Johann Jakob Dusch
Drey Gedichte

'Tis hard to say, if greater want of skill

Appear in writing or in judging ill:

But of the two, leß dang'rous is th' offense,

To tire our Patience, than mis-lead our Sense.

Pope Ess. on Critic.

[3] Vorrede

Meine Freunde.


Hier habt ihr endlich diejenigen Gedichte, die ihr schon so lange Zeit her von mir verlanget: erinnert euch aber, daß ihr die Verantwortung aufnehmen müsset, wenn sie die gehörige Reife noch nicht erlanget haben. Wenn ich euch dieses entgegen setzte, so pflegtet ihr mich mit dem Horaz abzuweisen:


Vbi plura nitent in carmine, non ego paucis
Offendar maculis.

und ihr sehet itzo, daß ich so gefällig bin, eure Antwort für Ernst aufzunehmen. Wenn ihr wider euer Gewissen geurtheilet habet, so sey dieses eure erste Strafe, sie [3] noch einmal zu lesen, und dann erwartet das Urtheil der Welt, mit mir den Schimpf zu theilen, wenn es eurem Ausspruche keine Ehre machet. Sollten die wöchentlichen Scribenten und Freydenker sich aufmachen, so werde ich euch meine Vertheidigung allein überlassen. Ihr wisset, diese Leute haben den Beruf zu urtheilen. Nach allen Grundsätzen werden sie es für einen Eingriff in ihre Rechte halten, daß ihr euch unterstanden habt, zu urtheilen: aller Billigkeit nach solltet ihr nur nachbethen. Ich hatte anfänglich einen boshaften Einfall wider euch. Ich wollte alle Fehler, die ich nur auftreiben könnte, anmerken, und meinen oder vielmehr euren Kunstrichtern die Wege zeichnen, wo sie euch ohne Vertheidigung überraschen sollten: allein dies war nur ein flüchtiger Einfall; denn ich merkte bald, daß ich gegen euch zu viele Hochachtung und gegen mich selbst zu viele Freundschaft besaß.

Wenn ich überdem aufrichtig reden soll, so hätte ich mich gewiß nicht aus Demuth getadelt. Sich selbst loben, [4] ist zuweilen nicht so hochmüthig, als sich selbst tadeln. Ihr glaubt vielleicht, daß ein Schriftsteller es sehr gut mit euch meynet, wenn er euch eine Menge von seinen Fehlern vorbethet; aber lasset euch sagen: er meynet es zehnmal besser mit sich selbst. Werdet ihr nicht auf die Gedanken gerathen, daß er eine feine Urtheilskraft besitze, und Fähigkeit genug, Fehler zu verbessern, die er selbst gefunden hat? Das will er euch nur sagen; und das hätte ich andern auch sagen wollen, wenn ich bey meinem ersten Einfalle geblieben wäre, mein eigner Kunstrichter zu seyn. Ihr sehet zum wenigsten, daß ich sehr aufrichtig bin.

Demjenigen, der sich über die Noten aufhalten sollte, gebet in meinem Namen den Rath, daß er sie überschlage. Mich dünkt, es ist nichts leichter, als das. Wenn ihr etwan einen Mann, mit einer Donnerwolke um das verlorne Gesicht, mit einem Halstuch, dreymal über einander geflochten, und dann einen Zipfel durchs Knopfloch gezogen, eifern hört; wenn er euch von den schönen Wissenschaften [5] ein solches Galimathias sagt, als ich neulich in einem gewissen öffentlichen Blatte las, und kein poetisches Zeug mehr lesen mag: so macht eine tiefe Verbeugung, und rathet ihm, daß er indeß einen Logarythmen ausrechne, oder zu einem dunklen Worte einer todten Grundsprache das verlorne Stammwort suche; oder laßt ihn neue Redensarten aus den Schriften des Cicero zusammen tragen, und seine handveste Uebersetzung dabey drucken lassen. Ich sage es aufrichtig, von Leuten nach dem Boileau:


Tout herissé du grec, tout bouffu d'arrogance.


mag ich nicht gelesen werden; sie haben viel zu viel gelernt, mich zu verstehen.

Das ist eine sehr lange Vorrede vor drey Gedichte! Und doch wird sie noch etwas länger werden. Bisher habe ich von andern geredet; itzo werde ich erst von mir selbst reden: und ihr habt es als eine große Sittsamkeit auszulegen, wenn ich noch erträglich kurz bin.

[6] Das erste Gedichte veranlassete das Vergnügen vieler angenehmen Tage, und die Freundschaft, die ich auf dem Landgute von den Eigenthümern genoß. Es beschreibt einige Seiten der Natur, so wie sie aus einem bestimmten Gesichtspunkte in die Augen gefallen sind. Es begreift das Vergnügen eines Tages. Es hätte vielleicht ein Frühlingstag heissen können? Ich glaubte aber dieses der Liebe meiner Freunde schuldig zu seyn, daß ich meinem Gedichte den Namen desjenigen Ortes gab, wo ich so vieles Vergnügen genossen hatte. Die Erfindung der Verwandelung einer Nymphe in einen Bach, der in dieser Gegend unter dem Namen der Au bekannt ist, gehöret dem Ovid. Ich bin versichert, daß ihr die Nachahmung liebet. Sollte jemand diese einen Diebstahl nennen, so saget ihm, daß Pope ein gleiches Verbrechen zu verantworten habe; und schlaget ihm seinen Windsorwald auf.

Die Idee des zweyten Gedichts an den Hrn. M** ist aus einem Briefe des Bollingbroke genommen. Der Brief nennet sich Letter of the true use of study and Retirement.

[7] Das dritte ist eine Zwischenfabel, und ein Fragment eines großen Gedichts. Ich wünschte, diese Probe bekannt zu machen, um zu erfahren, ob ich Kräfte genug hätte, meinen Plan auszuführen. Die Materie des Ganzen ist ein Stück der israelitischen Reise durch die Wüste, eine Erzehlung der Wunder in Egypten, des Ausgangs, und endlich der Gebung des Gesetzes: eine Materie, die ich für ein Heldengedicht so erhaben und würdig halte, als irgend eine andere. Ihr sehet also, daß es noch nicht zu seiner völligen Reife gelanget ist. Haltet euer Wort, und vertheidiget euer erstes Urtheil.


Rendsburg, den 2 December, 1775.


Der Verfasser.

[8] Tolk-Schuby ein Gedicht an die Herren E*** E***

Hic ver purpureum, varios hic flumina circum

Fundit humus flores; hic candida populus antro

Imminet, et lentae texunt vmbracula vites,

Huc ades!

Virg.


