück zu sichern.

Indessen beunruhigte mich fortwährend die Bescheidenheit Ihrer Reden und Ihr allzu vernünftiges Benehmen mir gegenüber. Wenn er mich liebte, sagte ich zu mir, würde er mich lebhaft umwerben, wie ich es an anderen sehe, die mir versichern, daß sie die heißeste Liebe für mich empfinden.

Dies beunruhigte mich. Ich wußte damals noch[140] nicht, daß vernünftige Menschen auch in ihrer Liebe vernünftig sind und daß die Leichtsinnigen stets und überall leichtsinnig sind.

Nach einem Monat endlich, lieber Graf, sagten Sie mir eines Tages ziemlich lakonisch, meine Lage habe Sie seit dem ersten Tage unserer Bekanntschaft beunruhigt; mein Gesicht, mein Charakter, mein Vertrauen zu Ihnen hätten Sie bestimmt, auf Mittel zu sinnen, um mich von dem Labyrinth fernzuhalten, worin ich mich unfehlbar binnen kurzem verirren müßte. Ohne Zweifel, fuhren Sie fort, erscheine ich Ihnen recht kalt, mein Fräulein, für einen Mann, der Ihnen versichert, daß er Sie liebt. Aber daß ich Sie liebe, ist ganz gewiß, noch größer freilich ist die Leidenschaft, die mich beseelt, Sie glücklich zu machen.

Ich wollte Sie unterbrechen, um Ihnen zu danken, aber Sie ließen mich nicht sprechen und fuhren fort: Dazu ist jetzt keine Zeit, liebes Fräulein, haben Sie die Güte, mich bis zu Ende anzuhören. Ich habe zwölftausend Franken Rente; hiervon kann ich, ohne selber in Verlegenheit zu geraten, Ihnen zweitausend auf Lebenszeit aussetzen. Ich bin Junggeselle und fest entschlossen, mich niemals zu verheiraten. Ich habe beschlossen, die große Welt zu verlassen, deren Narretei mich anzuekeln beginnt, und mich auf ein recht schönes Landgut zurückzuziehen, das ich vierzig Meilen von Paris entfernt besitze. In vier Tagen reise ich ab. Wollen Sie mich als Freundin dorthin begleiten? Vielleicht werden Sie sich später entschließen, als meine Geliebte mit mir zusammen zu leben; dies wird davon abhängen, ob Ihnen ein solches Verhältnis Vergnügen machen wird; Sie können sich darauf verlassen, daß dieser Entschluß nur dann gute Folgen haben wird, wenn Sie innerlich [141] fühlen, daß es zu Ihrem Glück beitragen kann. Es ist ein Unsinn, zu glauben, daß man es in seiner Hand habe, glücklich zu werden, indem man so oder so denke. Es ist nachgewiesen; daß man nicht denken kann, wie man will. Um glücklich zu werden, muß ein jeder sich die Genüsse verschaffen, die seiner Natur und seiner Leidenschaft entsprechen; doch muß er wohl erwägen, welche Vorteile und Nachteile ihm diese Genüsse bringen, und er muß diese Vorteile und Nachteile nicht nur in Hinsicht auf seine eigene Person, sondern auch mit Bezug auf das öffentliche Wohl betrachten. Es steht fest, daß der Mensch, wegen seiner vielseitigen Bedürfnisse, ohne die Beihilfe einer unendlichen Menge anderer Menschen nicht glücklich sein kann; darum muß ein jeder sich hüten, etwas zu tun, was das Glück seines Nachbarn beeinträchtigen könnte. Wer von diesem Wege abweicht, flieht das Glück, das er doch sucht. Hieraus folgt mit Sicherheit, daß die Grundbedingung, um auf dieser Welt glücklich leben zu können, darin besteht, ein rechtschaffener Mensch zu sein und die Gesetze der Menschen zu halten, da durch diese die gegenseitigen Bedürfnisse der Gesellschaft mit einem gemeinsamen Bande umschlungen werden. Männer oder Frauen, die diesen Grundsatz außer acht lassen, können offenbar nicht glücklich sein: Die Strenge der Gesetze, ihre eigenen Gewissensbisse, der Haß und die Verachtung ihrer Mitbürger verfolgen sie.

