Olivier Clisson, Kronfeldherr von Frankreich und der Herzog von Bretagne
Nach Froissarts Chronik

Der Einzug unsrer Königin Isabelle in Paris war endlich auf den Sonntag, den 21. Juni 1389, angeordnet. Da war solch ein Gedränge des Volks in und um Paris, daß es wunderbar anzusehen. Nach der Frühmette war die Versammlung der Edelfrauen und Herren, welche das Tragebett der Königin und ihrer Frauen begleiten sollten. Sie gingen vors Tor unter der Bedeckung von zwölfhundert Pariser Bürgern zu Pferde, die an beiden Seiten der Straße aufgestellt waren, alle in Leibfarbe mit Grün gekleidet. In einem bedeckten Tragbette zog zuerst gegen zehn Uhr die Königin Johanna ein mit ihrer Tochter, der Herzogin von Orleans, wohlbegleitet von Herren, durch die große Straße St. Denis und so kamen sie zum Schlosse, da erwartete sie der König. Darauf setzte sich der Zug der jungen Königin Isabelle in Bewegung; alle Sergeanten und [304] Offiziere des Königs hatten ihre Arbeit das Gedränge der Leute zu durchbrechen, es schien, als wenn die ganze Welt dahin beschieden sei. Das prächtige offene Tragbette der Königin wurde vorauf geführt von den Herzögen von Touraine und Bourbon, in der Mitte von den Herzögen von Berry und Burgund, zum Schlusse von Messire Peter von Navarra und dem Grafen Astrenant. Darauf kam auf einem reich geschmückten Zelter die Herzogin von Touraine, eine Prinzessin von Mailand, die auch zum erstenmal in Paris eingeführt wurde, von den Grafen Lamarche und Nevers im feierlichen Schritte begleitet. Auf den unendlichen Zug der übrigen konnte niemand mehr Achtung geben, es war der Adel der halben Welt, doch sahen viele auf Olivier Clisson, Kronfeldherrn von Frankreich, die Stütze des königlichen Hauses. Gleich an dem ersten Tore von St. Denis war ein gestirnter Himmel ausgespannt, darin junge Kinder gehängt, gekleidet nach Art der Engel. Diese Kinder sangen gar sanft und melodisch und dabei war ein Bild unsrer gnadenreichen Frau, die ihr kleines Jesuskind trug, welches künstlich mit einer kleinen Windmühle spielte, aus einer großen Nuß gemacht. Dieser Himmel war aber sehr hoch und reich verziert mit dem Wappen von Frankreich und Bayern (woher die Königin abstammte) und einer glänzenden Sonne. Die Königin und ihre Damen, indem sie hindurch zogen, sahen das besonders gern, so auch alle andern, die nachfolgten. Nachdem sie das gesehn, kam die Königin in kleinem Schritt zu dem Springbrunnen in der Straße St. Denis, welcher mit himmelblauem Tuche belegt war, worauf goldne Lilien gestickt, die Säulen aber umher mit den Wappen mehrerer edlen Familien geziert; der Springbrunnen sprützte Wein in großen Strahlen, welchen schöne reich gekleidete Mädchen mit goldnen Hüten bei gar sanftem Gesänge in goldnen Pokalen jedem darboten, der zu trinken Lust hatte. Die Königin hielt da stille, sah sehr gerne dahin, freute sich der guten Anordnung und so taten alle Damen, die ihr nachfolgten. Bei dem Münster der Dreieinigkeit war weiterhin ein Gerüste erbaut, und darauf ein Schloß, worin die Sarazenen mit ihrem Sultan Saladin vom König Richard angegriffen wurden, nachdem dieser sich von einem, der den König von Frankreich in der Mitte seiner zwölf Pairs vorstellte, die Erlaubnis dazu erbeten. Da wurde wacker gefochten, und es dauerte eine gute Zeit; aber alle sahen es sehr gern. Darauf kam die Königin [305] an das zweite Tor St. Denis, wo wieder ein reicher Himmel angebracht war, Gott Vater, Sohn und heil'ger Geist saßen darin, kleine Kinder sangen sehr süß und sanft, zweie kamen herab und setzten der Königin eine Krone von Gold, reich mit Steinen, aufs Haupt, indem sie diese Verse sangen:


Schönste Lilie unter Lilien,
Königin des Paradieses,
Sieh wir bringen dir die Krone,
Gib uns einen Blick zum Lohne.

Die Königin sah sie mit vielem Vergnügen recht lange an, und als sie sich satt gesehen, ging der Zug weiter nach der St. Jakobskapelle, wo viel edle Frauen und Herren auf einem Gerüste standen, das nach Art eines Zimmers mit Hautelissen umzogen war, worauf viele Geschichten abgebildet, inwendig spielten viele Orgeln sehr angenehm; ich verwunderte mich aber über den Reichtum an Tapeten, es war als wenn man sie für nichts bekäme, oder als wenn man in Alexandrien wäre. Bei dem Schlosse von Paris war ein kleines Schlößchen erbaut von Holz, darauf standen bewaffnete Männer und in der Mitte saß auf einem Stuhle, welcher der Gerichtsstuhl hieß, die heilige Anne, da flogen Vögel und liefen Hasen in aller Sicherheit; darauf kam ein weißer Hirsch vor den Gerichtsstuhl und ihm nach sehr stolz ein Löwe und ein Adler, zwei junge Mädchen stellten sich mit gezognen Degen vor den Hirsch, ihn zu verteidigen und das sah die Königin sehr gern. Die Brücke war auch mit einem Himmel grün und leibfarben gedeckt. Es war schon finster, ehe die Königin nach der Kirche unsrer lieben Frauen kam, vorher aber war ihr noch ein wunderbares Schauspiel bereitet. Ich will erzählen, wie es eigentlich damit zuging: Ein Genueser Künstler hatte ein Strick an dem Hauptturm von Notre Dame befestigt, der über viele Häuser nach der Brücke St. Michel hingeführt war, mit zwei Lichtern in der Hand hing er sich an dieses Strick und kletterte es singend hinunter; da es aber zu dunkel war, um das Strick zu sehen, so konnte es kein Mensch begreifen. Die Königin ging darauf in die Kirche, die schön erleuchtet war; sie betete knieend vor dem Altare, schenkte darauf vier Goldstorfe und die am Tore erhaltene Krone in den Kirchenschatz und erhielt dafür vom Erzbischof eine prächtige Krone aufgesetzt. Darauf zog sie bei dem [306] Scheine von fünfhundert Fackeln nach dem Schlosse, wo sie vom Könige, von der Königin Johanna und der Herzogin von Orléans, ihrer Tochter, empfangen wurde, die andern Frauen wurden darauf jede von ihren Herren zu Hause gebracht. Darauf erschienen die Bürger von Paris, vierzig der besten, alle in gleichem Tuch gekleidet, vor dem König; zwei starke Männer, als Magier angezogen, brachten auf einer Trage allerlei Geschenke. Die Bürger sagten: »Sehr edler Herr und König, die Bürger von Paris übergeben Euch alle Kostbarkeiten auf dieser Trage.« Der König sagte: »Großen Dank, ihr guten Leute, sie sind schön und reich.« Da empfahlen sich die Bürger und der König sagte zu Messire Wilhelm Lordes: »Laßt uns einmal die Geschenke näher betrachten.« Da fanden sie sechzehn Gefäße von Gold, die 150 Mark Goldes wogen. – Nachher gingen die Bürger zur Königin mit einer andern Trage, die von zweien Leuten, der eine als Bär, der andre als Einhorn gekleidet, hineingebracht wurde, sie war wohl 300 Mark Goldes und Silbers wert. Eine dritte, von zweien nachgemachten Mohren getragen, brachte eben solche Geschenke von 200 Mark an die Herzogin von Touraine, die gar sehr darüber erfreut war und sehr groß und weise darauf antwortete.