[9][11]
Beglückt, wer so, wie Ihr, in eignem Schatten lieget,
Die Schöpfung um sich sieht, und sich daran vergnüget;
Wer in den dunklen Hainen, von reiner Luft gekühlt,
Die Schauer der Entzückung tief in der Seele fühlt;
Auf Fittigen der Ruh zum Schöpfer sich erhebet,
Und, weisen Tiefsinns voll, empfindet, daß er lebet!
Wer vom Geräusch der Städte, im Denken ungestört,
Mit seines Hauses Göttern zur Einfalt wiederkehrt!
Im mäßigen Bezirk von väterlichen Gründen
Wird er dich, o Natur der Alten, wiederfinden,
Ein freyer Erdenbürger, nicht Thoren ausgestellt,
Und unter deinem Zepter Herr seiner kleinen Welt,
Der hier auf eigner Flur, und dort auf eigner Weide,
Die Heerden wimmeln sieht, und wallendes Getreide!
[11]
Mit Euch hab ich mir öfters in Gängen voller Nacht,
Oft in den Rosenthälern das Leben schön gemacht.
Oft hörten wir entzückt, in Büschen an den Quellen,
Das Lied der Nachtigall, und das Gespräch der Wellen,
Die Harmonie der Thäler, der Wälder und der Flur,
Die allgemeinen Hymnen der feyrenden Natur.
Oft hat der frische West, der in die Blätter spielet,
Und ihre Schatten wiegt, auch meine Stirn gekühlet:
Oft, wo er seine Flügel in Frühlingsdüften taucht,
Mich aus dem Blumenthale balsamisch angehaucht:
Oft von dem See herauf, den leicht sein Fittig rühret,
Hat er mir Harmonie und Stärkung zugeführet.
Laßt mich noch einst, Ihr Brüder, den Schauplatz übersehn,
Und irrend durch die Gegend mit meiner Muse gehn.
Unsichtbar folg ich Euch, gefesselt in den Schranken,
Die mir mein Schicksal setzt, zum mindsten in Gedanken.
Du Aufenthalt des Friedens, geliebtes Schattendach,
Wo ich oft in Gedanken, auf Moos gebettet, lag;
Wo oft in Einsamkeit, vom leichten Schlaf begleitet,
Die Stille über mir die Flügel ausgebreitet;
[12]
Mein Tempe, sey gegrüßet! nimm, angenehmer Hain,
In Lauben voll Gerüchen den stillen Dichter ein!
Er geizt nicht nach dem Stolz von delphschen Lorbeerblättern:
Mit Epheu, welche hier um deine Buchen klettern,
Soll er den Schlaf beschatten; und muß er schöner seyn,
So tragen jene Thäler noch Morgenrosen drein.
Hier, Muse, zog dich je die Gunst für meine Lieder
Aus deiner Höh herab, hier steig zu mir hernieder!
Nicht nur Epirens Tempe, nicht Orchomen allein,
Auch diese Gegend lächelt, die Thal, und dieser Hain.
Noch schlummert weit umher, in Gründen und auf Hügeln,
Die schweigende Natur, verhüllt in ihren Flügeln.
Noch hängt, im Morgentraume, von Thau und Schlummer schwer,
Der todte Wald die Blätter, und alles um ihn her
Sein taumelnd Haupt herab. In nebelichter Hülle
Graut über ihm der Tag, und sichtbar ist die Stille.
Der weite Tempel Gottes, Berg, Thal, und Hain und Flur,
Raucht noch nicht von dem Weihrauch der opfernden Natur.
[13]
Noch rührt ein schräger Strahl die blaue Atmosphäre,
Bricht sich zum Theil herab, und fällt zum Theil ins Leere.
Das dunklere Gewölbe erhellt sich nach und nach:
Ein heitrer Kreis im Osten verkündigt ihm den Tag.
Er dehnt sich prächtig aus, und überströmt vom Schimmer,
Eröffnet sich der Tag Aurorens güldnes Zimmer.
Der Sonnen halbe Scheibe schaut glüend in die Flur,
Vergüldet ihre Hügel, und grüßet die Natur.
Welch eine neue Welt, gekleidet in Vergnügen,
Sieht ungesättiget mein wandernd Auge liegen!
Die warme Luft entwickelt, in Wald, und Thal, und Flur,
Die reifen Embrionen der schwangeren Natur.
Das Leben strömt herab. Aus Feldern, die gebähren,
Steigt hier ein düftend Kraut, und dort die Saat der Aehren.
Auf jener weiten Fläche, die Frucht für Arbeit gab,
Wälzt sich mit grünen Wogen ein flüchtig Meer hinab;
Ein Schatz, den jedes Feld dem frohen Landmann bringet,
Das erst sein Pflug zerriß, und dann sein Schweiß gedünget.
[14]
Nun stirbt die Winterflamme, die sonst mit Busch genährt, 1
Die schwarze Tenn erleuchtet, auf dem verlaßnen Heerd;
Es raucht sein hangend Dach, mit frischem Moos bedecket,
Nur, wenn sich tief ins Feld sein langer Schatten strecket.
Verödet liegt die Hütte, so lang er froh bemüht,
Die Pflugschaar mit dem Stiere durch seine Felder zieht;
So lange auf der Trift, wo er auf weiche Rasen
Die müden Glieder streckt, die Heerden um ihn grasen.
Doch, wenn der Abend kühlet, hält eine tiefe Ruh
Ihm willig beyde Arme von seinem Lager zu.
Auf stillen Fittigen, ihn wieder zu verjüngen,
Wird sich dann über ihm ein Balsamschlummer schwingen.
Kein schwarzer Traum des Neides, der sich zum Schatten härmt,
Kein Schrecken wird ihn ängsten, das um den Hochmuth schwärmt.
Gram, und die blasse Furcht, gefesselt an den Ketten,
Worin das Laster geht, rast um entweihte Betten,
Rauscht um die güldne Decke, worinn zur Mitternacht
Die Schuld vor Teufel zittert, die sie des Tags verlacht,
Schwärmt im gewölbten Saal, und führet die Gesichter
Der Höllen vor dem Pfühl erhabner Bösewichter.
[15]
Ihn wird nicht Kummer wecken, wenn Stolz und blasser Neid
Von rothgeweinten Augen der Bürger Schlaf zerstreut,
Noch Sorgen, die den Geiz, bey ungeschloßnen Augen,
Von Blut bis auf die Haut, wie Igel, ledig saugen. 2
Heil dir, beglückte Einfalt! du letzte, edle Spur
Des ersten güldnen Alters, des Standes der Natur.
Die Freude und die Ruh, verscheucht von güldnen Schwellen,
Schwingt sich zu dir ins Thal, und ruht bey dir an Quellen.
Die Hoffnung, minder prächtig, führt den gebückten Stier
Durch väterliche Furchen, und sprosset hinter dir.
Vom Dampf der Städte fort, gießt in die reinern Lüfte
Gesundheit Balsam aus, der Frühling holdre Düfte.
Der blasse Sybarite verachte deinen Pflug:
Die Leiche seines Palasts, sich selbst nicht stark genug,
[16]
Der, wenn dein fester Fuß sich frisch auf Blumen hebet,
Durch güldne Zimmer schwankt, und durch die Kunst nur lebet.
Die Ehre folgt der That, und ruht auf keinem Stande:
Um Schlösser schwebt kein Ruhm, um Hütten keine Schande.
Einst war die Arbeit herrlich. 3 Asträens Alter trug
Die Krone um den Scheitel, und in der Hand den Pflug.
O laßt mich meinem Trieb! folgt mir, mit einem Blicke,
Ins Alter der Natur und Sparsamkeit zurücke.
Laßt mich, Ihr wehrten Brüder, der Helden Asche weihn,
Und eine Hand voll Blumen auf ihre Gräber streun.
Dich sahn, o Curius, den Frieden zu erbitten, 4
Am väterlichen Heerd erstaunende Samniten,
Den Held, den durch die Thore der Siegeswagen trug,
Nährt schlechte Kost der Felder, tränkt jetzt ein irdner Krug.
[17]
Hört dort den Regulus, der Didons Volk geschlagen, 5
Im Lorbeer des Triumphs um seine Pflugschaar klagen:
Den Schutzgott der Quiriten beugt eines Diebes Hand,
Die seines Hauses Nahrung mit seinem Pflug entwandt.
So herrlich war der Stand, eh Stolz die Welt regierte, 6
Daß eine Heldenhand ihn durch den Acker führte.
Die Hand, die hier bekleidet mit königlicher Macht,
Roms kleine Welt beherrschte, und dort das Glück der Schlacht,
[18]
Verachtete die Ruh in weibischem Vergnügen,
Und führte hier den Pflug, und dort das Schwerdt zu Siegen.
Hebt nun von euren Feldern die fromme Hand empor;
Die Saat ist ausgestreuet, die Hoffnung keimt hervor.
Schau gnadenreich herab, Du, der das Jahr regieret, 7
Der Zeiten Wechsel schuf, und um den Erdkreis führet!
Erwärmt mit thaunden Flügeln, ihr Wind, ein schwangres Feld.
Ergießt euch, mildre Wolken, und seugt den Wunsch der Welt!
[19]
O daß kein scharfer Nord dich, ruhigs Thal, zerrütte,
Und Mehlthau, oder Frost von kalten Flügeln schütte!
Daß doch kein Sturm aus Rußland die blühende Natur
In eine Wüste stürme! Daß über dieser Flur
Sein giftger Athen nie in spätem Hagel rase,
Noch seine Legion von Ungeziefer blase!
Zum mindsten muß er schadlos vor euch vorüber ziehn,
Unschuldige Gefilde, und still eur Lenz verblühn.
Dann mag die Rache da Verderben um sich hauchen,
Wo mit unschuldgem Blut gedüngte Länder rauchen;
Auf Erndten, die der Eigner, den mächtig Unrecht schlug,
In Aehren hinterlassen, beladen mit dem Fluch:
Auf Thäler, die Gewalt der Armuth abgestritten,
Mag sie zusammen ziehn, und allen Donner schütten!
Ihr Saaten dieser Fluren, auf deren schwangrem Schooß
Nicht Blut noch Thränen flossen, wachst ihr in Frieden groß!
Dann, wenn, von schwerer Frucht, eur hangend Haupt sich krümmet,
Und gränzenloses Gold in diesen Flächen schwimmet,
Dann laßt mich, voll Gedanken, in euren Schatten gehn,
Und durch die weiten Fluren die Wellen laufen sehn,
[20]
Und, wenn ich dichtend geh, der fortgewälzten Aehren
Sanft rauschenden Gesang Entzückung lispeln hören!
An diesem Rosenbusche, den tiefe Still umfängt,
Um den ein Kranz von Buchen die breiten Zweige hängt,
Der hier Gerüche haucht, und von bemooßten Hügeln
Gebeugt den Teich beschaut, sein blühend Haupt zu spiegeln,
Will ich mich niederwerfen, den streitenden Tumult
Von Stimmen anzuhören: mit froher Ungeduld
Rauscht unstät um mich her des Busches frohe Menge,
Und jägt im Schatten sich, und schlägt, und lärmt Gesänge.
Hier braust ein Schwarm von Spreen, nicht furchtsam für Verrath,
Stürmt aus dem Erlenbusche, und stürzt sich auf die Saat.
Dort schlägt ein wilder Heer mit schwirrendem Gefieder
Die Luft, die um ihn rauscht, und fällt in Wolken nieder.
Hoch zieht dort über Wälder (kein Donner trifft da mehr)
Die Colonie der Enten in einer Reih einher,
Schifft langsam um den Teich, und spähet sich im Fliegen
Im Schilf ein Lager aus, und senkt sich da zu liegen.
Dort am bemoosten Dache, worum ein Rauch sich zieht,
Schaut Progne aus der Hütte, und schwirrt ihr stammlend Lied.
[21]
Die Schwestern jagen sich, bald hoch, bald wieder tiefer,
Und taumeln in der Luft, und haschen Ungeziefer.
Hier schilt der bunte Täuber, und schwellt den weiten Kropf, 8
Und dreht sich um sich selber, und senkt und hebt den Kopf,
Bis sich die Taube naht; dann, stolz bey ihrer Bitte,
Bläht er sich prächtig auf, und trabt vor seiner Hütte.
Welch ein Tumult von Schwalben! Ihr ängstliches Geschrey
Verkündiget dem Thale, daß wo ein Räuber sey.
Lang schwärmen sie um ihn; gewarnt durch ihr Getümmel,
Wagt sich kein Vogel aus, und scheut den freyen Himmel.
Dort, nur ein Punkt dem Auge, dreht sich der Wüterich!
Tritt hier in diese Schatten, o Freund, und rüste dich,
Indem er hoch herab ein zitternd Opfer findet,
Und aus den Wolken sich gemächlich niederwindet!
Und wenn er, zum Triumphe, mit träger Majestät