Überlegen Sie nun, mein Fräulein, alles was ich Ihnen gesagt habe; gehen Sie mit sich zu Rate, und sehen Sie zu, ob Sie glücklich sein können, indem Sie mich glücklich machen. Ich verlasse Sie jetzt; morgen werde ich wiederkommen, um Ihre Antwort zu empfangen.

[142] Ihre Worte hatten mich tief erschüttert. Ich fühlte eine unbeschreibliche Lust in dem Gedanken, einen Mann, der so dachte wie Sie, glücklich machen zu können. Zugleich sah ich die Gefahr, mich in ein Labyrinth zu verirren, und ich sah, daß Ihre Großmut mich davor schützen wollte. Ich liebte Sie; aber wie mächtig, wie schwer zu zerstören sind die Vorurteile. Ich fürchtete mich davor, als eine ausgehaltene Geliebte vor der Welt dazustehen, weil an diesem Stande ein gewisser Makel mir zu haften schien. Ferner hatte ich Angst, ich könnte ein Kind bekommen. Meine Mutter und Frau C. wären beinahe bei der Entbindung gestorben. Außerdem war ich gewöhnt, mir selber eine Wollust zu verschaffen, die, wie man mir gesagt hatte, ebenso köstlich sein sollte wie die Umarmung eines Mannes; hierdurch erstickte ich das Feuer meines Temperaments. Ich hatte niemals sinnliche Wünsche, weil der Begierde stets sofort die Befriedigung folgte. Was mich bestimmen konnte, war also nur die Aussicht auf ein baldiges Elend oder der Wunsch, Sie glücklich zu machen, um dadurch selber glücklich zu werden. Der erste Grund berührte mich kaum, der zweite brachte meinen Entschluß zur Reife.

Mit welcher Ungeduld erwartete ich nun Ihre Rückkehr, sobald ich mich entschlossen hatte! Am nächsten Tage kamen Sie; ich stürzte mich in Ihre Arme. Ja, rief ich, ich bin die Ihre! Schonen Sie die Zärtlichkeit eines Mädchens, das Sie anbetet! Ihre Gefühle geben mir die Sicherheit, daß Sie niemals auf die meinigen einen Zwang ausüben werden. Sie kennen meine Befürchtungen, meine Schwächen, meine Gewohnheiten. Lassen Sie die Zeit und Ihren Rat wirken! Sie kennen das menschliche Herz, Sie kennen die Macht, die das Gefühl auf den Willen [143] ausübt. Benutzen Sie die Gelegenheit, um in mir seine Eigenschaften zu entwickeln, die nach Ihrer Meinung am besten geeignet sind, mich mit voller Hingebung zu Ihren Lebensfreuden beitragen zu lassen. Schon jetzt bin ich von Herzen Ihre Freundin ...

Ich erinnere mich, daß Sie mich in diesem süßen Herzenserguß unterbrachen. Sie versprachen mir, niemals meinem Geschmack und meinen Neigungen widersprechen zu wollen. Alles wurde abgemacht. Am nächsten Tage teilte ich der Bois-Laurier mein Glück mit. Sie nahm unter strömenden Tränen von mir Abschied, und wir reisten endlich an dem von Ihnen festgesetzten Tage nach Ihrem Landgut ab.

An diesem angenehmen Orte angekommen, hatte ich gar keine Zeit, mich über die Veränderung meiner Lage zu verwundern, weil mein Geist keine andere Sorge und keine andere Beschäftigung kannte, als Ihnen zu gefallen.