Bei diesem festlichen Einzüge hatte der Herzog von Touraine die Bekanntschaft eines edlen Fräuleins durch einen glücklichen Zufall gemacht, sie fiel ihm von einem kleinen Gerüste, das eingebrochen, in die Arme. Er nahm sich ihrer an und kam in der Folge oft in ihr Haus, verliebte sich aber so schnell, als es ihm noch nie begegnet war, ungeachtet er immer schöne Mädchen gern gesehen hatte. Er hatte nur einen Vertrauten, Peter Craon, ein angesehener Edelmann, der zwar wegen einer Veruntreuung an den König von Sizilien in übler Nachrede stand, aber bei dem königlichen Hause, besonders bei den Herzögen von Burgund, Touraine und Bretagne sehr vertraulich einging. Einmal hatte ihm der Herzog von Touraine erzählt, daß er dem Fräulein 1000 Goldkronen für ihre Gunst geboten. Sie hätte sich aber erzürnt und ihm erwidert, daß sie weder für Gold noch Silber ihre Ehre verkaufe, sondern für gute Liebe. – Einige Tage darauf ließ die Herzogin, die sehr eifersüchtig war, dies junge Fräulein zu sich kommen; sie war allein; die Herzogin sprach zornig: »Wie, Ihr wollt mir meinen Herrn abspenstig machen?« Das junge Fräulein erschrak und antwortete weinend: »Ach [307] nein, gnädige Frau, Gott behüte! Ich wage nicht dran zu denken.« – Da ergriff die Herzogin wieder ihre Rede: »Es ist doch so, ich weiß, daß mein Herr Euch liebt, und Ihr ihn, und die Angelegenheit ist schon so weit, daß er Euch vor vier Tagen im Garten tausend Goldkronen versprach, damit Ihr seinen Willen tätet. Ihr habt es ausgeschlagen und daran tatet Ihr sehr recht und tugendsam und darum vergeb ich Euch diesmal; aber so lieb Euch Euer Leben, sprecht nie mehr mit ihm, doch gebt ihm den Abschied selbst mündlich.« Das Fräulein, die sich mit Wahrheit angekläfft, in Gefahr des Lebens sah, antwortete: »Gnädige Frau, ich will mich frei machen und alles so einrichten, daß Ihr nie ärgerliche Zeitung von mir hört.« – Hierauf entließ sie die Herzogin und sie kehrte nach Hause tiefgekränkt und schamrot zurück. Der Herzog von Touraine, der von dem allen nichts ahndete und das Fräulein zum Verbrennen liebte, kam gleich darauf zu ihr. So wie sie ihn erblickte, floh sie davon, ohne alle Zeichen der Liebe, die sie sonst gegeben. Als der Herzog dies Betragen sah, folgte er ihr nachdenkend und wollte durchaus die Ursach wissen. Endlich brach das Fräulein in Tränen aus und klagte: »Gnädiger Herr, entweder habt Ihr unsre Geheimnisse der Herzogin verraten, oder ein andrer für Euch. Ich war in großer Gefahr bei ihr, denkt nach, wem Ihr vertraut, ich habe ihr schwören müssen, Euch nur einmal wieder zu sprechen, um von Euch auf immer Abschied zu nehmen: das sei jetzt.« – Den Herzog kränkte diese harte Rede gar tief, er sprach: »Schönes Fräulein, eh' ich Euch verraten, hätte ich Heber hunderttausend Franken ins Wasser geworfen; habt Ihr geschworen, so müßt Ihr freilich Euer Wort halten, doch, was es mir koste, die Wahrheit will ich herausbringen, wer unser Geheimnis verraten.« – Der Ärger machte den Herzog ganz kalt und hart, so ließ er das junge Fräulein für jetzt in Frieden. – Den Abend ging er zur Herzogin, er speiste mit ihr allein und zeigte ihr mehr Schein von Liebe, als er ihr sonst wirkliche gewährt hatte; er war so entgegenkommend in schönen Reden, daß die Herzogin es ihm bald verriet, daß sie es von Peter Craon erfahren, als sie ihm Vorwürfe gemacht, wie er ihn zu allen heimlichen Vergnügen begleite; er hätte sich dadurch bei ihr einen bessern Namen und Freundschaft sichern wollen. Die Nacht ging recht schön vorüber, der Herzog dachte im Dunkeln an sein Fräulein. Morgens um neun saß der Herzog schon zu Pferde und kam [308] zum Louvre, als der König eben Messe hören wollte. Der König empfing ihn freundlich, denn er liebte ihn sehr; gleich sah er an des Herzogs Bewegungen, daß er heftig erzürnt sei. »Ei Bruder, was fehlt Euch?« – »Gnäd'ger Herr«, antwortete der Herzog, »wenn ich es nicht Euretwegen unterließe, so möchte ich einen umbringen«, und darauf erzählte er alles ausführlich. – »Ihr sollt ihn nicht umbringen, Peter Craon«, sagte der König, »aber ich lasse ihm gleich sagen, daß er mein Schloß räumt, er ist seiner Dienste entlassen, so tut desgleichen.« – Das wurde gleich durch die Marschälle an Peter Craon berichtet, der wünschte eine Unterredung mit dem Herzoge, um die Ursache zu erfahren, es wurde ihm abgeschlagen. So eilte er denn nach Bretagne, wo er den Herzog in Vennes fand, ihm sein sonderbares Schicksal vorzutragen. Der Herzog, den unaufhörlich der alte Haß gegen Olivier Clisson wegen der Befreiung des jungen Johann von Bretagne nagte, meinte: »Beruhigt Euch, Heber Vetter, das kommt alles von Olivier Clisson und wir wollen uns schon an ihm rächen.«

Peter Craon dachte dort einen wunderlichen Plan aus, sich an dem Kronfeldherrn zu rächen, wobei er zu seinem Schutze teils die Trennung in dem königlichen Hause, teils die Engländer benutzen wollte, die Olivier entsetzlich haßten wegen des vielen Schadens, den er ihnen schon zugefügt hatte. Craon hatte ein schönes Ritterhaus in Paris, nahe dem Kirchhofe des H. Johann. Das ward von einem Schließer bewacht, dem er befahl, Fleisch, Wein und andre Bedürfnisse, auch Rüstung und Waffen für vierzig Männer einzukaufen, aber alles heimlich. Der Schließer tat das, wie er es schuldig zu tun, ohne Argwohn wozu. Indessen schickte Craon je zwei und drei seiner Kameraden zu Pferde nach seinem Hause, ohne ihnen seine Absicht zu verraten, er sagte nur, daß sie alle Bequemlichkeit in seinem Hause finden würden und daß er sie brauchte, er wolle sie gut bezahlen.

