Achter Winterabend

Sonntag

Der Sonntag durchglühte mich mit seinem eigentümlichen überschwenglichen Wohlsein, ich mußte mir Luft machen und schritt lustig durch die helle Sonne, die schon zur wärmenden Höhe sich erhoben, wie war ich verwundert, als ich mich vor dem Landhause unsrer Frau antraf; ganz unbewußt und in Gedanken hatte mich die Gewohnheit dahin geführt, ich fand das sehr artig. Bald fielen mir die unzähligen Menschen ein, die gleiche Gewohnheit eben so in die Kirche und zur Andacht heute führte, wie andre ein frommer Antrieb. Es ist etwas sehr Großes in der Gewohnheit der Völker, nur Begeisterung und Not sollten sie ändern dürfen. – Unsre Frau fand ich bei fünf dicken Oktavbänden: »Gut daß Sie kommen«, rief sie mir entgegen, »mir sind Jakob Böhmens Schriften von einigen so erbaulich geschildert, von andern wie eine Modekrankheit, und keiner von allen hatte eigentlich darin gelesen, da habe ich sie selbst vorgenommen, aber ich verstehe nicht alles, mir fehlt manche Kenntnis dazu.« – »Das Schicksal der meisten, aber wenige waren bescheiden genug wie Sie, sich selbst die Schuld beizumessen, den meisten schien er närrisch, weil sie sich an den dicken Bänden nicht wollten versitzen. Was den Stempel der Modekrankheit angeht, so glauben Sie nie daran, wäre eine geistige Modekrankheit möglich, so wäre unser Land noch sehr wohl daran, es könnte dann doch auf eine allgemeine geistige Berührung rechnen, und was nicht drauf ginge, würde endlich schon gesund. Was aber das einzig Entsetzlichste hier, ist das allgemeine Entadeln jedes Aufschwungs durch geistlosen Spott, das mußte auch die Freude einiger geistreichen [347] Männer an Böhmens Schriften erfahren.« – »Aber auch mein Singemeister«, sagte sie, »nannte ihn herrlich wahnsinnig, der sonst des Enthusiasmus wohl fähig.« – »Das ist ein Lob in seiner Sprache, er hält den Wahnsinn für die Matrize des wahren Talents, und bringt ihn in gute Gesellschaft, wahrscheinlich sind wir alle dabei, er sieht uns allen einen Seelenrausch an, sich selbst aber den schönsten. Wo ein Mensch in den Ruf des Wahnsinns gekommen, der von andern heilig geachtet, wäre es wohl am besten, sein Leben in treuer Erzählung zu überschauen, ein falschglänzendes verkehrtes Talent kann sich wohl in Schriften verstecken, aber ein heiliges Licht macht sich an dem reinen Glänze seines Lebens kenntlich. Ich habe mit Fleiß alles gesammelt, was ich darüber auftreiben konnte, Sie sollen es in diesen Tagen mit einer ganzen Sammlung frommer Biographien erhalten, auch manche Stelle seiner Schriften, die Ihnen zur Erklärung des Ganzen dienen kann, denn es ist das Eigentümliche aller, die von einzelnen Eindrücken erfinderisch tief gerührt sind, daß sie sich ihnen in mancherlei Gestalt verkünden; wer aber eine gefaßt, erklärt die andern leicht. Ich kam auf ähnlichem Wege wie Sie zu Jakob Böhmen. Einige Anekdoten seines Lebens, die spottend erzählt wurden, machten ihn mir lieb und ehrwürdig, welche wunderliche Gottheit ist der Ruf! Das traf in jene Zeit, wo man die Welt mit aller Herrlichkeit aus sich selbst allein hervorzublühen meint, wo die Geschichte nichts als der veränderliche Luftstrom ohne Gestalt zu sein scheint, der an jedem Blatte anders anlispelt, und ohne einen Mund, in dem er tönt, und ohne ein Herz, das ihn einzieht, nichts, gar nichts zu sein scheint. In göttlicher Selbstvermehrung wurden mir die Anekdoten zu einer langen Geschichte in Versen – ich will Sie Ihnen heute Abend vorlesen – bis mir das Schimpfen auf Jakob Böhme seine Schriften in die Hände gab, wo ich denn mit großer Verwundrung etwas ganz andres fand und etwas viel Besseres, als ich mir