Claude Prosper Jolyot Crébillon
Der Schaumlöffel
Eine japanische Geschichte
(L'écumoire)

Vorrede des französischen Übersetzers

1. Kapitel. Von der Geschichte dieses Buches
Erstes Kapitel
Von der Geschichte dieses Buches

Dieses Werk ist unstreitig eines der kostbarsten Denkmäler des Altertums. Die Chinesen halten es so hoch, daß sie es nicht unwert finden, es dem großen Konfuzius zuzuschreiben. Die weisen Lebensregeln, die gute Moral, die herrliche Erfindungskraft, die sonderbaren Ereignisse und die Ordnung, die man überall darin antrifft, alles hat sie notwendig dahin bringen müssen, jenen großen Philosophen für den Verfasser zu halten oder wenigstens zu wünschen, daß es von ihm sein möchte. Gleichwohl ist dies Buch von Kiloho-ee, der eine glänzende Rolle in China spielte und mehr als zehn Jahrhunderte vor dem Konfuzius lebte. Er war erster Gesetzmandarin, mit den ersten Würden des Reichs bekleidet und bei seinen Landsleuten durch eine große Anzahl historischer, politischer und moralischer Schriften hinlänglich bekannt.

Ein gelehrter Chinese, 1 der vor vierhundert Jahren die Literaturgeschichte seines Vaterlandes mit bewundernswürdiger Genauigkeit beschrieb, hat mit unwiderleglichen Gründen bewiesen, daß Kiloho-ee einzig und allein Verfasser dieses Buches ist. Was letzterer der Welt mitgeteilt hat, ist nur ein Bruchstück einer weitläufigen Geschichte und sozusagen nur der Versuch der Geschichte eines ganzen Volkes. Die Gründe, die ihn zwangen, sein Projekt aufzugeben, sind uns nicht bekannt geworden.

So viele Ehre Kiloho-ee auch von dem Anfang des Werks erwartet haben mag, der nur die Privatgeschichte eines Prinzen enthält, hat er sich doch nicht enthalten können, freimütig [5] zu gestehn, daß er es aus dem Altjapanischen nach einem uralten Manuskript übersetzt habe. Der japanische Verfasser hatte es selbst aus der Sprache der Scheschianer übersetzt, eines Volks, das zu der Zeit schon nicht mehr lebte.

Der Japaner versichert an irgendeiner Stelle, daß seine Nation es sich zur Ehre anrechnete, von den Scheschianern abzustammen; er aber scheint dieser Meinung nicht zu sein, weil selbst zu seinen Lebzeiten kein Beweis mehr von dieser Abstammung aufzufinden war und er als ein einsichtsvoller Autor dafürhält, daß eine Sache von solchem Belange nicht genugsam bestätigt werden kann. Er lieferte hierüber eine Abhandlung, die Kiloho-ee nicht übersetzt hat, weil sie keine wichtigen Aufschlüsse gab. Heutzutage würde es noch weit schwerer sein, darüber etwas Bestimmtes zu erfahren. Man wird deshalb mit Bewilligung des Lesers zu Dingen übergehen, die sich leichter erörtern lassen.

Fußnoten

1 Cham-hi-hon-chu-ka-hul-chi hist. litt. fin. Peck. 1306 p.m. 155. vol. I.

2. Kapitel. Wie dieser Schatz nach Frankreich gekommen ist
Zweites Kapitel
Wie dieser Schatz nach Frankreich gekommen ist

Vor beinahe hundert Jahren befand sich zu Nanking ein Holländer, der ein Mann von Geist war. Seines Handels wegen mußte er sich dort längere Zeit aufhalten, so daß er das Chinesische ziemlich gut erlernen konnte. Um sich noch mehr darin zu festigen, wollte er eine Übersetzung verfertigen. Da fiel ihm dieses Buch in die Hände. Er bewunderte es und machte sich an die Arbeit. Nach drei Jahren war es ihm gelungen, es ins Holländische übertragen zu haben; indes freilich sehr unvollkommen, wie er selbst eingesteht. Er fühlte wenig Drang, es dem Publikum zu übergeben.

Nach Europa zurückgekommen, überließ er sein Werk [6] einem Busenfreunde, dem hochberühmten Magister Joannes Casparus Crocovius Putridus in Leipzig, der in der gelehrten Welt durch den Disput sehr bekannt ist, den er mit dem Doctor Emanuel Protzigius wegen einer wichtigen Sache gehabt hat. Der Streit war darum gegangen, ob die Meuten der keuschen Diana aus Hunden und Hündinnen oder nur bloß aus Tieren einerlei Geschlechts bestanden hätten. Nach lebhaftem Kampfe blieb die Palme des Sieges dem Putridus. Er bewies durch Gründe, die von der Keuschheit der Göttin hergenommen waren, und durch Zeugnisse der größten Männer des Altertums, daß die Göttin nur Hündinnen gehabt habe.

Der Holländer kam gerade zu der Zeit nach Leipzig, als alle Gelehrten Deutschlands dem Putridus schriftlich und mündlich Dank über den wichtigen Dienst sagten, den dieser soeben der Gelehrtenrepublik geleistet hatte; jener bat letzteren, seine holländische Übersetzung zu kommentieren. Crocovius übersetzte sie ins Lateinische, bereicherte sie mit Anmerkungen, Kommentaren und Randglossen und war eben im Begriff, sie der Welt in drei starken Foliobänden vorzulegen, als ein frühzeitiger Tod den gelehrten Mann fortraffte. Seine beiden Neffen Balthasar Onorosus und Melchior Stupidus Häreseomastix, die Erben seiner Güter, seiner Grundgelehrsamkeit und seiner sehr heftigen Unduldsamkeit gegen Meinungen anderer, gaben seinem Buche weitere Zusätze, kommentierten es, erläuterten seine Anmerkungen, fügten neue hinzu, verglichen die verschiedenen Lesarten, ergänzten viele Stellen und ließen es endlich zu Nürnberg in fünf ansehnlichen Foliobänden drucken, als die Pest sie wegraffte. Ihre Kinder, weniger gelehrt und vielleicht außerstande, die Kosten einer so wichtigen Ausgabe zu bestreiten, verkauften das Werk ihrer Väter einem edlen Venetianer, der sich damals gerade in Nürnberg aufhielt.

[7] Nachdem dieser Herr, der Signor Annibale Giuliano Scipione Buz-è-via degli Tafanari hieß, nach Venedig zurückgekommen war, übersetzte er dies Buch in seine Sprache; doch nicht so, wie er's gekauft hatte. Da er das Lateinische nur unvollkommen verstand, ließ er alles weg, was nach Gelehrsamkeit schmeckte, bediente sich der Beihilfe eines Servitenmönchs, und beide brachten es durch Hilfe eines Wörterbuches endlich dahin, daß es in venetianischer Sprache erscheinen konnte. Hätten Se. Exzellenz Buz-è-via die gelehrten Anmerkungen benutzen können, womit die Deutschen dieses Werk geschmückt hatten, so würden wir es weit vollständiger besitzen und unzählige Stellen, die der Klärung bedürfen, würden darin nicht fehlen. Wir rühmen uns nicht, daß die letzte Übersetzung gut geraten sei. Das Venetianische ist ein schwer zu verstehender Jargon; und der französische Übersetzer gesteht, daß es sogar im Toskanischen viele Ausdrücke und Redensarten gibt, die ihm nicht geläufig sind. Kein Wunder, sobald man weiß, daß er das Italienische nur zwei Monate unter der Anweisung eines Franzosen, eines seiner Freunde, studiert hat, der selbst nur sechs Wochen in Rom gewesen war.

3. Kapitel. Schwierigkeiten, die zu lösen waren
Drittes Kapitel
Schwierigkeiten, die zu lösen waren.
Lobpreisungen des letzten Übersetzers

Aus den verschiedenen Händen, durch welche dies Buch gegangen ist, kann man leicht schließen, daß es wenig von seinen nationalen Besonderheiten behalten haben muß; ich weiß aber nicht, ob es – genaugenommen – dadurch schlechter geworden ist. Die Bücher der Morgenländer sind immer voll unnützer Dinge und abgeschmackter Fabeln. Die Religionen [8] der morgenländischen Völker gründen sich nur auf Märchen, die sie überall anbringen und die uns ebenso lächerlich sind, als sie ihnen ehrwürdig vorkommen. Diese religiösen Possen geben ihren Schriften ein ungewöhnlich gedunsenes Aussehen, das in seiner Neuheit wohl hat gefallen können, heutzutage aber zu verbraucht ist, als daß es der Leser noch anmutig finden könnte.

Außer ihren Göttern, die sie allerhand Arten von Rollen spielen lassen, bedienen sich die Schriftsteller dieser Nationen der Ginnen und Diven. Beide findet man in ihren ernsthaftesten Geschichten. Wenn einer von ihren Helden in große Gefahr gerät, so hat ein Dive ihn hineingestürzt und ein Ginne ihn wieder dar aus befreit. Diese Wesen der Einbildung geben den Grund und die Entwicklung von drei Vierteln ihrer Bücher; und wiewohl sie oft sonderbare Ereignisse veranlassen, wird man es endlich doch überdrüssig, beständig dieselben Personen auf der Bühne handeln zu sehen, und gerät in Unwillen über eine so magere Einbildungskraft. Zudem ist der Vortrag voller Metaphern und gewisser Wendungen, die sich wegen der Simplizität unserer Sprache weder genau noch mit Anmut übertragen lassen. Die Übersetzung eines orientalischen Buches ins Französische ist sonach eine weit schwierigere Arbeit, als man sich vorstellt. Obwohl nun dieses Werk nur aus dem Venetianischen übersetzt worden ist, darf man nicht glauben, daß es deshalb weniger Mühe gekostet hat.

Signor Annibale hat alles durcheinandergeworfen, und es hat nicht wenig Sorgfalt erfordert, die Fakta so zu ordnen, wie man glauben kann, daß Kiloho-ee sie angeordnet haben mag. Was den Namen Ginne anlangt, so habe ich ihn, weil er bei uns wenig bekannt ist, in Fee verwandelt, dessen wir uns gemeiniglich bedienen. Wo ich die barbarischen Namen abkürzen, zusammenziehen konnte, habe ich es getan. Die Ginne Hic-nec-sic-la-ki-ha-tipophetaf war zum Beispiel [9] ganz unerträglich auszusprechen, weshalb ich es änderte; mit einem Worte, ich habe nichts unversucht gelassen, dies Werk vollkommener zu machen, und ich zweifle gar nicht, daß es vollkommener geworden ist. An vielen Stellen habe ich es durch ebenso neue als einsichtsvolle Betrachtungen verschönert. Es ist mit ausnehmender Sorgfalt, Klarheit und Präzision geschrieben, und ich bin überzeugt, daß Kiloho-ees Original unendlich weit hinter dieser Übersetzung zurückbleibt; wiewohl dieselbe aus einer Sprache verfertigt worden ist, die ich fast gar nicht verstehe.

Was den Stoff dieses Buches anlangt, so soll er phantastisch sein; aber das ist die Schuld des Originals. Man hätte unrecht, wenn man von einem Chinesen jene Regelmäßigkeit und jenen Geschmack forderte, durch welche sich unsere französischen Schriftsteller hervortun, die, stets abgezirkelt in ihrem Gange, beinahe immer sehr vernünftig, noch öfter aber frostig sind. Sie stützen sich hierin auf irgendeine Regel des Horaz, die ich gern zitierte, wenn ich mich ihrer genau erinnern würde. Aber eben Horaz verlangt, daß die Vernunft lachend vorgetragen werde, und befiehlt nicht, durch Ernst und Zurückhaltung den Leser gähnen zu machen. Ich bin im Grunde fest überzeugt, daß diejenigen unter unseren Schriftstellern, die wir so ordentlich finden, wünschten, es weit weniger zu sein und ein wenig mehr gegen die Regeln sündigen zu können. Ihre Werke würden alsdann vielleicht weniger wohlanständig, aber anmutiger sein und mehr gelesen werden.

Tanzai und Neadarne oder Der Schaumlöffel

1. Teil
1. Kapitel: Wer der Prinz Hiaouf-Zeles-Tanzai ist
Erster Teil
Erstes Kapitel:
Wer der Prinz Hiaouf-Zeles-Tanzai ist

In der großen Scheschianei, einem Lande, das durch die Unwissenheit der Erdbeschreiber heutzutage nicht mehr zu finden ist, herrschte ehemals ein König, den man Cephafu-Cephaes nannte. Dieser Name bedeutete in der Landessprache, die jetzt so unbekannt ist wie das Punische, so viel wie Wohl des Volks; ein erhabener Name, der ihm entweder durch Ungefähr oder Schmeichelei zuteil geworden war. Dieser Fürst hatte zum Nachfolger in seinen mächtigen und weitverbreiteten Staaten nur einen einzigen Sohn. Die Scheschianer hegten vor diesem Prinzen ganz außerordentliche Ehrerbietung und versprachen sich von ihm, von seinem zartesten Alter an – ohne recht zu wissen weshalb – die goldensten Hoffnungen.

Zu der Zeit beherrschten die Feen den ganzen Erdkreis. Es mußte mit dieser Verwaltung ziemlich schlecht bestellt sein, da diese überirdischen Wesen mehr ihre Launen als ihre Vernunft zu Rate zogen. Der Fall ist selten, daß eine grenzenlose Macht nicht mißbraucht wird, und wer alles tun kann, was ihm beliebt, mißt seinen Willen nicht immer nach Recht und Billigkeit ab. So ging's auch den Feen. Ihrer war eine große Zahl; und sie wußten wenig von Subordination. Ihr Geschlecht, das Interesse, das sie beseelte, das zwar bisweilen unerheblich, immer aber lebhaft war, die Eifersucht, wer von ihnen herrschen sollte und wer die Schönste sei, die Begierde, von sich sprechen zu machen, und Launensucht, die Haupttriebfeder der Handlungen bei den weiblichen Gottheiten, fachten unter diesen Mächten die blutigsten Kriege an.

Sowie der Sohn des Cephaes auf die Welt gekommen war, hatte ihn die große Fee Barbacela, die erklärte Beschützerin [13] seines Hauses seit undenklichen Zeiten, auf ihre Arme genommen. Sie gab dem jungen Prinzen wegen seiner ungemeinen Schönheit den Namen Hiaouf-Zeles-Tanzai, das ist verdolmetscht: Nebenbuhler der Sonne, und rüstete ihn mit all den Vorzügen aus, die einen Sterblichen zur höchsten Vollkommenheit erheben können.

Der Prinz wußte alles, ohne das Geringste gelernt zu haben. Bei Personen von hohem Range ist es nichts Seltenes, daß sie sich einbilden, alles zu wissen; allein das war nicht der Fall bei Tanzai; er besaß wirklich Talente. Auf Dichtkunst, Malerei und Tonkunde verstand er sich in gleich hohem Grade. Die lyrische und epische Poesie ward ihm nicht saurer als die dramatische; scherzhafte Gedichte gelangen ihm so gut wie tändelnde. Das Madrigal, das Sinngedicht, die Elegie, die Idylle, das Hirtengedicht und Bouts-rimés gerieten ihm so gut wie alles übrige auch. Doch da es nie ein Universalgenie geben wird, so konnte er mit den Akrostichen nicht fertig werden. Wiewohl sein entschiedenster Hang der für die Dichtkunst war, so vernachlässigte er doch nicht die übrigen Künste. Alle Gemäldeliebhaber in Scheschian hatten Malereien von seiner Hand in ihren Kabinetten, und alle Gelübdetafeln im großen Tempel waren von ihm. Es wurden oft in Scheschian Opern aufgeführt, deren Musik und Text er gemacht hatte. Man kann nicht in Abrede stellen, daß er den besten Geschmack von der Welt besaß. Nichts bewies dies mehr als der Vorzug, den er der Leier vor allen musikalischen Instrumenten gab. Seine Leidenschaft dafür war so lebhaft, daß Cephaes, der blindlings allen Launen und Grillen des Kronprinzen nachgab, in den Türmen des scheschianischen Tempels statt der Pauken, womit man ehemals das Volk zum Gebet zusammenzuberufen pflegte, Leiern von ungeheurer Größe hatte aufhängen lassen. Die Prinzen von Geblüt mußten diese Instrumente, wenn erforderlich, spielen. [14] Aus dem Grunde hatte man ihnen den hohen Titel ›Oberleirer des Staats‹ beigelegt. Dies Amt wurde eines der größten und ansehnlichsten im Reiche, und der älteste Leirer wurde Kronfeldherr. Um dieser Würde noch mehr Glanz zu geben, verehrte der König denjenigen, die damit bekleidet waren, die ›Bärenhäutne Hose mit Roßkastanien‹. Dies Ehrenzeichen mag manchem meiner Leser possierlich vorkommen; nach den Vorurteilen dieses Volkes aber war es das Merkmal der ausgezeichnetsten Achtung. Tanzai erwiderte die Güte seines Vaters durch jene Anhänglichkeit, welche eine vortreffliche Erziehung einflößt. Geliebt von dem Volke, das er dereinst beherrschen sollte, ein Gegenstand der sorgfältigsten Aufmerksamkeit von seiten der großen Fee Barbacela, bewundert von der ganzen Erde, schien an seiner Glückseligkeit nichts zu fehlen. Doch obwohl er von Mutter Natur ein zärtliches Herz empfangen hatte, war es ihm nicht vergönnt zu lieben.

Wegen ich weiß nicht welcher Zufälle, womit dieser Prinz bedroht war, wenn er vor Vollendung seines zwanzigsten Jahres liebte oder sich verheiratete, hatte ihm die Fee ausdrücklich beides bis zu der Zeit verboten, wo das Schicksal ihm Herr über sich selbst zu sein verstattete. Dieser Befehl war deutlich, und es war für Tanzai ebenso gefährlich, dagegen zu handeln, als es ihm schwer ward, an einem Hof, wo alles Vergnügen atmete, wo die Damen ihren Reizen alles hinzufügten, was die Koketterie nur Verführisches hat – kurz, wo es ihr einziges Geschäft war, Begierden zu erwecken und zu befriedigen –, als junger, liebenswürdiger und gefühlvoller Prinz lange unberührt zu bleiben. Es wäre umsonst, sich damit zu schmeicheln. Tanzai fühlte, was für ein höchst gefährlicher Ort der Hof für jemand war, dem Tugend empfohlen, und da er allenthalben entweder mit zärtlichen Blicken oder mit dringenden Erklärungen der Liebe überhäuft wurde, beschloß er endlich, den Hof zu verlassen [15] und sich in einen Palast zurückzuziehen, den er am Gestade des Meeres hatte, und jedem Frauenzimmer den Eingang dazu verbieten zu lassen.

Dieser Entschluß setzte jedermann außerordentlich in Erstaunen. Man kannte die Ursache nicht, weshalb er sich aus der großen und feinen Welt verbannte. Die Damen, dadurch vor den Kopf gestoßen, verbreiteten Gerüchte, die für Tanzai sehr nachteilig waren. Der Prinz kannte sie entweder nicht oder kümmerte sich darum nicht im geringsten. Er war achtzehn Jahre, als er sich in diese Einöde verschloß, und kaum war er drei Monate älter, als er dieses Aufenthalts schon überdrüssig war. Für jenes zaubervolle Geschlecht, das bereits seine ganze Seele einnahm, fand er nirgends Ersatz; die Hilfsquellen seines Geistes versiegten für ihn; je weniger er die Wonnen der Liebe kannte, je schmeichelhaftere Bilder schuf er sich davon. Jene zärtliche Vereinigung zweier Herzen, die er oft besungen hatte, jene Entzückungen, jene so lebhafte Wollust der Liebe wurden endlich das einzige Gut, das er genießen wollte. Da sein Überdruß täglich zu nahm, ergriff er irgendeine Gelegenheit, der Fee zu sagen, daß er nach Scheschian zurückgehen und sich vermählen wolle, was auch immer das Schicksal dazu sagen möchte. Barbacela wandte alles an, ihm dies Vorhaben auszureden; allein ungeachtet aller ihrer Vorstellungen setzte er den Tag zur Abreise fest. Die Fee, ohne ihn seinem Schicksal zu überlassen, bedauerte ihn und beschloß, alle ihre Macht anzuwenden, um den über ihm schwebenden Unglücksfällen entweder zuvorzukommen oder sie wenigstens zu lindern. Die Leser, die geduldig genug sind, in dieser Geschichte fortzufahren, werden in der Folge sehen, wie sehr die vorsichtigen Maßregeln der Fee dem Prinzen gefrommt haben.

2. Kapitel: Rückkehr des Prinzen. Versammlung des Staatsrats
[16] Zweites Kapitel:
Rückkehr des Prinzen. Versammlung des Staatsrats. Antrag zur Vermählung. Ankunft der Prinzessinnen. Wie diese sich gegen den Prinzen benehmen und er sich gegen sie

Die Rückkehr des Prinzen gab Stoff zu neuen Mutmaßungen und war den politischen Kannegießern in Scheschian eine unerschöpfliche Quelle zu Mutmaßungen und Hirngespinsten. Das Volk, das nie geschäftiger ist, die Triebfedern der Handlungen seiner Regenten aufzufinden, als wenn sie für es am verborgensten liegen, erschöpfte sich in Betrachtungen und erriet sowenig die Veranlassung zu seiner Rückkehr als die zu seiner Entfernung. Den Damen machte die Sache weniger Kopfzerbrechen. Jede von ihnen glaubte, daß Tanzai von einer geheimen Leidenschaft glühe, wogegen sein Stolz fruchtlos gekämpft habe, und daß er nur deshalb wiederkehrte, um seiner Überwinderin eine Huldigung zu leisten, die er ihr nicht länger verweigern könne. Doch wozu jene Zurückhaltung? Hat man in einem so erhabenen Range es nötig, seine Begierden zu verhehlen? Und sind Prinzen dazu geschaffen, schüchtern zu lieben?

Inzwischen waren die Vermutungen der Damen nicht ohne Grund. Der Prinz war frömmelnd, und Leute von dem Schlage können vielleicht in Versuchung geraten, allein sie verbergen die Bewegungen in ihrem Innern mehr, als daß sie sie bekämpfen, und widersetzen sich ihrem Falle nur dann, wenn er nicht mehr verschwiegen bleiben kann. Wie viele Spröde hat nicht die Furcht, Aufsehen zu erregen, hervorgebracht!

Unter den Frauenzimmern, die auf Tanzais Herz Ansprüche erhoben, glaubte seine Oberhofmeisterin die begründetsten Rechte zu haben und zweifelte gar nicht, daß er, wenn auch nicht aus Liebe, doch wenigstens aus Erkenntlichkeit, seine ersten Seufzer oder seine verliebten [17] Grillen ihr widmen würde. Die erfahrensten Koketten am Hofe machten sich gleichfalls seine Eroberung streitig und legten seinen Augen alles das zur Schau, was die Begierde, zu gefallen, die Frauenzimmer an Mienen und Gebärden nur ersinnen läßt. Die Gleichgültigkeit des Prinzen ward dadurch nicht erschüttert. Er verlangte eine sittsame, schöne Tochter der Natur, die der Kunst nichts zu verdanken hätte und die er, ohne sie zu beleidigen, bei der Toilette sehen könnte. Er schlug diese Probe vor; allein seine Prätendentinnen insgesamt gerieten dadurch in Verlegenheit, so gute Meinung sie auch von ihren Reizen hatten. Sie entsagten lieber allen Ansprüchen auf Tanzais Herz, als daß sie sich seinen Augen so zeigen wollten, wie sie durch die Nachtwachen bei Hofe und ihre ermüdenden Dienstarbeiten geworden waren.

Der König war inzwischen ernstlich darauf bedacht, seinen Sohn zu verheiraten. Da dies eine Sache von Belang war, wollte er mit seinem Staatsrat darüber konferieren. Die auswärtigen Minister trugen die Töchter ihrer Fürsten an. Es waren ihrer zwölf, die gern dieses Bündnis geschlossen hätten. Da aber Cephaes bedachte, daß sein Sohn nicht zwölf Prinzessinnen zugleich heiraten konnte, so war er wegen der Wahl unschlüssig. Die Könige, deren Töchter man ihm antrug, waren ausnahmslos sehr mächtig. Es war gefährlich, sie vor den Kopf zu stoßen; gleichwohl konnte nur einer zufriedengestellt werden.

Nie hatte die Hofweisheit des Staatsrats einen ernsteren Fall zu verhandeln gehabt. Nur der Prinz, allen an Weisheit überlegen, wußte ihnen einen Vorschlag zu machen, der für die Wohlfahrt des Reichs und die Majestät der benachbarten Könige nicht glücklicher sein konnte. Er empfahl ihnen, daß jeder dieser Fürsten die Prinzessin, die er ihm zur Gemahlin bestimmte, nach Scheschian schicken sollte. Hier könnten sie insgesamt dreizehn Wochen beim [18] Hofe bleiben. Zwölf Wochen wollte er sich bei ihnen verwenden, der Reihe nach, sowohl, um besser über ihre Eigenschaften zu urteilen, als auch, ihnen die Freiheit zu lassen, über die seinigen ins klare zu kommen. In der dreizehnten Woche wollte er, nach reiflicher Erwägung ihrer persönlichen Schönheiten oder der Sanftheit ihrer Charaktere, seine Wahl erklären. Durch solches Verfahren würde keiner der Potentaten, von denen die Rede war, die Verweigerung des angetragenen Bündnisses als Verachtung empfinden können, weil ihn bloß ihre geistigen oder körperlichen Annehmlichkeiten dazu bestimmt hätten.

Der Staatsrat gab dem Entschlüsse des Prinzen vollen Beifall. Die auswärtigen Gesandten berichteten ihn ihren Höfen, die ihn genehmigten. Man begann danach, die Zimmer im Palaste vorzubereiten, welche die Schönen bewohnen sollten. Nicht lange nachher sah man sie ankommen. Die prächtigsten Feste drückten das Wohlgefallen aus, das man empfand, sie an diesem Hofe zu sehen. Man führte verschiedene Opern vom Prinzen auf, die man entweder aus Gefälligkeit oder Gerechtigkeit bewunderte. Tanzai, der beim ersten Anblick die Prinzessinnen alle gleich liebenswürdig fand, hätte sie gern alle geheiratet. Allein die Ehrerbietung vor den Gesetzen hielt ihn zurück, und er begnügte sich, ihnen sowohl in Prosa als in Versen die artigsten Komplimente der Welt zu sagen.

Hatten ihm nun die Prinzessinnen gefallen, so war ihnen keine von seinen Annehmlichkeiten entgangen; er gefiel allen, und diese Übereinstimmung in den Gesinnungen vermehrte noch die Eifersucht, die sie bereits gegeneinander empfanden. Man weiß sattsam, wozu Frauenzimmer fähig sind, wenn sie Lust haben, einander einen Liebhaber wegzunehmen. Da man aber nie gesehen hat, daß ein einziger Mann der Gegenstand der Wünsche und Anbetung von zwölf Frauenzimmern gewesen ist, so kann man nur sagen, [19] daß zwölfmal mehr Haß und Lästerungssucht als gewöhnlich bei ihnen herrschte; daß folglich auch zwölf mal mehr geliebäugelt wurde, was alles zum Nutzen des Prinzen gereichte, der daran viel Amüsement fand.

Wenn eine von diesen Prinzessinnen eine neue Art zu gehen, den Mund zu legen oder umherzublicken ausfindig gemacht hatte, so wollten die anderen sie darin übertreffen und fingen an zu schielen, den Mund bis unter die Augen emporzuzerren oder einen Gang anzunehmen, daß man sich des Lachens nicht enthalten konnte. So war es auch mit den übrigen beschaffen; da sie wußten, daß Tanzai alle Künste und Wissenschaften trieb, wollten sie alle Dichterinnen, Malerinnen, Tonkünstlerinnen und so weiter sein. Man kann sich nicht vorstellen, was für Albernheiten dieser Wetteifer veranlaßte.

Tanzai fürchtete, ihnen zu mißfallen, wenn er einer den Vorzug vor den übrigen einräumte, und war besorgt, daß sie das als Ungerechtigkeit auslegen würden: Daher wollte er, daß das Schicksal über ihren Rang entscheide, und teilte seine Zeit so ein, daß er den Tag über bloß die besuchte, an der die Reihe war. Er war bei ihrer Toilette zugegen, führte sie stets, speiste mit ihr; nur am Abend im Theater oder im Cercle sah er alle die übrigen. Sogleich musterten ihn die Nebenbuhlerinnen, lasen Zwang und Überdruß in seinen Mienen und seinem Wesen und urteilten aus seiner Miene, daß die ›Woche habende‹ Dame ihm am wenigsten gefallen müßte. Jedoch war es bloß ihre Eitelkeit, die sie auf diese Mutmaßungen brachte, und Tanzai betrug sich, wiewohl sein Herz bereits seinen Entschluß gefaßt hatte, gegen alle auf einerlei Art, sie in der Ungewißheit, worin er selbst noch zu schweben vorspiegelte, lassend.

3. Kapitel: Liebe des Prinzen. Unerhörte Sittsamkeit der Neadarne
[20] Drittes Kapitel:
Liebe des Prinzen.
Unerhörte Sittsamkeit der Neadarne

Elf Wochen waren verstrichen, und die Prinzessin, die Tanzai endlich zufiel, war diejenige, für die sich sein Herz bereits insgeheim erklärt hatte. So vorsichtig er auch zu Werke gegangen war, so wußte die Prinzessin dennoch von seiner Liebe. Die Leidenschaft, die sie selbst für ihn empfand, hatte ihr über Tanzais Empfindungen die Augen geöffnet. Ihre Blicke hatten sich tausendmal ihre wechselseitige Neigung erklärt, bevor ihr Mund dies Geständnis ausgesprochen hatte.

Eine bessere Wahl hätte Tanzai nicht treffen können. Das eifrige Bestreben aller Prinzessinnen, sie nachzuahmen, und die Eifersucht, die sie gegen sie hegten, bewies ihre Vorzüge hinlänglich. Der Prinz selbst hatte sie vom ersten Tage an bemerkt, allein gebunden durch das Gesetz, das er selbst sich auferlegt, hatte er warten müssen, bis die Reihe sie traf. Endlich kam dieser selige Augenblick. Voll Ungeduld, wie sie waren, sich ihre gegenseitigen Empfindungen zu erklären, zu wissen, ob sie sich in ihren Ahnungen nicht geirrt hätten, voll Ungeduld, zum ersten Male des höchsten Glücks zu genießen, sich zwanglos gegen einander erklären zu dürfen, konnten sie ihre Freude nicht bergen.

Neadarne (so hieß diese Prinzessin) rechtfertigte Tanzais eifriges Bestreben nach ihr. Sie war brünett, zu all den Annehmlichkeiten, die den Frauenzimmern dieser Haarfarbe eigen sind, alle die Reize besitzend, die man an den Blondinen bewundert. Ihre schwarzen Augen waren außerordentlich lebhaft; allein seit der Zeit, da sie den Prinzen gesehen hatte, schien ein zärtliches Schmachten ihren Glanz zu mildern. Ihr Mund, der sich nie öffnete, als nur die blendendsten Einfälle oder die geistreichsten Dinge zu sagen, hatte die niedlichste Bildung und war mit den schönsten [21] Zähnen der Welt geschmückt. Ihr großer und majestätischer Wuchs war zugleich edel und frei. Ihre Hände und Beine, von den Grazien gebildet, ließen von all dem übrigen die günstigsten Hoffnungen zu. Alle ihre Handlungen, ihre Reden, atmeten eine unaussprechliche Grazie; sie nahm nicht, weder um ihre Figur noch um ihren Geist schöner zu machen, zu jenem affektierten Mutwillen ihre Zuflucht, der sich stets auf Kosten der Vernunft und des Wohlanstandes äußert; bediente sich auch nicht jener verschrobenen Reden und jenes seichten Jargons, die ebenso verächtlich sein sollten, als sie lächerlich sind. Welche empfindliche Seele würde bei solchem Gegenstande nicht in Wallung geraten sein!

Tanzai sah nicht so bald den Tag anbrechen, der ihm erlaubte, mit seiner Prinzessin zu reden, als er, gedrängt von seiner Liebe, sich unter ihre Fenster begab, um da den Augenblick abzuwarten, wo er sie sehen könnte.

Neadarne, ebenso unruhig wie er, war auch früher erwacht als gewöhnlich. Das erste, was sie hörte, war Tanzais Stimme. Er sang mit aller Zärtlichkeit Lieder, die er aus dem Stegreif für den Gegenstand seiner Liebe erfand. Sie stand schnell auf; da sie aber befürchtete, es möchte gegen den Anstand sein, sich am Fenster sehen zu lassen, sie jedoch auf der anderen Seite die Gelegenheit nicht versäumen wollte, mit dem Prinzen zu sprechen, so ließ sie in ihren Zimmern so viel Geräusch machen, daß Tanzai daraus schloß, sie sei bereits aufgestanden. Er ließ sich deshalb sehen, um vorgelassen zu werden.

Neadarne, die ihn bei ihren Nebenbuhlerinnen so spät, als er nur immer konnte, den Tag hatte anfangen sehen, zog aus diesem Beginn die günstigsten Schlüsse. Der Prinz nahte sich ihr mit jener Verstörtheit und Verwirrung, die man nur bei jemandem empfindet, den man mit Entzücken liebt. Die Kammerfrauen der Prinzessin hatten sich zurückgezogen. [22] Sie hatte nichts dagegen tun können. Das Gesetz verlangte es.

Als sie sich allein befanden, war er anfänglich nur um so schüchterner; allein seine Augen sprachen lange Zeit von seiner Liebe, und die Prinzessin verstand sie besser, als sie jene albernen Süßeleien verstanden hätte, welche die Dummheit der Männer und die Koketterie der Weiber seitdem erfunden hat. Dies Stillschweigen mußte gleichwohl einmal aufhören. Man bewundert zwar eine Zeitlang, zuletzt aber fängt man von dem, was man bewundert, zu reden an, und die Reize der Prinzessin, die Tanzai in die Augen fielen, öffneten in ihm einen unversiegbaren Quell von Liebesbeteuerungen und Lobeserhebungen. Endlich also entschloß er sich.

Kann ich hoffen, hub er stammelnd und mit verstörter Miene an, daß meine Aufwartungen Euch nicht unangenehm sind und daß Ihr huldreich genug sein werdet, sie anzunehmen? – Ach! Was können Eure Liebden nicht alles erwarten, versetzte sie, wenn Ihr es nur aufrichtig meint. – Ob ich es so meine? fragte er. Meine Prinzessin, wie furchtbar ist dieser Zweifel für mich! – Mit diesen Worten warf er sich Neadarne zu Füßen. Diese, die mit ihrem Liebhaber zufrieden war, hörte ihn mit jener sanften Willfährigkeit an, die das Verlangen, überredet zu werden, einflößt. Nun wohl, versetzte sie, ich glaube Euch, teuerster Prinz; und wie sollte ich Euch nicht glauben, eingenommen von der Liebe, in der ich gegen Euch brenne? Empfanget also von mir, setzte sie hinzu und reichte ihm die Hand, die Versicherung meines Gefühles. Sprecht mir unablässig von Eurer Leidenschaft. Welch ein Glück für mich, Euch zu hören, Euch ewig zu lieben!

Vom Übermaß der Freude ganz trunken, küßte Tanzai der Prinzessin die Hand. Mit Entzücken sprach er von dem ersten Eindruck, den ihr Anblick auf ihn gemacht habe! [23] Von dem Widerwillen, den er gegen ihre Nebenbuhlerinnen empfunden, von der Mühe, die es ihn gekostet, sich zu bezwingen; von seiner feurigen Ungeduld! Wie viele Schwüre tat er nicht, sie ewig zu lieben! Wieviel Liebe entströmte nicht seinen Blicken! Wie eifrig las die Prinzessin, deren erwartungsvolle Blicke auf die seinigen geheftet waren, in Tanzais Augen! Wieviel Zärtlichkeit schöpfte sie nicht aus denselben! Beide waren verstört, trunken von Wonne, nichts weiter fühlend als ihre Leidenschaft füreinander.

Durch so viele Schönheit gefangen, fest überzeugt, daß er geliebt werde, wollte Tanzai sich die Verwirrung zunutze machen, worin er Neadarne sah. Er begann mit einem Seufzer, den er auf den Lippen der Prinzessin vollendete, wohin die Liebe selbst ihn geleitete. Sie würde sich zuverlässig dagegen verteidigt haben, allein ist es nicht immer ausgemacht, ob man bei dergleichen Vorfällen alle die Kräfte hat, die man haben sollte. Ein Liebhaber, dem man zu mißfallen fürchtet und der diese Furcht nicht hat, wird stärker durch die Schwäche der Dame, als diese schwächer durch seine Stärke wird.

Dem sei, wie ihm wolle, der Prinz wollte, daß sie den Kuß, den er ihr geraubt, für gültig erklären sollte. Die Tugend wollte dies nicht haben, allein die Liebe gebot, es zu tun; und es scheint, daß jene nur erfunden worden ist, um dieser unablässig aufgeopfert zu werden. Je mehr man hat, desto mehr will man haben; eine befriedigte Begierde erzeugt eine andere in dem Herzen eines Liebhabers; bei dem, was man ihm gestattet, blickt er schon auf das hin, was man ihm freizugeben noch zögert. Die Prinzessin war in einem von jenen nachlässigen Morgenkleidern, die durch Ermangelung zusammenraffender Nadeln dem Auge mehr Reize bloßstellen, als man zuvor verteidigt hatte. Ihr Rock öffnete sich und ließ den Prinzen einen Busen sehen, dessen Form so bewundernswürdig [24] und dessen Weiße so blendend war, daß er sich nicht enthalten konnte, abermals die Ehrerbietung zu verlieren.

Neadarne hatte vorhin um einen bloßen Kuß so lange gekämpft, daß er sicher war, die geringste Erlaubnis, die er wegen dieses neuentdeckten Schatzes begehren möchte, würde ihm ernstlich verweigert werden. Also war er entschlossen, dies neue Vergnügen nur sich selbst zu verdanken. Hand und Mund berührten jenen entzückenden Gegenstand. Die Prinzessin und er verstummten hierauf, sahen sich nicht mehr an, erholten sich nur von ihrer Ekstase, um in eine neue zu sinken. Was hätte die Prinzessin dabei tun sollen? Zwar war sie tugendhaft, allein alles, was ein tugendhaftes Frauenzimmer tun kann, ist weniger, dem feurigen Entzücken eines Liebhabers Einhalt zu tun, als sich zu erinnern, daß sie dies zu tun eigentlich schuldig wäre.

Überlegung ist ein schwaches Zufluchtsmittel, wenn anders sie mitten im Schoß des Vergnügens entstehen kann. Kommt sie hinterdrein, wozu hat sie dann gefrommt? Die Prinzessin befand sich in einer Verwirrung, die für sie um so gefährlicher war, da sie sich noch nie zuvor darin befunden hatte und wegen Mangel an Erfahrung also nicht imstande war, sie zu bekämpfen. Gleichwohl begann die Heftigkeit des Prinzen sie in Schrecken zu setzen, und sie stieß ihn sanft zurück. Allein, war er wohl imstande, dies zu verstehen? Bei dieser Bewegung verlor Neadarne ihr Strumpfband, das vielleicht nicht allzufest gebunden war. Tanzai, von Natur höflich und in seiner Lebensart von der Liebe noch bestärkt, bot sich ehrerbietigst an, es wieder an Ort und Stelle zu bringen. Es verweigern hieße es für eine Gunstbezeigung von großem Belang erklären, und dies würde ihm Lust eingeflößt haben, es ihr zu rauben; sonach willigte sie ein, weil sie in der Eile kein drittes Mittel fand.

[25] Der Prinz, der nie irgendeiner Dame ein Strumpfband umgebunden hatte, wußte nicht, wo es eigentlich zu befestigen war; überdies hätte er auch, wenn er es gewußt, sich dessen in der Verstörtheit, worin er war, nicht erinnern können. Er band es also der Prinzessin so ungeschickt um, daß ihr ein Schrei entfuhr. Die Kammerweiber stürzten herzu, und der Prinz sah sich genötigt zu gehen. Man fragte die Prinzessin, weshalb sie geschrien habe. Was sollte sie sagen? Prinzessinnen tun, was ihnen beliebt; so antwortete sie gar nicht, und man glaubte, was man wollte. Sie hielt es indessen für ratsam, gegen Tanzais feuriges Ungestüm ihre Maßregeln zu treffen, und befahl mit einigen Seufzern ihren Zofen, sie nicht mehr mit ihm allein zu lassen, es möchte auch noch sosehr gegen das Gesetz verstoßen, das er gegeben habe. Sie beschloß also aus Tugend, gegen Tanzai jene Vorsicht zu gebrauchen, die viele andere Frauenzimmer nach solchen Begebenheiten nur aus Koketterie gegen ihre Liebhaber anzuwenden pflegen.

4. Kapitel: Tanzais Wahl. Geschenk der Barbacela
Viertes Kapitel:
Tanzais Wahl. Geschenk der Barbacela

Diejenigen, die nur die Natur und deren Regungen kennen, werden glauben, daß, wenn es den Prinzen verdroß, weggehen zu müssen, die Prinzessin nicht weniger verdrießlich war, ihn fortgehen zu sehen. Sie werden vielleicht denken, daß sie sich Vorwürfe machte, so geschrien zu haben, daß man sie im Vorgemach hatte hören können. Diejenigen, die noch weiter in ihren Betrachtungen gehen, werden sagen, daß ihre Tugend bei dieser Gelegenheit zuviel Gefahr lief, als daß sie das Fortgehen des Prinzen nicht mit Verdruß [26] hätte ansehen und sich nicht Vorwürfe darüber hätte machen sollen, daß sie nicht eher geschrien. Das ist stets das Unglück der Helden und Heldinnen, deren Geschichte man der Nachwelt überliefert. Der Leser beurteilt sie weniger nach dem, was sie den Umständen nach, worin sie sich befinden, tun können, als nach dem, was sie seiner Meinung nach hätten tun sollen. Er setzt sich kalten Bluts an ihre Stelle, und unbefangen von den Leidenschaften, die sie beseelten, spricht er sie los oder verdammt sie, je nachdem der Erfolg ihrer Unternehmungen gewesen sein mag. Er untersucht nicht, ob die Umstände ihnen Zeit ließen, Beratungen mit sich selbst vorzunehmen, oder ob ihnen ihr Affekt nur soviel Muße gönnte, ans Überlegen zu denken. Alsdann wird man nicht unterlassen, günstige und ungünstige Urteile über Neadarnens Benehmen anzustellen. Was man aber auch sagen mag, sie mag nun diesem zu früh, jenem zu spät geschrien haben, so ist einmal dies gewiß, daß sie geschrien hat und daß viele Frauenzimmer in solchem Falle es bei der Drohung bewenden lassen und viel später, mindest viel leiser als die Prinzessin, Ernst aus dieser Drohung gemacht hätten.

Sie hatte sich von dem Schreck, den des Prinzen feuriges Benehmen ihr verursacht hatte, noch nicht völlig erholt, als er wiederkam, ihr zu sagen: er habe soeben den Staatsrat verlassen und seine Wahl darin bekanntgemacht. Endlich, göttliche Prinzessin, sagte er zu ihr, werdet Ihr mein sein. Meine Liebe ist zu heftig, um mich Gesetzen zu unterwerfen, die eine schüchterne und jetzt unnötige Vorsicht mich hatte für nötig erachten lassen. Heute noch schickt man die Prinzessinnen zurück, die auf meine Hand Anspruch machten. Ich will die Verdrießlichkeiten jener Marterwoche abkürzen, die mich zum endgültigen Entschluß bringen sollte. Ich will jene Damen nicht mehr sehen, die mir verhaßt sind. Alles wendet sich zu meinem Glück. Und [27] nichts wird dasselbe forthin verzögern, wenn Ihr einwilligt, es mir zu verschaffen. – Ach! Tanzai, rief sie, warum sagt Ihr mir bloß von Eurem Glück, vergeßt Ihr denn, daß es auch das meinige ist?

In diesem Augenblick trat der König in Neadarnes Zimmer und unterbrach das Gespräch. Er sagte ihr – und das führte ihn her –, daß die Wahl seines Sohnes ihm sehr angenehm sei. Sodann verabredete man den Vermählungstag. Er wurde auf den Anfang der folgenden Woche festgesetzt. Der Prinz hätte es gern gesehen, daß dieser Tag nicht so weit wäre hinausgeschoben worden; allein die Vermählung sollte mit so vielem Pomp gefeiert werden, daß er unbedingt so lange warten mußte, bis alles dazu bereit war. Nachdem man alle diese Maßregeln getroffen hatte, tat man dem Volke kund, daß Tanzai sich mit Neadarne, der Tochter des großen Königs von Koapuchulim, vermählen würde. Dies Bündnis war den Untertanen um so angenehmer, da dieser König in der Tat sehr mächtig war, seine Staaten an die Scheschianei grenzten und Neadarne die einzige Erbin war; folglich die beiden Reiche nach des Königs Tode sich unter Tanzai vereinigten, dessen Macht dadurch unermeßlich wurde. Man überhäufte den Prinzen mit großem Lob und maß seiner tiefen Staatsklugheit bei, was nichts als die Wirkung des Zufalls und der Liebe war.

Was bei dem Volke so gute Aufnahme gefunden hatte, fand sie ganz und gar nicht bei den Prinzessinnen. Ihr Verdruß war ausnehmend groß und es war keine unter ihnen, die nicht acht Tage lang Migräne und trübe Augen hatte. Einige Schriftsteller aus der Zeit behaupten sogar (es ist gleichwohl gar nicht glaublich), daß der Schmerz dieser Prinzessinnen und ihre Liebe zu Tanzai so weit gegangen seien, daß unter ihnen keine gewesen wäre, die ihm nicht unter der Hand einen gütlichen Vergleich angetragen hätte. Er war von Neadarne zu sehr eingenommen, als daß er [28] Lust gehabt hätte, diesen Anträgen Gehör zu schenken. Vielleicht ist auch diese Sache nicht einmal wahr; soviel ist ausgemacht, daß ihre Verzweiflung ihm nicht so nahe ging, daß er irgendeinen seiner Entschlüsse deswegen geändert hätte.

Allein mitten unter so vieler Freude drängten sich Tanzai schwermütige Betrachtungen wegen Barbacelas Drohung auf. Er erwog, daß er nicht nur, ohne sie zu Rate zu ziehen, eine Wahl getroffen, sondern dieselbe auch aller Welt kundgetan habe, ohne sie ihr zu melden. Er befürchtete, sie möchte ihn für diese wenige Achtung durch Entziehung ihres Schutzes bestrafen. Mit diesen Gedanken war er beschäftigt, als man ihm die Ankunft der Fee meldete. Wiewohl diese Nachricht ihn bestürzte, ging er dennoch zum König, wo sie sich befand.

Ich mache Euch wegen der getroffenen Wahl keine Vorwürfe, sagte sie zu ihm; sie ist meinen Absichten gemäß, ich wünschte aber, daß Ihr nicht weiter ginget und mit der Vermählung so lange wartet, bis Ihr Neadarne ohne alle Gefahr besitzen könnt. Das Schicksal droht Euch nur mit widrigen Ereignissen, wenn Ihr vor vollendetem zwanzigstem Jahr Euch vermählt, und Ihr könntet ... – Ich weiß, himmlisches Wesen, unterbrach sie Tanzai, was Eure Klugheit und Güte mir raten wollen. Aber ich kann nicht warten. Komme ich nicht bald in Neadarnens Besitz, so sterbe ich. Wie gräßlich auch die Schläge sein mögen, die das Schicksal mir aufbewahrt, sie werden mir minder hart dünken als der kleinste Aufschub. Überdies kann ich nicht begreifen, weshalb das Schicksal ergrimmt sein sollte, wenn ich mich vor meinem zwanzigsten Jahre vermähle, und ich kann nicht glauben, daß eine Begebenheit wie diese, woran dem Schicksal doch sowenig gelegen sein muß, es bestimmen könnte, mich zu verfolgen. – Mein Sohn, versetzte die Fee, ich kann zwar durch meine Weisheit das Schicksal vorhersehen, dessen Ursachen aber bleiben mir verborgen. Inzwischen[29] müßt Ihr denken, daß das Verhängnis seine Gründe hat, und gehorchen, ohne darüber nachzugrübeln. Unglücksfälle werden nur zu gewiß sein. Doch gibt es trotz Eurer Vermählung noch ein Mittel, ihnen zu entgehen. Hier ist es.

Bei diesen Worten zog die Fee unter ihrem Rock einen goldenen Schaumlöffel hervor, der drei Fuß lang und dessen runder Stiel drei Zoll im Durchschnitt war. Der Stiel hatte ein Loch von solcher Weite, daß eine Kette von Edelsteinen hätte durchgezogen werden können. Was ist das für ein Kleinod? fragte der Prinz. – Eins, das meine Freundschaft für Euch aufgehoben hat, versetzte die Fee, und Ihr sollt davon folgenden Gebrauch machen:

Am Tage Eurer Vermählung werdet Ihr bei dem Tempel ein kleines altes Weib finden. Dieser bemächtigt Euch, und trotz all ihres Sträubens und Flehens stoßt Ihr ihr ohne alle Barmherzigkeit den Stiel dieses Schaumlöffels in den Mund. – Aber Eure ätherische Hoheit, wo werd ich einen Mund finden, der diesen Stiel faßt? – Das ist nicht Eure Sorge, entgegnete die Fee, auch sage ich Euch, daß die Alte bei dieser Operation nicht Schmerzen ausstehen sollte. Doch damit ist die Sache nicht abgemacht. In dem Augenblick, da Ihr den Stiel aus dem Munde der Alten gezogen habt, müßt Ihr zum Oberpriester eilen und das nämliche auch bei ihm tun.

Dem Oberpriester! rief der König. Darein wird er nie willigen. Den Stiel eines Schaumlöffels hinunterwürgen! Das tut er nie und nimmer. – Ich weiß nicht, was er tun wird, versetzte der Prinz, wäre ich aber an seiner Stelle, so sollte keine Macht auf Erden mich dazu zwingen können. – Gleichwohl muß er unbedingt dahin gebracht werden, entgegnete die Fee, nicht mit Gewalt, sondern durch Überredung und die gelindesten Mittel, deren Ihr Euch nur bedienen könnt. – Inzwischen: Gewalt wäre doch sicherer als alles, was Ihr saget, nahm Tanzai wieder das Wort. Gesetzt [30] nun aber, er willigt darein, wozu kann mir das frommen? – Die Euch bedrohenden Unglücksfälle abzuwenden, versetzte die Fee. – Laßt uns aber einmal annehmen, daß er nicht darein willigte, hub Tanzai wieder an. – In dem Fall, sagte die Fee, dürft Ihr Eure Vermählung nicht vollziehen oder müßt Euch all dem unterwerfen, was Euch Trauriges begegnen wird. – Oh, in dem Fall, rief der Prinz, wird mir der Oberpriester auch den Schaumlöffel hinunterwürgen müssen! – Ich habe Euch schon gesagt, erwiderte die Fee, daß nichts durch Gewalt geschehen soll. – Aber glaubt Ihr in vollem Ernst, entgegnete Tanzai, daß ein Mensch, dem man dergleichen Antrag tut, ihn annehmen kann? Dieser Stiel ist von so ungeheurer Größe, daß kein Mund, und wäre er weit wie ein Scheunentor, groß genug sein wird, davon nicht noch aufgeschlitzt zu werden. Allein, fügte er hinzu, wenn mir's verboten ist, Gewalt zu gebrauchen, kann ich mich doch wohl der List bedienen? – Meinethalben, sagte die Fee; aber erinnert Euch dessen, was ich Euch empfohlen habe. Haltet die Sache geheim. Befestigt den Schaumlöffel an Eurem Knopfloche, und seid versichert, daß dies das einzige Werkzeug ist, daß Euch aus der Verlegenheit ziehen kann. – Wahrlich, versetzte der Prinz, wenn das Schicksal mir seltene Unglücksfälle bereitet, so muß man gestehen, daß es mir sonderbare Mittel dagegen verordnet. – Erinnert Euch auch, sagte die Fee, wenn Euch unangenehme Vorfälle betreffen, daß Ihr mich nicht um Hilfe rufen dürft, ich werde Euch in nichts dienen können.

Die Fee verschwand mit diesem Worte und hinterließ Cephaes, erstaunt über den Schaumlöffel, und Tanzai, fest entschlossen, sich seiner zu bedienen, möge die Art nun sein, welche sie wolle.

5. Kapitel: Unwille der Russa Blaffarda; worauf er sich gründete
[31] Fünftes Kapitel:
Unwille der Russa Blaffarda; worauf er sich gründete. Was man ihr für Trost verspricht, und wer es tut

Die Prinzessinnen nahmen die Nachricht von Tanzais Vermählung öffentlich mit stolzer Verachtung, insgeheim aber mit Wehmut auf. Wenn dieser Schlag nur ihre Eitelkeit gebeugt hätte, so würde er ihnen schon äußerst empfindlich gewesen sein, so aber machte die Liebe, die sich dareingemischt hatte, ihnen denselben unerträglich, und sie hatte Empfindungen in ihren Herzen zurückgelassen, die der Unwille auszulöschen nicht vermögend gewesen war. Der verführerische Prinz der Scheschianei stellte sich unablässig mit all seinen Reizen ihrer Einbildung wieder vor. Die eine las die Gedichte von neuem, die er auf sie gemacht hatte; die andere erinnerte sich genau einer Unterredung mit ihm, die nur Galanterie gewesen war, die sie aber für einen Erguß wahrer Liebe gehalten hatte; diese besann sich auf ein Souvenir; jene auf einen Blick, den er ihr gegeben; diejenige, die sich an nichts zu erinnern hatte, unterließ ebenfalls nicht, sich an etwas zu erinnern. Jede von ihnen hatte geglaubt den Vorzug zu erhalten, und jede war sterbenskrank, so wohl deshalb, Tanzai nicht zum Gemahl zu bekommen, als auch wegen einer anderen, neuern Beschimpfung, die unstreitig noch empfindlicher für sie sein mußte, da sie es nicht wagen durften, sich darüber zu beschweren.

Unter denen, die sich durch ihre Wut auszeichneten, war die hochfahrende Russa Blaffarda, die Beherrscherin der Insel Metissao. Es war die am wenigsten schöne und die stolzeste aller Prinzessinnen; Eigenliebe ersetzte bei ihr alles das, was ihr an Liebreiz abging. Sie glaubte Geist zu haben; und obwohl es ihr in der Tat nicht daran fehlte, war er doch so störrisch und von allen Reizen entblößt, daß man sie nicht sprechen hören konnte, ohne durch die Magerkeit[32] ihres Ausdrucks und die Roheit ihrer Begriffe abgestoßen zu werden. Ihr Wuchs war linkisch wie ihr Geist; sie machte keine Geste, die nicht mißfallen hätte; keine Miene, die nicht Grimasse gewesen wäre. Ihre Farbe zwar war blendend weiß, allein diese Schönheit wurde durch eine Farbe der Haare aufgewogen, die nicht nach jedermanns Geschmack war. Auch hegte sie die vorzüglichste Verachtung für die Brünetten und fand die Blondinen fade. Im übrigen war sie grausam, rachsüchtig, boshaft und treulos. So wie die Geschichte sie uns malt, schmeichelte sie sich, daß Tanzai sie liebe. Man hat nie dahinterkommen können, worauf sie diese Einbildung gründete; es läßt sich vermuten, daß mehr durch ihre Eitelkeit als durch die Dienstbeflissenheiten des Prinzen dieser Wahn bei ihr erzeugt worden war. Sie hatte sich an diesen Gedanken so gewöhnt, daß sie Tanzais Liebe für Neadarnen als Untreue ansah, die er gegen sie beginge. Am meisten setzte sie in Verzweiflung, daß sie, allein auf ihre Reize rechnend, den Beistand einer alten Fee, ihrer Pflegemutter und Ratgeberin, ausgeschlagen hatte. Letztere war mit ihr nach Scheschian gekommen und hatte ihr versprochen, Tanzai für immer an sie zu fesseln. Jetzt, da alle Hoffnungen der ehrsüchtigen Prinzessin zertrümmert waren, nahm sie zu dem alten Mütterchen ihre Zuflucht.

Ihr hört, sagte sie, vor Grimm knirschend, das Jubelgeschrei dieses Volkes, und ich bin noch nicht gerächt! Der treulose Tanzai und meine verhaßte Nebenbuhlerin triumphieren! Ohne Zweifel vermehrt mein Schmerz ihre Freuden. Könnt Ihr so gelassen ein Fest ansehen, das uns beide entehrt? Gilt Schimpf, den man mir antut, nicht auch Euch? Seit wann ist unser Interesse voneinander getrennt? Man beleidigt mich; was sage ich? man versetzt mir den Todesstreich, und noch haben meine Augen das Blut des Verräters nicht strömen sehen. Noch seufzt meine Nebenbuhlerin nicht unter den gräßlichsten Martern. Noch ist nicht die [33] ganze Natur zu meiner Rache bewaffnet! Ihr, die Ihr mit einem Worte alle Elemente aufrühren könnt, die Ihr wegen weit minderer Verbrechen im Begriff standet, die Welt in ihr erstes Chaos zurückzustürzen, sagt, was hält Euch zurück? Die fürchterliche Macht, wovor der ganze Erdkreis bebt, ruht also lediglich für mich? Ach, meine Mutter! Ihr liebt mich nicht mehr; sonst hätte Euch mein Schmerz längst erweicht, wärt Ihr mit ebender Wut erfüllt wie ich. Der Treulose, meine Nebenbuhlerin samt diesem ganzen Volke, das ich hasse, würden vergebens in irgendeinem Winkel des Weltalls Zuflucht gesucht haben. Ach! meine Mutter, Ihr verlaßt mich?

Wie ungerecht Ihr in Eurem Schmerz seid, meine Tochter, versetzte die Fee. Glaubt mir, wenn es bei mir stünde, würd ich Euch längst weit über Eure Wünsche hinaus gerächt haben. Aber eine stärkere Macht als die meinige hält mich ab, das Leben Tanzais anzugreifen. Barbacela, vor der alles zittert, der selbst ich gehorchen muß, schützt jenes verhaßte Paar, das Euer Haß zu Boden strecken möchte. Sie umgibt sie stets unsichtbar, würde sie gegen alle meine Streiche verteidigen, und nichts würde verhindern, mich ihrer Rache zu entziehen. Wenn ich aber nichts gegen ihr Leben vermag, so kann ich wenigstens die Wonnen vergiften, die sie bald zu genießen hoffen, und Euch den traurigen Anblick ihres Glücks ersparen. Wenn Ihr nur gewollt, hätte ich es machen können, daß Ihr Eurer Nebenbuhlerin wärt vorgezogen worden. Dies Unglück freilich läßt sich jetzt nicht mehr gutmachen. Seid aber versichert, daß ich sie wegen Eurer Leiden bestrafen werde und daß, da ich Euch nicht glücklich machen kann, sie so bedauernswürdig werden sollen wie Ihr. Der Unglückstag ihrer Vermählung naht heran, und Ihr sollt bald hören, was für Leiden ich ihnen bestimmt habe.

Mit diesen Versicherungen der Fee, sie zu rächen, war [34] Russa zufrieden; ihr grausames Herz fühlte sich beruhigt, und sie beschloß, ihre Wut zu unterdrücken. Mit Ungeduld harrte sie auf den Tag der Vermählung, der ihr nun weniger schrecklich dünkte, da sie sich schmeichelte, ihre Rache an demselben gestillt zu sehen.

6. Kapitel: Der Tag der Vermählung. Neadarnens Toilette
Sechstes Kapitel:
Der Tag der Vermählung. Neadarnens Toilette

Endlich war jener Tag gekommen, der zu so vieler Freude ausgezeichnet war. Die leuchtendste Morgenröte kündigte ihn an; ein reiner und heiterer Himmel schien den Scheschianern anzuzeigen, daß auch ihre Gottheiten teil an dem Vergnügen ihres Prinzen nähmen. Der Heilige Affe, der erhabene Beschützer des Landes, hatte auf seinem Sockel dreimal einen Purzelbaum gemacht, freilich mit dem linken Fuße; allein weit entfernt, auf dieses Vorzeichen zu achten, so übel es an und für sich war, glaubte man, es sei aus Unachtsamkeit geschehen, daß der Große Affe, der immer besondere Huld für den Prinzen gehabt, seinen Purzelbaum verkehrt gemacht hatte.