Zu Pfingsten waren vierzig der kühnsten Männer dort beisammen, da kam er selbst heimlich an, befahl dem Türsteher, weder Mann noch Frau hinauszulassen, oder er würde ihm die Augen aus dem Kopf stechen, sonst wäre seine Ankunft sicher durch die Frauen oder Kinder auf der Straße erzählt worden. So blieb es bis zum Tage der Einsetzung des Abendmahls, wo der König in seinem Schlosse großen Hof annahm; da war die Königin und die Herzogin [309] von Touraine in großer Pracht, nachher wurde ein großes Gestech gehalten, worin Wilhelm von Flandern den Preis erhielt, worauf jeder zu Abend, wer von den Rittern wollte, beim Könige essen konnte. Nach dem Essen dauerte der Tanz bis ein Uhr, Olivier Clisson und der Herzog von Touraine waren die letzten im Schlosse. Clisson fragte, ob der Herzog mit ihm reiten würde. Der Herzog antwortete: »Kronfeldherr, ich weiß es noch nicht, ob ich nicht hier bleibe, laßt Euch nicht aufhalten, es ist wohl Zeit aufzubrechen. Gute Nacht.« – Der Herzog fand seine Pferde und Leute, es waren ihrer acht, mit zwei Feuerbränden auf dem Schloßplatze, er stieg auf, die Feuerbrände wurden ihm vorgetragen. Peter Craon, der alles wohl ausspioniert hatte, wartete am Kreuzwege bei St. Katharinen mit seinen vierzig schwer bewaffneten Reisigen, von denen nur ein paar um die ganze Sache wußten. – Clisson sprach gerade mit seinem Stallmeister: »Ich habe morgen den Herzog von Touraine, Coucy und andre bei mir zu Mittag, es soll nichts gespart werden, sorgt daß alles trefflich sei.« – In dem Augenblicke ritt Craon mit seinen Leuten, ohne ein Wort zu sagen, durch die Leute Clissons bis zu dem Fackelträger und warf die Fackeln zu Boden. Clisson meinte, es wäre der Herzog von Touraine; er wendete sich zu ihm und sprach: »Gnädiger Herr, Ihr tut nicht wohl daran, doch ich verzeih Euch, Ihr seid jung und bei Euch ist alles noch Spiel.« – Bei diesen Worten zog Craon seinen Degen und rief: »Ein Spiel auf Tod und Leben; zum Tod, zum Tod, Clisson, hier mußt du sterben.« – »Wer bist du denn«, fragte Clisson, »der du solche Reden führst?« – »Ich bin Peter Craon, dein Feind, du hast mich oft erzürnt, daß ich's dir hier eintränken muß. Vor, vor«, rief er seinen Leuten, »ich hab ihn hier, nach dem mir verlangte.« – Bei diesen Worten hieb und stieß er nach ihm; der Kronfeldherr hatte nichts als ein langes Messer, etwa zwei Fuß in der Länge, zu seiner Verteidigung, das zog er und verteidigte sich damit; seine Leute waren unbewaffnet und wurden bald zerstreut. Craons Leute fragten: »Sollen alle sterben?« – »Die sich widersetzen«, antwortete Craon. Nun war aber von einigen der Kronfeldherr erkannt worden, sie erschraken so sehr, daß ihre Hiebe kein Gewicht hatten: in einem Verrate ist keiner dreist, doch konnte ihn nur Gott schützen; ein Hieb auf den Kopf stürzte ihn vor einem Bäckerladen nieder. Der Bäcker war auf, um sein Brot zu besorgen, [310] er hatte das Rappeln der Pferde, auch einzelne Worte gehört, machte seinen Laden etwas auf, Clisson schlüpfte hinein; die zu Pferde konnten nicht folgen, weil sie nicht wagten abzusteigen, auch achteten sie den Hieb über den Kopf tödlich. Craon rief: »Fort mit uns, ihn hat ein guter Arm getroffen!« – Sie ritten durch das Tor St. Anton fort, immer zu nach der Burg Craons. Merkwürdig ist es, daß es Clisson war, der nach seinem Siege von Rosenbeck die Pariser entwaffnete, die bloß ihrem jungen Könige ihre Pracht und Mächtigkeit zeigen wollten, weil er solche noch nicht gesehen, auch die Bürger sehr hart abgeschätzt hatte, auch die Tore und Gitter ausheben ließ, um zu jeder Zeit Reisige einführen zu können, wodurch allein diese Untat möglich wurde.