gefabelt hatte, aber meine Ansichten hatten sich freilich auch geändert. Die Jahrtausende, die ich voraus zu übersehen glaubte, schienen mir so leer wie ein ewiger Kalender, ich hatte das einzelne in der Geschichte achten gelernt, und wie ich sonst nureine einzige Aussicht in der Welt, die vom Chimborasso glaubte, so befriedigte mich jetzt allein der kleine belebte Winkel, den ich ganz erkennen konnte. So sah ich eben ein Kind auf einem Stühlchen bei einem Stangenzaune [348] sitzen und Steine zusammen lesen, die es alle besser kennt und zeichnet als Werner, und doch nicht sagen kann woran, die es hochachtet, ungeachtet es keine Edelsteine sind, und dann eben so leicht vergißt, wie der Vogel über ihm auf der Stange seine Stelle, wo er eben noch seinen Schnabel putzte und sang.« – »Ich finde jeden glücklich, wer darin eingehen kann«, sagte die Frau, »ich hatte auch solche Zeit, jetzt aber lassen Sie uns in die Kirche gehen, ich bin von mehreren Entschlüssen innerlich sehr bewegt, ich kann Ihnen noch nichts davon sagen; vergessen Sie heute Abend nicht Ihre Erzählung.«


Nachgefühl


Ich kam früher als alle andere, weil ich fürchtete zu spät zu kommen, ich hörte Gesang und trat leise ein, doch nicht unbemerkt. Unsre Frau versuchte einen neuen Flügel, an dessen Seiten Jupiters Lebensrettung in schöner Bronze auf dunkelrotem Mahagoni sich darstellte, da lag er als Kind vor der Höhle, Tauben nährten ihn, und die besorgten Cureten schlugen rings ihre Schilde an einander, um des Kindes Geschrei dem grausamen Vater zu verbergen. Sirenen mit Vogelleibern und schönen Mädchengesichtern trugen den Flügel. Über dem Griffbrette sah ich wieder dasselbe Bild in Uniform, das als Ölgemälde mit Blumenduft verehrt wurde. Sie nickte mir leise zu, indem ich eintrat und sang ihr Lied aus:


.... Ob Du lieb wie Sonnenschein,
Ob Dein Aug wie Feuer in der Nacht;
Ach das ist es nicht allein,
Ich hab noch viel mehr bei Dir gedacht!

»Und das singen Sie mir ins Gesicht?« fragte ich. Sie antwortete: »Denken Sie sich, diese Verse hat ein alter Mann auf mich gemacht, Sie sehen ihn heute Abend, älter sieht kein Mensch aus und keiner verliebter. Er ist mir entfernt verwandt und durch Einquartierung verarmt; um sein Haus los zu werden, das ihm kein Mensch abkaufen wollte, das ihm aber täglich viel kostete, hat er es angezündet; mit dem Reste seines Geldes machte er sich hieher auf den [349] Weg, bei seinen Kindern sorgenlos zu leben; er glaubt noch diesen Winter zu sterben. Der Alte war seelenvergnügt, Essen und Trinken sein Leben, da fällt ihm plötzlich seine ferne Verwandtschaft mit mir ein; er sieht mich, seit der Zeit hat er keine Ruhe.« – Sie zog bei diesen Worten eine Schieblade heraus: »Sehen Sie dieses Gemisch bunter Liebesbriefe auf gepreßtem Papier, die unzähligen Amoretten in der Arabeske, wie alles duftet, kosten Sie diese Maraskinobonbons, das kommt alles von ihm.« – »Der alte Tor kann wahnsinnig werden, gnädige Frau, weisen Sie ihn bald zurecht.« – »Nichts von Wahnsinn, ist das Glück nur ein Wahnsinn, wer möchte vernünftig sein; der Mensch ist glücklich, der noch lieben kann, mag es ihn noch so sehr quälen; und ich wäre die erste Frau, die sich bei der Flamme, die sie angezündet, nicht wenigstens einmal wohlgefällig im Spiegel sähe, es ist göttlich, eine Leidenschaft zu erwecken in andern und zu befriedigen; Gott behüte mich, daß ich den Alten stören sollte, dies letzte Jahr seines Lebens soll ihm ein Vorschmack ewiger Seligkeit sein, und was mir fehlt, das will ich alles in seinem Glücke wie im Spiegel sehen und zurückfühlen.« – »Was gedenken Sie zu tun?