Was die abergläubischen von den Priestern auf diese Gedanken brachte, hatte seinen Grund. Kein Wölkchen umdämmerte die Sonne; man hatte seit acht Tagen nicht donnern hören, so reich sonst an Ungewittern diese Jahreszeit war. Der Monat, in dem dieser ersehnte Bund geschlossen wurde, war einer der glücklichsten des Jahres; der König war von seinem Rheumatismus völlig wiederhergestellt, welches einer alten Prophezeiung zufolge nur dann geschehen sollte, wenn sein Sohn sich glücklich vermählte.

Schon entzückten die großen Leiern das Volk durch ihre [35] Harmonie. Die mit Blumen und grünen Zweigen geschmückten Straßen, die prächtig gekleideten Bewohner, die Miliz unter Waffen ließen die Zuschauer das Schönste an Lustbarkeiten dieses Tages ahnen. Der Tempel hallte von den Gelübden wider, welche die Priester für ihre Regenten emporsandten. Kurz, alles war in Bereitschaft, als Tanzai, hingerissen von Liebe und Freude, zur Prinzessin eilte, um sie zu wecken. Sie erwartete ihn im Bette. Als sie ihn ins Zimmer treten sah, überflog schamhafte Röte ihr Gesicht. Sie wollte ihm ein Kompliment sagen, aber die Liebe erstickte ihre Stimme auf den Lippen, und sie konnte nichts weiter hervorbringen, als: Ach mein Prinz, mein teuerster Prinz! – Tanzai, ebenso außer Fassung wie sie, vermochte nichts zu antworten.

Die Etikette bei den Königen der Scheschianei brachte es unter anderem mit sich, daß sie allein am Tage ihrer Vermählung ihre künftige Gemahlin ankleideten; zugleich aber war ihnen im Namen des Großen Affen verboten worden, sich den Begierden zu überlassen, die bei dieser Gelegenheit die Entdeckung verschiedener Reize anfachen konnte. Die Prinzessin, die man von den Gebräuchen des Landes unterrichtet hatte, sah ihre Kammerweiber ohne Erstaunen ihr Zimmer verlassen.

Kaum war Tanzai mit Neadarne allein, als er, ihrer Sittsamkeit ungeachtet, die bequeme Gelegenheit nutzte, die ihm die Etikette verschaffte. Nicht ohne Schwierigkeit erhielt er die Erlaubnis, die Schöne, abgöttisch Verehrte, aus dem Bette heben zu dürfen. Sie bestritt lange und als wohlerzogenes Frauenzimmer dies Zumuten des Prinzen. So viele Vorsicht sie auch brauchte, ihrem Geliebten die Reize zu entziehen, die sie am Abend ihm preisgeben sollte, konnte sie doch nicht verhindern, daß er sie in jener Unordnung erblickte, in die derjenige notwendig geraten muß, der sich in seinem Bette herumwirft.

[36] Was für ein Schauspiel für Tanzai! Die Befehle des Großen Affen wären übel vollzogen worden, wenn die religiöse Neadarne seinem glühenden Ungestüm nicht Einhalt geboten hätte. Leute, die geliebt haben, versichern, daß es für einen Verliebten weit größere Qual ist, Schönheiten zu erblicken, deren Genuß nicht verstattet ist, als diese Schönheiten gar nicht zu sehen.

Wenn sich das so verhält, mußte sich der Prinz in der peinigendsten Lage befinden. Neadarne, die sich erinnerte, was ihr Strumpfband beinahe veranlaßt hatte, wich soviel als irgend möglich der Etikette aus, und kaum hatte sie wahrgenommen, daß Tanzais Augen etwas anderes suchten als die ihrigen, als sie schnell das bedeckte, was sie, aus zu großer Eile, alles zu verhüllen, unbedeckt gelassen hatte. Man täte ihr Unrecht, wenn man glauben wollte, daß dies ein Kunstgriff gewesen sei; zu damaligen Zeiten verstand man vielleicht weniger als jetzt die Kunst, Begierden zu erwecken, die man nicht zu befriedigen denkt. Selbst die Frauenzimmer mögen sich damals ihrer nur aus Not bedient haben, und bei den Liebhabern der Zeit mag vielleicht ein Kunstgriff nicht nötig gewesen sein, der bei den heutigen öfters fehlschlägt. Es ist bewiesen, daß Neadarne vom Prinzen feurig genug geliebt wurde, als daß sie dieser List gegen ihn bedurft hätte. Er stieß einen Schrei aus, als er sah, wie die grausame Sittsamkeit der Prinzessin ihm mit einem Male so viele Freuden entriß. Ach Barbarin! rief er. – Ach Prinz! antwortete sie. Der Affe! – Oh, wenn Ihr mich liebtet, versetzte er, würdet Ihr ihn nicht vergessen haben? – Eben weil ich Euch liebe, entgegnete sie, schweben mir seine Drohungen beständig vor Augen.

Tanzai drang jetzt seufzend in sie, sich nach dem Bade zu begeben; allein sie stritten abermals wegen der Art, wie das vonstatten gehen sollte. Der Starrsinn des Prinzen mußte sich endlich Neadarnens Tugend beugen. Inzwischen [37] kam es jetzt auf ein Badekleid an. Er hatte lange Zeit hindurch behauptet, daß es unnötig sei und als er von dessen Notwendigkeit überzeugt worden war, wollte er es selbst ihr anlegen. Die Prinzessin willigte darein, überzeugt, daß dies ohne Verletzung des Anstandes geschehen könnte, und in der Tat mag dabei nichts zu befürchten sein, wenn man nur keinem Liebhaber diese Verrichtung aufträgt.

Neadarne glaubte durch diese Willfährigkeit von allen weiteren Zumutungen frei zu sein; allein als der Prinz das Kleid brachte, erhub sich ein neuer Streit. Er wollte ... Was wollte er nicht alles! Lauter Dinge, welche die Schamhaftigkeit der Prinzessin beunruhigen mußten und in die sie nicht gewilligt haben würde, hätte sie Zeit zum Disputieren gehabt. Sonach konnte er den Anblick fast aller Reize der Prinzessin genießen; da er sich aber weder völlig mäßigen noch seinen Begierden ganz und gar überlassen konnte, so begnügte er sich, sie mit jenen Liebkosungen zu überhäufen, die die Liebe nie mit größerer Heftigkeit vornimmt, als wenn man ihr nicht gestattet, weiter zu gehen. Hierauf setzte er sie ins Bad, ging aber dabei sehr langsam zu Werke und konnte nicht satt werden, sie zu bewundern und zu halten.

Kaum war sie im Bade, als er darüber murrte, daß das Wasser, – so klar es auch war – nicht hell genug sei. Alle Vorschläge, die er ihr machte, alle die Begierden, worin er verfiel, hier aufzuzählen ist unmöglich. Um mit einem Wort die Sache zusammenzufassen: Nie ist wohl ein Bad auf unruhigere Art genommen worden. Sie verließ es endlich, zwar sehr schlecht gebadet, aber tief überzeugt, daß sie sehr geliebt würde. Nach vieler Mühe gelang es dem Prinzen, sie in den Stand zu setzen den Palast zu verlassen. Sie war nie unordentlicher angekleidet gewesen als an diesem Tage; allein die Liebe hatte ihre Hand dabei gehabt, und man weiß hinlänglich, daß, wenn sie sich bei der Toilette befindet, [38] die Ordnung ihre Sache nicht eben ist, oder daß sie andernfalls nicht sehr heftig ist, wenn sie dabei sehr geschickt zu Werke geht.

7. Kapitel: Folge des Vermählungstages
Siebentes Kapitel:
Folge des Vermählungstages. Versuch mit Barbacelas Geschenk. Saugrenutios Zorn und Weigerung

Trompeten und Klarinetten verkündeten dem Volke, daß es seine Gebieter sehen würde. Endlich erschien Neadarne, vom Prinzen geführt. Was während der mühsamen Toilette vorgefallen war, hatte bei der jungen Dame eine Röte zurückgelassen, die ihre Schönheit und Tanzais Begierden erhöhte. Der König stieg mit ihnen in einen Wagen. Der Prinz war prächtig gekleidet, und sein teurer Schaumlöffel befand sich in einem Wehrgehänge, war oberwärts an einer Kette von Edelsteinen befestigt und wurde durch eine brillantene Agraffe zusammengehalten. Seine Wohlgestalt wurde dadurch ungemein erhöht.

Neadarne, die sich so wie jedermann gewundert hatte, daß er von diesem Küchengerät soviel hermachte, unternahm es, da sie wie alle anderen dessen Eigenschaften nicht kannte, es den Grillen zuzuschreiben, die bisweilen Prinzen und große Herren anwandeln, die nicht zu rechtfertigen sind und wegen deren Beweggrund man sie nicht zur Rede stellen darf. Unter all den Hofschranzen war keiner, dem dieser Schaumlöffel nicht lächerlich vorgekommen wäre und der ihn demungeachtet nicht hätte haben mögen; und ohne das Verbot des Prinzen würde man in kurzem nichts als Schaumlöffel bei Hofe gesehen haben.

Neadarne, die endlich entschlossen war, das Geheimnis zu entdecken, das ihre Neugier schon lange gefoltert hatte, [39] glaubte endlich zu deren Befriedigung den günstigen Augenblick gefunden zu haben. Quell meiner Freude, sagte sie zum Prinzen, indem sie ihn zärtlich anblickte, werdet Ihr mir nie sagen, was dieser Schaumlöffel bedeuten soll? – Prinzessin, gab er ihr ernst zur Antwort, er muß das Glück unseres Lebens entscheiden. – Was kann dieser Schaumlöffel, versetzte sie, mit unserem Schicksal zu tun haben? – Das werdet Ihr bald erfahren, erwiderte er, und Eure Augen werden vielleicht Zeugen der sonderbarsten Ereignisse sein. – Nach diesen Worten kamen sie am Tempel an.

Der Oberpriester erwartete sie daselbst an der Spitze der ganzen Geistlichkeit. Dieser Mann, der es verdient, näher gekannt zu werden, und der sich mehr mit seinem persönlichen Interesse als mit gottesdienstlichen Angelegenheiten beschäftigte, war zu dem Posten, den er bekleidete, nur durch vieles Intrigieren und durch seltene Geschmeidigkeit gelangt. Wenig geschätzt, desto mehr gefürchtet, bediente er sich Öfters, sogar gegen den Willen des Königs, einer Gewalt, die die Religion unumschränkt machte. Er war noch jung und von angenehmer Figur, die ihm bei Hofe vielleicht mehr geholfen hatte als alle seine Kabalen. Schlecht in der Theologie bewandert, aber verführerisch bei den Damen, erfüllte er die Pflichten seines Amtes mäßig, um denen besser obliegen zu können, die er sich gegen das schöne Geschlecht auflegte. Dem öffentlichen Gerücht nach war er durch das Schlafgemach einer Prinzessin zum Oberpriestertum von Scheschian gelangt. Übertrieben nett und sauber in seinen Kleidern, kostbar in seinen Reden, affektiert in seinem Betragen, prachtvoll in Equipagen, geschmackvoll in seinem Luxus, Freund der Tafel und Sklave aller Leidenschaften, war er ein geschickter Hofmann, ein herrschsüchtiger Priester, guter Liederdichter und angenehmer Erzähler. Man hatte ihm hundert gute Epigramme zu danken; [40] was die Homilien anlangte, so ließ er die von seinem Sekretär schreiben. Er war eitel und wollte gern für einen Mann angesehen werden, der viel Glück bei den Damen hatte. Außerdem bildete er sich viel darauf ein, einen besonders schönen Mund und ebenso schöne Zähne zu haben. So war der Mann beschaffen, der auf den Prinzen wartete.

Das erste, was Tanzai tat, als er ausstieg, war, daß er sich umsah, ob er die Alte nicht entdecken könne, von der die Barbacela ihm gesprochen hatte. Endlich wurde er gewahr, daß sie sich hinter der Leibwache verbarg und ihr möglichstes tat, ihm zu entwischen. Er lief ihr nach, aber wie groß war seine Bestürzung, als er Russas Pflegemutter in ihr erkannte. Nichtsdestoweniger hielt er sie an, und da er glaubte, die Gewalttätigkeit, die er gegen sie begehen wollte, durch ein Kompliment mildern zu müssen, so sagte er zu ihr: Es geht mir sehr nahe, daß ich mich genötigt sehe, die Befehle, die mir vorgeschrieben sind, an Euch zu vollziehen. Ich würde Euch sehr verbunden sein, liebes Mütterchen, wenn Ihr Euch gutwillig zu dem verstündet, was ich von Euch begehren werde. – Und was wäre das? fragte die Alte. – Im Grunde eine Kleinigkeit, erwiderte der Prinz. Ihr seht den Stiel dieses Schaumlöffels, den müßt Ihr mir erlauben tief in Euren Mund hineinzustoßen. – Wem? Mir? Barbar, rief sie. – Keine Schmähungen! sagte er mit Würde; es muß geschehen, und weil Ihr meine Gütigkeit so übel aufnehmt, so wollen wir's auf eine andere Art angreifen. Man bemächtige sich ihrer! setzte er hinzu.

Unter den Händen der Leibwache war die Alte nunmehr genötigt, dem Willen des Prinzen nachzugeben. Wiewohl sie bei dem Munde, mit dem sie von der Natur begabt war, weniger zu fürchten hatte als andere, war doch der Stiel von so ungeheurer Dicke, daß sie ihn nicht ohne Entsetzen ansehen konnte. Tanzai nahte sich und setzte sich, ihres Zornes ungeachtet, in Bereitschaft, sie diese neue Art von [41] Strafe ausstehen zu lassen. So geschickt er sich auch bei dieser Operation benahm, so ungeheuer der Mund, mit dem er zu tun hatte, auch war, ging es dennoch nicht so gut ab, daß er nicht der Alten die beiden einzigen Zähne zerbrochen hätte, die ihr noch übrig waren.

Ein Teil der Zuschauer lachte, der andere beklagte das Opfer, keiner aber wußte, was den Prinzen zu dieser Gewalttätigkeit bestimmt hatte. Der Oberpriester zumal war höchst erstaunt, daß an den Schwellen des Tempels eine Tat geschah, die ihm unschicklich erschien. Er murrte ganz laut darüber; noch viel höher aber stieg sein Ärger, als Tanzai, als er den Stiel aus dem Munde der Alten gezogen hatte, schnell auf ihn zueilte und ihm denselben darbot. Machen Ew. Hochwürden nur fort! sagte er zu ihm; alles hängt von Eurer Eile ab. – Was meint Ihr? sagte Saugrenutio. – Daß Ew. Hochwürden diesen Stiel lecken sollen, mein ich. – Diesen Stiel lecken? sagte der Priester. Ich, der Hohepriester? Ihr habt unstreitig nicht gehofft, daß ich diesen Antrag annehmen würde? – Wohl hab ich es, das versichre ich Euch, versetzte Tanzai, und ich habe fest auf Euch gerechnet, mir gar nicht vorgestellt, daß Ihr ungehorsam sein würdet, wenn Ihr wüßtet, daß mein Glück mit dieser Zeremonie verbunden ist. Wahrlich! ich habe mehr Gefälligkeit von Euch erwartet. – Aber potz Stern, erlauchter Herr, entgegnete Saugrenutio, Eure Hoheit überlegen die Sache nicht recht. Ich halte dafür, daß meine Ehre darunter leidet, wenn ich gehorche; überdies müßte man den Mund nicht gesehen haben, aus dem der Stiel gezogen worden ist, oder seinen Mund nicht länger behalten wollen, wenn man sich Eurem Verlangen unterwürfe; zudem der Stiel ungeachtet des Scheunentormaules jener Alten nicht hat hineingebracht werden können, ohne ihr ein Paar Zähne zu zerbrechen, wie würde es mir erst ergehen, der ich noch alle meine Zähne habe? Mit einem Worte, ich werd es nicht[42] tun. – Ihr werdet! antwortete der Prinz voller Zorn. Meine Wohlfahrt ist damit verknüpft, setzte er hinzu, indem er seinen Schaumlöffel schüttelte, und ich will mein Glück nicht durch Eure alberne Widerspenstigkeit verscherzen. – Wahrhaftig und beim großen Gott! rief Saugrenutio, ich werde allen Respekt außer acht lassen, wenn mir Ew. Hoheit zu nahe kommen! – Tanzai wollte ihm für diese trotzige Rede den Stiel um die Ohren schlagen, allein Saugrenutio warf sich mitten unter die Opferpriester und schien ihn festen Fußes zu erwarten. Das Volk, das immer abergläubisch ist, nahm die Partei des Priesters; der Hof, der immer schmeichelt, erklärte sich für den Prinzen. Alles verkündete Krieg, als sich Tanzai an das Volk wandte und ihm Stück für Stück erzählte, wo der Löffel sich herschrieb, daß er von Barbacela den Befehl erhalten habe, diesen Löffel bei dem Oberpriester wie bei der Alten zu gebrauchen, daß er diesen Befehl vollziehen müsse und daß er sich in der harten Notwendigkeit befände zu gehorchen, wenn er die Unglücksfälle vermeiden wolle, womit man ihn bedroht habe.

Nachdem der Prinz seine Erzählung geschlossen hatte, verlangte Saugrenutio Gehör. Es sei kein Beispiel vorhanden, sagte er, daß man einen Oberpriester, einen Mann in einem so ehrwürdigen Posten, gezwungen habe, eine solche Unanständigkeit zu begehen. Treu ergeben den Pflichten seines Amtes würde er sich dieser Handlung ohne Murren unterworfen haben, wenn das Belecken eines Löffelstiels zu seinen Amtspflichten gehörte, oder wenn er nur irgendwo gelesen hätte, daß ein Oberpriester innerhalb oder außerhalb Scheschians den Stiel eines Schaumlöffels geleckt hätte, zumal in dem Zustand, in dem man ihm denselben überreicht habe. Doch was sag ich, geleckt? fügte er hinzu, wollte der Himmel, o ihr Scheschianer, daß man die Gewalttätigkeit nicht weitertreiben wollte, so aber ist von der grausamsten Behandlung die Rede. Das, was es der Alten gekostet hat, [43] gibt zu erkennen, daß ich Zähne und Ehre dabei einbüßen würde. Donner und Wetter! Ich muß fluchen, ihr Scheschianer, wenn ich nur daran denke. Der Prinz versichert, daß die Tat für ihn notwendig sei; muß er aber sein Heil durch mein Verderben erkaufen wollen? Nein, meine Herren, ich werde nie dreinwilligen, und läßt er mit dieser Zumutung nicht nach, so belege ich ihn auf der Stelle mit dem Fluch des Großen Affen und vollziehe seine Vermählung nicht. – Bei dieser furchtbaren Drohung erblaßte Tanzai, weinte Neadarne, schauderte der König zusammen, verwunderte sich das Volk, und Saugrenutio besänftigte sich wiederum.

Tanzai vergaß beim Drange seiner Liebe die Drohungen der Fee, sah weiter nichts vor sich als die grauenvolle Aussicht, mit seiner geliebten Prinzessin nicht vereinigt zu werden, und schwur also dem Oberpriester, sich nicht weiter an ihm zu vergreifen. Saugrenutio ließ hierauf die Pforten des Tempels öffnen, und Freude und Friede folgten auf den Schmerz und die Verwirrung, die anfänglich jedermann erschüttert hatten. Neadarne, die in Todesängsten war, daß ihre Vermählung aufgehoben werden möchte, stieg aus dem Wagen, und Saugrenutio, vor Zorn noch ganz rot, führte sie vor den Großen Affen, vor dessen Angesicht Tanzai und die Prinzessin jenes holde Band knüpfen sollten, das sie auf ewig fesselte.

8. Kapitel: Rache der Kukumer. Rückkehr ins Schloß
Achtes Kapitel:
Rache der Kukumer. Rückkehr ins Schloß.
Was man daselbst vernimmt

Die Trauung sollte eben vollzogen werden, als man dem Prinzen meldete: Die Alte, die er so mißhandelt habe, erbäte sich's zur Gnade und als Vergütung des ihr zugefügten [44] Schadens, in den Tempel zu kommen und der Zeremonie beiwohnen zu dürfen. Er erlaubte dies um so eher, da er willens war, sich wegen des Vorgefallenen bei ihr zu entschuldigen.

Nachdem Saugrenutio dem Großen Affen sehr andächtig ein Rauchopfer gebracht hatte, fing er an, einen Lobpsalm anzustimmen und öffnete, ohne daran zu denken, den Mund so weit, daß Tanzai, der noch immer mit seinem Auftrage beschäftigt war, glaubte, er könne nie eine schönere Gelegenheit finden, ihm den Schaumlöffel hinunterzustoßen. Auch würde es ihm bei dem Enthusiasmus, worin sich der Oberpriester befand, gelungen sein, hätte nicht die Alte in dem Augenblick, da der Stiel fast auf seinen Lippen war, so heftig zu niesen angefangen, daß Saugrenutio aus seiner Ekstase zu sich kam und den üblen Streich gewahr ward, den ihm der Prinz spielen wollte. Um ein Haar hätte er die Zeremonie abgebrochen und die Versammlung auseinander gehen lassen. Doch glaubte er, der Prinz sei dadurch genug gestraft, seine Absicht gescheitert zu sehen, und so entschloß er sich, die Trauung zu beenden.

Er sprach mithin die heiligen Worte laut und ohne scheinbare Verwandlung des Gesichts aus. Die Alte hatte während der Zeit mit leiser Stimme einige barbarische Worte vorgebracht. Kaum hatte Saugrenutio die Trauformel nachgesprochen, als jene sich behende in die Luft schwang und dem Prinzen sowohl als Neadarne ins Gesicht spie: Erinnre dich auf immer deines Schaumlöffels, und winsle beständig über die Rache der Fee Kukumer! – Mit diesen Worten verlor sie sich aus den Augen der Zuschauer. Alle erschraken ob diesem Wunder. Neadarne war einer Ohnmacht nahe. Tanzai, als ein ziemlich schlechter Naturkundiger, behauptete, daß die Alte durch Künste verschwunden sei, die gar nicht übernatürlich wären; und was sie von ihrer Rache gesagt habe, darüber brauche man nicht zu erschrecken, [45] weil weder die Prinzessin noch er Merkmale davon verspürten.

Man stellte sich, als wäre man davon überzeugt; allein der König selbst war höchst betroffen, weniger über die Drohungen der Fee als darüber, daß der Große Affe die ganze Zeit über, als man vor dem Altar gestanden, sich unablässig in den Schwanz gebissen und die linke Lende gekraut hatte.

Man verließ den Tempel. Der Prinz schickte sofort nach dem Logis der Russa, um zu wissen, ob die Alte nach demselben zurückgekehrt wäre. Da vernahm er, daß man sie, gleich als sie aus dem Tempel verschwunden sei, auf einem Wagen, von zwei Schnecken gezogen, bei der Russa habe anlangen sehen. Dies Fuhrwerk, mit erstaunlicher Schnelligkeit durch die Lüfte geflogen, habe sich über dem Logis der Prinzessin niedergesenkt; die Alte habe letztere entführt, und sie wären alle beide verschwunden.

Diese Flucht ging dem König sehr zu Herzen. Er hatte sich geschmeichelt, die Schwarzkünstlerin so lange festzuhalten, bis sie den Zauber aufgehoben hätte, womit sie vermutlich die Neuvermählten belegt habe. Inzwischen ließ er sich von dem, was er hierüber dachte, nichts merken, aus Besorgnis, daß so traurige Mutmaßungen vollends die Freuden eines so erhabenen Festes stören möchten.

Ganz voll von seiner Liebe, nahm Tanzai an der Unruhe seines Vaters wenig teil. Er beobachtete seine teure Neadarne mit jenem feurigen Verlangen, welches die Aussicht, bald glücklich zu sein, einflößte. Die Prinzessin hörte ihm in stiller Bescheidenheit zu, war aber zerstreut, denn sie schien sich mit wichtigen Dingen zu beschäftigen. Aber, Prinzessin, fragte er sie endlich, was macht Euch so nachdenklich? – Ich weiß nicht, ob ich es Euch sagen darf, entgegnete sie. – Sollte meine Besorgnis wohl wahr sein, fuhr er fort, solltet Ihr mir mit Widerwillen Eure Hand gegeben [46] haben? Ach! rief er, indem er sie zärtlich küßte, entledigt mich meiner Besorgnis. Sagt mir, daß Ihr mich noch immer liebt! Wenn Ihr mich dessen nicht ferner versichert, so glaub ich es ferner nicht. Entdeckt mir wenigstens, woran Ihr jetzt denkt.

Es ist schwer zu sagen, versetzte sie. Ich begehre mehr, als ich denke, fügte sie errötend hinzu. Meine Schamhaftigkeit wird durch Eure feurigen Äußerungen beunruhigt und will sich dagegen empören. Um dem Kampf ein Ende zu machen, wünscht ich, daß die Götter diesen Tag verkürzen möchten. Ihr sprecht und ich bewundere. Ich seh Euch an und seufze. Ihr rührt mich an und mein Herz wird beklommen. Der Kuß, den Ihr eben auf meine Hand gedrückt, ist mir bis in die Seele gedrungen. Wenn die Heftigkeit Eurer Begierden Eure Lippen den meinigen nähert, fliegt mein ganzes Herz dahin, ein süßer Schauer bemächtigt sich meiner Sinne und wirft sie durcheinander. Ach Prinz, ach einzige Wonne meines Lebens, gibt es noch größere Wonnen als die, oh! wie kann man sie ertragen, ohne zu sterben? – Ob es noch größere gibt, Beherrscherin meiner Seele? rief er. Ach! Könnt Ihr das nicht an Euren eigenen Begierden merken? Findet Ihr den Beweis nicht in den meinigen?

Es läßt sich schwer bestimmen, was diese Unterredung für ein Ende genommen haben würde, wenn man nicht verkündet hätte, daß es Zeit zur Tafel sei. Tanzai, der lieber die Glocke der Mitternacht als die zum Mittagsessen hätte schlagen hören, begab sich gleichwohl in den Eßsaal, in der Hoffnung, den Oberpriester auf andere Gedanken zu bringen. Letzterer mußte sich zur Tafel einfinden; und wiewohl er bei gegenwärtiger Lage der Dinge darauf rechnen konnte, nicht sehr gut bei Hofe angeschrieben zu sein, so dachte er doch, daß es ihm als einem geschickten Staatsmanne zukäme, seine Entrüstung und Lust, sich zu rächen, zu verhehlen. Der Prinz, der entschlossen war, ihn womöglich [47] durch Güte zu gewinnen, fragte ihn freundschaftlich, als er ihm im Salon begegnete, ob er durch seine Unnachgiebigkeit ihn lebenslang unglücklich machen wollte?

Prinz, versetzte Saugrenutio, ich kann Euch weiter nichts sagen, als was ich Euch schon gesagt habe, daß, außer der damit verknüpften Unschicklichkeit, der Stiel dieses Löffels so dick ist, daß ich nie imstande sein werde, Euch Gehorsam zu leisten. – Das also ist Euer von Euch so oft beteuerter Diensteifer für mich! entgegnete der Prinz. Treuloser Untertan!

Nur keine Schmähungen! versetzte der Priester. Das wird nicht verfangen. Meine Ehrerbietung gegen Euch ist tief; meine Anhänglichkeit aufrichtig; meine Gesinnung rein; allein ich habe nicht geschworen, das Opfer weder von diesen noch von jenen zu werden. Als ich Gehorsam angelobte, war nicht die Rede von einem Schaumlöffel.

Und dennoch sollt Ihr gehorchen, Verräter, rief Tanzai zornentflammt. Ihr sollt gehorchen, setzte er hinzu und ergriff ihn beim Arm. – Ich tue es bei meiner Seele nicht! Ihro Hoheit, rief Saugrenutio. Gewalt wird hier so wenig nützen als Bitten.

Sosehr der Priester sich auch sträubte, so hatte dennoch der Prinz, der stärker war, ihm jenen Unglücksstiel bereits an den Mund gebracht, als der König auf den Lärm hin herbeilief und seinem Sohn vorstellte, daß die Fee ihm ja verboten habe, Gewalt zu gebrauchen, und daß er sich durch die gewaltsame Behandlung des Oberpriesters verhaßt, aber um nichts glücklicher machen würde. Saugrenutio konnte den Göttern danken, daß der König dazugekommen war. Der Prinz ließ ihn fahren und schwur, nicht mehr daran zu denken.

Saugrenutio, wieder beruhigt, setzte sich zur Tafel, sprach das Benedicite über die darauf befindlichen Gerichte, und Freude begann in den Herzen aller aufzuleben. Tanzai [48] aber, der sein Vorhaben nicht aus den Augen verloren hatte und gewiß war, es bewerkstelligen zu können, wenn Saugrenutio sich so berauschte – was ihm oft begegnete –, daß er über der Tafel einschliefe, sorgte dafür, daß ihm mehr Wein eingeschenkt wurde, als die Hälfte der Gäste hätte zu sich nehmen können. Allein diese Vorsicht war vergebens. Saugrenutio aß, sang, trank, plauderte und – ward nicht betrunken.

Endlich wurde die Tafel aufgehoben, und der Rest des Tages verstrich unter den Lustbarkeiten, welche fürstliche Beiläger gemeiniglich zu begleiten pflegen. Wie langweilig waren sie nicht für Tanzai! Wie oft sehnte er sich nach ihrem Ende! Wie lang schien ihm nicht die Komödie, die er gleichwohl selbst veranstaltet hatte. Wie ungern ging er zur Abendtafel. Neadarne, die ihn unablässig ansah, teilte seine Ungeduld. Der König trug aus Unbedacht seinem Sohn an, dem Balle beizuwohnen, allein Tanzai, dem alles zuwider war, nahm die Prinzessin bei der Hand, wünschte dem Cephaes gute Nacht und verfügte sich in seine Gemächer.

2. Teil
9. Kapitel: Die Hochzeitsnacht
Neuntes Kapitel:
Die Hochzeitsnacht

Strahlenreicher Affe! Vater der Natur! Belebendes Auge der Welt! O Sonne! Zögere noch um ein weniges mit Deiner Rückkehr, und laß, wenn es sein kann, Deine göttlichen Strahlen die Freuden des Prinzen beleuchten! Nach diesem Ausruf des scheschianischen Verfassers, den ich vielleicht zur Unzeit abgeschrieben habe, wiederholt er, was der Leser schon aus dem vorigen Kapitel ersehen könnte, nämlich, [49] daß der Prinz Neadarne wegführte. Er entkleidete sie, wie die Geschichte sagt, schneller, als er sie am Morgen angekleidet hatte. Ganz betroffen und sprachlos wagte die Prinzessin es beinahe nicht, ihn anzublicken. Tanzais Ungestüm setzte sie in Erstaunen. Bisweilen wollte sie ihm Einhalt tun, allein die Pflicht lehnte sich gegen ihren Widerstand auf, und die noch stärkere und sanftere Liebe unterstützte ihre Nachgiebigkeit und brachte ihre Verschämtheit zu Fall. Endlich gelang es Tanzai, sie auf das Brautbett zu bringen.

Bald darauf flog er zu ihr und verschlang mit den Augen alle die Schönheiten, welche Hymen ihm preis gegeben hatte. Was er sah, küßte er; was er geküßt hatte, besah er wieder von neuem; überall schweiften seine rastlosen Hände umher. Neadarne fand bald, daß anstelle der Scham ein ihr völlig unbekanntes Gefühl ihre ganze Seele füllte; sie seufzte, gab der sanften Regung nach, die Tanzai in ihr erzeugt hatte, und endlich erklärte ein zärtlicher Kuß ihre feurigen Entzückungen. Schon ertönten die schmeichelhaftesten Namen, schon widerhallte das Geräusch der Seufzer im Zimmer; schon glaubte sich Tanzai auf dem Gipfel seiner Wünsche, als er bei gleich starken Begierden nicht mehr gleiche Kraft verspürte. Voll Erstaunen über diesen unvorhergesehenen Vorfall schloß er die Prinzessin in die Arme, aber vergebens; umsonst suchte er in den zärtlichsten Liebkosungen ein Mittel gegen sein Unglück. Alles erhöhte sein glühendes Verlangen, aber nichts gab ihm das wieder, wodurch er es der Prinzessin beweisen konnte. Bestürzt und beschämt über den Zustand, worin er sich erblickte, verfügte er sich wieder neben Neadarne, in der festen Hoffnung, daß die Erstorbenheit aufhören und seine Geliebte selbst zu deren Endigung beitragen würde.

Aber wie groß war sein Erstaunen, als er, um den Beistand ihrer teuren Hand flehend, gewahr wurde, daß es vergeblich sein würde, sich deren bedienen zu wollen. Es zeigte sich [50] seinen Augen kein Gegenstand mehr, auf den die Prinzessin ihre Huld hätte erstrecken können. Er erkannte die Folge seines Verlustes; und je ungewöhnlicher er war, je unersetzlicher schien er ihm. O Affe, o gerechter Affe! rief er. Oh, Prinzessin! o abscheulicher Tag! o vermaledeieter Priester! – Was hat denn diese Verzweiflung zu bedeuten? fragte die Prinzessin. Was ist daran schuld? Kann ich keinen Teil daran nehmen? – Ach! Mein Unglück trifft Euch nur zu sehr, versetzte Tanzai. Wie glücklich wäre ich, wenn es nur mich allein anginge. – Ihr verhehlt es mir zu lange! entgegnete sie. – O seht hierher, rief der Prinz, und urteilt, ob mein Klagen über den unerhörtesten und grausamsten aller Vorfälle nicht begründet ist.

Die Prinzessin betrachtete ihn jetzt mit Aufmerksamkeit und konnte nicht umhin, über den Zustand, worin sie ihn sah, sehr bestürzt zu sein; wiewohl sie, wie sie selbst sagte, nicht wußte, in was für einem Zustande er sich eigentlich befinden müßte. O mein Prinz! sagte sie mit einer zärtlichen Umarmung zu ihm. – Verschont mich mit diesen Liebkosungen, erwiderte er, sie vermehren nur mein Unglück. Oder kommt vielmehr, fuhr er fort, indem er sie in seine Arme drückte; Ihr allein könnt mir meine vorige Gestalt wiedergeben. Ha! Wenn ich sie durch Euch nicht wiederfinde, bin ich auf immer verloren! Mit diesen Worten legte er Neadarne wieder auf das Brautbett. Er fühlte seine Begierden noch heftiger wallen als vorher und begriff nicht, wie sie ihm nichts von dem wiedergaben, was er verloren hatte. Er entdeckte in der Wallung, worin er war, Reize, die ihm vor Ingrimm Seufzer auspreßten. Endlich, außer sieh vor Wut und Müdigkeit, faßte er den Entschluß, sich neben sie zu legen, ebenso betreten über das, was künftig daraus werden sollte, als über das, was es schon jetzt war.

10. Kapitel: Verlauf der Hochzeitsnacht
[51] Zehntes Kapitel:
Verlauf der Hochzeitsnacht. Was für einen Streich dem Prinzen der Schaumlöffel spielt

Werdet Ihr mir denn nie, sagte endlich Neadarne zu ihm, die Ursache von alldem entdecken, was ich sehe? Werdet Ihr mir nicht sagen, was jene Veränderung Eurer Gestalt bewirkte, über die Ihr so bekümmert seid? Um Euer selbst willen beschwöre ich Euch, holder Prinz, meine Neugier zu befriedigen. – Das will ich, versetzte Tanzai. Ihr vermehrt, ohne es zu wollen, mein Unglück, und die Verzweiflung, es in Eurer Gegenwart erdulden zu müssen, macht es noch unerträglicher. Im Beisein von Euch, dem einzigen Gegenstande meiner zärtlichsten Wünsche, von Euch, deren Reize mir für ein ganz anderes Schicksal bürgen sollten, als ich heute erlebe.

Aber, versetzte Neadarne, ist dies Unglück nur Euch begegnet? – In gleichen Fällen, versetzte er, haben schon andere wie ich, eine Kraftlosigkeit empfunden, die alle ihre Freuden zerstörte; allein diese Erstorbenheit, die gewöhnliche Folge zu vieler Liebe, ist nicht von Dauer; ihr kann abgeholfen werden, die Liebe selbst gibt die vorige Spannkraft wieder. Hier aber vermag all Euer Mitleid nichts; Eure Zärtlichkeit, meine, alles frommt nichts. Vernehmt, wie es mit meinem Unglück zusammenhängt.

Hierauf erzählte er ihr mit kurzen Worten die Drohungen der Barbacela, das Geschenk des Schaumlöffels, den Gebrauch, den er davon machen sollte, und die Wut, worin er gegen Saugrenutio war, dem er den Vorfall dieser Nacht zur Last legte. Nie hätte ich gedacht, setzte er hinzu, daß ein so glorreicher Tag für mich der Anfang solchen Unglücks sei und sich auf so jammervolle Art enden sollte! Der Tag, den ich für den schönsten meines Lebens halten mußte, ist der schimpflichste für mich, solange ich Odem schöpfe.[52] Ohne zu prahlen (vielleicht prahlte er doch), ich bin von allen Männern derjenige, der am wenigsten erwarten durfte, was ihm diese Nacht begegnet ist. Barbacela hatte mich auf eine so erstaunliche Art begabt, daß mich nichts mehr in Verwunderung setzt, als daß dies Geschenk (in meinen Augen nur durch den Anteil teuer, den Ihr daran nehmen solltet) verschwunden ist, ohne daß ich das Geringste davon gemerkt habe.

Nach diesen Worten begannen seine Tränen von neuem zu fließen. Wie, sagte Neadarne mit einer Umarmung zu ihm, glaubt Ihr, daß dieser Vorfall meine Liebe zu Euch mindert? Oh, mein Prinz! Ginge er Euch nicht so nahe, so würde ich den Himmel dafür preisen. Ihr würdet mich vielleicht nach Befriedigung Eurer Begierden weniger geliebt haben; unstreitig hat der Himmel es so gefügt, damit ich Eurer Liebe beständig genießen kann. Zwar würde es mir angenehm gewesen sein, Eure Leidenschaft zu befriedigen; hätte ich dies aber tun können, ohne mich der Gefahr auszusetzen, sie erlöschen zu sehen? Und gibt es wohl etwas Schmeichelhafteres für mich, als Euch immer in mich verliebt zu finden? Gibt es wohl eine größere Wollust für zartfühlende Herzen? Was sind jene Freuden, die Ihr sosehr betrauert, ohne Liebe? Nein, mein teurer Prinz, keine davon kommt der gleich, die ich empfinde, wenn ich Euch sage: Ich liebe Euch. Überdies, was haben wir verloren? Jene so zärtlichen Entzückungen, worin Ihr mich versenkt habt und die ich noch jetzt bei Euch empfinde, hängen ganz und gar nicht von dem ab, was Ihr verloren habt. Habe ich nicht noch immer das Vergnügen, Euch zu umarmen? Gebt Ihr mir nicht selbst Eure Liebkosungen in reichem Maße zurück? Übertreibt Ihr nicht etwa Euren Verlust?

Ach! Neadarne, rief der Prinz voll Betrübnis, wie ganz anders würdet Ihr sprechen, wenn Ihr dem Hören nach das kennen würdet, dessen Verlust ich betrauere. – Es sei [53] darum, versetzte sie; ich will es zugeben, daß Ihr mit größtem Fug und Recht betrübt seid, und will auch alles dadurch verloren haben; aber unsere Verbindung soll demungeachtet in voriger Stärke bestehen bleiben. – Ich glaube es, antwortete er, aber meint Ihr, daß sie etwas von ihrer Lebhaftigkeit verloren hätte, wenn ich geblieben wäre, was ich war? – Prinz, erwiderte sie, die Götter geben mir mitten in dieser Verlegenheit einen heilsamen Gedanken ein. Die Fee hatte unstreitig ihre Gründe, warum sie Euch den Schaumlöffel gab. Ein Geschenk von der Art wäre zu lächerlich, wenn sie ihm nicht eine besondere Eigenschaft beigelegt hätte. Was Euch begegnet, ist in der Tat eine Wirkung des Zorns der höllischen Kukumer. Ich bin überzeugt, daß der Schaumlöffel, gehörigen Orts appliziert, den Zauber vernichten würde.

Mögen Euch die Götter für diesen Einfall belohnen! rief Tanzai. Wie seid Ihr zu preisen, in solcher Not soviel Geistesgegenwart zu haben! – Eilig lief er hin, den Schaumlöffel zu holen, und rieb sich aus allen Kräften damit. Seht Ihr noch nichts? fragte er die Prinzessin. In dem Augenblick, da sie mit Nein antwortete und der Prinz mit Reiben fortfahren wollte, fand er den Schaumlöffel unbeweglich. Er hatte sich seiner Haut dermaßen verbunden, daß die angestrengtesten Kräfte ihn nicht wieder beseitigen konnten. So mußte er ihn, nachdem er sich ausnehmend viele Schmerzen gemacht hatte, lassen, wo er war. Inzwischen war er sehr bekümmert, was er anfangen sollte, wenn er ihn nicht wieder losbekäme. Endlich brach der Tag an; Neadarne, von Müdigkeit überwältigt, überließ sich dem Schlaf und ermahnte den Prinzen, ein Gleiches zu tun. Indessen beschäftigten seine Abenteuer ihn zu sehr, als daß er diesen Rat hätte nutzen können, und er verwendete den Rest der Nacht vergeblich damit, den Löffel wieder fortzubringen. Am meisten beunruhigte es ihn, dieses Werkzeug zu tragen [54] und dem ganzen Hofe zum Gespött zu werden. Er bemühte sich also, ihn aufwärts zu biegen, um ihn mit näherem Anstände tragen zu können; allein mit allen seinen Kräften konnte er den Löffel nicht soweit bringen, daß er sich bog. – Wenn er ihn mit Gewalt zu sich hinzog, bedeckte er ihm das ganze Gesicht, was ihm unerträglich lästig fiel.

Wie er sich in dunkle Betrachtungen darüber verlor, schlief er ein. Schmerz und Ermattung verschafften ihm einen so langen Schlaf, daß Neadarne, die vor ihm erwachte, hinlänglich Zeit hatte, das unselige Geschenk der Barbacela zu betrachten. Tanzai, nachdem er verschiedene Posituren versucht, hatte sich endlich auf den Rücken gelegt, und bei dieser Lage fehlte nicht viel, daß der Schaumlöffel den Himmel des Bettes abstützte. Die Prinzessin verlor sich in Betrachtungen, die dieser Anblick verursachte; sie zweifelte recht, ob das, was der Prinz verloren, trotz allem, was er sagte, dem gleichkäme, was er eben hier erhalten hatte.

11. Kapitel: Wenig bedeutende Ereignisse
Elftes Kapitel:
Wenig bedeutende Ereignisse. Der Staatsrat wird versammelt und wozu dies hilft

Der Prinz hatte schon eine geraume Zeit geschlafen, als sein königlicher Vater, sehr besorgt wegen des Ausgangs der Brautnacht, in Begleitung des Hauptmanns seiner Leibwache und des größten Teils von seinem Hofstaate in das Schlafgemach trat. Der alte Herr frohlockte über den neuen Vorzug, den er an Tanzai entdeckte, und machte ziemlich starke Spaße über die Nacht, die die Prinzessin zugebracht haben müsse. Die Höflinge stutzten über die ungeheuer große Erscheinung nicht wenig und scherzten, wenn auch auf eine schicklichere Art, unter sich, wie Neadarne nach [55] einer solchen Nacht nun wohl beschaffen sein müsse. Sie konnten insgesamt nicht begreifen, wie der Prinz das majestätische Wesen, das sie erblickten, so lange hatte verbergen können. Der König, der sich von seiner ersten Freude erholt hatte und den Zustand, worin sein Sohn war, nicht ganz natürlich fand, wollte ihn aufwecken, um sich nach dem Grund hiervon zu erkundigen, als Neadarne das Zelt verrückte, das der Schaumlöffel sich gemacht hatte, und ihn zu jedermanns großem Erstaunen bis zu seiner Wurzel sehen ließ.

Grausamer Affe! was seh ich! rief Cephaes. Der Prinz, der von diesem Ausruf erwachte, geriet in Verzweiflung, den ganzen Hof zum Zeugen seines Zustandes zu haben, den er so gern vor der Welt verborgen gehalten hätte. In dieser unangenehmen Begebenheit bediente er sich seiner Geistesgegenwart gar geschickt und sagte zu seinem Vater, seit einer Stunde habe Neadarne wegen des Schaumlöffels mit ihm gescherzt und ihn aufgefordert, ihn auf eine Art im Gleichgewicht zu erhalten, wie man es jetzt sähe. Er habe sie überzeugt, daß die Sache möglich wäre und jedes Ding balanciert werden könne; wie er sich dann dem Schlaf überlassen, wäre es so geblieben, ohne daß er selbst wisse, wie. Die Hofschranzen stellten sich, als nähmen sie diese Erklärung an, so abgeschmackt sie auch war. Jedermann begab sich fort, damit die Prinzessin aufstehen konnte. Wie der Prinz mit seinem Vater allein war, entdeckte er ihm alle die Leiden, die ihn betroffen hatten, und schloß mit der Klage, daß er nicht wüßte, wie er den Schaumlöffel tragen sollte, ohne daß jedermann ihn gewahr würde.

Nach langem Nachdenken schlug ihm Cephaes zwanzigerlei Mittel vor, deren eins immer weniger tauglich war als das andere. Endlich gestand er ihm ganz frei: Mein Sohn, das Ding ist mir zu kraus. Tanzai meinte, man würde den Stiel abfeilen können, allein weder Feile noch ätzende Mittel [56] waren imstande, den Löffel zu verringern. Der König wußte nicht, was er raten sollte; er sagte, er müsse in den Staatsrat gehen, und ließ das neue Ehepaar allein.

Als der Staatsrat versammelt war, trug der König den Vorfall, der seinem Sohne begegnet war, vor. Diese Nachricht setzte niemanden in Erstaunen. Die Geschichte mit dem Balancieren hatte nicht so angeschlagen, wie der Prinz geglaubt; das Volk hatte die Sache ganz natürlich genommen: nicht, daß es etwa völlig gewußt hätte, wie alles zusammenhing, allein ein dumpfes Gerücht durchlief die Stadt. Man sagte: der Prinz habe da einen riesigen Schaumlöffel, wo Neadarne weniger Großes und etwas Besseres zu finden vermeint hätte. Andere behaupteten – doch flüsterte man sich das nur ins Ohr –, Tanzai sei ganz und gar in einen Schaumlöffel verwandelt worden, man habe ihn auf der Terrasse unter seinen Zimmern herumwandeln sehen, und ein gewisser Bedienter habe ihn in dem Aufzuge gesprochen.

So abgeschmackt auch dieses Gerücht war, hatte es dennoch tiefe Wurzeln beim Volk gefaßt, das beinahe ebenso unwissend als leichtgläubig ist und der am wenigsten wahrscheinlichen Sache den meisten Glauben beimißt. Nachdem der Staatsrat dem Könige von all diesen Gesprächen Bericht erstattet hatte, eröffnete er seine Meinung über Tanzais Vorfall. Der eine sagte: man müsse eine Kleidung erfinden, die diese Ungestalt verberge; der andere: man müsse den Löffel biegen; der dritte: man müsse ihn abfeilen; Saugrenutio aber war der Meinung: man müsse den Affen um Rat fragen.

Ei zum Kuckuck! rief der König, das wußte ich schon alles selbst, sagt mir doch etwas, woran ich noch nicht gedacht habe. – Die Scharfsicht von Ew. Majestät, fingen sie an, ist so groß, daß ... – Verwünscht sei mein ganzer Staatsrat! sagte der König zornig. Noch nie hab ich ein Pack [57] dümmerer Dorfteufel gesehen! Wie können wir nur aus der Klemme, in der wir stecken, herauskommen? – Alles, was Ew. Majestät beliebt, versetzten sie. Der Zorn des Königs war schon sehr hoch gestiegen, als einer der Räte, der weiland ein geschickter Wundarzt gewesen war, sagte: er wolle sich anheischig machen, den Schaumlöffel mittels des Meißels herauszuheben. Wenn er zuerst eine Inzision ringsherum machen und dann über dem Scrotum tiefer gehen würde, so müsse es gelingen. Zwar könnte vielleicht der Prinz nicht davonkommen, demungeachtet aber würde es immer eine sehr schöne Operation sein.

Der König wollte erst diesen unverschämten Burschen auf das Schafott schicken und war eben im Begriff, das Gutachten seines Staatsrats darüber einzuziehen, der ihn aus Gefälligkeit zum Strange verurteilt hätte, als Saugrenutio fest auf dem Affen bestand. Es gebe kein anderes Mittel, versicherte er, den Prinzen wiederherzustellen, als den Affen um Rat zu fragen. Die übrigen Staatsräte, die nichts Besseres anzugeben wußten, stimmten ihm bei, und man ging darauf auseinander. Der König kehrte zu seinem Sohn zurück, und Saugrenutio begab sich in den Tempel, um den Affen zur Erteilung des Orakelspruchs vorzubereiten.

12. Kapitel: Orakel des Affen. Abreise des Prinzen
Zwölftes Kapitel:
Orakel des Affen. Abreise des Prinzen

Das Unglück des Prinzen war eine zu treffliche Weide für Saugrenutios Rachgier, als daß er daraus keinen Nutzen gezogen hätte. Da es bei ihm stand, die Aussprüche des Affen zu schmieden oder sie wenigstens nach seinem Gutdünken auszulegen, beschloß er die Gelegenheit zu nutzen. Dieser Entschluß verriet nichts weniger als ein mitleidiges Herz; [58] allein Saugrenutio war im Angesicht eines ganzen Volkes beleidigt, aufs bitterste beschimpft worden; und um sich dafür mit mindern Gewissensbissen zu rächen, hatte er den Affen bei dem ihm widerfahrenen Schimpf zur Hälfte interessiert. Nicht mehr verfolgte er den Prinzen, sondern die Gottheit, die, ruhig und demütig verehrt in ihrem Tempel, sich im Grunde wenig um die Verdrießlichkeiten bekümmerte, die ihren Priestern widerfuhren. Saugrenutio war bereits in das Heiligtum des Tempels getreten, sehr verlegen über die Wendung, die er dem Orakel geben sollte, als ihm die Fee Kukumer erschien: Ich teile Deine Rachgier, sagte sie zu ihm. Wir haben beide einerlei Schmach zu ahnden. Sei unbesorgt; ich selbst will den Orakelspruch abfassen. Verlaß Dich auf meinen Schutz. Ich räche Dich, Priester. – Saugrenutio, so andächtig er war, dankte der Kukumer aufs herzlichste und war eben im Begriff, sie wegen ihres guten Herzens zu preisen, als der König in den Tempel trat. Sogleich brachte der Priester dem Affen das Rauchopfer und fragte ihn ganz laut, was der Prinz tun solle? Kukumer, den Augen aller unsichtbar, sprach, scheinbar durch den Mund des Affen, folgende Worte: Er gehe, reise, schlafe, komme wieder.

Der König gab sich vergebliche Mühe, dies Rätsel zu enthüllen, es ging ihm wie zuvor; er eilte, diesen Ausspruch dem Prinzen zu bringen, der, immer mit seiner Bezauberung beschäftigt, Neadarne umsonst ermüdete. Was will dies Orakel sagen? fragte Tanzai, nachdem er es vernommen hatte. – Ich verstehe es nur zu gut, sagte Neadarne. Wollten doch die grausamen Götter geben, daß es mir so dunkel wäre als Euch. – Und worüber ängstigt Ihr Euch, Prinzessin? entgegnete Tanzai. – Zuerst, sagte sie, will das Orakel, daß Ihr mich verlassen sollt; das ist nicht das einzige Unglück, das meine Liebe bekümmert. Ihr sollt auch unterwegs schlafen ...

[59] Neadarne, rief der Prinz, kannst du wohl in dem Zustand, worin ich bin, diese Besorgnis hegen? Du weinst, da das Schicksal mir ein Mittel anzeigt, unserem Unglück ein Ende zu machen? Du befürchtest, ich möchte treubrüchig gegen dich werden? Denkst du, daß ich dich vergessen könnte, selbst wenn man die Göttin der Liebe mir anböte; daß Neigung mich in ihre Arme führen, daß nicht dein Bild mir vorschweben würde und daß ich ohne diese holde Phantasie wieder genesen könnte?

Neadarne weinte und schwieg. Der Prinz, so gerührt er von ihren Tränen auch war, gab dennoch Befehl zu seiner Abreise. Nach den zärtlichsten Umarmungen und den lebhaftesten Versicherungen unverbrüchlicher Treue und der schnellsten Rückkehr verließ er ganz allein und zu Pferde den Palast. Sein Schaumlöffel machte ihm beim Reiten nicht wenig Verlegenheit; endlich gelang es ihm, denselben seinem Rosse zwischen die Ohren zu legen. Vor seiner Abreise hatte er seinen Vater nochmals gebeten, die Stände und die Geistlichkeit seines Reiches zu versammeln, um Saugrenutio zum Schaumlöffel zu verdammen, im Fall er davon befreit würde.

13. Kapitel: Wundersames Abenteuer der 'Fee mit dem Kessel'
Dreizehntes Kapitel:
Wundersames Abenteuer der ›Fee mit dem Kessel‹

Der Prinz hatte schon zwei bis drei Königreiche durchzogen, sehr beunruhigt, wann und wo seine Wanderschaft ein Ziel haben sollte, als er durch einen sehr dunklen Wald kam, wo er ein altes Mütterchen erblickte, das in einem Kessel Kräuter kochte. Diese Kräuter brodelten einen entsetzlichen dicken Schaum auf, der der Alten um so lästiger fiel, da sie nichts hatte, womit sie ihn abschöpfen konnte. [60] Dem Prinzen ging es nahe, daß sie sich so quälen mußte. Die Arbeit scheint Euch sehr sauer zu werden, sagte er.

Gnädiger Herr, versetzte sie, mir fehlt weiter nichts als ein Schaumlöffel. – Auf die Art haben wir ganz entgegengesetzte Beschwerden, versetzte Tanzai, denn meine Verlegenheit kommt gerade daher, daß ich einen habe. – Ach! großmütiger Unbekannter, rief die Alte, wolltet Ihr ihn mir ein wenig leihen? Alles in der Welt wollt ich darum geben! – Den Dienst würde ich Euch herzlich gern leisten, erwiderte der Prinz, allein er ist so an mir befestigt, daß es mir unmöglich ist, ihn los zu machen. Doch abschäumen kann ich Euch den Kessel wohl, wenn Euch daran so sehr viel liegt. Er stieg hierauf vom Pferde, nachdem er zuvor die Alte gebeten, sich etwas beiseite zu begeben, entweder weil er sie nicht sehen lassen wollte, wo eigentlich der Schaumlöffel saß, oder weil er von Natur schamhaft war.

Das alte Mütterchen trat also beiseite, und der Prinz, das Werkzeug mit beiden Händen führend, fing an, aus allen Kräften abzuschäumen. Kaum mochte dies eine Minute lang geschehen sein, als sich plötzlich der Schaumlöffel löste. Tanzai stieß einen Schrei des Erstaunens und der Freude aus. Die Alte kam hinzu. Er war im Begriff, ihr seine Geschichte zu erzählen, als sie ihn folgendermaßen unterbrach: Ich kannte Euch, Prinz, wußte, daß Ihr hier vorbeikommen und daß wir uns einen gegenseitigen Dienst erweisen würden. Ich bin eine Fee und brauchte, um diesen Kräutern die erforderliche Kraft zu geben, den bezauberten Schaumlöffel, den Barbacela Euch verliehen. Ich bin Euch nicht unnütz gewesen und hoffe, Euch noch ferner dienen zu können. Ihr geht nach der Schnakeninsel ...

Ihr nehmt mir einen schweren Stein vom Herzen. Ich muß Euch gestehen, ich reiste, ohne zu wissen, wohin. Wie werde ich aber nach dieser Insel kommen? – Euch mehr zu sagen, ist mir verboten. – Eine neue Verlegenheit! Glaubt Ihr [61] wohl, daß es etwas schadete, wenn ich wieder zurückkehrte? Die Wahrheit zu sagen, ich bin des ganzen Krams herzlich überdrüssig. Könnt Ihr mir nicht wenigstens sagen, was ich dort machen soll? – Hat das Orakel des Affen Euch hierüber nicht genugsam unterrichtet? Euer Glück bei einer Dame zu machen ist der Zweck Eurer Reise. – Mein Glück bei einer Dame auf der Schnakeninsel, rief er. O habt doch die Güte, mir zu sagen, was für eine Schöne sich dort aufhalten kann. – Bekümmert Euch darum weiter nicht, sagte sie lachenden Mundes zu ihm; seid nur darauf bedacht, es nicht an Mut fehlen zu lassen.

Ihr macht mir einen schlechten Begriff von meiner Eroberung, versetzte Tanzai. Jedes Frauenzimmer, bei dem es Mut bedarf, ist nicht so beschaffen, daß es den meisten Mut einflößt. Zwar habt Ihr mich von meinem Schaumlöffel befreit, aber ich bin deshalb um nichts weitergekommen. Sagt mir, was kann ich in meinem gegenwärtigen Zustand anfangen? Wenn Ihr Euch nur ein wenig für die Dame interessiert, die mich schon solange in der Welt herumzieht, so müßtet Ihr mich wohl in den Stand setzen, auf eine anständige Art vor ihr zu erscheinen.

Unmöglich, erwiderte die Fee; die Dame, die Euch liebt, ist allein in der Lage, Euch wiederzugeben, was Euch fehlt. Da aber gleichwohl Furchtsamkeit Eurer Wiederherstellung schaden könnte und viel daran liegt, daß Euch die Dame nicht die mindesten Vorwürfe machen kann, so will ich euch eine Flasche von diesem Wasser hier geben. Ihr werdet sehen, daß wir es mit Recht Gesundheitswasser nennen. Unterlaßt ja nicht, bevor Ihr Euch in der Nacht Eurer Entzauberung zu Bette legt, alles das auszutrinken, was ich Euch hier gebe.

In dem Fall, versetzte der Prinz, könntet Ihr Eure Großmut vielleicht noch etwas ausdehnen; nicht, als ob ich glaubte, dieses Gesundheitswassers gewöhnlich sehr zu bedürfen; [62] sondern nur für einen Notfall. Ein reichlicher Vorrat davon würde mir also nicht unlieb sein. – Ich verstehe Euch, entgegnete die Fee. Euer Verlangen soll gewährt sein. Bei Eurer Zurückkunft nach Scheschian sollt Ihr dreißig Flaschen von diesem Wasser in Eurem Kabinette antreffen. Gehabt Euch wohl. Die erste gesattelte und gezäumte Schnake, die vor Euch erscheint, wird Euch bringen, wohin Ihr sollt.

Hierauf verschwand sie. Der Prinz stieg wieder zu Pferde, nachdem er seine Flasche wohlverwahrt und seinen Schaumlöffel wieder angesteckt hatte. Er war weniger bekümmert um seine noch bevorstehende Genesung als um die Art und Weise, wie sie geschehen sollte.

14. Kapitel: Ankunft des Prinzen auf der Schnakeninsel
Vierzehntes Kapitel:
Ankunft des Prinzen auf der Schnakeninsel

Kaum hatte Tanzai einige Meilen zurückgelegt, als er die Schnake sah, die ihn übersetzen sollte. Sie war dreimal größer als sein Pferd. Der Anblick eines so ungeheuren Tieres ließ ihm vor Schreck fast das Blut erstarren; jedoch erholte er sich wieder, stieg schnell von seinem Gaule ab und überließ sich mit der völligen Unerschrockenheit eines Helden dem Tier auf Treu und Glauben. Kaum fühlte die Schnake ihn auf sich, als sie ihn in die Lüfte trug. Schon war es Nacht, und der Prinz noch nicht am Ziele seiner Reise. Er begann bereits zu glauben, daß sie nie enden würde, als die Schnake sich auf einer Insel niederließ, wo man ein Gesumme hörte, daß man davon hätte taub werden können. Der Prinz zweifelte nicht mehr, sich auf der Schnakeninsel zu befinden; und indes die Sorge, was er dort machen solle, ihn quälte, brachte ihn sein Führer vor einen stolzen Palast.

