Caroline Auguste Fischer
Die Honigmonathe
Von dem Verfasser von
Gustavs Verirrungen

Erster Theil

An die Leser

Wie viel Böses man den Leidenschaften auch nachsagen mag; ohne sie scheint es gleichwohl dem Menschen unmöglich, sich seiner ganzen moralischen Kraft bewußt zu werden.

[3] Wer uns demnach irgend eine dieser wohlthätigen Feindinnen treu darzustellen versucht; darf sich schmeicheln, nichts Überflüssiges unternommen zu haben.

Den Versuch habe ich gewagt; ob er gelungen ist – mögen die Leser entscheiden.

[4]
1. Brief. Wilhelmine an Julie
Erster Brief
Wilhelmine an Julie

Nimm Dich in Acht! Ich sehe die Eitelkeit im Hinterhalte lauschen. – Hat sich freylich auf das Beste herausgeputzt, nennt sich Großmuth, Dankbarkeit, Selbstüberwindung, und was der schönklingenden Titel [5] mehr sind. – Aber noch einmal sage ich: nimm Dich in Acht! – Gewisse Bäume sind nur zum Abhauen gut; und gewisse Schäden können nicht mit Honig, sondern nur mit Schierling geheilt werden. –

Von mir heute kein Wort. Ich weiß mich zu bescheiden.

[6]
2. Brief. Julie an Wilhelmine
Zweiter Brief
Julie an Wilhelmine

So ernst, meine Wilhelmine? Du könntest mich bange machen. – Großer Gott! sollte ich mich täuschen? – Sollte alles vergeblich seyn? –

Aber Geliebte! jeder Mensch hat ja das Bedürfniß, mit sich selbst einig zu werden. Dieser unglückliche Mann allein sollte es nicht haben? – Ach glaube mir, meine Einzige! [7] viele Menschen würden gut seyn, wenn es ihnen das Schicksal erlaubte.

Laß uns gestehen, dies war bis jetzt Oliviers Fall. Mit dem französischen Leichtsinne gebohren, von seinen Ältern verzärtelt, von den Weibern wechselweise gemißbraucht und vergöttert, durch seine unersättliche Begierde nach Genuß ins tiefste Elend gestürzt, nun bey dem gänzlichen Mangel an Ergebung gezwungen alle Mittel zum Emporkommen wieder zu gebrauchen. – Sage, wie konnte es anders seyn? –

[8]
3. Brief. Wilhelmine an Julie
Dritter Brief
Wilhelmine an Julie

Ey! liebes Kind, davon ist ja gar nicht die Rede! Wer sagt Dir denn, daß sich das alles nicht ganz vortreflich erklären lasse? – Es frägt sich nur, ob es der Mühe lohne einen Mohren zu waschen? – und ob man nachher, schwarz oder weiß, mit ihm vorlieb [9] nehmen wolle? – Das bedenke, mein Täubchen, und laß Dich nicht blenden.

Ich weiß recht gut, die Frau Mutter wird alles dazu beytragen. Aus welchen Gründen? – ist nicht schwer zu errathen. – Mit einem Worte! man will Dich verhandeln, und zwar so bald und so theuer wie möglich. Ach daß Dein Vater nicht mehr lebt! es wäre nie dahin gekommen! –

[10]
4. Brief. Julie an Wilhelmine
Vierter Brief
Julie an Wilhelmine

O mein unvergeßlicher Vater! Wilhelmine! es war hart, mich daran zu erinnern. Ach wohl war es damals ganz anders! – Meine Mutter war milder und ich war glücklicher. Ich weiß nicht – es ist seit einiger Zeit so[11] viel Bitteres in ihrem Wesen – und doch verdopple ich meine Aufmerksamkeit, suche ihre leisesten Wünsche zu errathen. – Ach ist es denn meine Schuld, daß wir nicht mehr reich sind? Gott weiß es! ich gebrauche ja so wenig, und arbeite vom Morgen bis in die sinkende Nacht.

[12]
5. Brief. Wilhelmine an Julie
Fünfter Brief
Wilhelmine an Julie

Ob es Deine Schuld ist? – Du reines unschuldiges Herz! Siehst Du denn nicht, was ihr fehlt? – Alle ihre ausgeworfenen Netze zieht sie leer wieder zurück; während Du köstliche Lilie, ohne es zu wissen und zu wollen, alles um Dich her versammlest. Und dieser verderbten Frau wolltest Du Dich aufopfern? [13] Dich einem Mann hingeben, der Dich nicht einmal begreift! Dich nimmt, weil Du ein Weib bist, und Deinen heiligen Kindersinn, den er jetzt nur duldet, einst auf das schändlichste verspotten und mißbrauchen wird.

Julie! laß Dir rathen! – sorge doch nicht für die Zukunft! Was mein ist ja Dein! und wie oft soll ich Dir es wiederholen? ich heurathe nicht, und wenn mein Herr Vater das ganze Haus umkehrt. –

[14]
6. Brief. Julie an Wilhelmine
Sechster Brief
Julie an Wilhelmine

Was denkt meine Wilhelmine von mir? – Ich sollte Schuld seyn, daß eins der reizendsten Mädchen einsam verblühte? – daß es einen glücklichen Mann weniger in der Welt gäbe? – Nimmermehr! Auch ist das alles Schwärmerey. Weißt Du noch, wie wir einmal beyde ins Kloster wollten? – Ach sage was Du willst! sind wir mit einem Mann nicht glücklich, ohne ihn sind wir es noch weniger.

[15] Bedarfst Du keiner Stütze, keines Schutzes? Bedarfst Du nicht der Mutterfreuden, und gewiß auch der Mutterleiden, um ganz gebildet zu werden? Bedarfst Du nicht der Härte, der Ungerechtigkeit eines gröber gebildeten Wesens, um Deine ganze Weiblichkeit kennen zu lernen, und in ihrem Heiligthume Deinen Himmel zu bilden? – Ist es nicht deswegen nothwendig, daß es an Deiner Seite stehe, um die Blicke der Menge anzuziehen? Wie könntest Du sonst, von allen Welthändeln befreit, in der Stille nur Deiner höhern Bildung leben.

Ach sage! merkst Du denn nicht den Willen der Natur? – Sie haßt alle plötzlichen [16] Übergänge, darum stellte sie das Weib zwischen den Mann und die glücklicheren Wesen der künftigen Welt. Gewiß! dahin deuten alle unsere Leiden und Freuden! Ja sogar das Bedürfniß der Männer. Sie verlangen offenbar etwas mehr als blos menschliches von den Weibern. Das gründet sich nicht auf Ungerechtigkeit, sondern auf reinen Instinkt. Wenn wir mit Demuth und kindlichem Sinne dies glauben, werden es die Männer wohl dulden.

[17]
7. Brief. Wilhelmine an Julie
Siebenter Brief
Wilhelmine an Julie

Dulden! Herzchen, darüber habe ich bis zum Weinen gelacht. Allerdings werden sie es dulden! Duldeten es doch die amerikanischen Pflanzer, wenn man ihren Sclaven die Freuden der künftigen Welt recht anschaulich machte, und ihren elenden Zustand als ein Mittel zur höhern Bildung darstellte. Fahre nur so fort! und Du wirst bald eine zweite Elise werden.

Gott! ist es nicht himmelschreiend? daß selbst Weiber unsre Ketten erschweren! – [18] Kann man sich etwas abgeschmackteres und inkonsequenteres denken, als eben diese Elise wie sie seyn sollte? –

Trägt ihr Vermögen – was offenbar ihren unmündigen Kindern gehörte, und um so mehr für sie erhalten werden mußte, da ihr Herr Papa ein ausgemachter Taugenichts war – trägt es hin zu der Buhlerin eben dieses lieblichen Herrn.

Zwar bringt dieser Heroismus Fußfälle, Anbetungen und Versöhnungen hervor, und ist, in sofern diese Herrlichkeiten nicht anders zu bekommen waren, in dem Romane recht nützlich. Im wirklichen Leben aber mögte er wohl etwas ganz anderes, und höchst wahrscheinlich, [19] eine gänzliche Trennung hervorgebracht haben.

Freilich die gute Elise war nun einmal gewohnt, auf ihrem Kothurne im höchstmöglichen Pathos einherzuschreiten, und hatte das Glück von ihrer gutmüthigen Schöpferin bis an ihr pompeuses Ende darauf erhalten zu werden. Meinetwegen mag auch wer da will, ihre Stelzenschuhe erben! Nur meine Julie soll sie nicht tragen.

Soll nicht? – habe ich ihr denn zu befehlen? – O ja! ich habe ihr zu befehlen, daß sie sich nicht unglücklich machen soll – und wenn ich ihr das nicht mehr befehlen darf; so mag ich nicht mehr leben.