Im weiten Kreis sich langsam um seine Beute dreht;
[22]
So laß ihn aus der Luft, gerührt vom Donner, fallen,
Und im Triumph umher die Gegend wiederschallen. –
Er fällt – die Thäler jauchzen – er fällt, und spornt voll Wut
Den Boden mit den Flügeln, und flattert noch im Blut.
O Freund, an jenem Thor verbreitet aufgehangen, 9
Soll der Tirann der Luft, dein Siegeszeichen, prangen.
Dort, wo im Duft der Linde, die, von der Kunst gebeugt,
Die blätterreichen Arme um ihre Schatten beugt,
Der leichte Zephir hüpft, und von dem Teich her kühlet,
Der an den grünen Strand die Silberwellen spielet,
Dort hebt der Lenz vom Grünen sein blühend Haupt heraus,
Und haucht in Balsamdüften umher Erquickung aus.
Schau, wie die Blumen hier, zum Theil voll ausgegangen,
Wie tief gefallner Schnee, dick um die Zweige hangen;
Indem die Apfelblüte in Schaalen unmuthsvoll
Erröthet, daß ihr Schmuck sich so spät entfalten soll.
[23]
Der angenehme Hauch der Weste schmeichelt ihnen,
Und rund um saust zum Schlaf Hybläens Schwarm von Bienen. 10
Hier laß uns in Gerüchen die Wollust der Natur
Mit allen Sinnen schöpfen. An dieser Blumenflur
Laß uns tief Athem ziehn, die Düfte zu verschlingen,
Die sich zum Schöpfer auf, wie stiller Weihrauch, schwingen.
Hier laß uns, ganz Empfindung beredt im Schweigen gehn,
Und Hand in Hand verbunden, satt hören, satt uns sehn.
Doch welch ein kühler Wind regt plötzlich seine Flügel?
Was trübt den nahen Teich, und schwärzt des Himmels Spiegel?
Schnell stößt der Sturm von Bäumen ein Regenschaur von Schnee;
Jägt Staub und Blatt im Wirbel, und bläst es in die Höh.
[24]
Der Buchwald schüttelt sich, und rauscht, und regnet Blätter;
Die Schwalbe streichet tief, und prophezeyt ein Wetter.
Dort in der Mittagsgegend birgt sich Gewölke auf,
Versammlet seine Donner, und wälzt sich schwarz herauf.
Nun ruht der Wirbelwind: die Biene eilt zu Hause;
Die Espe bebt nicht mehr: in allgemeiner Pause
Hält die Natur den Athem; der Puls er Schöpfung steht,
Die alle Hände faltet, da Gott in Wolken geht.
Auf schwarzen Fittigen des Windes fortgetragen,
Rollt langsam am Olymp der Donner ehrner Wagen, 11
Und unter ihm erbebet ein breiter Erdenstrich;
Der Weltgeist deckt verbreitet die Flügel über sich.
Im Thal, und auf der Flur, und unter todten Zweigen,
Herrscht weit und breit umher ein feyerliches Schweigen.
[25]
Nun traurt der ganze Himmel; 12 schnell reißt sich aus dem Schooß
Der schwangern tiefen Wolke ein schimmernd Feuer los,
Ein Donner schlägt ihm nach, und wälzt sich mit Getümmel
Von Pol zu Pol hinab, und wandelt durch den Himmel.
Die schwere Wolke träufelt; gerader Regen fällt
In langen schweren Tropfen, und düngt mit Salz das Feld.
Von neuem regt der Wind sein kühlendes Gefieder,
Zerreißt die Wasserlast, und jägt den Regen nieder.
O Freund, wer ist die Gottheit, die jetzt im Wetter fährt?
Ist es ein andrer Schöpfer, als der den Lenz verklärt?
Es mag, im Sonnenschein voll Trotz, und feig im Schrecken,
Der Narr sich lächerlich vor seinem Gott verstecken;
Er kommt nicht stets im Westwind: Zuweilen steiget er
Auf Flügeln der Gewitter, und geht im Sturm daher. 13
[26]
Nach Norden wälzt der Sturm das fliegende Gewitter,
Und reißt den schwarzen Vorhang vom Süderhimmel fort;
Dreyfache Finsternissen verhüllen jetzt den Nord.
Dort spielt der helle Blitz im Wiederschein der Hügel;
Indeß verbreitet hier die Stille ihre Flügel.
Der Süderhimmel lächelt im frohen Sonnenschein,
Und Ruhe nimmt von neuem die frischen Thäler ein.
Sieh, wie der Sprößling steigt, wie, neu erweckt ins Leben,
Die Blumen auf der Flur ihr Haupt zur Sonne heben:
Wie hier die Veilche düftet, wie dort die Rose schwitzt,
Die sich voll Perlen öffnet, und an der Sonne blitzt!
Der Büsche frohes Volk sucht schon den Himmel wieder;
Dort schlägt die Nachtigall, und seufzt verliebte Lieder.
Hör, wie die Zauberkehle die Silbertöne wälzt,
Bald schmachtend, bald in Fugen, das Herz bestürmt und schmelzt!
[27]
Dies Thal, im frischen Grün von neuem aufgegangen,
Blitzt von den Tropfen Thau, die an den Kräutern hangen.
Dort wimmelt eine Wolke von Lämmern in der Flur,
Und mäht geschäfftig Kräuter vom Tische der Natur.
Hier geht ein Rinderheer gebückt im tiefen Grase,
Frißt rauschend um sich her, und scheert die Blumenrase.
Ein Paar von Stieren ruft sich voll Brunst zum Treffen aus,
Und schielt sich an, und hänget mit Drohn die Stirn voraus:
Und dreht sich um sich selbst, und spornt den Grund im Dampfe,
Und wetzet Horn an Horn; der Schwächre weicht vom Kampfe,
Irrt brüllend durch die Furchen, voll Wuth, daß er verlor,
Und bort die Stirn im Sande, und tobt den Staub empor.
Dort streicht ein flüchtig Roß mit aufgelösten Mähnen,
Und wiehrt, und schlägt den Grund, daß Thal und Wald ertönen.
Du aber rund in Schatten verschlossenes Revier,
Einsames Thal in Büschen, geheiligt sey du mir!
Gieß, du ehrwürdger Hain, zum Schutz der Sonnenhitze,
[28]
Entzückung um mich aus, wenn ich hier dichtend sitze.
Hier, wo ein Baum den Schatten des grünen Nachbars flieht,
Durch deren Raum mein Auge die Wellen blinken sieht,
Sonst rund umher beschränkt, soll mein Gesang oft schallen,
Und was ich singen will, soll Enkeln noch gefallen.
Hier führt der Gang der Hecke, durch deren helles Grün
Die zähen Brombeerstauden die dunklern Schatten ziehn,
In ein thessalisch Thal, wo in des Sees Spiegel
Sich hier die Wälder sehn, und dort besäte Hügel.
Hier, wo in Flur und Walde, und Fluth und Thal vereint,
In ihrer Pracht die Schöpfung sich zu erheben scheint,
War einst der Nymphen Sitz, die von es Ufers Rasen
Zu Kränzen um ihr Haar sich Schilf und Veilchen lasen.
Hier ruhte sich Auone: (vergessen vom Ovid,
Sey sie des Liedes Inhalt, und lebe durch mein Lied!)
Nur durch den halben Mond, 14 nur durch die güldne Zone
Bemerkte sich vor ihr die Tochter der Latone.
[29]
Nicht Ehrsucht, zu gefallen, beschäfftigt ihre Hand;
Ihr Kleid hielt nur ein Gürtel, ihr Haar ein fliegend Band.
Ein flatterndes Gewand floß um die zarten Glieder,
Und auf den Schultern klang ein bunter Köcher wieder.
Eins, als sie aus den Gränzen, jenseits der grünen Nacht,
Ein fliehend Thier verfolgte, erpicht auf ihre Jagd,
Sah Pan, und liebte sie: begierig zum Besitze,
Verfolgt er ihre Flucht; 15 die Flucht mehrt seine Hitze.
So flieht kein zitternd Täubchen, vom Adler übereilt,
Der über seinem Haupte die heitre Luft zertheilt;
So schnell bewegt kein Flug, und die Begier zum Raube,
Den Adler durch die Luft, und jägt die scheue Taube,
Als sich die Nymphe flüchtig dem rauhen Gott entzog,
Als hinter dieser Nymphe der Gott durch Thäler flog.
[30]
Nun wird sie matt, 16 erblaßt, und sinkt bey jedem Schritte;
Nun hört sie hinter sich das Rauschen seiner Tritte;
Und nun erreicht sein Schatten die Nymph, indem sie flog,
(Sein Schatten, den vom Abend die Sonne länger zog)
Und nun, so oft er keicht, empfindet sie erschrocken
Im Nacken heisse Luft, geathmet in die Locken.
Umsonst ruft sie um Hülfe den Gott der Wellen an,
Umsonst wünscht sie zu fliehen, da sie nicht weiter kann.
Ermattet, Athemlos, fleht sie mit stiller Thräne
Also die Göttinn an, die Göttinn hört die Schöne:
»O Tochter der Latone – obgleich verbannt von dir,
Verbannt vom Chor der Nymphen – o gönne, gönne mir
Mein grünes Vaterland – laß mich in kühlen Hainen
Die Schatten wieder sehn – dort murmeln, und dort weinen!«
[31]
Sie sagts: und als in Thränen die blasse Nymphe lag,
Zerfloß sie aufgelöset in einen Silberbach.
Zum See durch Schatten rollt der Silberbach der Thränen,
Und weint, und murmelt fort, kalt, wie das Herz der Schönen;
Behält noch halb den Namen, durch Mundart nur verletzt,
Und badet jetzt die Buchen, die sie vordem gesetzt.
Die Göttinn steigt noch oft ins Bad der reinen Quellen,
Weint Götterthränen drein, und mehret ihre Wellen.
Der Hirt schaut hier im Spiegel die eigene Gestalt
Im Himmel niederhängen, und umgekehrt den Wald,
Die grüne Wasserlandschaft, vom leichten West erschüttert,
Und hängendes Gebüsch, das auf der Fläche zittert.
Die Heerde vom Gefilde wirft ihr Gemäld auf ihn,
Und schwimmendes Gewälde malt seine Wellen grün.
O daß ich, tief verhüllt, in diese Schatten sünke,
Daß hier mein Wissensdurst der Weisheit Ströme trünke!
Daß der Natur im Arme, in süßer Harmonie
Mein Leben hier verflösse, so angenehm, wie sie!
Hier in dem Rosenbusch, in dieser Nacht der Schatten,
Wo ihre Nymphen mir oft nachgesungen hatten,
[32]
Hier sollte meine Asche die Gegend um sich her
Zu stiller Ehrfurcht weihen; hier sollten Wanderer,
Voll Freundschaft, auf mein Haupt beblümte Rasen bringen,
Und mein beschattet Grab mit mancher Thräne düngen!
Dort, wo im dichten Schilfe ein sanfter Westwind kühlt,
Wo auf der Wasserfläche der Wälder Schatten spielt,
Hält, ohne seinen Blick vom Wasser abzuwenden,
Der Hirt den Angelstab erbebend in den Händen;
Hofft Beute an dem Angel, und siehet über ihn
Den Kork im Wasser tanzen, dann in die Tiefe ziehn.
Dort stößt der Kahn vom Strand, die Wasserflur zu theilen,
Zieht Wunden in den See, die plötzlich wieder heilen.
Und gleitend malt sein Schatten sich in den Wellen ab,
Der eine stehet aufrecht, der andre hängt hinab.
Schaut, wie sich wechselsweis das Ruder hebt, und sinket,
Und nun die Fläche schlägt, nun an der Sonne blinket!
Hört, wie von unserm Donner die Wasserwelt erschrickt,
Und ihn von Hain zu Haine rund um die Gegend schickt!
[33]
Hier laßt im Schatten fort, den Wälder niederbreiten,
An diesem Schilf, den Kahn still auf der Ebne gleiten!
Hier lagert sich die Ente – dort, Freunde, rauscht die See,
Die dichten Binsen schüttern – dort braust sie in die Höh.
Umsonst; der Donner trifft. Sie fällt, und läßt ihr Leben
Im Dampf der Luft zurück, und Wald, und Thal erbeben.
Kommt nun mit eurer Beute: der Rauch steigt schon ums Dach,
Der Stier schleicht matt zu Hause, und schleppt die Pflugschaar nach.
Ein langer Schatten fällt ins Thal von seinen Hügeln;
Bald wird auf diesem See, ihr Silberlicht zu spiegeln,
Die stille Phöbe hangen. Bald singt, vom Sumpf empor,
Ein ander Volk der Gegend sein lermend Schlaflied vor.
Der Tag sinkt roth hinab; 17 schon hauchen mich die Pferde
Mit schärfern Athem an vom Strand der Abenderde!