Zwei Monate verflossen; Sie drängten mich nicht, Ihnen gewisse Freuden zu gewähren, aber Sie suchten in mir selber unermüdlich die Begierde danach zu erwecken. Ich kam allen Ihren Wünschen entgegen, nur den Genuß gewährte ich Ihnen nicht, den Sie mir als besonders entzückend rühmten. Ich konnte mir eben nicht denken, daß er lebhafter sein sollte als die Genüsse, an die ich gewöhnt war und an denen teilzunehmen ich Ihnen anbot. Im Gegenteil, ich schauderte bei dem Anblick des Pfeils, mit dem Sie mich zu durchbohren drohten. Wie wäre es möglich, dachte ich bei mir, daß ein so langes und so dickes Ding mit einem so ungeheuren Kopf in eine Öffnung eindringen könnte, in die ich kaum den Finger stecken kann! Außerdem fühlte ich, daß ich sterben müßte, wenn ich Mutter würde.

[144] Und darum bat ich Sie oft: Lassen Sie uns dieser gefährlichen Klippe ausweichen, mein lieber Freund! Lassen Sie mich machen!

Ich streichelte, ich küßte Ihren Doktor, wie Sie ihn nennen; ich bewegte ihn hin und her, bis ich Ihnen gleichsam wider Ihren Willen jenen göttlichen Saft raubte. Die Wollust übermannte Sie, und Ihre Seele wurde wieder ruhig.

Sobald der Stachel des Fleisches wieder stumpf geworden war, machten Sie sich meine Vorliebe für moralische und metaphysische Betrachtungen zunutze, um mich durch die Macht Ihrer Worte zur Einwilligung in Ihre Wünsche zu bewegen. So sagten Sie mir eines Tages:

Die Eigenliebe bestimmt alle Handlungen unseres Lebens. Unter Eigenliebe verstehe ich jene meiner Befriedigungen, die wir empfinden, wenn wir dieses oder jenes machen. Ich liebe Sie zum Beispiel, weil es mir Vergnügen macht, Sie zu lieben. Was ich für Sie getan habe, ist Ihnen vielleicht sehr angenehm und nützlich, aber Sie schulden mir durchaus keinen Dank dafür, denn nur Eigenliebe hat mich bestimmt; ich finde mein Glück darin, zu dem Ihrigen beizutragen; und aus eben demselben Grunde werden Sie mich nur dann vollkommen glücklich machen, wenn Ihre Eigenliebe ihre besondere Befriedigung dabei findet. Jemand gibt oft den Armen Almosen; er legt sich sogar Unbequemlichkeiten auf, um ihnen beistehen zu können; seine Handlungsweise ist nützlich für das Wohl seiner Gesellschaft, und darum ist sie lobenswert; aber soweit er selber in Betracht kommt, verdient sie durchaus kein Lob. Er hat die Almosen gegeben, weil sein Mitleid für die Unglücklichen schmerzliche Empfindungen in ihm erregte, und es war ihm weniger unangenehm, sein Geld an sie zu [145] verschenken, als noch länger das Schmerzgefühl zu ertragen, welches durch das Mitleid in ihm erregt wurde. Vielleicht schmeichelte ihm auch der eitle Gedanke, für einen mitleidigen Menschen zu gelten, und auch in diesem Falle wäre die innere Befriedigung, die ihn antrieb, nur eine Eigenliebe. Alle Handlungen unseres Lebens werden durch zwei Grundsätze bestimmt: uns mehr oder weniger Genuß zu verschaffen und mehr oder weniger Schmerzen zu vermeiden. –