[63] Reichgekleidete Schnaken empfingen ihn an der Tür, andere spielten auf allerhand Instrumenten. Man weiß, daß die Mücken von Natur harmonische Stimmen haben. Diejenigen von ihnen, die Musik verstanden, sangen Loblieder auf den Prinzen und machten das sonderbarste Konzert, das man je hören konnte. Tanzai, dem diese höfliche Aufnahme wieder Mut einflößte, wurde in prächtige Zimmer geführt, wo sehr galant gekleidete Nachteulen ihm ihre Reverenz machten. Eine von ihnen fragte ihn, nachdem die ersten Zeremonien vorüber waren, mit gar holdseliger Stimme, ob es ihm gefällig wäre, ins Bad zu gehen? Durch die Neuheit dieses Abenteuers ganz betäubt, willigte er durch ein Kopfnicken ein. Sogleich nahten sich die Nachteulen, um ihn auszukleiden. Meine Damen, sagte er zu ihnen, es scheint mir nicht dem Anstände gemäß, daß ihr euch diese Mühe geben wollt.

Bei einem anderen würden wir es auch unstreitig nicht, versetzte die Oberkammerfrau, wir wissen aber, daß Ihr unsere Scham in keine Verlegenheit setzen könnt. – Tanzai errötete bei diesen Worten, und da er nichts Taugliches darauf zu antworten wußte, begab er sich ins Bad und verbarg sich mit mehr Sorgfalt, als vielleicht geschehen sein würde, wenn er etwas zu verbergen gehabt hätte. Ihr besitzt eine sehr liebenswürdige Bescheidenheit, gnädiger Herr, sagte die spöttische Nachteule zu ihm, aber das wundert mich nicht, denn von allen Mannspersonen seid Ihr zuverlässig die größte Seltenheit. – Auch würde zuverlässig, sagte Tanzai aufgebracht, diese Seltenheit, die Ihr so sehr an mir preist, in Rücksicht auf Euch weniger aufhören, als für jede andere. – Prinz, entgegnete sie, diese Antwort ist eben nicht allzuartig. – Seit zwei Stunden, sagte er, unterhaltet Ihr mich mit lauter elendem Schnickschnack. Macht mich nur nicht noch mehr übler Laune; ich pflege eben nicht vor Nachteulen große Ehrerbietung zu hegen. –

[64] Das Käuzlein war besorgt, den Prinzen zu sehr zu erbittern, und schwieg.

Tanzai verließ das Bad, von Wohlgerüchen umgeben, wie ein Mensch, den man zu den süßesten Abenteuern bestimmt hat. Hierauf wandte er sich zur Nachteule, und sagte: Jetzt bitte ich Euch, meine Neugier zu befriedigen. Sagt mir doch, wem habe ich alle diese Höflichkeiten zu verdanken? Wem gehört dieser Palast? Was bedeuten diese Sonderbarkeiten? Sprechende Käuzlein, bewaffnete Schnaken! Was will man von mir? Wer seid Ihr? Weshalb seid Ihr so außerordentlich geputzt? – Bin ich die erste aufgeputzte Nachteule, die Ihr seht? gab der Vogel zur Antwort. Doch seid deshalb ganz unbekümmert; macht Euch die süßesten Vorstellungen.

Aus einem so stattlichen Empfange könnt Ihr leicht schließen, was man für Euch zu tun gesonnen ist. Glaubt, daß die Reize der Dame, die Euch liebt, ihrer Macht vollkommen entsprechen. Denkt Euch das schönste Meisterstück des Himmels, und doch wird dies Ideal noch lange die Reize nicht erreichen, die man Euch preiszugeben geneigt ist. Mehr will ich nicht sagen, über das übrige sollen Eure Augen selbst urteilen. Die Schöne, die Euch bestimmt ist, wird sich diese Nacht zeigen. Nur sie allein kann Euch wieder in den Zustand versetzen, der Euch vermutlich sehr teuer war, weil Ihr den geringsten Scherz über dessen Verlust nicht ertragen könnt.

Tanzai, dem die Reden der ›Fee mit dem Kessel‹ kein so vollkommenes Glück versprochen hatten, fand seine Unruhe durch die Freuden gemildert, die ihm das Käuzlein verkündigte; er glaubte endlich, daß eine liebehauchende, hellstrahlende Göttin ihm den Vorzug geben würde, ihr Lager mit ihm zu teilen, daß dergleichen Vorfall sogar nicht selten wäre, und daß eine Göttin sich weniger herabwürdigte, wenn sie sich zu einem Prinzen herunterließe, [65] als eine Menge Damen von angesehenem Range, welche Liebe und Ausschweifung täglich zu weit anstößigeren Schritten verleiten. Er fand die Nacht, die er mit einem so vortrefflichen Wesen zubringen sollte, so über die Maßen schon, daß er fast die darüber vergaß, in der die zärtliche Neadarne, bei Verschwendung all ihrer Reize an ihn, ihn unfähig fand, sich deren zunutze zu machen. Er stellte sich vor, daß die Prinzessin, die das vollkommenste Werk war, das die Götter gebildet hatten, sich lange nicht der Schönheit näherte, die ein Raub seiner Begierden werden sollte. Seine Liebe zu Neadarne fing an, sich zu vermindern, und fand er noch feurige Triebe in sich, so waren sie allein auf die Göttin gewendet. Ach, die Verblendung der Liebhaber, die oft dem Bilde, das sie sich von einer neuen Eroberung entwerfen, die Gebieterin aufopfern, deren Herz und Reize sie genau kennen!

Als das Käuzlein Tanzai staunen sah, sagte sie zu ihm: Prinz, ich sehe wohl, was ein so schmeichelhaftes Abenteuer für Betrachtungen bei Euch erzeugt! Aber laßt das und nehmt ein munteres Wesen an. Eure Gebieterin haßt die stummen Mannspersonen. Ich weiß mehr als tausend Liebhaber, die durch Mangel an Gesprächigkeit ihre Gunst verscherzt haben.

Tausend Liebhaber! rief Tanzai. Nun, das ist wohl nur eine Redensart. – Fürwahr nicht, versetzte das Käuzlein, übertreiben ist nicht meine Sache. Zweitausend sind wenigstens vor Euch gewesen; zweitausend und noch mehrere werden Euch folgen. Diese große Anzahl von Anbetern muß Euch überzeugen, wie ausnehmend groß die Reize der Göttin sind. – Und ihre Güte ihnen angemessen, setzte der Prinz hinzu.

Wie ich merke, versetzte die Nachteule, liebt Ihr neue Eroberungen nicht; inzwischen rate ich Euch, nicht zu delikat in der Welt zu sein, Ihr werdet sonst Gefahr laufen, unbeschäftigt zu bleiben.

[66] Es ist zu vermuten, daß das Käuzchen, das die Preziöse und den Schöngeist spielte, es dabei nicht hätte bewenden lassen, wenn eine Schnake von Haushofmeister nicht gemeldet hätte, daß die Tafel gedeckt sei. Der Prinz setzte sich allein zu Tische. Daß das Mahl prächtig und geschmackvoll war, kann man sich leicht vorstellen; die Liebe hatte es angeordnet.

Endlich war die Mahlzeit vorüber, und der Prinz schloß sie mit seinem Gesundheitswasser. Das Käuzlein lachte gar höhnisch hierüber und sagte: Ihr bedürft der Vorsicht. Unstreitig ist dies Getränk ein Präservativ gegen Eure gewöhnlichen Zufälle? – Wie dem auch sein mag, versetzte er, und so kräftig es auch immerhin sein mag, so würde es doch gegen eine Physiognomie wie die Eure scheitern. – Meine Bildung mag wohl nicht schön sein, entgegnete die Eule; vielleicht geratet Ihr aber noch einmal in Umstände, wo Ihr Euch ein Gesicht wie das meinige wünscht. – Ihr habt Euch entweder nie recht im Spiegel besehen, erwiderte Tanzai, oder Ihr besitzt eine lächerliche Eigenliebe.

15. Kapitel: Wie man sich oft in seinem Wahne täuscht
Fünfzehntes Kapitel:
Wie man sich oft in seinem Wahne täuscht

In diesem Augenblick meldete man dem Prinzen, daß seine Göttin ihn bald empfangen würde. Bei dieser Nachricht kam sein Herz in Wallung; Neugier und ein noch lebhafteres Gefühl setzten es in Aufruhr. Er ließ sich von den Käuzlein auskleiden, ohne ein Wort hervorzubringen. Nachdem sie ihm einen Schlafrock angelegt hatten, führten sie ihn in ein prächtiges Gemach, wo die köstlichsten Spezereien, die in goldenen Räucherpfannen brannten, die Luft durchdufteten und die wollüstigsten Aromen verbreiteten. Voller [67] Unruhe und Begierden kam er, nachdem er durch fünf oder sechs große Räume gegangen war, endlich in das Schlafzimmer, wo die Göttin lag. Ein mit reichsten Edelsteinen und Rubinsäulen geschmücktes Bett barg dieses wunderreiche Wesen.

Den Prinzen blendete und fesselte anfänglich ein so glänzendes Schauspiel, indes unterließ er doch nicht, jenes so gepriesene Meisterstück endlich mit den Augen zu suchen. Er sah von weitem sich etwas im Bett bewegen, das war aber ein so ungestaltes Geschöpf, daß er nicht zweifelte, es müsse die Meerkatze der Göttin sein. Er näherte sich, das Käuzlein verließ ihn, nachdem es ihm eine angenehme Ruhe gewünscht hatte. Von Begierden verzehrt, von Schüchternheit aber zurückgehalten, blieb Tanzai auf der Stelle stehen, wo ihn das Käuzlein verlassen hatte. Kommt, Prinz, sagte man zu ihm, und verliert keinen von den kostbaren Augenblicken, die die Liebe Euch schenkt. Er gehorchte und warf sich schnell ins Bett.

Wie er sich daselbst befand, drehte man sich um. Wie groß war sein Erstaunen, als er unter dem Weiß und Rot, dem Bändergeflatter und blonden Gekräusel die Fee Kukumer erkannte. Sie war es in der Tat, die, um ihn mit mehr Anstand zu empfangen, ihre Eulenohren mit den schönsten Brillantohrringen geschmückt hatte. Ihr Glatzkopf war mit einem blonden Haarturm aus großen Locken bedeckt, und mit einer Girlande von Rubinen geziert. Und wiewohl sie – wie sich's auch nicht anders schickte – im halben Negligé war, hatte sie doch, um ihre Reize noch rührender zu machen, über der Girlande ein weißes, rosa gesprenkeltes Häubchen angebracht, welches unter dem Kinn mit einer ungeheuren Schleife zugebunden war. Mitten in dieser reizenden Maskierung befand sich eine Art von Gesicht, an dem man rote, triefende und von Krähenfüßen umringte Augen gewahrte. Ihre ungeheure warzenreiche Nase sank [68] zärtlich in einen eingefallenen schlaffen Mund ein, von dem veilchenblaue Lippen lieblich herabhingen, die ganz entblößte Kiefern zeigten, die durch den Strom der Zeit sogar ein wenig ihr natürliches Kolorit eingebüßt hatten. Ihre hängenden Backen breiteten sich sanft über die Kopfkissen aus. Eine unzählige Menge Schönheitspflästerchen verschiedenster Art bedeckten eine schwarze und gesprenkelte Haut, deren Runzeln und Grüngelbheit durch den Glanz einer öligen Pomade hervorbrachen, die sie verbergen sollte. Ein schwarzes Band mit einem Kollier, reich mit Brillanten garniert, hing bis auf den Busen hinab. Ihre Brüste, die geschmeidig genug waren, wenigstens anderthalb Fuß lang herabzuhängen, quollen aus einem Mieder von der Farbe bluthäutigen Atlases hervor, das mit einem schwarzen Sammetbande umgürtet war, welches wiederum eine Brillantschnalle festhielt.

Bei diesen wunderbaren Anblick geriet Tanzai aus aller Fassung. Er wäre geflohen, wenn der Schreck, den ihm dies Scheusal einjagte, ihm Kraft dazu gelassen hätte. Überdies wurde er durch einen unerträglichen Gestank erstickt, der ungeachtet der wohlriechenden Salben, womit die Fee sich belegt hatte, die ganze Kammer anfüllte. O Himmel! sagte er bei sich selbst, das ist also der Gegenstand, den man mir bestimmt hat! O Neadarne! also hat das Scheußlichste, was die Natur je schuf, dir den Besitz meines Herzens streitig gemacht, ja, was sag ich? Dich völlig aus demselben verdrängt! Gerechter Affe! wie groß ist mein Glück in der Liebe! – Wäre der Prinz mehr herumgekommen, so hätte er gewußt, daß das Glück bei Damen, womit unsere jungen Stutzer sich so brüsten, dem seinigen oft gleich ist.

Noch hatte sich Tanzai von seinem Ekel und Schreck nicht erholt, als eine rauhe und gebrochene Stimme aus diesem Furchtgerippe folgende süßen Worte an ihn richtete: Ihr seht, Prinz, was ich Eurethalben tue und wie überschwenglich [69] groß meine Güte gegen Euch ist. Ihr würdet Euch nie haben vorstellen können, daß nach der höchst kränkenden Beschimpfung, die Ihr mir zugefügt habt, nach der Strafe, die darauf folgte, meine Rache damit enden würde, Euch Zutritt in mein Bett zu gestatten. Eben die Hand, die Euch Tränen auspreßte, ist jetzt bereit, sie Euch zu trocknen. Ihr würdet Euch den gräßlichsten Gefahren ausgesetzt haben, um das wieder zu werden, was Ihr wart, und seht, Ihr werdet jetzt im Schöße der Freuden Eure erste Gestalt wieder erlangen. Ich weiß nicht, ob mich zuviel Eigenliebe täuscht und mir Euer Glück zu groß schildert; ob die Entzückungen aller der Sterblichen, die mich gesehen, mir zu hohe Einbildungen von meinen Reizen eingeflößt haben; allein ich habe Ursache zu glauben, daß es keinen Fürsten und Fürstensohn auf der Welt gibt, der das Schicksal, dessen ich Euch teilhaft machen will, nicht wünschen, nicht sogar mit seinem Leben zu bezahlen erbötig sein sollte. Ich dränge Euch nicht, meine Gunst zu verdienen, denn ich lese bereits in Euren Augen die größte Ungeduld; ich entdecke darin mit der innigsten Freude, daß Ihr die Heftigkeit Eurer Begierden nicht länger ertragen könnt. Überlaßt Euch ihnen denn, teurer Prinz, die meinigen stehen Euch für Eure Glückseligkeit! Kommt, Tanzai, meine Schamhaftigkeit kann dies Schauspiel nicht länger ertragen. Eilet, sie aufs ärgste in die Enge zu treiben! Ach! muß die Tugend noch in so süßen Augenblicken ihre Gewalt spüren lassen! Schlagt die Vorwürfe nieder, die meine Sittsamkeit in mir laut werden läßt! In Euren Armen soll sie ihr Grab finden ...

Tanzai, der ganz unbeweglich geblieben war, hatte nicht die Hälfte von dem gehört, was die Kukumer ihm gesagt hatte, und würde unstreitig in dieser Lethargie erstarrtgeblieben sein, wenn er nicht auf seiner Hand eine krumme Klaue gespürt hätte, die die Fee ihm reichte. Sogleich schoß es ihm durch den Kopf, die Alte zu erwürgen; aber bedenkend, [70] daß die Macht der Kukumer sie vor dieser Rache schützen würde und daß er dafür auf immer in dem Stande bliebe, worin er sich befand, ließ er die Idee fahren, so verführerisch sie auch war. Er wußte zuletzt nicht, wozu er sich entschließen sollte, als die Fee ihm zärtlich ihre Klauen in die Hand grub.

Wie, Prinz, sagte sie zu ihm, Ihr seid ganz außer Fassung? Ich verzeihe der Liebe die Erstarrung, worin ich Euch erblicke, allein sie hätte bereits dem Ungestüm Eurer Flamme und meiner Zärtlichkeit Platz machen sollen. Ich muß also alles tun, kleiner Undankbarer, setzte sie schmachtend hinzu. Sind die Reize, die ich dich habe sehen lassen, nicht mächtig genug, dich wieder zu dir zu bringen, so wollen wir versuchen, ob die, die mir noch übrig sind, dich nicht wieder ins Leben zurückrufen können.

Mit diesen Worten zerrte sie voller Leidenschaft das Wenige weg, das ihre noch nicht wahrgenommenen Schönheiten verbarg. Ihr Auge rollte wild umher und sie sagte seufzend: Sieh, Barbar, sieh alles das, was meine Liebe Dir überläßt. – O Barmherzigkeit! rief der Prinz. Ihr großen Götter, wo bin ich? Damit entriß er sich den Klauen, die ihn zurückhalten wollten, sprang aus dem Bette und suchte zu entfliehen; allein es verhinderte ihn etwas, was der Leser im folgenden Kapitel erfahren wird.

16. Kapitel: Ein Blendwerk. Das Glück des Prinzen entschwindet
Sechzehntes Kapitel:
Ein Blendwerk. Das Glück des Prinzen entschwindet. Für welchen Preis er es wieder erhält

Ganz außer sich vor Wut wollte Tanzai aus dem Zimmer stürzen, als ihn eine sanfte Stimme rief, die er wieder zu erkennen glaubte. Wie groß war sein Erstaunen, als er, sich [71] nach dem Bette umdrehend, Neadarne erblickte, reizender denn je. Meine Prinzessin! rief er und eilte auf sie zu. – Halt ein, Undankbarer! sagte Neadarne zu ihm. Mann ohne Herz! Du bist meiner Zuneigung nicht mehr wert. Du wußtest, daß unser Glück von dieser Probe abhing, und hattest nicht die Stärke, sie auszuhalten! Ich war unter jener ungestalten Außenseite verborgen; ich habe dich unter dem Schutz der Barbacela in Gestalt einer Fee von dem leidigen Schaumlöffel befreit; habe dir das Gesundheitswasser gegeben, um dir weniger Schreck für den Gegenstand einzuflößen, der sich dir zeigen würde. O Unglücklicher, setzte sie hinzu und vergoß einige Tränen, du hast meine zärtlichen Bemühungen, meine Gütigkeiten verscherzt, wirst auf immer in dem gräßlichen Zustande bleiben, woraus dich nichts ziehen kann. – O meine Prinzessin! rief Tanzai, wer konnte dich unter der Gestalt erraten! Er suchte sie von neuem zu umarmen, allein Prinzessin und Zimmer verschwanden vor seinen Augen, und er fand sich plötzlich wieder in dem Gemach, worin man ihn bei seiner Ankunft empfangen hatte. Seine Verzweiflung stieg noch, als er die überlästige Nachteule fand, die in einem Armstuhl saß, auf ihn wartete und indessen lustige Liedchen sang.

Wie? Schon wieder zurück? fragte sie in munterem Tone. Bei Euch vergeht eine Nacht wie eine Minute. Wenn Ihr sie nie länger dauern laßt, so kann man Euch wohl, ohne Anstoß zu erregen, um die Zeit Zusammenkünfte zugestehen. Ich glaubte Euch vor Mittag nicht wieder zu sehen. – Ihr großen Götter! rief der Prinz kläglich, durch was für Verhängnisse vergiftet Ihr mein Leben! – Ah! sagte die Nachteule, nun hab ich es heraus. Es ist Euch wieder ein Leid begegnet, oder besser gesagt, Ihr habt noch Euer altes. Ein Unglück für Euch; denn was meint Ihr wohl, daß man in der Lage mit Euch anfangen soll?

Wißt Ihr wohl, Ihr vorwitzige Schwätzerin, versetzte der [72] Prinz mit Wut, daß ich Euch den Hals umdrehe, wenn Ihr Euch untersteht, noch ein Wort zu sagen? Dann kam er wieder zu sich und fuhr fort: Ich bitte Euch um Verzeihung, Fräulein, für das, was ich eben gesagt habe; allein die Dinge, die mit mir geschehen, machen mir den Kopf ganz wüst, bringen mich außer Fassung. Ich weiß weder, wo ich bin, noch ob ich überhaupt noch existiere. Erlaubt mir, Euch mein Unglück zu erzählen ... Ihr habt, fügte er, als er seine Erzählung geendet hatte, hinzu, vielen Kredit in diesem Palaste. Ich erkenne meinen Fehler. Könnte ich jene Gelegenheit nicht wieder erlangen, die ich durch meine Unvorsichtigkeit verscherzte? Aber ich bitte Euch, zögert ja nicht, zu helfen, mein Leben hängt davon ab. – Was Ihr von mir verlangt, wird sich schwer ausrichten lassen, versetzte die Eule, doch will ich einen Versuch machen, Euch mit meinem Kredit zu nützen. Wartet ein wenig, ich will es zu vermitteln suchen.

Kaum war sie fort, als Tanzai über alles nachzudenken begann. Wer hätte wohl erraten, sagte er bei sich selbst, daß meine Prinzessin sich mir in so abscheulicher Gestalt zeigen würde? Ach! schon hatte ich die Wirkungen des Gesundheitswassers empfunden, schon erkannte ich mich selbst wieder und war im Begriff, meinen Ruhm wieder herzustellen und mich von meinen Widerwärtigkeiten zu erholen. Wen aber sollte der Anblick der Kukumer nicht erschreckt haben? Unseliger Stand der Könige, ungeachtet ihrer Macht den Ungerechtigkeiten der Feen unterworfen zu sein! Kann es wohl etwas Seltsameres geben, als was mir begegnet? Mein Schicksal hängt von einem elenden Schaumlöffel ab. Ah, wer wird das glauben, wenn je meine Geschichte niedergeschrieben wird? Und wenn sie leichtgläubige Leute genug finden, was für ein Stoff zu Unterhaltungen für die künftigen Jahrhunderte! – Ohne die Nachteule, die ihn in seinem Nachdenken störte, wäre er vielleicht darin noch weiter gegangen. [73] Göttlicher Vogel, sagte er zu ihr, ist meinem Unglück nicht abzuhelfen? Ich zittere, zu erfahren, ob Eure Bemühungen fruchtlos gewesen sind. – Ihr seid glücklicher als Ihr denkt, versetzte sie lächelnd. Man verzeiht Euch das Vergangene; freilich war es schwer, es dahin zu bringen. Ihr könnt Euer Heil jetzt noch einmal versuchen, die Schranken stehen geöffnet.

So werde ich denn Neadarne wiedersehen! entgegnete er. Ah! gütige Mächte des Himmels! – Freilich Neadarne, sagte die Oberkammerfrau, aber noch immer in der Gestalt der Kukumer. Ihr schaudert, überlegt es Euch recht! Eure erste Weigerung hat Euch schon genug gekostet, hütet Euch vor der zweiten. Hättet Ihr gleich anfänglich Euren Widerwillen überwunden und die vermeintliche Fee in Eure Arme geschlossen, so würdet Ihr nach einer unbedeutenden Pause die Prinzessin anstelle jener erblickt haben. Nunmehr ist aber die Sache schwieriger geworden; Ihr werdet dreizehnmal die schwierige Probe aushalten müssen, bevor die Verwandlung erfolgt.

Was sagt Ihr? rief Tanzai. Dreizehnmal? – Dreizehnmal, versetzte die Eule. Das läßt sich doch wohl begreifen. – Unbesonnene Forderungen! entgegnete der Prinz; das also wäre alles, was ich tun müßte, wenn die Prinzessin ins Spiel kommt. Wenn ich gleich weiß, daß Neadarne vor mir ist, so wird mir nichtsdestoweniger die Gestalt der Kukumer Abscheu einflößen. Ihr habt mir da einen allerliebsten Dienst geleistet; macht, daß mir wenigstens die Hälfte nachgelassen wird. – Das geht nicht, versetzte die Eule. Es ist nichts anderes vorgesehen. Mein Diensteifer kann Euch nicht zweideutig vorkommen, da ich bei dem ganzen Handel nichts gewinne.

Dreizehnmal! rief der Prinz abermals. – Ihr erschreckt über etwas, was jede Mannsperson, und mag sie in noch so üblem Ruf stehen, mit Leichtigkeit verrichten würde. – Nun, antwortete [74] er, wie dem sei, bringt mich an Ort und Stelle, der Himmel mag mir beistehen. – Die Eule nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das Gemach, wo alle Seligkeiten der Liebe seiner harrten.

17. Kapitel: Tanzais Wonnenacht
Siebzehntes Kapitel:
Tanzais Wonnenacht

Mit so vielem Mut der Prinz sich auch bewaffnet hatte, so schauderte er doch, als er die Kukumer erblickte. Prinz, sagte sie zu ihm, legt Euch wieder nieder und trachtet, Euch entweder Begnadigung zu erwerben oder Euer Unglück zu vergrößern. – Nicht ein Wort weiter! versetzte er mit Ungestüm, das größte Unglück ist, mich hier bei Euch zu befinden, und mein einziger Wunsch ist, Euch so bald als möglich zu verlassen. Also keine Komplimente; sie würden sich nicht ziemen nach dem, was Ihr mir angetan habt. Was für Raserei hat Euch befallen, daß Ihr verlangt, ich soll eine Nacht mit Euch zubringen? Sollte der Widerwille, den ich gegen Euch äußere, nicht imstande sein, Euch davon zu heilen? Wenn ich Euch wirklich Liebe eingeflößt hätte, solltet Ihr Euch jetzt nicht ihrer entschlagen, da Ihr seht, wie schlecht ich Eure Empfindungen erwidere? Wenn Ihr Euch nur wegen des Schaumlöffels zu rächen sucht, müßt Ihr dann Euren Zorn gegen mich auslassen?

Prinz, erwiderte die Kukumer, Ihr redet, so gut man nur immer kann, und Eure Reden würden mich überzeugen, wenn es nur etwas helfen könnte, daß ich davon überführt würde. Weder meine Begierde, Euch zu bestrafen, noch eine Regung der Liebe führt Euch heute in meine Arme; bloß das Schicksal zwingt mich, mich einer Probe zu unterwerfen, die noch erniedrigender für mich als lästig für Euch [75] ist. Glaubt Ihr nicht, daß meine Bescheidenheit darunter leidet, einen Mann so nahe bei mir zu erblicken, den ich nicht aus freier Wahl habe kommen lassen? Denkt Ihr, daß man sich ohne Mißmut den feurigen Ausbrüchen der Liebe eines Mannes überlassen kann, der einem gleichgültig ist? Und gibt es wohl etwas Grausameres für ein gefühlvolles und tugendhaftes Weib, als Liebkosungen zu erdulden, die das Herz nicht genehmigt?

Was jene feurigen Ausbrüche, jene Liebkosungen anbetrifft, entgegnete Tanzai, so kann ich Euch damit verschonen, da sie Euch so lästig fallen. Ich bin nicht so unhöflich, so kostbare Gunstbezeugungen wie die Eurigen Euch rauben zu wollen. – Nicht doch, versetzte die Fee, ich bin dem Willen des Schicksals unterworfen, und meine gänzliche Ergebung in dasselbe wird mir in diesem Kampfe beistehen. – Ihr seid vorhin hitziger gewesen, erwiderte Tanzai, und weniger andächtig. Allein wie dem auch sein mag, man hat mir Neadarnen versprochen, und ich fange nicht eher an, bis ich sie sehe. – Freilich hat man sie Euch versprochen, antwortete die Kukumer, allein Ihr wißt, unter was für einer Bedingung. – Nun wohl denn, so sei's, versetzte der Prinz, der sich gegen seinen Willen wieder aufleben fühlte; allein man muß wirklich sterblich verliebt sein, um sich solchen Bedingungen zu unterwerfen.

Sodann verstopfte er sich die Nase, schloß die Augen und suchte dergestalt sich der ihm vorgeschriebenen Obliegenheit so gut als möglich zu entledigen. Um es ihm leichter zu machen, begann die Fee zärtliche Seufzer auszustoßen, die wollüstigsten Bewegungen zu machen und ihn trotz seiner Gleichgültigkeit mit jenen kosenden Namen zu belegen, welche die Liebe eingibt. Sie ließ Fühllosigkeit mit Wut, Lebhaftigkeit mit Mattigkeit abwechseln. Man versichert sogar, daß sie, um ihm mehr Leidenschaft zu zeigen, mehr denn einmal geflucht habe. Tanzai, um schnell fertig zu [76] werden, hatte die Hälfte seiner Märtyrerarbeit hinter sich gebracht (ein erstaunlicher Umstand und wahrlich nicht der am wenigsten auffallende in dieser Geschichte), und da das Gesundheitswasser Wunder in ihm wirkte, so war er imstande, sich des Rests mit gleicher Schnelligkeit zu entledigen, als ihn die Fee bat, ein wenig innezuhalten, um ihr Erholung zu gönnen.

Nachdem der Prinz ihr hierin eingewilligt hatte, sagte sie zu ihm: Seht Ihr wohl, Prinz, daß ich keine von jenen Frauen ohne Schamgefühl bin, die an einer Mannsperson nur jene Eigenschaft schätzen, von der Ihr eben eine Probe abgelegt habt. Eine zärtliche Unterhaltung voller Gefühl ist mir hundertmal lieber als jene schändlichen Wollüste, von denen gewöhnliche Liebhaber unaufhörlich träumen. Wieviel, sagt Ihr, seid Ihr diese Nacht noch schuldig? – Siebenmal, erwiderte er mit schroffer Stimme. – Ich frage nicht deshalb, entgegnete sie, weil mich das kümmerte. Wenn es nach mir ginge, so hätten Eure Mühen hier ein Ende. Sieben Mal, sagt Ihr, wären noch rückständig? Mir deucht, Ihr irrt Euch. – Wohl möglich, versetzte er, wenigstens nach meiner Rechnung sind gut und gern neun Proben bestanden. – Nach meiner Rechnung aber gar nicht! sagte sie; ich war weniger zerstreut wie Ihr; und ich glaube, daß noch zehn Male fehlen.

Gift und Dolch! das ist falsch! rief Tanzai voll Wut. – Nur nicht böse geworden, mein Sohn! sagte sie zärtlich zu ihm. Darüber wollen wir keinen Streit anfangen. Aber wahrlich! Ihr seid der erstaunenswürdigste von allen Männern! Ich kann mir kaum vorstellen, daß Ihr vor Eurer Bezauberung von solcher Kraft gewesen seid. – Ihr wißt am besten, woher das kommt, entgegnete Tanzai. Das Geschenk, das man mir mit dem Gesundheitswasser gemacht hat, war eine Vorsicht, die Ihr Euretwegen getroffen habt. Aber, im Ernst, solltet Ihr mir den Rest nicht erlassen können? – Das geht [77] nicht, versetzte sie. – In dem Falle, sagte er, begnüg ich mich mit dem, was ich habe. Ich fürcht Euch nicht weiter. – Wir wollen sehen, entgegnete die Kukumer, indem sie ihn anrührte. – Ach, Barbarin, rief der Prinz, der seine Kraft wieder zunehmen spürte, hier ist weniger Bezauberung nötig, als Ihr glaubt. Eure Hand hätte nicht der Magie bedurft, um das zu bewirken, was ich empfinde. – Das war zärtlich gesprochen, sagte die Kukumer, und das ist das Mittel, Begnadigung zu erlangen. – Wenn Ihr nicht wegen mir großmütig handeln wollt, erwiderte Tanzai, so tut es doch Euretwegen. – Ich bin weniger boshaft als Ihr glaubt, versetzte sie, und Ihr sollt sehen, daß ich mit dieser Hand, die Ihr so sehr verachtet, ... – O um Himmels willen, rief Tanzai, rührt mich nicht an! – Ungeachtet dieser Furcht hielt die Fee ihm Wort und er, der nichts sehnlicher wünschte als seinen Dienst zu enden, begann von neuem. Endlich war es bis zum zwölften Male gekommen, ohne daß er Neadarne sah. Er bezeigte hierüber der Fee seine Verwunderung. Vermutlich, sagte sie zu ihm, ist das Erscheinen der Prinzessin mit der geheimnisvollen Zahl Dreizehn verbunden. – Ich sehe zur Genüge, versetzte er, daß man sie nicht wohlfeil angesetzt hat. Doch machen wir der Sache ein Ende!

Nach Vollendung der letzten Arbeit suchte der Prinz Neadarne, allein er sah sie nicht. Was heißt das? fragte er. Weshalb seh ich Neadarne nicht? Sollte man mich betrogen haben? – Ach, Prinz, sagte die Fee, Ihr habt Euch selbst betrogen, habt falsch gerechnet. – O verdammt, rief Tanzai, es hat damit seine völlige Richtigkeit. – Nicht möglich, erwiderte sie; es kann schlechterdings nicht sein. Ihr hättet Neadarne bereits in Eurer Gewalt, wenn es sich so verhielte, wie Ihr sagt. Um Euer selbst willen, teurer Prinz, hütet Euch vor einem Irrtum. – Irrtum? Tod und Hölle! Madame, der ist nicht möglich. – Mit einem Worte, fuhr[78] die Kukumer fort, Ihr werdet durch Eure Hartnäckigkeit Neadarne nicht wiedersehen und durch übel angebrachte Sparsamkeit die Früchte von all dem verlieren, was Ihr bereits getan habt. – O Himmel, rief er, läßt du mich einen Raub der Ungerechtigkeit werden? Und soll ich ... Doch ach! Ihr habt vielleicht recht; ich sehe Neadarne nicht, und ihre Abwesenheit beweist hinlänglich mein Unrecht. Ich muß sehen, wie ich mich herausziehe.

Äußerst abgemattet hatte Tanzai alle Mühe, die ihm auferlegte Verpflichtung zu Ende zu bringen. Er war diesmal nicht glücklicher als die übrigen Male; aber da er einsah, wie unbarmherzig man ihn hintergangen hatte, fiel er wütend über die Kukumer her, gerade da sie ihm einen zweiten Rechenfehler vorwerfen wollte. Die Fee wehrte sich tapfer, schlug mehr denn einmal ihre Klauen in seine Haut und riß sich aus des Prinzen Händen, dessen Leib sie überall zerkratzt hatte. Sodann schwang sie sich zur Decke des Zimmers empor und rief ihm zu: Bilde dir ja nicht ein, meinen Groll je besiegen zu können! Ich werde dich ewig verfolgen. Die Unglücksfälle, die ich dir bisher bereitet habe, sollen weder die letzten noch die schrecklichsten deines Lebens sein. Zwar hab ich dir das wiedergegeben, was du mit so vieler Inbrunst begehrtest; aber hüte dich, daß es dir nicht unnütz sei, und erinnere dich lange an deinen höllischen Schaumlöffel.

Verräterin, entgegnete Tanzai, was für Schläge kannst du nach dem, was du mir angetan hast, für mich noch aufheben? – In dem Augenblick verschwanden Fee und Palast aus seinen Augen, und er, durch dies Liebesglück ebenso beschämt als ermüdet, fand seine Kleidung, seinen Schaumlöffel und sein Pferd in dem Walde wieder, wo er die ›Fee mit dem Kessel‹ getroffen hatte. Er kleidete sich schnell wieder an, entwarf in der Zeit tausenderlei fruchtlose Projekte, sich an der Kukumer und der Eule zu rächen, und[79] machte sich wieder auf den Weg nach Scheschian, fest entschlossen, Neadarne beständig treu zu bleiben, weil die verstohlenen Freuden ihm so übel bekommen waren.

18. Kapitel: Das am wenigsten Ergötzliche in diesem Buche
Achtzehntes Kapitel:
Das am wenigsten Ergötzliche in diesem Buche

Während der Prinz jene erstaunlichen Wunder verrichtete, war man in Scheschian nicht ruhiger, als man es im Palaste der Kukumer gewesen war. Saugrenutios Sache machte viel Aufsehen. Die Priesterschaft und die Stände waren zusammenberufen worden. Der König, dem die Verdrießlichkeiten seines Sohnes sehr zu Herzen gingen und der der Meinung war, sie würden nicht eher ihr Ende erreichen, als bis Saugrenutio den Schaumlöffel geleckt habe, ließ nichts unversucht, ihm diese Kränkung zuzufügen. Er hatte sogar den Patriarchen gewonnen, der, sowohl um dem Cephaes zu gefallen als um den Oberpriester zu ärgern, mit dem er nicht gut stand, dem König versprochen hatte, für alle seine Absichten einzutreten.

Saugrenutio war es nicht unbekannt, daß er von Seiten des Adels keine Unterstützung erhoffen durfte. Dieser Stand, der dem König aus politischen Gründen verbunden war, hätte gewißlich nie seinen eigenen Zielen in einer Situation zuwidergehandelt, da er ohne persönlichen Gewinn die königliche Majestät verletzen würde. Die Priesterschaft, die ihre Würden einzig durch Unterwerfung unter den Patriarchen erwarten durfte, würde sich gleichfalls enthalten, diesem den Beistand zu verweigern, wo allein Willfährigkeit Gewinn bringen konnte. Das unwissende und abergläubige Volk, das gewohnt war, die Aussprüche des Patriarchen für Aussprüche der Götter selbst zu halten, würde sich gefürchtet [80] haben, seinen Zorn auf sich zu laden, wenn es Saugrenutios Partei bei einem Vorfall ergriffen hätte, bei dem nach seiner Meinung die Religion nicht eben stark berührt war. Was blieb also dem Oberpriester übrig, um das ihm drohende Schicksal zu vermeiden? Er, der vom Adel wegen seines hochmütigen und anmaßenden Charakters gehaßt war, der von der Priesterschaft, weil sie ihm seine Stellung neidete, verabscheut und vom Volk verachtet wurde wegen seiner empörenden Flüche, wie sollte er Gehorsam leisten? Die Schande, den Schaumlöffel zu lecken, der Schmerz, den ihm dies verursachen mußte, der Triumph des Königs, alle diese Betrachtungen beunruhigten ihn wechselweise; und obwohl er bei dem festen Entschluß blieb, nicht zu gehorchen, sah er doch keinen Ausweg, wie er so vielen gegen ihn vereinigten Mächten widerstehen können würde. Noch wußte er nicht, was er tun sollte, als der Patriarch bei Hofe ankam. Er hatte ein schreckliches Dekret vorausgehen lassen, worin er Saugrenutio anbefohlen, den Schaumlöffel zu lecken. Der Schluß bestand in einer kurzen und brüderlichen Ermahnung, sich zu unterwerfen und nicht die göttliche und menschliche Rache gegen sich aufzubringen. Saugrenutio, den dies Dekret niederschmetterte, war schon im Begriff zu fliehen, als eine Unvorsichtigkeit der Gegenpartei ihm wieder Mut gab.

Der Patriarch, der mit den scheschianischen Priestern unzufrieden war – wozu er vielleicht Ursache hatte –, drohte, sie wie ihr Oberhaupt zu behandeln und sie ebenfalls den Schaumlöffel lecken zu lassen. Dieser Patriarch war ein heftiger Mann und unumschränkt in seinem Willen, folglich hatten jene Ursache, ihn zu fürchten, und die gemeinschaftliche Gefahr verband sie wieder mit Saugrenutio. Es ward eine heimliche Zusammenkunft bei ihm gehalten, worin man beschloß, sich um Anhänger zu bemühen. Die Aufrührer überlegten wohlweislich, daß man dem Volk, um [81] es zu gewinnen, einreden müsse, das Lecken des Schaumlöffels würde eine allgemeine Angelegenheit und niemand im ganzen Lande, selbst der König nicht, davon ausgeschlossen werden. Dies Gerücht hatte in der Tat die Wirkung, die die Urheber erwartet hatten: es wurde geglaubt, verursachte Furcht und gelangte bis zu dem König. Cephaes ward dadurch beunruhigt. Er kannte den unternehmenden Charakter des Patriarchen. Hundertmal hatte er Ursache gehabt, sich über dessen Verwegenheit zu beschweren, und hundertmal hatte er ihn auch dafür bestrafen wollen. Ihm dünkte es sehr hart, in der Nähe des Throns eine Macht dulden zu sollen, die stets imstande war, die königliche Obergewalt zu verletzen, unter deren Schatten sie doch nur bestand, und die auch nichts unterließ, das Königtum zu schwächen. Er nahm voller Entrüstung wahr, daß die Patriarchen, die ihren Posten lediglich den Königen zu verdanken hatten, ihre Pflicht gegen sie immer verletzten; allein der Aberglaube machte sie ehrwürdig. Überdies hatte er geglaubt, es sei von Belang für ihn, eine Obergewalt nicht aufzuheben, die seine Untertanen an Gehorsam gewöhnte, sie gefügiger gegen seine Wünsche und treuer in ihren Eiden machte.

Ein Volk ohne Religion legt bald den Gehorsam gegen seinen Oberherrn ab. Wenn es die Götter nicht mehr kennt, wenn es sie nicht mehr fürchtet, gelten ihm auch die menschlichen Gesetze nichts mehr. Es wird sein eigener Gesetzgeber, kennt keine anderen Vorschriften als seine Launen und erhebt nur, um wieder zu Boden zu reißen. In einem fort gegen sein eigenes Werk empört, treibt sein nach Neuerungen dürstender Geist es von Projekten zu Projekten. Ohne Besorgnis für die Zukunft vernichtet es entweder ganz das Andenken an die Götter oder erblickt deren Zorn so sehr in der Ferne, daß es kaum daran denkt, daß derselbe zu fürchten ist. Ein Volk dagegen, das nach[82] anderen Grundsätzen lebt, verhält sich ruhig gegen seine Könige, betrachtet sie als Geschenke der Gottheit und hält sich nicht für berechtigt, über sie oder über ihre Macht zu urteilen, und derselben Grenzen zu setzen. Da es aber mehr abergläubisch als religiös, weniger tugendhaft als furchtsam, mehr leichtgläubig als aufgeklärt ist, so würde es auch durch eine falschverstandene Religionsidee weit geführt; da der äußere Kult mehr Eindruck macht als die Existenz der Gottheit, ist es mehr ihren Dienern als ihr selbst unterworfen und glaubt, daß diese beleidigt werden, wenn man ihnen Gerechtigkeit widerfahren läßt; und der König, ein Opfer der Vorurteile seiner Untertanen, wagt es nicht, aus seiner Sklaverei zu brechen, aus Besorgnis, Unruhen zu erregen, wobei seine Person sowohl als seine Würde gleich starken Beschimpfungen ausgesetzt sein könnte.

Cephaes, von der Wahrheit dieser Grundsätze überzeugt, hatte die zu große Macht des Patriarchen zu begrenzen und bloß auf geistliche Angelegenheiten einzuschränken gesucht. Um der Hauptstadt je den Anlaß zur Empörung zu nehmen, hatte er den Patriarchen vom Hofe entfernt, damit sie diesen Götzen, wenn er ihnen aus den Augen gerückt wäre, weniger anbeten konnten. Hierin verstieß er gleichwohl gegen die Politik. Es ist nicht weise von einem Souverän gehandelt, einen Mann von sich zu entfernen, der gewissermaßen seine Obergewalt teilt. Der Patriarch glänzte allein an dem Ort, der ihm zum Aufenthalte angewiesen worden war; in Scheschian hingegen wäre er durch den Glanz des Throns verdunkelt worden. Wenn die Untertanen gesehen hätten, wie er gezwungen war, dem Könige seine pflichtgemäße Schuldigkeit zu bezeigen, hätten sie daraus schließen können, wie sehr er demselben untergeordnet war. Überdies wäre man in der Lage gewesen, ein aufmerksames Auge auf die Kabalen zu richten, die er anzuspinnen sich etwa einfallen lassen würde. Ein einziger [83] Blick des Beherrschers hätte genügt, sie zu zerstören. Hingegen in dieser Entfernung nutzte er die Leichtgläubigkeit des Volks aus und wußte seinen Anschlägen Kredit durch die Länge der Zeit zu verschaffen, die dazu erforderlich war, sie zu zerstören. Cephaes zweifelte nicht, daß der Patriarch sich für die üblen Streiche zu rächen suchen würde, die er demselben gespielt hatte. Indes kam es ihm ganz ungewöhnlich vor, daß er so weit gehen sollte, ihm zuzumuten, den Schaumlöffel zu lecken. Diese Ehre hatte die Fee Barbacela nur dem Oberpriester zugedacht. Allein diese Fee erschien nicht. Ihr Befehl war nur mündlich, mithin konnte er ausgelegt und ausgedehnt werden, wie man wollte. Mit einem Wort, der König hatte Angst; doch beschloß er, falls man die Religion zum Deckmantel nehmen wollte, einen Teil des Schimpfs auf den Patriarchen zurückzuwälzen und ihn zu zwingen, den Schaumlöffel als erster zu lecken. Man kann sich vorstellen, daß er den Patriarchen nicht gerade mit dem freundlichsten Gesicht empfing, als er ihn wiedersah. Der Patriarch schmollte seinerseits mit dem Könige. Saugrenutios Kunstgriff bestand also darin, daß er zwischen beiden den Samen der Uneinigkeit gestreut hatte, der für ihn nur ersprießlich sein konnte.

19. Kapitel: Allzu ernst behandelte Kleinigkeiten
Neunzehntes Kapitel:
Allzu ernst behandelte Kleinigkeiten

Der Oberpriester bemerkte bald die Verwirrung, die am Hofe herrschte. Potz Element! sagte er zu seinen Anhängern, wir haben sie im Garne, oder das Wetter soll mich erschlagen. Morgen wird die Versammlung der Reichsstände sein, aber nur getrost, wir bleiben standhaft. Das Volk ist auf unserer Seite. Die Frauen, denen ich eine [84] höchst übertriebene Beschreibung des Schaumlöffels gemacht habe, schwören, daß sie nicht gehorchen wollen. Fürchtet Euch nicht vor leeren Drohungen! Um allem zu trotzen, bedarf es nur Mut. Hohn, Spott, Schmach wird nur den Feigen treffen. Überdies, was haben wir schon zu befürchten? Der Prinz ist noch nicht zurück und der Schaumlöffel, der mit ihm reist, wird ihm gewißlich nie abgenommen; wer weiß, ob man beide je wieder sieht? Unsre Feinde, die unter sich uneins sind, können keine sicheren Streiche gegen uns führen. Da sie beschäftigt sind, sich einer vor dem anderen in acht zu nehmen, so dient ihr gegenseitiges Mißtrauen uns zum Heil. Kommt, meine Freunde, fuhr er fort, und laßt uns trinken. Der Himmel wird uns beschützen. Vielleicht gibt er mir während des Mahles, das ich Euch habe bereiten lassen, heilsame Gedanken ein.

Nach diesen Worten setzten sich die Priester gar andächtiglich zur Tafel. Da Saugrenutio lediglich nur da seine Entschlüsse zu fassen pflegte, so blieb man auch diesmal eine sehr geraume Zeit am Tische sitzen. Inzwischen verließ man ihn anstandshalber, als der Morgen heraufzudämmern begann. Jeder der Gäste kehrte mit gesenkten Augen und schwankenden Schritten wieder heim, nachdem er zuvor dem Oberpriester versprochen, ihm in seinen Absichten treulich beizustehen.

In der Stimmung waren die Gemüter, als die Versammlung eröffnet wurde. Saugrenutio erschien auf derselben mit der unerschrockensten Miene. Der Patriarch begann mit einer schwülstigen Rede, die er schon lange zuvor verfertigt hatte, die aber demungeachtet um nichts besser war. Mein Bruder, sagte er gar liebreich zu Saugrenutio, wenn der Himmel spricht, ist es fruchtlos, sich gegen seine Stimme taub zu stellen. Durch Euer Widerstreben gegen seinen Willen werdet Ihr strafbar und nötigt uns, die Gewalt, die der Höchste uns verliehen, gegen Euch zu gebrauchen. [85] Der Verlust Eurer Würde wird das wenigste sein, wozu wir Euch verdammen können. Wer kann wissen, zu welcher Strenge uns noch jene himmlische Stimme anmahnt, wenn Ihr Euch gegen Eure Pflichten sträubt? Möchte doch der Höchste Affe, der täglich ein Rauchopfer von Euch empfängt, o möchte er doch Eure Seele erleuchten, Euer verhärtetes Herz erweichen und mit seiner Rache noch innehalten! O möchten doch die inbrünstigen Gebete, die wir täglich für Eure Erhaltung emporsenden, seinen Zorn besänftigen und er Euch dahin bewegen, ein notwendiges Beispiel einer völligen Unterwerfung unter seine Befehle zu geben. Wohlan! sagte er endlich betrübt, legt uns die Sache vor und erläutert den Prozeß aufs schleunigste.

Nunmehr stand der Sprecher auf und erzählte mit der gewissenhaftesten Genauigkeit, ohne sich zu bekümmern, ob er zu weitläufig würde, die Geschichte des Schaumlöffels; und der Befehl der Fee Barbacela, ihn von dem Oberpriester lecken zu lassen, ward mehr herausgehoben als vergessen. Während dieser Erzählung, die sehr lange dauerte, bestärkte sich Saugrenutio samt seinem Anhange in dem Entschluß, nicht Gehorsam zu leisten. Kaum war die Rede beendet, als sich der Patriarch erhob und leise mit dem König sprach, gleichsam als ob Stimmen gesammelt werden sollten. Glaubt Ihr, aufrichtig gesprochen, daß er gehorchen wird? fragte Cephaes. Aber gewiß, versetzte der Patriarch, und er wird nicht der einzige sein. Der König, der sich einbildete, er habe dies seinetwegen gesagt und ihn darunter gemeint, erwiderte mit Entrüstung: Wie, er wird nicht der einzige sein? Gleichwohl ist niemand weiter hier, dem dies zu tun obliegt. Meint Ihr etwa, daß ich, ich in höchsteigener Person den Löffel lecken soll?

O pfui! versetzte der Patriarch. Und doch, fügte er hinzu, könnte es nicht schaden. Wenn Ew. Majestät sich dazu entschlössen, wird keiner von Dero Untertanen etwas dagegen [86] zu sagen haben. – Aber meine Untertanen haben dabei nicht das geringste zu tun, antwortete der König. Die Sache geht, wie ich Euch bereits gesagt habe, nur den Oberpriester an. – So glaubt Ew. Majestät, entgegnete der Patriarch; allein der Schaumlöffel ist bereits ein Mysterium und ein Gegenstand öffentlicher Verehrung geworden, mithin keine Privatsache mehr. – O meinthalben sei er, was Ihr wollt, gab Cephaes zurück; nur bitte ich, mich aus dem Spiele zu lassen. – Bei mehr Muße wollen wir das weiterbesprechen, versetzte der Patriarch, indes werdet Ihr, allergnädigster Herr, bloß das tun, was Ew. Majestät gefällig sein wird. – Darauf wandte er sich an Saugrenutio und riet ihm zu gehorchen. Das werde ich nicht tun, Ew. Hochwürden-Gnaden, sagte Saugrenutio. Nun dann, entgegnete der Patriarch traurig, wenn denn dieser Rebell es immer bleiben will, so erklären wir ihn seiner Würden verlustig; befehlen ihm, in die Hände des Königs die bärenhäutene Hose und in die unsrigen den Wildenten Fellmantel und den Kopfputz aus marmoriertem Papier wieder auszuhändigen, womit ihn unsere milde Freigebigkeit vor seiner Verstockung beehrt hat. Und Ihr, fuhr er fort, indem er sich gegen die übrigen Priester wandte, nehmt Euch hieran ein Beispiel und kommt durch schleunigen Gehorsam in Betreff des Schaumlöffels einem strengen Gericht von unserer Seite zuvor.

Nunmehr erhob sich ein Tumult von allen Seiten, allein der König und der Patriarch verließen die Versammlung, nachdem sie befohlen hatten, die ganze Verhandlung zu protokollieren.

Der Adel triumphierte über die Niederlage der Priester, als Saugrenutio das Wort nahm und sagte: Meine Herren, Ihr seht mich weniger bestürzt wegen der Schmach, die mir widerfahren ist, als wegen des unseligen Vorfalls, Zeuge von dem völligen Umsturz der Gesetze zu sein. Jene glücklichen [87] Zeiten sind nicht mehr, wo die Unschuld einen sichern Zufluchtsort gegen die Unterdrückung fand. Das Andenken, das uns davon noch übrig bleibt, dient nur zur Vermehrung unseres Schmerzes; unser Kummer kann jene Zeiten nicht wieder zurückbringen. Der Sklaverei preisgegeben, weil wir sie dulden, geschaffen für die Erniedrigung, in die man uns gebracht hat, können wir uns in den Augen der Welt nicht entschuldigen, wenn wir das Andenken unseres alten Glanzes vergessen. Ah! wozu würde er uns dienen, als unsere Erniedrigung noch verwerflicher zu machen! Das sind sie also, jene stolzen Scheschianer, die mit ihrer Glorie die ganze Erde erfüllten! Das ist also jenes so berühmte Volk! Ein elender Schaumlöffel macht diese erhabenen Sterblichen zittern! Ehemalige Verteidiger des Staats, fuhr er fort, und wandte sich gegen den Adel, von Euch verlange ich keinen Beistand. Der Niedergang, worin ich Euch erblicke, zeugt genugsam von Eurer Schwäche. Beugt Euch also unter das Joch der Tyrannei, Ihr seid es nicht wert, die Freiheit zu genießen. Also verbrennt jene berühmten Chroniken, worin die ruhmvollen Taten Eurer Ahnen aufbewahrt sind. Ich rate Euch nicht, daraus Beispiele von Tugenden zu schöpfen, sie wären für Euch fruchtlos. Wer über seine Knechtschaft nicht errötet, verdient nicht zu wissen, daß es freie Menschen in der Welt gibt.

Euch also, Diener des Höchsten, sprach er weiter, Euch allein kommt es zu, die Ungerechtigkeit zu verbannen. Was haben wir noch zu fürchten? Und sollten wir erliegen, muß nicht der Tod weniger schreckenvoll für uns sein als ein Leben voll ewiger Schande? Kommt, laßt uns die Ehre der Altäre rächen! Wir wollen jenem herabgesunkenen Stande Beispiele von Mut geben, die er nutzen kann. Laßt uns sterben, wenn es nötig ist, aber laßt uns als Bürger des Staats sterben. Nützlich unserem Vaterlande bis zu unseren letzten[88] Augenblicken, wollen wir ihm wenigstens zeigen, wie man sich von der Sklaverei befreit. Beständige Opfer des Ehrgeizes des Patriarchen, leben wir nur deshalb, um unsere Schmach unablässig erneuert zu sehen. Was hilft es, uns mit günstigeren Aussichten zu schmeicheln? Was für Hoffnungen können wir ohne Verwegenheit wohl fassen? Ist es uns wohl vergönnt zu glauben, daß er's bei dem Schaumlöffel bewenden lassen wird? Leidet erst jetzt die Scheschianei unter seinen Projekten? Wir brauchen nur die Geschichte aufschlagen, und wir finden, ohne verhaßtere Begebenheiten herauszusuchen, was vor sechshundert Jahren der Patriarch Hinho-hu-Yalucha für Unruhen anrichtete, als er von uns begehrte, den Schweif einer Elster zu küssen. Was für blutige Kriege entstanden nicht ein Jahrhundert später, als der Patriarch Onsucho die viereckigen Knebelbärte einführte? Was für ein Unheil entstand nicht aus Rimachus Hartnäckigkeit, als er den geweihten Pfifferling abschaffen wollte.

Endlich begann nach den blutigsten Aufständen dieser Staat wieder Atem zu holen, die Patriarchen, die einsichtsvoller, unterwürfiger gegen die Gesetze und eifriger auf die Ehre der Religion bedacht waren, trugen keine anstößigen Meinungen mehr vor; eine reinere Sonne leuchtete uns. Ach! wir, die endlich ruhig im Schatten unserer Altäre saßen, schmeichelten uns, jene aufrührerischen Stürme würden sich nie wieder erheben. Aber, Ihr großen Götter! welche schreckliche Revolution! Und worauf gründet sie sich? Eine Fee bringt einen Schaumlöffel. Es wäre höchst notwendig, daß ich ihn hinunterwürgen müßte, sagte der Prinz, nachdem ihn die scheußlichste Alte im Munde gehabt hatte. Es wäre, fügte er hinzu, ein Befehl, den er von jener Fee erhalten habe. Ohne diese Zeremonie, heißt es, könne seine Vermählung nicht glücklich enden. Ich, der ich mehr auf die Würde meines Postens als auf mein Privatinteresse [89] Rücksicht nehme, weigere mich. Der Prinz erfährt Schicksale, die nicht zu den gewöhnlichen gehören, daraus macht man mir ein Verbrechen. Ein Patriarch erläßt ein ungerechtes Dekret. Ja, mehr noch, man versammelt die Stände des Reichs gegen mich, spricht das ungerechteste Urteil von der Welt wider mich aus. Noch nicht zufrieden, mich zu erniedrigen, treibt man die Frechheit so weit, das ganze Kollegium der Priester zwingen zu wollen, den Schaumlöffel zu lecken. Alle Stände des Reichs werden in mein Unglück verwickelt. Was haben sie denn für Gemeinschaft mit mir? Gesetzt nun auch, daß ich den Schaumlöffel hätte lecken müssen, war es nötig, daß sie es auch taten? Der Prinz hat nur mich genannt. Zudem zeige man mir den Befehl der Barbacela vor. Eine Sache von dem Belang verlangt starke Beweistümer. Wird dem Prinzen so leicht geglaubt, so bekömmt er alle Tage neue Einfälle, und was weiß ich, was er uns endlich noch zu lecken gibt! Aber gesetzt den Fall, ich wollte jetzt Gehorsam leisten, wo ist jener Schaumlöffel? Der Prinz und er hängen fest aneinander. Wo soll man sie jetzt suchen, und was für ein Verbrechen beging ich, wenn ich ihre Zurückkunft erwartete? Inzwischen entehrt man mich, setzt mich ab, nimmt man mir die Zeichen meiner Würde. Doch bin ich glücklicher, da ich alles verliere, als wenn ich gehorcht hätte, und ich preise die Götter, daß sie mir dazu den Mut verliehen haben. Weit höher werde ich in meinem Privatleben stehen als im schimpflichen Besitz der Güter, die man mir geraubt hat; wenigstens werde ich die Sklaverei meiner Landsleute nicht sehen.

Denn schmeichelt Euch nicht, wandte er sich an die Großen, daß Eure sträfliche Nachgiebigkeit Euch von dem Schaumlöffel befreien wird. Mir ist nicht unbekannt, ich nehme sogar mit Schaudern wahr, daß Ihr den alten Streit mit uns mehr liebt als die Ehre der Religion, und daß Ihr [90] Euch daher heimlich über das Unglück freut, das uns zu Boden drückt. Ach, vereinigen wir uns lieber. Begreift doch endlich, daß uns einerlei Gefahr droht, und kann Euch hierzu nichts bestimmen, so halte Euch wenigstens der Rückblick auf Euren ehemaligen Ruhm aufrecht.

O Ihr edlen Scheschianer, es gibt ein doppeltes Unglück in der Sklaverei, das aufeinanderfolgt: Erst seufzt man unter der Knechtschaft, und dann erinnert man sich ihrer noch immer mit Scham, wenn sie schon längst aufgehört hat. Ruft Euren Mut wieder zurück. Zerbrecht die Ketten, die man Euch anlegt; sie verschwinden, wenn Ihr sie nicht mehr duldet. Man stürzt nur diejenigen in die Erniedrigung, von denen man glaubt, daß sie geduldig dort ausharren werden. Wir sind umgeben von Unheil, das uns zu treffen im Begriff ist. Nur ein mutiger Entschluß kann uns allein von den neuen Bedrückungen retten, die man uns bereitet.

Laßt uns jenes verhaßte Joch abschütteln, unter dem wir so lange geschmachtet haben! Das Volk, das ein Zeuge unserer Beschimpfung war, sei endlich ein Zeuge unserer Rache! Wir werden gefürchtet sein, sobald wir nur beginnen. Laßt uns jene beleidigenden Dekrete zunichte machen, die Feindschaft und Ungerechtigkeit eingegeben haben! Ich stehe Euch für den Erfolg. Wozu sind nicht Menschen fähig, die für die Götter und für ihre Freiheit kämpfen?

Wie er so gesprochen hatte, teilten sich die Stände, die vorher über seine Verdammung ganz einig gewesen waren. Es wurden verschiedene Meinungen laut. Die Abergläubigsten, die durch Saugrenutios Rede erschüttert waren, glaubten in der Tat, die Götter wären an dieser Sache interessiert, nahmen des Oberpriesters Partei und schrien, der Prozeß müsse revidiert werden. Die aber, die es mit dem König und dem Patriarchen hielten, behaupteten: der Oberpriester sei zu Recht gerichtet worden, und verlangten, daß [91] der Spruch, der ihn und die Priester verdammte, durchgehen sollte. Der Streit wurde hitzig, und die Versammlung ging auseinander.