Fußnoten

1 Dieses ist nach den Gedanken des Horaz, der ihn nur kürzer bildet.

Sacrum vetustis exstruat lignis focum

Lassi sub adventum viri.

Epod 11.

2 Horaz brauchet dieses Bild bey einer ganz andern Gelegenheit. Er will die Ruhmbegier eines mittelmäßigen Dichters abbilden, vor dem, wie Pope sagt, kein Altar sichert, wenn er uns verfolgt, seine Verse zu lesen, und der uns nicht eher verläßt, als bis er sich an unserm Lobe gesättiget, und uns gleichsam ganz leer gesogen hat.

Non missura cutem nisi plena cruoris hirudo.

Mich dünkt aber, das Bild schickt sich auch vollkommen auf den Geiz. Er lässet dem Geizigen nichts von dem, was er sammlet; er entziehet ihm alles, nicht nur seine Schätze, sondern auch seine Lebenskräfte.

3 Dieser Gedanke hat nicht nur seine poetische Wahrheit; er ist auch in der Historie gegründet. Tomson sagt mit andern Worten:

In antient Times, the sacred Plow employ'd

The Kings, and awful Fathers of Mankind.

S. seine Seasons, den Frühling.

4 M. Curius Dentatus, der die Samniten geschlagen hatte, kehrte, nach seinem Siege, nach seinem Landgute zurück. Die bedrängten Feinde schickten an ihn eine Gesandschaft, und liessen ihm ansehnliche Geschenke bieten, daß er durch sein Ansehen im Senate ihnen gelinde Friedensbedingungen verschaffen mögte. Diese fanden ihn in seinem kleinen Hause, bey seinem Heerd auf einer Bank von einer hölzernen Schüssel speisen. M. Curius ex actissima norma romanæ frugalitatis, idemque fortitudinis perfectissimum specimen, Samnitum legatis agresti se in scamno assidentem foco, atque ligneo catillo cœnantem (quales epulas, apparatus indicio est) spectandum præbuit.

Val. Max. IV. 1.