[20]
8. Brief. Julie an Wilhelmine
Achter Brief
Julie an Wilhelmine

Du meine treue Einzige! ich drücke Dich in Gedanken an mein Herz, und bedecke Dein liebes zorniges Gesicht mit tausend Küssen. O mitten unter Deinem Schelten fühle ich wie sehr Du mich liebst. Mein lieber Schutzengel! [21] sey doch nur ruhig! Ja, ja! ich will vorsichtig, behutsam seyn, nicht schwärmen, und Deinem Rathe folgen. Aber sage mir auch, daß Du wieder ruhig bist! nicht ängstlich für mein Schicksal sorgest. Nein, meine Wilhelmine! ich werde nicht unglücklich! gewiß, ich kann es nicht werden. – Gieb doch dem Boten ein paar Zeilen, damit ich weiß, daß Du nicht böse bist.

[22]
9. Brief. Wilhelmine an Julie
Neunter Brief
Wilhelmine an Julie

Ein paar Zeilen? – Sieh, das ist es ja eben was Dich unglücklich machen wird! dieses Herz voll unzerstörbarer Liebe! – Was? ich? ich soll nicht böse seyn? – Hast Du denn gepredigt, gescholten, die Hofmeisterin [23] gespielt? – Sieh! so verwechselt Dein Kinderherz! Statt empfindlich und zurückhaltend zu werden, wie ich es wohl verdient hätte, kömmst Du und bittest, ich möge nicht böse seyn. –

Ach wenn nun ein solcher eingefleischter Teufel seine Krallen in dieses Engelherz schlägt; wie wird es bluten! – Nein! ich dulde es nicht! ich kann es nicht dulden! –

[24]
10. Brief. Der Obriste Olivier an Reinhold
Zehnter Brief
Der Obriste Olivier an Reinhold

Was ich treibe? Nicht viel Gescheutes! – Belagern schon seit Jahr und Tag, muß endlich die Belagerung in eine Blokade verwandeln, und werde meinen Zweck wohl nur mit Hülfe einer sehr genanten Kapitulation erreichen können.

[25] Ja! Ja! exclamire nur! – Die Zeiten ändern sich, man ist nicht immer jung, und die Siege werden schwerer. – Am Ende muß man doch auch für einen Heerd sorgen, und die Dämchen, womit man sich am meisten amüsirt, taugen gerade am wenigsten dabey.

Meine jetzige Prima Donna ist freilich in gewisser Rücksicht verzweifelt eigen; aber sie wird eine gute Hausfrau. Dafür stehe ich Dir. Etwas ähnliches von Sanftmuth und Geduld! – Nein, ich versichre Dir, es übersteigt allen Glauben.

Ob ich ihr denn schon Gelegenheit gegeben habe diese an mir zu üben? – Nein! nein! so arg ist es nicht. Aber die Mutter![26] – das Weib ist offenbar von sieben Teufeln besessen. Ich bedarf alle Augenblicke meines ganzen Savoirfaire, um meine Wuth gegen diesen Beelzebub zu bekämpfen.

Freilich arbeitet sie doch am Ende zu meinem Nutz und Frommen. Wer weiß ob ich nicht aufs Alter noch ein bischen wunderlicher werde, und wie viel Geduld ich dann verbrauche. –

Überhaupt wage ich nicht viel bey der Sache. Das gute Schäfchen besorgt mein Hauswesen und ein paar Buben, die meinen Nahmen fortpflanzen. Wartet mich, wenn ich krank, und zerstreut mich, wenn ich hypochondrisch bin. Übrigens versteht es sich von selbst, [27] daß wenn es mir früh oder spät einfällt, einen kleinen Seitengang zu machen, keine Achs und Ohs vorfallen. Das würde mich wahrhaftig am wenigsten zurückbringen.

Aber dafür ist auch gesorgt; der Mund dieses sonderbaren Mädchens scheint nur zum Lächeln geformt. Wahrhaftig! ich schäme mich es zu gestehen – aber wenn ich dieses Lächeln sehe – nein, ich kann es Dir nicht sagen, wie mir da wird – und Du glaubst es mir auch nicht. Schreibe doch bald.

[28]
11. Brief. Olivier an Reinhold
Eilfter Brief
Olivier an Reinhold

Eine Entdeckung! tausend Element, da mußt Du mir dienen! Höre nur! in Br..., und noch dazu in Deiner Nachbarschaft, wohnt eine Amazone, die mit Julien correspondirt. Revolutionäre Grundsätze! Eine förmliche Empörung gegen das ganze Männergeschlecht! – [29] Wie? soll man das dulden? – Es geht nicht! Es bringt Unheil! – Habe ich auch nichts zu befürchten; so ärgerts mich doch.

Mit einem Worte: Du mußt die Juno bekehren; oder bey Gott! mit der Correspondenz hat es ein Ende! – Könnte mir dem Mädchen Dinge in den Kopf setzen, die ich in meinem Leben nicht wieder herausbrächte

Wollen da raisonniren! – wollen untersuchen, ob wir Recht haben die Herren zu spielen. Eine schöne Geschichte! – Recht oder Unrecht! genug, was wir sind, das sind wir, und werden wir, so Gott will, schon bleiben.

So etwas ist unerhört – und noch dazu in unsern Zeiten! wo das Elisiren ordentlich [30] Mode wird. – Das kommt von dem vermaledeiten Aufklären. Könntet ihr dann nur zur rechten Zeit Einhalt thun. Ja! bändigt einmal den Strom; wenn ihr die Dämme eingerissen habt.

Aus Grundsätzen sollten die Weiber gut seyn? – Zum Henker mit euren Grundsätzen! Der Spinnrocken und die Nähnadel, allenfalls die Bibel und das Gesangbuch, und statt aller Grundsätze ein männlichesDu sollst! – So hieß es in alten Zeiten, und unsere Väter befanden sich wohl dabey.

Wahrhaftig! dafür mögte ich noch lieber in Italien geblieben seyn. Man gewinnt doch an Sinnlichkeit, was man an Herrschaft [31] verliert. Die kleinen spirituellen Satans halten doch in gewissen Augenblicken schadlos und zwingen einen nicht, wie die deutschen Jungfrauen, die Katze im Sacke zu kaufen und ihre ekelhafte Treue Jahre lang mit herumzuschleppen.

Nun, vergiß nicht meinen Auftrag! –

[32]
12. Brief. Reinhold an Olivier
Zwölfter Brief
Reinhold an Olivier

Sollte mein Olivier wohl jemals recht gewußt haben was er wollte? – Also noch immer der Lobredner voriger Zeiten, und alles dessen was er nicht hat? – In Italien sehnt er sich nach den deutschen Weibern, in Deutschland nach den Italienerinnen. Dort wurde die Treue, die Reinheit der deutschen Mädchen, [33] das hohe Jungfräuliche in ihrem Wesen gepriesen; hier scheinen diese belobten Eigenschaften eben so viele Fehler zu seyn.

Arme Weiber! wann werdet ihr den männlichen Egoismus befriedigen? – Seyd ihr eingeschränkt an Verstande; so glauben wir uns berechtigt euch als bloße Mittel zur Befriedigung unserer Sinnlichkeit zu gebrauchen. Untersteht ihr euch zu denken; so beschuldigen wir euch der Unweiblichkeit und betrachten euch als Empörer. Behandeln könnt ihr uns mit der höchsten Vernunft, nur wissen dürft ihr nicht, daß ihr sie habt. Alles Große und Erhabene an euch dulden wir nur als Instinkt, nie als Raisonnement.

[34] Aber Olivier, liegt dieser schreckliche Despotismus in der Natur? und läge er darin, müßten wir ihn dann nicht eben so wie die Erbsünde bekämpfen? – Wahrlich ich glaube es ist einmal Zeit, wenn wir anders auf wahre Bildung Anspruch machen wollen. Achtung der Weiber war immer der richtigste Maasstab für die Cultur einer Nation.

Von Deinem Auftrage ein anderes Mal. Nur so viel zur Nachricht: ich kenne Deine Amazone. Sie ist ein höchst interessantes Mädchen. Eben deswegen habe ich mich aber sehr vor ihr gehütet. Unsere Angelegenheiten mit dem F...schen Hofe werden alle Tage ernsthafter, der Gesandte wirft alles auf mich, [35] und da muß ich schlechterdings jede Zerstreuung vermeiden. Doch so bald ich wieder Othem hole, besuche ich den Vater. Er ist ein alter ehrlicher Brausekopf, der seine Tochter und ihr ungeheures Vermögen gern in guten Händen wissen mögte. Aber das Mädchen hat ihm bis diesen Augenblick widerstanden, und scheint sich wirklich über alle Männer lustig zu machen. Auch Deinem gehorsamen Diener wird es schwerlich besser ergehen.