Andere Male erweiterten Sie die kurzen Belehrungen, die ich vom Abbé T. empfangen hatte. Er hat Ihnen gesagt, wir seien ebensowenig freie Herren, auf diese oder jene Art zu denken, diesen oder jenen Willen zu haben, wie wir freie Herren sind, Fieber zu haben oder nicht. Wir sehen in der Tat durch klare und einfache Beobachtungen, daß die Seele selber nichts vermag, daß sie nur gemäß den Empfindungen und Fähigkeiten des Körpers handelt; daß die Ursachen, die vielleicht eine Unordnung in den Organen vollbringen, die Seele beunruhigen; daß eine Veränderung an einem Blutgefäß, an einer Faser im Gehirn den klügsten Menschen plötzlich blödsinnig machen kann. Wir wissen, daß die Natur stets auf die einfachste Weise verfährt und nach einem stets sich gleichbleibenden Grundsatz; da es nun klar ist, daß wir bei gewissen Handlungen nicht frei sind, so sind wir es in keiner. Außerdem würden alle Seelen gleich sein, wenn sie rein geistig wären. Wenn nun diese untereinander gleichen Seelen die Fähigkeit hätten, selber zu denken und zu wollen, so würden sie in gleichen Fällen alle auf gleiche Weise denken und sich entschließen. Dies ist aber keineswegs der Fall. Ihr Entschluß muß also durch etwas anderes verursacht sein, und dieses Andere kann nur die Materie [146] sein, denn selbst die Allergläubigsten kennen nur Geist und Materie.

Aber fragen wir einmal diese Gläubigen: Was ist der Geist? Kann er existieren und doch an keinem Ort vorhanden sein? Wenn er an einem Ort ist, muß er Raum einnehmen; wenn er Raum einnimmt, hat er Ausdehnung; wenn er Ausdehnung hat, hat er Teile; wenn er Teile hat, ist er Stoff. Also ist der Geist eine, Chimäre oder bildet er einen Teil der Materie?

Aus dieser Überlegung sagten Sie, kann man mit Gewißheit schließen, daß die Art unseres Denkens von der Organisation unseres Körpers und unserer Ideen abhängt. Daher können die geistigen Führer und Denker sich gar nicht genug Mühe geben, um Ideen zu vertreiben, die geeignet sind, in wirksamer Weise zum öffentlichen Wohl und im besonderen zum Wohl der Personen, die sie lieben, beizutragen. Und wie müssen erst Väter und Mütter in dieser Hinsicht auf das Wohl ihrer Kinder, Erzieher und Lehrer auf das ihrer Schüler bedacht sein!

Sie begannen schließlich, mein lieber Graf, meiner ewigen Weigerung müde zu werden, als Sie den Einfall hatten, aus Paris Ihre Sammlung galanter Bücher und galanter Gemälde kommen zu lassen. Da ich an diesen Büchern und noch mehr an den Bildern Gefallen fand, so verfielen Sie auf zwei Mittel und hatten Erfolg damit: Sie lesen also, Fräulein Therese, sagten Sie scherzend zu mir, galante Bücher und Bilder? Das freut mich ungemein. Ich werde Ihnen das Pikanteste verschaffen, was es gibt. Aber treffen wir ein Abkommen, wenn's Ihnen recht ist: Ich bin bereit, Ihnen leihweise auf ein Jahr meine Bücher und Bilder in Ihre Zimmer zu geben, wenn Sie sich verpflichten wollen, vierzehn [147] Tage lang nicht einmal Ihre Hand an jene Stelle zu führen, die von Rechts wegen mein Eigentum sein sollte. Sie müssen mit der »Handarbeit« aufrichtig und vollständig brechen. Nachsicht darf nicht geübt werden; wir beide müssen unseren Pakt getreulich erfüllen. Ich habe meine guten Gründe, dieses Verlangen an Sie zu stellen. Nun wählen Sie! Wollen Sie hierauf nicht eingehen, so gibt es keine Bücher, keine Bilder.

Ich zögerte nicht lange und gelobte Enthaltsamkeit für vierzehn Tage.

Aber dies ist noch nicht alles, fuhren Sie fort. Unsere gegenseitigen Verpflichtungen sollen im Einklang stehen. Es wäre unbillig, wenn Sie um den Anblick dieser Bilder oder um die flüchtige Lektüre der Bücher willen ein solches Opfer brächten. Machen wir eine Wette, die Sie ohne Zweifel gewinnen werden. Ich wette meine Bibliothek und meine Bilder gegen Ihre Jungfernschaft, daß Sie Ihre Enthaltsamkeit nicht vierzehn Tage lang aushalten werden, wie Sie gelobten.