5 Als Regulus gegen die Carthaginenser zu Felde gehen wollte, lief sein Pächter mit seinem Pfluge davon. Dieser Diebstahl setzte seine Familie in große Verlegenheit; daß sich auch der Rath erbieten mußte, seine Felder auf öffentliche Kosten bestellen zu lassen.

Laßt uns auf jene große Männer zurücksehen, sagt Bollingbroke, die in dem Alter der Tugend und Sparsamkeit lebten, und laßt uns erröthen, wenn wir bedenken, daß wir in der Verbannung mehr haben, als sie mitten in ihrer Herrlichkeit, in dem größten Zuflusse ihres Glücks besaßen. S. seine Reflexious upon Exile.

6 And some, – – –

Have held the Scale of empire, rul'd the storm

Of mighty war; then, with victorious hand,

Disdaining little Delicacies, seiz'd

The Plow.

Tomson ibid.

Zum Exempel gehöret der L Quintius Cincinnatus hieher, den der römische Senat zum Diktator erwählete. Die Abgeordneten, die den Antrag thun sollten, fanden ihn auf seinem Landgute: entweder war er beschäfftiget, einen Graben aufzuwerfen, oder pflügte, sagt Livius; gewiß ist es, daß er in einer Feldarbeit begriffen war. B. 3. K. 26.

Die römische Geschichte ist von den Exempeln der Sparsamkeit so voll, als von den Exempeln der Tugend und Tapferkeit. Einige hatten bey ihrem Tode nicht so viel zusammen gebracht, daß sie konnten begraben werden. Publius Valerius omnium consensu princeps, belli, pacisque artibus, moritur, gloria ingenti, copiis familiaribus adeo exiguis, vt funeri sumtus deesset: de publico est elatus. Derselbe im 2 B. 16 K.

7 Be gracious, Heaven! for now laborious man

Has done his part: Ye fostering breezes blow!

Ye softening dews, ye tender showr's, descend!

And temper all, thou world-reviving Sun.

Into the perfect Year!

Tomson.

8 Dieses Bild gehöret dem Hrn. von Kleist; wenn ich die Stelle aus seinem Frühlinge hieher setze, so kann der Leser urtheilen, welche Züge daran die meinigen sind:

– – – Aus seines Wohnhauses Fenster

Sieht sich das Lachtäubchen um, kratzt den roth silbernen Nacken,

Und fliegt zum Liebling aufs Dach. Er zürnt ob dessen Verweilen,

Und dreht sich um sich, und schilt.

9 Dieser Umstand ist deswegen vielmehr mit eingeflochten, weil er eine wahre Geschichte zum Grunde hatte.

10 Hinc tibi, quae semper vicino ab limite sepes

Hyblaeis apibus florem depasta salicti

Saepe leui somnum suadebit susurro.

Virg.

11 Dieses Gleichniß ist der Natur freylich gar nicht gemäß; allein der Dichter ist auch kein Naturlehrer: er sagt die Dinge so, wie sie in die Sinne fallen. Ich habe oft dieses Bild tadeln hören, ob man es gleich im Homer und bey andern Alten schön findet. Man glaubt, daß unsere tiefere Einsicht in die Naturlehre wahre Bilder finden könne, die den falschen der Alten an Schönheit gleich wären. Man will zugleich sagen, daß dieses Bild aus einem Mangel der bessern Erkenntniß der Natur entstanden sey. Wenn ich so freygebig bin, das erste einzuräumen; so kann ich doch dem Homer ohnmöglich eine so schlechte Naturkunde zutrauen, daß er hätte glauben sollen, Jupiter fahre auf einem eisernen Wagen um den Himmel, wenn es donnere. Kein vernünftiger Leser kann ihm eine bessere Einsicht in die Natur der Dinge absprechen. Gesetzt aber, es sey also; so wird das Bild doch poetisch wahr und schön bleiben, weil hier nach der Empfindung geurtheilet werden muß. Die Aehnlichkeit eines rollenden Wagens mit dem Getöse des Donners ist so groß, daß wir uns oftmals betrügen, und glauben, es donnere, wenn wir nur einen Wagen hören. Ich mögte lieber sagen, daß dieser Betrug des Gehörs den Homer auf dieses Bild geleitet habe. Und dieses voraus gesetzt, warum sollte es in unsern heutigen Gedichten nicht eben so schön bleiben, wenn wir auch eine weit tiefere Einsicht in die Naturlehre erlangt haben, da wir nur die Natur so beschrieben wollen, wie sie in die Sinne fällt.

12 Abrupti nubibus ignes, nach dem Virgil; und Diespiter igni corrusco nubila diuidens, nach dem Horaz.

13 Nor God alone in the still Calm we find,

He mounts the storm, and walks upon the wind.

Pope Ess. on Man.

14 Aufrichtig zu seyn, gestehe ich, daß ich theils dem Pope, theils dem Ovid nachgeahmet, oder, wenn man lieber will, übersetzt habe.

Lodona's Fate, in long Oblivion cast

Te Muse shall sing, and what she sings, shall last.

Scarce could the Goddess from her Nymph be known,

But by the Crescent and the golden Zone.

She scorn'd the Praise of Beauty, and the care,

A Belt her waste, a Filled binds her Hair.

A peinted Quiver on her shoulders sounds, etc.

Pope, Windsor forest.

15 – – – tanto magis instat et ardet.

Sic ego currebam, sic me ferus ille premebat,

Vt fugere accipitrem penna trepidante columbae,

Vt solet accipiter trepidas vrgere columbas.

Ouid. Met. L.

16 Sol erat a tergo vidi praecedere longam

Ante pedes vmbram; nisi si timor illa videbat

Sed certe sonituque pedum terrebat, et ingens

Crinales vittas afflabat anhelitus oris.

Fessa labore fugae, fer opem, deprendimur, inquam,

Armigerae Diana tuae.

Idem, ibid.

17 Virgil braucht diesen Ausdruck vom Anbruche des Tages.

Me saeuus equis oriens afflauit anhetis:

Ich trage kein Bedenken mit dieser Veränderung denselben Ausdruck vom Abend zu brauchen.