[36]
13. Brief. Olivier an Reinhold
Dreizehnter Brief
Olivier an Reinhold

Welch ein verzweifelter Moderomtismus! – Lenke ein; wenn Dir an unsrer Freundschaft gelegen ist. Wahrlich! das käme mir recht! auch Du auf der Weiber Seite? – Gott verdamme mich! es scheint eine ordentliche Modekrankheit zu werden. Wo will das hinaus?[37] – Und nun sogar Du! bist wohl in alten Zeiten ein solcher Frauenlob gewesen. Aber jetzt! – Ein Mann, der sich acht Jahr in der großen Welt herumgetrieben hat! – Was? – Stehe Rede! beichte! Du bist verliebt; aber in Wen? – In die Amazone! Pfuy! ein solcher Jungfernknecht! Ein Weib das alle Männer verachtet, sollte ich lieben? – Ich komme! ich komme! verlaß Dich darauf! Mit meinen Augen will ich es sehen und ... Doch davon nachher.

[38]
14. Brief. Reinhold an Olivier
Vierzehnter Brief
Reinhold an Olivier

Hat es noch immer nicht ausgebraust? Noch immer mit der ganzen Welt, und vieleicht mit sich selbst am meisten im Kriege! – Komme nur! Dann wirst Du sehen und hören was Du sicher nicht erwartest. Bis diesen Augenblick war ich noch immer einige hundert Schritte von Wilhelminen K... entfernt. Aber das willst Du ja nicht, und so möge Dein Wille geschehen. Für den Ausgang kann ich nicht bürgen.

[39]
15. Brief. Olivier an Reinhold
Funfzehnter Brief
Olivier an Reinhold

Mit der ganzen Welt im Kriege? Ja! so bald sie sich meinem Genusse widersetzt. Blick um Dich her! ist es anders in der großen, ewigen Natur? – Die abgeschmackten Friedensgedanken! Nur in Schafsköpfen können sie entstehen. Pestartig würde er wirken! euer belobter Friede. – Nur Stürme reinigen die Luft. Dafür geben wir euch zu, daß es sich bey Zephyren sanfter einschlummern lasse.

Mit mir selbst im Kriege? O nein! vormals [40] wohl, jetzt nicht mehr. Euer inkonsequentes Moralsystem verrückte mir den Kopf. Jeden Augenblick war es mit meinen Leidenschaften im Gedränge, und ich wußte mir nicht zu helfen. Jetzt weiß ich was ich will, oder vielmehr, was die Natur durch mich will. Ich Thor wollte klüger seyn als sie, die mich zu ihren Zwecken bildete! –

Gestern Abend war die moralische Drathpuppe, der Xavier bey mir, und demonstrirte zum rasend werden die Allmacht des Menschen. Ich langweilte mich am Fenster, und sah endlich zu meinem Vergnügen, am äußersten Horizonte, ein Donnerwetter sich bilden. Während er noch im besten Declamiren war, trieb [41] es ein Sturm herüber. Die Menschen flohen, Angst und Schrecken in ihren Gebehrden. Der Blitz splitterte die große Eiche auf meinem Hofe, und ein Bauer, der Vater von zehn Kindern, wurde erschlagen.

Der arme Schelm dauerte mich, und ich will auch die Kinder versorgen; aber ich konnte mich doch nicht enthalten dem Schwätzer Xavier zuzurufen: »siehe da den Commentar zu Deiner Abhandlung! Ihr ohnmächtigen Würmer! was vermöget Ihr gegen diese große Bildnerin und Zerstörerin?

Von Eurem Willen, von Eurer Freiheit schwatzt Ihr? – Ein Blitzstrahl, ein Erdstoß! und Ihr seyd alle zertrümmert. Dann findet [42] Eure Freyheit, Euren Willen in den Millionen Stäubchen wieder, die Ihr vormals Euer Ich nanntet. Versucht, ob Ihr sie zusammen bringen und Euch dieses Ichs bewußt werden könnt. – Wahnsinnige! hört einmal auf zu grübeln! lebt, genießt; weil ihr da seyd! – Das Übrige möge die Unergründliche leiten.«

Und darum Krieg! Krieg gegen alles, was irgend einen Genuß mir verkümmert! Zum Wohlseyn bestimmte mich die Natur. Dafür seh' ich die Ameise streiten; dafür streite auch ich. Will ein stärkeres Wesen mir dieses Wohlseyn rauben; so fliehe ich. Ein schwächeres; so unterdrücke ich. Hat es Kraft sich zu wehren; gut, so mögen wir streiten. Dem [43] Sieger ist wohl, darum strebe ich es zu werden. Wer kann es mir verdenken? Wohlseyn ist meine Bestimmung.

Und, sagt was ihr wollt! all' euer Realismus, und Idealismus läuft doch am Ende darauf hinaus. Ihr erzeigt euerm gerühmten Popanz, eurem Knecht Ruprecht, Pflicht genannt, doch nur so viel Ehre; weil ihr hoft, die Christbescheerung werde darauf folgen.

[44]
16. Brief. Olivier an Reinhold
Sechszehnter Brief
Olivier an Reinhold

Du schweigst? – glaubst Du ich werde meine Drohung erfüllen? Ach nein! diesesmal kommst Du mit dem Schrecken davon. Ich kann nicht. Das wunderbare Mädchen hält mich zu fest – und so unbefangen, als wüßte sie nichts davon. Auch weiß sie es nicht; sie [45] kennt nicht ihre Gewalt. Noch vor wenigen Monden wäre es mir selbst unglaublich gewesen.

Sieh, ich denke nicht mehr an die Nützlichkeit ihrer Sanftmuth und Güte. Ich sitze still und bewundere. Die Mutter ist seit einigen Wochen krank. – Ach nein, es läßt sich nicht beschreiben! Sehen müßtest Du ihn diesen tröstenden Engel. – Selbst das bitter böse Weib – Gott mag wissen, wie sie zu der Ehre kommt diese Tochter zu haben! – scheint von der himmlischen Güte ergriffen. Auch in ihren starren, wilden Furienaugen lese ich Bewundrung.

Sieh, es ist wahr, ich bin stolz, ich kann es nicht leiden, daß mich jemand meistert, und [46] ich habe immer gesagt: was ich bin will ich bleiben. Aber, ja! ja! ich will es nicht bergen, vor diesem Mädchen könnt' ich mich demüthigen, könnte ihr alle meine Fehler bekennen. Ach, über ihren Mund kam ja niemals ein Vorwurf, und in ihrem Herzen wohnt die ewige Liebe. Auch wenn ich sie nicht sehe, versinke ich glücklich und selig in das Anschauen ihrer erhabenen Liebenswürdigkeit. Ihr großer Verstand, ihre mannichfaltigen Talente, das alles verschwindet, und man ist sich nur ihrer Güte bewußt.

Spotte nicht! das sage ich Dir, und antworte bald.

[47]
17. Brief. Reinhold an Olivier
Siebzehnter Brief
Reinhold an Olivier

Spotten? – worüber sollte ich spotten? Meinst Du ich heiße Olivier? – Ich freue mich, daß ich Recht habe. »Er ist besser als sein System.« Das sagte ich schon vor mehreren Jahren, und das wiederhole ich noch jetzt.

[48] Wie abgeschmackt! mich da hin zu setzen, und Dir vorzudemonstriren, daß Deine Teufelslarve eine Teufelslarve ist. Genug, sie verschiebt sich alle Augenblicke, und jetzt in Gegenwart dieses Engels, den Du mir schilderst, ist sie ja ganz abgefallen. Sonderbar genug, weißt Du nicht einmal etwas davon, und ich habe nun vollkommen Zeit, mir die wohlbekannten Züge wieder einzuprägen.

Gehe nur! nimm sie wieder vor, und spiele die Komödie so lange es Dir beliebt. Ich lasse mich nicht täuschen.

Was? der Mann der da schreibt: »ich denke nicht mehr an die Nützlichkeit ihrer Sanftmuth und Güte, ich sitze still und [49] bewundere,« das wäre der schändliche Egoist, der wie ein gieriges Raubthier nach Beute hascht, und alles zerfleischt was sich ihm widersetzt? –

Glaube mir! Du verstehst, Du kennst Dich selbst nicht. – O daß ein edler Mensch in Deiner Nähe, Dich wieder an Größe und Güte glauben lehrte! – Aber was sage ich! Da hast ja alles was Du bedarfst. Überglücklicher Mensch! beynahe hast Du zu viel.

[50]
18. Brief. Julie an Wilhelmine
Achtzehnter Brief
Julie an Wilhelmine

Beste Wilhelmine! meine Mutter ist krank, und Olivier ... ach, Olivier liebt mich nicht mehr. – Stundenlang kann er in sich selbst vertieft sitzen, dann springt er mit einem male auf, tritt vor mich hin, starrt mich an und versinkt dann wieder in seine vorige Träumerey. Es ist als wäre ich ihm fremd geworden. Sonst war er doch freundlich, jetzt ist er so [51] ernst, mißt mich so sonderbar mit den Augen. – Sollte er denn wirklich glauben, ich mache alles so schlecht, wie meine Mutter es sagt? – Aber er bedenkt nicht, daß sie krank ist, und daß man ja selten einem Kranken etwas recht machen kann. Wenigstens sollte er doch meinem Bestreben Gerechtigkeit wiederfahren lassen.