« – »Sie werden es heute noch erfahren, die Geschichte der Concordia, die Sie uns erzählten, schwebte mir während der ganzen Zeit vor. Wunderlich ist's, daß er nie glauben will, wenn ich ihm mein Wohlwollen zu erkennen gebe, daß er sich vor seinen Kindern der Leidenschaft schämt. Lesen Sie diesen Brief von heute«: »Silbernes Maiglöckchen, Du hast mich jung gemacht, Du machst mich auch erfinderisch; meine Tochter hielt mir vor, wie ich mir unterstanden, Dir die Hand zu drücken, da ich doch eben Tabak geschnupft. Gleich fiel mir ein, ihr zu sagen, Du hättest mir einen Dukaten für die Kinder der erfrornen Bettlerin in die Hand gedrückt, den sie ihnen auch gleich brachte, sie merkte gar nichts, und kaum war sie fort, so warf ich meine Dose aus dem Fenster. Der Tabak ist für immer abgeschafft, ein Kuß mehr von Dir ist doch mehr als alle Prisen, die ich diesen Winter noch nehmen kann. Ach Gott, wie bist Du lieb, was Du willst, ist gut, alles wird durch Dich gut; schick mir doch nur auf eine Stunde einen Deiner kleinen roten Schuhe. Was soll noch aus mir altem Manne werden, ich kann kaum diese Stunde ohne Dich leben, ich werde um zwei bei Dir vorbei fahren, sitze ja am Fenster, aber daß es auch die Leute nicht merken, Du [350] liebes Goldfischchen.« – Ich wollte unter den Briefen fortblättern, da trat zu meinem Erstaunen derselbe alte Mann ins Zimmer, den ich in die Stadt gefahren und für den Winter gehalten hatte; aber wie war er verändert, die grauen Kleider waren abgelegt, eben so der dünne Musikantenzopf, ein knapper blauer Frack mit Knöpfen, auf denen Britanniens Sonne herüberglänzte, eine Perücke, dunkles abgeschnittenes Haar darstellend, hatten die Oberhälfte seines Körpers verjüngt, das Fußgestell wollte sich nicht mehr richten lassen. – »Sie erlauben mir, diese Bilder meiner Wünsche zu überreichen«, sagte der Alte sehr zierlich, indem er eine Tüte mit französischen Küssen überreichte. – Sie dankte und stellte ihn mir als Herrn Winter vor. Als er mich erblickte, wurde er rot. »Ei willkommen«, sagte ich, »was macht der Kobold?« – Gleich traten die übrigen ins Zimmer, es tat mir leid, der Alte setzte sich zur Ruhe am Ofen, nahm einen Schal der Frau und zog ihn abwechselnd durch die Finger, der Invalide sah ihn nachdenklich an, ich begann zu lesen:

Der Durchbruch der Weisheit

Zu Jakob Böhmen kam gezogen
Ein jung Gesell aus Böhmerland,
Hat mit der Kundschaft ihn betrogen,
Jesuiter hatten ihm gesandt.
Er traut ihm, weil er Sela heißet
Er führt ihn in die Werkstatt ein,
Er gibt ihm, weil er frömmelnd gleißet,
Der eignen Kugel Lampenschein.
Er hat Geduld mit dem Gesellen,
Der wenig mitbringt aus der Lehr,
Er denkt bei sich in solchen Fällen:
Ein frommes Herz kann viel und mehr.
Der Meister lehrt ihm Pechdraht ziehen,
Nach sächsisch Art zu nehmen Maß;
Im tücht'gen Werk ist sein Erziehen,
Die Weisheit er aus Werken las.
[351]
Des Meisters Liebe zu gewinnen,
Strebt Sela jeden Augenblick,
Und seine Lebensstrahlen rinnen
Aus Meister Böhmens hellem Blick.
Ganz leise führet ihn der Lehrer
In Stufenfolge hoch hinauf,
Wo ihm, dem englischen Beschwörer,
Die Morgensonne gehet auf.
Einst sagt er: »Hör jetzt wie die Zinken
Vom Turm im Windstoß klingen her,
In heller stiller Luft sie blinken,
Der Ton versank im luft'gen Meer.
So muß die Lust der Farben scheiden
Wohl in der Früchte innerm Sinn,
Du mußt die Lust des Lebens meiden,
Steigt nüchtern Wasser dir ans Kinn.
Hat dich die Weisheit ganz verschlossen,
Dann wacht im Ohre Melodei;
Der Himmel ist dir aufgeschlossen,
Dein Blut ist Gott, dein Herz wird frei.
Bin eines armen Bauern Knabe,
Und hütete der Zicklein sein,
Um wenig Kost und Weihnachtgabe,
Und wünschte einst mir Flügelein.