Die Leute Oliviers sammelten sich bald vor dem Hause des Bäckers, sie waren wenig beschädigt, da sie unbewaffnet und alles gegen den Herrn gerichtet war; sie fanden sein Gesicht ganz mit Blut bedeckt, da ward Schreien und Wehklagen, daß es bald zu den Ohren des Königs kam, der eben ins Bette steigen wollte. »Ha, Sire«, riefen seine Diener, »wir können Euch die große Untat nicht verbergen, die eben in Paris geschehen!« – » Welche Untat?« – »Der Kronfeldherr ist ermordet!« – »Ermordet? Von wem?« – »Sire, keiner weiß es; er liegt aber ganz nahe in einem Bäckerladen.« – »Fackeln her«, rief der König, »ich will ihn sehen!« warf einen Mantel über, Diener und Wache sprangen mit Fackeln voraus, die schon schliefen, ihnen nach, an Kammerherren waren nur zwei, Gautier Martel und Johann Lignac dabei. So kam der König in das Zimmer des Bäckers; er fand Clisson so, wie ihm gesagt, aber noch nicht tot, er war von seinen Leuten ausgezogen, um seine Wunden besser zu besorgen. Des Königs erstes Wort war: »Kronfeldherr, wie fühlt Ihr Euch?« – »Mein teurer König«, antwortete er, »sehr schwach!« – »Und wer hat Euch also getan?« – »Sire, Peter Craon, verräterisch.« – »Kronfeldherr, ich schwöre Euch, nie soll eine Untat so bestraft worden sein!« – Da kamen die Ärzte und Chirurgen, der König beschwor sie, ihm gleich den Zustand des Verwundeten anzuzeigen. Sie versicherten darauf aus einem Munde, keine der Wunden sei tödlich, in vierzehn Tagen könne der Feldherr wieder sein Pferd besteigen. Da ging erst der König zu Hause, befahl auch gleich den Verrätern nachzusetzen, die aber in aller Sicherheit in Bretagne ankamen. Der Herzog von Bretagne hatte bei [311] Craons Ankunft schon die Nachricht, daß Clisson noch lebe, und empfing ihn mit den Worten: »Ihr seid ein Jammerhahn, daß ihr nicht einmal zu vierzig einen Menschen tot machen könnt.« – »Alle höllische Teufel müssen ihn beschützt haben«, rief Craon, »er hat wenigstens sechzig Lanzenstiche bekommen und wäre er nicht in den Bäckerladen gefallen, so hätten ihn die Pferde zertreten.« – »Für jetzt ist es nicht zu ändern«, sagte der Herzog, »ich werde Krieg mit dem Könige bekommen, aber ich halte mein Wort, Euch zu beschützen.« – Clisson, der an seinem Aufkommen zweifelte, machte indessen sein Testament, da fand sich, daß er ein ungeheures Vermögen über 170000 Franken unabhängig von seinen Lehen hatte. Das machte großes Aufsehen bei den Herzogen von Berry und Burgund, die zu seiner Gegenpartei gehörten: »Wo Teufel«, sagten sie, »kann der Kronfeldherr alles das Geld zusammengebracht haben, das geht nicht mit rechten Dingen zu!« – Das ging vorüber; aber als der Herzog von Bretagne die Auslieferung Craons verweigerte, der König aber ernsthafte Anstalten zum Kriege machte, da erklärten sie laut, es sei ein unsinniger Krieg, der sich nicht gut enden könne. Zu dieser Zeit nahm der Herzog von Touraine den Titel Herzog von Orléans an. Er war ein treuer Freund Clissons geworden. Craons Ritterhaus wurde auf Befehl des Königs geschleift und zum Kirchhof St. Johann eingeschlossen. Sobald Olivier Clisson hergestellt war, ordnete der König seinen Kriegszug an, ungeachtet er zu der Zeit etwas unwohl war. Die Herzöge von Berry und Burgund suchten indessen alle Anstalten zu verspäten, es war in allem ein unerträgliches Zögern, was die Leute eben so gut, als der König wahrnahmen. In Mans kamen seine beiden Oheime zu ihm und baten ihn dort zu verweilen, seine Gesundheit hätte sehr gelitten. Der König antwortete: »Ich befinde mich auf dem Zuge besser, als wenn ich Hegen bliebe, wer mir dagegen redet, liebt mich nicht.« – Die Oheime sprachen unter sich, es könne nicht so bleiben, daß der König gar keinen Rat von ihnen annehme! – Sicher wäre der Herzog von Bretagne verloren gewesen, er hatte sich zu oft der Krone widersetzt und Engländer ins Land gerufen, wenn nicht ein sonderbares Abenteuer den ganzen Kriegszug unterbrochen hätte. Der Tag, wo der König von Mans ausritt, war sehr heiß, und so mußte es wohl sein, da in der Mitte des Heumonats die Sonne in senkrechter Wirkung und die Natur in alleräußerster [312] Kraft ist. Der König war in Mans von stetem Raten und Gegenraten sehr erschöpft, der Unfall gegen seinen Kronfeldherrn hatte ihn schon früherhin tiefsinnig gemacht und sein Nachdenken abgemartert, auch hatte ihn schon längere Zeit ein unbestimmtes Übelbefinden angegriffen. An dem Walde bei Mans erhielt er nun ein sehr großes Zeichen, worüber er wohl seinen Kriegsrat hätte berufen sollen. Er war etwas voraus geritten, da warf sich ein Mann in bloßem Haupte und Beinen, einzig mit einem schönen weißen Kleide bedeckt, durch zwei Bäume in die Zügel seines Pferdes und sagte ihm: »König, reite nicht weiter, kehr zurück, du bist verraten!« – Das erschütterte den König, er schauderte und das Blut lief unter einander. – Seine Reisigen sprangen zwar gleich zu und klopften den fremdartigen Mann stark auf die Hände, der das Pferd angefallen, doch achteten sie seiner, als eines Narren, nicht weiter, hätten aber wohl den Mann festnehmen, und ihn erforschen sollen, woher ihm diese Reden gekommen. Gewiß ist's, daß man nie von dem Manne weiter gehört hat. Clisson war noch schwach von seinen Wunden und deswegen nicht so weit voran. Die Sonne stieg immer glänzender in Strahlen auf, der König und sein Gefolge ritten gegen Mittag aus dem Walde hervor auf eine weite sandige Ebene. Die Pferde tropften von Schweiß, auch die Gewohntesten des Waffentragens waren von der Hitze gedrückt, die ohne kühlen Wind träge auf ihnen ruhete; die Herren ritten in dem Sande verschiedene Wege in einiger Entfernung vom Könige, um ihm keinen Staub zu machen; die Herzöge von Berry und Burgund zur linken Seite sprachen mit einander in einer Entfernung von zwei Äckern, die andern Herren, der Graf von der Mark, Jakob Bourbon, Karl Labreth, Philipp Artois, Heinrich und Philipp Bar, Peter von Navarra zur rechten Seite einzeln, keiner dachte daran oder gab Achtung, was hier mit dem höchsten Haupte, ihrem Könige, sich begab. Gottes Einwirkung, seine Zuchtruten, sind furchtbar allen Wesen. So sehn wir im alten Testamente am Nabuchudonosor, König der Assyrer, über den lange Zeit niemand in der Welt ging, daß Gott der Herrscher Himmels und der Erde ihm Verstand und Reich nahm. In diesem Zustande blieb er sieben Jahre und lebte von Eicheln und Holzäpfeln nach Art der Schweine. Und als er diese