Wirklich, mein Herr, unterbrach ich etwas ärgerlich, Sie haben einen recht eigentümlichen Begriff von meinem Temperament und trauen mir recht wenig Selbstbeherrschung zu.

O bitte, mein Fräulein, keinen Prozeß, riefen Sie. Darin bin ich Ihnen nicht gewachsen! Übrigens fühle ich, daß Sie den Zweck meines Vorschlages gar nicht ahnen. Hören Sie mich an! Ist es nicht wahr, daß bei jedem Geschenk, das ich Ihnen mache, Ihr Selbstgefühl sich verletzt fühlt, weil Sie es von einem Manne empfangen, den Sie nicht so zufrieden machen, wie er es sein könnte? Nun, die Bibliothek und die Bilder, die Sie so sehr lieben, werden Sie nicht zum Erröten bringen, denn diese werden Sie ehrlich gewonnen haben.

[148] [150]Mein lieber Graf, antwortete ich, Sie stellen mir Fallen, aber ich sage Ihnen, Sie werden selber hineingehen! Ich nehme die Wette an! Ja, noch mehr, ich verpflichte mich sogar, alle meine Vormittage nur mit dem Lesen Ihrer Bücher und mit dem Betrachten Ihrer bezaubernden Bilder zu verbringen.

Alles wurde auf Ihren Befehl in mein Zimmer gebracht. Ich verschlang sozusagen mit den Augen in den ersten vier Tagen die Geschichte des Pförtners der Kartäuser, die Geschichte der Karmeliterinnenpförtnerin, die geistlichen Lorbeeren, das Freudenmädchen, den Aretino und viele andere Bücher dieser Art. Von ihnen wandte ich mich nur ab, um die Gemälde zu betrachten, auf denen die wollüstigen Stellungen mit einer Farbenschönheit und Kraft des Ausdruckes wiedergegeben waren, daß meine Adern von heißer Glut durchströmt wurden. Am dritten Tage geriet ich in eine Art von Ekstase, nachdem ich eine Stunde lang gelesen hatte. Ich lag auf meinem Bett, von dem die Vorhänge auf allen Seiten zurückgeschlagen waren, so daß ich freien Ausblick auf zwei Gemälde hatte. Es waren: »Das Fest des Priapus« und die »Liebe des Mars und der Venus«. Von den Stellungen, die darauf abgebildet Waren, wurde meine Phantasie so erhitzt, daß ich alle Bettücher und Decken von mir abwarf. Ohne daran zu denken, ob auch meine Zimmertür gut verschlossen wäre, begann ich alle Stellungen nachzumachen. Jede Gestalt flößte mir das Gefühl ein, das der Maler hineingelegt hatte. Ein Liebespaar auf der linken Seite des Bildes vom Priapusfest entzückte und begeisterte mich wegen der Übereinstimmung des Geschmackes der jungen Frau mit dem meinigen. Mechanisch griff meine Hand nach der Stelle, wo die Hand des Mannes ruhte, und ich war im Begriff, meinen Finger [150] hineinzustecken, als die Überlegung mich zurückhielt. Ich erinnerte mich der Bedingungen unserer Wette, und so mußte ich von meinem Vorhaben ablassen.

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, daß Sie Zeuge meiner Schwäche seien, wenn dieser wonnige Trieb der Natur eine solche genannt werden kann. Aber wie wahnsinnig war ich, große Göttin, daß ich dem unbeschreiblichen Vergnügen eines wirklichen Genusses widerstand! Aber dies sind die Wirkungen des Vorurteils: Es macht uns blind, es ist unser Tyrann. Andere Partien dieses ersten Gemäldes erregten abwechselnd meine Bewunderung und mein Mitleid.