Andere loben mich dann wieder so übermäßig. Aber wie kann mir das Freude machen! – Es sticht gar zu sehr ab, gegen den immerwährenden Tadel meiner Mutter, und ihn, das sehe ich ja, macht es immer tiefsinniger. O meine Wilhelmine! schreibe mir doch einmal; damit ich weiß, daß ein menschliches Wesen mich noch liebt.

[52] Ich lese den Brief wieder durch – freylich, meine Mutter hat Recht, ich schreibe jetzt sehr schlecht. Aber Liebste! wie ist es anders möglich? Kaum alle vier Wochen bekomme ich einmal eine Feder in die Hand, und erholt sich meine Mutter nicht bald; so werde ich das Sprechen eben so verlernen. Selten kann ich etwas sagen, worüber sie sich nicht ärgert.

Ach liebe Wilhelmine! – ich sollte es wohl verschweigen, aber wirklich, ich leide jetzt sehr viel, und sehne mich unbeschreiblich Dich einmal zu umarmen.

[53]
19. Brief. Wilhelmine an Julie
Neunzehnter Brief
Wilhelmine an Julie

Er sollte Dich nicht mehr lieben? – Nimmermehr! Aber Du, Du liebst ihn! das ist leider bewiesen. So muß ich Dich verlieren? – Dich um dieses Mannes willen verlieren! – Wie war es möglich! Wie konntest Du den schrecklichen Abstand übersehen! – [54] Aber da liegt das Unglück! eigentlich liebst Du nicht ihn; denn das was Du so nennst ist nicht er. Dein eigenes Geschöpf, das Gebilde Deiner Phantasie ist es; ausgestattet mit allen Eigenschaften, die Dein liebendes Herz bedurfte. Aber wenn nun der Traum verschwindet, wenn Du nun diesen Menschen, mit dem ausgebrannten Herzen, als Deinen Herrn ehren, seinen Launen huldigen, und seinen lasterhaften Wahnsinn den höchsten Verstand nennen sollst? – Wenn Dein Kindersinn für Dummheit, Deine Sanftmuth für sclavische Furcht, und Dein edles Dahingeben für schwächliche, weibische Anhänglichkeit gelten muß. – Wer wird mich dann trösten! –

[55] Und was schwazte ich vorhin! Er liebe Dich noch? Hat er Dich denn jemals geliebt? – woher käme ihm der Sinn, woher die Kraft dazu! – Er kann nur zweierley; Dich sinnlich begehren, oder Dich wie eine fremde Erscheinung anstaunen. Irre ich nicht; so hast Du ihn gezwungen, sich zu dem letzten zu erheben, und weiter bringst Du es nicht, verlaß Dich darauf.

[56]
20. Brief. Reinhold an Olivier
Zwanzigster Brief
Reinhold an Olivier

Ich habe sie gesehen, Olivier! habe mich eine Stunde mit ihr unterhalten, und bekenne, daß sie eine durchaus neue Empfindung in mir hervorgebracht hat.

[57] Denke Dir den Körper der Mediceerin – nur etwas größer. – Wirf ein weißes langes Gewand um diesen reitzenden Körper, den Kopf – doch das mögte Deiner Phantasie schwerlich gelingen, Dir diesen sonderbaren Kopf zu zeichnen. Ein dunkelbraunes, lockiges Haar auf einer blendenden gebietenden Stirne. Zwey lange geistvolle Braunen über ein paar schwarzen durchdringenden Augen, voll Unschuld und jungfräulicher Würde, voll Muth und anziehender Redlichkeit.

Sonderbar! eben diese Redlichkeit macht den bleibenden herrschenden Eindruck. Nur einen Augenblick ist man sich seiner Sinnlichkeit bewußt. Dann aber geht diese Sinnlichkeit [58] nicht, wie bey Andern, in Bewunderung oder in anspruchlose Zärtlichkeit über. Nein, man vergißt ihr Geschlecht, man vergißt, daß diese schöne, kraftvolle Seele in einem weiblichen Körper wohnt. Es ist einem wohl, man wünscht, daß es immer so bleibe. Ohne Leidenschaft, ohne süße peinigende Unruhe. Ist man unglücklich; so flüchtet man gewiß zu ihr. Man weiß es, sie wird einen nicht verlassen, in Noth und Tod wird sie treu bleiben.

So charakterisirt sie sich durch ein paar gehaltvolle Worte, ohne Anspruch dahingeworfen. Ach, da ist an keine Koketterie, weder feine noch grobe, weder erlaubte noch unerlaubte zu denken. So wie sie ist, giebt sie sich, gleichviel [59] was sie dadurch wirkt. An Liebe denkt sie nicht. Das sieht man. Auch – ich gestehe es – bringt sie sie nicht hervor. Schöne genußvolle Ruhe, kindliches herzliches Dahingeben, das fühlt man, und damit scheint sie zufrieden. Ohnedem wäre sie es. – Wahrlich ich glaube sie genüget sich selbst.

[60]
21. Brief. Reinhold an Olivier
Ein und zwanzigster Brief
Reinhold an Olivier

Ich habe geirrt, Olivier! Nein, sie genüget sich nicht. Eine große Leidenschaft herrscht dennoch in dieser großen Seele. Es ist die Liebe zu ihrer Freundin.

Gestern war ich bey ihren Ältern. Von [61] ohngefähr kam die Rede auf Julie von S. Plötzlich überzog ein hohes Roth das schöne Gesicht, und eine Thräne verdunkelte das herrliche Auge.

»Sie sind mit einander aufgewachsen« – sagte die Mutter, eine herzensgute Frau – »und meine Wilhelmine treibt eigentlich ein wenig Abgötterey mit ihr« – »Vor ihr, willst Du sagen« – unterbrach sie der Vater – »deutsch heraus! sie ist ein wenig vernarrt. Ich glaube, der Weg könnte über Vater und Mutter gehen, wenn er nur zu der angebeteten Julie führte.«

Während dieser väterlichen Grobheit beobachtete ich Wilhelmine. Aber da war keine [62] Spur von Ärger, von Empfindlichkeit zu bemerken. Es schien als sey gar nicht die Rede von ihr gewesen. Mit ihrem königlichen Anstande – in der That, ich kann ihn nicht anders nennen – näherte sie sich dem Fenster, bereitete der Mutter ein Glas Selterwasser, und reichte es ihr weder mit Demuth noch mit Stolz; nein, mit einem gutmüthigen, beschützenden Lächeln, als wollte sie sagen: sey ruhig, du weißt, daß ich dich liebe. Habe ich auch gehört was er sagte; es bleibt darum alles wie es war.

Die Mutter blickte dankbar zu ihr auf, und der Vater rückte ihr mit einer wahren Kammerdienerphysionomie, in komischer Verwirrung [63] den Stuhl zurecht. Wollte sich dann ermannen, und bekam nun, da er vor sie hintrat, das Ansehn eines gezüchtigten Schulknabens. Gewiß wider ihren Willen; denn sie litt unter seiner Verwirrung, und schlug ganz sicher nur deswegen einen Spaziergang in den Garten vor.

Hier leitete ich unvermerkt das Gespräch auf Julie, und nun öfnete sie ohne Rückhalt ihr liebendes Herz.

»Ja ich gestehe es – sagte sie im schönen Enthusiasmus – alle meine Wünsche beziehen sich nur auf sie, sie ist die Hofnung meines Lebens. Ich weiß es wohl, man glaubt nicht an Weiberfreundschaften. Aber wüßten [64] Sie, wie wir von Kindheit auf mit einander gelebt haben – Sie würden es begreifen. – Sehen Sie! ich hatte einen wilden eigensüchtigen Charakter. Kein Wunder! Ich war das einzige Kind. Man hatte alles, und leider nichts umsonst gethan, mich zu verderben. Gewiß, es würde ein sehr böses Geschöpf aus mir geworden seyn; hätte dieser Engel mir nicht zur Seite gestanden.

Konnte meine sogenannte Erzieherin mich nicht mehr bändigen; so schickte sie zu Julien. Bey ihr vergaß ich meinen Eigensinn und alle meine Launen. Wie ein Friedensengel wurde sie vom ganzen Hause empfangen.

Alles was ich gelernt habe, weiß ich durch [65] sie. Kein Lehrer konnte bey mir aushalten. Da gerieth man auf den Einfall, Julie mit mir unterrichten zu lassen, und dieser Einfall that Wunder; eine Thräne, ein Lächeln von ihr beherrschte mich, mich, die alles um sich her unterdrückte.

