Das Rebhuhn

Es war ein reicher Jude, der reiste durch ein Königreich und trug mit sich einen großen Schatz an Geld und Gute. Da ihn nun sein Weg durch einen großen Wald führen sollte, fürchtete er sich, daß er um seines Geldes willen darin etwa sein Leben lassen müsse, und ging daher zu dem Könige des Landes, reichte ihm ein Geschenk dar und bat, daß der König ihm einen sichern Mann mitgebe zum Geleite durch den Wald und durch sein ganzes Reich. Da gebot der König seinem Schenken, dem Juden das Geleit zu geben, und dieser tat, was ihm geboten war, und geleitete den Juden.

Als nun diese beiden in den Wald gekommen waren, da gelüstete dem Schenken nach dem Schatz des Juden, und er stand still auf dem Weg und sprach zu ihm: »Gehe voran!« Der Jude erschrak, ahnete des Schenken böse Absicht und wollte nicht vorangehen. Der Schenke zog alsbald sein Schwert aus der Scheide und rief: »Jud, so mußt du hier von meiner Hand sterben!« – »O lieber Schenke, tut das nicht!« rief der Jude, »solche Mordtat an mir würde nicht verborgen bleiben! Und ob heimlicher Mord von allen Menschen ungesehen vollzogen wird, so werden ihn die Vögel offenbaren, die unter dem Himmel fliegen!«

Wie der Jude das noch sprach, flog eben ein Rebhuhn im Walde auf, und über ihnen beiden hin. Da hohnlachte der Schenke und sprach spöttisch: »Hab Acht, Jud, das Rebhuhn [357] wird's dem Könige sicherlich ansagen, daß ich dich hier ermordet.« Und so ermordete der Schenke den Juden im Walde, nahm ihm alle sein Geld und seinen Schatz, den er bei sich trug, begrub ihn heimlich und ging wieder zu Hofe.

Und es verging ein ganzes Jahr nach des Schenken ungetreuer Tat, da geschah es, daß dem Könige Rebhühner geschenkt wurden, die gab der Schenke dem Koch, ließ sie wohl bereiten, und brachte sie zur Tafel. Und wie er die Rebhühner vor den König hin auf den Tisch stellte, dachte er an den Juden, den er ermordet hatte, und an dessen letzte Rede von den Vögeln und mußte lachen. Der König sahe es, und fragte, worüber er lache? Der Schenk aber gab dem Könige eine falsche Ursache seines Lachens an.

Nachher über vier Wochen geschah es, daß der König seinen Amtleuten und Dienern ein Gastmahl gab, dabei war auch der Schenke, und der König selbst war sehr fröhlich und heiter, scherzhaft und lustig, und ließ so viel Wein und edle Getränke auftragen, daß etliche seiner Diener trunken wurden. Und da alle so lustig waren, sprach der König zum Schenken: »Lieber Schenk, jetzt sage mir die freie Wahrheit, worüber hast du gelacht unlängst, da du mir die Rebhühner auftrugst, denn du hast mich damals nicht mit wahren Worten berichtet!« Der Schenk war trunkenen Mutes, denn wenn der Wein eingeht, geht die Weisheit aus, und sprach: »Ei, mein Herr König, als der Jude schrie, die Vögel würden seinen heimlichen Mord offenbaren, die unter dem Himmel fliegen, da flog eben ein Rebhuhn in die Höhe, dessen mußte ich gedenken und darüber lachen.«

Der König schwieg auf diese Rede still, ließ sich nichts merken, und tat, als sei er nicht in seiner Fröhlichkeit gestört. Aber des andern Tages ging er zu Rate mit seinen heimlichen Räten, und sprach also zu ihnen: »Was hat der verschuldet, der von des Königs wegen einen durch das Reich [358] sicher geleiten sollte, und hat denselben selbst ermordet und beraubet?« Darauf antworteten die Räte einstimmig: »Der hat den Galgen verdient!« Darauf saß der König öffentlich zu Gericht, bestellte einen Kläger, der den Schenken anklagte, und da er seine Tat vor Zeugen im Rausche erzählt, so mußte er sie auch vor Gericht bekennen und wurde zum Galgen verurteilt. So ward der heimliche Mord durch die Rebhühner kund und offenbar.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Deutsches Märchenbuch. Das Rebhuhn. Das Rebhuhn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2D09-9