Buße getan, gab ihm Gott Gedächtnis und gesunden Verstand zurück; da sagte er Daniel dem Propheten: Über den Gott [313] Israels gehe nichts. Um alles zu sagen, Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, alle in Einheit des Namens und des Wesens bleiben ewig in gleicher Macht, wie sie je waren, und so muß man sich über nichts verwundern, was nun geschehn wird. – Ich komme auf den König zurück, dem die Ärzte, die ihn am besten kannten, das Reiten in solcher Hitze widerraten hatten, und der es doch damals in der größten Sonnenhitze getan, bekleidet mit einem schwarz samtnen warmen Rocke, ein brennend rotes Barett mit Perlen auf seinem Haupte, das ihm die Königin zum Abschiede verehrt. Hinter ihm ritt ein Page in einem Stahlhelme, an dem die Sonne glänzte, hinter diesem ein anderer Page, der eine Lanze mit vielfarbiger Seide umflochten für den König trug. Diese Lanze war von feinem Stahl und breit; Herr von Rivière hatte ein Dutzend der Art dem Könige aus Toulouse zum Geschenke mitgebracht, der sich mit seinen Brüdern darin teilte. So wie nun Kinder und Pagen sind, so vergaß sich der, welcher die Lanze trug, und schlief in der drückenden Hitze auf dem Pferde ein, die Lanze fiel auf den Stahlhelm des vorderen und die beiden Waffen erklangen hell an einander. Der König, der so nahe ritt, daß die Pferde einander fast auf die Hacken traten, fuhr auf, sein Geist drängte sich zurück, er dachte an den Kronfeldherrn, wie der angefallen, an die Warnung des wunderbaren Mannes Morgens, so glaubte er sich von Feinden umgeben, die ihn töten wollten. Er zog seinen Degen, drehte sein Pferd und spornte es gegen seinen Pagen und rief: »An, an auf die Verräter!« Die Pagen sahen den König sehr erzürnt und hüteten sich, weil sie durch ihre Nachlässigkeit Ursach gegeben, sie sprengten ab nach allen Seiten. Auf den Herzog von Orléans, der nicht weit davon ritt, jagte er darauf mit gezognem Schwerte los, es war Wahnsinn und Herzensschwäche, er wußte nicht mehr, wer sein Bruder oder sein Onkel. Der Herzog wich ihm schnell aus, der von Burgund bemerkte jetzt, daß der König seinen Bruder mit bloßem Degen verfolgte, und rief ganz geschreckt: »Herr! welch Mißgeschick, der König ist ganz verwildert. Herr Gott, haltet ihn fest. Flieht, schöner Vetter von Orléans, der König will Euch umbringen!« – Der Herzog von Orléans floh, was sein Pferd laufen konnte, Ritter und Stallmeister hinterher schrieen, die weiter zur Rechten oder Linken meinten, daß man einen Wolf oder Hasen jagte, sie wollten auch dabei sein, bis sie hörten, daß der König übergeschnappt. Der [314] Herzog rettete sich durch schnelles Wenden seines Pferdes, auch halfen ihm die andern, die den König umringten, bis er matt sein würde, und auf den er hieb, der hielt es ruhig aus oder ab, und wurde zwar keiner tödlich verwundet, doch mancher heruntergehauen. Zum Schluß, als er sehr müde und abgearbeitet war, sein Pferd auch erschöpft und in Schweiß gebadet, da umarmte ein normännischer Kammerherr, Wilhelm Martel, den König von hinten, den Degen in der Hand, und hielt ihn fest. Die andern Ritter näherten sich und nahmen ihm den Degen, es näherten sich seine drei Oheims und sein Bruder, er kannte sie aber nicht mehr, die Augen drehten sich ihm im Kopfe, er sprach mit niemand. Man zog ihn aus und brachte ihn in einem Tragebette nach Mans. Strafen konnte man ihn nicht, es war nicht seine Schuld, Gott wollte es also. Der ganze Kriegszug wurde gleich aufgegeben und abbestellt. In Mans kamen die Ärzte zusammen, da wurde gesprochen, der König sei vergiftet und behext um das Reich zu zerstören; die Ärzte aber sagten, er hätte schon lange eine Anlage zu diesem Übel gehabt. Der Herzog von Burgund rief: »Möchte doch Clisson lieber gestorben sein, ehe dem König dies Unglück angestoßen, wir werden nun die Schuld tragen.« Dann fragte er: »Wie hat der König heute gegessen und getrunken? Wäret ihr gegenwärtig?« – »Bei Gott ja«, antworteten die Ärzte, »er aß und trank wenig und dachte nur an seine Angelegenheiten.« – »Und wer gab ihm zuletzt zu trinken?« fragte der Herzog. – »Wir waren gleich vom Tische aufgestanden, das müssen die Schenken und Kammerherren wissen.« – »Robert Lignac gab ihm zu trinken«, sagte Robert Tulles; der wurde gerufen. – Man fragte ihn, woher er den Wein gehabt, den er dem Könige gereicht, ehe er zu Pferde gestiegen. – Er antwortete: »von Robert Tulles.« – »Es ist wahr«, sagte dieser, »und wir wollen gleich mit dem Weine an uns einen Versuch machen, daß er nicht vergiftet gewesen, es ist noch davon übrig.« Der Herzog von Berry sprach darauf: »Wir reden um nichts und wieder nichts, der König war mit schlechtem Rat vergiftet und behext, jetzt ist davon nicht Zeit zu sprechen.«

Durch den Entschluß der drei Stände wurde den Herzogen von Berry und Burgund die Regierung während der Krankheit des Königs übertragen. Ein sehr erfahrner Arzt, Wilhelm von Harsely, sagte, als ihm der Fall vorgetragen: »Es kommt von der Schuld der Mutter!« Er wurde sein Oberarzt. Dem Herzog von Bretagne und [315] Peter Craon fiel ein Stein vom Herzen bei dieser traurigen Nachricht. Der Papst sagte, daß die Krankheit von unmäßiger Anstrengung entstanden und daß die sollten bestraft werden, die ihn in der Jugend nicht besser gewöhnt. Dem Grabe des heiligen Aquoire wurde in Arras ein Wachsbild von der Gestalt des Königs, auch eine große Wachsfackel geschickt, worauf sich die Krankheit in ihrer Wut milderte. – Die Herzöge von Berry und Burgund suchten nun alle ehemaligen Ratgeber und Lieblinge des Königs zu entfernen; sie konnten Clisson es nicht verzeihen, daß jener Betisach hingerichtet worden, der das Land für den Herzog von Berry aussog. Clisson ahndete nichts davon, er ging zum Herzoge von Burgund, sobald dieser seine Stelle angetreten, bloß von einem Stallmeister begleitet. Er fand im Vorzimmer zwei Ritter, die ihn anmeldeten. Der Herzog sprach eben ganz müßig mit einem Herold über ein Fest, das in Deutschland gefeiert worden. »Nun bei Gott«, sagte der Herzog, »laßt ihn herein kommen, Wir haben gerade Zeit anzuhören, was er Uns Gutes sagen wird.« – Als der Herzog den Kronfeldherrn hereintreten sah, veränderte er seine Farbe, es reute ihm, daß er ihn vor sich kommen lassen. Clisson nahm seinen Hut ab, verbeugte sich und sprach: »Ich bin zu Euch gekommen, um von Euch den Zustand des Landes zu erfahren, wegen meines Amts bin ich immer darum befragt. Wollet mir dies beantworten, da Ihr und der Herzog von Berry in der Stelle des Königs regiert.