Das Volk erfuhr, was vorgegangen war, und da es für sich fürchtete, erklärte es sich für Saugrenutio. Der Patriarch, der einen allgemeinen Aufstand besorgte, hielt mit seinem Bann zurück und bewilligte dem Oberpriester eine Bedenkzeit. Dieser, zufrieden, seinen Untergang aufgeschoben zu sehen, hoffte, daß man während der Unruhen, die auszubrechen im Begriff waren, sich fürchten würde, ihn anzugreifen; daß, bevor die Sache mit dem Schaumlöffel entschieden worden sei, fünfzig Jahre vergingen und daß diese Kränkung wahrscheinlich erst seinen Nachfolger treffen würde.

20. Kapitel: Rückkehr des Prinzen nach Scheschian
Zwanzigstes Kapitel:
Rückkehr des Prinzen nach Scheschian

Noch schwebte die Hauptstadt in dieser Unruhe, als Tanzai den Rückweg nach derselben antrat. Was soll ich von meiner Reise sagen? überlegte er. Soll ich Neadarne gestehen, daß ich in den Armen der Kukumer meine vorige Beschaffenheit wiedererlangt habe? Wie kann ich eine Sache erzählen, die für ihre Liebe so kränkend ist? Wird sie glauben können, daß ich Bedauern verdiene? Würde sie wohl auf meine Nachsicht zählen dürfen, wenn ihr ein Gleiches begegnet wäre? Allein, sie kennt die Art meines Mißgeschickes; wenn ich ihr Beweise gebe, daß es überstanden ist, warum sollte ich ihr das verschweigen? Ach! wie groß wird ihr Schmerz sein, wie heftig würde ich sie nicht treffen, wenn ich ihr alle die Gedanken sagte, die meinen Geist beschäftigt haben? Wenn sie wüßte, daß mein Herz ihr untreu [92] gewesen ist? daß ich einige Augenblicke hindurch ganz von einer anderen gefangen war; mich dem Unglück, das mir bereitet war, willig hingegeben habe, ihm sogar entgegengeeilt bin? Wenn sie mir's verzeihen kann, daß ich eine Nacht in den Armen der Kukumer zugebracht habe, würde sie mir's wohl verzeihen, daß ich gewähnt habe, eine andere als sie könne mich glücklich machen? Oh, ich will in Scheschian meine Schande verbergen; will mich dort bloß wiederhergestellt zeigen. Aber wird man nie erfahren, durch welches Mittel ich meine frühere Gestalt wiedererlangt habe?

Indem Tanzai diese Betrachtungen anstellte, nahte er sich seinem Reich. Endlich erblickte er die ersehnten Mauern von Scheschian wieder, nachdem er beinahe drei Monate von dieser Stadt entfernt gewesen war. Kaum sah man ihn kommen, als die großen Leiern das Volk davon benachrichtigten; Feuerwerk, Jubelgeschrei und ausschweifendste Freudensbezeugungen verkündeten dem Könige die Rückkehr des Prinzen in die Stadt. Neadarne fiel vor übergroßer Zärtlichkeit in Ohnmacht. Noch war sie daraus nicht erwacht, als Cephaes Tanzai zu ihr führte. Das Vergnügen, das er empfand, sie wieder zu sehen, wich auf eine Zeitlang der Furcht, die ihn anwandelte, sie zu verlieren. Neadarne, teuerste Neadarne, rief er. Ach! muß ich dich nur wiederfinden, um für dein Leben zu zittern? Grausame Fee, waren das die Unglücksfälle, womit du mir drohtest?

Stimme und innige Küsse ihres Gemahls ließen Neadarne wieder die Augen öffnen, und sie umarmte ihn ihrerseits. O Tanzai, Ruhe meines Lebens! rief sie, sehe ich dich wirklich wieder! Wie viele Tränen hat mich deine Abwesenheit gekostet! Ach! bloß die Freude über deine Zurückkunft kann den Schmerz aufwiegen, den deine Abreise mir verursacht hat.

Ihre Blicke und die Ausbrüche ihrer Liebe würden kein [93] Ende genommen haben, hätte der König, der ungeduldig war, zu wissen, wie es mit dem Prinzen stünde, sie nicht unterbrochen, um dies zu erfahren. Majestät, sagte Tanzai zu ihm, der Schaumlöffel, den Ihr wieder an meinem Knopfloch erblickt, beweist, daß er mir nicht mehr lästig fällt; und ich müßte mich gröblich irren, wofern nicht die Prinzessin, wenn Ihr sie morgen fragt, Euch wegen des übrigen die erwünschtesten Nachrichten erteilt. – Eben wollte der König fragen, auf welche Art dies Wunder bewirkt worden sei, als eine Menge Höflinge ins Zimmer strömten. Die Ungeduld, Tanzai wiederzusehen, hatte ihnen nicht erlaubt, es länger hinauszuschieben, ihm ihre Untertänigkeit zu bezeigen.

Saugrenutio kam zu gleicher Zeit; nicht etwa aus Drang des Herzens, sondern bloß um zu wissen, ob der Prinz nicht etwa seinen Schaumlöffel verloren hätte. Er ward blaß, als er dies Instrument wieder am rechten Ort sah. Tanzai konnte sich nicht zwingen, ihn gut zu empfangen. Er schrieb der Weigerung dieses Priesters alle die Unglücksfälle zu, die ihm begegnet waren, und da der letzte ihm von allen am meisten naheging, so beschloß er, daß Saugrenutio früh oder spät dafür büßen sollte. Aus diesem Grunde fing er an, sich in dessen Gegenwart nach allem zu erkundigen, was bisher vorgefallen war, und fragte, ob nicht ein rebellischer Untertan endlich bestraft werden würde?

Der König erzählte seinem Sohne alles, was sich in der letzten Reichsversammlung zugetragen hatte, und versicherte, Saugrenutio würde gehorsam sein. Diese Reden verdrossen letzteren; er beschloß, den König zum Lügner zu stempeln. Nachdem die übrigen Höflinge auch beurlaubt waren, ging der König mit dem neuvermählten Paare zum Mahl. – Jetzt sind wir den Schwarm los, sagte er. Nun erzähle uns die Geschichte deiner Entzauberung, mein Sohn. – Sie ist sonderbar, versetzte der Prinz ziemlich verlegen. Es wird Euch gewiß überraschen, wenn ich Euch sage, daß dieses [94] große Werk durch einen Traum zustande gekommen ist. – Durch einen Traum? rief der König. Was wollte denn der Große Affe haben? Wozu war denn Eure Reise nötig? Ihr hättet hier so gut wie anderwärts schlafen können. Laßt aber doch einmal hören, was das für ein Traum war.

So wisse denn Ew. Majestät und du, Prinzessin, fing der Prinz an, daß ich, nachdem ich unermeßliche Länder durchwandert hatte, endlich in einen Wald kam. – Es folgte das Abenteuer der ›Fee mit dem Kessel‹ ohne die mindeste Verfälschung.

Nachdem ich diese Fee verlassen hatte, fuhr er fort, befiel mich eine außerordentliche Lust zu schlafen. Ich konnte mich ihrer nicht erwehren, legte mich unter einen Baum und schlief ein. Voll von dem, was mir zugestoßen, wäre es zum Erstaunen gewesen, hätte meine erhitzte Phantasie sich andere Gegenstände gewählt. Diese Vorstellungen erzeugten einen Traum, in dessen buntem Gewebe ich mich in einen prächtigen Palast versetzt glaubte. Hier traf ich Eulen, die sprechen konnten, und wurde aufs prächtigste aufgenommen. Hier glaubte ich die Kukumer zu sehen, die mich als Entschädigung wegen der Behandlung mit dem Schaumlöffel aufs zärtlichste bat, eine Nacht bei ihr zuzubringen. Die Behauptung, daß wir im Schlaf so wenig von uns abhängen, daß der uns verhaßteste Gegenstand über unseren Widerstand triumphieren kann, hat seine völlige Richtigkeit. Die Kukumer versicherte mir, daß bloß dadurch ihr Groll gegen mich getilgt werden könne. Nach dem heftigsten Kampfe zwischen der Liebe, die ich für Euch hege, und dem Abscheu, den sie mir einflößte, bewog mich unser beiderseitiges Interesse, ihren Begierden nachzugeben. Endlich erwachte ich voll Schreck, aber zugleich von Freude erfüllt, da ich an meiner Wiederherstellung unmöglich länger zweifeln konnte. – Gnädiger Herr, sagte jetzt Neadarne, dieser Traum ist sehr zusammenhängend, [95] und seine Wirkung scheint mir bewundernswürdig. Glaubt Ihr, daß es nichts als Täuschung war?

Wie soll ich daran zweifeln können, entgegnete der Prinz, da ich beim Erwachen mich unter ebendem Baume noch befand, an dessen Fuß ich eingeschlafen war? Doch, Prinzessin, fuhr er fort, es ist bereits spät; mein Vater sucht seit einer Stunde den Schlaf zu unterdrücken. Er sollte besser ihm die Augenblicke schenken, die er uns bewilligt; und ich weiß nicht, ob die Nacht lang genug sein wird, daß ich Zeit genug habe, mit Euch von alle dem zu sprechen, was uns betrifft. – Daran habe ich wahrlich nicht gedacht, sagte der König. Geht, Kinderchen, geht! Und Gott behüte Euch vor Feen!

Der Prinz wünschte seinem Vater gute Nacht, umfaßte Neadarne und führte sie in sein Gemach, das er verschloß, um daselbst die Freuden zu genießen, wovon man im folgenden Buche das Ausführlichere finden wird.

3. Teil
21. Kapitel: Lehrt, daß man auf nichts in der Welt rechnen darf
Einundzwanzigstes Kapitel:
Lehrt, daß man auf nichts in der Welt rechnen darf

Glühend vor Liebe und der allerlebhaftesten Ungeduld glaubte der Prinz, sein Unglück hätte ein Ende, als er sich dem endgültigen Besitz der liebenswürdigen Neadarne so nahe sah. Außer den natürlichen Begierden, die den beseelen, der sich neben seiner Geliebten befindet, empfand er jene Wut, zu genießen, jene rastlose Hitze, die man nach Erlangung eines Guts zu empfinden pflegt, dessen Besitz man endlich versichert ist, nach Widerwärtigkeiten, die einem die Besorgnis einflößen, es nie zu erreichen. Mitten unter den lebhaftesten Entzückungen verursachte das Andenken [96] an jene erste Nacht, die so betrübt für ihn gewesen war, die Besorgnis in ihm, die zweite möchte ebenso widrig für ihn ausfallen. Die Drohungen der Kukumer fielen ihm wieder ein, und je weniger er wußte, auf was für eine Art sie sich rächen würde, desto mehr fürchtete er sie. Es gab Augenblicke, wo er auf die Barbacela fluchte; doch immer mit Mäßigung.

Man sehe nur, wozu mir ihr Schutz frommt! sagte er. Sie gibt mir einen Schaumlöffel und sagt, er sei das Mittel, die Unglücksfälle zu vermeiden, die mir das Schicksal zubereitet habe; und gerade er ist die Quelle von allem, was mich zu Boden drückt. Ohne ihn hätte ich die Kukumer nicht erzürnt; und statt mir jetzt zu helfen, läßt mich Barbacela im Stich. Eine vortreffliche Art, jemand zu beschützen! Wenn ich ihrer Hilfe nicht mehr bedarf, kommt sie – darauf will ich wetten – und bringt mir Glückwünsche.

Mit diesen Betrachtungen beschäftigte sich Tanzai, während man die Prinzessin entkleidete. Er dachte so viel an die Feen, daß er sich auch der ›Fee mit dem Kessel‹ erinnerte.

Sogleich lief er in sein Kabinett, um zu sehen, ob sie ihm betreffs des Gesundheitswassers Wort gehalten habe. Man kann sich vorstellen, daß er sie pries, als er dreißig Flaschen dieses Getränks daselbst fand. Sein erster Gedanke war, eine Flasche sofort auszutrinken. Doch nein, sagte er gleich darauf, bei Neadarne bedarf ich weiter nichts als ihrer Reize. Inzwischen müßte die Kraft dieses Wassers, wenn sie sich mit der Macht meiner Liebe vereinigte, ganz erstaunliche Dinge bewirken. Ist es auch ein kleiner Betrug, wie viele Frauenzimmer würden sich nicht einen ähnlichen gefallen lassen! Zudem wird Neadarne, der ich dies Geheimnis nicht zu entdecken brauche, nur um so mehr von sich halten, und ohne die Meinung in Anschlag zu bringen, [97] die ihr das von mir einflößen wird, ist es immer gut, einem Frauenzimmer, das man liebt, eine gute Meinung von ihren Reizen zu verschaffen. Die Liebe gewinnt auf die eine oder andere Art dabei, und Neadarne wird trotzdem, so viele Verachtung sie auch gegen jene Freuden hegt, die sie für unanständig hält, morgen früh – davon bin ich fest überzeugt – ganz anders denken. Da ihm diese Gründe gewichtig genug schienen, leerte er die Flasche aus, die er geöffnet hatte, und begab sich wieder in das Zimmer der Prinzessin, gerade als ihre Weiber herausgingen. Neadarne harrte seiner voll sanfter Sehnsucht, und Tanzai, voller Drang, glücklich zu werden, ließ nicht lange auf sich warten. Neadarne, jetzt schon gewöhnt, den Prinzen in ihren Armen zu sehen, ließ diesmal mehr ihre Zärtlichkeit als ihre Sittsamkeit sprechen. Von den feurigsten Trieben bestürmt, überlieferte sie all ihre Reize dem Geliebten, der, in noch größerer Aufregung als sie, weniger als das erste Mal bei der platonischen Betrachtung ihrer Annehmlichkeiten verweilte.

Die zärtlichen Liebkosungen, die ihnen die Liebe einflößte, raubten ihnen das Vermögen, zu sprechen; kaum konnten ihre Seufzer einen Ausgang finden. Mitten in diesen Freuden suchte Tanzai größere. Endlich bemächtigte sich ihrer beider eine sanfte Wut, ihre Seele schwebte in jenem glücklichen Aufruhr, an dessen Vermehrung sie noch Behagen findet, und sie überließen sich ihrer Trunkenheit.

Die schmerzlichen Schreie der Neadarne und der Widerstand, den er fand, schmeichelte ihm mehr, als er ihn in Erstaunen setzte. So inständig sie ihn auch bat, so reichliche und heiße Tränen sie auch vergoß, so war er dennoch auf nichts als auf Vollendung seines Triumphs bedacht. Er wäre unerbittlich gewesen, wäre nicht Neadarne in eine so heftige Ohnmacht gefallen, daß er ganz in Angst geriet.

So verstört er auch war, so dachte er doch an nichts weiter, als daran, ihr zu helfen. Endlich kam sie nach vieler Mühe [98] wieder zu sich. Die Erzählung, die sie dem Prinzen von den Schmerzen machte, die sie empfunden hatte, und von der außerordentlichen Bewegung, die, wie sie versicherte, bei ihr vorgegangen wäre, nötigten ihn, mit den Augen zu untersuchen, was das zu bedeuten habe. Wie groß aber war sein Erstaunen, keine Spur mehr jener besonderen Schönheit, woran ihm jetzt am meisten gelegen war, bei Neadarne zu finden. Dies ist für jenen Zaubersitz eine so seltsame Veränderung, daß man sich nicht wundern darf, wenn der Prinz darüber in unmäßiges Erstaunen geriet.

Als ihn die Prinzessin so betroffen sah, fragte sie ihn nach der Ursache. Statt ihr zu antworten, nahm Tanzai ihre Hand und führte sie an die betreffende Stelle.

O Himmel! rief sie, rächt die vermaledeite Fee sich auch an mir? Teurer Prinz, unter was für einem Unglücksstern muß unsere Verbindung geschlossen sein! Doch wie mag sich dieses Unglück zugetragen haben?

Teure Neadarne, versetzte der Prinz, es war hierbei so wenig zu tun, daß ich die Macht der Feen hier nicht eben bewundere. Wie unglücklich ich bin, fuhr er fort. Werden sich denn unserem Glücke ewig Hindernisse entgegensetzen? Nun bin ich also auf immer Eures Besitzes beraubt! Warum das? sagte Neadarne. Da Ihr für Euer Übel ein Hilfsmittel gefunden habt, sollte es keines für das meinige geben?

Nun ja, versetzte Tanzai, diese Hoffnung bleibt mir noch; sind aber wohl meine jetzigen Leiden dadurch behoben, daß Ihr nur von fern einen Strahl von Glück zeigt? Habe ich mich nur deshalb so oft dem Punkt, glücklich zu sein, nahe gefunden, um die Unmöglichkeit, es zu werden, desto lebhafter zu empfinden? – Ach, mein Prinz, entgegnete Neadarne, denkt Ihr denn, daß mir dieses Mißgeschick nicht nahegeht? Macht meine Zärtlichkeit es mir nicht schmerzlicher als Euch? Glaubt Ihr denn nicht, daß es mir sehr weh tun muß, im Augenblick, da meine Liebe Euch [99] nichts mehr verweigert, da die Eurige Euch keine andere Glückseligkeit ersehnt, als die uns jetzt fehlt, die grausamsten unübersteiglichsten Hindernisse sich unseren Freuden entgegensetzen zu sehen?

Der übrige Teil der Nacht verging teils in Reden, teils in unnützen Versuchen. Neadarne begriff nicht, wie das, was der Prinz ihr jetzt unter die Augen stellte, ehemals hatte verschwinden können; und der Prinz, der sich an das erinnerte, was Neadarne ihn sonst hatte sehen lassen, tat in der Verzweiflung, daß davon nichts mehr übrig war, alles Mögliche, um die Fee Kukumer Lügen zu strafen. Das Gesundheitswasser, das er mit dem Gedanken getrunken hatte, es besser zu gebrauchen, brachte erstaunliche Wirkungen hervor; und ohne Neadarnes Beistand, deren Mitleid ihm, so gut es nur immer möglich war, zu Hilfe kam, würde es ihm unstreitig übel bekommen sein, daß er soviel zu sich genommen hatte, um so mehr, da es ihm nicht einfiel, daß es in dieser grausamen Situation noch Mittel gäbe, ihm zu helfen.

Das merkwürdigste war, daß Tanzai, der über sein Unglück ganz unmäßig betrübt gewesen war, Neadarnes Unglück mit ziemlicher Geduld ertrug. Er betete sie an; fand aber Trostgründe, die er das erste Mal nicht gehabt hatte. Er hatte beschlossen, ihr nicht untreu zu werden, wenn sie auch sein ganzes Leben hindurch ihm unnütz sein sollte; allein er war sehr zufrieden, daß es in seiner Macht stand, ihr untreu zu werden, und daß die Prinzessin seine Beständigkeit nicht der Unmöglichkeit zuschreiben konnte, anders zu handeln. Eine Gesinnung, die von viel Delikatesse zeugte, ich weiß aber nicht, ob es ihm nicht in der Folge schwer geworden ist, sie auszuüben.

Neadarne befand sich ihrerseits in einer Verzweiflung, die trotz des Zwanges durchbrach, den sie sich antat. Was hilft dem Prinzen meine Treue? sagte sie bei sich. Was für Dank [100] kann er mir dafür wissen, daß ich keinen anderen als ihn liebe? Wer steht mir dafür, daß nicht so viel widrige Ereignisse ihn dahin bringen, mich zu verlassen, und daß er mich den Zorn der abscheulichen Kukumer entgelten läßt. Ach, wie entsetzlich ist mein Schicksal! Als ich seine Zärtlichkeit befriedigen konnte, war ich besorgt, seine Liebe möchte erlöschen, und jetzt zittere ich, daß er, durch so viele Hindernisse abgeschreckt, mir sein Herz auf immer entzieht!

Sie waren noch beide mit diesen Vorstellungen beschäftigt, als der Tag anbrach. Der Prinz, der nicht wollte, daß dies neue Unglück dem Volke kund würde, fand es geraten, zu seinem Vater zu gehen und sich mit ihm wegen der Mittel zu besprechen, die die Entzauberung der Prinzessin bewerkstelligen könnten. –

22. Kapitel: Was den Prinzen in Zorn setzt
Zweiundzwanzigstes Kapitel:
Was den Prinzen in Zorn setzt

Der König war noch in tiefem Schlaf, als der Prinz die Vorhänge von seinem Bette wegzog. Ei, du Heiliger Dreifaltiger Affe! rief der alte Monarch, was wollt Ihr denn um diese Zeit? Schickt sich das wohl, mich aufzuwecken? Warum bleibt Ihr nicht bei Neadarne? Ich an Eurer Stelle ... – O an meiner Stelle, erwiderte Tanzai mit Ungestüm, würden Ew. Majestät vielleicht noch früher als ich aufgestanden sein. – Wieso? entgegnete der König. Seid Ihr etwa mit der Prinzessin unzufrieden? Es ist immer eine heikle Sache! Sie hat immerhin die prinzessinmäßigste Erziehung der Welt gehabt.

Ach! Beim heiligen Zagel! davon ist die Rede nicht, antwortete der Prinz, der dabei beinahe die Geduld verlor. Neadarne hat nichts, und was ich habe, ist für sie unnütz; [101] die Pforte der Freuden ist vermauert. – O Himmel! was sagt Ihr? rief der König. Wir wollen unverzüglich den Staatsrat versammeln.

Und was soll dieser Staatsrat, Herr Vater? entgegnete Tanzai. Euer Sekretär würde operieren wollen und Saugrenutio befehlen, den Affen um Rat zu fragen. Das letztere scheint mir das beste. Doch ist es besser, wenn der Affe bei verschlossenen Türen um Rat gefragt wird. Ich mag nicht, daß jemand dies Unglück erfahre, wir werden am Ende aller Welt zum Gespötte. Laßt den Oberpriester wissen, daß wir inkognito den Tempel aufsuchen werden, wir haben uns beim ersten Orakel nicht übel befunden, können also wohl zum zweiten unsere Zuflucht nehmen. Allerdings würde ich nicht damit zufrieden sein, wenn er Neadarne solchen Proben wie mich aussetzte.

Und was machte Euch das aus, entgegnete der König, wenn Neadarne wie Ihr träumte? Dem sei nun, wie ihm wolle, sagte der Prinz, wir wollen versuchen, ihr diesen Traum zu ersparen. Ich weiß, daß, um all dem Kram ein Ende zu machen, nichts weiter nötig wäre, als Saugrenutio dahin zu bringen, daß er den Schaumlöffel lecke. Wie soll man aber dies anfangen? Gütliches Zureden hilft bei ihm nicht, und Gewalt ist verboten.

Saugrenutio, den der König hatte rufen lassen, trat jetzt ins Zimmer. Die Kukumer war schon bei ihm gewesen und hatte ihm den Orakelspruch angegeben, den er erteilen sollte. Mithin war die Mühe, die der Prinz sich gab, ihn zu unterrichten, sehr unnötig. Nachdem Saugrenutio den Prinzen bis zu Ende angehört hatte, riet er, daß man sogleich in den Tempel gehen solle, weil der Affe in der Stadt keine Orakel zu erteilen pflege. Man fuhr augenblicklich hinaus, und der Affe erteilte nach den gewöhnlichen Zeremonien folgenden Ausspruch, in Prosa, damit er auch jedem verständlich wäre:

[102] Die Prinzessin wird sich nicht eher in ihrem vorigen Zustande wieder erblicken, als bis der große Genius Maulwurffresser nach seinem heiligen Willen mit ihr verfahren ist.

Nach seinem heiligen Willen! rief der Prinz, außer sich vor Wut. Ich glaube nicht, daß das je geschehen wird. – Du bist auch gleich immer ohne Grund in Angst! sagte der König. Vor deiner Abreise warst du genauso, und was ist dir schließlich begegnet? Weißt du denn, worin der Wille des Genius besteht? Und gesetzt, er bestände in dem, was du dir einbildest, würde es nicht weit besser sein, sich ihm zu unterwerfen, als Neadarne immer so bleiben zu lassen, wie sie ist? – Nein, um Gottes willen nicht! rief Tanzai. Ich will, ein für allemal sei's gesagt, weit lieber, daß Neadarne auf immer so bleibe, als daß sie sich in den Armen eines andern befindet. – Das ist falsches Feingefühl! versetzte Saugrenutio; denn kommt es nicht im Grunde auf eins heraus? Wegen eines eingebildeten Übels bringen sich Ew. Königliche Hoheit um Ihr wahres Glück.

Potz Affen Element, Herr! rief Tanzai, kümmert Euch um Eure Angelegenheiten! Wenn man die Priesterin, die bloß Eure Konkubine ist, hinschicken woll te, wo man meine Frau hinschicken will, würdet Ihr darüber vielleicht ebenso ungehalten sein wie ich. – Laßt ihn schreien, sagte der König, und unterrichtet mich. Wer ist dieser Maulwurffresser? Mich dünkt, ich habe in meinem ganzen Leben noch nichts von ihm gehört.

Es ist ein mächtiger Genius, versetzte Saugrenutio, ein naher Anverwandter der Kukumer. Unstreitig nimmt er sich der Verdrießlichkeiten an, die sie gehabt hat. Er ist von sehr verliebtem Temperament, und die Insel, wo er sich gewöhnlich aufhält, ist ein einziges Serail, das aus den schönsten Frauenzimmern der Welt besteht. Alle diejenigen, die bei ihm zu tun haben, müssen wenigstens eine [103] Nacht in seinem Palaste zubringen. Man weiß zwar nicht mit Gewißheit, was sie dort tun, allein wenn man den Frauenzimmern glauben darf, die von dort zurückgekommen sind, so ist es der ehrerbietigste höchste Genius. Ew. Majestät sehen wohl ein, wieviel sich davon glauben laßt; inzwischen haben doch die Männer das Vergnügen, daß sie stets im Zweifel bleiben, und in dergleichen Fällen ist das immer das beste Zufluchtsmittel.

Freilich befriedigt es am meisten, unterbrach ihn Tanzai, doch ich schwöre Euch, daß ich dessen nicht bedürfen werde. – Kann wohl sein, erwiderte Saugrenutio, und es gibt ein beinahe sicheres Mittel, ihn zu besänftigen. Je mehr Maulwürfe man ihm verschafft, desto huldreicher wird er. Vor beinahe zehn Jahren ist er auf die Grille gekommen, welche zu essen; und jetzt ist dies beinahe seine einzige Speise.

Schön! sagte der König, damit können wir ihm zum Glück hinlänglich dienen; und mir geschieht überdies damit ein großer Gefallen. Alle meine Gärten werden von den vermaledeiten Maulwürfen verheert, mein Reich ist so glücklich, eine ungeheure Anzahl dieser Tiere liefern zu können. Ich will noch heute eine Verordnung ergehen lassen, daß jeder meiner Untertanen wenigstens zehn Stück zu bringen hat. Doch wie kommt man nach der Schonkiljen-Insel? – Auf ebendem Wege, fuhr Saugrenutio fort, den Ihro Königliche Hoheit genommen haben, wofern man sich nur links wendet, wenn man aus dem Walde ist.

Das alles ist sehr unnötig, unterbrach ihn Tanzai. Neadarne soll nicht das Königreich verlassen. Ich habe sie nicht geheiratet, damit sie Mätresse des Maulwurffressers werde. – So verstoßt sie, nahm der König das Wort. Unsere Landesgesetze würden Euch dazu nötigen, wenn sie binnen Jahresfrist dem Reiche keinen Erben gebärte. – Dieser letzte Grund machte den Prinzen stumm; er ergab sich endlich.

[104] Man beschloß, den Anlaß der Reise niemandem zu entdecken und sie nicht länger aufzuschieben, als es Zeit erfordern würde, alle Maulwürfe aus dem ganzen Lande mitzunehmen.

Sorgt Euch nicht, gnädiger Herr, sagte Saugrenutio zum Prinzen, der Affe hat Euch eben seine Hand gereicht, und ich bin nach diesem Zeichen sicher, daß die Reise glücklich ablaufen und der Prinzessin nichts begegnen wird. Der Affe hat eine natürliche Abscheu, sowohl gegen die Leute, die zu der Schmach bestimmt sind, wegen der Ihr Euch ängstigt, als auch gegen diejenigen, denen diese Schmach schon widerfahren ist.

Er hat Euch auch die Hand gereicht, so gut wie mir, versetzte der Prinz; ich glaube, daß er damit nichts sagen will. Doch wir wollen den Tempel verlassen und wieder zu Neadarne gehen und ihr die Reise kundtun.

Wie Tanzai und sein Vater in Neadarnens Zimmer traten, fanden sie diese höchst unruhig; sie wurde es noch mehr, als man ihr den Orakelspruch und die geplante Reise bekanntmachte. Es ist vergebens, sagte sie zu ihrem Gemahl, daß wir diesen Palast verlassen; ich würde in der Schonkiljen-Insel mich in keinem anderen Zustande befinden als hier. Ich, in den Armen eines andern? Glaubt das ja nicht. Lieber will ich Zeit meines Lebens so bleiben, wie ich bin, als diesen Genius einmal ansehen! – Ei, wir zweifeln nicht an Eurer Tugend, sagte der König; weinet nicht gleich, Saugrenutio versichert, daß Euch nichts Übles begegnen wird.

Mit einem Wort, sagte der Prinz, wir müssen die Reise machen. Eine Ahnung scheint mir zu sagen, daß wir beide damit zufrieden sein werden. Befehlt, daß man die Anstalten zu unserer Reise trifft, ich beschwöre Euch, gnädiger Herr Vater. Ich bitte ergebenst um Verzeihung, daß ich Euch damit lästigfalle, allein ich bin jetzt so beunruhigt, [105] daß ich unmöglich alles selbst veranlassen kann. – Der König ging und ließ Tanzai vergebliche Versuche anstellen, ob es nicht möglich sei, die Reise der Prinzessin überflüssig zu machen.

23. Kapitel: Das man sich ja hüten muß zu überschlagen ...
Dreiundzwanzigstes Kapitel:
Das man sich ja hüten muß zu überschlagen, so ermüdend es auch immer ist

Als endlich der Prinz sah, daß alle seine Versuche fruchtlos waren, verließ er mit Neadarne Scheschian. Jeder von ihnen führte in seinem Train wenigstens zwanzig Wagen, mit Maulwürfen beladen, mit. Beide waren bekümmert. Tanzai, der Neadarne anbetete, ertrug nur mit außerordentlichem Schmerz den Gedanken, sie in den Armen eines anderen zu sehen; und Neadarne, die nicht weniger lebhafte Empfindungen für den Prinzen hegte, konnte nicht begreifen, daß sie die Auflösung des Zaubers einer Tat verdanken sollte, von der ihr Liebe und ihr Delikatesse ein gräßliches Bild entwarfen.

Sie hatten bereits verschiedene Tagesreisen, die durch ihre Liebkosungen verkürzt worden waren, hinter sich, als sie auf einer lieblichen Wiese ankamen. Der bunte Blumenteppich, der über sie hingebreitet war, bewog die Prinzessin, die sich von der Reise müde fühlte, ihre Zelte am Ufer eines Baches aufschlagen zu lassen, der diese Gegend verschönte und eine erfrischende Kühle ringsum verbreitete. Das sanfte Gemurmel dieses Baches schläferte die beiden Liebenden bald ein. Sie konnten nichts Besseres tun als schlafen.

Nachdem Tanzai einige Stunden an Neadarnens Busen geruht hatte und sie noch schlafen sah, lustwandelte er den Bach entlang, der unendliche Mäander bildete. Eben war [106] er damit beschäftigt, Klagen über sein sonderbares Schicksal anzustellen, als ein Maulwurf, der sich gerade aus der Erde hervorwühlte, ihn unterbrach. Er dachte: je mehr Maulwürfe er dem Genius mitbrächte, desto mehr Achtung würde dieser gegen Neadarne haben, und wandte, wie man sich leicht vorstellen kann, alle Mühen an, dieses Tiers habhaft zu werden, das ihm der Zufall zuführte.

Kaum hatte er es gefangen, so fand er es so niedlich, seine Haut so sanft, seine Augen so schön (eine ungemeine Seltenheit bei Maulwürfen!), daß er es für das schönste dieser Art in der Welt hielt. Anfänglich wollte er ihm aus einer Regung von Mitleid die Freiheit wiedergeben; dann wollte er aus einem feinern Gefühl lieber, daß diesem Geschöpf Neadarnen das Glück zu verdanken hätte; so trug er ihn ins Zelt.

Neadarne, die eben erwacht war, wollte den Prinzen auf der Wiese suchen, als er mit seiner Beute erschien. Sieh, Wonne meines Lebens, sagte er, das reizende Tier, das ich eben gefangen habe. Es ist sicher kein gemeiner Maulwurf. – Ach, wie schön er ist! rief Neadarne. Wie, den wollt Ihr dem Genius überliefern? – Sein Schicksal hängt von Euch ab, versetzte er, ich willige in alles, was Ihr gebietet. – So will ich ihn denn behalten, entgegnete Neadarne. Wie schön er ist! fuhr sie fort, als sie spürte, daß er sie liebkoste, er soll bei uns bleiben. Ich selbst will für ihn sorgen. Vielleicht bin ich das einzige Frauenzimmer in der Welt, das einen so bewundernswürdigen Maulwurf hat. Er soll nie von meiner Seite kommen.

Die Frauenzimmer fassen öfters heftige Leidenschaften, ohne recht zu wissen, weshalb; je lächerlicher die Gegenstände sind, von denen sie eingenommen werden, mit desto größerer Leidenschaft vergöttern sie dieselben. So ging es Neadarne. Ihre Liebe zum Maulwurf war so lebhaft, daß sie, wenn sie dies Tier, eine Viertelstunde nachher, dem Prinzen hätte opfern sollen, vielleicht geschwankt haben [107] würde. Man muß deshalb keine üble Meinung von der Prinzessin fassen, vielleicht ist dies nur eine verwegene Mutmaßung, wenn die scheschianischen Frauenzimmer anders als alle anderen sind.

Die Prinzessin, die ihrem Maulwurf außerordentlich gut war, ließ ihm ein Halsband umlegen und führte ihn, solange sie auf der Wiese spazierte, hinter sich her, ohne daß das Tier je Lust bezeigt hätte, seine Freiheit wiederzuerlangen. Sie nahm ihn sogar in ihrer Sänfte mit, als sie in dieselbe wieder steigen mußte, und schmollte mit Tanzai, weil er ihn nicht genug liebkoste, daß es beinahe zu einem lebhaften Streit gekommen wäre.

Nach einigen Tagesreisen, die durch keinerlei Zwischenfall unterbrochen wurden, entdeckte man einen Wald. Tanzai, der ihn für den erkannte, wo er die ›Fee mit dem Kessel‹ angetroffen hatte, konnte sich eines Seufzers nicht erwehren, da er an das unselige Abenteuer dachte, das auf diese Begebenheit gefolgt war. Er ließ sogleich Saugrenutios Rate gemäß den Weg links einschlagen. Sein Herz befand sich in jener peinlichen Beklommenheit, von der man bei einem herannahenden Unglück befallen zu werden pflegt. Er seufzte und sagte zu Neadarne: So werde ich dich denn bald verlassen müssen. So muß ich, der ich dich so inbrünstig liebe, dich fast selbst in die Arme eines andern liefern! Grausames Schicksal, das mich dazu zwingt. Ach, der Tod würde mir minder gräßlich sein. Du wirst mich vergessen, Neadarne, wirst ein Raub der Begierden des Genius werden, der, so scheußlich er auch unstreitig ist, dir vielleicht besser gefallen wird als ich.

Nun denn, Prinz, versetzte Neadarne, so wollen wir auf der Stelle wieder umkehren. Ihr wißt, wie ungern ich gehorche. Ihr versichert mich, daß Ihr mich stets lieben werdet. Zufrieden mit diesem Versprechen, sicher, Euer Herz zu besitzen, was sollte ich zu wünschen haben? Das Glück [108] Eures Leben, sagtet Ihr, hinge von der Veränderung meiner Gestalt ab. Ich habe, um Euch gefällig zu sein, mich allem unterworfen, was mir auch dabei begegnen sollte. Ich habe meinem Widerwillen und all dem, was meine Tugend und Liebe dagegen vorbringen wollten, Stillschweigen geboten. Und ach! Was liegt mir daran, so zu bleiben, wie ich bin, wenn Eure Leidenschaft für mich sich nicht mindert? Ihr wißt, wie sehr ich Euch liebe, und statt Euch auf meine Treue zu verlassen, erkühnt Ihr Euch, zu glauben, daß mir der gefallen würde, den Ihr aufzusuchen mich genötigt. Wär er – was er nicht sein kann –, wär er auch ganz Ihr selbst, würde doch mein Herz, wenn ich auch Seufzer der Lust in seiner Umarmung ausstieße, nur bloß an Euch denken. Ich weiß nicht, ob jene Freuden, die Ihr rühmt, so unwiderstehlich sind, als Ihr sagt. Wie dem aber auch sein mag, so glaube ich, daß sie jenen Reiz, den Ihr ihnen beilegt, nur von der Liebe haben können. Ich fühle, daß Ihr Begierden in mir erzeugt, allein Ihr nur allein bringt solche ungestümen Regungen in mir hervor. Ließe auch jener Genius, an den zu denken Euch bedrückt und mich quält, mich jene Wollust schmecken, wovon Ihr so oft mit mir gesprochen und die ich, wie Ihr sagt, nur unvollkommen in Euren Armen genossen habe, so würde ich dennoch mitten in einer Verwirrung, in der ich mir selbst nicht mehr angehörte, doch immer noch Euch angehören. – Ach, eben das, rief Tanzai, ist jene gräßliche Philosophie, die ich befürchte! Das sind jene fürchterlichen Unterscheidungen, die der Geist macht und wovon das Herz nichts empfindet. Ebenso glücklich bei jenem Genius als bei mir, würde Euch weiter nichts fehlen als eine Idee der Wollust, die Euch im Geist selbst erst nachher beschäftigen würde, und alles, was Eure Liebe mir gewährte, wäre etwa der Gedanke, daß ich Euch vielleicht mehr Freuden verschafft haben würde.

Es sei drum, erwiderte Neadarne aufgebracht; so muß ich [109] auf immer meine Liebe zu Euch aufgeben, wenn ich diesen Genius besuche! Was Euch anbelangt, so zerreißt ein Band, das Euch verhaßt wird; Neadarne liebt Euch genug, um selbst auf Kosten ihres Lebens in alles zu willigen, was Eure Gleichgültigkeit für sie Euch einflößen kann.

Der Prinz antwortete heftig auf diesen Vorwurf, und die Prinzessin ward von seiner Antwort beleidigt. Schon wollte Erbitterung unter ihnen aufkommen, als der Maulwurf, von dem man nie vermutet hatte, daß er reden könnte, über diese lächerliche Fehde ungeduldig ward und sich nicht enthalten konnte, mit Achselzucken zu sagen: Potz Sapperment, was die Verliebten nicht für Kinder sind! – O Himmel! riefen beide. – Ah! fuhr die Prinzessin fort, mein Maulwurf kann sprechen! Ich müßte mich sehr irren, sagte Tanzai, wenn das nicht die vermaledeite Kukumer ist, die mich verfolgt. Habt Ihr gehört, wie hökerinnenmäßig sie flucht? Diesmal erwürg ich sie. Es kömmt doch auf eins hinaus. – Haltet ein, großmütiger Prinz! rief der Maulwurf. Verwechselt mich nicht mit Eurer grausamsten Feindin; tötet mich nicht, Ihr möchtet meiner bedürfen. – Ruhe meines Lebens, schonet ihrer, sagte die Prinzessin. – Wie leichtgläubig! versetzte er und suchte das Tier zu ersticken. Seht Ihr denn nicht, daß das die Kukumer ist?

Nein, das bin ich nicht. Ich bin die Fee Zwickelbart, Geschwisterkind der Barbacela und deren Freundin. Seht ja zu, was Ihr tut. – Im Grunde, versetzte der Prinz, dessen Zorn sich legte, kann sie recht haben; allein durch was für ein Abenteuer seid Ihr Maulwurf? – Das sollt Ihr bald erfahren, erwiderte die Zwickelbart; aber habt Ihr Zeit, mich anzuhören? Ich befürchte sehr, daß meine Erzählung von unerhört tödlicher Länge sein wird. – Was tut das, entgegnete der Prinz, wir haben ja nichts Besseres zu tun. Nunmehr begann der Maulwurf seine Geschichte, wie man im folgenden Kapitel finden wird.

24. Kapitel: Das vielleicht nicht jedermann verstehen wird
[110] Vierundzwanzigstes Kapitel:
Das vielleicht nicht jedermann verstehen wird

Mein Großvater war der Große Genius Kohlschrötero; meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Die Fee Chingara, meine Mutter, wollte mir nie sagen, wer er sei. Ob sie ihn nun nicht mit Zuverlässigkeit angeben konnte, oder ob sie sich ihrer Wahl schämte, kann ich nicht bestimmen. Denn es geschieht nicht immer, um sich den Anschein der Züchtigkeit zu geben, daß die Frauenzimmer ihre Liebesabenteuer nicht eingestehen, es scheint, daß, wenn der Eitelkeit durch den Stand des Liebhabers geschmeichelt wird, die Tugend weniger dabei verliert. Man machte sich in meiner Kindheit viele Hoffnungen von mir. Ich muß Euch einige Züge daraus erzählen. Ich war noch nicht vier Jahre alt ...

Könntet Ihr Eure Geschichte nicht noch ein wenig früher anfangen? unterbrach sie Tanzai. Nun ja, Ihr seid unstreitig in Eurer Kindheit recht hübsch gewesen; doch laßt uns auf die Zeit kommen, wo Euer Aussehen Euch von Nutzen war.

Gern, gern, versetzte der Maulwurf. Man nennt mich Zwickelbart, weil ich in meiner natürlichen Gestalt einen sehr langen Bart eben der genannten Art unter der linken Backe habe. Barbacela, meine nahe Anverwandte und Pate, wollte mich schlechterdings erziehen, und Chingara willigte um so lieber darein, weil mein Pate, wie sie wußte, nicht nur eine gute Erziehung zu geben imstande war, sondern weil sie dadurch ein Mädchen von sich entfernte, das ihre Reize in der Folge hätte verdunkeln können.

Barbacela trug mich nach der Insel Tändelholm, wovon sie Beherrscherin ist. Unstreitig findet man unter keinem Himmelsstrich weniger Nebel als unter dem dortigen. Die Mannspersonen beschäftigen sich daselbst nur mit Scharaden [111] und Vaudevillen machen. Die Frauenzimmer haben nichts anderes zu tun, als zu gefallen. Trüge es sich zu, daß eine von ihnen, von einem Liebhaber verfolgt, den dort üblichen Anstand so sehr vergäße und bloß das Wort Tugend ausspräche, so würde sie auf ein Jahr aus aller Gesellschaft verbannt werden. Ich will aber damit nicht sagen, daß man immer gleich zu einer Einigung käme. Der Widerstand dauert wenigstens zwei Tage, und wir haben wenige Frauenzimmer gesehen, die sich eher ergeben hätten. Bei Hofe ist dies indessen nicht ohne Beispiel.

Diese Sitten scheinen Euch sonderbar, aber Ihr habt unrecht. Ein Frauenzimmer von denen, die man bei Euch tugendhaft nennt, läßt Euch einen Monat durch auf die Schäferstunde warten. Ein langer Termin! Und am Ende, was gibt sie Euch mehr, als was eine andere, die nicht so mit Zucht und Ehrbarkeit prunkt, Euch gleich anfänglich gewährt? Ihr seht, es kommt auf eins hinaus; die Leidenschaft wird zum Schluß doch den Sieg davontragen. Durch alle die gekünstelten abschlägigen Antworten, die ein Frauenzimmer erteilt, erblickt man ihre Niederlage immer im Hintergrund; sie mag beschleunigt oder verzögert werden, endlich kommt sie doch gewiß, allein die Imagination ist ihr vorausgeeilt, und man hat die Begierden gut beim Ohre zupfen, sie wachen kaum auf; und fügte es sich doch, so wird das Vergnügen, dem sie aus zu großer Ferne winken, sich entweder nicht zur rechten Zeit einstellen oder macht sich auch daraus nichts, gar nicht zu kommen. Die Tugend ist weiter nichts als eine Salbaderin, die Euch um kostbare Zeit zu bringen sucht, und wenn sie die Liebe vertrieben zu haben wähnt ...

Wiederholt doch ein wenig, was Ihr soeben gesagt habt, unterbrach sie Tanzai. Ich will sterben, wenn ich davon eine Silbe verstanden habe. Was für eine Sprache sprecht Ihr da? – Die auf der Insel Tändelholm gewöhnliche, erwiderte [112] der Maulwurf. – Wenn Ihr die meinige reden könntet, entgegnete der Prinz, so würdet Ihr mir ein Vergnügen erzeigen. Wie macht Ihr's denn, daß Ihr Euch selbst versteht? – Ich suche mich zu erraten, antwortete der Maulwurf. Doch laßt mich fortfahren. Ich weiß wahrlich nicht mehr, wo ich stehengeblieben bin. – Da, wo die Tugend salbadert, nahm Neadarne das Wort. – Nicht doch, sagte die Zwickelbart, das war nur eine Bemerkung. – So weiß ich denn nicht mehr, welches die Geschichte war ... Ah! Ihr bliebt bei den Frauenzimmern stehen, die sich auf der Stelle ergeben.

Meine Pate, fuhr der Maulwurf fort, erzog mich in den Sitten des Landes, und ich begann bereits zu wissen, was mein Gesicht wert war, als ich aus der Kindheit trat. Vor einem gewissen Alter sieht man sich, ohne sich in gehörigen Augenschein zu nehmen; studiert man seine Reize nicht, weiß man nicht, was sie wert sind, ist ihr Besitz für uns wie gar nicht vorhanden; das erste Verlangen, sie auf die Probe zu stellen, enthüllt sie unseren Blicken; alsdann erst fängt man an, sich Vorstellungen zu machen. Ohne die Männer würde ein Frauenzimmer schön sein, ohne es zu wissen, ohne es zu mutmaßen.

Ich fand meine Bildung leidlich, als der Genius Schonkilje auf unsere Insel kam. Ich war lebhaft, anziehend, und meine Schönheit war sozusagen mit Koketterie gepaart. Schonkilje faßte die lebhafteste Leidenschaft für mich, allein der Prinz der Scholuchernen, der eine halbe Stunde vor ihm gekommen war, hatte mich gesehen, ins Auge gefaßt und mich erschüttert. In der Liebe hängt alles oft von einer Sekunde ab. Der Genius wußte nicht, daß er zu spät ge kommen war. Ich ward mit Widerwillen seiner Leidenschaft gewahr, und diese Entdeckung nötigte mich, die meinige zu verbergen. Da man meine Liebe für Scholuchern nicht kannte, erstaunte man über die Gleichgültigkeit, die ich [113] gegen den Genius äußerte. Umsonst bediente er sich aller seiner Annehmlichkeiten, umsonst waren seine Seufzer. Die ganze Gerechtigkeit, die ich ihm widerfahren ließ, bestand bloß in Achtung, und das ist eine zu wenig auszeichnende Empfindung für jemand, der sich geschmeichelt hat, lebhaftere Gefühle einzuflößen.

Die glänzendsten Festlichkeiten, die prächtigsten Geschenke, die unterwürfigsten Dienstbeflissenheiten, die schüchternste Ehrerbietung waren die Waffen, deren er sich bediente, meine Strenge zu besiegen. Ich verstellte mich lange gegen ihn. Ich wußte, daß mein Geliebter von seinem Zorn alles zu fürchten hatte, wenn Schonkilje ihn als seinen Nebenbuhler erkannte. Demnach begnügte ich mich, Scholuchernen insgeheim zu sprechen und ihm die liebevollen Bewerbungen und die Geschenke des Genius zum Opfer zu bringen. Ich habe seitdem erfahren, daß dieser Gebrauch nicht neu ist, und daß man dasjenige, was man von dem reichen Liebhaber bekommt, zur Erkaufung desjenigen anwendet, der unser Herz getroffen hat. Mir war um so mehr bange, der Genius möchte gegen Scholuchern einen Verdacht hegen, als er an unserem Hofe der einzige Mann war, der meine Blicke auf sich zu ziehen verdiente. Einen schöneren Tänzer als ihn gibt es auf der Welt nicht. Niemand machte mit mehr Anstand eine Reverenz. Er spielte alle Spiele des Geistes sowohl als des Körpers gar vorzüglich, vom Gänsespiel an bis zum Ballon, erriet alle Rätsel und Scharaden und gab selbst die verwickeltsten auf. Seinem schalkhaften Witze, der nicht nur einzelne Personen, sondern auch die meisten Gerichtskollegien seines Landes, ja selbst auswärtige Reiche aufs stärkste zu turlupinieren wußte, hat man das berühmte Rätsel von dem fußlangen Dinge zu danken, das bellt wie ein Hund und wie eine Katze miaut und dabei doch gar herrlich singt; ein Rätsel, das in Pithäkonion, wo es erschien, weit stärkere Sensation machte als irgendein anderes verdrehtes Zeug, mit dessen [114] Auslegung gegen reichliche Belohnung von allen Enden und Orten Bonzenjünger und Schmiede, Kaufleute und Schuster, Steuereinnehmer und Drehorgelbauer, Müllertöchter und Bonzen die dortige Akademie der Wissenschaften wütend bestürmten, und welches man trotz seiner argen Ungereimtheit den größten Dichtern und Gelehrten des Landes beimaß, wo Scholuchern es so listig auszustreuen Mittel gefunden hatte.

Was nun die Gestalt des Prinzen anlangt, so war sie bezaubernd schön und, wenn man so sagen darf, in die seltensten Annehmlichkeiten gewickelt. Er begleitete alle musikalischen Instrumente mit einer Stimme, die alle bezauberte.

Spielt er die Leier gut? unterbrach Tanzai mit Ungestüm die Erzählerin. – Es war eins seiner Lieblingsinstrumente. – Um so besser, entgegnete der Prinz; es gibt auch kein vortrefflicheres Instrument. Doch fahrt in Eurer Erzählung fort, jetzt nehm ich an Eurem Prinzen vielen Anteil.

Außer den Talenten, die ich eben hererzählt habe, fuhr sie fort, machte er artige Liederchen. Seine aufgeweckte Unterhaltung befriedigte ebensosehr durch ihre Annehmlichkeiten, als seine ernste durch Gründlichkeit. Streng bei den Prüden, frei bei den Koketten, sanft schwärmend bei den Zärtlichen, war keine Dame bei Hofe, deren Wonne er nicht war, keine Mannsperson, deren Eifersucht er nicht regegemacht hätte. Die Überlegenheit seines Geistes machte ihn nicht ungesellig, nachgiebig mit Feinheit, wußte er sich in alles zu schmiegen.

Er verstand besser denn irgend jemand die glänzende Sprache unserer Insel. Jedermann war auf dem Gipfel des Entzückens, wenn er sie von ihm hörte, und wiewohl jenes mürrische Wesen, das man gesunden Menschenverstand nennt, nicht immer höflich mit dem verfuhr, was er sagte, so war doch die unwiderstehliche Eleganz seiner Reden Ursache, [115] daß man dabei nichts verlor, oder daß der gesunde Menschen verstand, hinter einer wunderbaren Menge der bestgesetzten Worte versteckt, selbst seinen ungehirntesten Anhängern von der abgeschmacktesten Geschmacklosigkeit vorgekommen sein würde, wofern er weniger luftig gekleidet gewesen wäre.

In der Tat, der Verstand ist ein Werktagsgeschöpf, das sich immer zeigt, wie es ist; stets besorgt, in Aufgeräumtheit ersäuft zu werden, und das nicht ermangelt, zurückzubeben, wenn sich eine sonderbar gewendete Idee zeigt oder ein Lichtgenie sich eines bequemen Platzes im Herzen bemächtigt. Triumphiert er dennoch bei alledem, so geschieht das auf eine der Menschheit so hohnsprechende Weise, daß die besterzogenste Eigenliebe dadurch in Mißkredit kommt, soviel von ihren Annehmlichkeiten verliert, eine so schlechte Meinung von sich faßt, daß es höchst lächerlich wäre, wenn sie nicht ganz geradezu mit ihm bräche.

Der Witz hingegen hat einen mehr geselligen Charakter; sein anständiges Betragen gibt zu erkennen, daß seine Erziehung nicht von Vorurteilen angesteckt worden ist. Was er denkt, gehört nur ihm, hängt mit nichts zusammen, ist ganz isoliert; er schwingt sich leichten Gefieders empor. Was der Verstand hervorbringt, wird durch die Mühe, die es ihn kostet, schwerfällig; was aber die Imagination gebiert, ist kühn. Die Grandezza von jenem schläfert ein, der Mutwille von dieser aber weckt den Schläfrigsten auf. Jenen sieht man lange zuvor die Heerstraße gar feierlich dahergewandelt kommen, diese überrascht ganz unvermutet. Überlegung benimmt das Treffende, ist wahre Dürftigkeit des Geistes, der Deckmantel eines schwachen Kopfs, der immer tiefer zugrunde gerichtet wird, je länger sie ihm schmeichelt. Der Witz, von allem unabhängig, macht seine Operationen ohne alle Berechnungen. Seine immer verführerische Wirkung, die schneller ist als der Blitz, glänzt, setzt in Erstaunen, [116] blendet, nimmt alle Gestalten an, die man will. Sein immer edles, erhabenes Wesen selbst in Tändeleien spricht zum Vorteil seiner Geburt; und der Verstand, der immer als ein ehrlicher Spießbürger neben ihm figuriert, aus Geistesdürre stets schweigt, unterliegt wider seinen Willen und vermehrt durch seine üble Laune den Triumph seines Nebenbuhlers.

Wahrhaftiger Affe! rief der Prinz. – Ach! wie schön ist das, sagte Neadarne, von Vergnügen durchdrungen, wie schön ist das! Ohne unseren Maulwurf würden wir uns bis zum Umkommen gelangweilt haben. – Ich bin entzückt, entgegnete die Zwickelbart, daß meine Ideen bei Euch nicht verlorengehen. Ich habe mir gleich gedacht, daß Euer Geschmack nichts weniger denn kindisch wäre. – Aber kann man wohl, fragte Neadarne, diese Sprache ohne viele Mühe erlernen? Benimmt dies der Indolenz der Ruhe nichts? – Ich, meines Orts, glaube es nicht, versetzte Tanzai, und denke, daß bei der Anlage, die Ihr jetzt zeigt, und bei den Lektionen, die die Zwickelbart Euch geben wird, Ihr bald ebenso superfiziell sprechen werdet wie sie. O wie erbärmlich klein, fuhr er fort, sich eines so ekelhaften Jargons zu bedienen! Stundenlang verweilt Ihr Euch bei Verstand und Witz, ohne weder von dem einen noch dem anderen einen Funken blicken zu lassen. Wenn Ihr in dem Tone Eure Geschichte fortsetzt, so stehe ich nicht dafür, daß ich sie geduldig anhöre. – Laßt ihn schwatzen, unterbrach Neadarne ihren Gemahl; Ihr sprecht über alles, daß es eine Wonne ist. Der Prinz zuckte die Achseln; die Zwickelbart fuhr so fort:

25. Kapitel: Dem vorigen gleichend
[117] Fünfundzwanzigstes Kapitel:
Dem vorigen gleichend

Ihr werdet mir nach dem, was ich Euch von Scholuchern gesagt habe, leicht einräumen, daß meine Neigung für ihn hinlänglichen Grund hatte. Ein einziger seiner Blicke wäre hinreichend gewesen, dem am wenigsten leidenschaftlichen Frauenzimmer den Kopf zu verdrehen, sonach darf es niemand wundernehmen, wenn seine Vorzüge auf mich so lebhaften Eindruck machten. Es gründen sich so viele Leidenschaften nur auf Kapricen, daß es mir sehr lieb ist, daß nichts weniger als ein Nichts die meinige bestimmte.

Das erste Mal, da ich ihn sah (und Liebe entsteht nur vom ersten Augenblick), wie hätte ich ihn da nicht gleich lieben sollen! Er war im Zirkel der Barbacela. Die galantesten Männer des Hofes waren von unseren Damen über die Wahl des Putzes, über die Moden und über die Schwierigkeit, neue zu ersinnen, um Rat gefragt worden. Die Materie war wichtig, wie Ihr seht. Jeder bestrebte sich, zu glänzen. Der Prinz, der nur eben bei Hofe angelangt war, löste die schwierigsten Fälle, die ihm vorgelegt wurden, mit so vieler Gründlichkeit auf, erfand so artige Moden, daß jedermann seine Weisheit und Einbildungskraft bewunderte.

Ich meinesteils wurde von allem unbemerkt bis in das innerste meines Herzens getroffen. Eine besondere Aufmerksamkeit, die er mir zu weihen schien, festigte die Neigung, die ich bereits für ihn fühlte; und ich half mir mit meinen Reflexionen so gut, daß meine Leidenschaft, wie ich ihn den Abend verließ, nicht mehr zunehmen konnte. Die Annehmlichkeiten seines Witzes, die sich in den zwanglosen Tafelgesprächen entwickelten, vollendeten meine Niederlage. Einige verbindliche Dinge, die er mir über meine Schönheit sagte, das Stillschweigen, das er gegen alle übrigen beobachtete, überzeugten mich, daß sein Herz nicht [118] mehr unbefangen wär. Das merkt man leicht. Die Liebe ist eine Empfindung, die die Seele in Unordnung bringt, und, um sich ganz gemächlich darin festzusetzen, sich aller Kräfte der Seele bemächtigt und nur zu ihrem Besten handeln läßt.

Mein Herz, das sich mit dem seinigen vom ersten Anblick an zu verstehen schien, entsagte feierlich allem Anstände und trat aus unbegreiflicher Unachtsamkeit alle Vorstellungen der Vernunft, die ihm hätten widersprechen können, mit Füßen. Wir trafen einander zugleich bei Seufzern an; und wären wir diesen Abend noch länger zusammen gewesen, so würden unsere Begierden in minderer Unschuld voneinander geschieden sein als geschah.

Was er mit seiner Nacht anfing, weiß ich nicht; was mich anlangt, so suchte der Schlaf vergeblich sich meiner Sinne zu bemächtigen. So viele und gute Ratschläge er mir auch gab, folgte ich doch der Liebe weit lieber, die, ganz neu in meinem Herzen, es unstreitig auf eine angenehmere Art beschäftigte, als der liebenswürdigste Traum getan haben würde.

In der Tat, was ist Schlaf, wenn man verliebt ist? So viele Süßigkeiten er auch gewährt, kommt er wohl der zusammenhangvollen Unordnung der Einbildungskraft gleich? Zumal wenn man der Gegenliebe versichert ist und die schmeichelnde Hoffnung die Gegenstände ganz nach Euren Wünschen ordnet? Bei einem Traum hat man nur undeutliche Vorstellungen, die freilich zuweilen schwanger von Seligkeiten sind, oft aber deren Quellen ganz entgegen laufen. Hingegen, wenn man sich wachend mit dem Gegenstand seiner Liebe beschäftigt, ordnet man sich alles, wie man es will, und die Leidenschaft, die da im Spiele ist, weiß sodann den größten Zeitvertreib daraus zu bereiten.

Kaum war ich aufgestanden, als Scholuchern in mein Appartement kam. Ich befand mich eben in einem abgelegenen [119] Kabinett. Er wagte es, meine Einsamkeit zu stören. Die Unruhe und die Begierde in seinen Augen, seine schüchterne Ernsthaftigkeit bewiesen mir, wie sehr ich geliebt wurde. Ich muß es gestehen, ich hatte nicht die Kraft, ihm seine Eroberung beschwerlich zu machen, und überdies nötigte mich mein Rang, ihm die ersten Schritte entgegenzutun.

Ein günstiger Blick gab ihm sonach wieder Mut, ohne meine Tugend dabei zu sehr ins Spiel zu bringen; dazu hilft einem Weltkenntnis. Ohne daß ich's zu wünschen schien, führte ich ihn bis dahin, daß er mir seine Erklärung tat. Ich erinnere mich jetzt der Wendung nicht mehr, womit er sie vortrug, allein sie war dermaßen deutlich, daß es nur auf mich ankam, mich zu stellen, als ob ich darüber böse würde.