Die Zicklein wollte ich ereilen,
Und hatte mich verstiegen fast,
Die Lüfte tat ein Adler teilen,
Und mich bei meinem Röcklein faßt.
Da hat der Adler mich getragen
Hin zu dem Berge Landeskron,
Daß in der Freude viel Verzagen,
Ich wünschte mich recht weit davon.
Da sah ich hoch von rotem Steine
Ein Tor gewölbet rund und spitz;
[352]
Da ließ der Vogel mich alleine,
Da ruhten Zicklein in der Hitz.
Da hab ich auch hinein gesehen,
Hab einen großen Schatz erblickt,
Hab drin gespielt und ließ ihn stehen,
Ein alter Mann da freundlich nickt.
Dem war der Bart so wild zerzauset,
Als hätt er eine böse Frau,
Es hat mir nicht vor ihm gegrauset,
Er zeigte mir den ganzen Bau.
Dann mußt ich seinen Bart ihm rechten,
Zu dreien Strahlen eingestrählt,
Ich täte ihn gar künstlich flechten,
Und hab ihn wohl dabei gequält.
Ich nahm dann Abschied von dem Alten,
Der Abend glänzte an dem Tor,
Ich ließ mich nun nicht länger halten,
Daß ja kein Zicklein sich verlor.
Und als die Vögel krochen unter,
Kam ich bei meinem Bauer an;
Mein Auge lachte mir so munter,
Die Backen klopft der alte Mann.
Und als er alles hat gehöret,
Da stieg er gleich mit mir zurück;
Da war das rote Tor zerstöret,
Es lag da manches Felsenstück.«
Und so erzählt er ihm noch vieles,
Wie er schon früh an sich geglaubt,
Wie er entbehrt des Kinderspieles,
Wie ihm die Fröhlichkeit geraubt.
Erzählt ihm, wie in eine Schüssel
Die Sonne schien aufs blanke Zinn,
Und müd und schwach er fand den Schlüssel
Der kräftigen Mysterien drin.
[353]
Wie er von diesem Licht durchdrungen,
Vors Tor sich zu zerstreuen ging,
Hat Kraut und Stein im Geist umschlungen,
In ihrer Signatur umfing.
Da dacht er, wie ihm einst gesaget
Als Lehrjung ein ganz fremder Mann,
Er solle fleißig sein wenn's taget,
Da gingen die Mysterien an.
Es könne wohl aus ihm was werden,
Das deute ihm der hohe Kopf,
Wie alles, was geheim auf Erden,
Verschließ der hohe Kirchenknopf.
Wie er geängstigt von dem Streite
Der Menschen über Gottes Wort,
Gefleht, daß Gott die Flügel breite
Und ihm verkünde seinen Ort.
Wie sieben Tag ihn hat umfangen
Ein göttlich Licht und Freudenreich,
Ganz in Beschaulichkeit vergangen
In der Gestirne Liebe reich.
Wie er es eilend hat verkündet
Und sieben Jahre darnach schwieg,
Weil Pred'ger sagten, daß gesündet,
Wer sich mit Offenbarung trüg.
Wie seine Obrigkeit geboten,
Daß er nur blieb bei seinem Leist,
Das Bücherschreiben ihm verboten,
So bleibet still bei ihm der Geist.
Bis ihm ein viertes Licht gezeiget,
Er müsse sagen, was er wüßt,
Wie fromme Leut dem Sinn geneiget,
Geglaubt, es sei kein falsch Gelüst.
Wie er darauf so viel geschrieben,
Und gar nichts ausgestrichen hat,
[354]
Aus einem Guß war es getrieben,
Und wie ein Eisgang war die Tat.
Wie ihn die Pred'ger angetastet,
Der Rat ihn nicht verstanden hat,
Wie es so schwer auf ihm gelastet,
Daß so viel Menschen stumpf und matt.
»Mein Sohn, die Kraft ist Wechselringen,
Die Mannigfalt im ew'gen Streit,
Mit der Vollkommenheit Durchdringen,
Die Form bald eng und bald zu weit.
Bis sich die Reihen aller Wesen
Nach ihrem ein'gen Gegensatz,
Zum neuen Menschen sich erlesen,
Das Niedrigste zum höchsten Schatz.
Auf lerne denn mit ew'gem Streben
Das einzelne in der Natur,
So wird der Sinn dich überschweben,
Doch nur auf deiner eignen Spur.
Der Mensch von allem trägt die Zeichen,
Darum versteht er alle Welt,
Die Welt bemüht sich ihm zu gleichen,
So weitet sie der starke Held.