« Der Herzog antwortete ihm hart: »Clisson, Clisson Ihr habt Euch nicht weiter um den Zustand des Reichs zu bekümmern, ohne Euch wird es viel besser regiert. Zur bösen Stunde habt Ihr Euch drein gemischt. Wo Teufel habt Ihr so viel Geld zusammen geschleppt, als Euer Testament angezeigt hat. Weder ich, noch mein Bruder, der Herzog von Berry haben zusammen je so viel besessen. Fort aus meiner Gegenwart, daß ich Euch nie wiedersehe, wär's nicht wegen meiner Ehre, ich ließ Euch die Augen ausstechen.« – Bei diesen Worten ging der Herzog aus dem Zimmer und ließ Clisson stehen, der endlich auch mit gesenktem Haupte hinausging, keiner begleitete ihn; er fraß den Ärger in sich, ging auf den Hof, stieg zu Pferde und ritt nach Hause ohne ein Wort zu sprechen. Abends ging er durch eine Hintertür seines Ritterhauses mit zweien sichern Leuten durch das Tor St. Anton nach Montlhéry, sieben Stunden von Paris; des andern Tages kam der Befehl ihn [316] festzunehmen; als sie seine Entfernung erfuhren, schickten sie vier Kapitäns mit drei hundert Lanzen auf verschiednen Wegen ihn zu töten oder zu fangen. Er wurde aber durch gute Freunde zeitig gewarnt und kam glücklich nach seinem festen Schlosse Josselin in Bretagne; die Bewaffneten durchsuchten Montlhéry mit großer Vorsicht und brachten den Herzögen die Nachricht, daß sie nichts gefunden. Darauf wurde er durch Beauftragte des Parlaments eingeladen, in Paris bei Verlust der Ehre und Verbannung sich zu stellen. Sie kamen in die Dörfer und Städte Clissons und fragten, wo der Kronfeldherr wäre, sie wären vonseiten des Königs und seines Rats geschickt. Seine Leute, die wohl unterrichtet waren, sagten ihnen Willkommen und sie wollten sie gern hinführen, wo er jetzt wahrscheinlich sich aufhalte. So wurden sie von Ort zu Ort vergebens herumgeführt, bis sie es überdrüssig wurden und zurückkehrten, ihren Bericht abzustatten. So ward er vom Parlament als ein widerspenstiger Verräter aus dem Reiche verbannt, zu hunderttausend Mark Strafe verdammt und für immer der Kronfeldherrnstelle untüchtig erklärt. Der Herzog von Orléans wollte nicht bei diesem Gerichte gegenwärtig sein, er hätte aber auch sicher nicht hindern können, daß dieser berühmte Ritter, wenn er erschienen wäre, für seine großen Dienste, die Frankreichs Ehre erhalten, hingerichtet worden wäre. So war es denn recht, daß Clisson dem Herzog von Bretagne und Peter Craon diese Freude nicht machte. Zwei andre Räte des Königs, La Mercie und La Rivière waren in großer Gefahr hingerichtet zu werden, wenn nicht des Königs Herstellung sie errettet hätte. Der König blieb auch nachher schwach und ein Teil der Regierung in den Händen der Herzöge; sein Arzt riet ihm möglichst alle Sorge abzunehmen, so blieb Clisson verbannt. Aber das Vergnügen wollte dem Könige noch weniger gedeihen, denn bei einer Hochzeit verkleidete er sich mit fünf andern den Damen zu gefallen als Wilder, in Kleidern, die mit Flachs vollgeklebt waren. Der Bastard von Foix warnte wegen der Fackeln und sie wurden auf Befehl alle vorher entfernt. Doch der Herzog von Orléans trat unerwartet mit Fackeln herein, er wollte die Verlarvten erkennen und näherte eine Fackel zu sehr. Das Feuer ergriff die Kleider, der Bastard schrie, indem er verbrannte: »rettet den König«, der nur durch diesen Ruf und durch die Herzogin von Berry errettet wurde, die ihn vorher festgehalten [317] um seinen Namen zu wissen. Der Graf Nanthoillet löschte seine Kleider, indem er sich in eine Wanne warf, wo Gläser gespült wurden; viere verbrannten mit entsetzlichem Geschrei; wegen des vielen fließenden Pechs, worauf das Flachs befestigt, verbrannten sich alle die Finger, die jenen helfen wollten. Das Volk sah dies als ein drittes großes Zeichen an, daß sich der König alles jugendlichen Übermuts enthalten sollte.

Bald darauf erhielt Clisson die Nachricht, daß Coucy die ihm angetragene Stelle als Kronfeldherr aus Achtung gegen ihn ausgeschlagen, daß aber nun der Graf von Eu damit bekleidet. Er selbst war jetzt mit der Fehde gegen seinen Feind, den Herzog von Bretagne, beschäftigt; er sprach nicht dagegen, doch gab er den Hammer nicht ab. Dieser Krieg wurde grausam geführt, da war keine Gnade von keiner Seite, der Herzog kannte die furchtbare Größe seines Gegners und wagte nicht ihm im freien Felde zu begegnen, er schloß sich mit der Herzogin in Vennes ein, Clisson schwärmte umher und plünderte. Die ersten Häuser, die ihre Lehen vom Herzöge trugen, wagten es nicht gegen Clisson sich zu waffnen, sie entschuldigten sich bei den Aufforderungen des Herzogs, daß der Krieg sie nichts anginge, doch erboten sich alle, den Krieg, wenn es möglich, beizulegen. Als der Herzog sah, daß er nichts auf sie gegen Clisson vermöchte, gab er zu, daß sie ihn zu einer Unterredung einladeten. Die Herren von Rohan, Digne und Lyon kamen zu Olivier Clisson nach mancher Mühe, und sagten ihm die Absicht des Herzogs, und wie sie zum Unterpfande im Schlosse Josselin bleiben wollten, während er eine Unterredung mit dem Herzoge hätte. Darauf antwortete Clisson: »Lieben Herren, was gewönnet ihr durch meinen Tod, der Herzog ist zu grausam! Will er mir seinen Erben zum Unterpfand schicken, so will ich vor ihm erscheinen, anders nicht.« – Das berichteten sie dem Herzoge nach Vennes, der aber das nimmermehr zugeben wollte. So blieb die Sache, und der grausame Krieg wütete wie vorher; keiner wagte über Land zu reiten, aller Handel war ausgestorben in Bretagne, selbst die Bauern feierten; die Herzogin von Burgund unterstützte heimlich den Herzog mit Reisigen, der Herzog von Orléans unterstützte Clisson; die Bretagner mochten ihrem Herzoge nicht dienen und sahen mit heimlicher Freude Clissons Unternehmungen. Clisson ritt sehr oft auf Abenteuer. So überfiel er einmal zwei Stallmeister[318] des Herzogs Yvonnet und Bernard, die er von seiner Gefangennehmung im Schlosse L'Hermine her kannte. Sie waren beide ganz verstört. Zu Yvonnet sagte der Herzog: »Weißt du noch, wie du mich auf dem Schlosse unritterlich einsperrtest, und du, Bernard, wie du Mitleiden mit mir hattest und mir dein Kleid gabst, daß ich nicht auf dem kalten Pflaster liegen sollte. Dafür will ich dir das Leben schenken, aber dieser verräterische Bube Yvonnet muß sterben.« Bei diesen Worten durchbohrte er ihn mit dem Dolche.