Es ziemte sich nicht für mich, ihm gleich darauf zu antworten, ebensowenig aber wollte ich ihn zur Verzweiflung bringen; daher drückte ich ihm die Hand; eine im Grunde gleichgültige Sache, und worüber man sich immer entschuldigen kann, wenn sie nicht glückt. Mehr wollte ich nicht wagen, wiewohl ich gewiß war, daß er mich liebte. Das erste Entgegenkommen muß gemäßigt sein. Ein Liebhaber, der nur etwas Kopf hat, versteht sie, ist er aber dazu nicht imstande, so ist es erlaubt, ohne Schonung für sich darin zu Werke zu gehen. Ich hatte dies bei Scholuchern nicht nötig. Er wußte, daß jede Hand, die drückt, einen Kuß verlangt, und so nahm er ihn sich. Er errötete über das Vergnügen, das er dadurch empfand, ich errötete auch, aber darüber, daß er es bei einem Kuß beließ.

Ich warf einen Blick auf ihn, der mir entsetzlich sauer ward, der gar zu gern zärtlich gewesen wäre. Es war mir nicht unlieb, daß er es war, doch zeigen durfte er's nicht. Ich machte es so, daß es nur ein Blick des Befremdens sei und die Entrüstung hätte ausdrücken sollen, worin ich mich hätte befinden müssen, allein es wollte mir nicht gelingen, [120] und die Liebe, die ihn leitete, machte ihn gleichsam fähig, bevor ich nur daran gedacht hatte, den Ausdruck zu verbessern. Hätte ich mit jemandem zu tun gehabt, der weniger scharfsichtig war, so hätte ich mich bald herauswinden können; allein der kleine Bösewicht Scholuchern nahm ihn ganz richtig für das, was er war; was ich nicht inneward. Um mir dafür zu danken, küßte er mir nochmals die Hand, die ich aus der seinigen zurückzuziehen vergessen hatte. Sein Inneres war in Aufruhr; ich war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, und fühlte bloß; er lag zu meinen Füßen; eine Attitüde, die immer Eindruck macht und einem nicht gleichgültig ist; wenn sie Ehrerbietung beweist, so lädt sie auch zugleich ein, sie zu vergessen.

Ich bückte mich, bloß um Scholuchern zum Aufstehen zu nötigen; diesen Augenblick ergriff er, einen Kuß von mir zu erhaschen, der mir bis ins Innerste drang. Alle meine Sinne waren verwirrt, und mein Kopf blieb wider Willen auf den seinen gebeugt. Es war der erste Kuß, den ich in meinem Leben empfangen hatte! Seit der Zeit habe ich öfter Wollust empfunden, sie ist mir immer teuer gewesen, solchen Eindruck hat sie aber nie mehr auf mich gemacht. Ich weiß nicht, wie es in diesem Augenblick mit Scholuchern war; ich glaube, ich wäre verloren gewesen, wenn er sich in weniger Zerstreuung befunden hätte.

Als ich mich von meiner Verwirrung erholt hatte, war der Prinz noch in der seinigen. Ein zärtliches Schmachten hing in seinen Augen, seine Seufzer waren unterbrochen, nur mit Mühe wanden sie sich aus seinem gepreßten Herzen herauf. Welch ein Glück, daß er damals nichts unternehmen konnte. Der Augenblick, da er seine Erklärung tat, würde auch der seines Glücks gewesen sein. Dies war bei Hofe etwas Gewöhnliches; ich aber wollte mich diesem Gebrauche nicht unterwerfen. Ich kannte die Männer genug, um zu wissen, daß sie eine zu schnelle Eroberung weniger der Liebe zuschreiben, [121] die man für sie hat, als der Gewohnheit, sich zu ergeben, und daß sie ihre Eitelkeit gern gedemütigt sehen, wofern sie nur die unserige beugen können. Dieser Grund hielt mich zurück, wo die Scham es nicht mehr zu tun vermocht haben würde.

Ach, Prinz, sagte ich zu Scholuchern, laßt mich! Ziemt es sich nicht für Euch, mich gegen meine Schwäche zu verteidigen? Vermehrt die Schwäche meiner Vernunft nicht, kommt wieder zu Euch und gebt mich mir selber wieder. Ach! ich liebe Euch; Ihr könnt daran nicht zweifeln; die Beweise meiner Zärtlichkeit sind Eurem Geständnis zuvorgeeilt. Wie süß ist es mir, Euch nicht alles gegeben zu haben und zu denken, daß meine Liebe Euch noch tausend Geschenke machen kann. Genießen wir das Vergnügen, uns anzubeten; überlassen wir uns ihm ganz! O daß unsere Tage in voller Glut der Liebe verströmen, daß jeder neugeborene Tag uns so wiederfinden möge; daß der gegenwärtige, wenn er uns an den vergangenen erinnert, uns Mut gebe, uns unaufhörlich zu lieben; und könnten wir doch in der Zukunft keine andere Glückseligkeit erblicken, als die uns jetzt durchwallt! Selig, unsterblich zu sein! Noch weit seliger, daß wir unsere Liebe so ewig machen als unsere Existenz.

Ach! göttliche Fee! rief Scholuchern, ich muß meinen Entzückungen erliegen! Eure Güte setzt mich in die äußerste Beschämung. Daß ich Euch meine Erkenntlichkeit nicht auszudrücken vermag, ist ja wohl ein deutlicher Beweis, wie sehr ich davon durchdrungen bin? Aber Ihr begreift selbst noch nicht, in wie hohem Grade ich Eure Huld schätze. Zufrieden damit, Euch anzubeten, wenn Ihr auch selbst durch Eure Strenge mich niedergedrückt hättet, könnt Ihr womöglich mein Entzücken beurteilen, als ich Euch meine Leidenschaft teilen sah! Glücklich, wenn ich leben darf, um Euch anzubeten, um jeglichen Augenblick meines [122] Lebens Euch zu weihen; aber wie höchst unglücklich, nicht sterben zu können, wenn Ihr je Eure Gesinnungen gegen mich ändert! Gleichwohl liebt Euch Schonkilje. Was für ein Nebenbuhler! Und brauche ich mich auch nicht um Eure Unbeständigkeit zu sorgen, was habe ich nicht alles von seiner Macht und vielleicht von seinen Reizen zu fürchten?

Ich muß gestehen, sagte ich zu ihm, er hat sich für mich erklärt, allein, ich werde nicht lange mehr meiner Liebe Zwang antun und die seinige ertragen dürfen. Ich will soviel Sorgfalt anwenden, ihn zurückzuscheuchen und Euch glücklich zu machen, daß er ebensosehr vor Schmerz als Ihr vor Freuden seufzen soll. Eine hoffnungslose Leidenschaft erhitzt sich schnell, wird aber bald wieder kalt. Verdrießlich, daß seine Aufmerksamkeit so wenig Erfolg hat, wird ihn sein Stolz – das könnt Ihr mir glauben – zuverlässig dahin bringen, seine verschmähte Liebe einer anderen zum Opfer zu bringen.

Doch wir wollen uns bezwingen. Wenn Ihr auch Genius seid, wißt Ihr doch, wie weit seine Macht über der Eurigen ist. Eure Tage freilich kann er Euch nicht abkürzen, aber er kann sie doch unglücklich machen. Unstreitig würden wir uns nicht mehr wiedersehen. Ah, ohne Schauder kann ich daran nicht denken! Wir wollen zufrieden sein, uns öffentlich durch unsere Augen zu sagen, daß wir uns lieben; die Beweise hiervon aber für dort aufheben, wo wir sicher sind. Doch begebt Euch fort von hier. Ich befürchte, man möchte uns überraschen und die Ursache der Verlegenheit erraten, worin wir uns befinden. An einem Hofe, wo Liebe die Hauptangelegenheit der Höflinge ist, würde unsere Verlegenheit nicht zweideutig sein.

Der Prinz, in Besorgnis, daß die Liebe, die ich für ihn äußerte, Kaprice sei, hätte gern gesehen, wenn vor seinem Weggehen bestimmte Gunstbezeugungen sein Glück verwirklicht hätten; aber es war nicht meine Absicht, meine [123] Schwachheit so weit zu treiben. Aus Tugend, kann ich mir wohl vorstellen, war ich nicht so zurückhaltend; ob aus Delikatesse, weiß ich nicht; aber ich kann mir kaum denken, daß ich mit Scholuchern dort haltgemacht hätte, wo wir waren, wenn ich ihn nicht hätte weggehen heißen. Seine Augen waren so zärtlich, und ich war so schwach; überdies hätte er für eine Kleinigkeit so feurige Aufwallungen gegen mich geäußert, daß ich gern hätte sehen mögen, wie überschwenglich seine Erkenntlichkeit sein würde, wenn ich ihr zu vollerem Ausbruch Anlaß gegeben. – Er ging höchst ungern weg, und ich verbarg ihm, daß ich ihn auch höchst ungern gehen ließ.

Kaum war ich allein, als ich mir Vorwürfe machte, nicht über das, was ich getan, sondern darüber, daß ich ihn so vergnügt zurückgeschickt hatte. Ich würde in Verzweiflung gewesen sein, wenn er an der Stimmung meines Herzens gezweifelt hätte, und doch fand ich es nicht für ratsam, daß er dessen so gewiß sein sollte. Obwohl ich noch nicht bestimmt wußte, was wir alles bei einem Manne verlieren, wenn wir dessen Begierden befriedigt haben, vermutete ich doch, daß er, so glühend verliebt er auch immer sein möchte, wenigstens das Vergnügen der Neugier verloren habe, und ich wußte aus eigener Erfahrung, daß dies Vergnügen einen Platz in der Seele einnimmt und daß es für eine Person nur einmal daselbst stattfinden kann. Ich hatte trotz meiner Leidenschaft für Scholuchern beschlossen, ihn lange wünschen zu lassen und bisweilen zweideutig mich gegen ihn zu benehmen. Meine Liebe litt dabei, dergleichen Politik zu ersinnen; aber sie schien mir so notwendig, daß ich meinen Widerwillen überwand.

Als ich ihn am nämlichen Tage wiedersah, waren meine Augen stummer, als sie am Morgen gewesen waren; ich gab ihnen sogar einen Ausdruck von Kälte, der ihn in Verzweiflung setzte; doch suchte ein feuriger und zärtlicher [124] Blick, den ich auf ihn heftete, weil ich überzeugt war, daß ich ihm Kummer gemacht hatte, seine ersten Hoffnungen ihm wiederzugeben. Ich weiß, daß die Männer von Welt dies Benehmen Koketterie nennen; doch für wen anders als für sie arbeiten wir? Was für Reize würden sie nicht bald schal finden, wenn wir uns nicht bemühten, ihre Herzen anzuspornen? Lieben sie uns denn stets gleich zärtlich? Sind sie gewiß, uns stets in gleicher Gemütsverfassung zu finden, so verlangen sie nichts weiter. Eine Kaprice, die sie nicht erwarteten, zieht sie aus ihrer Lethargie; sie sehen sich mit Verzweiflung auf dem Punkte, ein Gut zu verlieren, dessen sie bisher als selbstverständlich genossen; die Bemühungen, die sie sich um dessen Wiedererlangung geben, erneuert ihre Empfindungen. Sie erinnern sich nicht mehr, daß wir die ihrigen sind, sie trachten, daß wir es werden. Unser nahender Verlust allein läßt sie bemerken, wie notwendig wir ihnen waren; sie lieben uns deshalb um so mehr, und wir werden ihnen deshalb wieder teuer.

Das Herz gewinnt von beiden Seiten dabei; es erlangt mehr Zärtlichkeit. Wenn ein Liebhaber keine Grillen und Launen zu erdulden, keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten hat, glaubt er entweder, gar nicht mehr zu lieben, oder wenigstens nur aus Gewohnheit oder Erkenntlichkeit. Tun wir ihm nicht einen größeren Dienst, wenn wir ihm einen Irrtum nehmen, der seine Freuden erlöscht? Der zärtliche Liebhaber kehrt wieder zurück, wenn die empfindungsvolle Gebieterin sich vor ihm verbirgt. Die Gunstbezeigungen, die er ganz frostig empfing, werden für ihn viel anziehender als das erste Mal, sobald er glauben muß, daß sie ihm geraubt werden würden. Er begreift dann sogar nicht einmal, wie er sie zu vernachlässigen imstande gewesen ist.

Welch ein Triumph für uns, welch ein Reiz für ihn, wenn man mitten in einer unerwarteten Aussöhnung in seinem Herzen eine Empfindung wieder aufleben fühlt, die man [125] darin nicht mehr zu erkennen vermochte! Die Liebe ist nur das, was wir aus ihr machen. Wollten wir sie so lassen, wie die Natur sie uns gibt, so würde sie zu einfach sein. Ohne Delikatesse enthielte sie keine Wollust. Wir verdanken dies Gut nur uns selbst. Man mußte es mit Schwierigkeiten umringen, um es kitzliger zu machen. Unsere Herrschaft über die Männer hängt von uns selbst ab; und büßen wir sie ein, so haben wir dies lediglich unserer geringen Geschicklichkeit beizumessen; rauben sie sie uns, so ist die Schuld nicht ihre. Ach! die armen Geschöpfe! sie würden von selbst nie daran denken. Zur Sklaverei einmal bestimmt, lassen sie sich, sobald sie die einen abgestreift haben, andere Fesseln anlegen. Sie fühlen, daß sie geboren sind, beherrscht zu werden. Wollen wir sie auf immer an unserer Kette behalten, so müssen wir ihnen nie ein vollkommenes Glück gewähren; ihre Begierden zwar immer anstacheln, sie aber nie vernichten. Mitten unter den lebhaftesten Freuden muß ihnen etwas fehlen, wäre es auch nur ein Seufzer. Die Begierden ersterben nur, wenn man sie ihr höchstes Ziel erreichen läßt; und diese Krankheit wandelt sie nur dann an, wenn wir sie damit nicht verschonen wollen.

Ach! wie bezaubernd das ist! rief Neadarne. – Auf Ehre! lieber Maulwurf, sagte Tanzai, ich habe in meinem Leben nicht so etwas Außerordentliches gesehen, als Ihr seid. – Allerliebste Bemerkungen! sagte Neadarne abermals.

Wären sie auch wirklich so schön, als Ihr sagt, versetzte Tanzai, so würden sie mir dennoch darum nicht besser gefallen. Ich finde sie langschweifig und übel angebracht. Ich weiß nichts Lächerlicheres, als Geist und Witz zur Unzeit auskramen. Die teure Zwickelbart hält uns nun schon wenigstens drei Stunden mit einer Geschichte in Atem, die ich in einer Viertelstunde zu Ende gebracht hätte. Ich glaube, um angenehm zu erzählen, muß man naiv sein. Gibt ein Faktum von ungefähr eine Bemerkung an die Hand, [126] nun gut, so mache man sie, verliere darüber aber die Hauptsache nie aus den Augen. Sie sei kurz und führe den Zuhörer wieder zu der Aufmerksamkeit zurück, die er für die Erzählung haben soll. Vor allen Dingen aber hüte man sich vor jener Sucht zu glänzen, die dem Witz Zwang antut und ihn unnatürlich macht. Dies ist für jede Art des Vortrags eine so notwendige Eigenschaft, daß ich ohne sie keine wahren Schönheiten finde.

Ich mache der Zwickelbart, fuhr er fort, keine Vorwürfe weiter über ihre Sprache, weil ich sehe, daß sie ihr angeboren ist. Aber weil wir bei dem Punkte sind, so sagt mir doch: wozu jene Wirrnis von Ideen, die immer dieselben sind, obwohl ihr Vortrag anders ist? Wozu jene hundertmal bereits gesagten Sachen, die, um wieder zu erscheinen, in einen Geschmack eingekleidet sind, der sie zwar possierlich aber nicht neu macht? Was hilft mir's, der ich Lust habe, schnell Eure Geschichte zu erfahren, alle Betrachtungen und Bemerkungen zu wissen, die Ihr hinterdrein über Eure Abenteuer angestellt habt? Lieber Herzensmaulwurf, ich bitte nochmals und zwar zu allerletzt, gebt uns Tatsachen und keinen Wortkram weiter!

Ihr könnt recht haben, versetzte die Zwickelbart; aber das Wesentliche muß gleichwohl nicht wie Unbedeutsamkeiten behandelt werden! – Nun glaubt sie doch wirklich, mir geantwortet zu haben, entgegnete der Prinz. – Das hat sie auch wirklich, erwiderte Neadarne. Sie spricht sehr gut. Ich weiß nichts Entzückenderes, als zwei Stunden über Sachen sprechen zu können, worüber andere Euch kaum eine Minute unterhalten können. Was liegt daran, wenn man sich wiederholt, wenn man nur einen Anstrich von Neuheit dem zu geben versteht, was man sagt. Überdies blendet jene vortreffliche Art sich auszudrücken, die Ihr Jargon nennt; sie gibt mehr nachzudenken. Glücklich derjenige, aus dessen Unterhaltung ein so feiner Geschmack hervorleuchtet! [127] Weshalb soll man immer einerlei Phrasen beibehalten, es nicht wagen, die voneinander zu trennen, die nebeneinander zu stehen gewohnt sind? Warum sollte es verboten sein, Wörter miteinander Bekanntschaft machen zu lassen, die sich nie gesehen haben oder die glauben, daß sie nicht zusammen passen werden? Ist das Erstaunen, worin sie sich alsdann befinden, sich nebeneinander zu erblicken, nicht eine Sache, die uns auf den Gipfel des Entzückens führt? Und wenn sie über dieses Erstaunen hinaus, das Euch amüsiert, noch Schönheiten hervorbringen, wo Ihr Fehler zu finden vermeintet, werdet Ihr Euch nicht sonderbar überrascht finden? Und muß ein Vorurteil ...

Beim Großen Affen! rief Tanzai, Ihr überrascht mich wahrhaftig; ich wundere mich, daß es nur so kurzer Zeit bedurft hat, Euch mit diesem verderbten Geschmack anzustecken. Doch wir wollen darüber nicht weiter diskutieren. Die Zwickelbart ende, wenn möglich, ihre Geschichte, verlasse mir aber ihren Scholuchern nicht mehr, um unnützen Abschweifungen nachzueilen.

Nun so erzählt denn weiter, liebe Zwickelbart, sagte Neadarne zu ihr, und gebt mir vor allen Dingen genaue Rechenschaft, nicht nur von dem, was Ihr getan, von dem, was Ihr gedacht habt, sondern auch von dem, was Ihr hättet denken wollen. Mit einem Worte, vergesset nicht den kleinsten Umstand. Ihr erzählt so gut.

26. Kapitel: Den beiden vorigen in nichts nachgebend
Sechsundzwanzigstes Kapitel:
Den beiden vorigen in nichts nachgebend

Ich war bis zu dem Blick gekommen, nahm die Zwickelbart den Faden der Erzählung wieder auf, der dem Prinzen wieder Mut und Trost gab. Er war so verliebt, daß er sich [128] nicht mehr kannte. Was für Genugtuung hätte ich empfunden, wenn ich die Verwirrung seines Verstandes in ihrem ganzen Umfange hätte sehen können! Allein mir war es nicht anders ergangen, und die Liebe hinderte mich, dessen innezuwerden und mir den kühlen Kopf zurückzuwünschen. Der Prinz und ich waren übereingekommen, öffentlich – wie dies gewöhnlich zu geschehen pflegt – nur Freundschaft und Höflichkeit gegeneinander zu äußern, insgeheim aber uns für diesen grausamen Zwang schadlos zu halten, so wie dies noch immer zu geschehen pflegt. Unterhalb meiner Gemächer befand sich ein Garten, wohin sonst niemand kam als ich. Den Schlüssel dazu hatte ich dem Prinzen zugestellt. Sobald man sich zur Ruhe begeben hatte, suchte ich ihn daselbst auf. Da saßen wir denn in einem Myrtengebüsch und gaben uns die zärtlichsten Versicherungen unserer Liebe. Alle meine Nächte verstrichen auf eben diese Art; und ich würde das für niemanden getan haben, der mich weniger geliebt hätte als Scholuchern; allein ich wußte wohl, daß, wenn meine Wangen dadurch von ihrer frischen Farbe und meine Augen von ihrem Feuer verloren, er dies nicht wahrnehmen würde. Was man aber vielleicht in Betracht unserer Begierden und der bequemen Gelegenheit, sie zu befriedigen, nicht glauben wird; unsre wonniglichen Zusammenkünfte endigten stets so, daß der Prinz, so ungeheuerlich auch sein Ungestüm meiner Tugend zusetzte, er dennoch nie den Sieg davontrug. Bisweilen sprach er mit mir von seinen Martern, und wie schwer es ihm würde, sie zu ertragen; alsdann gewährte ich ihm irgendein kleines Zugeständnis, womit er sich in Erwartung eines Besseren begnügte. Oft brannte ich vor Verlangen, ihm mehr zuzugestehen, allein die Nacht verbarg meine Verwirrung, und seine ehrerbietige Zurückhaltung rettete meine Schwäche. In gewissen Augenblicken zürnte ich ihm deshalb, aber sagte ihm davon natürlich nichts.

[129] Öfters war er über meine an unserem Hofe so unbekannte Sittsamkeit erstaunt und machte mir darüber Vorwürfe. Die Nachgiebigkeit, die ich das erste Mal gegen ihn äußerte, hatte ihn keinen so langen Widerstand ahnen lassen; ich war selbst darüber erstaunt; allein ich wollte, daß er mich schätzen sollte, und die Eigenliebe triumphierte in mir über die Leidenschaft. Doch wenn ich mich daran erinnere, wie schmerzhaft sind nicht jene Augenblicke! Ein liebenswürdiger, geliebter Mann, der ebenso viele Begierden einflößt, als Ihr in ihm zu erwecken vermögt, ist des Nachts mit Euch allein, nimmt sich Freiheiten, die Ihr duldet, und Ihr widersteht! Nicht Tugend ist es, die in dergleichen gefährlichen Lagen ein Frauenzimmer rettet; sobald sie dergleichen heimsucht, hat sie keine mehr. In solchem Fall kann die Kokette allein sich gegen die feurigen Ausbrüche eines Liebhabers retten. Ich weiß, daß Koketterie minder verdienstlich ist als Tugend, aber sie ist auch nützlicher.

Scholuchern und ich liebten uns schon seit vierzehn Tagen; ungeachtet der außerordentlichen Vorsicht, die wir beachteten, war weiter niemand als der ganze Hof hinter unser Einverständnis gekommen. Inzwischen verhinderte die Ehrerbietung, die man gegen mich hegte, daß man nicht öffentlich darüber scherzte. Dem Genius allein, soviel ihm daran lag, mein Herz zu kennen, war sein Nebenbuhler verborgen geblieben. Daß er nicht geliebt wurde, wußte er, aber seien es nun Eigendünkel oder die Meinung, die er von meiner Gleichgültigkeit hegte, er glaubte nicht, daß ich für einen anderen Neigung haben könnte. Endlich aber, zu verliebt und zu eifersüchtig, um nicht hellsehend zu sein, fing er an auf den Argwohn zu geraten, daß eine geheime Leidenschaft mein Herz anfüllen müßte und daß die ihm den Zugang verschlösse.

Er warf seine Blicke auf die Höflinge, und mitten in dieser grausamen Untersuchung blieben sie auf Scholuchern haften. [130] Er hatte bei ihm eine Aufmerksamkeit gegen mich bemerkt, die ihm mehr aus Liebe als aus Ehrerbietung herzurühren schien. Er hatte jene Blicke zwischen uns entdeckt, worein die Liebe trotz des Zwanges, den man sich antat, zuviel Seele zu legen pflegte, als daß sie unbemerkt bleiben könnten. Die Aufmerksamkeit des Prinzen, wenn ich sprach, die schmeichelhafte Gefälligkeit, mit der ich ihn anhörte, die Lobsprüche, die ich seinem unbedeutendsten Reden erteilte, tausenderlei Dinge, wobei man nicht auf sich achthat und die, so geringfügig sie auch an und für sich sind, zusammengenommen von Gewicht werden, festigten seinen Verdacht und verwandelten ihn in Gewißheit.

So große Lust er auch hatte, davon mehr zu wissen, so zog er dennoch deshalb nicht die unermeßlichen Geheimnisse seiner Zauberkunst zu Rate. Er wußte, daß er sich ihrer umsonst bedienen würde, und daß die Liebe, die immer über dieselbe erhaben ist, es verschmähen würde, seine Neugier zu befriedigen. Entschlossen, sich hierüber Klarheit zu verschaffen, wollte er niemandem trauen als sich selbst; und da er annahm, daß die Nacht die Zeit sei, die ich wählte, Scholuchern ungehindert zu sprechen, so machte er sich unsichtbar und begab sich so in meinen Garten.

In eben dieser Nacht hatte ich beschlossen, mich dem Prinzen Scholuchern ohne Rückhalt zu überlassen und ihm ewige Treue zuzusagen. Wir waren bereits in dem Myrtengebüsch, als der Genius in dasselbe trat. Er harrte mit Ungeduld, daß ich mein Zimmer verlassen würde, als zu eindeutige Seufzer aus diesem Gebüsch tönten und ihn veranlaßten, seinen Weg dahin zu nehmen. Ach! wir waren es, denen sie entfuhren! Zufrieden mit meinem Geliebten, überzeugt von seiner Treue, bestürmt von seinen Begierden noch mehr als von den meinigen, war ich auf eine Rasenbank gesunken. Scholuchern, diesmal weniger zurückhaltend [131] als gewöhnlich, hatte mich auch weniger geschont. Endlich kamen wir aus der zärtlichsten Verirrung wieder zu uns und wollten gerade wieder in eine neue Verirrung sinken, als ein Feuerwirbel uns umgab, und, wie er sich teilte, den barbarischen Genius sehen ließ.

Sein Anblick ließ uns erstarren, denn wir hatten ihn nicht erwartet. Meine Kleider waren vom Prinzen gänzlich in Unordnung versetzt, zumal er gerade seine Anstrengungen zu verdoppeln trachtete und ich deshalb allen Anstand hatte fahren lassen. Er selbst, der noch mehr außer sich war wie ich, befand sich in einem Zustand, der die Eifersucht des Genius auf die marterndsten Vorstellungen führte. Mein Rock bedeckte Scholuchern fast ganz, und je aufmerksamer ihn der Genius betrachtete, ich weiß nicht, was für hübsche Kleinigkeiten zu bewundern waren, desto weniger hielt er sich für verbunden, ihm zu verzeihen. Grausame, willst du meine Liebe auf diese Art erwidern? rief er mit donnernder Stimme. Und du, Unglücklicher, wandte er sich an Scholuchern, hast du auch wohl bedacht, daß du mich beleidigst? Und glaubst du meiner Rache entrinnen zu können? Sie ist jetzt aufs höchste gestiegen; und da du nicht sterben kannst, so sollen alle Augenblicke deines Lebens durch meinen heftigsten Zorn gezeichnet werden. Man scharfe ihn fort, setzte er hinzu, und verwahre ihn, bis ich seine Strafe verkündet habe. Bei diesen Worten verschwand der Prinz, sehnsüchtig seine Arme gegen mich ausstreckend. Bestürzung und Schmerz hatten mich anfänglich erstarrt, aber mein Unglück gab mir meine Kräfte wieder. Barbar! schrie ich, worüber hast du dich zu beklagen? Und wer hat dir gesagt, daß du stets Gegenliebe finden würdest, wenn du liebtest? Was für Rechte hatte ich dir auf mein Herz gegeben? Scholuchern, ich leugne es nicht, hat mir gefallen, und deine leidige Gegenwart gibt mir noch lebhafter zu erkennen, wie sehr ich ihn anbete. Ich fürchte deine Rache nicht; selbst wenn [132] du mich verschontest, würde ich nicht die deinige werden. Stets mit den Leiden meines Geliebten beschäftigt, würde ich dich nie anders als den verhaßtesten meiner Feinde betrachten können. Bestrafe mich, wenn du willst; aber sei versichert, daß weder die Zeit noch das größte Unglück meine Liebe je zerstören werden, und daß sie solange als mein Abscheu gegen dich dauern wird.

Nun wohlan, Treulose, sagte der Genius, dein Begehren soll befriedigt werden. Schon nahte er sich, um mich fortzuführen, als Barbacela erschien und mich seiner Wut entzog. Ich durchschwebte lange mit ihr die Lüfte, endlich ließen wir uns auf jener Wiese nieder, wo Ihr, Prinz, mich fandet.

Unglückliche, sagte sie jetzt zu mir, in was für gräßliche Abgründe hat dich die Liebe gestürzt! Du verlierst den Gegenstand deiner feurigen Triebe auf immer, und würdest selbst verloren gewesen sein, wenn meine Macht dich nicht dem barbarischen Schonkilje entrissen hätte. Flieh, entzieh dich seinen Blicken, bis glücklichere Zeiten dir gestatten, das Licht des Tages wiederzusehen. Werde Maulwurf und hüte dich, diese Wiese zu verlassen. Ich erblicke im Dunkel der Zukunft ein günstigeres Schicksal für dich. Es wird ein Tag kommen, wo einer meiner Günstlinge deine Leiden enden und wo eine Prinzessin den zärtlichen Scholuchern erlösen wird. Sodann berührte sie mich mit ihrem Zauberstäbchen, und ich wurde ein Maulwurf, wie Ihr mich hier seht. Bevor sie mich verließ, fragte ich sie, was der Genius mit meinem Geliebten angefangen hätte. Er muß, sagte Barbacela, in den Gärten der Schonkiljen-Insel in einem fort das Rad schlagen und Purzelbäume machen.

Vermutlich, unterbrach sie Tanzai, hat der Genius ihn wegen seiner Tanzlust mit dieser Strafe beehrt. Übrigens bin ich überzeugt, daß die Fee unter dem Retter, dessen sie gegen Euch gedacht, mich gemeint hat, und wir wollen es schon so zu machen wissen, daß ...

[133] Doch trocknet Eure Tränen, sagte er zu Neadarne, die unmäßig weinte; Euer Mitleid geht zu weit. Die Dame hier ist Maulwurf, und das ist alles. Was Scholucherns Sprünge anlangt, so hat diese Vorstellung doch nichts Trauriges.

Ach! wie wenig mitfühlend Ihr seid, sagte Neadarne. Denkt doch an die Leiden zweier Liebenden, die man trennt! Und wenn der Genius sie nur bloß mit dieser Strafe belegt hätte, wäre das nicht hinlänglich, sie vor Kummer und Gram zu töten? Wer mich auf einen Tag, ja nur auf eine Stunde von dir trennen wollte, würde der nicht meinen Tod verursachen?

Aber, sagte sie zur Zwickelbart, wie lange ist es denn schon her, daß Ihr Scholuchern verloren habt? – Zehn Jahre sind seit jenem leidigen Abenteuer verflossen, antwortete die Fee. Barbacela hat mich inzwischen einige Male besucht, und von ihr habe ich erfahren, daß der gegen mich noch immer entrüstete Schonkilje, nachdem er meinen Maulwurfstand vernommen und meinen Aufenthalt nicht hat entdecken können, um mich vielleicht in seine Gewalt zu bekommen, befohlen hat, niemand solle vor ihm erscheinen, ohne ihm Maulwürfe mitzubringen. Auf die Art, hofft er, sollte ich endlich durch irgend jemanden gefangen werden. Ohne Euer großmütiges Mitleid, Prinz, würde es ihm nur zu gut gelungen sein. Ich werde nicht unterlassen, Euch dafür meine Erkenntlichkeit zu bezeigen. Zwar ist meine Macht derjenigen Schonkiljens untergeordnet, demungeachtet aber erstreckt sie sich noch immer weit. Wir nähern uns seinen Staaten, seid nur darauf bedacht, mich sorgfältig zu verbergen.

So glaubt Ihr denn, daß Ihr Scholuchern wiedersehen werdet? fragte die Prinzessin. Alles trägt dazu bei, mich das glauben zu machen, versetzte die Zwickelbart; Barbacelas Versprechungen, das Zusammentreffen mit Euch, das meinem Schicksale einen anderen Schwung zu geben beginnt; [134] mehr aber noch als alles: die Ruhe, deren mein Herz jetzt genießt.

Da Ihr den Genius so gut kennt, sagte Tanzai, so erzählt mir doch, glaubt Ihr, daß er mit Neadarne zum Alleräußersten schreiten wird? – Ohne mich, versetzte die Zwickelbart, läßt sich daran gar nicht zweifeln. Schonkilje ist leicht eingenommen, Neadarne ist schön, das Sonderbare ihres Abenteuers wird ihn gewiß ebenso reizen wie ihre Anmut. – Könnte ich aber Neadarnen nicht folgen? fragte der Prinz. – Und wovor wollt Ihr sie beschützen? entgegnete die Zwickelbart. Schonkilje liebt Musik, Ihr spielt vorzüglich die Leier, wie leicht könnte er Euch dazu verdammen, Scholuchern dreißig Jahre lang aufzuspielen. Laßt mich nur alles machen. Ich stehe Euch für einen Erfolg, der weit über alle Hoffnungen gehen soll.

Der Prinz, den das Bild, das er sich von Schonkilje gemacht, viel zu sehr beunruhigte, um durch die Versprechungen der Fee getröstet zu werden, seufzte und gab keine Antwort. Er war überzeugt, daß die Zwickelbart sowenig verhindern können würde, daß Neadarne Schonkilje in die Hände fiele, als sie es zu hindern vermocht hatte, Scholuchern vor dem Springen zu bewahren.

27. Kapitel: Wird mehr als einen Leser zum Gähnen bringen
Siebenundzwanzigstes Kapitel:
Wird mehr als einen Leser zum Gähnen bringen

Während der Erzählung der Zwickelbart, die, wie auch der Leser gemerkt haben wird, sehr lange dauerte, hatte man den Wald durchquert. Der Prinz entdeckte jetzt von fern eine große Stadt und frage nach ihrem Namen. Es ist die Stadt der Tremissen, antwortete ihm die Zwickelbart. Sie ist groß und volkreich. Ihr König ist dem Genius tributpflichtig [135] und sein Hauptagent in Liebesangelegenheiten. Dieser König hat die Laune, sich ein Verzeichnis von allen Schönen des Erdkreises zu halten, die sonderbare Abenteuer, zum Beispiel wie die Prinzessin, erlebt haben, und der Genius läßt sich diese aus der Kanzlei der Feen kommen, wo man ihm mit unendlicher Aufmerksamkeit begegnet. – Aber, sagte Tanzai, dieser Genius hat eine sonderbare Beschäftigung. Was für ein Vergnügen kann er daran finden, die Unglücksfälle eines Frauenzimmers auszunutzen? Das ist weder edel noch delikat gedacht!

Ihr habt recht, erwiderte die Fee; aber es ist gerade das, worum er sich überhaupt nicht kümmert. Er behauptet sogar, daß Delikatesse die Freuden stört, oder daß diese, wenn jene auch nicht mit im Spiel ist, nicht weniger wesentlich und lebhaft sind. Es fällt schwer, einen Menschen zu bessern, der sich ein System gemacht hat und der, um es zu behaupten, darauf beharrt, daß alle Frauenzimmer von Sentiment ihn immer hintergangen und ihm weniger Freuden verschafft als die, die sich ihm aus Not oder aus bloßer Sinnlichkeit hingegeben hätten; und daß es Torheit sei, um eines Gegenstandes willen sich aller derer zu berauben, die einem gefallen könnten.

Die schlechteste Denkart von der Welt! brach der Prinz los. Ich bin zufriedener, wenn ich Neadarne bloß betrachten kann, als wenn ich mich in den Armen der reizendsten Fee befände! – Vielleicht seid Ihr nicht immer so schwer zu befriedigen gewesen, versetzte die Zwickelbart; doch wenn auch dem nicht so wäre, über Wollust muß man nicht disputieren; sie entspringt einer Laune, und nur die allein hilft zu ihrem Gedeihen.

Ich jedoch glaube, unterbrach Neadarne, daß man zu dieser Wollust, der man so eifrig huldigt, den Beistand seines Herzens nötig hat, und daß der liebenswürdigste Mann von der Welt, wenn mein Herz ihn nicht gewählt hat, geringeren [136] Eindruck auf mich machen wird als ein Ungeheuer, von dem ich mir ein verführerisches Bild gemacht. – Viele Frauenzimmer, antwortete die Fee, die wie Ihr gedacht haben, sind durch die Erfahrung eines anderen belehrt worden. Man kann für den Augenblick nicht einstehen. Es gibt welche, wo bloß die Natur handelt und wo man sich gerade in dem Fall befindet wie bei einem Traum, der Euren Sinnen die Gegenstände darstellt, die er will, und nicht die, die Ihr wollt. Des Prinzen Traum ist ein Beweis hierfür. Er hätte sicher lieber von Euch geträumt als von der Fee Kukumer, aber ... – Zweifellos, unterbrach Tanzai die Zwickelbart, voll Unwillen über ihre Unbesonnenheit, dergleichen steht nicht in unserer Gewalt. Aber wir kommen der Stadt näher und müssen unseren Disput auf ein andermal verschieben. Die Schonkiljen-Insel ist also wohl nicht mehr weit von hier? – Nein, versetzte die Zwickelbart. Vier Meilen von jener Stadt liegt ein großer See und in demselben die Insel. Zierlich geschmückte Barken ohne Fährmann setzen die Schönen über, die bei dem Genius zu tun haben, und bringen sie so wieder zurück.

Unter diesen und dergleichen ebensowenig erheblichen Reden kamen sie in die Stadt. Alle Bewohner derselben waren vom schönsten Blau, das man sich nur vorstellen konnte. Obwohl der Prinz und Neadarne inkognito reisten, schlössen dennoch die Kornblauen aus ihrem majestätischen Ansehen, zahlreichem Gefolge und ihren prächtigen Equipagen, daß diese Fremden Personen vom höchsten Stande sein müßten.

Die Zwickelbart drang in den Prinzen, nach dem Logis zu eilen, das der Reisemarschall für sie bestellt hatte. – Weshalb treibt Ihr so? Weshalb seid Ihr so ängstlich? fragte Tanzai. – Nicht ohne Ursache, versetzte die Fee. Schonkilje ist hier in der Stadt, und mir ist bange, daß er mich erkennt. – Was macht er denn hier? sagte der Prinz. Die [137] Liebe und nichts anderes führt ihn stets hierher, entgegnete die Zwickelbart. Die Frauenzimmer dieser Stadt sind trotz ihrer Farbe außerordentlich schön, und wenn der Genius nichts zu tun hat, amüsiert er sich damit, sie mit seiner Zärtlichkeit zu beehren. Die Einwohner, die ihn fürchten, wagen es nicht, ihm das Geringste zu verweigern, und die Einwohnerinnen noch weniger.

Wahrlich, ein schrecklicher Genius! rief Tanzai aus. Ach! Neadarne, wie unglücklich wird deine Schönheit mich machen! Kann ich denn glauben, wenn ich dich betrachte, daß Schonkilje nicht so gut Augen haben wird wie ich? Was wird die Macht der Zwickelbart frommen? Sie verspricht sie mir vergebens. Je näher ich meinem Unglück komme, desto empfindlicher wird mir dessen Vorstellung. Ich kann sie nicht mehr ertragen. Ich merke schon, daß du mir nach deiner Rückkehr von der Schonkiljen-Insel unleidlich sein, daß du mir nicht mehr teuer sein wirst, wenn ich nicht mehr Achtung vor dir haben kann. Bleibe lieber wie du bist; denn gibt dir Schonkilje auch deine vorige Gestalt wieder, so ist dies doch für mich unnütz. Zufrieden mit dir, wollen wir gemeinschaftlich über die Strenge unseres Schicksals klagen. Ich verlange nur dein Herz; wenn der Besitz des meinigen in der Tat zu deinem Glück hinreichend ist, so wird das unsrige vollständig sein. Mit einem Wort, ich mag nicht, daß Ihr auf die Insel des Schonkilje geht, ich will vielmehr, daß wir morgen die Rückreise nach Scheschian antreten. – Wie glücklich macht Ihr mich, teuerster Prinz, rief die zärtliche Neadarne; doch bereitet Euch keine Qualen durch Eure Gefälligkeit gegen mich. Zufrieden, den Titel Eurer Gemahlin zu tragen, will ich es gern ertragen, wenn eine andere meine Obliegenheiten erfüllt. Sie wird mir durch die Freuden teuer sein, die sie Euch verschaffen wird. Eure Gesetze, jene strengen Gesetze, denen Ihr vergebens ausweichen wollt, werden nicht auf unserer Scheidung [138] bestehen. Wenn Eure Untertanen die kostbaren Früchte Eurer zweiten Vermählung sehen, werden sie die Unmenschlichkeit nicht so weit treiben, Eure Freundin zu verbannen. Wenn ich zu diesem gräßlichen Schicksal bestimmt bin und fern von Euch meine unglücklichen Tage zubringen muß, so werde ich, du mein einziges Gut, doch wenigstens, wenn ich unsere Scheidung überlebe, süße Zufriedenheit haben in dem Gedanken, daß ich zu deinen Freuden beigetragen habe. – Sie begann furchtbar zu weinen. Was sagt Ihr, anbetungswürdige Prinzessin? rief Tanzai. Ich dich verlassen, meine Neadarne? Eine andere als du sollte jemals meine Blicke auf sich ziehen? Ach! glaube das nicht! Eher soll das Reich untergehen, das ich dir nicht mehr anbieten kann. Eher soll die ganze Natur zusammenstürzen, als daß ich mich durch die höchst schändliche und schwärzeste aller Undankbarkeit brandmarke! Umsonst werden die Gesetze gegen dich sein, umsonst meine Untertanen sie gegen mich anführen. Ich widerrufe sie von jetzt an. Sie müssen vor meiner Macht schweigen. Wehe dem, der es wagt, sie aufzuwecken! Selbst gegen die Götter werde ich mich auflehnen. Nein, göttliche Neadarne, nein, deine Vertreibung soll nicht der Lohn deiner Liebe für mich und der Gesinnungen sein, die du gegen mich äußertest, als ich in dem Fall war, worin du jetzt bist. Nichts weiter mehr davon! Vielleicht wird das Schicksal müde, uns ferner zu verfolgen, und bereitet uns endlich die glücklichsten Tage oder ...

Das hofft nicht, unterbrach ihn die Zwickelbart. Das Schicksal widerruft seine Aussprüche nicht nach dem Belieben der Sterblichen. Einzig Schonkilje vermag etwas für Euch zu tun. Überdies, was wird aus mir werden, wenn die Prinzessin meinen Scholuchern nicht erlöst?

Ihr wünschtet wohl, versetzte Tanzai, daß meine Besorgnis nicht das Übergewicht über meine Interessen behalten [139] möchte. Aber mir schreibt das Schicksal nichts über diesen Artikel vor, und ich bilde mir nicht ein, daß Ihr der Prinzessin aus einer willkürlichen Handlung, die sie zu unterlassen freie Macht hat, ein Gesetz machen wollt? – Aber was befürchtet Ihr entgegnete die Zwickelbart, wenn ich Euch meines Schutzes versichere? – Aber, Ihr zittert doch für Euch selbst, antwortete Tanzai. – Das ist etwas anderes! entgegnete die Zwickelbart. Der Genius kann mir in meiner gegenwärtigen Lage furchtbar sein, ohne daß ich mich deshalb überall ohne Macht befinde. Wenn die Prinzessin auf der Insel ist, werd ich, eben bin ich auf den Einfall gekommen, um sie Schonkiljens feurigem Ungestüm zu entziehen, ihm ein Phantom unterschieben, das er für sie halten soll, so viele Ähnlichkeit werde ich ihm zu verschaffen wissen.

Ich will nicht einmal, daß er ein Konterfei von ihr genießt, rief der Prinz. Zurück nach Scheschian! Ich bedaure Euch. Aber wenn die Fee Barbacela Euch so sehr liebt, wird sie genug andere Mittel ausfindig machen, Euren Liebhaber und Eure Gestalt Euch wiederzuschaffen. – Mit diesen Worten befahl er in Gegenwart der Zwickelbart seine Abreise auf den folgenden Tag und ließ die Fee in einer Trostlosigkeit zurück, daß Neadarnens ganze Zärtlichkeit sie nicht stillen konnte.

28. Kapitel: Bosheit des Schonkilje
Achtundzwanzigstes Kapitel:
Bosheit des Schonkilje. Wie die Zwickelbart daraus Nutzen zu ziehen weiß

Die Zwickelbart, die nun ihre letzten Hoffnungen schwinden sah und wohl wußte, daß sie Tanzai nicht dahin bringen würde, Neadarnen nach der Insel des Schonkilje reisen zu lassen, beschloß, statt sich länger mit vergeblichen Bitten [140] aufzuhalten, alles aufzubieten, was in ihrer Macht stand, ihren Prinzen zu befreien. Ob Tanzai dabei verlor, war ihr gleichgültig. Die geringe Achtung, die er gegen sie hegte, die Widerreden, die sie von ihm ausgestanden hatte, und das dringende Bedürfnis für sie, daß Neadarne dem Genius in die Hände fiele, überwogen jede andere Rücksicht. Ohne hiervon das Geringste zu äußern, sann sie auf Mittel, sich aus ihrer Verlegenheit zu ziehen. Die Nacht brach an, und noch sann sie darüber nach.

Das junge Ehepaar hatte sich gleich nach dem Souper niedergelegt und Tanzai seine Absicht abzureisen noch einmal wiederholt. Die Fee ließ sie schlafen und suchte vergeblich nach einer List, die ihr zustatten käme, als sich plötzlich ein fürchterliches Geräusch in der Stadt erhob. Gütiger Affe! was hör ich? rief der Prinz, der voll Schreck aus dem Schlafe fuhr. – Ach! sagte die Zwickelbart, die mittels ihrer Kunst von dem Vorfall sofort unterrichtet war, dieser Schonkilje ist sehr schrecklich! – Was hat er denn getan? fragte Tanzai.

Ihr müßt wissen, nahm die Zwickelbart wieder das Wort, er war in eine der schönsten Frauen dieser Stadt verliebt. Entrüstet durch den Widerstand, den sie seinen Begierden entgegensetzte, hat er sie in ein Ungeheuer verwandelt. Mit dieser Strafe nicht zufrieden, hat er seine Rache über alle hübschen Frauenzimmer hier erstreckt und beschlossen, sie sollen so lange häßlich bleiben, bis sie eine Reise nach seiner Insel gemacht haben. Dies ist die Ursache von dem Lärm, den Ihr vernehmt. Die Tremissen möchten ihre Frauen nicht gern in ihrem gegenwärtigen Zustande sehen, allein die Bedingung, unter der ihnen der Genius ihre Schönheit wiedergeben will, dünkt ihnen noch unerträglicher als der beständige Anblick ihrer Häßlichkeit.

Die Stadt scheint mir sehr bevölkert, versetzte Tanzai, und der Genius wird nicht wenig zu tun haben, wieder gutzumachen, [141] was er verdorben hat. – Wie, Wollust meines Lebens! sagte Neadarne zu ihm, glaubt Ihr, daß es Frauen geben sollte, die ihre Tugend der Wiederherstellung ihrer Schönheit opfern könnten? – Verhüten die Götter, daß ich so schlecht dächte! erwiderte Tanzai; ich möchte aber nicht, wenn ich Frau wäre, daß man mich auf die Probe stellte. Wie dem auch sein mag, ich gehe eine Wette ein, daß, ehe noch zwei Tage vergangen sind, von Schonkiljens Rache keine Spur mehr zu sehen sein wird.

Ein gräßlicher Schrei, den Neadarne ausstieß, unterbrach hier das Gespräch. Was habt Ihr denn so zu schreien? rief Tanzai. Ach, antwortete die Prinzessin, ich müßte mich sehr irren, wenn meine Nase nicht wenigstens einen halben Fuß länger ist als sonst. Der Prinz, hierüber voll Verzweiflung, holte eines von den Lichtern, die im Zimmer brannten. Als er aber Neadarnens scheußliches Gesicht erblickte, ließ er es vor Schreck fallen. Das fehlte gerade noch! rief er. – Gebt mir einen Spiegel, sagte die Zwickelbart, und nehmt ein anderes Licht. Der Prinz brachte beides mit Zittern, und Neadarne fand sich so schrecklich häßlich, so alt, so bucklig, daß sie ihre Tränen nicht zurückhalten konnte.

Die Fee Kukumer hätte jetzt mit ihr einen Wettstreit beginnen können, was ihre gegenseitigen Reize betraf.

Warum seid Ihr so traurig? sagte der boshafte Maulwurf; ein Übel, wofür man ein zuverlässiges Hilfsmittel weiß, ist nicht so ernst zu nehmen. – Eben dies Mittel setzt mich in Verzweiflung, antwortete der Prinz; und wenn es mich auch nicht kränkte, glaubt Ihr, daß Neadarne es sich erlauben wird, davon Gebrauch zu machen? – Ach Prinz, sagte Neadarne, die durch so viele Unglücksfälle ganz niedergeschlagen war, ich will nichts tun, worein Ihr nicht willigt. Und Ihr, fuhr sie fort, wobei sie sich an die Zwickelbart wandte, Ihr, die Ihr mir Euren Schutz versprochen[142] habt, wann soll ich dessen teilhaft werden? In der jetzigen Lage bedarf ich seiner gerade am nötigsten. – Mich setzt hierbei nichts mehr in Erstaunen, antwortete der Prinz, als daß Neadarne die Rache des Genius mitbetrifft. Sie sollte doch nur auf die Einwohnerinnen dieser Stadt fallen, was haben Fremde mit alldem zu tun?

Die Zwickelbart hätte, wenn sie gewollt, besser als irgend jemand anderes Tanzai davon unterrichten können, weil sie allein Neadarnens Verwandlung bewirkt hatte. Vor Verzweiflung über die Hartnäckigkeit des Prinzen, Neadarne nicht zu Schonkiljen zu schicken, wodurch ihr Scholuchern nicht befreit werden konnte, hatte sie die Rache des Genius ausgenutzt, in der Hoffnung, daß Neadarnens ausnehmende Häßlichkeit Tanzai leichter bewegen würde, sie nach der Insel des Schonkilje gehen zu lassen.

Der Prinz verlor sich inzwischen in Wehklagen. Die Fee, um ihm wieder Mut zu geben, sagte, der Genius hätte sicher seine Rache nicht genug überlegt gehabt. Da so viele Frauen sich darin verwickelt fänden, würde er genötigt sein, dem größten Teile von ihnen ihre Schönheit wiederzugeben, ohne dafür ihre Unterwürfigkeit zu verlangen. Daß man diese Zeit nutzen und ihm die Prinzessin schicken müßte, weil sie dann besseren Kaufs davonkommen würde. – Ja freilich, versetzte Neadarne, schöner werde ich wieder zurückkommen. Wer wird mir aber das wiedergeben, was die Kukumer mir genommen hat? Wir haben diese Reise nur zur Herstellung von einem Übel unternommen, und ich habe jetzt deren zwei, wovon das eine beinahe ebenso gräßlich ist wie das andere. Obwohl das Mittel, das man mir vorschlägt, für beide unfehlbar ist, so kann ich mich dennoch keines von beiden bedienen. Genau überlegt, ist es für meinen Gemahl besser, wenn ich häßlich bleibe. Meine jetzige schreckliche Gestalt wird meine vorige bei ihm in Vergessenheit bringen; er wird mich nicht [143] mehr lieben; allein um mich seiner Zärtlichkeit würdig zu machen, muß ich seine Achtung verlieren.

Erbärmliche Logik! antwortete die Zwickelbart. Wo ist da eigentlich ein Verbrechen? Bloß die Einwilligung. Ihr wünscht nicht, in Schonkiljens Armen zu sein, folglich könnt Ihr auch nicht Verbrecherin sein. Euer einziger Wunsch ist bloß, Eure vorige Gestalt wieder zu erlangen. Nur Eures Gemahls wegen bedauert Ihr diesen Verlust; und wenn Ihr Euch dem unterwerft, was Euch davon befreien kann, so geschieht das nur seinetwegen; mithin kann er nicht an ders, als Euch um so höher schätzen, da Ihr ihm Eure Abneigung aufopfert. Ist dem nicht so, Prinz? – Ich weiß nicht, antwortete er, ob Eure Überlegung richtig ist; aber bei all den Unglücksfällen, die mich zu Boden drücken, scheint mir der Vorschlag der beste, der mich am ehesten davon befreit. – Wenn sie diese Unterredung auch fortgesetzt hätten, so ist doch der Erzähler zu verständig, um sie dem Leser völlig mitzuteilen.

Inzwischen nahm das Getöse in der Stadt so mächtig zu, daß Neadarne und die Zwickelbart den Prinzen baten, ein wenig auf den Straßen umherzugehen und Erkundigung einzuziehen, was vorginge. Bei seiner Zurückkunft meldete er ihnen, daß kaum die Rache des Genius ausgebrochen sei, als alle Frauen scharenweise nach der Insel des Schonkilje gereist wären. Die Königin selbst, die ihre Häßlichkeit nicht einen Augenblick länger ertragen konnte, hätte diesen Entschluß zuerst ergriffen. Allein bei ihrer Rückkehr habe sie der König erwürgt und es wären nur wenige Männer in der Stadt, die es mit ihren Weibern nicht ebenso gemacht hätten.

Dies hält die Hiergebliebenen nicht ab, setzte er hinzu, auch dahin reisen zu wollen, und ich bin fest versichert, daß, ehe der Tag zu Ende, keine Frau mehr hier zu finden ist, die noch Merkmale vom Zorn des Genius trägt. Das [144] wußte ich wohl, daß bei den Frauenzimmern die Eitelkeit, schön zu sein, die Zufriedenheit überwiegt, tugendhaft zu bleiben.

Die Schuld der Männer! entgegnete die Zwickelbart. Laßt sie der Tugend bei den Frauenzimmern so geflissentlich nachstreben wie der Schönheit, lasset jene ihnen von so vielem Nutzen sein wie diese, so werdet Ihr sehen, daß wir ebensogern tugendhaft als schön sein wollen. Doch davon nichts weiter! Wozu werdet Ihr Euch endlich entschließen, Prinz?

Neadarne reisen zu lassen, so bald die Morgenröte den Tag verkündet haben wird; morgen wird sie Schonkiljen sehen, und morgen werde ich vor Schmerz sterben. Einer der Unglücksfälle, die sie erduldet, ist wahrlich schon zuviel für sie, und ich würde mir am Ende den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie nur um meiner selbst willen geliebt zu haben.

Es liegt wenig daran, zu erfahren, wie der Rest dieses Tages verfloß. In beständig neuen Besorgnissen bei dem Prinzen, in wiederholten Versicherungen der Treue von Neadarne, in Versprechungen der Zwickelbart an den Prinzen, daß Neadarne so von der Insel zurückkommen würde, wie sie hingegangen sei, ihre Heilung ausgenommen, die durch Feenkünste bewirkt werden würde und die ihrer Tugend nichts kosten sollte, in festem Beharren des Prinzen bei seinem Unglauben, der, wie's schien, viel Behagen daran fand, den allerschlimmsten Fall anzunehmen. Über dem allen brach endlich die Nacht an. Tanzai, der am Tage wohl zwanzigmal seine Meinung geändert hatte, legte sich mit dem Entschluß nieder, die Prinzessin reisen zu lassen. Die Zwickelbart, die Neadarnen einige Sachen von Belang zu sagen hatte, brachte, als sie sah, daß der Prinz vor Gram nicht schlafen konnte, es durch Zauberei dahin; dann begann sie wie folgt:

29. Kapitel: Unterredung zwischen der Zwickelbart und der Prinzessin
[145] Neunundzwanzigstes Kapitel:
Interessante Unterredung zwischen der Zwickelbart und der Prinzessin

Ihr seid sehr betrübt über Eure Häßlichkeit, meine Liebe, noch trauriger als über das erste Eurer unglücklichen Abenteuer. Ihr fürchtet den Genius, inzwischen möchtet Ihr auch nicht gern bleiben, wie Ihr seid, das verursacht viel Getöse in Eurem Kopf. Gleichwohl muß dieser Aufruhr von Ideen auseinandergewirrt werden; man muß Euch aus demselben reißen, Eure Gedanken ins klare bringen, Licht in Eure Seele bringen, die für Euch in Dunkel verhüllt liegt; Ihr könnt jetzt nur schwer forttappen. Eure Gedanken wenden Euch den Rücken, sind gegen sich selbst voll übler Laune. Kein einziger unter ihnen, der nicht gegen den anderen aufgebracht wäre. Ihr leidet durch ihre Widersprüche. Ich will Euch mit Euch selbst aussöhnen. Jetzt setzt mein Verstand sich auf seinen Richtstuhl, um Eure Ideen vorzunehmen. Hört mich an.

Wenn ich versprach, Euch Schonkiljens Werben zu entziehen, so habe ich Euch hintergangen. Keine Macht kann in dieser Sache etwas gegen ihn ausrichten. Eure Tugend, so zeremoniös sie auch gegen den Anstand ist, wird davor zurückstehen müssen. Der Genius wird ihr ohne allen Zweifel den Fuß auf die Gurgel setzen; mit einem Worte, Ihr werdet sie nicht bis zu dem Euch vorgesteckten Ziele bringen können. Sie wird eines von beiden wählen müssen, entweder in Freuden zu ersticken oder eines gewaltsamen Todes zu sterben. Ihr seid zu schön, als daß man ihr nachgeben könnte; sie wird Euch sogar zu weiter nichts dienen, als Schonkiljens Flamme zu vermehren. Wenn der Sieg keine Mühe kostet, wenn die Eitelkeit einer Mannsperson daraus keinen Vorteil ziehen kann, wird er vernachlässigt.

Wir wollen zu einem anderen Punkt gehen. Was Eure Häßlichkeit [146] anlangt, so seid deshalb unbesorgt; sie ist mein Werk, und ich werde Euch davon befreien, ohne daß der Genius sich darein mischt. Dies ist nicht alles; jetzt kommt es auf das Wesentliche an. Der Prinz ist eifersüchtig; und wenn Ihr ihm sagen wolltet, Ihr hättet Euch dem Genius gezeigt, ohne daß es Euch etwas gekostet, so würden Merkmale, die nicht zweideutig sind, Euch leicht der Unwahrheit zeihen können. Ich habe ein vortreffliches Mittel, die Verletzungen wieder gutzumachen, die das Ungestüm der Männer uns zufügt.