Aber auch das veränderte sich gar bald. Zu ihrer himmlischen Liebe, womit sie Gute und Böse umfaßte, konnte sie mich freilich nicht erheben; aber Gerechtigkeit hat sie mich wenigstens gelehrt. Gelehrt, sage ich? – Ach in ihrer stillen Demuth wußte sie nichts davon. Tausende würden es nicht geahnet haben. Nur allein meine heftige, ungestüme Liebe zu ihr wurde sichtbar.

[66] Für Julie! – sagte ich bey der ersten Blume, bey dem schönsten Apfel, bey der geschmackvollsten Kleidung. – Stoßt sie nicht an! das rathe ich Euch – rief ich, wenn man im Gedränge ihr zu nahe kam. – Ein Bedienter der das Unglück hatte ein wenig heiße Brühe auf ihre Hand zu schütten, mußte seinen Abschied fodern; weil ich jedesmal laut aufschrie, wenn ich ihn erblickte. Mit einem Worte! sie ist mein Alles und wenn ich sie verliere, wenn sie unglücklich wird, mag ich das ekelhafte Leben nicht mehr tragen.«

Jetzt hielt sie plötzlich inne. Ich sah es, sie bereuete die letzten Worte. »Theuerstes Fräulein! – sagte ich – mich dünkt, Sie [67] fürchten zu sehr für ihre Julie.« – »Nein! nein! rief sie – ach, Sie wissen nicht!« – »Ich weiß alles« – fiel ich ein, und ward erst durch ihr Erstaunen meine Unbedachtsamkeit gewahr. Sie hatte – aber dieser Brief wird ja ein Buch. Ein andermal davon.

[68]
22. Brief. Olivier an Reinhold
Zwey und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Es wäre doch sonderbar, wenn Du mich besser kenntest als ich selbst. – Verändert bin ich, das ist gewiß. Solltest Du es glauben? Alle meine kleinen Liebschaften sind aufgegeben, ohne alle sinnliche Schadloshaltung aufgegeben.

Was ist das nun? Ist es Schwärmerey oder Natur? – Denn sage was Du willst! Ein Weib ist doch ein Weib, und wenn sie schön ist und ich gesund bin; so muß ich als [69] Mann ihrer begehren. Gleichwohl – Dank meiner Enthaltsamkeit – bin ich gesünder als jemals, und doch scheint mir jede Berührung Entheiligung.

Vormals ließ es sich erklären, aber jetzt, da ich keinem andern Weibe mich nähere. – Wirklich! ich bin mir ein Räthsel. – Wenn die Engelgestalt mich umschwebt, beugen sich unwillkührlich meine Knie, und hätte ich den verdammten Hofmeister-Ton nicht angenommen, wer wüßte was ich thäte.

Sonderbar! schon seit ihrem zwölften Jahre hat die Mutter sie gewöhnt, mich als ihren künftigen Mann zu betrachten. Gleichwohl habe ich sie noch immer wie ein Kind behandelt! [70] und weiß mich der Zeit zu erinnern, wo ich fest entschlossen war, sie – trotz der Mutter Heyrathsprojecten – als ein bloßes Amüsement zu gebrauchen.

Wodurch ist dieser stillsiegende Geist in das Mädchen gekommen? Von ihrer Mutter hat sie ihn nicht, von ihrer Freundin Wilhelmine eben so wenig. – Sollte es denn wirklich höhere Naturen geben, die unabhängig von Beispiel und Erziehung, sich schwebend über allem Irdischen erhielten? Ach nimm es nur hin das Bekenntniß, ich bin uneins mit mir selbst – ich weiß nicht mehr was ich glaube.

[71]
23. Brief. Reinhold an Olivier
Drey und zwanzigster Brief
Reinhold an Olivier

Ob es Schwärmerey oder Natur ist? – Warum soll Schwärmerey der Natur entgegengesetzt werden; da sie in der Natur gegründet ist? – Man denkt sich darunter ein Losreißen von allem Sinnlichen, ein Umherschweifen in höhern Regionen, wo keine Erfahrung uns folgt. Aber diesem Losreißen verdanken wir [72] das Edelste was wir haben. Ohne Schwärmerey hätten wir keine Philosophen und keine Dichter, keine Religion, keine Kunst und keine Wissenschaft. Vor der Entdeckung Amerika's war Kolumbus ein Schwärmer, und den ersten Schiffer hat man vielleicht einen Wahnwitzigen genannt. Gewiß kann man über einen Menschen keinen schrecklichern Fluch aussprechen als den: erhebe dich nie über die Erfahrung. –

Ich weiß nicht mehr was ich glaube – sagst Du – aber Du fühlst es; und das ist genug, Gott, das Schicksal, die Natur, oder wie Du es nach Deiner Vorstellungsart nennen willst – liebt Dich und führt Dich [73] weise. Dieses himmlische Mädchen allein konnte Dein Herz retten. Mögte es auf lange Zeit, mögte es für immer seyn! –

Freilich, ich gestehe es, kann man sich bey aller Freundschaft einer Art Unwillens nicht erwehren, daß dieses herrliche Geschöpf Dir aufgeopfert werden soll. Aber ich bin nun einmal Dein Freund; wie kann ich aufhören es zu seyn? – Mag es das Schicksal verantworten! – Ich darf nichts als Dir treu bleiben.

[74]
24. Brief. Olivier an Reinhold
Vier und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Was war das? – Du darfst nichts als mir treu bleiben – Darfst nicht? – Also wenn Du nun dürftest? – – Mein Herr! das gilt einen Gang! – Von hier bis ... sind nur dreißig Meilen.

[75]
25. Brief. Reinhold an Olivier
Fünf und zwanzigster Brief
Reinhold an Olivier

Gänge so viel Du willst. Ich habe zwar mit dem berühmten Sieger bey M... zu thun; aber mein Fechtmeister war doch auch mit mir zufrieden, und für eine solche Sache kämpft es sich vortreflich.

[76]
26. Brief. Olivier an Reinhold
Sechs und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

So trotzig? – Du weißt, daß ich Dich liebe; aber baue nicht zu viel darauf. Mögtest Dich irren. – Nun Du hast sie nicht gesehen! das ist mein Trost. Am Ende kommt auch wohl alles von der Amazone. Sie mag schöne Gemählde von mir entwerfen. – So gar arg ist es nicht, Mademoiselle! Machen Sie immer den Pferdefuß etwas kleiner! – Mit aller [77] Weisheit haben Sie doch wohl auch Ihre bösen Augenblicke! so wie unser Einer seine guten, und hätten Sie meine Julie nicht gehabt, wer wüßte. –

Wahrlich! wenn ich es recht bedenke, bin ich nicht ein Thor, diese Korrespondenz noch zu dulden? – Als Juliens Vormund, wie leicht konnte ich sie verbieten. –

Darum warne die Donna. – Ich fasse mir sonst ein Herz. Mag es mich dann auch schmerzen.

[78]
27. Brief. Reinhold an Olivier
Sieben und zwanzigster Brief
Reinhold an Olivier

Sey ruhig! Du wirst nichts thun, was Dich schmerzt. Im Nothfalle verhindere ich Dich daran; so wie ich es vormals gethan habe. – Du bist Juliens Vormund; nicht ihr Tyrann. Mäßige Dich! es giebt Mittel sie Deiner Gewalt zu entziehen,

[79]
28. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Tod und Teufel! was untersteht Ihr Euch! Mich zwingen! das wäre das erste Mal in meinem Leben! – Und wenn sie nun meine Verlobte, wenn sie nun meine Frau ist? Was wollt Ihr dann? – Ah ha! daran habt Ihr nicht gedacht! – Wartet! ich werde Euch lehren, mir Regeln vorzuschreiben. Noch in dieser Woche ist die Verlobung, und dann kommt einmal und mischt Euch in meine Angelegenheiten.

[80]
29. Brief. Wilhelmine an ihre Mutter
Neun und zwanzigster Brief
Wilhelmine an ihre Mutter

Es war die höchste Zeit, beste Mutter! Einen Tag später, und meine Julie war verloren. Ich fand die Alte noch im Bette, und Julie schöner und duldender als jemals. Man sah es, sie hatte geweint, gewacht, unbeschreiblich gelitten; aber es ist und bleibt das Gesicht eines Seraphs. Noch etwas größer ist sie geworden,[81] und ihre blonden Haare schattiren jetzt in das Braune. Ihre Haut ist blendender, und der Blick ihres großen Himmelauges dringt bis in das Innerste der Seele.