Wie damals der Herzog von Bretagne, lange vor diesem Kriege ihn gefangen, das erzählte mir Messire Wilhelm Ancenis, den ich auf einem Ritt durch Bretagne nicht weit von Angers begegnete; er selbst war mit dem Herrn von Ancenis, seinem Vetter, selbst bei dem Parlement von Vennes gewesen. Bei Preuilly kamen wir auf eine Wiese, da hielt er still und sagte: »Gott segne den guten Clisson. Hier hat er einen schönen Tag gegen die Räuber erfochten.« – Darauf erzählte er mir, wie der Kronfeldherr, als er die große Seerüstung gegen England vorbereitet, von dem Herzoge, seinem Lehnsherrn, zum Parlement nach Vennes geladen worden sei, wie der Herzog so freundlich gegen ihn sich gestellt, da er doch einen geheimen Haß gegen Clisson in sich getragen, weil er den armen Johann von Bretagne, der dreiunddreißig Jahre seiner Jugend in englischer Gefangenschaft geschmachtet, losgelöst und ihm seine Tochter gegeben hatte. Diesen fürchtete er wegen seiner nähern Ansprüche auf das Herzogtum. Der Herzog stellte sich aber freundlich gegen Clisson und nötigte ihn in sein Schloß L'Hermine, das er eben gebauet hatte. Er führte ihn nebst den Herren Beaumanoir und Laval selbst durch alle Zimmer. Sie kamen an einen hohen Turm. »Olivier«, sagte der Herzog, »kein Mensch versteht sich wie Ihr auf Bausachen, steigt einmal hinauf und sagt mir Eure Meinung über diesen Turm, ich will indessen mit diesen Herren schwatzen.« – Clisson ging ohne Argwohn hinauf, die Türen schlössen sich hinter ihm, er wurde von Bewaffneten niedergeworfen. Als die beiden Freunde unten die Türe verschlossen fanden und den Herzog grün wie ein Blatt, da merkten sie den Verrat, und das Blut stieg ihnen zu Kopf. »Um Gottes Willen, was tut Ihr«, sagte Laval. – »Laval«, sagte der Herzog, »steigt zu Pferde, ich weiß, was ich zu tun habe.« – Beaumanoir forderte den Kronfeldherrn [319] von Frankreich aus des Herzogs Haft. Der Herzog, der ihn haßte, zog seinen Dolch und rief: »Willst du an der Stelle deines Herren sein?« – »Ja Herr«, sagte der. »Wohlan, weil du es so willst«, rief der Herzog, und fuhr mit dem Dolche vor seine Augen, »muß ich dir die Augen ausstechen.« – Dreimal wurde der Kronfeldherr zu Boden geworfen und man wollte ihn martern und umbringen; die aber so es ausführen sollten, entschuldigten sich gegen ihn, als selber gezwungen. Laval befreite ihn endlich durch unablässiges Flehen beim Herzoge, durch Vorstellung aller Unehre und Gefahr, die der Herzog auf sich zöge durch diesen Mord, durch Auslieferung einer Geldsumme von 100000 Franken und dreier Schlösser. Das erzählte mir der Ritter, und wäre er länger mit mir geritten, ich hätte sicher noch vieles erfahren, denn er war artig und gesprächig. Das hatte also Clisson vom Herzoge schon erlitten, als er nun einmal vierzig Reisige des Herzogs beim Furagieren überfiel, so sagte er ernst: »Wie könnt Ihr ernten, wo Ihr nicht gesäet und verderben, was noch nicht reif ist, Ihr macht zu frühen Aust, doch nehmt Eure Sicheln, steigt zu Pferde, sagt dem Herzog, der ganz nahe in Auroy ist, daß er möchte heraus kommen, oder seine Leute, mich zu fangen, ich werde bis Sonnenuntergang auf ihn warten.« Die vierzig brachten dem Herzog diesen Gruß; keiner aber wagte es heraus zu kommen gegen Olivier Clisson.

Solche einzelne Augenblicke von Großmut ausgenommen, wurde der Krieg auf Tod und Leben und ohne Gnade fortgesetzt; doch blieben Clisson und die Seinen wohl in zwei Dritteilen der Gefechte Meister. Der Adel und die Städte von Bretagne mochten sich immer noch nicht mit den Waffen in diesen Streit mischen, der Herzog war ihr Lehnsherr und doch hingen sie von Herzen an Clisson. Die drei Herren, Rohan, Léon und Dignan brachten den Herzog dahin, daß er alles nachzugeben versprach, sobald nur Clisson zu ihm kommen wollte. Nach diesem Versprechen kamen diese drei Herren eines Tages nach der Feste Josselin zu Clisson, berichteten ihm, wie weit sie den Herzog gebracht, auch wie er ihm sicher Geleit hin und zurück versprechen lassen. – »Behüte mich Gott und St. Ives«, rief Clisson, »auf sein Versprechen möchte ich nicht aus dem Hause gehen, aber sagt ihm, wenn ihr mir gefällig sein wollt, daß er seinen ältsten Sohn mir als Geisel zuschicken und lassen sollte, so lange die Unterredung dauern möchte, so [320] würde ich gern mit dem Herzoge reden, wo es sei; und wie er mir dann täte, so sollte seinem Sohne geschehen, käme ich zurück, so käme er auch zurück.« – Als die drei Herren sahen, daß sie nichts weiter von ihm erhalten konnten, nahmen sie sehr zärtlichen Abschied von ihm, kehrten zurück zum Herzoge, brachten ihm diese Antwort; aber dieser mußte noch mehr Bedrängnis erfahren, ehe er zu solchem Entschlüsse kam. So wurden ihm bei manchem andern Verluste auf einem Schlosse alle goldnen und silbernen Geräte und Edelsteine genommen. Er fühlte endlich, so mächtig er sei, er käme doch nicht mit der Kraft dieses einen Mannes zu Ende, dessen Befreundung und Bewunderung sich in Bretagne täglich mehrte, der auch heimlich von dem Herzoge von Orléans unterstützt wurde. Er sah sich am Schlusse eines mühvollen, tätigen, geschäftreichen Lebens wenig geliebt von seinen Landsleuten, die sich alle mehr dem Johann von Bretagne zuneigten, den Clisson einst aus englischer Haft loskaufte und mit seiner Tochter vermählt hatte, worüber sein Haß gegen den Kronfeldherrn ausgebrochen war. Er selbst fühlte sich altern, seine Kinder waren noch zu jung; und außer dem Herzoge von Burgund und dessen Frau, hatte er keine Freunde in Frankreich. Von England konnte er sobald keinen Beistand erwarten, der Friede mit Frankreich schien sich zu befestigen. Das alles bildete er sich heimlich vor, und als er es lange betrachtet, so beschloß er seinen Sinn zu brechen, der ihn gegen Clisson geführt hatte, und ohne Falsch einen sichern Frieden mit ihm einzugehen, und ihm zu vergüten, was Haß und Verfolgung ihm während des Krieges geschadet, in so fern Clisson ihn und seine Kinder als Herzöge von Bretagne anerkennen wollte. Dem Herzoge Johann wollte er einen größeren Güterteil zuwenden, seine Linie sollte folgen, wenn die seine ausgestorben. Als der Herzog das alles bei sich überlegt hatte, ohne einen seiner Räte zu fragen, so ließ er einen Schreiber in sein Zimmer kommen, schloß sich mit ihm ein, nahm einen großen Bogen Papier und sprach: »Schreib mir, was ich dir vorsagen werde!