Was meint Ihr damit? fragte Neadarne. – Wie, Ihr versteht mich nicht? sagte die Zwickelbart. Bevor Ihr den Prinzen kennenlerntet ... Doch es ist nicht möglich, daß Ihr nicht begreifen solltet, was ich Euch sagen will. Ihr werdet mir eingestehen, daß Ihr in den letzten zwei Unglücksnächten, wo Ihr beide nacheinander den Zorn der Kukumer erleiden mußtet, dem Tanzai das, was seine Zärtlichkeit von der Eurigen forderte, nicht zugestehen konntet, ohne daß Euch etwas Sonderbares begegnete, – Ich fange an, Euch zu ververstehen, erwiderte Neadarne. – Ihr seht wohl ein, fuhr die Fee fort, daß dies nicht geschehen konnte, ohne daß sich eine Veränderung an Euch zutrug. Schonkilje wird, um Euch zu heilen, das von Euch fordern, dessen der Prinz beraubt worden ist. Was durch den Prinzen geschehen wäre, wird nun durch Schonkiljen geschehen. Wenn es dem Laufe der Natur gemäß geht, wird Euer Gemahl unumgänglich wahrnehmen, was der Genius gemacht hat. – Ach! was liegt daran? entgegnete Neadarne. – Im wesentlichen wenig, versetzte die Zwickelbart; allein der Form nach macht es einen Unterschied. Mit einem Wort, das Vorurteil wird dadurch verletzt, und das muß man bei den Männern am allermeisten schonen. Ich muß Euch sonach in den Stand setzen, dem Prinzen zu beweisen, daß der Genius ehrerbietig mit Euch verfahren ist. Ohne das würdet Ihr seine Zärtlichkeit [147] verlieren; und so überzeugt er auch sein mag, daß Ihr es nur aus Gehorsam getan habt, würde er doch so ungerecht sein, Euch zu verachten, wenn Ihr nicht wieder so zu ihm zurückkämt, als er sich's wünscht. Das ist unser Unglück. Die Männer beschuldigen uns ohne Unterlaß, daß wir Kunstgriffe brauchen, und zwingen uns ohne Unterlaß, uns deren gegen sie zu bedienen. Sie sind insgesamt so ungerecht wie Tanzai, und verachten uns oft wegen Dingen, wozu sie selbst uns dringend nötigen. Es gibt tausend Fälle, wo Aufrichtigkeit, wegen ihrer albernen Eitelkeit, uns zur Schande gereichen würde, und wo Lüge nur, diese allgemeine Aushelferin, uns ihre Achtung sichert. So zum Beispiel ist der Fall beschaffen, worin Ihr Euch befindet. Wenn ich auch den Schaden nicht wieder gutmachen könnte, den der Genius Euch zufügen wird, so müßtet Ihr demungeachtet beständig gegen Euren Gemahl behaupten, Eure Tugend hätte in gar keiner Gefahr geschwebt, und eher alles auf die Rechnung der Natur setzen, als ihm ein Unglück eingestehen, das er Euch nie verzeihen würde. Denn der Gedanke, der Beste gewesen zu sein, schmeichelt den Männern. Und um Eure Worte glaubwürdig zu machen, will ich Euch einen unfehlbaren Zauber mitteilen. Er besteht nur in drei Worten; ich will sie Euch sogar aufschreiben, damit Ihr sie nicht etwa vergeßt. Zu einer anderen Zeit könntet Ihr ihn wohl ohne alle diese weisen Maßregeln betrügen, allein jetzt wird seine eifersüchtige Liebe ihm Adleraugen geben, und wir haben mehr denn einen Sinn zu überraschen. Der Zauber wird ihm allen Anlaß zum Argwohn nehmen; es sogar mehr tun als nötig wäre. Je mehr er sich darüber beklagen wird, desto zufriedener wird er damit sein. Übrigens habt Ihr keinen Grund, wegen des Kunstgriffes zu erröten, dessen Ihr Euch bedienen wollt. Wenn er von der Nacht, die er mit der Kukumer zugebracht hat, Merkmale behalten hätte, so würde er sich keine Skrupel gemacht [148] haben, Euch zu hintergehen. Er kam damit durch, daß er Euch sagte, ein Traum habe ihn hergestellt und Ihr könntet ...

Ich habe immer an der Wahrheit dieses Traumes gezweifelt, unterbrach sie Neadarne; wenn ich ihm aber auch sagen wollte, daß ein Traum mich wiederhergestellt hätte, so würde ihm sein Abenteuer meinen Reden wenig Glauben beimessen lassen. – Freilich, wenn Eure Erzählung nicht durch den bewußten Zauber unterstützt würde, antwortete die Zwickelbart. Wie soll er aber Zweifel in Euch setzen, wenn es ihm wenigstens ebenso sauer als dem Genius wird, sein Ziel bei Euch zu erreichen? – Aber, fragte Neadarne, wenn nun der Zauber fehlschlüge? Die Kukumer könnte mir wohl auch diesen Streich spielen. Ihr seht ein, daß er dem anderen völlig gleich kommt. Befürchtet nichts, antwortete die Zwickelbart, sie kennt diesen Zauber nicht. Wenn der Prinz ganz offenherzig mit Euch sprechen wollte, würde er Euch sagen, daß er nicht innegeworden sei, daß sie sich dessen gegen ihn bedient habe. Zu einem anderen Punkte! Ihr habt gegen Schonkilje einen Widerwillen gefaßt; er wird sich bei Eurer Begegnung mit ihm legen. Er ist liebenswürdig. In der Erzählung, die ich Euch von meinen Abenteuern gemacht, erschien er als mein Verfolger, und diese Vorstellung hat ihn Euch unstreitig verhaßt gemacht; aber ich sag es Euch noch einmal, es ist ein liebreizender Genius, der mit der ausgedehntesten Macht die angenehmsten Eigenschaften verbindet. Vielleicht werdet Ihr eine starke Leidenschaft für ihn fassen. – Glaubt das nicht, sagte Neadarne, mein Herz ist von so heftiger Zärtlichkeit für Tanzai angefüllt, daß ich allen Genien in der Welt Trotz biete. – Darin irrt Ihr Euch abermals, antwortete die Fee; der Genius wird Euch starken Proben aussetzen, und Tanzai, der Euer Herz unterstützen könnte, ist nicht zugegen. – Sein Bild wird für mich hinlänglich sein,[149] entgegnete Neadarne, und ich müßte mich äußerst schämen, wenn ich seiner Gegenwart bedürfte, um ihm nicht untreu zu werden.

Ungeachtet aller dieser schönen Gefühle wird es kommen, wie ich Euch zuvor gesagt habe. Ich kenne die weiblichen Herzen ein wenig. Nur dadurch bleibt ein Frauenzimmer ihrem Geliebten treu, daß sie der Gelegenheit ausweicht, ihm untreu zu werden. Gerät sie in eine kritische Situation, wird die Natur unfehlbar ihre Liebe auslöschen. Freilich staunt man sehr darüber, wenn es sich wieder entzündet; allein die Sache ist nichtsdestoweniger geschehen.

Das wird mir mit Schonkilje nicht begegnen, sagte Neadarne, wenn ich auch nicht von einer anderen Liebe so lebhaft eingenommen wäre, so würde ich ihn jedoch nicht wählen. Ich fühle, daß ich ihn hasse. – Ein neuer Irrtum, versetzte die Zwickelbart. Oft sind die Männer, wovon sich die Frauen anfangs einen höchst widrigen Begriff machen, gerade diejenigen, denen es am ehesten gelingt, ihnen zu gefallen. Anfänglich gehaßt werden, ist gemeinhin der Weg, der zur heftigsten Liebe führt. Oft handelt es sich hierbei weniger um eine Kaprice als um Eigenliebe. Man sieht einen Mann, der die Reize eines Frauenzimmers nur mit Gleichgültigkeit anzusehen scheint; keine Lobsprüche kommen über seine Lippen; seine Augen, voll von einer kränkenden Indolenz, strafen sein Stillschweigen nicht Lügen; er betrachtet sie, ohne bei dieser genauen Untersuchung Wohlgeschliffenheit gegen sie zu beweisen. Es ist beinahe so für sie, als wenn sie gar nicht zugegen wäre. Seine Seele scheint sie gar nicht innezuwerden, vielleicht scheint sie sich sogar an Aufmerksamkeit für ein anderes Frauenzimmer zu erschöpfen, das zugegen ist. Nun ist der Haß der Dame besiegelt, und wenn von ungefähr dieser so unaufmerksame Mensch vorzügliche Eigenschaften besitzt, so gereichen sie alle zu seinem Verderben; er wird dadurch nur noch unleidlicher. [150] Wäre er stupid, besäße er eins von jenen Herzen, woran alles abgleitet, so würde sein Beifall fast nichts sein, würde nur dadurch schmeichelhaft werden, weil man auf jedermann Eindruck machen muß. Aber wenn ein liebenswürdiger Mann nicht findet, daß Ihr es auch seid, oh! das ist nicht zu verzeihen! In diesem Augenblick sind alle seine Annehmlichkeiten Fehler. Spricht er gut, so scheint es Euch schlecht, weil Ihr nicht das in seinen Reden findet, was Ihr darin zu finden wünscht. Ist er ernsthaft, scheint er euch sehr mürrisch; ist er verständig, findet Ihr ihn schwerfällig; ist er scherzhaft, nehmt Ihr ihn für einen elenden Späßling. Eure Einbildungskraft ist nun einmal gereizt. Ihr empfindet einen Abscheu, der so heftig ist, daß Euch davon ganz übel wird. Laßt jetzt diesen verabscheuten Menschen aus seiner Lethargie erwachen und Euch Höflichkeiten erweisen, nur eine Art, wie sie in der Gesellschaft üblich sind und die weiter nichts auf sich haben, so hat er sich ganz verwandelt, ist er der vorige nicht mehr. Eure befriedigte Eitelkeit zerreißt die Binde, die Eure Augen deckte; die Aufmerksamkeit, die er gegen Eure Vorzüge hat, treibt nun auch die seinigen gleichsam hervor. Wenn er unter diesen Umständen sagt, er liebe Euch, so gibt – wenn kaum dies gefährliche Wort heraus ist – ein Blick von Euch seine Erklärung zurück, und zwar noch viel zärtlicher, als er sie Euch getan hat. Das Herz schweift von einem Extrem zum anderen. Man glaubte, nie Haß genug zu hegen, jetzt fürchtet man, nicht Zärtlichkeit genug zu haben. Das nennt man Überraschungen der Liebe.

Dies ist der Fall bei Schonkilje und Euch. Ihr glaubt ihn abscheulich, und er ist liebenswürdig. Er wird Euch solche Aufmerksamkeiten erweisen, daß Ihr sofort alle seine Vorzüge entdecken werdet; dann ist die Überraschung nicht weit. – Noch einmal, sagte Neadarne zu ihr, glaubt es nicht, ich liebe den Prinzen, und ich werde Schonkilje sicher mit [151] gleichgültigem Herzen ansehen. – Es sei darum, versetzte die Fee, ich glaube es Euch, um so mehr, da es für keinen von uns beiden notwendig ist, daß Ihr ihn liebt. Hier kommt es bloß darauf an, eine Nacht mit ihm zuzubringen. – Ah! Großer Affe, wie lang wird die sein! rief Neadarne. – Urteilt nachher darüber, antwortete der Maulwurf, ich bin sicher, Ihr werdet sie kurz finden. Jetzt laßt uns an den unglücklichen Scholuchern denken. Seit zehn Jahren haben unstreitig die Liebe und der Zorn des Genius viel von ihrer Heftigkeit verloren. Ich weiß sogar, daß er diesen unglücklichen Prinzen manchmal vor sich tanzen läßt und ihm Lieder zu machen befiehlt. Schonkilje wird Euch Feste geben. Bedient Euch dieser Gelegenheit, die Freiheit meines Geliebten zu begehren; gesteht, wenn möglich, seiner Liebe nichts zu, bevor er mir den Gegen stand der meinigen nicht zurückgegeben hat. Schlägt er es Euch ab, so nehmt diesen Pantoffel. – Bei diesen Worten gab die Zwickelbart ein Zeichen mit ihrer Pfote und ein Pantoffel und ein Zettel fielen auf das Bett.

Das ist der Zauber, fuhr sie fort, von dem ich Euch gesprochen habe und den man so oft brauchen kann, wie man will. Was den Pantoffel anlangt, so nehmt ihn zu Euch. Wenn Ihr den Genius eingeschlummert seht, so laßt ihn denselben küssen; er wird seinen Schlaf verdoppeln. – Wie, dieser Pantoffel wird ihm tiefen Schlaf bringen? rief Neadarne. Ach! welch ein Märchen! – Das sind Dinge, welche über die Vorstellungskraft der Menschen hinausgehen, antwortete die Fee, der Pantoffel wird ihm wirklich tiefen Schlaf verursachen. Wenn Ihr ihn in diesem Zustande seht, so geht in den Garten, sucht Scholuchern auf und zeigt ihm diesen Pantoffel. Es ist einer von denen, die ich an dem Tage trug, da wir getrennt wurden. Den anderen hat er in der Tasche. Er nahm ihn mir aus Schäkerei an dem Abende weg, da wir von dem Genius so unangenehm überrascht [152] wurden. Befehlt ihm, sie anzuziehen. Sie werden ihn unsichtbar machen. Ohne diese Vorsicht würde er die Insel nicht verlassen können. – Aber, unterbrach sie Neadarne, wenn der Genius vorzeitig unserer Flucht gewahr würde? – Seid unbesorgt, sagte die Zwickelbart, sein Zorn würde nur für Scholuchern furchtbar sein. Sobald die Nacht dem Tage Platz macht, wird er wider Euren Willen nichts gegen Euch vermögen. Verbergt aber Pantoffel und Papier aufs sorgfältigste. Mehr habe ich Euch nicht zu sagen. Die Morgenröte bricht an. – Hiermit weckte sie Tanzai auf. Unseliger Tag! rief er, wie sehr hast du mit deinem Anbruch geeilt! Nun, Teil meiner Seele, fuhr er fort, indem er sich gegen Neadarne wandte, bist du noch so häßlich? – Mich dünkt, es ist noch ärger als gestern, erwiderte die Prinzessin. – Eine abscheuliche Verwandlung! rief er. Wenn noch eine die andere aufgehoben hätte, so wäre doch Ursache, mich darüber zu trösten; wenigstens würde ich den Vortritt vor dem Genius gehabt haben. – Ach hört doch auf zu klagen, sagte die Zwickelbart; alles ist zur Abreise fertig; sie muß fort. – Bemüht Euch wenigstens, sagte der Prinz zu Neadarne mit einer Umarmung, die Liebkosungen des Genius zu vermeiden, oder wenigstens es so zu machen, daß es soviel wie nichts ist, wenn er Euch berührt. – Ihr überlegt's nicht recht, entgegnete die Zwickelbart; das kommt im Grunde auf eins heraus. – Freilich tut's das, versetzte der Prinz, einmal ist so arg als zehnmal; doch würden mich doch zehnmal mehr als einmal kränken. – Ihr habt ein sonderbares Zartgefühl, erwiderte die Fee, denkt aber an das alles nicht mehr, und legt Euch nieder. Ihr könnt mir etwas erzählen; Ihr habt einen wohlgearteten Geist. Ach, davon wird heute kein Fünkchen hervorleuchten, sagte er. Daß Ihr guten Muts seid, das glaube ich; Ihr werdet Euren Scholuchern wiedersehen. Er wird Euch, dank sei es dem Hügel, worin Ihr gelebt habt, so wiederfinden, wie er Euch verlassen [153] hat; aber Neadarne ... Hinweg mit dem Gedanken! Er tötet mich noch.

Während dieser Reden zögerte Neadarne noch zu reisen, und die Zwickelbart, die befürchtete, Tanzai möchte sie zurückhalten, versicherte dem Prinzen von neuem, daß Neadarne keine Gefahr drohe, nötigte sie, sich zu trennen, und sah endlich die Prinzessin nach der Insel des Schonkilje mit ebenso großer Freude abreisen, als der Prinz darüber Schmerz empfand. Aus den folgenden Kapiteln wird man sehen, ob Tanzai Unrecht hatte, sich so zu ängstigen.

30. Kapitel: Interessant, wenn es gut verfaßt worden ist
Dreißigstes Kapitel:
Interessant, wenn es gut verfaßt worden ist

Neadarne reiste, wie man sich leicht denken kann, nicht ohne Bekümmernis zum Genius. Man stellt wenigstens Betrachtungen an, und ihre Lage war von einer Art, bei der jedes delikat denkende Frauenzimmer immer in einiger Verlegenheit ist. Ihre Häßlichkeit beunruhigte sie nicht, aber was auf der Insel vorgehen sollte, verursachte bei ihr die unangenehmsten Vorstellungen von der Welt. Inzwischen kam sie dem Orte ihrer Bestimmung näher. Als sie nur noch hundert Schritte vom Ufer entfernt war, ließ sie alle ihre Wagen halten, mit dem Befehl, dort auf sie zu warten.

Kaum war sie von ihren Leuten weg, so zog sie ihren Spiegel heraus und fand mit einem geheimen Vergnügen, daß die Zwickelbart Wort gehalten hatte und daß alle ihre Reize nicht nur wieder da waren, sondern sich auch sogar vermehrt hatten. Obwohl sie den Genius nicht liebte, obwohl sie es für ein großes Unglück hielt, schön vor ihm zu erscheinen, würde es ihr gleichwohl sehr leid getan haben, sich in dem Zustande vor ihm sehen zu lassen, worin die [154] Arglist der Fee sie versetzt hatte. Jedes Frauenzimmer will gefallen, sogar, ohne Gebrauch von den Begierden machen zu wollen, die sie erregt. Von welcher Leidenschaft sie auch eingenommen sein mag, so zart sie auch darüber denkt, so hat sie doch ihre Eitelkeit zu befriedigen; und da diese das dringendste Bedürfnis ist, so muß die Liebe dabei verlieren. Die Prinzessin fand sonach eine Art von Vergnügen in dem Gedanken, daß Schonkilje von ihrer Schönheit verblendet werden würde, und betrachtete es als einen großen Triumph, diesen Genius, der gewohnt war, die vollkommensten Frauenzimmer zu besitzen, das Geständnis gegen sich ablegen zu hören, daß sie alle anderen überträfe. Noch war sie mit diesen Betrachtungen beschäftigt, als sie an den Ufern des Sees ankam, worin die Insel lag.

Man muß hier nicht anzumerken vergessen, daß sie mindestens dreißig Barken mit den Maulwürfen hatte anfüllen lassen, die sie aus Scheschian mitgebracht hatte und die durch Barbacelas wundertätige Fürsorge erhalten worden waren. Die Barke, die für Neadarne bestimmt war, war das anmutigste Ding, das man sich nur vorstellen konnte. Die gelbfarbenen und silberdurchwirkten Segel waren mit galanten Sprüchen verziert; das Seilwerk war von eben der Materie wie die Segel; und ein Liebesgott, der das Steuer hielt, schien durch seine zärtliche und lebhafte Stellung den Schönen, die nach dieser Insel fuhren, die Vergnügungen anzukündigen, die ihrer dort harrten.

Neadarne begab sich in dies Schiffchen, doch nicht ohne Ängstlichkeit. Sie fürchtete von Natur aus das Wasser, und das Konterfei jenes Liebesgottes, das zum Steuermann zu dienen schien, war nicht imstande, ihr Mut einzuflößen. Doch war ihre Reise glücklich. Die Barke, obwohl sie keinen Führer hatte, durchspaltete mit ausnehmender Schnelligkeit die Wellen und lief in einen stolzen Hafen ein, der dem Palaste des Genius gerade gegenüber erbaut war.

[155] Neadarne stieg mit hochklopfendem Herzen und schamroter Stirn ans Land. Ihre Verlegenheit verdoppelte sich beim Anblick der Menge Leute, die von allen Enden der Insel herzugelaufen waren, sie zu bewundern. Obwohl diese erste Wirkung ihrer Schönheit ihr nicht mißfiel, so brachte sie doch die hohnlächelnde Miene, womit die Insulaner sie betrachteten, auf den Gedanken, daß sie sich wegen des Besuches, den sie beim Genius machen wollte, keinen Staub in die Augen streuen lassen würden; und ihre Scham war sondersgleichen. Sie setzte ihren Weg fort, wiewohl sie von jenen Einwohnern umringt war, die ohne Mäßigung über das Glück ihres Beherrschers und über das Geschenk jubilierten, das sie ihnen mitbrachte. Neadarne, die ihrer Lobsprüche, ihrer Reden und ihrer Gelbsüchtigkeit überdrüssig war, langte endlich an den Pforten des Palastes an, fest überzeugt, daß, wenn der Genius ebensogelb als seine Untertanen wäre, er ihr nicht gefährlich sein würde.

Die Zeremonienmeister erwarteten sie. Diese Leute waren die Günstlinge des Genius und hatten auf ihrem Posten mehrere Dienstgeschäfte zu besorgen. Sie sagten zur Prinzessin, daß Schonkilje es nicht versäumt haben würde, ihr entgegenzukommen, wenn ihn nicht wichtige mit seiner Würde verbundene Pflichten daran verhindert hätten. In Erwartung seiner Ankunft führte man sie in ein prächtiges Zimmer, wo man ihr eine herrliche Erfrischung auftrug. Sie war noch damit beschäftigt, als eine liebliche Symphonie die Ankunft jenes fürchterlichen Schonkilje verkündete. Ein Schauer ergoß sich über das Herz der Prinzessin; Tanzais Bild, die Vorstellung von dem, was man von ihr fordern würde, setzten sie in Verwirrung, und sie brach in Tränen aus.

Sie hatte noch nicht ihre Fassung wiedergewonnen, als Schonkilje hereintrat. Der Glanz von Neadarnes Schönheit traf ihn dermaßen, daß er unwillkürlich stehenblieb. Neadarne [156] war aus Höflichkeit aufgestanden. In diesem ersten Augenblick sagten beide nicht das geringste; endlich erholte sich der Genius von seiner Verwirrung, bat die Prinzessin, sich wieder niederzulassen, und warf sich zu ihren Füßen. Noch hatte Neadarne es nicht gewagt, ihm ins Gesicht zu blicken. Da sie sich endlich genötigt sah, die Augen gegen ihn aufzuschlagen, geriet sie sowohl über die Majestät seiner Gestalt und Schönheit als auch darüber in außerordentliche Bestürzung, daß er nicht gelb war. Sie tat ihr Möglichstes, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Er wollte dies sowenig als ihr die eine Hand wiedergeben, die er ergriffen und worauf er bereits, um keine Zeit zu verlieren, verschiedene Küsse gedrückt hatte. Dies hieß etwas hitzig zu Werke gehen; allein er war so gutes Glück bei Frauen gewohnt, daß er immer den Anfang damit machte, die Ehrerbietung ein wenig zu vergessen. Es war nicht Brauch bei ihm, seine ersten Unternehmungen auf solche Kleinigkeiten einzuschränken, und Neadarnes Mund lieferte ihm einen trefflichen Entschuldigungsgrund für sein Ungestüm. Er wollte seine Lippen den ihrigen nähern, als Neadarne ihn mit Heftigkeit zurückstieß.

Noch ist es ein wenig zu früh, sagte sie, mich das Grauenvolle meiner Lage sehen zu lassen und ... – Ich weiß wohl, Madame, unterbrach sie Schonkilje, daß ich mich nicht gleich dessen bemächtigen sollte, was man von Euch selbst nur erst nach vierzehn Tagen der Beharrlichkeit zu erlangen imstande sein kann; allein das Schicksal gesteht mir nur einen Tag zu, und dadurch, daß ich mich nicht in Gefahr setzen will, ihn zu verlieren, beweise ich meines Erachtens Euch hinlänglich meine Gesinnungen. – Wie, gnädiger Herr, versetzte Neadarne, solltet Ihr so wenig Edelmut besitzen, den Zustand zu mißbrauchen, in dem ich mich befinde? – Nicht ich, Madame, entgegnete der Genius, habe diesen Schritt von Euch verlangt. Mein feuriges Ungestüm muß [157] Euch sagen, wie sehr ich Euch nützlich zu sein wünsche. Ihr empfindet Abneigung, und ich muß Euch wider Willen verpflichten. – Aber, erwiderte Neadarne, könntet Ihr wohl zufrieden sein, wenn Ihr nur dem Zwange ein Gut zu verdanken hättet, das mein Herz Euch immer versagen wird?

Ich weiß zwar, wie glücklich der Besitz Eures Herzens mich machen würde, versetzte Schonkilje, und ich würde alles in der Welt anwenden, ihn mir zu erringen, wenn ich glaubte, daß mir's gelänge. Wozu aber würde diese Rücksicht von meiner Seite dienen? Ihr würdet Euch dadurch nur in noch größeren Zwang gesetzt finden, und ich würde Euch deshalb nicht liebenswürdiger vorkommen. Indem mir das Schicksal die süßesten Freuden darbringt, verdammt es mich, dessen beraubt zu sein, was deren größten Reiz ausmacht. Ihr gebt Euch mir mit Widerwillen hin. In jenen Augenblicken, die Ihr so selig machen könntet, werdet Ihr ächzen und wimmern, Eure strenge Tugend wird sie zu Augenblicken des Schmerzes und der Betrübnis machen. Ich könnte Euch einen weit besseren Rat geben. Es liegt nur an Euch, die Notwendigkeit zum Vergnügen zu machen; sie würde Euch weniger hart vorkommen, und Ihr würdet deshalb nicht weniger tugendhaft sein. Die Pflicht ist uns nur darum lästig, weil sie kein Werk unserer Phantasie ist; der liebenswürdigste Gemahl mißfällt uns öfters nur deshalb, weil er berechtigt ist, das zu fordern, was man ihm mit Entzücken zugestehen würde, wenn er es nicht als Tribut betrachtete. Bei dem Mann ist es eine Schuld, die man ihm abtragen muß; bei dem Liebhaber ein Geschenk, das man ihm macht. Natürlich, daß man bei dem einen mehr Vergnügen empfindet als bei dem andern. So ist es mit uns der Fall. Ihr habt mich nicht gewählt, und nur deshalb haßt Ihr mich; demungeachtet aber seid Ihr verpflichtet, einige Gefälligkeiten für mich zu haben, und ich ersuche Euch nur Euretwegen, sie Euch sowenig beschwerlich als möglich zu denken.

[158] Ach! kann ich das? rief die Prinzessin. Kann ich wohl anders als Euch verabscheuen? – Mein Herz ... Madame, unterbrach sie der Genius, es tut mir leid, daß Ihr es mir nicht mehr geben könnt; aber, offenherzig zu sprechen! das Herz ist gar häufig nur eine Chimäre; es handelt öfters weit weniger als man denkt; ich bin hierin Philosoph geworden. So laßt uns denn sehen, worauf es ankommt, was für eine Veranlassung Euch herführt. – Wie, das wißt Ihr nicht? versetzte Neadarne. – Womit ich Euch hier die Zeit vertreiben soll, entgegnete Schonkilje, das weiß ich, weshalb Ihr aber Eure Zuflucht zu mir nehmt, ist mir unbekannt. Ich heile so Vielerlei, daß ich selbst nicht alle meine Eigenschaften weiß.

Habt Ihr nicht noch ein anderes Heilmittel? fragte Neadarne. – Nein, Madame, antwortete der Genius; und Ihr seid die einzige, die ich den Wunsch habe äußern hören, daß ich mich eines anderen bedienen möchte. So laßt uns denn endlich sehen, was Euch fehlt. – Ein Schaumlöffel ... – Wie, ein Schaumlöffel! unterbrach er. Diese Krankheit kommt mir gar seltsam vor. – Ach, erwiderte Neadarne, mein Abenteuer ist die erstaunlichste Geschichte der Welt; ich werde es aber nie über mein Herz bringen können, Euch davon zu unterrichten! – Tut nichts, sagte der Genius; vielleicht heile ich Euch ohne sie. Inzwischen würde es besser sein, wenn ich bestimmt wüßte, wogegen ich zu arbeiten habe.

So sollt Ihr denn wissen, fuhr die Prinzessin fort, daß vermöge des eben gedachten Schaumlöffels der Prinz, mein Gemahl, alles verlor und ihm nichts als dieses Instrument übrigblieb. Seitdem hat er wieder erlangt, was verschwunden war; allein mir meinerseits sind Zufälle begegnet ... Euch ist nicht unbekannt, daß der Ehestand gewisse Obliegenheiten, gewisse unumgängliche Erfordernisse hat ... – Ich möge Euch nie zu etwas nützlich sein, rief Schonkilje, [159] wenn ich im geringsten verstehe, was Ihr mir sagt! Was will der Schaumlöffel sagen, vermöge dessen man verliert, was man hat; und was hat der mit den Obliegenheiten, den unumgänglichen Erfordernissen des Ehestandes gemein? Sprecht deutlicher mit mir, ich beschwöre Euch. – Neadarne, die durch des Genius Bitten nunmehr schon dreister geworden war, entdeckte ihm Punkt für Punkt, nicht ohne Erröten, wovon die Rede war.

Euer Zustand ist unbehaglich, erwiderte Schonkilje lächelnd; allein es wird leicht sein, Euch da herauszuziehen; Eure Krankheit ist gleichwohl sonderbar; und seit ich Kenntnis von mir habe, ist mir nie eine solche Krankheit unter die Hände gekommen. Demungeachtet verzweifle ich nicht; allein, Madame, ich befürchte, daß Eure Unfolgsamkeit gegen mein Heilmittel dessen Wirkung fruchtlos macht. Könnt Ihr Euch nicht eine weniger gräßliche Idee davon machen? Ich tadle Eure Empfindsamkeit nicht, aber man muß auch ...

Nun wohl, gnädiger Herr, versetzte Neadarne, wenn Ihr mein Zartgefühl nicht verdammt, so fordert auch nicht das von mir, was mir so mißfällig ist. – Ich fordere nichts, Madame, erwiderte Schonkilje; es hängt von Euch ab, meine Dienstleistungen anzunehmen oder auszuschlagen. Von diesem Augenblick an steht es bei Euch, abzureisen. – Ich würde aber eine vergebliche Reise gemacht haben, sagte Neadarne. – Es liegt nur an Euch, daß sie es nicht ist, antwortete der Genius. – Grausamer! rief sie, und ihr Gesicht war in Tränen gebadet. – Himmlische Prinzessin, entgegnete er, indem er aufstand, werdet Ihr Euch denn nicht überwinden können, und werde ich denn immer in Euch dringen müssen, an Eurem Glück zu arbeiten? – Brechen wir das Gespräch ab, sagte die Prinzessin, es setzt mich in Verlegenheit. – Ich würde Euch in noch größere Verlegenheit setzen, erwiderte Schonkilje, wenn ich gar [160] nicht mehr mit Euch reden wollte, allein ich kenne meine Pflichten zu gut, um diese Unhöflichkeit zu begehen, und ich weiß, daß ich Euch immer das scheine entreißen zu müssen, was Eure Huld mir unstreitig gewähren wird. Bemüht Euch indes, mich nicht zu hassen, und verschönert jetzt durch Eure Gegenwart die Feste, die ich für Euch habe vorbereiten lassen.

Hierauf nahm der Genius die Hand der Prinzessin, nicht ohne sie stärker zu drücken, als sie's gewünscht hätte; sie errötete wegen der Freiheiten, die er sich nahm, ließ sich aber doch von ihm führen, in der Hoffnung, daß es dabei sein Bewenden haben würde.

31. Kapitel: Dient nur zur Ausdehnung des Werks
Einunddreißigstes Kapitel:
Dient nur zur Ausdehnung des Werks

Scharfsinnige Bemerkungen schätzt man in der Geschichte ebensosehr als nett erzählte Tatsachen. Man hat recht; verlängern sie gleich die Geschichte, so beweisen sie doch den Geist des Verfassers. Diesem Grundsatz zufolge kann man es für erlaubt halten, über Neadarnens Verfassung ein paar flüchtige Betrachtungen anzustellen.

Jedes Frauenzimmer, das behauptet, sie würde an ihrer Stelle keine Unruhe empfunden haben, ist entweder Heuchlerin oder eine von denen, für die es sich nicht ziemt, die Gefahren der Gelegenheit kennenzulernen, und die sich ihnen immer ohne Nachdenken überlassen haben. Der Gedanke ist vielleicht nicht ganz deutlich; dies ist aber für den Leser um so besser; er wird das Vergnügen haben, ihn nach seinem Gefallen zu erklären. Selten befindet sich eine Frau von Welt wider ihren Willen in einem für sie gefährlichen Fall; ihrer Tugend wird nie durch die Umstände[161] Gewalt angetan; und wiewohl man mehr denn eine hat sagen hören, daß sie ihrem Liebhaber das Stelldichein, bei dem ihre Tugend unterlag, nicht gegeben haben würde, wenn sie nicht geglaubt hätte, sich mit Ehren herauszuziehen, so kann man doch glauben, daß sie, was erfolgen würde, recht gut wußte. Hier ist der Beweis davon. Ein Mann, dem man eine jener unschuldigen Begegnungen bewilligt, darf davon keinen unziemlichen Gebrauch machen; er ist sonst fast unwiederbringlich mit der tugendhaften Schönen entzweit. Die Frauenzimmer haben der Rettungsquellen für ihre Tugend viel; die Gewohnheit, worin sie leben, ihre Regungen, zu bemänteln, und jenes Prinzip von Wohlanständigkeit und Stolz, das sie erstickt; unsere Blödigkeit und Ehrfurcht für sie und die Ungewißheit, worin wir uns fast immer befinden, zu wissen, wie sie über uns denken, schließlich die Furcht, ihnen zu mißfallen, machen gemeinhin die Waffen jener furchtbaren Tugend aus, die uns überwältigt. Überdenkt man die Freuden der Liebe etwas, so unterdrücken sie unfehlbar die Vorurteile im Herzen. Von selbst kann ein Frauenzimmer nicht bei Bildern verweilen, die ihre Schamhaftigkeit verletzen würden; aber ein Liebhaber darf sich zeigen und gefallen, was nützt also ihre Tugend? Kämpft sie noch, so geschieht es nicht, um sie zu retten, sie würde zuviel dabei verlieren. Allein man muß mit Ehren sich ergeben, seiner Schwäche einen Anstrich von Größe geben, man muß, mit einem Wort, auf anständige Art fallen und sich nachdenkend über seine Niederlage bei sich selbst zu entschuldigen wissen. Wenige Frauenzimmer gestehen diese Wahrheit ein, demungeachtet aber ist und bleibt sie ganz ausgemacht.

Neadarne hatte keine Zeit, ihre Tugend leuchten zu lassen, die die angegriffenen Damen gemeiniglich mehr oder weniger zu gebrauchen pflegen, je nachdem ihre Sprödigkeit, Würde und Vorstellung beschaffen ist. Man ließ ihr nur [162] einen Tag Zeit; zudem war sie noch nicht gewiß, ob ihr Widerstand bis zum Ende dieses Tages dauern würde. Der Genius war liebenswürdig, ungeduldig, gewohnt zu siegen; er kannte das weibliche Herz; wußte aus allem Nutzen zu ziehen, und dergleichen Art Leute sind außerordentlich gefährlich. Sie wissen den günstigen Augenblick herbeizuführen, und irren sich darin nie. Zwar wurde sie durch die Liebe verteidigt, die sie für Tanzai empfand; aber es war selbst höchst zuträglich für diese Leidenschaft, derselben entgegenzuhandeln; dies ließ sich noch um so mehr entschuldigen, da ihr Gemahl nie erfahren konnte, was auf der Insel vorgefallen war. Wieviel Gründe, sich zu ergeben! Endlich war nur ein einziger Grund da, und noch dazu nur ein scheinbarer. Wie viele von denen, welche die Prinzessin tadeln, würden lange nicht so viele Gründe anführen können!

Diesen Überlegungen zufolge, die zur Hälfte hätten kürzer sein können, war die Prinzessin während der Zeit, daß Schonkilje sie führte, in ihrem Innern nicht ohne Aufregung. Sie gingen durch eine unermeßliche Reihe von Zimmern, die noch mehr durch Geschmack als durch Pracht sich auszeichneten, wiewohl letztere ganz ausnehmend war. Aus dem Palast kam man in allerliebste Gärten. Alles was die Kunst nur Regelmäßiges und Schimmerndes ersinnen kann, vereinigte sich hier mit den einfachsten Schönheiten der Natur. Man erblickte auf der einen Seite wilde Grotten und Bäche, deren friedliches Gemurmel zur sanftesten Ruhe oder zu den zärtlichsten Freuden luden. Auf der anderen Seite waren zahllose Kaskaden, prächtige Lusthäuser, Bildsäulen von hohem Wert. Dort verirrte man sich auf den krummgewundenen, unebenen Gängen eines Gebüsches, das seine Unregelmäßigkeit nur noch anmutiger machte. Hier erblickte man Bogengänge und Hecken von erstaunlicher Höhe, sorgfältig unter Zirkel und Schere gehalten, die einen [163] bequemen, aber minder wollüstigen Spaziergang darboten. Blumenbeete entzückten durch die Mannigfaltigkeit und Schönheit der Blumen, womit sie geschmückt waren. Flora schien hier auf ewig ihren Sitz genommen zu haben, und Zephir fand sie hier so schön, daß es nach den Liebkosungen, die er ihr unablässig erwies, den Anschein gewann, als hätte er seiner Unbeständigkeit auf immer entsagt. Vögel von allen Arten belebten die Gärten. Die Turteltaube mischte ihre zärtlichen Laute unter die lebhaften und leichten Gesänge des Kanarienvogels und der Nachtigall. Reizende Nymphen schwebten in Tänzen. Schäfer sangen von einer Liebe, die, wiewohl immer glücklich, demungeachtet nicht minder treu war. Kurz, alles in diesen wonnevollen Gebüschen tönte von Liebe, stellte sie den Augen dar, alles flößte sie dem Herzen ein, und man schien sie gleichsam mit der Luft dieses Zauberaufenthalts in sich einzuatmen. Die Wollust, die mitten in diesem Garten thronte, ordnete selbst die Vergnügungen an und goß über sie jenen so schmeichlerischen Reiz aus, den sie ohne dieselbe nicht haben. Amoretten krönten die Göttin mit Blumen und trieben die mutwilligsten Spiele um sie her.

So vielen einladenden Gegenständen konnte Neadarne unmöglich widerstehen, und sie empfand, sosehr sich ihr Herz dagegen empörte, jene Regung der Zärtlichkeit, die die Sinne verwirrt und sie zu weit größerer Verwirrung vorbereitet, Schonkilje, der sogleich wahrnahm, was in ihrer Seele vorging, sah sie mit Augen an, worin sich seine Begierden so gut malten, daß die Prinzessin, die ihren Glanz nicht ertragen konnte, so verwirrt und fassungslos ward und so sanft seufzte, daß Schonkilje ihr in dem Augenblick ein Boskett zeigen wollte, das auf ihrem Wege lag. In Gedanken vertieft, wie sie war, ließ sich Neadarne dahin führen. Wie sie sich aber dem Boskett nahte, fand sie es so düster, und nun, ihre Augen auf den Genius wendend, [164] erkennend, daß er liebeglühend war, kam sie wieder zu sich und weigerte sich mit kurzen Worten, in das Gebüsch zu treten. Schonkilje, der wohl wußte, daß es an einem Tage mehr dergleichen Augenblicke gibt, und einsah, daß dieser für ihn vorüber war, drang nicht weiter in sie, sondern führte sie dahin, wo die Nymphen und Schäfer die anmutigsten Tänze vollführten. Neadarne sah ihnen eifrig zu, als ein Mensch mit unglaublicher Geschwindigkeit vom äußersten Ende des Gartens mit Radschlägen und Purzelbaumschießen angelaufen kam, sich in den Tanz warf und ihn in Unordnung brachte. An diesem Auftreten erkannte die Prinzessin sofort Scholuchern, da sie aber dem Genius das Interesse verbergen wollte, das sie an ihm nahm, sagte sie: Dieser Mensch hat sich eine sonderbare Art von Tanz gemacht. – Er tanzt nicht so zu seinem Vergnügen, antwortete Schonkilje. – Ich glaube schwerlich, daß es zu dem Eurigen geschieht, versetzte Neadarne. – Ihr kennt diesen Springer nicht, antwortete Schonkilje, es ist der talentvollste Mensch von der Welt, und er könnte zugleich der glücklichste sein, wenn er sich nicht dadurch meinen Zorn zugezogen hätte, daß er mir das Herz einer Fee entriß, die ich anbetete. Zu menschlich, ihn zu grausamen Strafen zu verdammen, habe ich mich damit begnügt, ihn stets in meinem Garten zu behalten, wo seine Beschäftigung in Erfüllung der Pönitenz besteht, die Ihr ihn machen seht. – Ach! gnädiger Herr, rief Neadarne, geruht, seine Strafe auf eine Zeitlang aufzuheben. – Nähere dich, Unglücklicher, sagte der Genius zu Scholuchern, wage es, die Augen jetzt gegen deinen Herrn aufzuheben. Geh in den Palast und tu dein Äußerstes, dem himmlischen Wesen, das es sich gefallen lassen will, an diesen Orten Befehle zu erteilen, die Zeit zu vertreiben. – Scholuchern antwortete nur durch eine tiefe Verbeugung und ging nach dem Palast. Beim Weggehen machte er noch einige Purzelbäume, so groß ist die Macht [165] der Gewohnheit! Neadarne konnte, indem sie dem Genius dankte, nicht umhin, ihn anzusehen, und fand ihn so weit dem Scholuchern überlegen, wiewohl der letztere liebenswürdig war, daß sie die Zwickelbart des Eigensinns beschuldigte, Schonkiljens Zärtlichkeit nicht erwidert zu haben. Sie war sogar auf dem Punkte, den letztern ebensoschön zu finden wie Tanzai, ohne daß diese Vergleichung von Folgen für sie gewesen wäre; sie konnte sogar nicht ohne Seufzen an ihren Gemahl denken und befestigte sich mehr denn je in dem Entschluß, ihm treu zu sein, als man meldete, daß die Tafel gedeckt sei. Der Leser wird wohl die Güte haben, sowohl zu seiner als auch zu des Autors Gemächlichkeit, sich aus dem Garten in den Eßsaal zu versetzen, um so mehr, da er dabei nichts verlieren kann.

4. Teil
32. Kapitel: Worin man unter anderem sehen wird
Zweiunddreißigstes Kapitel:
Worin man unter anderem sehen wird, wie sehr die Musik ausgeartet ist

Der Eßsaal, wohin der Leser sich mit mir am Schlüsse des vorigen Buchs verfügte, war, wie man mir versichert hat, außerordentlich schön und das Bankett derer würdig, für die es zubereitet worden war. Neadarne befand sich dem Genius gerade gegenüber; dieser Sitz mißhagte ihr sehr, denn man pflegt doch gemeiniglich gerade vor sich hin zu sehen. Sie fand sich jetzt dazu verdammt, entweder die Augen nicht aufzuheben oder Schonkilje anzusehen, der seinerseits sehr zärtlich zu werden anfing und auf die lästigste Art der Welt mit ihr liebäugelte.

Neadarne erstaunte unter anderem, daß keine Maulwürfe aufgetragen wurden. Gnädiger Herr, sagte sie zum Genius, [166] tut Ihr Euch etwa meinetwegen Zwang an? Ich erblicke Euer Lieblingsgericht nicht. Gleichwohl habe ich eine ganz artige Portion Maulwürfe mitgebracht, daß man Euch welche zurichten könne. – Wem? Mir, Madame? sagte Schonkilje. Ich esse keine Maulwürfe; mache mir aus keinem Wildbret in der Welt weniger als aus diesem. Wer hat Euch das Märchen aufgebunden? – Man hat mir versichert, entgegnete sie, daß sie Euch das liebste Gericht wären. Wenn dem nicht so ist, wozu entledigt Ihr so die Erde von dieser Rasse?

Ich hatte dazu wesentliche Ursache, Prinzessin, antwortete der Genius; diese ist aber nicht mehr vorhanden, ich verfolge die Undankbare nicht mehr, die mich bitter beleidigt hat. Die Strafe ihres Buhlen und der Zustand, worin sie zu leben genötigt ist, rächen mich sattsam an ihr. Mein Zorn ist erloschen, seit meine Liebe verraucht ist. – Das ist für mich ein Rätsel, erwiderte Neadarne. – Welches man Euch leicht lösen kann, versetzte Schonkilje. Jener Unglückliche, den Ihr dort unten mit dem Cymbal erblickt und der Euch den glücklichen Tag zu verdanken hat, den er heute genießt, ist der unwürdige Gegenstand, den man mir vorgezogen. – Da aber Eure Liebe aufgehört hat, gnädiger Herr, sagte Neadarne, weshalb setzt Ihr Eure Rache fort?

Um mir zu verzeihen, daß ich so grausam bin, erwiderte Schonkilje, müßtet Ihr wissen, auf was für eine unwürdige Art man mir mitgespielt und was für gräßlichen Qualen mein Herz zum Raube gedient hat. Ich bitte, laßt uns davon abbrechen und vergiftet nicht durch Erinnerungen an so verdrießliche Vorfälle mir das Vergnügen, das Euer Anblick mir schenkt. – Wäre dies Vergnügen so lebhaft, zu dem Ihr mich bereden wollt, versetzte die Prinzessin, so würdet Ihr von Eurer vorigen Liebe wie von einem Traum sprechen, dessen Ihr Euch kaum erinnern könnt. Euer Nebenbuhler würde nicht mehr Euer Feind sein, und Ihr[167] würdet bei meinem Anblick vergessen, daß eine andere imstande gewesen ist, Euch Liebe einzuflößen.

Unstreitig schließt irgend jemand aus dieser Rede, daß Neadarne dem Genius diesen Vorwurf nicht gemacht habe, ohne daß sich ein wenig Leidenschaft eingemischt hätte. Kiloho-ee selbst ist im Begriff gewesen, dies zu glauben. Inzwischen, da man sich sehr hüten muß, Handlungen, die unschuldig sein können, zu rasch übel auszulegen, da man überdies nie einen Ausspruch über eine schwierige Materie tun muß, ohne dieselbe von allen Seiten betrachtet zu haben, so glaubte jener Schriftsteller nach tiefem Nachdenken, daß Neadarne nur etwas die Eifersüchtige gespielt habe, um den Scholuchern desto leichter von Schonkilje freizubekommen.

Diese Auslegung hat Wahrscheinlichkeit für sich. Neadarne liebte Schonkilje nicht genug, um wegen einer vergangenen Liebe auf ihn eifersüchtig zu sein, und die Zärtlichkeit, die sie noch immer für Tanzai hegte, müßte sie hierüber so kalt lassen, wie man gegen gleichgültige Dinge zu sein pflegt. Schonkilje, der zwar sehr liebenswürdig, aber auch so eitel war, dachte an alles das nicht und dankte der Prinzessin so sehr, als er sich wegen der guten Meinung, die er von sich hatte, dazu verbunden hielt.

Ah, schöne Prinzessin, sagte er mit Feuer zu ihr, wenn es schien, als hätte ich bei Euch die Liebe noch nicht ganz vergessen, die ich ehedem für eine andere gehegt, so wird wenigstens niemand imstande sein, die Leidenschaft zu schwächen, die ich jetzt für Euch empfinde. – Er sagte ihr noch mehrere und lauter affektvolle Sachen, die aber gleichwohl der Verfasser nicht aufbewahrt hat, entweder weil er sie wiederzuerzählen zu schwer fand, oder weil er es nicht der Mühe wert hielt; bestimmt weiß man hierüber nichts.

Schonkilje würde unstreitig Neadarne noch ferner Langeweile gemacht haben, wenn nicht diese, um ihn daran zu [168] verhindern, ein Verlangen bezeigt hätte, Scholuchern singen zu hören. Dieser unglückliche Prinz näherte sich. Er sang aufs rührendste das Übermaß seiner Liebe und seiner Leiden (nach was für einer Melodie, ist nicht von Belang) und begleitete seinen Gesang auf seinem Cymbal mit unendlicher Feinheit. Die im Saale waren, wurden dadurch so gerührt, daß man überall schluchzen hörte. Neadarne, die ein sehr mitleidiges Herz besaß, zerfloß in Tränen und ward so beklommen, daß man ihr die Schnürbänder aufschneiden mußte.

Als Schonkilje, dem selbst die Tränen in den Augen standen, sah, daß die allgemeine Traurigkeit kein Ende nehmen wollte, sagte er zu Scholuchern: Bösewicht, habe ich dir befohlen, meine Prinzessin und meine ganze Insel zu Tränen zu bewegen? Laß diese Traurigkeiten und besinge meine Freuden oder fürchte, daß ich dir neue Widerwärtigkeiten in Musik zu setzen gebe. – Ach! schmäht nicht, sagte Neadarne. Ich gestehe, er hat mein Herz sehr durch wehmütige Gefühle zusammengepreßt, aber ich finde unaussprechliche Wonne darin, Tränen zu vergießen.

Kaum hatte sie ausgeredet, als Scholuchern, der sich vor dem Zorn des Genius fürchtete, eine so lustige Arie sang und zugleich so lebhaft dazu spielte, daß die Betrübnis sogleich abnahm; und da die Arie des Scholuchern immer lustiger und lustiger ward, fiel es den Höflingen des Genius immer schwerer, sich länger in Schranken zu halten. Die ihm schuldige Ehrerbietung konnte sie nicht abhalten, auf der Stelle einen Kontretanz zu machen. Schonkilje wäre gern darüber böse geworden, allein die Kraft der Musik riß auch ihn dahin, und er war im Begriff, sich unter die Tanzenden zu mischen.

Neadarne freute sich ungemein, daß sie den Genius an Scholucherns Talenten soviel Behagen finden sah, und sie sprach nochmals mit ihm davon, den Prinzen in Freiheit [169] zu setzen. Allein er nahm diesen Vorschlag so übel auf und schien stark darüber beleidigt zu sein, daß sie an den Prinzen zu einer Zeit dachte, da sie seiner Meinung nach lediglich an ihn hätte denken sollen, daß sie beschloß, sich des Pantoffels zu bedienen, weil auf andere Art nichts von ihm zu erhalten war. Die Tafel wurde aufgehoben, und da Neadarne nach dem Kaffee Schonkilje beschäftigen wollte, schlug sie ihm eine Partie Quinze vor. Ich bin's zufrieden, sagte Schonkilje; wir wollen spielen, bis die Oper angeht. Höre du, Scholuchern, setzte er hinzu, besorge alles und denke darauf, deine Rolle besser zu wissen als neulich. – Er ist also gut zur Oper? fragte Neadarne. Ja, sagte der Genius, wenn er nicht falsch sänge, wenn seine Töne nicht kreischend wären, wenn er sich weniger geckenhaft betrüge und weniger liebäugelte, würde er ein recht guter Schauspieler sein. Mit diesen Worten setzte man sich zum Spieltisch. Neadarne, die immer mithielt, stets eine Cinq bekam, beständig den höchsten Point aussetzte, auch jeden Rest in der Hinterhand hielt, spielte mit unendlichem Wohlbehagen. Während des Spiels hatte Schonkilje seine Beine unter dem Tisch ausgestreckt; Neadarne, die nicht wußte, wem sie zugehörten, und zerstreut war wie eine Prinzessin, bediente sich ihrer statt eines Kissens. Viele Leute haben dies Neadarne verdacht, zumal in dem Verhältnisse, worin sie sich mit Schonkilje befand. Wer weiß aber nicht, daß, was bei Privatpersonen Folgen hat, bei Personen von hohem Range von ganz und gar keinen ist? Tut nicht eine Frau von Stande den ganzen Tag über Dinge, die eine andere nicht einmal zu denken wagen würde? Zeichnet nicht sogar diese edle Verachtung der Gewohnheiten und Gebräuche am meisten ihren Rang aus? Überdies, ist es nicht ein deutlicher Beweis, daß Neadarne nicht wahrnahm, daß sie ihre Beine auf die des Genius gesetzt hatte, da sie ihn nicht nötigte, seine Beine schicklicher zu stellen und keine anderen [170] Zerstreuungen hatte? Schonkilje freilich schöpfte hieraus große Hoffnungen; aber was tut das! Neadarne konnte deshalb um nichts strafbarer sein. Was würde daraus werden, wenn die Frauenzimmer für alles haften sollten, was die Keckheit der Männer sich für falsche Einbildungen in den Kopf setzt? Legen sie nicht sowohl die unschuldigen Achtsamkeiten, die man ihnen erweist, als auch die Geringschätzung, die man gegen sie äußert, zu ihrem Vorteil aus? Sieht man sie an, so ist es Begierde; sieht man sie nicht an, so ist es Verstellung. Die Frauen würden sehr unglücklich sein, wenn sie nur den vierten Teil der Ungereimtheiten dächten oder empfänden, die die Männer ihnen schuld geben. Gemeinhin glauben diese jene nur dann lächerlich, wenn sie selbst es sind.

Schonkilje war, wie man bereits hat bemerken müssen, sehr von sich eingenommen und voller Zuversicht. Er stand schon im Begriff, die Prinzessin wegen der ihm erwiesenen Gunstbezeigung zur Rede zu stellen, als das Spiel zu Ende war und man ihnen meldete, daß man sie erwarte, um die Oper anzufangen. Schonkilje führte die Prinzessin in dies Schauspiel, wobei er immer von seiner brennenden Liebe zu ihr sprach; und sie ließ ihn reden, weil vom Schicksal geschrieben war, daß sie ihm weder Stillschweigen auferlegen durfte noch konnte.

33. Kapitel: Die Oper
Dreiunddreißigstes Kapitel:
Die Oper

Es wird schwer sein, von der Oper auf der Insel des Schonkilje eine gute Beschreibung zu liefern. Kiloho-ee beschwert sich an einigen Orten über die Trockenheit des japanischen Verfassers, der seinerseits über den scheschianischen Klage [171] führt. Dies setzt voraus, daß, ohne von den anderen Übersetzern zu reden, der französische über alle drei Beschwerden vorbringt und daß das Publikum sich über den letzten beschweren und ihm schuld geben wird, daß er entweder über trockene Materien sich zu sehr ausgebreitet habe, oder über interessante zu flüchtig weggegangen sei. Kann aber wohl ein Übersetzer, ohne pflichtbrüchig zu werden, Erzählungen mitteilen, die er nicht gefunden hat? Und wenn er sie unter Umständen, wo sie erforderlich sein könnten, erfände, würden sie nicht nach dem Jahrhundert schmecken, worin er lebte, und könnte er, wenn er sich auch völlig in so entfernte Zeiten versetzte, als diejenigen sind, worin seine Helden gelebt haben, Gebräuche vollkommen darstellen, von denen man gar keine Kenntnisse mehr hat? Ist es nicht schicklicher, den Lesern diese Sachen zu entziehen, als ihnen Fabeln vorzulegen, deren Ungereimtheit sie bald wahrnehmen würden?

Die Pflicht eines treuen Übersetzers besteht bloß darin, seinem Autor buchstäblich zu folgen, es sei denn, daß er ihn nicht versteht, alsdann kann er ihn paraphrasieren, kommentieren, umarbeiten. Der Übersetzer dieses Buches bekennt ganz freimütig, daß er seinen Autor nicht verstanden, wenigstens ihm ebenso viele Albernheiten gegeben hat, als er ihm wird genommen haben; daß er weitschweifig geworden ist, wo der Chinese kurz war; präzis, wo jener es nicht war; dunkel, wo jener deutlich war; satirisch, wo jener den Moralisten machte; galant, wo jener sich als Philosoph zeigte; und wegen all dieser Fehler entschuldigt er sich beim Leser nicht, noch bittet er ihn deshalb auf irgendeine Art um Verzeihung; weil dies Buch dadurch nicht besser würde und weil es durch diese Abirrungen im anderen Sinne schätzbar geworden ist.

Alle diese teils guten, teils schlechten Gründe sind nun Ursache, daß man nie genau erfahren wird, wie die Oper beschaffen [172] war, von der hier die Rede ist. Wem soll man die Schuld geben? Ein Geschichtsschreiber bildet sich, wenn er schreibt, ein, die Nachkommenschaft werde der Gebräuche völlig kundig sein, die zu seiner Zeit herrschten, und das ist Ursache, daß man heutigen Tages nur durch Mutmaßungen, und noch dazu durch sehr gewagte, weiß, wie etwa das Privatleben der Römer beschaffen gewesen ist, und daß eine Sache von ähnlichem Belang tausend Gelehrte beschäftigt, die darüber ihren kostbaren Nachtschlaf fruchtlos aufopfern. Nach einem Beispiel wie diesem muß der Übersetzer Entschuldigung finden, und findet er sie nicht, sich nicht weiter darum kümmern. Wenn er von all den Ungereimtheiten, die in diesem Buche sind, Rede und Antwort geben sollte, würde er damit nie fertig werden.

Um nun diese langen Betrachtungen zu schließen, deren jedermann überdrüssig ist, findet er's für dienlich zu sagen, daß gemeiniglich auf der Insel des Schonkilje die Opern lächerliche Gedichte waren, die aus alten, süßlich auf gestutzten Fabeln bestanden; daß der Stil darin notwendigerweise schal und die Poesie marklos war; daß es weder auf Behandlung noch auf Interesse ankam; daß man darin bei jeder Gelegenheit Leute tanzen ließ, die am wenigsten Ursache dazu hatten, daß der Allertraurigste herbeikam, seine Leiden abzusingen, und daß mehr als ein tödlich verwundeter Held auf die Bühne rutschte, um daselbst unter einer Flötenbegleitung sein Testament zu verfertigen; daß Flüsse ihren Auftritt darin machten, und daß öfters der größte Gott vom Himmel herabstieg, um eine Sottise zu sagen oder zu tun. Übrigens war dies Schauspiel prächtig und gefiel zumal durch die Wohlanständigkeit, die darin herrschte.

Alle Schauspielerinnen aus demselben waren Nymphen, und man fand deren sowohl in Chören als in Hauptrollen, die geschickt waren, alle Arten von Personen zu spielen; [173] bald Vestalinnen, bald Priesterinnen der Venus, die von der Hut des heiligen Feuers zu den süßen Mysterien von Amathus übergingen; die beide Rollen öffentlich gleich gut spielten und von welchen man nie anders als insgeheim erfuhr, welche von beiden ihnen am sauersten ankam. Gegen jedermann entdeckten sie freilich die Geheimnisse ihrer Kunst nicht; der feurigste und liebenswürdigste Anbeter würde umsonst seine Neugier angewandt haben. Sogar Launensucht vermochte nichts über sie, ebensowenig verführerisch war der Ehrgeiz für sie; es bedurfte einer Gottheit, mächtiger als beide, sie dahin zu bringen, daß sie sich zeigten, wie sie waren.

Diese wenigen Besonderheiten, die Kiloho-ee uns von diesem Schauspiele aufgehoben, werden hoffentlich hinlänglich sein, einen Begriff davon zu geben und den Lesern zu zeigen, wie weit diese Schauspielerinnen von der Sittsamkeit und Uneigennützigkeit entfernt waren, die den einzigen Charakter der unserigen ausmachen; und wie sehr die Gedichte jener Insel und deren Musik und Ballette neben denen verlieren würden, die wir heutzutage bewundern.

Im Fall man durch diese lange Abschweifung den Faden der Geschichte verloren haben sollte, so erinnere man sich hier, daß Neadarne in die Oper gegangen war, daß Schonkilje ihr Begleiter war, daß er ihr Dinge gesagt hatte, die ihre Schamhaftigkeit beunruhigten; und daß sie dieselben geduldig anhörte, einmal aus Höflichkeit als auch wegen der Unmöglichkeit, sich anders dabei zu benehmen.

Sobald sie den Saal betreten hatten, begann die Oper. Allein keiner von beiden fand darin Zeitvertreib, obwohl Scholuchern Wunder leistete. Schonkilje war verliebt, und da er den Empfindungen der Prinzessin alles zu verdanken haben wollte, schien ihm seine Eroberung noch zweifelhaft. Neadarne ihrerseits begann, ungeachtet ihrer Liebe für Tanzai und ihrer angeborenen Tugend, unruhig zu werden. [174] Sollte sie eine abschlägige Antwort erteilen oder nicht? Sollte sie zu ihrem Gemahl zurückreisen, wie sie von ihm gekommen war? Sollte sie sich des Zaubers der Zwickelbart bedienen? Sollte es kein anderes Mittel geben, sie wiederherzustellen, als das, was man ihr vorgeschlagen? Kann sie es wohl ohne Gefahr brauchen? Der Genius ist liebenswürdig und – was die Sache noch viel schlimmer macht – gibt vor, sie zu lieben; seine Zärtlichkeit ist weit mehr zu fürchten als seine Gewalt. Was für ein Verbrechen für sie, wenn sie endlich der Notwendigkeit nachgibt, ihr Herz dareinwilligt und sich darnach fügt! Gebrechlichkeit ist das Los des Menschen; und sie befindet sich in einer kritischen Situation. Jener unglückliche Prinz, der Gegenstand ihrer feurigsten Sehnsucht, schmachtet in der Trennung von ihr: seufzt schon tief bei dem bloßen Gedanken, was ihr begegnet sein wird; argwöhnt vielleicht bereits ihr Abenteuer. Wie aber, wenn der Zauber der Zwickelbart nichts taugt; doch es muß gut sein, wie kann die Fee sie betrügen wollen, da sie ihres Beistandes bedarf? Angenommen nun, es sei gut, wird sie deshalb weniger strafbar? Hatte aber der Prinz, der Quell ihrer Unruhen, sich nicht der Kukumer blindlings überlassen? Glaubte er nicht anfänglich, daß es eine Göttin sei, die nach seinen Umarmungen lüstete? Und wiewohl er für seine Untreue bestraft worden ist, ist sie deshalb weniger begangen worden? Er hat sie bei seiner Zurückkunft mit einem Traum abgefertigt. Steht es ihm nur allein frei, zu träumen? Wird er ihr aber wohl glauben, wenn sie ihm Gleiches mit Gleichem vergilt? Was liegt endlich daran, und mit was für Recht kann er, strafbar wie er ist, ihr einen unbeabsichtigten Fehltritt vorwerfen, da der seinige mit dem freiesten Willen geschah? Warum hatte er der Kukumer beigelegen? Dies war der letzte Gedanke der Prinzessin, und die Erinnerung der ihr angetanen Beleidigung wurde Ursache, daß sie Rache beinahe für notwendig hielt. [175] So gefährlich ist es, eine Frau gereizt zu haben. Doch beim Licht besehen, kommt es auf eins hinaus, ob man sie gereizt hat oder nicht.