Der schreckliche Mensch war auch da, und zitterte vor Wuth, da ich mich Julien näherte. »Die Mutter könne sie nicht entbehren, es sey vor dem Winter unmöglich,« und was dergleichen Ausflüchte mehr waren. – Aber jetzt übergab ich Ihren Brief. Herr Olivier fand nun für gut die Maske abzuziehen, erklärte gerade heraus, er werde es nicht dulden, und erhitzte sich während seiner Protestation so sehr, daß er wirklich schäumte, als der Arzt – Juliens zweiter Vormund – herein trat.

[82] Ich wandte mich sogleich an ihn, und bat um seine Entscheidung. Er war ganz für die Reise und behauptete, Julie werde ohne diese Zerstreuung einer ernsthaften Krankheit nicht entgehen. Um den Herrn Obristen völlig zu schlagen, bot er seine Schwester zur Wartung der Mutter an, und so konnte man denn vernünftiger Weise nichts mehr einwenden.

Noch ehe der Obriste sich von seiner Betäubung erholte, war der Reiseplan fertig, und Julie fiel mir, wie eine erlöste Gefangne, mit einem Thränenstrome um den Hals.

Der Obriste, und sogar die Mutter wurden heftig dadurch erschüttert. Juliens Lächeln hatte die Peiniger getäuscht, und jetzt erst [83] schien das ganze Bewußtseyn ihrer Schuld zu erwachen.

Die Mutter sah starr auf den Boden, und der Obriste, nachdem er wie ein Rasender umhergelaufen war, stürzte mit einem Male vor Julien nieder, und rief mit seiner fürchterlichen Stimme, halb bittend, halb drohend: »Julie! Sie wollen mich verlassen!«

Das unterdrückte Mädchen schloß sich jetzt noch ängstlicher an meine Brust. Auch bekenne ich, wie ich da den Mann, durch dessen Hand so viele Menschen starben, wie ich den Koloß da vor uns liegen sah, fühlte ich selbst eine Art Schauder.

Doch ermannte ich mich wieder. »Lieben [84] Sie Julie, Herr Obrister – sagte ich, indem ich das zitternde Mädchen zu einem Stuhle führte – so können Sie sich dieser Reise nicht widersetzen.« – Er antwortete mir nur mit einem wüthenden Blicke, rafte sich auf, und verfinsterte, indem er mit seinen klirrenden Sporen an das Fenster trat, das ganze unter seinem Fußtritte bebende Zimmer.

»Wann werden Sie reisen?« – fragte die Mutter. »Morgen – antwortete ich – die Wege möchten sich verschlimmern.« – »Morgen! – rief der Obriste – das geht nicht! Morgen ist die Verlobung.« – »Und davon sagtest Du mir nichts?« – redete ich Julien an.- »Weil ich es nicht wußte« – antwortete [85] sie mit ihrer Flötenstimme. – »Du wüßtest es nicht! – rief ich – und so wird es Dir angekündigt! – Julie! – fuhr ich fort, indem ich ihre beiden Hände ergriff und sie fest gegen meine Brust drückte – Julie? wirst Du Dich morgen verloben?«

Ich glaube sie sah die Verzweiflung auf meinem Gesichte. – »Nein – antwortete sie – ich werde reisen.« – In diesem Augenblicke schrie die Mutter laut auf: »dem Obristen wird nicht wohl!« – Wir sahen uns um und er hieng bleich wie eine Leiche über der Lehne des Sopha's. Julie wollte sich zu ihm hinneigen; aber noch ehe sie sich losmachen konnte, rief ich unsern Bedienten: »Friedrich! dem [86] Herrn Obristen ist nicht wohl! geschwinde seine Leute!«

»Er wird krank werden« – sagte Julie wehmüthig, als wir in ihre Kammer traten. »Und Du – antwortete ich – würdest auf Dein ganzes Leben elend werden. Was ist schlimmer?«

»O meine Wilhelmine – rief sie, indem sie das Engelgesicht an meine Brust legte – Gott weiß es wie sehr ich Dich liebe, und wie gern ich Dir folge! aber hätten wir ihn nicht etwas mehr schonen können? – Sein Kummer ist mir fürchterlich. – Ich bin nicht daran gewöhnt.« –

»Liebst Du ihn« – sagte ich, indem ich [87] sie von meiner Brust zurückdrängte und ihr starr in die Augen sah. – »Wilhelmine! – antwortete sie – Ach Gott! ich kenne die Liebe nicht! Aber wenn ich ihn liebe; so ist die Liebe kein süßes Gefühl.« –

»O es ist gut! es ist alles gut! – rief ich, und drückte sie wieder fest an mein Herz – Du fürchtest ihn nur, bist an ihn gewöhnt, kannst ihn nicht leiden sehen – das ist es, und weiter nichts. Fort! fort von hier! damit Du begreifst, wer Du bist, und von wem Du Dich trennest.«

»Aber morgen schon?« – sagte sie – »Heute, wenn es möglich ist« – wollte ich antworten; aber ich besann mich geschwinde, und als [88] hätte ich nichts gehört, fing mit ihr an, Kleider und Wäsche zum Einpacken hervorzusuchen.

»Spute Dich – rief ich – Du hast so lange keine Bewegung in freyer Luft gehabt. Wir müssen bey dem herrlichen Wetter schlechterdings noch eine Spazierfahrt machen. Meine Leute holen Vormittags den Koffer, und so ist auf morgen alles besorgt.«

Die Schlüssel fielen ihr aus den zitternden Händen; aber ich hob sie wieder auf, schloß zu, und steckte sie zu mir. Nun giengen wir zur Mutter, die wir glücklicher Weise allein fanden. Der Herr Obriste war nach langem Warten endlich davon gegangen; freilich aber mit der Drohung, gleich nach Tische wiederzukommen. [89] Die sogenannte Spazierfahrt mußte also beschleunigt werden.

Friedrich wußte Bescheid und noch vor drey Uhr trabte er neben unserm Wagen auf dem Wege nach P...

»Hier wird uns der Obriste nicht suchen,« – sagte ich, als wir in das Wäldchen kamen – »Aber fahren wir auch zu weit?« – fragte Julie. »Nicht weiter als nöthig ist – antwortete ich – diesen Abend sind wir in P...«

»O mein Gott! – rief sie – ohne Abschied von meiner Mutter!«

»Mit dem Abschiede wärest Du nie davon gekommen.«

»Was wird der Obriste sagen?«

[90] »Alles was ihm beliebt, – die Hauptsache ist, daß er uns nicht findet.«

»Wilhelmine! Du bist zu rasch gewesen. Man wird es tadeln.«

»Immerhin! bist Du doch frey. – Auch habe ich einen Brief an Deine Mutter hinterlassen. Der Doctor will das Übrige auf sich nehmen.«

Und so gieng es nun rasch nach P.... Gestern kamen wir an, und heute sind wir schon eingerichtet. Die Zahl der Brunnengäste ist ansehnlicher als jemals, und die mannichfaltigen Zerstreuungen werden auf Julien vortheilhaft wirken.

Lassen Sie bald etwas von sich hören, beste [91] Mutter, und schonen Sie Ihre Augen, aber nicht Ihren Secretair. In der That, ich glaube Reinhold hat das Amt gerne übernommen, und Sie können sich ganz auf ihn verlassen.

Julie umarmt Sie tausendmal und Ihre Wilhelmine küßt die liebe mütterliche Hand.

[92]
30. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Dreißigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Ihre Frau Mutter ist wohl, und hat seit gestern merkliche Besserung an ihren Augen verspürt. Demohngeachtet wird meine theure Freundin – ich habe ja die Erlaubniß, Ihnen diesen Nahmen geben zu dürfen – mit einer Secretairsnachricht vorlieb nehmen müssen.

[93] Der Herr Vater kann sich, wie gewöhnlich, zu keinem Briefe entschließen, und ist tiefer als jemals in seinen Acten vergraben. Kaum war es ihm möglich, mir einen Gruß für seine Julie zurufen zu können.

Olivier ist seit drey Tagen bey mir. Fast mögte ich sagen, er dauert mich. Ich finde ihn nicht sowohl äußerlich als innerlich bis zum Unkenntlichen verändert, und gestehe, unter allen Zaubereyen der Liebe ist mir diese eine der merkwürdigsten.

Gleichwohl droht sein oft mit Würde verhaltener, oft wie ein reißender Strom hervorbrechender Schmerz alle Vernunft zu überwinden. Anfangs wollte er mich zwingen, ihm [94] Juliens Aufenthalt zu entdecken, und nur lange nach einer sehr ernsthaften Scene, war er im Stande meine Verbindlichkeit zu begreifen. Nun will er fort, Sie aufzusuchen. Ich werde ihn reisen lassen, und hoffe auf diese Weise seine Genesung am sichersten zu bewirken.

Empfehlen Sie mich Ihrer theuern Freundin, und bitten Sie ihre Frau Mutter, mich meines Amtes nicht zu entsetzen.