Endlich warf ich meine Augen auf das zweite. Welche Wollust in der Stellung der Venus. Wie sie streckte ich mich bequem aus; die Schenkel ein wenig gespreizt, die Arme wollüstig geöffnet, bewunderte ich die glänzende Haltung des Gottes Mars. Das Feuer, von dem seine Augen und besonders seine Lanze belebt zu sein schienen, drang mir ins Herz. Ich wälzte mich auf dem Bett, meine Hinterbacken bewegten sich wollüstig, wie wenn ich dem Sieger den Kranz reichen wollte.

Wie? rief ich, die Götter selbst schwelgen in einem Glück, das ich verschmähe? Ach, Geliebter, ich widerstehe nicht mehr! Erscheine, Graf, ich fürchte diese Lanze nicht mehr! Du kannst deine Geliebte durchbohren; du magst sogar selber die Stelle wählen, die du treffen willst. Mir ist alles recht; standhaft, ohne einen Laut werde ich deine Stöße aushalten. Und damit dein Triumph sicher sei – da! Mein Finger fährt hinein!

Welche Überraschung! Welch glücklicher Augenblick! Plötzlich erschienen Sie: stolzer, glänzender als selbst Mars auf jenem Gemälde. Ein [151] leichter Schlafrock, der Sie bedeckte, war im Nu ausgezogen.

Ich besaß zu viel Zartgefühl, sagten Sie zu mir, um mir gleich den ersten Vorteil zunutze zu machen, den du mir botest. Ich war an deiner Tür; ich habe alles gesehen, alles gehört; aber ich wollte mein Glück nicht dem Gewinn einer listigen Wette verdanken. Ich erscheine, liebenswürdige Therese, nur deshalb, weil du mich gerufen hast. Bist du entschlossen?

Ja, Geliebter! rief ich. Ich bin ganz dein! Stoß zu! Ich fürchte deine Stöße nicht mehr!

Augenblicklich sankst du in meine Arme, ohne Zögern ergriff ich den Pfeil, der bis dahin mir so furchtbar erschienen war, und führte ihn selber an die Öffnung, die er bedrohte. Sie stießen ihn hinein, und Ihre wiederholten Stöße entrissen mir nicht einen einzigen Schrei. Ich ging völlig in der Wonne auf und dachte nicht an den Schmerz.

Die Philosophie des Mannes, der sich selbst beherrscht, schien vom Sinnestaumel hinweggerissen zu sein, als Sie plötzlich mit halberstickter Stimme zu mir sagten:

Ich werde nicht von meinem vollen Recht Gebrauch machen, Therese! Du fürchtest Mutter zu werden – ich werde dich schonen. Die höchste Wonne naht! Lege wieder die Hand an deinen Besieger, sobald ich ihn herausgezogen habe, und hilf ihm mit ein paar Bewegungen ... Es ist Zeit, mein Mädchen ... Ich sterbe ... vor ... Lust ...

Ah! Auch ich ... sterbe ...! rief ich. Ich fühle ... nichts ... mehr ...

Gleichzeitig hatte ich den Pfeil erfaßt; ich preßte ihn leicht mit meiner Hand, die ihm als Köcher diente. In ihr erreichte er das höchste Ziel der Lust. Dann begannen wir von neuem, und unsere [152] Freuden dauern jetzt schon zehn Jahre, immer in der gleichen Form, ohne Kinder, ohne Unruhe.

Dies, mein lieber Wohltäter, dürfte wohl das sein, was Sie von mir wünschten, als Sie mich baten, mein Leben ausführlich zu schildern. Sollte dieses Manuskript jemals im Druck erscheinen – wie viele Dummköpfe werden gegen die Sinnlichkeit und gegen die metaphysischen und moralischen Grundsätze zetern, die es enthält. Diesen Dummköpfen, diesen schwerfälligen Maschinen, diesen Automaten, die mit den Organen anderer zu denken gewöhnt sind, die dies oder jenes nur darum tun, weil man ihnen sagt, sie müssen es – diesen werde ich antworten, daß alles, was ich geschrieben habe, nur auf Vernunft und auf eine von allen Vorurteilen freie Erfahrung begründet ist.