[34] Versuch von der menschlichen Vernunft und ihrem Gebrauche

[35][37]
Om, wie lange kämpft, im ungerechten Kriege,
Der Mensch mit der Vernunft, und freut sich böser Siege?
Zum Tode, rief Athen, wer bessre Götter lehrt,
Und unsrer Väter Brauch, und den Altar zerstört!
Und schau, das reine Bild der Weisheit und der Liebe
Wird zu der Schmach verdammt, und stirbt den Tod der Diebe.
Dem Weisen, den das Loos der Missethäter trifft,
Reicht man kaum Bettelbrodt 1, und kaum genugsam Gift 2.
[37]
Ein lehrender Esop trug, seiner Zeit zur Schande,
Des reichen Pöbels Joch, und Epiktet die Bande.
Dies war der Weisen Glück von allen Zeiten her;
Und unsre Zeit erstaunt, und wird nicht billiger.
Der Hof zieht Tänzer an, und nähret Müßiggänger,
Jägt einen Weisen fort, und mästet zwanzig Sänger.
Die Dürftigkeit verlöscht dem Weisen, da er wacht,
Die Lampe, die den Kreis der Erden heller macht,
Umsonst rieth sein Verstand mehr, als Orakel rathen,
Gab im Lycurg Gesetz, und focht in Cäsars Thaten:
Regierte im Hugen der Sterne wandelnd Heer,
Fand im Colon die Bahn durchs ungepflügte Meer;
Umsonst ins Herz der Welt stieg er durch Felsenwunden,
Und hat, selbst arm zu seyn, für Narren Gold gefunden.
Beglückt, wenn man den Geist, der seine Flügel regt,
Noch in die Schulen stößt, und dort an Ketten legt.
Dort muß er in das Gleiß der alten Lehrer treten,
Und selbst nicht vor sich sehn, getreuer nachzubeten:
[38]
Muß wider die Vernunft aus fremden Ländern schreyn,
Cartesisch in Paris, in Halle wolfisch seyn.
Die Mode und der Wahn ertheilt der Welt Befehle,
Die eine für den Leib, der andre für die Seele.
Der Heilige vermischt den Weisen mit den Spöttern,
Denkt seiner nur im Grimm, und spricht zu ihm aus Wettern.
Verdank es der Geburt am Elbstrom, oder Rhein;
Am Euphrat würd er selbst ein Feind der Christen seyn,
Vernunft, schreyt er, ist blind; und darf sich nichts erkühnen,
Der Glauben geht gewiß; er herrsche, sie soll dienen!
Setz ihn in Asien, erzogen im Koran,
Und sag, was spräch er wohl, spräch er als Muselmann?
Mit eben der Vernunft, die ihn den wahren Lehren
Blind unterworfen hat, könnt er dem Irrthum schwören.
Hör, was der Redner sagt, der die Gerichte stimmt,
Und oft, statt der Vernunft, sein Geld zu Hülfe nimmt:
[39]
Hier schweige mit Vernunft! was nützt ein leer Geschwätze?
So will der Landesherr, so wollen die Gesetze.
Und wer gab dis Gesetz? Vielleicht ein Eigensinn,
Ein Narr, ein Kammerdiener, und eine Buhlerin.
Der Schulmann ohne Geist, von Hochmuth aufgeblasen,
Kennt von der ersten Welt die Kleidung und die Phrasen.
Vergnügt, wenn er mit Schweiß, der seine Stirn benetzt,
Virgilens Troja löscht, und ihn in Wasser setzt:
Vernunft ist nicht sein Theil: was brauchts der Kunst zu denken,
Um in Gelehrsamkeit zwölf Dichter zu ertränken?
Ihm, der allein den Geist der Prisciane faßt,
Wird Lock ein Schwätzer seyn, und Newton ein Phantast.
Und doch hat die Vernunft, die alle drey beleidigt,
Das Christenthum geschützt, und den Altar vertheidigt;
Sie stellte Recht und Heil im Dracon wieder her,
Vertrat im Tullius, und sang in dem Homer.
[40]
Doch laß uns von Vernunft nicht bis zum Ekel streiten;
Und sprich: es sey ihr Theil, den Menschen falsch zu leiten.
Dann aber wollt ich eh zur Erde niedersehn, 3
Glatt, oder auch im Pelz gebückt auf Vieren gehn,
Und mit der Sicherheit mich nimmer zu verlieren,
Des Pfaus, ja, wenn ich soll, den Schweif des Esels führen,
Als mit dem Titel, Mensch, nur in der Bildung schön,
Und ohne Pelz und Schweif, auf Zweyen unrecht gehn.
Gesichert geht das Vieh, von dem Instinkt getrieben,
Mit der Natur die Bahn, die sie ihm vorgeschrieben.
Kein Irrweg, kein Betrug verschlägt es von der Ruh,
Gott herrscht in dem Instinkt, und führt unfehlbar zu.
Du aber wirst umsonst durch zwanzig Augen sehen,
Die Fackel in der Hand, und wirst doch irre gehen;
Folg, oder geh allein, in beyden bist du blind;
Je größere Vernunft, je tiefer Labyrinth.
[41]
Der Satz verscherzt dein Recht, den Erdkreis zu regieren,
Und setzt dich in Gefahr, den Zepter zu verlieren:
Ein Vorzug, den kein Baur, so wenig er gedacht,
Kein ungelehrtes Volk, sich jemals streitig macht.
Er deckt den Schauplatz auf, wo Hitz und Fieber rasten,
Und zeigt dir eine Welt voll Träumer, und Phantasten,
Wo Irrthum, mit der Tracht der Wahrheit überdeckt,
Um unsre Häupter schwärmt, belustigt, oder schreckt.
So schwärmt, wie 4 Naso singt, in Morpheus stiller Grotte,
Furcht, Hoffnung, Schrecken, Lust im Träumen bey dem Gotte;
An Zahl den Blättern gleich, den Aehren auf der Flur,
Und trägt veränderlich Gestalten der Natur.
Laß den, der Träume liebt, dies Zauberwerk ergetzen;
Du, der du Wahrheit suchst, willst die Vernunft entsetzen?
[42]
Nein, laß ihr noch ihr Recht – »und was für Rechte dann?
Wer sagt mir, ob Vernunft unfehlbar führen kann?«
Ohnfehlbar allerdings. Doch ohn Affekt erwogen,
Im Denken recht geübt, vom Wahne abgezogen;
Als eine reine Kraft, die bloß aus Gründen denkt,
Und nur auf ihrem Kreis von Wahrheit eingeschränkt.
Sonst führ ich dich zurück, woraus ich dich gerissen,
Und stürze dich noch eins in gleiche Finsternissen.
Ist oft ihr Urtheil falsch, und zweifelhaft ihr Licht,
So sprich: wann sagt sie wahr? wo irrt sie, und wo nicht?
Auf welche Regeln, Freund, soll ich mein Urtheil gründen?
Ja, sage mir vielmehr, wo soll ich Regeln finden?
Bey jeder frag ich dich: ist sie gewiß? warum?
Denn das Orakel schweigt, und längst ist Delphos stumm!
Dann sitz ich blind und taub in einem Gaukelspiele,
Ein schaaler 5 Pyrrhonist, und weiß nicht, ob ich fühle.
[43]
Ein einziges Gefühl, Empfindung, oder Sinn,
Von Mexico nach Rom, von Rom bis nach 6 Pechin,
Führt alle Sterbliche, in einer gleichen Klarheit,
Und öffnet zur Vernunft fünf Wege für die Wahrheit.
Was Lappland weiß gesehn, sieht auch Aegypten weiß;
Die Flamme ist am Nil, und an der Wolge heiß:
Was ändern Zeit, und Ort an dem Gefühl der Hitze,
Ob dieser nah am Pol, der am Aequator schwitze?
Der Morgenrose Duft, der Weihrauch, der beseelt,
Würkt lieblich, da der Dampf aus Todtengräbern quält:
Und von dem Abend an, bis an die Morgenröthe,
Merkt jedes Ohr den Schall der Trommel vor der Flöte.
Dies ewige Gefühl hat Gott uns eingeprägt,
Und in ihm selbst den Grund der Wahrheit vest gelegt.
Erst stütze die Vernunft auf so gewissen Gründen,
Vergleiche, leite her, so wirst du weiter finden.
So grub sie Wahrheit aus, die in der Seele schlief,
Und folgte nach und nach, wohin ihr Faden lief.
So führte sie zuletzt, auf ihrer Dinge Leiter,
Zum Schöpfer, die Natur, ihr glücklicher Begleiter.
[44]
So baut sie Schluß auf Schluß, und setzt, zu einer Bahn,
Die Staffel zum Saturn ins Herz der Erden an,
Worauf die Wahrheiten, wie Engel, niedersteigen,
Und ihr, was Moses sah, im fernen Schatten zeigen.
Die göttliche Vernunft, die alles überdenkt,
Ist gleich an Deutlichkeit, und Umfang unumschränkt:
Mit einem gleichen Strahl durchdringt sie Höhn und Tiefen,
Unendlich reich an Licht, unendlich an Begriffen.
Schließ sie in einen Kreis bestimmter Wahrheit ein,
Und schwäch ihr göttlich Licht, so wird sie endlich seyn.
So wohnt sie Geistern bey, aus Nothdurft eingeschränket,
Und irrt nicht, wenn sie nur in ihrer Sphäre denket.
In diesen Inbegriff setz Unbetrüglichkeit;
In ihm ist alles Licht, und draussen Dunkelheit.
Woher entsteht der Zank unzähliger Parteyen,
Die voller Widerspruch, doch alle Wahrheit schreyen?
Ein jeder reisset ein, und stellet wieder her,
Und wird für sein Gebäu mit Lust ein Märtyrer. 7
[45]
Der maaßt sich an, mit Gott sein Werk zu überlegen,
Und dieser giebt sich Müh den Himmel zu bewegen.
Gieb jedem 8 Archimed den Punkt, der ihm gefällt,
Und sey denn überzeugt, ein jeder dreht die Welt.
Spricht dieser: wandele! so spricht der andre: stehe!
Und jeder stirbt darauf, daß seine richtig gehe.
Der glaubt, durch keinen Gott die Welt hervorgebracht,
Und jener braucht ihn kaum; er hat sie selbst gemacht.
Der lehrt die Anziehung zum Vortheil seiner Schwere,
Und der nimmt Wirbel an, und ficht für seine Lehre.
Woher entsteht der Streit? – weil mancher Narr vergißt,
Daß er die Creatur, und Gott der Schöpfer ist.
Weil er den Kreis verläßt, worinn sein Stand ihn schränket,
Und draussen lieber irrt, als drinnen richtig denket.
Er kettet Schluß an Schluß, und baut Systemen drauf,
Und hängt sie in der Luft, wie Gott die Welten, auf.
Auf Muthmaßung gestützt, willst du Gewißheit finden?
»Allein ich schliesse recht?« woraus? aus vesten Gründen?
[46]
Sonst sey so klug du willst, die Folgen auszuziehn,
Biet alle Lehrer auf, vom Lock bis zum Corvin;
Und reichte vom Saturn die Kette bis zur Erden,
So wird durch keinen Schluß der Irrthum Wahrheit werden!
Schau, wie mit stolzem Haupt, das Sturm und Meer nicht beugt,
Venedig voller Trotz aus seinem Schlamme steigt;
Und sage: sollt es wohl, gebaut auf Sumpf, und Wellen,
Ein tausendjährig Haupt dem Sturm entgegen stellen:
Wenn nicht die weise Kunst die schwache Last geschützt,
Und, was der Schlamm nicht trägt, mit Pfeilern unterstützt?
Da aber, wo Natur und Kunst den Grund versagen,
Wie kann ein grundlos Meer ein neu Venedig tragen?
Laß, auf den Grund zu sehn, die erste Regel seyn,
Du baust selbst ein System, du reissest andre ein.
Sie bringt von unten auf Gewißheit in die Lehren,
Und führt den graden Weg, den Irrthum zu zerstören.
[47]
Sieh! wie ein Federheld, bald aufrecht, bald gekrümmt,
Um seinen Gegner tanzt, und tausend Lager nimmt.
Er bückt, er dehnet sich, und läßt die Klinge blitzen,
Mit einem Fechterstreich ihm leicht die Hand zu ritzen.
Vielleicht, mit mindrer Kraft, als er im Schweiß verwandt,
Reißt ihm ein Stärkerer die Waffen aus der Hand.
So quält sich ein Sophist von thörigten Systemen,
Mit lächerlicher Wuth, den kleinsten Satz zu nehmen.
Was nur für einen Streich die Zankkunst ausgedacht,
Was der Betrug ersann, wird völlig durchgemacht.
Wie endigt sich der Kampf? – dem ward die Hand zerrissen:
»Und dieser?« – wird vielleicht ein Wort verändern müssen.
O Gaukler, und Sophist, ihr fechtet nur zum Scherz!
Der Ernst stürmt auf den Grund, und stößt sein Schwert ins Herz.
Klagt ihr, o Sterbliche, nach müßigen Gezänken,
Das Leben sey zu kurz, das Wichtigste zu denken?
Spart eure Zeit, und flieht der Schule Zänkereyn;
Wie Simson, faßt den Grund, und reißt die Seulen ein!
Die Last, die Stürme kaum in hundert Jahren biegen,
Wird, wenn die Basis sinkt, zugleich darnieder liegen.
[48]
Der Lehrer des Korans, mit viel Gelehrsamkeit,
Durch langen Schweiß erkauft, und Kosten vieler Zeit,
Uebt über jeden Satz die schwindlichten Gedanken,
Worüber Alis Zunft, und Omars Schüler zanken,
Wie viel vergebne Müh hat er umsonst verwandt,
Eh er ihr Lehrgebäu von Satz zu Satz verstand!
Doch ohne die Geduld so thöricht zu ermüden,
Hätt er in kurzer Zeit den ganzen Streit entschieden;
Es zeigt der erste Blick auf Mahomets Gebäu,
Daß er ein Schwärmer war, und dies voll Possen sey.
So such in keinem Streit dich unnütz abzumatten;
Dring gleich auf deinen Feind, und fechte nicht mit Schatten.
Brauch deine Augen selbst; nimm nichts auf Glauben an;
Den Dienst versage nie, den Beyfall jedermann.
Denk alles, was du glaubst, noch einmal ernsthaft über;
Und eh du weiter eilst, halt noch, und zweifle lieber.
Gieb keinem Vorurtheil des Alterthumes Platz;
Der allerälteste ist oft der schwächste Satz,
Im Irrthum erst erzeugt, durch Ansehn angepriesen,
Geheiligt durch die Zeit, und durch die Zeit erwiesen.
[49]
Den Aberglauben flieh, der Einbildung Betrug;
Daß ganz ein Volk so glaubt, sey dir nicht Grund genug.
Am ersten zweifle da, wo's schrecklich ist zu zweifeln;
Was nicht mit Gründen kann, das schützet sich mit Teufeln.
Folg keiner Secte nach, so alt ihr Ursprung ist,
Er mag vom Zerduscht seyn, er mag vom Trismegist.
Die Meinung, und die Mod' 9 ergreift, wie eine Seuche,
Ein Volk von Sohn auf Sohn, und läuft durch ganze Reiche.
Das, was die neue trägt, verlacht die alte Welt,
Europa tadelt oft, was Asien gefällt.
Ein jedes eignes Volk hält seine Regeln besser,
Und Gottesdienst, 10 und Tracht scheint der Vernunft gemäßer.
Wie kommts, daß Pechins Schönen nicht ohne Straucheln gehn?
Weil die Chineser glauben, ein kleiner Fuß sey schön.
In Fesseln bildet man des Mädgens zarte Füße,
Und sorgt nicht, daß sie einst auf Vieren kriechen müsse.
[50]
Die Höckernation, die Gulliver ersann,
Sieht grade Europäer für Mißgeburten an.
So äfft ein alter Wahn mit Sätzen und Gestalten,
Die wir für die Natur und für die Wahrheit halten.
Der Lehrer nahm es an, gestützet zwar auf nichts;
Der Schüler fand Beweis; dies starke Wort: er sprichts.
Der Vater ließ dem Sohn ein erbliches Vermögen,
Den Glauben, und sein Geld, den Irrthum, und den Segen;
Und dieser, dem Geheiß des Vaters unterthan,
Empfing, mit gleicher Lust, die Güter und den Wahn.
So ward und wuchs der Wahn, so wie durch neu Gewässer
Ein Strom im Laufe schwillt, und wird im Gehen größer.
Daher zieht, jede Welt, Barbaren Africa,
Europa Christen auf, und Türken Asia.
Und jeder Lehrer sät der eignen Meinung Samen,
Und Secten stehen auf, getauft mit seinem Namen:
[51]
Der stoisch, der platonisch, der ein Epicurär,
Der scotisch, der thomistisch – und hundert andre mehr.
Doch, wer Vernunft gebraucht, erbt nicht vom Demokriten,
Und von dem Plato nicht, und nicht vom Stagiriten,
Noch Wolf, noch vom Cartes; nimmt selbst nicht Wahrheit an,
Eh er sie selbst geprüft; er ist sein eigner Mann,
Der allerorten her, wie Bienen Honig, sammlet,
Mit allen richtig spricht, doch nie mit andern stammlet;
Sein eigenes Orakel; 11 der nicht auf Glauben irrt,
Und, wenn er selbst verstummet, kein Delphos fragen wird;
Der seine Wahrheit nützt, sich nicht vom Ziel entfernet,
Und alles zum Gebrauch, nichts bloß aus Neugier, lernet.
Arbeite dich im Schwall der Meinungen empor;
Ergreif den nächsten Fels, und steig am Strand empor,
Eh dich der volle Strom, die Beute seiner Wogen,
Ins uferlose Meer mit sich hinabgezogen:
[52]
Umsonst irrt da dein Aug, umsonst suchst du den Strand,
Und schwimmst mit aller Macht, und siehst nicht wieder Land.
Versuche bald, und oft die Kräfte deiner Flügel;
Streich erst am Boden her, dann schwinge dich auf Hügel:
Ein jeder Flug erweckt, und stärket die Begier,
Zuletzt siehst du mit Lust Gebirge unter dir,
Die träge Pilgrimme, noch ungeübt im Wandern,
Mit Schrecken vor sich sehn, und eines auf dem andern.
Wenn nicht der Jüngling schon Vernunft im steten Fleiß
Zum Ueberlegen übt, wie nützt sie wohl der Greis?
Der, so die Fertigkeit im Denken zu erhalten, 12
Ins hohe Alter spart, hängt sich, gleich einem Alten,
Dem schon der Bart gereift, dem Gängelwagen an,
Und lernet dann erst gehn, wenn gar kein Fuß mehr kann.
Dies ist die Klugheit dann, die dich zu Höhen leitet,
Wohin der halbe Mensch, der Pöpel, niemals schreitet.
[53]
So ungleich gab zwar Gott Vernunft dem Menschen nie,
Daß der, wie Engel denkt, der etwas mehr als Vieh:
Wohin Aristotels 13 durch Geist geführet traten,
Dahin führt auch der Fleiß die schwächern Xenokraten.
Flieh dann die Uebung nicht, zu groß auf dein Genie,
Und denke nicht so stolz, dein Geist ersetze sie.
Der Kranke, der getrost die Mittel von sich setzet,
Und weil er Stärke merkt, sie für entbehrlich schätzet,
Giebt ein gewisses Zeichen, je weniger er klagt,
Daß schon der Tod im Fieber an seinem Herzen nagt;
Indeß verzehret es die Säfte seiner Glieder,
Und frißt ihn langsam auf, und wirft ihn endlich nieder.
So langsam, und so still verzehret mit der Zeit,
Die Hecktik unsrer Seelen Gedankenlosigkeit.
Wie kommt es, daß ein Baur, ein Schiffer, ein Soldat,
Bey harter Lebensart die größte Stärke hat;
Da ein Verzärtelter, beym Ambrosin der Götter,
Kaum seine Glieder schleppt, und lebt auf Gunst der Wetter?
[54]
Der ward schon als ein Kind bewegt, bald an dem Pflug,
Bald, wenn er mit dem Ruder die Wasserfläche schlug;
Der Magen ward gesund, und goß nahrhafte Säfte
In seine Nerven aus, und gab den Gliedern Kräfte:
Indem der Weichliche, aus Furcht der Mutter krank,
In träger Musse schlief, und wenig aß und trank.
Natur, zu einem Zweck, gab einerley Befehle;
Die Arbeit stärkt den Leib, und stärket auch die Seele.
Mit eines Newtons Hirn, mit eben dem Verstand,
Der die Natur enthüllt, und ihr Gesetz erfand,
Wirst du doch, ungeübt, dich bey der Rechnung quälen,
Den Regeln nachzugehn, die Schüler nicht verfehlen.
Mit dieser Kunst zu denken, geh, vom Geräusch verschont,
In jene heilge Stille, wo gern die Weisheit wohnt.
Gefesselt mit der Welt, hält auf gewissen Höhen
Die Kette deinen Geist, und zwingt ihn, da zu stehen.
Zwar lehren, daß man ganz vom Körperlichen frey,
Und in Verstand und Geist, wie aufgelöset, sey,
[55]
Ist metaphysisches, unsinniges Geschwätze:
Doch, daß man Vorurtheil, und Mod' herunter setze,
Der Meinung Sieger sey, gereiniget vom Wahn,
Ist, was nicht jeder kann, doch mancher schon gethan.
Wer so den Geist befreyt, schaut bald aus solchen Höhen;
Wie Scipio 14 die Welt in seinem Traum gesehen:
Wie ward vom Himmel ab der tiefe Erdball klein!
Kaum fand er Roms Gebiet, den Fleck von Koht darein.