[95]
31. Brief. Olivier an Reinhold
Ein und dreißigster Brief
Olivier an Reinhold

Warum bin ich abgereist? warum habe ich Dich nicht gezwungen, mir ihren Aufenthalt zu entdecken? – Und hätte ich Dir den Degen auf die Brust setzen sollen – nicht wahr? endlich mußtest Du nachgeben? – Gestehe es! Du wanktest schon? – O ich knirsche vor Wuth, daß ich Dich so entwischen ließ!

[96] Wie ich hier ankam, wie ich das alles überlegte, wollte ich gleich wieder umkehren. Aber da verwirrten mich die dummen Nachrichten meiner Bedienten. Der Eine wollte dies, der Andere das gehört haben. Am Ende bist Du auch wohl so tückisch, Julien eine Veränderung des Aufenthalts vorzuschlagen, um Dich nachher mit Deiner Unwissenheit brüsten, und mich dann völlig rasend machen zu können.

Siehe! ich schwöre es! Wo ich es Dir, wo ich es Euch allen vergebe; so möge Gott mir keine meiner Sünden vergeben. Mich diesem entsetzlichen Schmerze, diesen Höllenquaalen Preis zu geben! – Und was wird nun [97] die Frucht Eurer Weisheit seyn? – Unglück! schreckliches Unglück! denn wenn ich sie nicht finde – o ich mag es nicht ausdenken, was ich dann thue.

Dummköpfe! Ihr grausamen Dummköpfe! Wolltet Ihr mich in Euer moralisches Joch spannen; nur mitIhrer Hülfe war es möglich. Ach! ich fühlte wie es Tag ward in meiner Seele, wie mein beßres Selbst anfieng zu erwachen, wie Glaube und Hofnung zu lebendigen Gestalten sich entwickelten. Das habt Ihr nun alles zerstört. Es ist wieder Nacht, tiefe Nacht um mich her, und ein lebenzerstöhrender Schmerz nagt in meinem Innern. – [98] Was soll ich nun thun? – Thun? – Hier ist nicht von einem Thun, von einem Leiden ist die Rede. Olivier leiden? – Nimmermehr! Ehe zerfleischt er sein eigenes Herz.

Muth! Muth! ich werde sie finden! und dann sollt Ihr alle dafür büßen.

[99]
32. Brief. Brief. Wilhelmine an ihre Mutter
Zwey und dreißigster Brief
Wilhelmine an ihre Mutter

Ich werde also meine theure Mutter mit ein paar recht klaren gesunden Augen wieder finden? und diese lieben Augen werden segnend auf mir ruhn. – Ach wie hat sie mich geliebt und getragen! das begreife ich erst jetzt an der Seite meiner Julie, wo alle gute Empfindungen die herrschenden werden.

Sie streitet nicht, sie widerspricht mir nicht; und doch habe ich schon wer weiß wie viele Male meine Meinung aufgegeben. Machte [100] ich irgend eine kleine boshafte Anmerkung, konnte ich mich eines bittern Urtheils über die Männer und was dahin gehört, nicht enthalten; so erwartete ich wenigstens eine mißbilligende Miene von Julien; aber ich sah nichts als das Lächeln, was unser Zeichenmeister schon in ihrer Kindheit das unnachahmliche nannte.

Zärtliches Mitleiden, holde Schaam, daß ihr reines Herz sie über den Andern erhebt, Angst, Vorgefühl der Reue, die es sich bereitet – das alles liegt in diesem wunderbaren Lächeln. Wahrscheinlich hält sie jeden Fehler, jedes Laster für eine Krankheit. Wenigstens kann man ihr Betragen nicht anders erklären.[101] Gerade zu den boshaftesten Menschen fühlt sie sich am meisten hingezogen. So wie die Ärzte sich bey den gefährlichsten Kranken am längsten verweilen.

Seit acht Tagen ist hier ein Weib, dessen Zunge nur aus Gift und Galle zusammengesetzt scheint. Nur, sobald ich Julie vermisse, finde ich sie gewiß an der Seite dieses Weibes. Jeden Ausbruch der Bosheit scheint sie für einen Ausbruch des Schmerzes und sich für berufen zu halten, ihn zu lindern. Ein Kind, eine schöne Blume, eine heitere Aussicht, müssen ihr wechselsweise dienen, die scheußliche Phantasie des Weibes zu beschäftigen. Oft wenn die blauen Lippen sich zu einer [102] neuen Lästerung öfnen, schließen sie sich wieder bey Juliens Lächeln und das Gift bleibt in dem Drachen zurück.

Donnerstags Abends. Ich hatte Recht, beste Mutter! Wahrhaftig! sie hält das scheußliche Weib für krank. Heute war mein Sinn darauf gesetzt, sie zu einem ordentlichen Widerspruche zu zwingen.

Aber, sage mir – redete ich sie an – wie kannst Du es nur zwey Minuten bey dem Weibe aushalten?

»Ach sie leidet sehr viel!«

Worüber klagt sie denn?

»Sie klagt nicht; aber ihr Betragen klagt für sie.«

[103] Gegen sie! willst Du sagen. Das Weib ist ja aus lauter Gift und Galle zusammengesetzt.

»Beste Wilhelmine! wenn das ist, was kann sie denn für ihr Betragen?«

Nun! was jeder dafür kann, der einen freien Willen hat.

»Ach Gott! Kannst Du einem Wahnsinnigen freien Willen zuschreiben?«

Wie? Du hältst sie für wahnsinnig?

»Nicht in dem gewöhnlichen Sinne. Aber glaube mir, jeder lasterhafte Mensch ist es minder oder mehr. Nanntest Du nicht selbst einmal Oliviers Denkungsart lasterhaften Wahnsinn?«

[104] Ja, wenn ich ihn nicht sehe, wenn ich nicht unmittelbar unter seiner Bosheit leide. Aber in dem Augenblicke, wo ich beleidigt werde, muß ich die Beleidigung instinktartig zurückwerfen, muß voraussetzen, der Beleidiger sey ein freier Mensch, fähig, sich nach vernünftigen Gründen zu bestimmen. Hat er es bis dahin nicht gekonnt; so verhelfen ihm sehr oft meine Vorwürfe dazu. Er begreift, daß er anders handeln muß, um mir nicht hassenswürdig zu werden.

»Liebste Wilhelmine! dies glauben viele Menschen, und doch – was bringt dieser Glaube hervor? Nach meiner kleinen Erfahrung gerade das Gegentheil von dem, was [105] man hoft: daß ich in dem Beleidiger – schuldiger oder unschuldiger Weise – eine unangenehme Empfindung erregt habe, ist ja schon durch die Beleidigung erwiesen. Sie selbst, obgleich sie ihm eine täuschende Erleichterung verschaft, bringt wieder eine unangenehme Empfindung hervor. Nun füge ich – um das Unglück vollkommen zu machen – eine drey doppelt so unangenehme hinzu. Wie natürlich, daß er durch eine gerechte oder ungerechte Kraftäußerung diese Menge unangenehmer Empfindungen auf mich, den widrigen Gegenstand zurückwirft. Und so ist denn der Anfang zu einer, wer weiß wie viele Jahre dauernden Feindschaft gemacht.«

[106] Also muß man alles dulden, alles über sich ergehen lassen?

»Was die Männer sollen, das weiß ich ich nicht. Sie haben ihren Degen und mit dem läßt sich vielerley ausmachen. Aber Güte und Sanftmuth sind ja unsere einzigen Waffen? Mir wenigstens, kommt eine Frau die sich auf irgend eine Weise zu rächen sucht, wie eine ekelhafte Mißgeburt vor.«

Aber Madame R.... ist nicht ekelhaft – –

»Liebste! viele Kranke sind ekelhaft; muß man sie darum verlassen?«

Wenigstens folgt Jedermann, der Madame [107] R.... kennt, dieser sehr natürlichen Empfindung.

»Gerade dadurch wird sie noch mehr erbittert.«

So? mich dünkt sie könnte sich aber auch dadurch bewogen fühlen etwas weniger giftig zu werden. Denn, sage was Du willst, man muß sich doch, wegen ihrer Bosheit, an sie selbst halten.

»O ja! wenn man abgerechnet hat, was Erziehung, Umstände und Temperament dazu beigetragen haben. Wenn man versucht hat, was die äußerste Liebe über sie vermag.«

Und dazu bist nun gerade Du berufen? [108] Mußt Dich um dieses Weibes willen von einer Freundin trennen? Ich will es noch erleben! in das Polterkämmerchen wird man mich stecken.

»Meine Wilhelmine!« – rief sie – schloß mich in ihre Arme, und erstickte alle übrige Vorwürfe mit ihren Küssen.

Da kommt sie! Ich muß schließen und habe Ihnen noch gar nicht geschrieben, was ich eigentlich schreiben wollte. Nun, das nächste mal. Viele Grüße an meinen lieben Vater und an Reinhold.