Ja, ihr Unwissen, das Wort »Natur« ist eine Chimäre! Alles ist Gottes Werk. Er gab uns das Bedürfnis zu essen, zu trinken und alle Freuden zu genießen. Warum sollten wir also erröten, wenn wir doch nur seine Absichten erfüllen? Warum sollten wir nicht ohne Furcht zum Glück der Menschheit beitragen, indem wir mannigfaltige Speisen vorsetzen, die je nach dem verschiedenen Appetit verschieden gewürzt sind? Warum sollte ich befürchten, Gott oder den Menschen zu mißfallen, indem ich Wahrheiten verkünde, die nur aufklären, niemals aber schaden können? Noch einmal wiederhole ich es euch, schwarzgallige Sittenrichter: Wir denken nicht, wie wir wollen. Die Seele hat keinen Willen; sie wird nur durch sinnliche Empfindungen, durch die Materie bestimmt. Die Vernunft klärt uns auf, aber sie bestimmt uns nicht. Eigenliebe, Hoffnung auf Vergnügen oder der Wunsch, ein Mißvergnügen zu vermeiden, sind die Triebfedern aller unserer Entschlüsse. Unser Glück hängt [153] ab von der Beschaffenheit unserer Organe, von der Erziehung, von äußerlichen Einflüssen; und die menschlichen Gesetze sind so beschaffen, daß der Mensch nur glücklich sein kann, wenn er sie beobachtet und ein rechtschaffenes Leben führt.

Es gibt einen Gott. Wir müssen ihn lieben, weil er ein unendlich gutes und vollkommenes Wesen ist. Der vernünftige Mensch, der Philosoph, muß durch gute Sitten zum allgemeinen Wohl beitragen.

Es gibt keinen Gottesdienst. Gott ist sich selber genug; die Kniebeugungsgrimassen und Einbildungen der Menschen können seinen Ruhm nicht vermehren. Moralisch gut und böse ist etwas nur in bezug auf die Menschen, niemals in bezug auf Gott.

Wenn menschliches Leiden dem einen schadet, ist es dafür anderen nützlich: Der Arzt, der Anwalt, der Finanzmann leben vom Leiden des Nächsten. Einer hängt immer vom andern ab. Die Gesetze, die jedes Land hat, um die Gesellschaft durch ein festes Band zusammenzuhalten, müssen beobachtet werden. Wer sie verletzt, muß bestraft werden. Denn wie das gute Beispiel Menschen mit schwachen Anlagen von der Ausführung ihrer bösen Absichten zurückhält, so trägt mit Recht die Bestrafung eines Übeltäters zur allgemeinen Ruhe bei. Fürst und Obrigkeit, die ihre Pflichten erfüllen, müssen geliebt und geachtet werden, weil jeder von ihnen zum Besten der Gesamtheit handelt.

[154] Abbildungen

Die philosophische Therese, S. 9

Die philosophische Therese, S. 27

Die philosophische Therese, S. 29

Die philosophische Therese, S. 41

Die philosophische Therese, S. 53

Die philosophische Therese, S. 65

Die philosophische Therese, S. 73

Die philosophische Therese, S. 77

Die philosophische Therese, S. 105

Die philosophische Therese, S. 109

Die philosophische Therese, S. 113

Die philosophische Therese, S. 115

Die philosophische Therese, S. 117

Die philosophische Therese, S. 121

Die philosophische Therese, S. 123

Die philosophische Therese, S. 125

Die philosophische Therese, S. 133

Die philosophische Therese, S. 149
[155]

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TextGrid Repository (2011). Argens, Jean-Baptiste Boyer, Marquis d'. Roman. Die philosophische Therese. Die philosophische Therese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0326-A