Wer seinen festen Grund gefunden,
Der ist in reiner Demut stark,
Ihm ist des Schicksals Grimm verschwunden,
Die Larve einen Engel barg.
Jetzt fühl ich mich in sel'gem Leben
Nicht ungestört, nicht ohne Fehl,
Doch gar ein ernstliches Bestreben
Durchwebt zu Eins so Leib und Seel.«
Bald kannte Sela alle Kräuter,
Der innern Erde Flimmerreich,
Doch kam er in dem Wort nicht weiter,
Der Schleier reißet nicht sogleich.
[355]
Und schon will er nach Hause ziehen,
Er meint: Es ist der alte Mann;
Wie eine Kohle im Verglühen,
Die nur noch Asche zeigen kann.
Und die Jesuiten Väter rufen,
Sie glauben mich sogar verführt,
Da doch von seinen Himmelsstufen
Die kleinste nicht mein Fuß berührt.
Doch hält ihn noch des Greises Güte,
Der in des Jünglings freiem Sinn,
Sieht seiner Jugend fromme Blüte,
Aus Sturm zum Sonnental sieht hin.
Und in der Unschuld ew'gen Kräften
Sieht er des Jüngers künft'ge Macht,
Kein Hexensprung in den Geschäften,
Ein klarer Tag folgt klarer Nacht.
Doch wie der Scherz zum Scherz gekommen,
So schmilzt der Schnee, so grünt die Au,
Im Land vom Segen übernommen
Die Händ der Engel, Denker schau,
Die kleiden an die nackten Bäume,
Sie decken auch der Erde Bett,
Und daß der Bach recht fröhlich schäume,
So baden sie in seinem Bett.
Aurora heißt des Meisters Tochter,
Sie lebet gänzlich der Natur,
Viel über ihn, für ihn vermochte,
Denn viel gelingt der Jungfrau nur.
Sie kann den Takt des Weltalls fühlen,
Den Puls, der in der Flamme wallt,
Das Erz muß tief den Fuß schon kühlen,
Manch heilsam Kraut ihr rauscht im Wald.
Sie sieht die ernsten Parzen sitzen,
Ihr sind sie noch wie Grazien schön,
[356]
Weiß sie mit Reden zu beschmitzen,
Daß sie nicht auf die Arbeit sehn.
Und spinnen aus zwei Stück das Leben
Des Vaters mit dem ihren fest,
Die Haspel kann es nicht angeben,
Aurora hält den Klöpfel fest.
Der Hände Linien kann sie deuten,
Sie weiß voraus die Witterung,
Die Elfen sagen's ihr bei Zeiten,
Zu allem hat sie Zeit genung.
Sie war im Gartenhaus vom Lehrer,
Sie sah den Spinnen helfend zu,
Und daß kein Kleid der Werke Störer,
So war sie nackt bis auf die Schuh.
Die Schuhe blau mit goldnen Sternen,
Sie schien in Himmelslicht getaucht.
Und Sela kann sich nicht entfernen,
Als er an ihrer Türe lauscht.
Nie ist sie ihm so vorgekommen,
Er sah sie oft, doch nie wie heut,
Wie Kinderschönheit ganz vernommen,
Nur in der ersten Mutterfreud.
Er schreitet staunend in die Türe,
Und ruhig sieht die Jungfrau ihn,
Sie ahndet nicht, daß sie verführe
Und warum sollte Unschuld fliehn.
Nachdenklich ging er in den Garten,
Den Bäumen sagt er: Lebewohl!
Ein wenig braucht er nur zu warten,
Er lebet selber also wohl.
Bewußtlos aus der Blumenquelle
Hat er mit seiner Hand geschöpft,
Schöpft er der Liebe rote Welle,
Der Liebe Blume unerschöpft.
[357]
Die tausendfach sich mag gestalten,
Mit hundert Blättern wunderbar,
Sie mag mit Streifen sich entfalten,
Die Blätter duften immerdar.
Die Rose sieht er sich in Händen,
Die er bedachtlos vorher brach,
Er muß sie nun zum Lichte wenden,
Und denket nicht dem Sinne nach.
Er ist im Sinn, er ist nicht seine,
Er ist ein Werkzeug der Natur,
Er steht im höchsten Lebensscheine,
In Sonnennähe er jetzt fuhr.
Wer weiß es denn, was er will sagen?
Wer höret denn, was es gewirkt?
Doch was der Liebe kann behagen,
Das ist aus reinem Stoff gewirkt.
