Über die neue Theologie, an Andres

Du reibst Dir auch die Stirne, Andres, über den Unfug mit der Bibel, und daß die Menschen »sich so bald abwenden lassen auf ein ander Evangelium, so doch kein andres ist, ohne daß etliche sind, die uns verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren«.

Im Anfang, als die etliche hervorrückten, wollte ich meinen Augen nicht trauen, und dachte daß dabei irgendeine andre Absicht, die ich nicht absehen könne, hinter dem Berge halte. Man hat, unbesehen, Achtung für gelehrte Leute; und ich konnte nicht glauben: daß es möglich sei, so leichtsinnig und unverschämt zu sein, andern Leuten, die doch auch Menschenverstand haben, solche Sachen zu bieten und als Weisheit auszugeben; noch weniger: daß man einer bestehenden Religion so ins Angesicht Hohn sprechen dürfe. Wie gesagt, ich dachte, hinter dem Berge halte etwas, das ich nicht absehen könne.

Aber es hält nichts hinter dem Berge, es hält alles vor dem Berge und vor Augen; und ist, worauf ihrer, so viele und von allen Parteien, ausgehen mehr oder weniger, nichts anders als ihre Vernunft in der Religion den Meister spielen zu lassen, und alles was sie nicht begreifen und darin allein die Religion und der Glaube besteht, herauszutun, um in den Zeiten der Vernunft auch ihres Orts nicht müßig zu sein, und ihre Ehre in Sicherheit zu bringen.

Und da nehmen sie nun alles zu Hülfe, Gelehrsamkeit und Wohlredenheit, Altertümer und Sprachgebrauch, Akkommodation [596] und Babylonische Teufel, Volkssinn und Volksunsinn, um den offenbaren Verstand und die klaren Worte der Heiligen Schrift unmündig und aus Weiß Schwarz zu machen. Und andere, die noch wohl lieber beim Weißen blieben, laufen mit, weil sie den Wert ihrer Sache nicht kennen, und es ihnen an Kraft und Mut fehlt, den Verdacht deralten Einfalt und des Zurückebleibens auf sich zu laden.

»O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, daß ihr der Wahrheit nicht gehorchet? – ImGeist habt ihr angefangen, wollt ihr's nun im Fleisch vollenden?«

Aber, Andres, Du bist der Meinung, es sei immer solcher Unfug gewesen; man solle schweigen und zusehen, bis auch dieser Schwindel wie der Revolutionsschwindel vorübergehe und sie aus Schaden klug werden.

Der Meinung bin ich aber nicht. Es ist wohl immer solcher Unfug gewesen, aber er ist doch mit mehr Zurückhaltung getrieben worden und so nahe ist er uns noch nicht gekommen. Und schweigen ist freilich das sicherste und bequemste, auch die meiste Zeit das gescheuteste; aber ich denke, in einer Sache, die alle Menschen so nahe angeht, kann man nicht zu früh und zu viel widersprechen; ich denke in einer solchen Sache darf kein ehrlicher Mann schweigen und die Pluralität scheuen, er muß unverhohlen seine Meinung sagen, und vorliebnehmen was darauf folgt.

Wäre ein religiöses Parlement, so ließe man eine förmliche Protestation gegen die Ministerialpartei in die Parlementsregister einrücken für Welt und Nachwelt; denn man muß sich schämen, ein Zeitgenosse gewesen zu sein, wo solche Akte passiert sind.

Die Menschen sind doch einmal unwissend und blind über das Unsichtbare, sie kennen doch ihren unsterblichen Geist nicht und wissen ihm keinen Rat; Gott weiß einen, und promulgiert eine Arzenei, die sich bei Tausenden bewährt hat und sich bei allen bewährt, die sie nach Vorschrift gebrauchen – und da kommen sie und wollen Gott meistern und seine Arzenei nach ihrem Dispensatorio einrichten und ändern! ... Kann es einen größern Unsinn geben? Und können sie es für die verantworten, die durch sie verführt werden, die Arzenei Gottes ungebraucht zu lassen, und ihren Quacksalbereien nachzulaufen?

»Ich tue euch aber kund, lieben Brüder«, sagt der Apostel, »daß das Evangelium, das von mir geprediget ist, nicht menschlich [597] ist. Denn ich habe es von keinem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.«

Wenn das Christentum weiter nichts wäre, als ein klares allen einleuchtendes Gemächte der Vernunft; so wäre es ja keine Religion und kein Glaube; und warum wäre denn gesagt, daß die Welt den Geist des Christentums nicht sehe und nicht kenne 189, und wie hätte seine Einführung unter den Menschen so viel Widerspruch und Blut kosten können? –

Und das, wozu tausend Jahre Zeit nötig gewesen sind um es allgemein in Europa einzuführen, wofür die Könige und Fürsten so viel gekämpft und gestritten und es als das Glück ihrer Länder angesehen, wofür unsre Väter und Vorfahren so viel gelitten und Leib und Leben gewagt und hingegeben haben, und was wir alle, ein jeder von uns, heiligzuhalten und zu bewahren mit Mund und Hand gelobt und versprochen haben, was unsre Seelen selig machen kann – das sollten wir uns ohne Schwertschlag, unter dem Schein der Aufklärung und einer bessern Einsicht, unvermerkt und unter der Hand, nehmen und aus den Händen winden lassen ... das sei ferne! das wolle Gott nicht! das werden unsre Könige und Fürsten nicht wollen; das wird keiner wollen, der sich und die Seinen liebhat.

Was aber auch werden mag, Andres, Dir und mir soll es niemand nehmen, weder Schwachheit noch Klugheit, weder Süß noch Sauer. Wir wollen es, nach Moses Rat, »in unsre Seelen fassen, und zum Zeichen auf unsre Hand binden, daß es ein Denkmal vor unsern Augen sei; wir wollen es unsre Kinder lehren, und davon reden, wenn wir im Hause sitzen oder auf dem Wege gehen, wenn wir uns niederlegen und wenn wir aufstehen.«


Dabei bleibt's. Andres. Leb wohl.

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TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Siebenter Teil. Über die neue Theologie, an Andres. Über die neue Theologie, an Andres. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5424-3