Fußnoten

1 Sokrates, der Verbesserer seines Vaterlandes, wurde von Allmosen erhalten. Diogenes Laert. in dem Leben des Sokrat. führet den Aristoxenus zum Zeugen an, daß er in einer Büchse Geld gesammlet, wovon er gelebt habe: Posita igitur arcula collegisse pecuniam, quae daretur; consumta autem ea rursus posuisse.

2 Indem sich Sokrates mit seinen Freunden von der Unsterblichkeit der Seele beredete, sagt Kriton, daß ihn der Gefängnißwärter einige mahle erinnert habe, er mögte den Sokrates nicht zu viel reden lassen; weil er sich erhitzen mögte, welches die Wirkung des Giftes verhindere. Dacier setzet in einer Anmerkung hinzu, daß der Gefängnißwärter dieses aus Eigennutz erinnert habe: denn er mußte den Gift anschaffen, und die Prise kostete 12 Drachmen; er befürchtete, er müsse solcher Prisen 2 bis 3 anschaffen. S. die Oeuvres de Platon traduites en François avec des remarques, im 2ten Bande.

3 Dieser Gedanke gehöret dem Bollingbroke, aus dessen Abhandlung of the true Use of Retirement and study, die Idee des ganzen Gedichtes genommen ist. Seine Worte sind: Would not your Lordship chuse to walk upon four legs, to wear a long toil, and to be called a beast, with the adventage of being determined by irresistible and unerring instinct to those thruths that are necessary to your well-being; rather than to walk on two legs, to wear no toil, and to be honored with the title of man, at the expence of deviating from them perpetually?

4 S. die Verwandlungen im XI. B.

Hunc circa passim varias imitantia formas,

Somnia vana iacent totidem, quot messis aristas,

Sylua gerit frondes, eiectas littus arernas.

5 Pyrrho von Elea gerieth auf die Schriften des Demokrit, und gewann einen Trieb zur Weltweisheit, und hörte hernach einige andere Lehrer. Er soll gesagt haben, er wisse nichts, als dieses, daß er gar nichts wisse. In seiner Gleichgültigkeit bey einem Sturm zur See, als er seinen Gefährten erschrocken, und ein Schwein im Schiffe geruhig fressen sah, pries er dem Weisen dieses Schwein, zum Exempel der Gelassenheit, an. Ein ganz besonders Exempel!

6 Pechin, oder Peking.

7 Chaque opinion est assez forte pour se faire épouser au prix de la vie, sagt Montagne.

8 Es ist bekannt, daß Archimed einen Punkt ausser der Erde foderte, sie zu bewegen. Die Hypothesen der neuen Schöpfer sind vielleicht noch ein weit unbescheidener Postulat, als jenes.

9 Die Gedanken des Virgils, von dem Gerüchte, schicken sich sehr bequem auf die Vorurtheile, den Wahn, die Meinungen und Moden.

Fama malum, quo non aliud velocius vllum,

Mobilitate viget, viresque acquirit eundo.

10 Je ne suis pas surpris que le Négres peignent le Diable d'une blancheur eblouissante, et leurs dieus noirs comme du Charbon.

Lett. pers.

11 Every man's reason is every man's oracle.

Bollingbr.

12 To set about acquiring the habits of meditation and study late in life, is like getting into a go-cart with a grey beard, and learning to walk when we have lost the use of our legs. Bollingbroke.

13 Aristoteles war ein fähiger Kopf; Xenocrates hin gegen langsam, Plato, den sie beyde zugleich hörten, sagte deswegen, jener habe einen Zügel, und dieser einen Sporn nöthig.