Schonkilje verlor, wie man hat sehen müssen, bei der kleinen Überlegung nichts, die die Prinzessin bei sich anstellte. Er hatte alle die Bewegungen beobachtet und der Blick, den sie auf ihn warf, als sie mit jener Untersuchung zu Ende war, hatte ihn belehrt, wie sie jetzt gegen ihn gestimmt war. Obwohl er gegenüber der Prinzessin so getan hatte, als wüßte er die Ursache nicht, die sie zu ihm führte, so war er dennoch von der Kukumer ganz genau davon unterrichtet worden. Diese hatte ihm keinen Umstand des ganzen Abenteuers verschwiegen, indem sie die Schöne herausstrich, deren Besitz sie ihm gesichert hatte.

Unstreitig hatte er, bloß um Neadarnens Gesinnungen kennenzulernen, sie genötigt, ihre Geschichte selbst zu erzählen. Wenig daran gewöhnt, sentimental zu lieben, hatte er anfänglich gedacht, sich trotz ihres Sträubens glücklich zu machen; indessen hatte die außerordentliche Schönheit, Tugend und Bescheidenheit der jungen Dame seinen Begierden mehr Nahrung gegeben. Die Liebe, die sie für einen anderen hegte, diente nur dazu, die seinige lebhafter zu machen. Er stellte sich ein außerordentliches Vergnügen darunter vor, Tanzai aus diesem Herzen zu vertreiben, und je schwieriger ihm der Sieg schien, desto mehr schmeichelte ihm der Triumph.

In der Tat, sagte er bei sich selbst, was für ein Vergnügen würde es für mich sein, eine Schöne zu genießen, die, voller Verzweiflung, sich in meinen Armen zu befinden, keinen Seufzer ausstoßen würde, der nicht ein Dolmetscher ihres Schmerzes wäre; die mir über das glühende Ungestüm meiner Liebe Vorwürfe machte; die, ganz einem anderen ergeben, äußerst gebeugt durch den heftigen Zwang, den sie sich würde antun müssen, Augen gegen mich emporhöbe; [176] die, so gebadet sie auch in Tränen waren, nur den Unwillen und den Abscheu ausdrücken würden, den sie gegen mich hegte! Ah, welch ein großer Unterschied ist es, wenn man den Bewerbungen seiner Liebe so zärtliche Augenblicke zu verdanken hat, wenn man der Urheber seiner Glückseligkeit ist und zugleich das Glück einer angebeteten Schönen mit befördert, wenn man ihre Entzückungen, ihre Verlegenheiten teilt, wenn man sie das Bekenntnis stammeln hört: Ich bete Euch an; sich wollüstig in ihre Arme geschlossen fühlt und ihre Seele mit der unserigen sich verirrt, wenn man sie im Rausch der süßesten Freuden sich selbst verlieren und uns noch suchen sieht, wenn man die entzückendsten Liebkosungen empfängt und in ihren schimmernden Augen das Übermaß ihrer Empfindbarkeit und ihrer Liebe liest?

Ah, Neadarne, fuhr er bei sich fort, welche andere als du würde diese Freuden in reicherem Maße gewähren? Welch eine Seligkeit, dir soviel Liebe einzuflößen, als du erweckst! Wie, ich sollte dich in meinen Armen sehen, jener strengen Tugend entledigt, die du meiner Glut noch entgegensetzest? O Schonkilje! seliger Schonkilje ... Ach! er würde vor Freuden darüber sterben. Aber anbetungswürdige Prinzessin, wendet es nicht ab, jenes Auge voll Liebreiz! Laßt mich trunken werden von der Wonne, Eures Anblicks gewürdigt zu sein. Ach! ich lese weniger Zorn in Euren Blicken, aber noch immer finde ich Gleichgültigkeit darin!

Während dieses ganzen schönen Monologs betrachtete Schonkilje unablässig die Prinzessin, und die Prinzessin mied in der Tat Schonkiljens Augen nicht. In diesem Augenblick ertönte ein so zärtliches Adagio, daß sein schon bewegtes Herz nicht widerstehen konnte. Der Genius ergriff ihre Hand und küßte sie, aber mit so lebhaftem Ausdruck, daß Neadarne, durch so viel Liebe gerührt, seine Hand etwas feurig drückte. Sie hatten sich beide in der [177] Loge zurückgelegt, und zum Unglück für Neadarne entzog ein Gazevorhang sie den Zuschauern. Schonkilje, außer sich, nahte sich ihr. Der glühendste Kuß, den er der Prinzessin raubte, zog sie nur aus ihrer Verwirrung, um sie von neuem und noch stärker in dieselbe zu versetzen. Solange diese Verwirrung dauerte, drückte Schonkilje die verliebtesten Küsse auf die Lippen der Prinzessin. Endlich wurde er so unternehmend, daß Neadarne wieder zu sich kam, nach dem Vorderteil der Loge zurückstürzte und ihre Tugend aus der gefährlichsten Lage rettete, worin sie sich je befunden hatte. Wer sollte es glauben, daß man in der Oper so viel Gefahr liefe! Schonkilje, voller Verzweiflung über einen so unerwarteten Rückfall, ließ sich wieder bei der Prinzessin sehen, und alle beide sahen so betroffen aus, daß der Hof sich nicht enthalten konnte, darüber zu lächeln.

Neadarne, die diese boshafte Äußerung bemerkte, wurde rot und kam so außer Fassung, daß, wenn die Oper nicht gleich zu Ende gewesen wäre, sie ganz zuverlässig fortgegangen wäre. Sie schämte sich so sehr über das, was vorgefallen war, daß sie Schonkiljen nicht antwortete, ja ihn nicht einmal ansehen wollte, selbst in dem Garten nicht, wohin er sie führte, um ihr das Vergnügen eines prächtigen Feuerwerks zu verschaffen. O Tugend! wie weit geht deine Macht! Wenn Wollust dich beleidigt, wenn du nur allein die Seele einnehmen darfst, so vertreibe sie entweder ganz aus derselben, oder plage sie nicht mit Gewissensbissen.

34. Kapitel: Wie gefährlich es für Frauenzimmer ist, furchtsam zu sein
[178] Vierunddreißigstes Kapitel:
Wie gefährlich es für Frauenzimmer ist, furchtsam zu sein

Demungeachtet war Schonkilje unfein oder vielmehr dreist genug, nach dem was in der Oper vorgefallen war, der Prinzessin den Vorschlag zu tun, mit ihm in ein Boskett zu kommen, um von da dem Feuerwerke zuzusehen.

Konnte er sich wohl vorstellen, daß sie darein willigen würde? Gleichwohl tat sie es. Zwar war ihr es sehr zuwider, das Boskett so außerordentlich dunkel zu finden, während der ganze übrige Teil des Gartens dermaßen erleuchtet war, daß man kaum glauben konnte, daß die Sonne nicht mehr am Horizonte stünde. Sie konnte sich daher der Frage nicht erwehren: Weshalb ist der Ort, wo Ihr mich hinführt, so dunkel? – Damit sich das Feuerwerk desto besser ausnimmt, versetzte der Genius. – Das weiß ich eben nicht. – Zweifelt daran nicht, Prinzessin, sagte er, das ist eine physische Erfahrung. – Sie drang sonach nicht weiter auf diesen Punkt, weil sie nicht wußte, ob er die Wahrheit sagte oder nicht; aber sie beschloß, ihn wegen seiner Verwegenheit zu strafen, falls er die Dunkelheit des Orts, wo sie sich beide befanden, mißbrauchen wollte. Es sollte mir recht lieb sein, sagte sie bei sich selbst, ihm zu zeigen, wie sehr er sich irrt, wenn er glaubt, mich willig zu finden. Er soll sehen, daß, so liebenswürdig er auch ist, meine Tugend seine Vorzüge aufwiegt.

Sie war noch mit diesem Gedanken beschäftigt, als Schonkilje sie bat, sich auf eine Rasen- und Blumenbank niederzulassen, welche der einzige Sitzplatz in diesem Boskett war. Neadarne ließ sich nieder, und der Genius setzte sich seufzend neben sie. Sie war äußerst betreten, und Schonkilje befand sich in einer Wallung, die er noch nie empfunden hatte. Er wußte anfänglich nicht, was er sagen sollte. Die Liebe, die Ehrerbietung einflößt, ist heftig, aber [179] für die Freuden eines Liebhabers und für die Bequemlichkeit eines Frauenzimmers ist es die Art, die am allerwenigsten zu wünschen ist. Sie errät, sie nutzt nie den günstigen Augenblick; immer zärtlich und schwierig, macht sie Beteuerungen ihres Anstands, wo sie vielleicht nicht bestraft würde, wenn sie dagegen verstieße. Was kann ein Frauenzimmer bei aller möglichen Nachgiebigkeit tun, wenn man ihr seine uneigennützige Leidenschaft versichert? Soll sie darauf bestehen, daß man diese Liebe ablegt oder daß man sich eine Belohnung fordert, wenn man sich deren von selbst begeben hat?

Dies alles war Schonkilje nicht unbekannt, und wäre Neadarne mit der Miene ins Boskett getreten, die er gegen Ende der Oper bei ihr wahrnahm, so würde er nicht so schüchtern gewesen sein. Allein sie war wieder zu sich gekommen; ihr Gesicht war wieder streng und ehrfurchtgebietend geworden, und er befürchtete, sie möchte, wenn man zu sehr in sie dringen wollte, sich mit einer Strenge bewaffnen, die sie um so schwerer ablegen würde, je mehr sie dieselbe würde haben wachsen lassen.

Bei aller seiner Zurückhaltung hatte er sich Neadarnens Hand bemächtigt; er seufzte; und die Prinzessin, die es überdrüssig war, daß er ihre Hand beständig fest in der seinigen hielt, nahm dies zum Anlaß, die Unterredung zu eröffnen. – Meine Hand, gnädiger Herr, sagte sie, fällt Euch lästig, und es ist mir peinlich, sie Euch immer halten zu sehen.

Ach, Prinzessin! rief er, auch dies Vergnügen gönnt Ihr mir nicht! Für Euch ist es nichts, für mich aber alles. Wenn Ihr es auch meiner Liebe nicht zugesteht, könnt Ihr es wohl meiner Ehrerbietung verweigern, die ich nicht anders auszudrücken weiß? Wahrlich, ich kenne mich nicht mehr. Ich, den die größten Schönheiten des Erdbodens gefühllos fanden, der ich ihnen eine Ehre zu erzeigen glaubte, wenn ich [180] sie des Anblicks würdigte, bin bei Euch unterwürfig, von der heftigsten Liebe durchglüht, wage selbst nicht einmal die mindeste Gunstbezeugung zu erhoffen. Euch ist es noch nicht genug, mich durch Eure Gleichgültigkeit aufs tiefste zu betrüben, Ihr haßt mich sogar. Je mehr Liebe ich gegen Euch äußere, desto mehr erwecke ich Euren Zorn.

Ach, weshalb, fuhr er fort, habt Ihr den unglücklichen Schonkilje aufgesucht? Nichts störte seine Ruhe. Weshalb hat er Eure unseligen Reize sehen müssen? Doch was sage ich? Weshalb beschwere ich mich über eine Leidenschaft, die, so höchst unglücklich sie auch ist, dennoch meine Glückseligkeit ausmacht. Ach! wendet aus Erbarmen Euer Auge auf mich! Es ist ja kein Feind, der mit Euch spricht, sondern der zärtlichste, glühendste Liebhaber, der trotz Eurer Verachtung, Euch ganz ergeben, die Tage aus seinem Leben auslöschen zu können wünschte, die er, ohne Euch anzubeten, zugebracht hat. Verdiene ich wohl Euren Haß, Grausame?

Ich hasse Euch nicht, antwortete Neadarne in milderem Ton; kann ich Euch aber wohl lieben? Gehört das Herz noch mir, das Ihr von mir verlangt? Kann es den vergessen, dem es sich zu eigen gegeben hat? Kann sein Bild, dies so holde Bild wohl ausgelöscht werden? Wenn Ihr mich so sehr liebt, als Ihr sagt, so äußert Euren Edelmut. Vernichtet jenen leidigen Zauber, verlangt nicht jene gehässige Unterwürfigkeit, zu der ich mich herablassen soll. Daraus werde ich erkennen, daß Ihr mich wirklich liebt. Ich weiß wohl, daß das, was ich von Euch fordere, etwas ist, das einer außergewöhnlichen Anstrengung bedarf; aber an wen könnte ich mich wegen einer so schönen Tat besser wenden als an Euch? Ihr kehrt Eure Blicke von mir ab? Ihr seufzt? Ah, meine Bitten vermögen also nichts über Euch?

Prinzessin, ja, ich seufze, erwiderte Schonkilje, und nach dem, was ich eben vernommen, sollte mir dies wohl freistehen können. Inzwischen preßt diese Seufzer nicht mein [181] Unglück, sondern die Unmöglichkeit aus, worin ich mich befinde, Euer Begehren zu erfüllen. Meine sonst grenzenlose Macht hat in diesem Fall Schranken, die mich in Verzweiflung setzen. Glaubt nicht, daß meine eigennützige Liebe an dieser abschlägigen Antwort schuld ist; ich schwöre bei dem, was mir das teuerste und heiligste ist, bei Euch selbst, daß, wenn es von mir abhinge, Euch ohne irgendeine Bedingung wiederzugeben, was Ihr verloren habt, Ihr befriedigt werden solltet, so hoch mir dies Opfer auch würde zu stehen kommen!

Der Genius sprach diese Worte in so gerührtem Tone, daß Neadarne nicht zweifeln konnte, er sage die Wahrheit. Während er so sprach, hatte er die Hand der Prinzessin an seinen Mund geführt. Sie fühlte sie feucht von seinen Tränen; und da diese Merkmale der Aufrichtigkeit und Liebe des Genius sie rührten, seufzte sie, und ihre Entschlüsse wurden schwach.

Ach, Schonkilje, Schonkilje, sagte sie zu ihm, wenn ich auch glaubte, was Ihr mir sagt, wenn ich auch Eure Tränen für aufrichtig hielte, was könnte das uns beiden helfen? Weshalb beharrt Ihr, auf ein Herz Eindruck zu machen, das schon von jemandem eingenommen ist, und zwar dermaßen, daß es ungeachtet der Rührung, die Ihr ihm einflößt, sich nicht auf einen Augenblick der Leidenschaft entziehen kann, die es anfüllt? Gleichwohl glaub ich Euch, ohne gegen den Anstand zu verstoßen, gestehen zu können, daß ohne diese erste Flamme Eure Glut vielleicht Eindruck auf mich gemacht hätte. Dies Geständnis wird kein anderes nach sich ziehen, und meine Tugend soll, trotz der Gefährlichkeit dieses Aufenthalts, über nichts zu erröten haben.

Es scheint, als ob Neadarne, als sie dies sagte, sich nicht mehr des Vorfalls in der Oper erinnerte, oder daß sie glaubte, wenn man nur die letzte Gelegenheit vermeide, so habe das übrige nichts zu sagen.

[182] Nun gut, Madame, wir wollen davon nicht weiter sprechen, versetzte der Genius. Obwohl meine Liebe keine Belohnung finden soll, so will ich Euch nichtsdestoweniger beweisen, daß sie aufrichtig ist. Vielleicht widerruft das Schicksal mir zugunsten den Ausspruch, der Euch so zuwider ist. Ich wage es nicht, mich dessen zu schmeicheln, werde aber mein Äußerstes an Macht anwenden. Wenigstens werde ich nicht die Veranlassung Eurer Tränen sein. Unstreitig wird ein anderer Genius, der mir an Macht gleich ist und auch gleiche Verrichtungen hat, gewählt werden, meine Stelle bei Euch zu vertreten. Vielleicht werdet Ihr gegen ihn weniger Widerwillen verspüren als gegen mich. – Ach, Schonkilje! rief die Prinzessin, bei einem anderen als Euch würde meine Wiederherstellung schlechterdings unmöglich sein.

Wenn auch Schonkilje weiter nichts denn höflich gewesen wäre, würde er wohl so süße Worte anhören können, ohne der Person aufs verbindlichste zu danken, die sie ihm sagte? Neadarne, die an die Folgen nicht gedacht hatte, die ihre Rede haben konnte, ward höchlich bestürzt, als Schonkilje sie zärtlich in seine Arme schloß, weit lebhafter wurde, als er vorher ehrerbietig gewesen war, und sich ganz seiner Glut überlassen wollte. Diese Lage war für die Prinzessin um so kritischer, da sie in diesem Augenblick sowohl von der Zärtlichkeit des Genius als von den edelmütigen Gesinnungen, die er geäußert hatte, außerordentlich gerührt war. Nichts ist für Frauenzimmer, denen die Natur ein gefühlvolles Herz gegeben hat, so gefährlich als die Rührung, worin sich jetzt Neadarne befand. Der Unglückliche, der in diesem Augenblick die Kühnheit hat, ihr Herz zu bestürmen, erpreßt bisweilen aus bloßem Mitleid soviel von ihnen, als ihr Liebhaber aus Zärtlichkeit erhält. So süß ist dann der Triumph freilich nicht, indes fehlt daran doch nur wenig. Und wer weiß, ob das, was sie Mitleid nennen, im[183] Grunde nicht Liebe ist. Können sie in einem so peinlichen Zustande wohl genau wissen, was sie eigentlich erschüttert hat? Eine Kokette wird nie in eine Lage geraten, die so unangenehme Folgen nach sich zieht; ihre Seele ist eines so zärtlichen Gefühls nicht fähig; nur das ehrbare Frauenzimmer ist imstande, dergleichen zu empfinden.

Neadarne, die zu den letzteren gehörte, wußte nicht mehr, was sie sagen sollte; ihre Unschlüssigkeit dauerte einen Augenblick, dann fand sie die Tugend wieder zurück, und der Genius ward aus Neadarnens lebhaftem Widerstand inne, daß all sein Bestreben, ihre Gunst zu erlangen, fruchtlos sein würde. In was für Verlegenheit befindet man sich nicht bei einem tugendhaften Frauenzimmer! Doch ist es bei denen, die es zu sein sich stellen, noch weit schlimmer. Schonkilje befand sich in der Tat in einer mitleidswürdigen Lage.

Neadarne, die gegen ihn entrüstet war, beschäftigte sich, um ihm ihren Zorn deutlicher zu beweisen, bloß damit, die Raketen aufmerksam zu betrachten, die jetzt aufzusteigen begannen. Er wagte es nicht mehr, sich ihr zu nähern. Die Kukumer, die auf alles, was vorging, genau achtgab, für Neadarne aber unsichtbar war, nahte sich dem Genius und machte ihm über seine alberne Schüchternheit Vorwürfe. Sodann sagte sie zu ihm: Nutze den Beistand, den ich dir leisten will. Vollende meine Rache und kröne deine Freuden. Merk auf das, was ich jetzt tun werde.

Mit diesen Worte nahm sie die Gestalt einer großen Spinne an und schlüpfte unter den Rock der Prinzessin. Kaum fühlte sie Neadarne, als sie ein entsetzliches Geschrei ausstieß. Ach ich bin des Todes, gnädiger Herr! rief sie Schonkilje zu. Eine Spinne! O helft mir! schafft sie mir fort! setzte sie halb ohnmächtig hinzu. Schonkilje, der überzeugt war, daß es mehr Dummheit als Delikatesse verraten würde, sich den guten Willen der Kukumer nicht zunutze zu machen, suchte [184] die Spinne, (weil er den Weg wußte, den sie genommen hatte) da auf, wo sie sein mußte. Diese Nachforschung konnte nicht geschehen, ohne Schönheiten vorzufinden, die noch vollkommener waren, als er sie sich gedacht hatte, Schönheiten, die durch eine Beschreibung, und machte Amor sie auch selbst, alles verlieren würden. Das Vergnügen, das ihm dieser Anblick verschaffte, stürzte ihn in eine Verwirrung, wovon er alles würde zu befürchten gehabt haben, wenn er weniger verliebt gewesen wäre. Diese kleine Verzögerung wurde von der Prinzessin nicht bemerkt, denn noch lag sie in Ohnmacht und ließ ihm also alle Zeit, deren die Kukumer bedurfte, Tanzais Unglück zu vollenden. Schon war Neardarnens Bezauberung zur Hälfte vertrieben, als sie wieder zu sich kam. Ihre Furcht über die Spinne war nichts gegen den Schreck, der sie ergriff, als sie Schonkiljen in ihren Armen erblickte.

Er war auf eine so schnelle Erholung nicht gefaßt, und sie entriß sich seinem feurigen Ungestüm ohne Mühe; doch war sie damit um so unglücklicher, da sie einen Augenblick später, ohne Verletzung ihrer Tugend entzaubert wäre gewesen und da sie nicht Weltkenntnis genug hatte, ihre Ohnmacht so lange dauern zu lassen, als hierzu nötig gewesen wäre. Verräter! sagte sie zu Schonkiljen, sind das Beweise jener Herzensbildung, die du mir so gerühmt hast? – Der Genius war so betroffen, daß er weder Neadarne um Verzeihung bitten, noch sie zurückhalten konnte, als sie das Boskett verließ. Er wußte nicht recht, ob er ihr Zeit, sich zu besänftigen, lassen oder ob er ihr nachgehen sollte. Endlich tat er das letztere.

Das Feuerwerk dauerte noch, und bei der Helle, die es allenthalben verbreitete, sah er Neadarne nicht weit vom Boskett an eine Bildsäule gelehnt, in der Stellung einer Traurig-Nachdenkenden. Noch ehe sie ihn bemerkt hatte, lag er ihr zu Füßen, die er mit ebenso vieler Schüchternheit [185] als Demut umfaßte. – Hier bin ich, der Verbrecher, göttliche Prinzessin, sagte er; Euer Zorn ist gerecht; ich verdiene Euren ganzen Unwillen.

Ach! laßt mich, Treuloser, rief sie; laßt mich. Ich darf, ich will Euch nicht mehr sehen, nicht mehr hören. – Ja, ich bin ein Verbrecher, wiederholte er. Ich könnte Euch zur Minderung meines Verbrechens sagen, daß niemand an meiner Stelle sich enthalten hätte, es zu werden; aber ich sehe nur zu gut ein, daß meine Rechtfertigung vergeblich sein würde und daß es Zeit ist, Euch von einem verhaßten Gegenstande zu befreien. Ich scheide von Euch. Geruht unterdessen, das Schicksal des zärtlichsten Liebhabers zu beklagen. Er würde Euch weniger beleidigt haben, wenn er Euch weniger lebhaft geliebt hätte. Nach diesen Worten verschwand Schonkilje wirklich.

Die von Zorn entflammte Neadarne wollte ihn nicht zurückhalten und blieb, an die Bildsäule gelehnt, stehen. Sie glaubte, daß ihr Haß nicht aufhören würde; als sie aber den Genius nach einer halben Stunde nicht wiederkommen sah, wurde ihr Herz unruhig. Sie dachte an den Zweck ihrer Reise, und indem sie das Heilmittel vermaledeite, erkannte sie nichtsdestoweniger dessen unumgängliche Notwendigkeit.

Prinz, rief sie, teuerster Gemahl, unstreitig bist du jetzt so ungerecht, von mir zu denken, daß ich, in die lebhaftesten Freuden versenkt, treulos gegen dein Andenken und unsere Liebe bin; und daß, wenn ich in den Armen eines anderen mich deiner erinnere, es nur geschieht, um den Triumph des letzteren größer zu machen. Vielleicht faßt du den Entschluß, mich auf immer zu hassen, während du allein mich in den gräßlichen Zustand versetztest. Ach! teurer Prinz, empfange meine Seufzer! Noch habe ich mit ihnen niemanden als nur dich bedacht.

Aber wie, setzte sie hinzu, indem sie wieder zu sich selbst zurückkehrte, Schonkilje erscheint nicht wieder? Fremd an [186] diesem Ort, was soll aus mir werden? Er ist strafbar, aber ist er's wohl so sehr? Und konnte er sich wohl in der Lage zurückhalten, in die ich ihn gebracht hatte? Bloß meiner Furcht habe ich die Schuld zu geben; einer Furcht, die so mächtig ist, daß ungeachtet dessen, was sie mir zugezogen hat, die erste beste Spinne mich ohne Zweifel wieder soweit bringen könnte. Ah, Schonkilje kehrt wieder zurück! – Wenn Ihr mich noch liebt, müßte mein Verlangen nach Euch nicht hinlänglich sein, Euch wieder bei mir einzufinden? Kommt wieder, ich verzeihe Euch.

Auf eine so dringende Einladung erschien der Genius wiederum. Neadarne stieß einen Schrei der Bestürzung aus, als sie ihn erblickte. Er bat sie nochmals wegen des Vorgefallenen um Verzeihung; und sie gewährte sie ihm als eine edeldenkende Dame. Darauf schlugen sie beide den Weg nach dem Palaste ein, ohne daß Schonkilje es wagte, die Augen gegen sie aufzuheben, noch daß sie ihn eines Blickes gewürdigt hätte.

Viele Leute haben bei dieser Gelegenheit Neadarne mehr die Schuld beigemessen als Schonkiljen. Sie finden, daß sie den Genius zu solchem Übermut, dessen er sich schuldig gemacht hat, angestiftet habe, indem sie ihn auf eine Probe gestellt, der jedermann hätte unterliegen müssen. Doch dies bedarf wohl einer strengeren Untersuchung, und man müßte, ehe man Neadarne so geradezu verdammte, den Fall von einer Schönen beurteilen lassen, die eine unüberwindliche Abscheu gegen Spinnen hat. Diese müßte auf ihr Gewissen schwören, ob sie bei einem solchen Ereignis das Tier selbst weggenommen hätte, oder ob sie, wenn sie einen Liebhaber, übrigens einen schlecht behandelten Liebhaber, bei sich gehabt, diesem anbefohlen haben würde, das Tier wegzunehmen.

35. Kapitel: Das zu großen Dingen vorbereitet
[187] Fünfunddreißigstes Kapitel:
Das zu großen Dingen vorbereitet

Neadarnens Bescheidenheit und Schonkiljens Schüchternheit ließen sie eine gar erbärmliche Rolle spielen, die um so alberner war, da es doch einmal ein Ende haben mußte und in der Welt nichts lächerlicher als Ziererei ist, überdies an einer Stelle, wo sie nichts zu suchen hat. Man erlaube nur eine ganz schlichte Anmerkung! Neadarne wollte entweder entzaubert sein oder nicht. War sie mit ihrer Lage zufrieden oder ertrug sie sie wenigstens geduldig? Wozu suchte sie Schonkilje auf? Und wenn sie ihn aufgesucht hatte, weshalb machte sie der Sache mit ihm kein Ende? Aber der Anstand, wird man sagen, verlangte wenigstens, daß sie kämpfte; und dann ist Schonkilje, den man ihr zu einer solchen Sache vorschlägt, eine Person, die sie noch nie gesehen hatte; es ginge hin, wenn es noch jemand wäre, den sie etwas kannte. Überdies suchte er zärtliche Gegenliebe, greift das Herz an, will aus einer flüchtigen Intrigue eine ernste Angelegenheit machen. Wohlfeiler kann man sich nicht vor ihm retten, und wenn man sich auch sogar ergeben wollte, muß man sich mit einem Male ergeben? Man behauptet nicht zuviel, wenn man sagt, daß diese letzte Vorstellung nicht diejenige gewesen sei, die Neadarne am wenigstens im Kopfe herumging; und dieses aus Gründen, die man hier finden würde, wenn sie nicht bereits an anderem Ort in diesem Buche ständen.

Schonkilje, der beinahe die Bewegungen erriet, die das Innere der Prinzessin erschütterten, war eines so langen Widerstandes überdrüssig und überzeugt, daß, je mehr Drang der Liebe er gegen sie äußerte, mit desto mehr Strenge sie sich wappnen würde; daher beschloß er, sich weniger verliebt gegen sie zu stellen und zu harren, bis die Notwendigkeit ihr einen Entschluß eingäbe, der seiner Angelegenheit zuträglich[188] wäre. Nicht ohne viele Mühe brachte er es über sich, sich gleichgültig zu stellen. Durch die neuen Reize, die er an der Prinzessin beim Abenteuer im Boskett entdeckt hatte, waren seine Begierden vermehrt worden, allein je feuriger sie waren, desto mehr glaubte er, sie verhehlen zu müssen, um sie befriedigen zu können. Er kannte das weibliche Herz und war sicher, daß, wenn er Neadarnens Eitelkeit kränkte, er sie dahin bringen würde, weitere Schritte zu tun, als sie willens war.

Diesem Grundsatz gemäß, legte er, als er sie nach dem Palast zurückführte, in seine Entschuldigungen eine Kälte, wie sie der Liebhaber, der sich rechtfertigt, nicht zu haben pflegt. Und indem er Neadarnen ewige Ehrerbietung schwur, legte er in seine Beteuerungen eine Art Ironie, die die Prinzessin auf den Gedanken brachte, der Genius müsse wohl Ursachen gefunden haben, derentwegen er zurückhaltender wäre. Diese Vorstellung erbitterte sie. Sie antwortete dem Genius sehr kalt und verdoppelte diese Kälte, als sie sah, daß er sich darüber nicht beschwerte; und er, ohne sich's merken zu lassen, daß er ihr Betragen wahrgenommen, verließ sie, nachdem er sie wieder in ihr Appartement gebracht hatte, und seine Miene war, als er von ihr ging, so unbefangen, daß sie sich nunmehr ihrem ganzen Zorne überließ. Schonkiljens ganzer Hofstaat, der bei ihr war, konnte sie nicht einen Augenblick zerstreuen. Obwohl sie gegen den Genius wegen seines Mangels an Ehrerbietung äußerst aufgebracht gewesen war, so hatte sie dennoch nicht einen Augenblick gezweifelt, daß er dadurch noch verliebter geworden wäre; sie erinnerte sich seines feurigen Betragens vor dem Abenteuer mit der Spinne, und wenn sie's mit der beleidigenden Kälte verglich, womit er sie nachher gestraft hatte, stiegen ihr die kränkendsten Dinge in den Sinn.

Himmel! sagte sie bei sich selbst, so sehr verachtet zu werden! So lebhafte Begierden nach einer Begebenheit verschwinden [189] zu sehen, die sie noch stärker hätte anfachen sollen! Was kann wohl die Ursache so plötzlicher Gleichgültigkeit sein? Doch, genau erwogen, was liegt an dem Widerwillen, den ich ihm einflöße? Bin ich nicht glücklich genug, ihm nicht mehr zu gefallen? Unstreitig ist dies das einzige Mittel, meinen Gemahl nicht zu beleidigen. Ach Zwickelbart, Zwickelbart, wie irrtet Ihr Euch, als Ihr glaubtet, daß dieser Genius so gefährlich für mich sein würde, und von wie wenigem Nutzen wird mir hier Euer Zaubermittel sein!

In diesen Gedanken war sie tief versunken, als Schonkilje wieder zurückkam. Er hatte seinerseits neue Betrachtungen angestellt und gefunden, daß er die Prinzessin nicht zu lange demütigen dürfte, und daß sie Abscheu für ihn fassen möchte, wenn er sie länger in der Meinung ließe, daß seine Liebe zu ihr erkältet sei. Wenn er auch ihrer Gegenliebe nicht sicher war, so wußte er doch wenigstens, daß man ihn nicht haßte. Eine so günstige Stimmung mußte er zu erhalten suchen, und er war in Neadarnens Herz noch nicht so gut angeschrieben, daß er jenes Spiegelgefecht ohne Gefahr länger hätte fortsetzen können. Nur begünstigten Liebhabern kommt es zu, sich zuzeiten verächtlich gegen ihre Geliebten zu stellen; und überdies begann er, an seiner Eroberung nicht mehr zu zweifeln: er konnte wenigstens soviel unternehmen, wie er wollte. Er wußte wohl, daß nach dem, was zwischen ihnen beiden vorgefallen war, Neadarne nicht mehr soviel Widerstand leisten würde; daß die Frei heiten, die er sich bei ihr genommen, ihm den Weg zu größeren bahnen würden; und endlich, daß ein Frauenzimmer, das man einmal in eine schwierige Lage gebracht hat, nicht mehr berechtigt ist, sich zu erzürnen, wenn man sie von neuem darein versetzt.

Schonkilje ging ihr also herzlich entgegen. Sie war nicht darauf gefaßt, ihn so leidenschaftlich zu finden, und ungeachtet [190] der Tugend, an die sie noch immer gebannt war, tat es ihr nicht leid, sich in ihren Vermutungen geirrt zu haben. Ich entschuldige mich nicht, Prinzessin, sagte er zu ihr, daß ich Euch verlassen habe, weil Ihr mir darüber keine Vorwürfe macht. – Ich glaubte, versetzte sie, daß Ihr Eure Gründe hattet, das zu tun. Ach Madame, entgegnete er, Ihr rechtfertigt mich zu leicht. – Soll ich Euch etwa schuldig finden, wenn Ihr's nicht seid? Das wäre unbillig! – Ja, ich wünschte es, versetzte er. Unbilligkeit von der Art würde mir Eure Empfindsamkeit beweisen, und je strafbarer Ihr mich finden würdet, desto zufriedener würdet Ihr mich machen. – Ich glaubte nicht, entgegnete sie, daß ich es nötig hätte, Eurem Vergehen nachzuforschen, wenn es, um Euch zufriedenzustellen, bloß des Tadels bedarf, so habe ich nur Gedächtnis nötig, um Euch die Leviten zu lesen.

Ach, weil Ihr darauf anspielt, antwortete Schonkilje, so müßte ich mich sehr irren, wenn ich mich nicht darüber mehr als nötig entschuldigt hätte. Nicht etwa, daß ich mich nicht vergangen, aber es war unmöglich, sich nicht zu vergehen, und meines Erachtens würde ich weit strafbarer gegen Euch geworden sein, wenn ich es weniger gewesen wäre. Was hätte ich nicht bei mehrerer Ehrerbietigkeit verloren, Madame! Ach, wie viele Reize! Wie viele Annehmlichkeiten! Nein, nichts im ganzen Weltall kommt Euch gleich! – Laßt Eure Lobsprüche, sagte sie mit Erröten, laßt mich vergessen, vergeßt selbst, was ich Euch nicht verzeihen kann, solange wir beide uns dessen erinnern werden. – So dauert denn Eure Strenge wirklich noch immer fort? fragte Schonkilje. Wenn ich mich keines angenehmeren Schicksals schmeicheln kann, oh, so macht Ihr mich höchst unglücklich! Wenn ich stets der Gegenstand Eures Hasses bleiben soll, wieviel besser würde es dann für mich gewesen sein, all die Reize nicht kennengelernt zu haben, [191] wovon Ihr zu reden mir verbietet. Nie, Madame, werde ich das Andenken daran verlieren. Stets mit einem Augenblick beschäftigt, der für mich so süß gewesen sein würde, wenn Ihr gewollt hättet, werde ich, wenn ich mich der Freuden erinnere, womit er mich überschüttete, mich unaufhörlich über die beklagen, um die Eure Grausamkeit mich gebracht hat. – Lächelnd versetzte die Prinzessin: Stellt Euch nur das, was Ihr genossen habt und was Euch am Genuß gefehlt hat, nicht zu groß vor, und Ihr werdet nichts zu begehren mehr übrig haben.

Das tue ich nicht, Prinzessin, antwortete Schonkilje lebhaft, meine Einbildungskraft bleibt noch sehr weit hinter der Seligkeit zurück, die Ihr mir bereiten könntet! Um der Götter willen, gewährt mir dieses Glück! – Das gerade nicht; sagte sie. – Nun, so erlaubt mir, fuhr er fort, ohne Eure Einwilligung dazu zu gelangen. – Das würde noch schlimmer sein, versetzte sie; wenn das geschähe, würdet Ihr mir keine Erkenntlichkeit schuldig sein, und ich wünschte wenigstens ... Doch weshalb will ich mich beunruhigen? Es ist besser, Ihr habt gegen mich keine Verbindlichkeiten; um so weniger werdet Ihr undankbar sein. – Ich, undankbar! rief er; ach, Prinzessin, wenn Ihr wüßtet, wie sehr Eure Gütigkeiten meine Liebe verdoppeln würden, so würdet Ihr nicht einen Augenblick anstehen, mich damit zu überhäufen. – Ich habe bereits gesagt, daß ich einen anderen als Euch liebe, antwortete sie sanft. Was soll ich Euch also geben? – Alles, was das Schicksal von Euch gegeben wissen will, damit ich nicht die Schande habe, jenem für ein Glück zu danken, wofür ich nur Euch allein verbunden sein möchte. – Nun ... wir wollen sehen, entgegnete sie voller Verlegenheit über diese Unterredung, doch sprecht mir von nichts mehr, ich will und darf nichts vorhersehen. Nach diesen Worten nahm Neadarne eine Laute, die sie im Salon erblickte, und beschloß, sich damit zu beschäftigen, [192] indem sie viel gewonnen zu haben glaubte, wenn sie Schonkilje hinderte, mehr mit ihr zu sprechen. Schonkilje seinerseits schickte sich an, ihr zuzuhören, zufrieden, sie wegen ihrer Reize beruhigt zu haben, wie auch darüber, daß er mit ihr vom Boskettabenteuer hatte reden können, ohne sie dadurch aufgebracht zu haben; was er für nichts Kleines hielt. Sonach fing Neadarne an, die Laute zu spielen, und das so lieblich, zugleich mit so vieler Anmut dazu singend, daß Schonkilje, ganz außer sich selbst, alle Mühe hatte, seinem Ungestüm Einhalt zu tun; und daß Scholuchern, von der Prinzessin bezaubert, gestand, seine Leier und sein Cymbal wären unter der Laute, wenn dies Instrument mit soviel Präzision, Empfindung und so brillant gespielt würde.

Das Souper unterbrach diesen Zeitvertreib, um einen von einer anderen Art darzubieten. Neadarne, die hier die gebietende Frau war, verlangte, daß Scholuchern mit zur Tafel gezogen würde. Der Genius, um seiner Göttin zu gefallen, willigte ein. Scholuchern, der viel Geist, obwohl von sonderbarem Zuschnitt hatte, amüsierte sehr. Neadarne, die anfing, dieser Art Geist Geschmack abzugewinnen und die sich über die gegenwärtige Situation zu betäuben suchte, antwortete sehr gut auf gleiche Manier, und da Schonkilje ebenden Ton annahm, trieben sie die Verfeinerung im Ausdruck und die Sonderbarkeit in den Ideen so weit, daß die Tafel kaum aufgehoben war, als keiner mehr den anderen verstand. Soviel Lust die Prinzessin hatte, das Souper zu verlängern, wurde es dennoch aufgehoben; und nach einer Partie Quinze, die Schonkilje ihr zu bewilligen die Artigkeit hatte, führte er sie in ihr Appartement, mit der Versicherung, er würde schnell zurückkommen. Er ließ sie unter den Händen ihrer Zofen, denen er befahl, sich zu beeilen und Neadarne bald in den Stand zu setzen, seine Flammen zu erwidern.

36. Kapitel: Zerstreutheit der Prinzessin
[193] Sechsunddreißigstes Kapitel:
Zerstreutheit der Prinzessin

Neadarne schauderte, als sie in das verhängnisvolle Schlafgemach trat. Jetzt stand es nicht mehr bei ihr, der Gefahr auszuweichen, sie schwebte über ihr, der Genius war im Begriff zurückzukommen. Sie fühlte mit Schmerz, daß sie ihn nicht haßte; und war um so besorgter für sich, da sie Tanzais Bild entfernte, wenn es sich ihr zu vorteilhaft zeigte. So viele Liebe sie auch für ihren Gemahl hatte, so konnte sie sich dennoch Schonkiljens Vorzüge und Überlegenheit in allen Stücken über den Prinzen von Scheschian nicht verhehlen. Unterdessen dachte sie, daß sie sich ihrer Lage überlassen müßte, weil nichts sie daraus retten konnte; aber die Tugend bekam wieder die Oberhand und gebot ihr, diesen Gedanken zu verwerfen. Oft überließ sie sich auch demselben mit Wohlbehagen.

Wenn es geschehen sollte, sagte sie bei sich selbst, wer wird meinen Gemahl davon unterrichten? Schützt mich nicht das Zaubermittel der Fee gegen seinen Verdacht? Wenn ich aber auch imstande wäre, ihm meine Schande zu verbergen, bleibt sie mir deshalb wohl unbewußt und werden nicht ewige Gewissensbisse mich für mein Verbrechen bestrafen? Habe ich aber gesucht, es zu begehen? Sendet nicht ein Orakel mich hierher? Ein Raub der Begierden des Genius, kann ich nicht denselben überliefert sein, ohne sie zu teilen? Und wenn ich sie auch teile, würde die Schuld an mir liegen? Kann ich für Regungen der Natur stehen? Ist jene Reizbarkeit mein Werk? Wenn die Seele von den Empfindungen des Körpers unabhängig sein sollte, weshalb hat man ihre Vorrichtungen nicht voneinander geschieden? Weshalb sind die Triebfedern von beiden einerlei? Ach, unstreitig ist diese seltsame Einrichtung kein Werk der Natur, und wir haben diese nichtigen Unterschiede nur [194] Vorurteilen zu verdanken! Wenn sie wirklich in uns lägen, wirklich unserem Willen unterworfen wären, von ihm abhingen, so würden sie uns nicht beherrschen. Wozu jenes Licht, das uns das Gute und das Böse zu erkennen gibt? Ist es nicht tauglich genug zu unserem Wegweiser? Was für Vorteil kann diese Unterscheidungskraft in mir bewirken, wenn sie mir stets freie Wahl läßt und nie dieselbe durch ihren Antrieb bestimmt? Und wenn diese Wahl nicht in meiner Macht steht, wozu verpflichtet man mich zu Gewissensbissen? Nein, die Götter sind nicht ungerecht genug, uns für ein Übel zu bestrafen, an dessen Begehung sie uns hindern könnten. Da sie Urheber der Natur sind, kennen sie unstreitig deren Macht. Ihnen kam es zu, jenen göttlichen Strahl, jene innere Kraft in uns zu legen, wogegen unsere Bestrebungen fruchtlos gewesen sein würden. Unsere Pflichten würden dann mit unseren Regungen verschmolzen sein; diese heilsame Tyrannei würde uns vollkommener, würdiger gemacht haben, ihr Werk zu sein. Fürchteten sie, wenn sie uns erleuchten, daß wir ihnen zu nahe kommen möchten? Oder wollten sie sich das barbarische Vergnügen vorbehalten, uns wegen Fehlern zur Rechenschaft zu ziehen, die sie mit unserer Existenz verbunden haben?

Doch, was sage ich, Unglückliche? Und woher käme sonst der Widerwille, den ich für Schonkilje empfinde? Wenn jene Mächte mich nicht unterstützt hätten, würde er wohl noch etwas zu wünschen haben? Die Liebe, die ich für Tanzai empfinde, so stark sie auch ist, würde sie wohl in solche Unruhe stürzen? Ach! die Götter erleuchten uns mehr, als wir glauben. Wären wir auf diese geheime Stimme, die in uns spricht, aufmerksam, hießen wir sie nicht schweigen, so würden unsere Regungen sich mit einem Male bestimmen, und wir würden weniger Seelenkämpfe erleiden, wenn diese Stimme minder mächtig wäre.

Aber bei alledem, fuhr sie fort, was kümmert mich dieser [195] Genius? Und angenommen auch, ich ergäbe mich dessen Begierden, kann ich, nicht immer mit meinem Gemahl beschäftigt, mich bloß mit dessen Zärtlichkeit unterhalten? Verirrt sich die Seele nicht? Und war ich, trotz meiner Tugend, nicht nahe daran, in jenem Boskett zu erliegen? Sah ich damals wohl Schonkiljen? Dachte ich wohl an meinen Gemahl? War ich nicht völlig außer mir? Wer steht mir dafür, daß es mir nicht wieder so geht? Ich habe mich der Gefahr entrissen, aber wieviel Anstrengung hat mich dies gekostet! Diese Unruhe meines Herzens, diese Wollust, die sich meiner Sinne bemächtigt hat, und jene verworrenen Regungen, sagen mir die nicht alles, was ich zu befürchten habe? Wen bekämpfe ich hier? Den liebenswürdigsten der Genien! Ach! laßt uns sein Bild vergessen und die Augen gegen alle seine Vorzüge verschließen. Was würde das für ein Vergnügen für mich sein, das mir so viele Tränen kosten würde? Und was ist es gegen jene so reine Zufriedenheit, die uns nie verläßt, wenn wir uns nichts vorzuwerfen haben?

Während Neadarne diese und ähnliche Betrachtungen anstellte, hatten ihre Zofen sie entkleidet. Sie hatte nur noch ein leichtes Gewand an, das wollte man ihr auch ausziehen und sie dann ins Bett bringen, als sie ihren Zofen befahl, sich fortzubegeben. Man stellte ihr gar ehrerbietig vor, daß sie sich niederlegen müßte. – Das will ich nicht, versetzte sie und warf sich auf eine Ottomane. Sie äußerte über diesen Punkt soviel Starrsinn, daß ihre Zofen fortgingen. Kaum waren sie aus dem Gemache, als die Prinzessin aufsprang und alle Türen aufs festeste verschloß.

Sie glaubte sich gegen Schonkilje in Sicherheit gesetzt zu haben und nahm wieder ihren Weg nach der Ottomane, als sie den neben sich gewahr ward, gegen den sie so viele Vorsicht gebraucht hatte. Sie war darüber um so erschrockener, da sie sich in einem Zustande sah, worin es ihr [196] schwer geworden sein würde, sich gegen ihn zu verteidigen, und sie nicht zweifeln durfte, daß ihr niemand zur Hilfe kommen würde, falls er Gewalt gebrauchte.

Wie, Madame, sagte er, indem er sah, daß sie sich auf die Ottomane in der züchtigsten Haltung setzte, bedient Ihr Euch noch immer so vieler Vorsicht gegen mich? – Und Ihr, gab sie zur Antwort, seid Ihr noch immer gewillt, mich zu verfolgen? Ihr gebt, erwiderte er, meinen Absichten einen wenig anständigen Namen. Ihr wißt, daß ich nur Euch dienen will und deutet meinen Eifer gar übel. – Dieser Eifer, entgegnete sie, ist mir verdächtig, und Ihr habt zuviel Liebe gegen mich geäußert, als daß ich seinen Grund nicht verabscheuen sollte.

So habe ich Euch denn nichts weiter zu sagen, Madame, antwortete er. Ich könnte Euch wiederholen, daß Ihr, Eures eigenen Bestens wegen, weniger Strenge gegen mich äußern solltet; allein Ihr zieht Euer Interesse so wenig zu Rate, daß ich überzeugt bin, Ihr würdet mir nicht Glauben schenken. So genießt denn das Vergnügen, das Eure Strenge Euch verschafft, und das Behagen Eures jetzigen Zustandes. Der glückliche Tanzai würde frohlocken, wenn er Euch so getreu bei Eurer Rückkunft wiederfände, und ahme Euer Beispiel nach, wenn ihn je sein glückliches Geschick wieder in die Arme der Kukumer führt. (Hier ward die Prinzessin sehr aufmerksam und runzelte ein wenig die Stirn.)

Ich spreche nicht mehr von meiner Liebe mit Euch, fuhr Schonkilje fort; denn je mehr ich solche gegen Euch äußere, desto mehr laßt Ihr – ich weiß nicht aus was für einer Laune – Abscheu gegen mich blicken. Hättet Ihr vielleicht lieber gesehen, wenn ich mich der Vorrechte bedient, die mir mein Amt gibt, und Euch wie ein gewöhnliches Weib behandelt hätte? – Wahrlich nicht, sagte die Prinzessin in einem sanfteren Tone. – So machen mir denn meine Achtsamkeiten bei Euch den Garaus, nahm Schonkilje wieder [197] das Wort, und ich würde jene so störrische Sprödigkeit besiegt haben, wenn ich weniger Schonung gegen sie beobachtet hätte. Ich versuche, Euch Eure Lage so erträglich als möglich zu machen; ich glaube, daß es besser ist, Ihr hegt sowenig als möglich Widerwillen gegen mich, da Ihr doch endlich nachgeben müßt; und dies Verfahren, das bei jeder anderen Eindruck gemacht haben würde, empört Euch.

Prinzessin, fuhr er fort, indem er sich auf die Ottomane niedersetzte, ich verdiente von Euch weniger Ungerechtigkeit und mehr Gefälligkeit. (Hier wurde Neadarne nachdenklich.) Ich wage zu sagen, wofern etwas auf Euch hätte Eindruck machen können, so hätte meine Liebe dies gemußt, und Ihr würdet ihr nicht so grausame Undankbarkeit entgegengestellt haben. Damit sei nicht etwa gesagt, fügte er hinzu und legte sanft seine Hand auf das Bein der Prinzessin, daß ich von Euch irgendeine Belohnung verdient zu haben glaube; allein Ihr werdet des Zustandes überdrüssig werden, worin die Kukumer Euch versetzt hat. Es wird mir nicht mehr erlaubt sein, Euch wiederzusehen, und der Genius, von dem ich vorher mit Euch sprach, wird das hohe Glück haben, Euch den Dienst zu leisten, den Ihr von mir ausgeschlagen habt.

Jetzt schaute ihn die Prinzessin lange an, schlug die Augen nieder und seufzte sehr traurig. Schonkilje rückte ihr näher, ergriff ihre Hand und fuhr fort: Wenn Ihr mich weniger haßtet, so würdet Ihr Euch nicht ohne Entsetzen genötigt sehen, Eure Zuflucht zu den Diensten eines anderen zu nehmen, der, weniger rücksichtsvoll als ich, es Euch vielleicht bereuen läßt, daß Ihr die meinen verschmäht habt. Ich wünsche mir nicht einmal diesen Trost, ich könnte ihn nur auf Eure Kosten haben, und ich will lieber dessen auf immer beraubt sein.

Bei dieser so zärtlichen Rede drückte Neadarne Schonkiljen [198] die Hand, der die ihrige noch festhielt; und der Genius rückte mit der, die er anfänglich auf das Bein der Prinzessin gelegt hatte, ein wenig höher hinauf. Er ging dabei so unbescheiden zu Werke, daß sie sich beleidigt gefunden haben würde, wenn sie nicht diesen Augenblick in das tiefste Staunen versenkt gewesen wäre. – Prinzessin, sagte er mit gebrochener Stimme, wie süß würde es für mich sein, mein Brennen von Euch erwidert zu sehen! Meine Gesinnungen verdienen ein so großes Glück. Aber dieser so reizende Mund, fuhr er fort, indem er ihn mit Inbrunst küßte, ist ebenso stumm als diese bezaubernden Augen. Ich würde unrecht haben, wenn ich ihnen eine Antwort abringen wollte; Euer Schweigen ist mir weit günstiger.

Es hat nur am Leser gelegen, zu bemerken, daß Schonkilje sich während seines Sprechens ganz langsam Neadarnens Lagerstätte genähert hatte, und zwar dermaßen und mit so weniger Schonung, daß es ihm endlich geglückt war, sie mit ihr zu teilen, und daß er ihre Zerstreutheit genützt hatte, sich die größten Freiheiten herauszunehmen. Bei der letzten erwachte sie endlich aus ihrer Betäubung; allein der Genius hatte seine Maßregeln so gut getroffen, daß ihre Gegenwehr, so heftig sie auch war, ihr zu nichts helfen konnte.

Kaum hatte die Prinzessin wahrgenommen, daß Kämpfen fruchtlos sei, so bat sie Schonkiljen in den demütigsten Ausdrücken, in seinen Unternehmungen nicht weiterzuschreiten; allein der Genius, der jetzt ebenso zerstreut war wie sie zuvor, beantwortete ihre Bitten nur durch stärkere Anstrengung seiner Kräfte. Sie begann ihren Widerstand von neuem, machte aber jetzt die leidige Erfahrung, daß die strengste Tugend zwar kämpfen, aber des Sieges nicht immer gewiß sein kann. Die Hindernisse, die der Genius ihrer Flucht entgegensetzte, und sein feuriges Ungestüm machten endlich ihre Wut rege. Barbar! rief sie, Verräter ...! [199] Die schmerzhaftesten Schreie unterbrachen sie, und aus der Mühe, die ihre Entzauberung kostete, konnte sie, wenn sie gewollt hätte, auf die Stärke ihrer Bezauberung schließen. Die Schmach, die sie erduldete, und ihr Widerstand hatten ihr vor Schmerz und Ermüdung eine Art Ohnmacht zugezogen, die ihr die Kräfte nahm, gegen den Genius ihren Zorn auszulassen, und sie zugleich des Verdrusses enthob, Zeuge seiner Entzückungen zu sein. Schonkilje, der siegreiche Schonkilje, weit entfernt, ihr zu Hilfe zu kommen, genoß mit Muße die Annehmlichkeiten seines Triumphs.

Jene so spröde Schönheit, die er anbetete, war ein Raub seiner Begierden geworden. Er heftete seine entflammten Blicke auf sie, überhäufte sie mit den zärtlichsten Liebkosungen, bat sie in den leidenschaftlichsten Ausdrücken um Verzeihung und war unstreitig im Begriff, ihr neue Beleidigungen zuzufügen, als ein tiefer Seufzer ihm verkündigte, daß Neadarne ihre Besinnung wiedererlangte. Er glaubte, es würde schicklicher sein, wenn die Prinzessin, sowie sie die Augen aufschlüge, ihn zu ihren Füßen gewahrte. Er warf sich also vor ihr nieder auf die Knie und bewunderte sie.

Die Unordnung, worin er Neadarne gebracht hatte, machte sie noch reizender; Tränen quollen aus ihren schönen halbgeschlossenen Augen, die sie endlich öffnete. Die Verfassung, worin sie sich wiederfand, vermehrte ihre Tränen und gab ihrem Unwillen neue Kräfte. Wütend sprang sie auf und rannte nach den Türen, um fortzukommen. Ihre Verzweiflung verdoppelte sich, als sie sah, daß es nicht von ihr abhing, jenem Genius zu entfliehen, den sie verabscheute. Ungeheuer! rief sie, Ungeheuer, das nicht zu leben verdient, wagst du es noch, dich meinen Blicken zu zeigen? Wagst du es noch, mich zurückzuhalten? ... Um den Zorn der Prinzessin gehörig schildern und alles anführen [200] zu können, was sie Schonkiljen sagte, müßte man sich in eben der Situation befunden haben. Man überläßt es daher den Leserinnen, diese Lücke auszufüllen.

Neadarne war durch das viele Schmähen endlich erschöpft. Der Genius hatte dies vorausgesehen und wartete mit einem heuchlerischen Wesen, bis sie auf hörte. Nun Madame, sagte er, als er sah, daß sie nicht mehr sprach, wollt Ihr mich denn stets für meinen Diensteifer bestrafen und Euch dessen Wirkungen unaufhörlich widersetzen? Steht es denn geschrieben, daß Ihr nie in die Euch so nötige Entzauberung willigen werdet? – Verräter, rief sie, wollten die Götter, daß ich sie noch zu wünschen imstande wäre! – Wenn Ihr nur diese Ursache habt, mich zu hassen, antwortete er, so könnt Ihr mich mit minder strengen Gesinnungen beehren. Was Ihr Euch auch eingebildet, was Ihr sogar empfunden haben mögt, Ihr seid noch so beschaffen wie vorher, und ohne eine förmliche Einwilligung von Eurer Seite könnt Ihr nie aus Eurem Zustand kommen. Ich habe Euch das anfänglich nicht gesagt, weil ich nur Euch allein das Vergnügen zu verdanken haben wollte, Euch in meinen Armen zu sehen. Vielleicht glaubt Ihr mir nicht und macht Euch, aufgebracht wie Ihr gegen mich seid, Vorwürfe, daß Ihr mich anhört. Allein Ihr könnt Euch leicht überzeugen, daß meine Behauptung nicht falsch ist. Übrigens bin ich nicht gesonnen, Euch, wozu es immer sei, zu nötigen. Es steht völlig bei Euch, zu reisen oder zu bleiben, wenn ich Euch für das erste meinen Dank sage, so werdet Ihr mich über das letzte nicht ungehalten sehen.

Während der Genius sprach, erkannte Neadarne, man weiß nicht wie, in der Tat, daß es mit ihrer Entzauberung nicht seine Richtigkeit hatte. Sie konnte nicht dem Zaubermittel der Zwickelbart schuld geben, da die drei Worte, woraus es bestand, noch nicht über ihre Lippen gekommen waren. Sie sank wieder in neue Unschlüssigkeit zurück, als sie an [201] der Notwendigkeit nicht mehr zweifeln konnte, Schonkiljen alles gestatten zu müssen oder stets außerstande zu sein, dem Prinzen irgend etwas zu bewilligen. – Die Nacht vergeht, Madame, hub der Genius wieder an, und Ihr beschließt nichts. – Eben war sie im Begriff zu antworten, als ein Genius von Schonkiljens Hofstaat im Gemache erschien. – Herr, sagte er zu ihm, deine Huld geruhe mir zu verzeihen, wenn ich deine Ruhe störe. Allein zwei Damen, welchen nur die Prinzessin hier an Schönheit gleichkommt, sind eben angelangt. Sie flehen so feurig- um deinen Beistand, und ihr Übel fordert ein so schleuniges Heilmittel, daß ich's für meine Pflicht gehalten habe, dich von den Freuden zu benachrichtigen, die deiner erwarten.

Schon gut, Topase, sagte der Genius, geh nur. Nun, Prinzessin, wandte er sich an Neadarne, soll ich jenen beiden Unglücklichen zu Hilfe fliegen, oder wollt Ihr, daß ich noch bei Euch verweile? Es steht nun bloß bei Euch, darüber zu entscheiden und die Neigung zu unterstützen, die mich an Eure Reize heftet. – Topase kommt vielleicht wieder, sagte sie. – Beunruhigt Euch nur diese Furcht? sagte er. Sie lächelte. Mit diesem Geständnis zufrieden, hob Schonkilje sie auf und trug sie in eben das Bett, in das zu kommen sie nie geglaubt hatte. In diesem Augenblick wichen Tugend und Bedenken von ihr; seufzend machten sie den Freuden der Liebe Platz.

37. Kapitel: Lehrt die Prüden, daß es gefährliche Gelegenheiten gibt
Siebenunddreißigstes Kapitel:
Lehrt die Prüden, daß es gefährliche Gelegenheiten gibt

Wenn es schmeichelhaft ist, über eine strenge Schönheit zu triumphieren, so muß man auch gestehen, daß es viel kostet, um bis dahin zu gelangen. Man muß sich mit Recht [202] wundern, daß die Frauenzimmer, seitdem ihnen bekannt ist, daß sie am Ende doch nachgeben müssen, es noch nicht für ratsam gefunden haben, alle so überflüssigen Zeremonien abzukürzen. Zwar gibt es gewisse Gecken in der Welt, die behaupten, man habe ihnen nie Widerstand getan; aber nicht minder wahr ist es, daß sie die Unwahrheit sagen. Oft rühmen sie sich, da Gunstbezeigungen erhalten zu haben, wo man sie mit Verachtung überhäuft hat. Zum Glück hat das für die Frauenzimmer keine weiteren Folgen, und rechtliche Leute haben demungeachtet nicht weniger zu seufzen. Vielleicht kommt einmal das weibliche Geschlecht auf bessere oder schlimmere Gedanken; auf schlimmere sag ich, denn Schonkilje würde weniger Vergnügen gehabt haben, wenn Neadarne weniger störrisch gewesen wäre.

Jetzt war der Genius soweit gekommen, daß er sie, wie jedermann weiß, bei ihrem Geständnis festhalten konnte. Eine jede andere wie die Prinzessin hätte ihre Einwilligung nicht widerrufen, sie aber war mit einer Tugend begabt, die in puncto Anstand nie ein Ende wußte und der Schonkiljens alberne Zurückhaltung unaufhörlich neue Zierereien zu ersinnen Anlaß gab. Was man auch sagen mag, dieser Genius war weniger geschickt, als man ihn uns geschildert hat. Daß er Neadarnen um Erlaubnis bat, sie ins Bette tragen zu dürfen, mag noch hingehen, so etwas ist wohl einer Höflichkeit wert; allein es gibt Fälle, wo es der Höflichkeit gemäßer ist und wo man sicherer geht, wenn man gar nichts sagt. Die Tugend ist nie zeremonienreicher, als wenn man ihr Zeit läßt, es zu sein, und es ist nicht schicklich, eine Schöne dahin zu bringen, das abzuschlagen, was sie sich würde nehmen lassen, wenn man diesen Weg einschlüge.