« – Der Schreiber schickte sich an zum Schreiben, und der Herzog sagte ihm von Wort zu Wort alles vor, was oben von den Bedingungen erzählt worden, und bat Clisson sehr artig um eine geheime Unterredung, so würde alles noch gut werden. Als der Brief fertig war, siegelte er ihn mit seinem Insiegel, ohne irgend eines andern Gegenwart als des Schreibers, gab ihn [321] seinem verschwiegensten Diener, mit dem Auftrage: »Geh zum Schlosse Josselin und sage dreist, daß ich dich schicke, um mit Olivier Clisson zu reden. Man wird dich zu ihm führen, grüß ihn und gib ihm diesen Brief; doch so lieb dir dein Leben, sage niemand, wohin du gehst, noch wer dich schickt.« – Als der Diener vor Josselin anritt, da verwunderten sich die Schloßwachen gar sehr, als sie hörten, daß er vom Herzoge von Bretagne komme. Clisson ließ den Diener vor sich kommen, empfing dann den Brief aus seinen Händen, und sah gleich, daß er mit des Herzogs geheimem Insiegel zugemacht war, das er wohl kannte. Er las ihn zwei bis dreimal, und verwunderte sich immer mehr über die guten Worte, die ihm der Herzog gab, befahl auch gleich, den Diener in ein gutes Zimmer zu bringen, worüber sich die Wachen verwunderten, da sonst kein Herzoglicher aufs Schloß gebracht worden, der nicht zum Tode, oder ins Verlies verurteilt war. Als Clisson in seinem Zimmer, dachte er ernstlich über die Neuigkeit nach, er überwand sein Mißtrauen und sagte, daß er ihn einmal auf die Probe stellen wollte. So schrieb Clisson einen artigen, handlichen Brief an den Herzog, doch war der Schluß, daß er sich zu einer geheimen Unterredung nur unter der Bedingung verstehen könne, wenn er ihm seinen Sohn als Geisel schickte, eingedenk seiner Gefangennehmung auf dem Schlosse L'Hermine. Dieser Brief wurde gleich gesiegelt und mit demselben Diener zurückgeschickt, der ihn heimlich seinem Herrn überreichte. Der Herzog nahm ihn, öffnete ihn und las ihn, dachte einige Augenblicke nach, dann sagte er: »Ich will es tun! handle ich mit ihm freundlich, so muß auch jeder Beweis dabei sein.« – Er schrieb an die Herren von Rohan, Montboursier und Tègre. Sie kamen; er erklärte ihnen seinen ganzen Willen und übergab ihnen seinen Sohn, daß sie ihn als Geisel zu Olivier Clisson brächten. Sie kamen zu Clisson, der sie sehr ehrenvoll aufnahm. Als er das Kind und die gute Gesinnung des Herzogs wahrnahm, so beugte er sich. Die Herren sagten ihm: »Herr, nun seht Ihr doch den guten Willen des Herzogs!« – »Ich sehe ihn«, antwortete Clisson, »und da ich diesen sehe, will ich mich in seinen Willen geben. Kann ich den Prinzen als Geisel behalten, wie ich ihm geschrieben?« – Alle riefen mit einer Stimme, daß sie ihn darum brächten, und daß er ihnen als seinen Blutsverwandten wohl trauen könnte. Hierauf zeigte er ihnen des Herzogs Brief, und sie versicherten [322] ihm, daß er alles das auch gegen sie geäußert. – »Nun, um so besser«, rief Clisson, machte sich fertig zum Ritt, nahm das Kind mit und ritt mit ihnen von der Burg Josselin gen Vennes, wo er auf Anordnung des Herzogs bei der Kirche vor der Stadt abstieg, er wollte dahin zu einer Unterredung kommen. Er kam gleich hinaus, und als er seinen Sohn erblickte, so rechnete er diese Artigkeit sehr hoch an, und es erheiterte ihre ersten Begrüßungen; sie erinnerten sich, wie sie in dem Alter des Knaben zusammen bei der großen tapfern Mutter des Herzogs auferzogen worden, die ihrem Sohne, nach dem unglücklichen Tode des Vaters, das Erbe durch die Worte gerettet, die sie den zweifelnden Anhängern mitten in ihrer Trauer zurief: »Ha ihr Herren, erschrecket nicht über Seiner Gnaden Verlust, es war doch nur ein Mensch, seht hier seinen kleinen Sohn, der soll ihn einmal ersetzen und euch viel Gutes tun.« – Nach diesen ersten Begrüßungen und Erinnerungen, wo sie sich beide im Sorgen gealtert wiederfanden, gingen sie allein zusammen durch den Garten an das Ufer einer Meeresbucht, stiegen in ein Boot, und darauf in ein größeres Schiff, das vor Anker lag, und als sie da von allen Menschen entfernt waren, sprachen sie wohl zwei Stunden mit einander, schworen einander Treue und Glauben ohne Verstellung. Nachher riefen sie den Bootsmann, der sie nach dem Schiffe gefahren, der brachte sie zurück zu dem Garten. Der Herzog führte dann Olivier Clisson feierlich an seiner rechten Hand in Vennes ein. Über diesen Frieden war große Freude in Bretagne, es öffneten sich die geschlossenen Städte, lang getrennte Verwandte begrüßten sich wieder, die Handelsleute führten wieder alle Bedürfnisse in Sicherheit, woran es bisher so drückend gemangelt hatte, die Landleute säeten wieder für sich und für die Ihren, auch wurde ihre Ernte genossen und nicht zertreten; das hätte lange so sein können. Johann von Bretagne ward bei diesem Frieden wohl bedacht: er gewann 20000 Goldkronen an Einkünften; sein ältester Sohn verheiratete sich mit der Tochter des Herzogs. – Craon, der inzwischen bei der Schwäche des Königs nach Paris ungehindert zurückgekehrt war, vernahm leider zu spät, wie er Clisson und den andern Räten wegen seiner Verbannung unrecht getan hatte, er wurde von der Königin von Neapel wegen einer Geldsumme vor dem Parlamente angeklagt, und lebte heimlich bei der Herzogin von Burgund versteckt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Sechster Winterabend. Olivier Clisson, Kronfeldherr von Frankreich. Olivier Clisson, Kronfeldherr von Frankreich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-07E9-3