14 S. den Traum des Scipio beym Cicero.

[56] Fragment eines großen Gedichts von der Gesetzgebung

[57][59]
Am kalten Süderpol, vom Nebel rund umflossen,
Verflucht von der Natur, in Wogen eingeschlossen,
Droht ein verwegner Felsen, den Wind und Fluth bestürmt,
Mit siebenfachem Gipfel unordentlich gethürmt.
Das Meer braust um ihn her, und schleudert seine Wellen
Rauhtönend an den Strand, den Sammelplatz der Höllen.
In ihm liegt, wie ein Kerker, in Mauren eingedrängt,
Im fürchterlichen Schatten, der vom Gebirge hängt,
Ein Land, das Gott verflucht. Hier öffnet sich die Schwelle
Zum Reich, wo Satan herrscht, der Eingang in die Hölle.
Zuerst lag er gefangen, und sein verworfnes Heer,
Im Mittelpunkt der Erde, und hier war alles Meer.
Doch in der Sündfluth sind die Riegel aufgesprungen,
Und dies Gebirg entstand in Erderschütterungen.
[59]
Im Donner borst die Rinde, und warf aus dieser Kluft
Der Erden Eingeweide, und Dampf stieg in die Luft.
Die Wasser flohn zurück; mit Wettern dicht umzogen,
Verbarg die Sonn ihr Licht; ein Sturmwind hob die Wogen;
Die Elemente kämpften: in Bergen kam das Meer,
Und schob in seinem Grimme die Felsen um ihn her.
Der fürchterliche Fels verzäunt von aller Wonne
Das Reich der Finsterniß, und raubet es der Sonne.
Sein siebenfacher Gipfel, vom Schwefel angehaucht,
Steigt glüend aus dem Meere, wie Flammen, auf, und raucht.
Der Schiffer, der hier irrt, hört, meilenweit, mit Grausen
Den Donner in der Kluft, und der Gewässer Brausen.
Sechs Meilen in die Höhe, sechs Meilen tief im Meer,
Sechs Meilen in die Weite, regiert die Pest umher.
Hier stehet Satans Thron in einer düstern Wunde
Des eisernen Gebirgs, nah an der Höllen Schlunde.
Kein Feur, kein Licht zertheilet den Dampf der sichtbarn Nacht,
Als wenn ein Blitz den Teufeln ihr Elend sichtbar macht:
[60]
Denn Rache donnert hier, daß die Gestade zittern,
Um sie in fliegenden unendlichen Gewittern.
Der Pöbel weicht erschrocken, der sich um Satans Sitz,
Wie Wogen um den Fels, drängt, wenn hinter ihm ein Blitz,
Und Blitze gegen ihn, und Blitze aus den Gründen,
Und vor und um ihn her, und über ihm entzünden.
Hier saß der Fürst der Höllen, und um ihn her die Großen,
Die Mächte, und das Volk, zu tausend ausgegossen.
Ein furchtbar Schweigen herrschte: denn Satan sann in sich
Auf Kriege und Empörung: noch immer königlich,
Noch immer hoch genug, dem Himmel Hohn zu sprechen,
Und, nach so manchem Fall, den Schimpf an Gott zu rächen:
Als eben ein Getöse durch die Versammlung brach,
Und Gog sich zu ihm nahte. Gog neigte sich, und sprach:
Unüberwindlicher, Beherrscher dieser Mächte,
Die dein unsklavisch Herz dem betenden Geschlechte
Der Himmlischen entrissen; die, obgleich oft besiegt,
Sich neben dir gerüstet, und wider Gott gekriegt,
[61]
Und dir, irr ich nicht sehr, zum Strich der Finsternissen,
Das, was der Tag beschaut, noch unterwerfen müssen.
Auf dein Geheiß, o König, durchkreuzten wir das Land
Des felsigten Arabiens; von Sinai den Strand
Des rothen Meers hinab. Ich kam in wenig Tagen
Bis in die Wüste Sin, wo Gottes Sklaven lagen.
Herr, da ist alles öde; und meilenlang von hier
Dehnt sich der starren Wüsten erstorbenes Revier,
Von keinem Kraut bedeckt, von keinem Strom gewässert:
Ja, wenn der Wunderthäter nicht die Natur verbessert,
Wenn er nicht plötzlich Wasser aus trocknen Felsen schlägt;
Wenn nicht auf seinem Winke die Klippe Erndten trägt:
So wird, dacht ich bey mir, und jauchzte schon vor Freuden,
Das Volk des Donnerers des Himmels Adler weiden.
Wie er dies Volk erhalten, erfuhr ich nicht genau;
Dies weiß ich nur, vor Hitze verschlangen sie den Thau.
Nach Dophka ging ihr Zug. Gott denkt sie aufzureiben,
Und sein gelobtes Land wird wohl die Wüste bleiben.
Der Donnrer weiß so wenig, wohin er sie beschied,
Als ihr elender Führer, der in der Irre zieht.
[62]
Denn jetzt, dacht ich gewiß, wird sich, in wenig Tagen,
Das Volk den graden Weg durch alle Feinde schlagen.
Doch, Satan, ich erstaunte, als, statt ins heilge Land,
Der Zug sich wieder südwerts, ans Meer hinunter wandt.
Vielleicht soll der Befehl, die Wüste zu durchstreichen,
Ein feiner Staatsstreich seyn, und tiefer Weisheit gleichen!
Vielleicht auch fühlt der Donnrer, mit allem seinen Zug,
Sich gegen Kanans Krieger, und uns nicht stark genug!
Er zog nach Rhaphidim. Da liegen nun die Knechte
Von Reis' und Fasten matt, und träumen lange Nächte
Vom künftgen Ueberflusse im Lande Kanaan,
Und sättgen sich des Morgens im Thau, und nennen's Man.
Indeß sind edle da, die insgeheim erröthen,
Und tausend lästern schon den stammlenden Propheten:
Und die hab ich empöret. Dient Korah unsrer Macht,
So nennt es meine Ehre: ich hab ihn aufgebracht.
Bald will ich Sieger seyn, wenn die, die schon erröthen,
Erst in Empörungen die Wunderthäter tödten;
Wenn Söhne Vater würgen, und, wild und aufgebracht,
Ganz Israel sich wütend im Aufruhr niedermacht.
[63]
Ja, Satan, glaube mir, sie wären aufgerieben,
Wenn eine Nachricht mich nicht schleunig fortgetrieben.
Ihr Mächte, wenn es wahr ist, wenn nicht die Staatsklugheit
Dies fliegende Gerüchte im Lager ausgestreut,
Daß Israel sich nicht in seiner Noth empöre,
Und Mosen in der Furcht noch sklavischer verehre;
So steigt der, der uns vormals den Stoß vom Himmel gab,
Mit allem seinen Donner auf Sinai herab,
Den Bund des Abrahams, wie etliche erdichten,
Mit Abrahams Geschlecht von neuem aufzurichten.
Obs wahr ist, wird sich zeigen: zum mindsten ziehen sie
Von hier am dritten Morgen den Weg nach Sinai.
Die Zeit ist kurz; ich eilte, damit es Satan wisse;
Faßt nun für unsren Muth anständige Entschlüsse.
Er schwieg. Ein wilder Schrecken nahm die Versammlung ein;
Ein dunkeles Gemurmel lief durch der Teufel Reihn.
Wie, wenn der Ocean zum Aufruhr sich empöret,
Wenn brausend über ihm der schwarze Sturmwind fähret,
[64]
Wie, oder wenn im Abend ein Wetter sich erhebt,
Und der entfernte Donner dumpf durch die Himmel bebt.
Doch Satan sahe kaum die Hölle in Bewegung,
So rafft er sich schon auf. In seiner ersten Regung
Verleugnet schon die Stirne die Furcht, die ihn ergriff;
Jetzt stand sein Riesenkörper. So sieht in Teneriff
Der Wolkenhohe Piko, und überschaut, wie Zwerge
Ein Riese überschaut, die meilenhohen Berge.
Der Reichthum von ganz Ormus hing wild um seinen Sitz,
Ein ungestalter Zierath, barbarisch, ohne Witz.
Jetzt zwang er sich mit Macht im Angesicht der Höllen,
Im Auge voller Spott, den Tiefsinn zu verstellen,
Der doch, ob gleich Verachtung vom ganzen Antlitz sprach,
Noch immer wild, und finster aus seinen Augen brach.
So wie ein Freygeist scherzt, wenn ihn die Stimme Gottes
Im Donner Zittern lehrt, und mit der Min' des Spottes,
Der Welt, die auf ihn merket, die Furcht unkenntlich macht,
Im Herzen tief erbebet, und auswerts mühsam lacht:
So stand er, sah umher, und gleich ward eine Stille.
[65]
Ihr Thronen! daß nicht Furcht die Könige erfülle!
Sprach er mit hoher Stimme: was künftig auch geschicht,
Das soll den Himmel treffen, das Reich der Höllen nicht!
Furcht muß um unsern Feind der Beter Hände falten;
Und Unerschrockenheit mein weites Reich erhalten.
Denn das war meine Absicht, als wider Zebaoth
Ich euch, ihr Geister, aufrief, vernichtet, oder Gott!
Und dieser mein Entschluß, den ich noch stets erneure,
War, kenn ich euch sonst recht, ihr Fürsten, auch der eure.
Was minder können Helden, die nicht so sklavisch blind,
Nicht durch den Namen Tugend verworfner Pöbel sind,
Was minder können die anständiges begehren,
Wenn sie nicht Götter sind, als daß sie gar nicht wären?
Erinnert euch, da Gott sich von uns belagert sah:
War jemals was zu fürchten, mich dünkt, so war es da!
Doch uns zerschlug kein Blitz, den Gottes Grimm entflammte;
Noch sind wir; zwar verdammt, doch ehrenvoll Verdammte.
Und dieser Ort der Qualen, die Pein, die Finsterniß,
Macht aus dem Muth Verzweiflung, und Tod, und Rache süß.
Was fürchtet ihr denn jetzt? wer mit mir dem Geschütze
Des ganzen Himmel stand, bebt vor sinasche Blitze?
[66]
Er mag herunter steigen; die Hölle ist gerüstt;
Und hilft ihr keine Rüstung, so hat die Hölle List.
Er soll sein Israel, er mag ihm auch verheissen,
Was er verheissen will, dem Satan nicht entreissen.
So denk ich: und erfindet sonst jemand königlich,
Der diene, durch Entdeckung, der Hölle, mir und sich.
Er sprachs, und setzte sich; der rauhe Boden drönte,
Borst unter seiner Last, und das Gebirg ertönte.
Und aus den tiefen Reihen erhob sich Belial,
Der schönste Geist des Himmels vor seinem Sündenfall.
Durch Satans Schmeicheln ward der eifrige Verehrer
Des Ewigen verführt, und endlich ein Empörer.
Jetzt quält ihn Satans Anblick, den Belial verflucht,
Und der nur seiner spottet: mehr trostlos, als verrucht
Verzehrt er sich in Pein; und hoffnungslos zu sterben,
Spricht er den Donner an, und rufet dem Verderben;
Doch nirgend ist Verderben. Sein Peiniger erwacht,
Und treibt ihn in die Schrecken der dicksten Mitternacht.
Der stand: Melancholie saß an der finstern Stirnen,
Sein Auge, todt von Gram, sah Satan an mit Zürnen.
[67]
Feind Gottes, Feind der Menschen, Feind aller Creatur,
Die selig, und verdammt ist; so sprach er, rathe nur,
Empörer rathe nur, daß die Gewalt der Hölle,
Wie du dies Elend nennst, sich Gott entgegen stelle;
Denn Satans Ruhm sind Strafen der Hölle ohne Zahl,
Und deines Muths Triumphe, Verfluchter, unsre Qual.
Verführet hast du uns, der Seligkeit entrissen;
Nun häuf uns auch noch hier die Angst der Finsternissen.
Zieh aus in deiner Rüstung, und kehre bald mit Spott
Und Ketten in dein Elend zurück, und dann sey Gott!
Dann soll dir im Triumph die Höll entgegen fliessen,
Der Abgrund Veste weihn, und dich als Sieger grüssen!
Elender Gott! vergißt du die überstandne Schmach?
Wer war da, Satan, als noch der Erdkreis auf dich lag?
Doch daran denkst du nicht, und seitdem dies Gefängniß
Aus seinen Riegeln sprang, glaubst du, daß kein Verhängniß
Dich wieder fesseln könne, und prahlest hochmuthvoll,
Daß dir die Erde dienen, und Gott dich fürchten soll.
Ja fürchten! wenn er dich mit neuen Flammen peinigt,
Und langsam uns zerstört, und seine Schöpfung reinigt!
[68]
Doch dünkst du dich so mächtig; warum denn thatest du
Nicht Wunder gegen Wunder? Sprich, warum gabst du zu,
Daß Furcht den Jannes schlug, und Angst den Jambres schreckte,
Und daß kein Zauberer die Todten auferweckte?
Warum verließ die Macht dich am rothen Meer so früh,
Und warf mit keinem Sturmwind die Wogen über sie?
Der sie dort aus der Hand des Pharao gerissen,
Der wird auch gegen dich sein Volk zu schützen wissen!
Er wollte weiter reden: doch der Empörer stand
Schon mitten im Gewitter: es fuhr aus seiner Hand
Ein siebenfacher Blitz: es zitterten die Heere;
Doch keine Flamme traf; er donnerte ins Leere,
Und stampft, als er den Spötter geruhig lächeln sah,
Und stand vor Grimm ohnmächtig, und dumm, und sprachlos da:
Und sah und hörte nicht. Sein flüchtig Auge schwebte
In Nebeln rund umher. Die Hölle schwieg, und bebte,
Besorgt, daß von dem Donner ihr Felsengrund zersprang,
Und in Erschütterungen verloren untersank.
So hüpft Catanea, schon einmal halb verschlungen,
Wenn Aetna Flammen speit, in Erderschütterungen,
[69]
Der Bürger flieht, und fürchtet den Jammer anzusehn,
Wenn Städte sich verlieren, und Berge untergehn.
Zuletzt begriff sich Satan; ohnmächtig sich zu rächen,
Bricht er in Drohung aus: so will ich mit dir sprechen!
Verzagter! deinem Ende seh aller Pöbel zu,
Die vor dem Himmel beben, und Sklaven sind, wie du!
Fleuch! reinige den Ort, den Könige bewohnen,
Fleuch in die Einsamkeit, und flehe da Verschonen!
Dort bete ausgebreitet vergebens um die Ruh,
Und bring die Ewigkeiten gequält und sklavisch zu!
Ihr aber, die mit mir zu edlen Thaten branntet,
Und in dem Himmel schon eur Götterwesen kanntet:
Die ihr die Finsternissen, mit allem, was euch quält,
Weit lieber, als den Himmel mit seiner Knechtschaft wählt;
Ihr Helden, redet selbst, so lange wir noch kriegten,
Wer wars, der überwandt, wer waren die Besiegten?
Wahr ists, wir flohn geschlagen der Seligen Revier:
Im Himmel ist er stärker, doch auf der Erden wir.
Umsonst erschuf er sich im sterblichen Geschlechte,
Die eiteln Hoffnungen von einer Welt voll Knechte;
[70]
Umsonst verschloß er Eden im diamantnen Thor,
Und legte Legionen von Seraphim davor!
Die Sünde, mein Geschöpf, und mit ihr, das Verderben,
Dringt durch die Pforten ein; sie sündigen und sterben.
Und was von ihnen abstammt, das lebt zum Theil für mich,
Die Sünde muß sie tödten, und in der Sünden ich!
Zwar eine Sage geht, daß die gefangne Erde
Vom Himmel aus ein Held dereinst befreyen werde,
Der von Gott ausgerüstet, und selbst der Gottheit voll,
Die Macht der Hölle fesseln, und uns zertreten soll;
Das klinget stolz genug, und mächtig; doch ihr Götter,
Jahrhunderte sind fort, und wo ist der Erretter?
Wer kann nach so viel Jahren noch warten, daß er kömmt?
Vielmehr sah Gott den Erdkreis von Sünden überschwemmt,
Daß er, statt das Geschick der Sterblichen zu bessern,
Im Grimm dem Untergang, mit tobenden Gewässern
Sie zu vertilgen, winkte; da sah ich aus der Ruh,
Als im Triumph, dem Schiffbruch der ganzen Schöpfung zu!
Dies, wißt ihr, Könige; da feyrte noch drey Nächte
Die Höll ihr zweites Fest; und jauchzte dem Geschlechte
[71]
Der Sterblichen entgegen, das wie ein kommend Meer
Mit Wogen ans Gestade, von allen Seiten her,
An unser Ufer floß: So viel verlor Gott Seelen;
Doch fällts ihm wieder ein, ein neues Volk zu wählen.
Und welch ein Volk, ihr Mächte? Ein Volk, das an dem Nil,
So gut, wie der Aegypter, vor Götzen niederfiel.
Ein Volk, das furchtsam, tumm, leichtgläubig, leicht betrogen,
In steter Furcht gelebt, und sklavisch auferzogen;
Ein Volk, das unbeständig in Lehren sich verirrt,
Und heute Gott verehren, und morgen lästern wird!
Seht da, ein mächtig Volk, gerüstet wider Sünden,
Ein heilig Volk des Herrn, zu stark zum Ueberwinden!
Und dennoch sind nicht alle, dem Namen nach, Ebräer,
Zu tausend floß der Pöbel Aegyptens in ihr Heer.
Kein Volk ist mehr dem Dienst des Ewigen zuwider;
Es betet Zwiebeln an und kniet vor Thieren nieder.
Nun urtheilt selbst, ihr Thronen, verdient es wohl der Müh,
Dies Sklavenvolk zu halten? nein! reisen ließ ich sie!
Gott zwar erschöpfte sich, ließ alle Wunder zeigen;
Doch ich war sorgenlos, und hieß die Zaubrer schweigen.
[72]
Nachdem ich Gott vergeblich drey Monat lang bemüht,
War ich mit mir zufrieden, und dachte endlich: zieht!
Die Wüst' ist weit genug, die mögen sie durchstreichen,
Doch nimmer soll ein Fuß den Sinai erreichen!
So tief verlor sich Satan in Fabeln gegen Gott
Und färbte seine Schande, und machte unter Spott
Sein Elend unsichtbar, und seine Ohnmacht prächtig,
Zu ewgen Schimpf verdammt, und nur in Worten mächtig.
Jetzt näherte sich Moloch: von seinem ehrnen Gang
Erbebten die Gestade, und das Gebirg erklang;
Wohin er wandelte, lag hinter ihm Verwüstung;
Ein kriegerischer Geist, in siebenfacher Rüstung,
Womit er wider Gott sich im Himmel aufgelehnt,
Und die so, wie er wandelt, wild um ihn her ertönt,
Trat er im Sturm herein: der Pöbel wich ihm schüchtern,
Und stand von fern um ihn mit Schrecken in Gesichtern.
Zwar Moloch flucht, wie Satan, dem furchtbarn Donnerer;
Doch nicht so stolz, wie Satan, hält er sich mächtiger.
Er kriegt nicht wider Gott, damit er überwinde,
Aus Bosheit krieget er; denn Moloch liebt die Sünde,
[73]
Bloß um der Sünde willen. Gern will er alle Pein,
Nur mit dem Ruhm Empörer und Gottes Feind zu seyn.
Wenn Satan thöricht hofft, den Himmel zu besiegen,
Verlacht er seinen Stolz; doch räth er ihm zu kriegen.
Jetzt riß er wild und rauschend sich aus dem Volk hervor,
Stand, wie ein Fels, gegründet mit seiner Last empor,
Und sprach: Der Hölle Sieg! Das Lager der Ebräer
Zieht bis nach Sinai; dort, heißt es, wird ihr Seher
Ein neu Gesetz empfangen. Dies wisset ihr vielleicht;
Doch, daß es ohne Krieg nicht den Sinai erreicht,
Das wisset ihr noch nicht. Ein Heer Amaleckiten
Wird bald zu Raphidim in ihrem Lager wüten.
Zwar alles dient uns hier, Heth, Moab, Kanaan
Vom Amaleck herunter bis hin an Madian;
Und Ammon ist mein Volk; dort raucht, mich zu verehren,
Der Opfer süßer Dampf von blutigen Altären;
Dort strömt im Thale Hinnom für mich der Kinder Blut;
Da seh ich mit Entzücken die Mutter, an der Gluht,
Die Früchte ihrer Schooß von ihren Brüsten reissen,
Und, der Natur zur Schmach, in meine Flamme schmeissen;
[74]
Doch wählt ich unter allen, den Pöbel der Ebräer,
Auf einmal aufzureiben, des Agags mächtig Heer;
Damit nicht ohne Greul des knechtschen Jakobs Erben
Von Blutsverwandter Hand, von Esaus Enkeln sterben.
O daß sie Brüder wären, o Blut, das brüderlich
Vom Bruder strömend raucht, ein süßer Duft für mich!
Zudem ist unter sie von Vätern auf die Väter
Ein Haß herabgeerbt, den Jakob, der Verräther
Des Esau, sich erworben, als er, so saget man,
Den Segen seines Vaters, das Recht auf Kanaan,
Und die Geburt erschlich: dies mögt ihr Träume nennen;
Doch Träume, die uns mehr, als Wahrheit, nutzen können.
Ihr Haß ist mehr, als feindlich: und rasend wird ihr Grimm
In die Ebräer toben. Dann will ich Raphidim,
Voll Aufruhr und Verwüstung, und Feinde, die sich würgen,
Mit Blute überschwemmt, und Leichen in Gebirgen,
Vorm Angesicht des Helfers mit Lust der Höllen sehn,
Ja ihm das Blut der seinen entgegen dampfen sehn.
Ich ging, damit ich euch zu diesem Schauspiel lade;
Ihr Krieger, eilt mit mir zum blutigen Gestade,
[75]
Und seht den Tod da würgen; erschrecket die Ebräer
Mit Zittern und Entsetzen, daß ihr verscheuchtes Heer
Im grimmigen Tumult sich selber niedermache,
Und fluch, und Mosen schmäh und Gott; das sey die Rache!
Er schwieg: die Hölle jauchzte, und ein Triumph durchdrang
Den Abgrund, der erbebte, und donnernd wieder klang.
Auf eine Zeitlang schwieg der Grimm der andern Schmerzen,
Und Rachgier peinigte; denn Rachgier peinigt Herzen.
Verzweiflung an der Rache nahm erst die Geister ein,
Doch Moloch goß ein Leben und Flammen in die Pein.
So, wenn ein Kriegesherr das Schlachtfeld vor sich siehet,
Erblaßt, und ohne Muth dem Feind entgegen ziehet;
Schon steht des Todes Rüstzeug in fürchterlichen Reihn,
Auf seinen Zug Verwüstung und Donner auszuspeyn:
Es bebt: doch plötzlich stürmt der Trommel und der Flöte
Belebende Musik; die weckende Trompete
Ertönt beseelend drunter; belebt die feige Schaar
Und gießt in ihren Busen Verachtung der Gefahr.
So weckte Molochs Geist das Herz der blassen Krieger,
Und Satan segnete den künftgen Gottes-Sieger;
[76]
So, wie die Hölle segnet. So sey die Wüste dann
Durch dich, nächst Satan König, der Sklaven Kanaan!
Hier will ich ihren Staub in Wirbelwinden jagen,
Und durch den Himmel streun, und dann zum Donnrer sagen:
Errette die Ebräer, nimm endlich doch den Raub
Der Macht der Hölle wieder, und wecke diesen Staub!
Er sprachs, und nun entflohn die eingebildten Götter,
Im schrecklichen Tumult, wie sieben ehrne Wetter.
Zugleich auf einmal donnern. Indeß ging Belial
Einsiedlerisch ins Finstre, verfluchte seinen Fall;
Verglich die Seligkeit und diese Finsternissen,
Und weckte selbst die Quaal sein fressendes Gewissen.
Dort saß am Feuermeere auf einem Felsen On,
Sah schwindlend in den Tiefen den dicken Phlegeton
Voll Seelen, die vordem dem Schöpfer Hohn gesprochen,
Und in der Qual noch schmähn, zu seinen Füßen kochen.
Ein anderer lag bebend, und krümmte sich, und wandt
Die Glieder in einander, und fror am heissen Strand.
Und der Verdammten mehr, die hier in Myriaden
Die Quaal gefangen hält, wie Sand an den Gestaden.
[77]
Die Krieger aber flohen; vor ihnen floß das Meer
In Furchen, wie Gebirgen; schwarz schossen sie daher,
Und brausend, wie der Sturm, wie ganze Inseln fliessen,
Die die Gewalt der Fluth vom vesten Land gerissen;
Mit ausgedehnten Flügeln, worinn ein Sturmwind bließ,
Den Satan, eh er flohe, aus Süden brausen ließ.
So segeln sie durchs Meer; in allen Augenblicken
Sind hundert Meilen schon weit hinter ihrem Rücken.
Dann ruhn sie auf Gebirgen, und stürzen sich von dort
Schnell über breite Bänder auf ihren Flügeln fort.
Im Parom senkten sie ihr schattigtes Gefieder,
Und stürzten mit der Nacht auf einen Felsen nieder.

Notizen
Vorliegendem Text liegt der Erstdruck zugrunde: Drey Gedichte, Altona und Leipzig (David Iversen) 1756.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Dusch, Johann Jakob. Drey Gedichte. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-8884-5