Schonkilje, obwohl er sehr verliebt war, bat die Prinzessin, ihm zu erlauben, daß er sich ihr nähern dürfte; sogleich bat ihn die Prinzessin, daß er es doch nicht tun möchte. Diese unbillige Weigerung empörte seinen Unwillen, und da er [203] endlich merkte, wie linkisch er sich bisher benommen hatte, näherte er sich ihr wider ihren Willen. Durch diesen Machtstreich flößte er ihr soviel Ehrfurcht ein, daß sie sich nicht mehr unterstand, etwas zu sagen. Nunmehr wagte er es, ihr die zärtlichen Namen zu geben, die unter Leuten gebräuchlich sind, die ausnehmend gut zusammenstehen. Wenn sie sie ihm nicht wiedergab, so war sie doch wenigstens nicht beleidigt, daß er sie ihr gegeben hatte. Dann nahm er sie, als ein Mann, der den Wert der Steigerungen kennt, in seine Arme, umschloß sie wollüstig und gab ihr unvermerkt, durch geschickt angebrachte Liebkosungen, einen ziemlich lebhaften Begriff von den Freuden der Liebe, so daß sie mit nichts anderem sich mehr beschäftigen konnte. Endlich wurde der liebevolle Schonkilje für seine Empfindung belohnt, empfing soviel wieder, als er gab, und sah seine von Wollust berauschte Prinzessin sich gutwillig in die Bemühungen fügen, die er zu ihrer Entzauberung anwandte. Noch war er vor einem verdrießlichen Rückfall bange. Um diesem nun zuvorzukommen, glaubte er, der Prinzessin keine Zeit zum Nachdenken lassen und alle Pausen sich ersparen zu müssen. Diese List tat ihre Wirkung, und eine Phantasie von Neadarne gab ihr vollends den besten Erfolg. Sie bildete sich ein, daß Schonkilje Tanzai gliche, und indem sie sich sehr bei sich selbst wunderte, daß diese Gleichheit ihr nicht eher aufgefallen sei, hing sie ihrem Irrtum nach und ließ aus Liebe zu dem Prinzen den feurigen Trieben des Genius zu verlangen nichts mehr übrig. Reden voll holdem Zauber, zärtliche Liebkosungen, entflammte Seufzer, Entzückungen höchster Lust, gänzliches Hingeben, alles das genoß er.

Was für ein großer Zauberer er auch war, so bedurfte er dennoch, nachdem er die Augen der Prinzessin geblendet hatte, einer beträchtlichen Zeit, ehe er wieder den Zauber lösen konnte. Neadarne empfand alles, was sie bei der Rückkehr ihrer Vernunft verlor. Sie hatte schwermütige [204] Vorstellungen; ihre Entzauberung beschäftigte sie nicht mehr. Sie sah nunmehr ein, daß es der Wille der Götter gewesen war, daß Schonkilje dieses Geschäft übernehmen mußte; es war geschehen; sie war völlig ergeben. Sie machte sich keine Vorwürfe wegen ihrer Untreue und fand ebenso gute Gründe, sie zu beschönigen, als sie vorher gehabt hatte, sich dagegen zu verteidigen. Hatte sie bei alledem aufgehört, ihren Gemahl, den Prinzen, anzubeten, und war das nicht das Werk der stärksten Leidenschaft, daß sie Schonkilje ihm ähnlich gemacht hatte? Am allermeisten beunruhigte sie aber die Ungewißheit, worin sie sich wegen des Zaubers der Zwickelbart befand. Konnte sie je eine schönere Gelegenheit haben, dies zu untersuchen? Entschlossen, schlechterdings zu wissen, wie es damit beschaffen wäre, wollte sie die geheimnisvollen Worte aussprechen; allein sie hatte sie vergessen, und ihre Gedanken und Vorstellungen waren durch Schonkilje so verwirrt worden. daß sie lange Zeit hindurch glaubte, sie würde sich nie wieder darauf besinnen. Das Papier zu suchen, worauf sie geschrieben waren, schien ganz unmöglich zu sein. Was würde Schonkilje darüber gedacht haben? Er würde es unstreitig haben sehen wollen; und hätte sie's nun gar verloren, wie würde sie vor Tanzai wieder erscheinen können? Während der Zeit, daß sie sich in dieser Verlegenheit befand, drang Schonkilje, der die Entzauberung wieder vorzunehmen bereit war, von neuem in sie und brachte sie ganz außer Fassung. Glücklicherweise erinnerte sie sich, daß man ihre Taschen ihr unter das Kopfkissen gelegt habe. Sie drehte sich geschickt seitwärts, bemächtigte sich dessen zu so gelegener Zeit, daß Schonkilje die Prinzessin mehr denn je für bezaubert hielt. Er beklagte sich darüber und dankte ihr dafür. Er ermangelte nicht, der Kukumer eine Begebenheit zuzuschreiben, die so ungewöhnlich war; und je mehr er die Fee im Verdacht hatte, das Unglück [205] der Prinzessin ewig dauern lassen zu wollen, desto mehr beeiferte er sich, ihm abzuhelfen.

Neadarne, die, was auch der Genius von der Fülle seiner Empfindsamkeit gesagt, auf so tätigen Diensteifer von seiner Seite nicht gerechnet hatte, wußte gar nicht, was sie dazu sagen sollte. Sich zu beschweren wäre undankbar gewesen, jenem Eifer aber noch weiteren Ausbruch zu lassen, hieß das nicht, die Pflicht gegen Tanzai gar zu sehr aus den Augen zu setzen? Es war sonderbar, daß sie diese letzte Betrachtung anstellte; allein die Frauenzimmer haben nun einmal die zarteste Gewissenhaftigkeit! Neadarne, die für den Prinzen genug getan zu haben glaubte, machte sich Vorwürfe über das, was sie mehr tat. Sie war im Begriff, den Genius zu bitten, seiner Großmut Schranken zu setzen, als eine zweite Betrachtung (man hört nicht auf, deren zu machen, wenn man einmal angefangen hat) sie auf andere Gedanken brachte. Sie konnte nicht zweifeln, daß das Zaubermittel der Zwickelbart gut sei; aber diese Fee hatte ihr gesagt, daß man sich dessen so oft bedienen könne, wie man wolle; und wenn nun dem nicht so wäre und sie sich dessen zu schnell bedient hätte, wie groß würde nicht Tanzais Wut sein! Um also an der Redlichkeit der Zwickelbart nicht weiter zu zweifeln, mußte sie unverzüglich hören, was Schonkilje dazu sagen würde. Sie hatte Ursache, diesmal zufrieden zu sein. Der Genius sprach von der neuen Verlegenheit, worin er war, so vorteilhaft, daß sie aus Furcht, er möchte die wahre Veranlassung argwöhnen, ihm wegen dieses Wunderwerks Glück wünschte und es gänzlich auf ihn schob. So schmeichelhaft diese Beschuldigung auch war, so verteidigte er sich doch dagegen mit aller möglichen Bescheidenheit und bestand darauf, ihr allein die Ehre zu lassen. Ein solcher Streit der Höflichkeit konnte so bald nicht enden; und so wohlgeschliffen die Äußerungen der Prinzessin auch gegen ihn waren, so war[206] Schonkilje doch so ungestüm hartnäckig, daß sie sich genötigt sah, alles auf sich zu nehmen.

Inzwischen rückte der Morgen näher, und die Prinzessin, die ihr Zaubermittel hinlänglich geprobt und für sich selbst nichts mehr zu verlangen hatte, hielt sich nun verbunden, an Scholuchern zu denken. Sie wußte nicht, wie sie's anfangen sollte, ihn zu befreien. Schonkilje schien ihr nicht gelaunt, so bald einzuschlafen; und es schien ihr unmöglich, sich des Pantoffels zu bedienen, solange er wachend sei.

Gnädiger Herr, sagte sie zu ihm, in vier Stunden reise ich ab. Ich wünschte wohl den Rest der Nacht dem Schlafe widmen zu können. Ich wage von Eurer Gefälligkeit zu hoffen ... – Je eher Ihr abreist, antwortete er, je weniger müßt Ihr diese Gefälligkeit von mir erwarten. Ich verdiente nicht das Glück, Euch zu besitzen, wenn ich es dermaßen vernachlässigte; ich will Euch beweisen, daß ich dessen würdig bin, wenn Ihr inzwischen versprechen wollt, daß ich Euch wiedersehen darf, so will ... Mich wiedersehen! unterbrach sie schnell. Ah! gnädiger Herr, dies dürft Ihr gar nicht hoffen, und ich begreife nicht, wie Ihr's wagen könnt, mir einen solchen Vorschlag zu tun. – Ich habe geglaubt, versetzte er, daß ich ihn Euch tun könnte, ohne gegen die Euch schuldige Ehrerbietung zu verstoßen; und daß wir auf eine Art bekannt wären, die wenigstens als ein alter Bekannter von Euch mich erscheinen läßt.

Gerade deshalb, gnädiger Herr, seid Ihr unter allen Männern auf der ganzen Erde derjenige, den ich am geflissentlichsten vermeiden muß. Meine Liebe zu Tanzai und meine Pflichten erlauben mir sogar nicht einmal, an Euch zu denken. Bisher bin ich nicht strafbar gewesen. Die Götter, die mir befohlen haben, Euch aufzusuchen, nehmen meine Schuld auf sich, allein ich würde ihren Zorn und die Verachtung meines Gemahls verdienen, wenn ich je Euer Bild wieder in mir zurückriefe, um es mit zärtlichem Wohlgefallen zu betrachten.

[207] Wenn ich mir diese Erlaubnis von Euch ausbat, versetzte er, so geschah dies nur, weil ich Euch selbst bis zu Ende all mein Vergnügen schuldig sein wollte. Wenn Ihr meine ganze Macht kennen würdet, so würdet Ihr nicht zweifeln, daß ich, trotz Eurer Weigerungen, Euch sehen könnte, wann ich wollte, und daß ich sogar von Eurer Zärtlichkeit alle die Gunstbezeigungen zu erhalten imstande wäre, die Ihr für Tanzai aufhebt. Da es bei mir steht, seine Gestalt anzunehmen, so werdet Ihr mich unter seinen Zügen sehen und werdet nie wissen, ob Ihr gegen ihn oder gegen mich Euer Herz ergießt. – O Ihr großen Götter, welch eine harte Züchtigung! rief die Prinzessin. Sie würde unstreitig länger gejammert haben, hätte der Genius sich nicht für verbunden gehalten, die Schwermut zu vertreiben, in die er sie versetzt hatte.

Neadarne, der Äußerungen seiner Zärtlichkeit überdrüssig, hätte sie gern vermieden, da sie aber ein Opfer ihrer Liebe für Tanzai gewesen war, mußte sie auch vor allem ein Opfer ihrer Achtung für die Zwickelbart werden. Es war notwendig, den Genius zum Schlaf zu reizen, ohne den sie Scholuchern nicht befreien konnte. Aus ebendem Grunde bediente sie sich nochmals ihres Zaubermittels; ein leichter Sieg würde Schonkiljen zuwenig ermüdet haben, und es war Zeit, vom Pantoffel Gebrauch zu machen. Endlich war es soweit! Der Genius fühlte, daß seine Augen, indem er Neadarnen die zärtlichsten Dinge äußerte, wider Willen zufielen. In dem Augenblick berührte sie ihn mit dem Pantoffel und versenkte ihn dadurch in den tiefsten Schlaf. Sodann fuhr sie jählings aus dem Bette und zog sich mit der größten Geschwindigkeit an. Es ging so schnell, daß sie anfänglich nicht gewahr wurde, daß die Kleider, die sie anlegte, nicht die waren, die sie auf die Insel mitgebracht hatte. Der verliebte Genius hatte gewollt, daß Neadarne Beweise seiner Freigebigkeit und Prachtliebe mitnehmen [208] sollte, daher die Kleider, die Neadarne wider ihren Willen anzog, köstlich und ganz der Schönheit würdig waren, die Schonkilje damit schmücken wollte. Ihr Widerwille hiergegen konnte mehr als eine Ursache haben. In diesen Kleidern konnte sie ihrem Gemahl nicht sagen, daß sie geträumt hätte, und ihr fiel nichts ein, wie sie ihn hierüber täuschen könnte.

Ungeachtet der Unruhe, worein dieser neue Anzug sie stürzte, konnte sie Schonkilje nicht die Achtung verweigern, die sein ganzes Benehmen gegen sie verdiente. Sie nahte sich dem Bette, wo er in tiefstem Schlaf lag. Lange betrachtete sie ihn. Seine Schönheit brachte ihr Inneres in Wallung.

Lebe wohl, sagte sie seufzend zu ihm, leb wohl, liebenswürdiger Genius! O daß dein immerdauerndes Leben in Strömen von Freuden dahingleite! Daß du auf immer das Andenken an die traurige Neadarne verlierst! Und ach, daß sie dich selbst vergessen könnte! Sie würde sich nur zu glücklich geschätzt haben, deine feurige Liebe zu erwidern, und du solltest ihr nicht zuvorgekommen sein, wenn Herz und Hand ihr Eigentum gewesen wären. Lebe wohl! Sie vermag zu deiner Glückseligkeit nichts; habe die Güte, nie ihre Ruhe zu stören. – Nach diesen Worten küßte sie ihn sanft auf die Stirn und riß sich von ihm mit solcher Mühe los, daß ihre Tugend darüber zu murren begann.

38. Kapitel: Worin der Leser Sachen lesen wird
Achtunddreißigstes Kapitel:
Worin der Leser Sachen lesen wird, die er schon lange voraussah

Mit dem Pantoffel bewaffnet, ging die Prinzessin ungesehen durch alle Gemächer des Palastes. Die Sonne war bereits aufgegangen. Neadarne befürchtete daher, sie würde, um [209] Scholuchern aufzusuchen, dem sie von ihrem Vorhaben keinen Wink hatte geben können, viel Zeit nötig haben; inzwischen könnte der Genius erwachen und alle ihre Maßregeln zunichte machen. Zum Glück brauchte sie nicht weit gehen. Scholuchern, den seine Unglücksfälle unruhig machten, stand, statt sich dem Schlafe zu überlassen, auf der Terrasse. Sie entdeckte ihn. Laßt uns keine Zeit verlieren, Prinz, sagte sie, entreißt Euch Eurer Sklaverei, kommt in die Arme einer Fee, die Euch anbetet, und entschädigt Euch da für alle Eure Leiden.

Ah, Prinzessin, rief Scholuchern; sollte die Zwickelbart wohl wirklich noch an mich denken? – Zweifelt nicht daran, gab sie zur Antwort. Ihr Herz, das von der lebhaftesten Liebe gegen Euch glüht, leidet ebensoviel, daß sie von Euch getrennt ist, als nur immer Ihr, daß Ihr so fern von Eurer Geliebten seid. – Ist sie noch immer Maulwurf? fragte er. Wie sehr habe ich befürchtet, der barbarische Schonkilje möchte sie in seine Gewalt bekommen! – Da Ihr nun seinem Zorn entgangen seid, versetzte die Prinzessin, so genießt eines glücklicheren Schicksals und gebt ihr die liebreizende Gestalt wieder, die Euch soviel Glut eingehaucht hat. Doch habt Ihr noch den Pantoffel der Fee? – Wohl hab ich ihn; allein seit den zehn Jahren, daß ihn ich besitze, ist es mir nicht möglich gewesen, ihn auch nur ein einziges Mal zu betrachten. Unaufhörlich beschäftigt, Purzelbäume zu machen oder für die Lustbarkeiten des Genius zu arbeiten, habe ich teils nicht die Zeit gehabt, ihn zu küssen, teils habe ich es auch nicht wegen der Besorgnis gewagt, daß der Genius mir diesen Schatz rauben möchte, wenn er mich in dessen Besitz wüßte. – Kennt Ihr die Eigenschaft dieses Pantoffels? fragte Neadarne. – Nein, und worin besteht sie denn? – Euch unsichtbar zu machen. – Ah! daß ich das nicht eher gewußt habe! rief er. Was für Qualen hätte mir diese Kenntnis nicht erspart! – Vielleicht [210] hätte sie Euch auch zu nichts geholfen, versetzte die Prinzessin. Die Absicht der Götter war unstreitig, daß Ihr zehn Jahre lang unglücklich sein solltet: und Ihr würdet vor der von ihrer Milde bestimmten Zeit Euch nur vergeblich um Eure Freiheit bemüht haben. Doch laßt uns abbrechen. Fürchtet noch immer den Zorn des Genius. Wacht er auf, so seid Ihr verloren! Nehmt Euren Pantoffel und folgt mir. – Also hat nicht er meine Leiden geendet? fragte Scholuchern. – Nein, versetzte die Prinzessin; ich habe ihn vergeblich beschworen, mir Eure Begnadigung zuzugestehen. – Seid wenigstens Ihr geheilt? fragte er.

Still! erwiderte Neadarne. Laßt Euch an dem Ort, wohin ich Euch bringen werde, ja keine Unbesonnenheit entwischen und behauptet, wenn es nötig ist, daß ich den Genius nur eine Minute lang und noch dazu in Eurer Gegenwart gesehen habe, sonst macht Ihr mich unglücklich. Ihr sollt dereinst die Ursachen erfahren, die Euch zwingen müssen, über diesen Artikel zu schweigen oder meine Reden zu unterstützen. – Fürchtet nichts, Prinzessin, sagte er, ich schwöre Euch unverbrüchliche Treue.

Nunmehr zog er den Pantoffel aus der Tasche und folgte der Prinzessin. Sie passierten die Wache, und keiner merkte etwas davon. Ohne Hindernisse gelangten sie am Hafen an. Sie nahmen eine von Schonkiljens Barken und verließen die Insel. Neadarne konnte sich nicht erwehren, öfters und etwas traurig nach der Gegend des Palastes zurückzublicken, wo sie den Genius verlassen hatte. Man tadle sie deshalb nicht, da ihre Tugend sich schon hinlänglich gezeigt hatte, um sich diese kleine Befriedigung zu erlauben; und das war wohl das wenigste, was sie für ihn tun konnte, ihn mit einigem Mißmut verlassen. Nicht etwa, daß sie ihn geliebt hätte, sondern weil sie von alledem, was zwischen ihnen beiden vorgegangen war, ihm nicht die Schuld beimessen konnte und weil sie ihn nach Recht und [211] Billigkeit als ihren Befreier betrachten mußte. Alle diese Vorstellungen erloschen in ihrer Seele, als sie ans Land trat. Sie fand ihre Leute an dem Orte wieder, wo sie ihnen befohlen hatte, auf sie zu warten. Scholuchern mußte in ihre Sänfte steigen, und sie nahmen den Weg nach der Tremissenstadt. Neadarne beschäftigte sich unterwegs bloß mit der Freude, die ihr Tanzais Anblick verschaffen würde.

Sie war wegen des Zaubermittels der Zwickelbart nicht mehr beunruhigt. Die Versuche, die sie deswegen mit Schonkiljen angestellt hatte, ließen sie gar nicht mehr zweifeln, daß der Prinz dadurch könne hintergangen werden. Sie hatte sogar, ehe sie Schonkiljens Palast verließ, jene hilfreichen Worte drei-oder viermal ausgesprochen; soviel Zutrauen sie aber auch dazu hatte, so konnte sie dennoch die Tremissenstadt nicht ohne Schauder ansehen. Die Notwendigkeit, worin sie sich befand, Tanzain Unwahrheiten zu sagen, die Besorgnis, er möchte, trotz ihrer Erzählung, hinter die eigentliche Wahrheit kommen, oder Schonkilje möchte plaudern, die Scham, womit sie sich in ihrem Innern überhäuft fühlte, erregten in ihrem Herzen die peinlichsten Bewegungen und hielten der Freude, mit ihrem Gemahl wieder vereinigt zu werden, die Waage.

Nicht ohne Grund war ihr vor seinem Anblick bange. Tanzai war, soviel Geist die Zwickelbart auch besaß und so viele Trostgründe sie auch bei ihm gebraucht hatte, vor Gram fast gestorben. Wie habe ich darein willigen können, sagte er zur Fee, daß sie Schonkiljen aufsucht. Das fehlte noch meinem Elend, mir selbst meine Unehre zu bereiten und es wissen zu müssen. Was wird mir diese Treulose bei ihrer Rückkehr sagen? Ach, vielleicht vergißt sie in diesem Augenblick in den Armen des Genius meine Liebe und Verzweiflung! – Vergessen wird sie Euch nie, antwortete die Zwickelbart, davon bin ich überzeugt, und ich wollte wohl dafür gut sein, daß, wenn sie durch ein sonderbares [212] Verhängnis, das ich mir aber nicht vorstellen kann, Schonkiljen sollte nachgegeben haben, ihre Tugend demungeachtet nicht wird verletzt worden sein. – Oh, versetzte er, in dergleichen Augenblicken erinnert man sich freilich seiner Tugend sehr, und es hängt zu der Zeit ganz von einem Frauenzimmer ab, sie fest vor den Augen zu behalten.

In dem Fall, versetzte die Zwickelbart, könnt Ihr ja der Prinzessin keine Vorwürfe machen. Und wenn sie von ungefähr so von der Insel zurückkäme, wie sie nach derselben abgereist, häßlich und unbrauchbar, was für eine Miene würdet Ihr Neadarnen alsdann machen? – Ich weiß nicht, sagte Tanzai; Ihr wählt Eure Zeit sehr gut, mir dergleichen Argumente vorzulegen. Ihr räsoniert über die Leidenschaften mit einer Genauigkeit, die höchst ungeduldig macht, und wenn Ihr nur eine schöne und lange Rede halten könnt, kümmert Euch das übrige wenig.

Ich hasse es auch, Euch so ungerecht zu sehen, antwortete die Zwickelbart, und ich wollte, daß Ihr weniger launenhaft wäret. Noch einmal, rechnet ein wenig auf meine Macht und laßt Euch durch die Fürsorge der Barbacela für Euch beruhigen. – Wenn ich, sagte der Prinz, zu meiner Beruhigung mich auf Euren oder der Barbacela Schutz verlassen soll, so kann ich meine Besorgnisse wohl behalten; und wenn ich auf die Fürsorge der letzteren aus einem gewissen Fall schließen darf, worin ich mich befand, so darf ich nicht hoffen, daß sie meiner Prinzessin nützlich sein wird. Warum habt Ihr selbst, wenn Eure Macht so groß ist, ihre Abreise nicht verhindert? – Ihr wißt, sagte der Maulwurf, daß man sich den hohen Befehlen des Schicksals nicht entgegenstellen darf. – Sehr wohl, erwiderte er, und wenn nun die hohen Befehle des Schicksals darin bestehen, daß Neadarne nicht so, wie ich wünsche, zurückkommt, als durch Schonkiljens Vermittlung? Weil man sich dem nicht widersetzen kann, welcher Wendung wollt Ihr Euch denn bedienen, um [213] die Vollstreckung dieser Befehle zu verhindern? Ihr, die Ihr so sehr Vernunftschlüsse liebt, hier ist einer, beantwortet ihn. – Das soll mir nicht schwer werden, erwiderte sie. Als Töchter des Verhängnisses wird uns das leicht, was den Sterblichen unmöglich sein würde. Kann es auch nicht uns zugunsten seine Aussprüche widerrufen, so mildert es sie wenigstens und gestattet uns, indem es uns unter ihm die Aufsicht über die Welt anvertraut, die Gegenstände zu begünstigen, gegen die wir unsere Huld erstrecken wollen. Ich glaube, Ihr zweifelt an meiner Freundschaft nicht, und Ihr müßt Euch erinnern, daß ich Euch vor Neadarnens Abreise sagte, falls sich Schonkilje nicht edelmütig gegen sie betrüge, würde er bloß ein Schattenbild an ihrer Stelle finden. – Da Ihr aber dies für mich zu tun imstande seid, sagte er abermals, weshalb habt Ihr es nicht für Euch selbst getan? Wer hinderte Euch, Eurem Scholuchern einen Schatten unterzuschieben und dadurch seine Strafe zu beenden? – Schonkilje würde es gemerkt haben, versetzte sie; Scholuchern mußte so lange Zeit in seiner Macht bleiben und wurde von ihm während seiner Gefangenschaft zu so vielen Verrichtungen gebracht, daß mir's nicht möglich gewesen sein würde, ihn darin zu hintergehen. – Aber bei der Verrichtung, versetzte Tanzai, wozu er sich der Prinzessin bedienen wird, kann er – das versteht sich – weit leichter hintergangen werden. Wahrhaftig, das Schicksal, Euer Vater, befiehlt gar herzlich alberne Dinge, und Ihr macht sie durch die sonderbarsten Mittel wieder gut.

Oh, Ihr verdient weder, daß man Euch Mut einspricht, noch daß Neadarne Euch mit so vieler Gewissenhaftigkeit liebt. Wenn sie Schonkiljen nicht sollte vermeiden können, würde es sich für Euch gar übel schicken, ihr deshalb Vorwürfe zu machen. Als es darauf ankam, eine Nacht mit der Kukumer zuzubringen, machtet Ihr weit weniger Schwierigkeiten, als Neadarne in dergleichen Fall machen würde. [214] Ihr glaubtet lächerlicherweise, daß der schönste Gegenstand auf Erden die Arme nach Euch ausstreckte; trautet all dem, was Euch die Nachteule vorschwatzte; und wenn die Prinzessin wüßte, wie weit Eure Untreue ging, so stehe ich nicht dafür, daß sie trotz ihrer Tugend einige Süßigkeit darin finden würde, Euch dafür zu bestrafen.

Um Scholucherns willen, liebe Zwickelbart, sagte Tanzai ganz betreten, erwähnt nie etwas gegen sie von der vermaledeiten Schnakeninsel. Sie wurde nur mehr denn zu gut gerächt, und wenn Ihr, woran ich nicht zweifle, das übrige von dieser Begebenheit wißt, so müßt Ihr nur Gerechtigkeit widerfahren lassen, und Euch ist alsdann nicht unbekannt, daß das Verlangen, sie wiederzusehen, mich antrieb, ein mehreres zu tun, mehr als das Verlangen nach meiner Wiederherstellung. – Ich will gern Euer Geheimnis bewahren, sagte die Fee, aber seid ruhiger und beleidigt mich nicht ferner dadurch, daß Ihr an meiner zweifelt. Sie erstreckt sich weiter, als Ihr denkt.

Der Prinz versprach ihr alles, was sie von ihm verlangte; allein seine Unruhe war so stark, daß er ihr nicht auf einen Augenblick Einhalt tun konnte; und daß die Fee, die über seine Klagen ungeduldig war, sich genötigt sah, ihn drei- bis viermal den Tag hindurch in tiefen Schlaf fallen zu lassen. Er würde überdem nichts als böse Träume gehabt haben, hätte nicht die Zwickelbart, zum Besten der Prinzessin, ihm lauter anmutige Träume zugesandt.

39. Kapitel: Mehr notwendig als angenehm
[215] Neununddreißigstes Kapitel:
Mehr notwendig als angenehm

Kaum hatte Tanzai eines jener holden Trugbilder verlassen, welche die Fee vor seine Phantasie schob, als er die Prinzessin ankommen sah. Er hatte eben von ihr geträumt, wie sie, fühllos gegen Schonkiljens Liebesglut, ihre Wiederherstellung ausschlug; und wie der Genius, durch soviel Tugend gerührt, sie ihr verschaffte, ohne weiter die mindesten Ansprüche auf ihre Erkenntlichkeit zu machen.

Dieser Traum hatte den Prinzen zu einem guten Empfang von Neadarnen gestimmt. Er eilte ihr entgegen; da er sie aber mit Schonkiljens Geschenken geschmückt und von Scholuchern geführt sah, bildete er sich ein, daß die Befreiung dieses Prinzen sie mehr denn eine Gefälligkeit gekostet haben müßte, und daß, wenn sie tugendhaft gewesen wäre, Schonkilje sie geschätzt, aber ihr nicht soviel bewilligt haben würde. Seine ganze Eifersucht erwachte; er sah sie düster an und erwiderte nur hochmütig die Höflichkeiten des Anbeters der Zwickelbart.

Kaum hatte die Fee den Scholuchern erblickt, als ihre Verwandlung aufhörte und Tanzai und die Prinzessin unter den galantesten Kleidern ein großes, etwas hageres Frauenzimmer erblickten, von einem verbuhlten, zierpuppenhaften und kostbaren Wesen, die sich in Scholucherns Arme warf. An der linken Backe hatte sie wirklich einen Zwickelbart wie die Chinesen, der das erste war, was Scholuchern küßte, und der, nach Tanzais Meinung, der Fee gar lächerlich zu Gesichte stand.

Da er ziemlich schlechter Laune war, untersuchte er Scholuchern genau, um ihn zu kritisieren. Nach dem reizenden Gemälde, das die Zwickelbart von ihm entworfen hatte, war er eines wunderschönen Jünglings gewärtig gewesen, und es tat ihm gar nicht leid, als er in jenem so hochgepriesenen [216] Prinzen ein Figürchen gewahrte von etwa vier Fuß Höhe; ganz schmächtig, unnatürlich in seinem gesamten Wesen, der ihm keine anderen Annehmlichkeiten zu haben schien als eine fade und süßliche Miene, die den Charakter seines Geistes und den Besitz ankündigte, worin er war, Frauenzimmern vom Schlage der Fee zu gefallen. Zu einer anderen Zeit würde Tanzai sich daran mehr belustigt haben, aber der Zorn, worin er gegen Neadarne war, erlaubte ihm nicht, darauf länger Aufmerksamkeit zu verwenden.

Die Prinzessin hatte sich ihm zitternd genähert, und indes die beiden wiedervereinigten Liebenden einander alles sagten, was eine lange Zeit hindurch unglückliche und endlich befriedigte Liebe Zärtliches einflößen kann, verweigerte Tanzai mit wilden Augen und düsterem Stillschweigen sich Neadarnens Umarmungen. Wie grausam seid Ihr, teurer Prinz! sagte sie zu ihm, wie übel erwidert Ihr meine Zärtlichkeit! Soviel Verachtung habe ich nicht verdient. – Geht nur, Madame, entgegnete er mit stolzer Miene, geht wieder zu Schonkiljen, und vergeßt meiner auf ewig. – Ich habe ihn nicht gesucht, gab sie zur Antwort. Ihr allein habt mich zu dieser leidigen Reise gezwungen, und ich sehe nicht ein, weshalb Ihr ...

In Wahrheit, Prinz, sagte die Zwickelbart, die sich ihnen während ihres Streits genähert hatte, Ihr seid auf alle Art und Weise sehr ungerecht; und wenn Ihr wüßtet, wie sehr Ihr über Eure Eifersucht zu erröten habt, so würdet Ihr sie nicht laut äußern. Hört mich an, fuhr sie fort, indem sie ihn beiseite zog. Erinnert Euch, was ich betreffs der Kukumer versprochen habe. In dem Augenblick, da Ihr Euer Wort gegen mich brecht, breche ich das meinige gegen Euch. Ich würde noch mehr getan, ich würde Euch die Unschuld der Prinzessin erwiesen haben; um Euch aber für Euren ungerechten Argwohn zu bestrafen, beraube ich Euch dieser deutlichen Beweistümer auf immer.

[217] Was in jener Insel vorgefallen ist, setzt Euch in Unruhe. Ich könnte Euch leicht durch Scholucherns Zeugnis, der Neadarnen nicht einen Augenblick verlassen hat, überführen, daß die Prinzessin, weil delikater als Ihr, den Genius ungeachtet seiner Schönheit und Macht zurückgewiesen hat. Aber Ihr verlangt stärkere Beweise, deren Ersichtlichkeit Euren Unglauben zuschanden macht. Ihr wißt, was Neadarne war, verlaßt Euch bei dem, was sie jetzt ist, nur auf Euch selbst. Gebt in den zärtlichsten Umarmungen jene düstere Schwermut auf, die die Prinzessin Euch vielleicht nicht verzeihen wird, wenn sie noch länger dauert. Erinnert Euch dabei, daß wenn Ihr sie auch nicht so finden solltet, als zur Tilgung Eures Argwohns erforderlich ist, daß Ihr unter allen Mannspersonen auf Erden gerade der seid, dem in jedem Betracht Klagen und Verweise am allerwenigsten erlaubt sind. Geht und büßt zu ihren Füßen das Verbrechen ab, sie so ungerechterweise beleidigt zu haben; und bringt sie, ohne die Zeit mit Fragen zu verderben, auf eine gute Art in die Stimmung, Euch vollständige Beweise sowohl von ihrer Tugend als von ihrer Zärtlichkeit für Euch zu geben.

Tanzai, der nicht wußte, was er der Fee darauf antworten sollte, kehrte mit einem eben so unterwürfigem als vorher hochfahrenden Wesen zu Neadarnen zurück; und da die Zwickelbart mit Scholuchern fortgegangen war, von dem sie noch sehr viele Aufschlüsse zu verlangen hatte, so sprach der Prinz zu seiner Gemahlin folgendermaßen: Wenn ich der Zwickelbart und meiner Achtung gegen Euch trauen darf, so habt Ihr keine Verräterei gegen mich begangen. Verzeiht es meiner Empfindlichkeit, daß ich an Eurer Tugend gezweifelt habe. Um ganz unbesorgt zu sein, hätte ich Euch gar nicht lieben müssen; und ich habe mich in Verhältnissen befunden, die für mich so äußerst peinlich, für Euch so gefährlich waren, daß mir's nicht möglich gewesen ist, ohne Besorgnis [218] zu sein. Jenes leidige Orakel, das den Befehl erteilte, Ihr solltet den Schonkilje aufsuchen, die Amtsverrichtungen dieses Genius, Eure Schönheit – wie viele Ursachen, um bange zu werden! O wie süß würde es für mich sein, wenn Ihr, vermöge Eurer Zärtlichkeit für mich, so viele Hindernisse überwunden hättet.

Ah, gnädiger Herr, antwortete Neadarne weinend, ich habe nicht einen Augenblick aufgehört, Euch zu lieben. Ihr schwebtet stets vor meiner Phantasie, und so konnte Schonkilje ungeachtet seiner Geflissenheiten auf ein Herz nicht Eindruck machen, das Ihr ganz allein besitzt. – Dieser Genius war unstreitig dringend, versetzte Tanzai. Ihr schient für ihn bestimmt zu sein, er wird Euch schön gefunden haben, er war unumschränkter Gebieter. – Erinnert Ihr Euch nicht mehr, gnädiger Herr, der schrecklichen Veränderung, welche die Nacht vor meiner Abreise sich mit mir zutrug; und glaubt Ihr, daß ich in dem Zustande ihm Begierden einzuflößen vermocht habe? – Es kam aber nur auf ihn an, jene Häßlichkeit verschwinden zu lassen, die er bewirkt hatte, und ich kann kaum glauben, daß er gegen Euch mehr Achtung soll gehabt haben als gegen die Frauen aus dieser Stadt, die mit Euch in gleichen Umständen waren. Gleichwohl hat er mich nicht auf einerlei Fuß mit ihnen behandelt, und ohne zu wissen, wem ich die Zurückgabe meiner Schönheit zu verdanken habe (weil Ihr doch findet, daß ich deren besitze), so trat ich in kurzem ihm so unter die Augen, wie jetzt Euch.

Was das betrifft, sagte der neugierige Tanzai, brauchtet Ihr also seinen Beistand nicht anzuflehen. Aber in was für einem Zustand kommt Ihr wieder zurück? Tragt Ihr noch die Merkmale der Rache der Kukumer an Euch? Und ist Euch der Genius in dem Stück so unnötig gewesen als in dem anderen? – Gnädiger Herr, versetzte sie mit niedergeschlagenen Augen, da ich meine erste Verwandlung nicht wahrgenommen [219] habe, so werde ich auch jetzt nicht imstande sein zu entscheiden, ob uns beiden noch das mindeste zu begehren übrig bleibt. – Ihr wißt wenigstens, fuhr Tanzai fort, ob Schonkilje gegen Eure Leiden fühlbar gewesen ist, und ich wäre Euch verbunden, wenn Ihr mir sagt, worin sein heiliger Wille, um mich der Worte des Orakels zu bedienen, gegen Euch bestanden hat.

Schonkilje, nahm die Prinzessin jetzt das Wort, lobte gleich anfangs die wenigen Annehmlichkeiten, die ich besitzen mag, mit Übertreibung. Er nötigte mich, ihm die Veranlassung meiner Reise mitzuteilen, beklagte mein Unglück mehr als nötig gewesen wäre und sagte mir endlich, das einzige Mittel, Kukumers Zauber aufzuheben, bestünde darin, mich seinen Begierden zu überlassen. – Nun? unterbrach sie Tanzai und ward vor Zorn feuerrot. – O Ihr wißt, gnädiger Herr, daß ich Euch liebe und fragt mich doch noch. – Aber was antwortetet Ihr ihm denn? – Alles was meine Leidenschaft für Euch mir nur eingeben konnte. – Verlor er denn gleich nach diesem ersten Versuche den Mut? Suchte er Eure Strenge nicht zu überwinden? Ihr verdienet, daß er sich Mühe gab, Euch zu besitzen; und ich finde, daß ich an seiner Stelle gegen eine Schöne, wie Ihr seid, nicht fühllos geblieben sein würde.

Gnädiger Herr, meine Weigerungen, meine abschlägigen Antworten verdrossen ihn, ungeachtet meiner wenigen Reize. War er gleich anfangs nicht so aufgenommen worden, als er sich's geschmeichelt, so glaubt' er doch, mich durch seine Aufmerksamkeit, durch seine Dienstgeflissenheiten zu bewegen, seine Huldigungen anzunehmen. Er hielt die verliebtesten Reden gegen mich; und da ihm mehr daran lag, mein Herz zu gewinnen, als die Freuden zu genießen, welche willfährige Schöne ihm überlassen, ohne daß es ihn Mühe kostet, so sparte er nichts, um mich zu überzeugen, daß ich den stärksten Eindruck auf ihn gemacht hätte. Die prächtigsten Feste [220] erklärten mir seine Liebe. Mehr unumschränkte Beherrscherin auf seiner Insel als er selbst, sah ich seine Untertanen nach seinem Beispiel sich vor mir demütigen. Der Geliebte der Zwickelbart, der lange in der grausamsten Gefangenschaft schmachtete, sah seine Ketten abfallen und seine Qualen sich enden; ich habe ihn endlich befreit ...

Und für alle diese Gefälligkeiten hätte der Genius keine Belohnung von Euch gefordert? Da Ihr seiner höchsten Gewalt in der Zeit unterworfen wart, als er sie Euren Händen anvertraut hatte, suchte er nicht sie gegen Euch auszuüben? Wie ist endlich Eure Kur bewirkt worden? – Der Genius wurde meiner Weigerung endlich ebenso satt als ich Eurer Fragen. Verliebter als Ihr und weniger ungerecht, hatte er Achtung für meine Tränen. Wer der Gegenstand seiner feurigen Triebe geworden ist, weiß ich nicht; ebensowenig weiß ich, in was für einem Zustande ich endlich seine Insel verlassen habe. Ich befinde mich wieder bei Euch, und Ihr stellt die schmachvollste Untersuchung mit mir an; erinnert Euch nicht, daß Ihr allein mich zu Schonkiljen geschickt habt, und wie sehr ich mich sträubte, Euch hierin Gehorsam zu leisten. Nun gut, so vollendet Eure Ungerechtigkeiten, zerreißt das Band, das uns miteinander verknüpft; und weil Ihr mich endlich zwingen wollt, Euch zu verlassen, so ...

Ach, Prinzessin, sagte Tanzai, indem er sich ihr zu Füßen warf, ich erkenne alle meine Vergehungen. Verschont mich mit Eurem Haß! Von allen Unglücksfällen, die mich betroffen haben, würde das der schrecklichste sein. Ja, ich glaube, daß Ihr, immer treu und zärtlich, Schonkiljens verliebtem Ungestüm nicht unterlegen seid. Aber was wollte denn das Orakel sagen? Und wenn Ihr so seid, wie meine Zärtlichkeit Euch wünscht, auf was für Art bin ich denn der Beschimpfung entgangen, die mir bestimmt zu sein schien?

[221] Ich habe Euch gesagt, Prinz, versetzte Neadarne, daß ich nicht weiß, ob wir die Kukumer nicht mehr zu fürchten haben. Gleichwohl habe ich Ursache zu vermuten, daß ihr Zorn nicht mehr unser Leben vergällen wird. Schonkilje, meines Widerstandes überdrüssig, überließ mich endlich mir selbst, nachdem er bei mir alles versucht hatte, was die Liebe nur Verführerisches einzugeben vermag. Ich ward in ein Gemach geführt, dessen Türen ich alle hinter mir verschloß; ich warf mich auf eine Ottomane, jammerte über meine Lage; fing an, tief über meine Unglücksfälle zu weinen, und schlief ein. Endlich erwachte ich nach einem Traum, der für meine Schamhaftigkeit und für meine Liebe höchst angreifend war, einem Traum, der mich jetzt noch, so wachend ich auch bin, mit Schreck und Scham erfüllt, nach diesem Traum glaubte ich eine merkliche Veränderung an mir wahrzunehmen.

Ach barbarischer Affe! rief Tanzai, das fehlte mir gerade noch! Dieser fatale Traum sagt mir nur zu deutlich, wie begründet meine Furcht gewesen ist. – Ich begreife gar nicht, erwiderte die Prinzessin mit einer zornigen Miene, woher diese Ausbrüche des Unmuts rühren können und auf was für Art ich Euch beleidigt haben kann! Bisher sind unsere Abenteuer einander so gleich gewesen, daß ich gar nicht geglaubt habe, Ihr solltet erstaunen, daß die meinigen sich auch mit einem Traum endeten. Da wir beide auf einerlei Art sind bestraft worden, weshalb sollte man uns nicht einerlei Hilfsmittel gegeben haben? – Ah, wollten doch die grausamen Götter, die mich verfolgen, rief Tanzai, daß ich mir nicht jenes abscheuliche Hilfsmittel vorzuwerfen hatte, das Euch so wenig Gewissensbisse verursacht. – Nun gut denn, Herr, versetzte Neadarne, überlaßt Euch Eurem Zorne. Ihr sucht alles hervor, um mich schuldig zu finden; gut, ich will es sein. Macht aus meinem Traume Wirklichkeit. Vergeßt, daß ich Euch nie Vorwürfe über [222] jenen Traum gemacht habe, der Euch die Kukumer Eurer Liebe so würdig schilderte, vergeßt, daß ich mich ohne Verbrechen dem Schonkilje hätte überlassen können; aber laßt mich auch Euch auf immer fliehen; und da Ihr mich Eurer Achtung nicht mehr würdig haltet, so sagt mir nie mehr etwas von Eurer Liebe vor.

Die Prinzessin sagte diese Worte in einem so strenggebieterischen Tone und äußerte soviel Zorn, daß Tanzai, von seiner Zärtlichkeit überwältigt, seinen Vorwürfen ein Ende machte. Er erinnerte sich jetzt der Probe, die ihm die Zwickelbart angeraten hatte, und deshalb bemühte er sich, Neadarnen zu besänftigen. Er umarmte sie aufs feurigste und brachte sie soweit, daß sie, ungeachtet ihres Zornes, ihm nichts abschlug. Ah! Barbar! sagte sie mit Zärtlichkeit zu ihm, laß mich gehen, du liebst mich doch nicht mehr. – Tanzai, der nur darauf bedacht war, seine Liebe und seine Neugier zu befriedigen, antwortete ihr nur durch verdoppelte Liebkosungen; und Neadarne, von ihrer Leidenschaft besiegt, widersetzte sich nicht länger einer Prüfung, die ihren Ruhm und ihre Ruhe auf immer sicherte.

40. Kapitel: Wie die Allerschlauesten sich fangen lassen
Vierzigstes Kapitel:
Wie die Allerschlauesten sich fangen lassen. Ankunft der Barbacela. Rückkehr nach Scheschian. Die Zwistigkeiten wegen des Schaumlöffels werden gütlich beigelegt. Ende der Geschichte

Bei alledem ist es doch ein herrliches Ding um Bezauberungen! Daß die Prinzessin bei Schonkiljen nicht mit einem bloßen Traum davonkam, ist allgemein bekannt; nicht minder hat es seine Richtigkeit, daß Tanzai, der vom Zaubermittel der Zwickelbart nichts wußte, sich zu dem [223] Geständnisse gezwungen sah, sein Mißtrauen sei ungerecht gewesen. Auch hatte Neadarne, der nicht wenig daran gelegen war, ihn zu beruhigen, bevor sie die Insel verlassen, dreimal die geheimnisvollen Worte über sich ausgesprochen; während des ganzen Weges von der Insel nach der Tremissenstadt hatte sie dieselben wiederholt, und man kann sich leicht vorstellen, daß sie's in ihrer jetzigen Verfassung nicht unratsam hielt, sich ihrer abermals zu bedienen. Diese Zauberworte, die sie so oft wiederholt hatte, ohne sich vorzustellen, daß sie gewisse Folgen haben konnten, hatten sie dermaßen verstellt, daß wenig fehlte, so bedurfte sie wiederum des Genius. Tanzai, den so viele Hindernisse ungeduldig machten, strengte vergebens alle seine Kräfte an, sie zu überwinden; weder seine Zärtlichkeit noch sein Mut waren ihm dazu behilflich. Vor Freude und Liebe außer sich, rief er: Ah! Prinzessin, wie groß ist mein Unglück! wie groß ist aber auch Eure Tugend! – Wie, Prinz, sagte sie zu ihm, noch immer Beschwerden! Hättet Ihr's lieber gesehen, daß ich Euch außerstand gesetzt hätte, Beschwerden der Art zu führen? – Ach, weshalb, fragte Tanzai, der jetzt nichts als seine Leidenschaft empfand, weshalb habt Ihr Schonkiljen alles verweigert? Wo wollen wir jetzt Hilfe herschaffen? Ach, nach dem Traume, den Ihr mir eben vorgeworfen habt, hatte ich wenigstens nicht nötig, zu einer zweiten Reise meine Zuflucht zu nehmen. Werdet Ihr aber nicht dazu verurteilt werden müssen? Doch sagt mir, ich beschwöre Euch, was für ein Traum umgaukelte bei Schonkiljen Eure Phantasie? – O erlaubt mir, jeden Umstand davon zu vergessen, entgegnete Neadarne. Wiewohl Ihr jetzt völlig überzeugt seid, daß ich meine Treue nicht gebrochen habe, so besitzt Ihr doch zuviel Delikatesse, um eine so unangenehme Sache weitläufig erzählen zu hören; und ich liebe Euch zu inbrünstig, als daß mir Euer Verdruß hierüber nicht das Herz durchbohren wollte. [224] So vergeßt denn jene Unglücksinsel auf immer und habt die Güte, mich nie mehr daran zu erinnern. Übrigens seid wegen meiner Genesung unbekümmert. Die Zwickelbart hat heute ihre ganze Macht wieder erhalten und wird sich der Kukumer widersetzen, auch wird Barbacela, die Vielvermögende, uns ohne Zweifel beistehen. Laßt uns sonach jene Fee aufsuchen, fuhr sie fort, und beharrt nicht weiter darauf, mich entzaubern zu wollen; Eure Bemühungen sind doch vergeblich.

Tanzai, der halsstarrigste Prinz von der Welt, war nicht gleich dieser Meinung; da er aber bald darauf die Wahrheit von Neadarnens Rede erkannte, verließ er mit ihr das Zimmer, um die Zwickelbart und Scholuchern aufzusuchen. Es würde lange dauern, alles nachzuerzählen, was er bei der Gelegenheit der Prinzessin Zärtliches sagte. Man denke sich einen innigst verliebten und höchst eifersüchtigen Menschen, der alles zu befürchten hat, und der nun auf alle Art und Weise überführt worden ist, daß er der ihm drohenden Gefahr entronnen ist.

Nicht lange, so begegneten sie der Zwickelbart, die, nachlässig an ihren geistreichen Scholuchern gelehnt, aus dem Garten kam. Die Fee ward an Tanzais zufriedener Miene leicht gewahr, daß Neadarne in seinen Augen von allem Verdachte rein war, und während die Prinzen ihre Höflichkeiten gegeneinander erneuerten, sagte die Zwickelbart zu Neadarnen, die sie beiseite zog: Nun, wie ist die Erläuterung abgelaufen? – In der Beziehung habe ich weiter nichts zu wünschen übrig, versetzte die Prinzessin. Mein Gemahl würde sich für strafbar halten, einen Verdacht gegen mich zu hegen. Aber, liebe Zwickelbart, ich werde mich wegen dessen, was mit dem Genius vorgefallen ist, nie trösten und mir stets wegen des Kunstgriffs Vorwürfe machen, dessen ich mich gegen Tanzain bedient habe.

Ich begreife, antwortete die Fee, daß für eine so tugendhafte [225] und aufrichtige Person wie Ihr jene beiden Punkte der schmerzhafteste Streich sein müssen, der ihr begegnen kann; aber beides war notwendig; und so ängstigt Euch deshalb nicht weiter. – Ah! Zwickelbart, entgegnete sie, wie ist das wohl möglich? Schonkilje hat mir gedroht, die Gestalt meines Gemahls anzunehmen, wenn er willens wäre, mir einige Gunstbezeigungen zu rauben. Die Furcht, daß er seine Drohungen halten möchte, hat solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich sogar vor einem Augenblick zweifelte, ob er oder Tanzai es wäre, der eine Erklärung von mir verlangte. Werde ich immer in dieser Furcht schweben müssen, meine Liebe?

Wenn sich's nun auch ereignete, daß Schonkilje sich dieser List bediente, Euch zu sehen, versetzte die Fee, was würde Eure Tugend dabei verlieren? Zudem könnt Ihr doch nie etwas anderes als ihn im Verdacht haben. – Ist das nicht hinlänglich! rief Neadarne. Um der Götter willen, befreit mich von dieser Furcht. – Das kann ich nicht, antwortete die Zwickelbart. Eben ist der Genius aus dem Schlaf erwacht, den Ihr ihm verursacht habt, und hat, voller Verzweiflung über Eure Flucht, den Plan gemacht, Euch beständig zu lieben. Er tröstet sich über Euren Verlust nur durch die Gewißheit, die er hat, Euch wiederzusehen. Aber, fuhr sie fort, entdeckt dem Prinzen ja nicht die Besorgnisse, die Ihr wegen Schonkiljen habt. Argwöhnisch, wie er ist, würde er Euch unaufhörlich beobachten und Euch durch zu große Zärtlichkeit unglücklich machen. Ihr müßt gleichwohl Schonkiljen sehr hassen, daß die Vorstellung, mit ihm wieder zusammenzukommen, Euch so sehr folternd ist. In vergangener Nacht war er Euch weniger verhaßt. – Ich unterlag der Strenge meines Schicksals, erwiderte die Prinzessin, aber aus meinem immer treuen Herzen wich Tanzais Bild nicht auf einen Augenblick. – Hierauf ließe sich wohl etwas antworten, entgegnete die Zwickelbart; [226] allein eine längere Unterredung möchte Eurem Gemahl vielleicht Verdacht einflößen, und ich will den Prinzen Scholuchern wiedersehen.

Nach diesen Worten näherten sie sich den beiden Prinzen, die bereits die besten Freunde waren. Sie nahmen zusammen den Weg nach dem Palaste, wo sie logierten, als ein glänzender, von Schmetterlingen gezogener Wagen sich aus den Lüften neben ihnen niedersenkte. An dieser pompreichen Equipage erkannten sie die wohltätige Barbacela. Tanzai eilte ihr mit um so mehr Freude entgegen, als er mit ihrer Wiedererscheinung alle seine Unglücksfälle geendet glaubte.

Die Feebeschützerin umarmte die Zwickelbart und Scholuchern zärtlich und wünschte ihnen zu einer so lang erseufzten Wiedervereinigung Glück. Was Euch anlangt, Prinz, sagte sie zu Tanzai, so habt Ihr seit meiner Abwesenheit viel ausstehen müssen, und die Prinzessin ist nicht ohne Qualen gewesen. Endlich hat das Verhängnis, das durch Euren Ungehorsam entrüstet war, sich durch meine Bitten besänftigen lassen. Mit Vergnügen erblicke ich den bezauberten Schaumlöffel an Euch, und wenn Saugrenutio in das willigt, was man von Euch begehrt, so werdet Ihr, sicher vor den Verfolgungen der Kukumer, die glücklichsten Tage erleben.

Ich glaube kaum, versetzte Tanzai, daß Ihr ihn so weit durch Überredung bringt. Seine Halsstarrigkeit betreffs des Schaumlöffels läßt sich nicht besiegen. Vergebens hat sich der ganze Staat gegen ihn aufgemacht, nichts ist in der Lage gewesen, ihn zu überwinden. Ich habe ein untrügliches Mittel, ihn zum Gehorsam zu bringen. Doch kommt in diesen Wagen; wir werden uns sogleich in Scheschian befinden, wo Ihr der vollkommensten Ruhe genießen werdet. – Die beiden liebenden Paare gehorchten der Fee; und da der Flug des Wagens ihre Ungeduld unterstützte, erblickten [227] sie die Hauptstadt der Scheschianei in sehr kurzem wieder.

Die Freude des Cephaes, als er die beiden Vermählten wiedersah, läßt sich nicht beschreiben. Nach sehr vielen Liebkosungen und Fragen verlangte die Fee, daß Saugrenutio gerufen würde. Seit der Abwesenheit des Prinzen hatten die Sachen eine ganz andere Gestalt bekommen. Der Patriarch war gestorben. Der Oberpriester trachtete insgeheim nach dieser Würde. Da sie aber ganz vom Könige abhing, so hatte er wenig Aussicht, sie zu erhalten, wofern er nicht im Punkt des Schaumlöffels nachgiebiger würde. Ehrgeizig wie er war, schreckte ihn der Schaumlöffel schon weniger, da er einen so wichtigen Posten damit verknüpft sah. Ungeachtet seiner Empörung würde er jetzt keine Bedenken getragen haben, den Löffel zu lecken, wenn er von gewöhnlicher Dicke gewesen wäre; aber zu der Schande, einen Widerruf zu tun, gesellte sich noch der Schmerz, den ihm dies ganz unstreitig verursachen mußte, und zugleich die Vorstellung, daß ihm sein Mund und seine Zähne dadurch ganz zugrunde gerichtet werden würden. Diese beiden Beweggründe waren es lediglich, die ihn abhielten, Gehorsam zu leisten.

Der König, dem nichts mehr am Herzen lag als die Wohlfahrt seines Sohnes, willigte ein, Saugrenutio zum Patriarchen zu ernennen, wenn er sich zu seiner Pflicht bequemte. Ein geschickter Unterhändler des Cephaes hatte dem Oberpriester verdeckt Anträge getan, und Saugrenutio stand eben mit ihm in Unterhaltung, als die Fee kam. Er nahm es für kein übles Zeichen auf, daß er zu ihr gefordert wurde. Das Gerücht war schon lange gegangen, daß diese Fee ihn geliebt habe; und die Sache mag nun wahr sein oder nicht, soviel ist gewiß, daß sie für ihn stets jene Art von Achtung hatte, die man für Personen beibehält, mit denen man auf freundschaftlichem Fuß gelebt hat. Man [228] war daher ganz über die Maßen erstaunt gewesen, als man vernommen, diese Fee habe ihn zum Lecken des Schaumlöffels bestimmt, und maß diesen üblen Streich, den sie ihm spielte, irgendeinem geheimen Unwillen bei, der sie gegen ihn beseelte. Gleichwohl mißfiel Saugrenutio die Ankunft der Barbacela nicht, und er stellte sich sogleich nach erhaltenem Befehle ein.

Tretet näher, sagte Barbacela zum Priester. Ich weiß, was für Gründe Euch abhalten, Eurem Könige zu gehorchen und auf Euer wahres Interesse Rücksicht zu nehmen. Ich kann Euch zugunsten das Hindernis heben, das Euch so furchtbar ist. Die Dicke dieses Schaumlöffels schreckt Euch ab. Seid ganz getrost. Auf mein Feenwort, dieser Löffel soll nichts Widriges, Empörendes mehr für Euch haben. Zur Belohnung Eures Gehorsams habe ich vom Könige ausgewirkt, daß er Euch zum Patriarchen ernennen will. Seid Ihr mit meinem Vorschlag zufrieden?

Ich bin's, sagte Saugrenutio, und will morgen im Beisein des Adels und der Geistlichkeit den Löffel lecken, weil es denn einmal nicht anders geht. Der Prinz machte ihm hierüber ein sehr höfliches Kompliment, und der König ernannte ihn auf der Stelle zum Patriarchen der großen Scheschianei. Jedermann schien mit dieser Aussöhnung zufrieden. Die Priester allein beschuldigten Saugrenutio der Niederträchtigkeit und hegten nur Verachtung gegen einen Menschen, der, wie sie sagten, die Ehre der Religion verkaufe; da es doch keinen unter ihnen gab, der nicht um niederen Preis weit mehr verkauft haben würde.

Tanzai, der vor Ungeduld kochte, im völligen Besitz von Neadarne zu sein, fragte den Oberpriester, ob er nicht auf der Stelle den Schaumlöffel lecken könnte. Dieser ließ es sich gefallen. Allein die Fee versicherte ihm, es käme viel darauf an, daß diese Zeremonie öffentlich geschähe. Der Prinz sah sich abermals genötigt zu warten und brachte [229] auf Anraten der Barbacela die Nacht von der Prinzessin entfernt zu. Die Zwickelbart leistete letzterer Gesellschaft und Scholuchern ersterem. Neadarne entdeckte der Zwickelbart, daß sie die Zauberworte zu oft wiederholt zu haben glaubte, und die großmütige Fee gab dem Dinge, man weiß nicht wie, abhelfliche Maße.

Endlich brach der so heiß ersehnte Tag an. Der König, die Fee und die beiden Paare begaben sich frühzeitig nach dem Tempel. Hier leckte Saugrenutio, mit dem Schmuck seiner neuen Würde angetan, im Beisein des Adels und der Priester den Löffel mit übernatürlicher Grazie. Im Grunde der Seele war er entrüstet, daß er sich so weit herabwürdigen mußte; um sich darüber zu trösten, verordnete er in dem ersten Dekret, das er ergehen ließ, daß künftig kein Priester sollte aufgenommen werden, wenn er nicht zuvor den Schaumlöffel geleckt haben würde. Daß dies Dekret nicht ohne Debatten durchging, kann man sich leicht vorstellen; und es blieb zu allen Zeiten eine Quelle der Zwietracht für die Scheschianei.

Nachdem diese erhabene Zeremonie beendet war, kehrte man in den Palast zurück. Barbacela versicherte die beiden Neuvermählten ihres beständigen Schutzes und der Ohnmacht der Kukumer, sie ferner zu quälen, worauf sie nach der Insel Tändelholm zurückkehrte. Tanzai war nun auf dem Gipfel seiner Wünsche; und da er ebensosehr geliebt wurde, als er liebte, erinnerte er sich nicht mehr der Besorgnisse, die Schonkilje in ihm erregt hatte; die zärtliche Neadarne verlor in den Armen ihres Gemahls das Andenken an die Kukumer und vielleicht auch an den Genius. Die Zwickelbart und Scholuchern, nachdem sie eine Zeitlang in Scheschian geblieben waren, um Tanzais Freuden zu teilen, kehrten zur Barbacela zurück, zuvor aber hatten sie den beiden Vermählten versprochen, sie oft zu besuchen. Cephaes, müde, länger zu regieren, trat seinen Thron Tanzai [230] ab, der, immer noch verliebt, sich so viele Erben als möglich verschaffte. Neadarne sagte nicht, ob sie Schonkilje wiedersah; und das Glück des königlichen Paares war so groß, daß sogar die Kukumer seine Freundin ward. Hier muß ich aus Mangel archivalischer Nachrichten die außerordentlichste Geschichte beenden, die man vielleicht jemals zu schreiben sich hat einfallen lassen.

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TextGrid Repository (2012). Crébillon, Claude-Prosper-Jolyot de. Roman. Der Schaumlöffel. Der Schaumlöffel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-58E1-A