Sie nimmt die Rose, nimmt den Spiegel,
Hält ihm ihn vor und hält ihn dann
Vors eigne Herz; ihr Kuß ist Siegel,
Im Herzen spiegle sich der Mann.
Im reinen Herzen so zu stehen,
Ist höher als auf dem Altar;
Das Volk mag falsche Götzen sehen,
In diesem Herzen steht, was wahr.
Hier in dem Augenblick erscheinet
Ihm seines Lehrers ganzer Sinn,
Warum er oft betrübt geweinet,
Ist dieses Augenblicks Gewinn.
Wie so der Jungfrau Atmosphäre
Ihn führet zu der Weisen Stein,
Wie er auf selbstgetriebner Fähre
Schifft in das Paradies hinein.
Aurora ist ihm aufgegangen,
Der Schleier reißt, die Luft quillt frei,
[358]
Das Licht ans Auge sich tut hangen,
Daß auch die Ferne seine sei.
Zum Durchbruch ist die Weisheit kommen,
Befruchtend überströmt das Land,
Der Menschen Torheit fortgeschwommen,
Zerrissen ist der Erde Band.
Als lang der Meister ihn gerufen,
Er höret nicht, er sieht auch nicht,
Der Meister auf der Türe Stufen
Steht da wie ein vergessen Licht.
Es könnte hier wohl Unglück zünden,
Doch dienet es den Irrenden,
Es will nur leuchtend sich verkünden
Und brennt nicht die Verwirreten.
Der Vater steht vor ihnen beiden
Und lächelt ihnen freundlich zu,
Und tut noch nichts sie da zu scheiden,
Drückt beider Händ zusamm' in Ruh.
Da fällt der Jüngling ihm zu Füßen
Und weint und rufet dann zu ihm:
»Eh ich dich heut als Vater grüße,
So wiss', daß ich es nicht verdien.
Jesuiter hatten mich gesendet,
Zu stehlen deine tiefe Kunst,
Für sie hatt ich das Heft entwendet,
Doch war die Kunst mir ohne Gunst.
Nimm dieses Messer zu erstechen
Den, der dein reines Blut verkauft;
Ja töte mich, ich kann nicht sprechen,
Bis ich das Haar mir ausgerauft.«
Ernst sagt der Meister an der Pforte:
»Die Kunst ist nur des Guten Lohn,
[359]
Was du gelernt, das sind nur Worte,
Der Opferrauch nur vor dem Thron.
Hast du die Lehre wohl vernommen,
So nimmt sie dir kein Frevler fort,
So bist du fest von ihr genommen,
Und du nur bist ihr einzig Wort.
Aus Silben wird ein Wort entstehen,
Buchstaben stellen Silben dar;
Doch wirst du drum das Wort verstehen,
Weil dir der Buchstab worden klar.
Du hast mit ernstlichem Bemühen,
Mit frischer Kraft zusamm' gelernt,
Der Tag wird heiß zusammenglühen,
Was winterlich getrennt entfernt.
Denn als Aurora dir erschienen,
Da lief ein Blitz an dir entlang,
Dem Schiffer scheinen so Delphinen,
Sirenen grüßen ihn mit Sang.
Das wilde Meer, das ihn geschrecket,
Erscheinet ihm in Wiegenlust,
Der Kindheit Freude ist erwecket,
Und was getrennt, vereint die Brust.
Mein Wort, das schien dir wild zerrissen
Und ohne Sinn mein voller Sinn;
Doch jetzt erwachet dein Gewissen,
Du reichest zur Gewißheit hin.
Und wer sie einmal hat gefunden
Der findet sie auch überall,
In allem Sein ist sie gebunden,
Er löset nun den Geist vom All.
Geselle, ja ich bin gerühret,
Denn eine Flamme deutet an,
Die deine Stirne herrlich zieret,
Was Liebe eilig wirken kann.
[360]
So wie die Flammen nächtlich scheinen,
Wo einen Schatz die Erde deckt,
Der Seher sieht die Flammen scheinen,
Den Schatz hat Liebe auferweckt.«

»Sehr wunderlich«, riefen einige. – »Besonders das Bergtor.« – Ariel versicherte, daß er im Salzburgischen einen Bürger gekannt, der täglich um einen Berg gegangen, wo er einmal einen Eingang entdeckt. – »Dergleichen Erzählungen sind häufig, am auffallendsten aber eine vom Zobtenberge, die ich aus meiner Biographie Böhmens Ihnen mitteilen wollte.«

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Achter Winterabend. Sonntag. Sonntag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0B59-3