[109]
33. Brief. Brief. Olivier an Reinhold
Drey und dreißigster Brief
Olivier an Reinhold

Noch habe ich keine Zeile von Dir gesehen. Freilich! wohin kannst Du mir schreiben! – Ich irre herum wie ein Verbannter, suche Ruhe und finde sie nicht.

[110] Reinhold! sey menschlich! entdecke mir ihren Aufenthalt. Sieh! ich gebe Dir mein Ehrenwort: ich will sie nicht zwingen. Nein! sie soll frey bleiben. Mag sie dann auch ihre Freiheit zu meinem Nachtheil gebrauchen.

Wenn ich sie nur sehe, wenn ich nur in ihrer Nähe wieder athme.

O Reinhold! gieb mir sie wieder! damit ich diesen entsetzlichen Schmerz in meiner Brust nicht mehr fühle. Ach wie ist alles so wüste seitdem ich sie nicht mehr habe! – Nur die Hofnung sie zu finden, konnte mir das Leben erhalten.

In G.... haben sie das Äußerste versucht mich zu erheitern. Vergebens! Weiber, [111] Wein, Vergnügungen, alles ist mir zum Ekel. Sprechen sie nun gar von meinen stachlichten Lorbeeren; so möchte ich davon laufen. Ach was sind meine Metzeleyen gegen ihre stille, himmlische Größe? – Was sind die gepriesensten Weiber gegen diese Unvergleichliche! – Wahre Zieraffen! die nicht einmal die Hälfte von dem, wassie ist, scheinen können.

Sieh! ich bin unglücklich! auf mein ganzes Leben bin ich unglücklich, wenn ich sie nicht finde. Ich ließ mir aus Verzweiflung den Zügel wieder schießen, wollte mich betäuben. – Aber es geht nicht! es geht nicht! – Ach ich fühle mich dann noch trostloser, noch weiter von ihr entfernt.

[112] Aber kann ich ihr nicht schreiben? Reinhold! ich will ihr schreiben. Dir selbst schicke ich den Brief. Du mußt, ja Du wirst ihn besorgen! – Nein, das kannst Du nicht! nein, Du behältst ihn nicht zurück. – Du liebst mich noch, Du willst nicht, daß ich verzweifle. O Reinhold! Du schickst ihr den Brief. – Ich schreibe! ich schreibe.

[113]
34. Brief. Olivier an Julie
Vier und dreißigster Brief
Olivier an Julie

Julie! haben Sie mich vergessen? O Julie! hassen Sie mich? – Ich bin unglücklich, unbeschreiblich unglücklich. Ich sehe, ich höre Sie nicht mehr. – Nein, aus Sich selbst haben Sie das nicht gethan. Man hat Sie gezwungen, Sie gewaltsam mir entrissen.

[114] Aber dieser Brief wird in Ihre Hände kommen. Sie werden ihn lesen. Julie! wollen Sie nicht wiederkehren? wollen Sie mich nicht der Verzweiflung entreißen? – Es ist alles verändert. Gewiß Sie sollen frey bleiben. Aber lassen Sie mich Ihre Stimme wieder hören! nehmen Sie diese schreckliche Nacht von meiner Seele! – O Julie! sagen Sie mir, daß Sie mich nicht hassen. Julie! meine einzige Julie! kehren Sie wieder! Ich nenne, ich schreibe Ihren Namen so oft. Ach es liegt etwas tröstendes in diesem Namen. –

Aber Sie können diesen Brief nicht lesen. Meine Hand zitterte so heftig. Ich muß ihn abschreiben. Wird meine Julie mir antworten? [115] Gewiß! woher nähme sie die Härte zu schweigen.

Ich habe den Brief wieder abgeschrieben, und kann mich noch immer nicht von dem Blatte trennen. So lange es in meinen Händen ist, fühle ich nicht den entsetzlichen Schmerz in meiner Brust. Mich dünkt, Sie hätten es schon berührt, hätten es gelesen. Ihre Antwort stünde darauf. O meine Julie! werden Sie mir antworten? –

[116]
35. Brief. Olivier an Reinhold
Fünf und dreißigster Brief
Olivier an Reinhold

Ein Brief an Dich, darin einer an Julie, ist gestern abgegangen, und nun erst fällt mir ein, daß ich Dir abermals keine Addresse gegeben habe. Ach, seitdem sie mich verlassen hat, verwirren sich meine Gedanken. Das Nothwendigste vergesse ich, Kleinigkeiten betreibe ich mit einer lächerlichen Wichtigkeit, schwatze oft Stundenlang, und weiß am Ende kein Wort davon.

[117] Nun, wegen der Addresse. – Du schickst Deinen Brief nach P.... Der König kommt dorthin, und will mich sprechen. Ich zittre, daß vom nächsten Feldzuge, daß von einem Auftrage die Rede seyn wird. –

Zwar habe ich meine Ruhe theuer genug erkauft; aber werde ich nein sagen können? Werde ich es dürfen? – Auf keinen Fall reise ich, ohne sie gesehen, ohne ihr Wort zu haben.

Alles hat sich wider mich verschworen! – Treibe mich nun nicht aufs Äußerste.

[118]
36. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Sechs und dreißigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

In diesem Augenblicke empfange ich einen Brief von Olivier, nebst dem Einschlusse an Ihre Julie. Ich schicke Ihnen beides mit einem reitenden Bothen, der mir versprochen hat, sich und sein Pferd nicht zu schonen. Noch hoffe ich, er werde früher kommen, als der Obriste, und ihnen Zeit verschaffen, Ihre Maaßregeln zu nehmen.

[119] Dem Himmel sey Dank! daß es meines Rathes nicht bedarf. Ich gestehe Ihnen, bey Oliviers Zustande ist mir die Unpartheilichkeit nicht möglich. – Unvorbereitet konnte ich Sie gleichwohl nicht lassen. – Ach unter diesen heftigen Erschütterungen verwirren sich meine Geschäfte. Oliviers Leidenschaft ist unmerklich in mich übergegangen. Oft verwechsele ich mich mit ihm, und mich dünkt, ich sey es, der Julie verliere. Dann reißt meine Phantasie mich wieder zu Ihnen hin, und ich zittre Olivier möchte Julie entdecken. Wie wird das enden? – Sagen Sie mir, beste Freundin! haben Sie keine Ahnung davon? –

[120]
37. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Sieben und dreißigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Alle Ahnungen sind überflüssig. Ihr Bothe kam nur zwey Stunden später als er sollte; aber wir sind entdeckt. Der König war schon seit geraumer Zeit hier und suchte Julie eben so geflissentlich auf, als sie ihn vermied. Welch Wunder! daß er bey seiner außerordentlichen Reitzbarkeit, sich angezogen fühlt, wo die kältesten [121] Männer gerührt werden. – Julie in ihrer Kinderunschuld meinte, es sey Wohlgefallen an unserm Geschwätz und fürchtete nur das Aufsehen. Aber seine Augen haben ihn verrathen, und jetzt, nach der Ankunft des Obristen ist kein Zweifel mehr übrig.

Schon seit mehreren Tagen hatten wir unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit allen Spaziergängen entsagt. Endlich lockte uns das schöne Wetter aus unserm Zimmer hervor. Wir glaubten überdem, der König sey ausgeritten, und athmeten sorgenlos die reine erquickende Luft, als wir plötzlich seine Stimme dicht neben uns hörten. »Laßt ihn hierher kommen,« – sagte er zu seinen Leuten, und [122] stand vor uns, ehe wir nur versuchen konnten, ihm auszuweichen.

Ein paar Minuten, und wir sind, trotz unserer Einsylbigkeit, wieder meisterhaft ins Gespräch verwickelt. Aber mit einem Male ruft der König: »Ah da ist er! Nicht wahr? Sie verzeihen mir, wenn ich einen alten Freund in Ihrer Gegenwart bewillkomme?« –

Wir verneigten uns und schwiegen. Was konnten wir auf diese übertriebene Höflichkeit antworten? –

Jetzt erscheint ein großer entsetzlicher Mann in p... Uniform am Ende der Allee. Der König verdoppelt die Schritte. Wir müssen folgen. Auch der Mann nähert sich schneller. [123] »Julie! – rufe ich mit einem Male – wer ist das?« – »Der Obriste Olivier!« – sagt der König, starrt mich an, und wendet sich dann zu Julie mit der Frage: »kennen Sie ihn?« – »Es ist mein Vormund« – antwortet sie gefaßt; aber bleich wie eine Leiche. Der König steht still, und seine Augen ruhen unverwandt auf Julien. So findet uns der Obriste.

Es war unmöglich den gewaltsamen Kampf zwischen Anstand und überwältigender Empfindung bey ihm zu verkennen. – »Wahrscheinlich eine ganz unvermuthete Zusammenkunft?« – sagt der König in einem empfindlich höflichen Tone. – »Meine Braut – antwortet [124] der Obriste, und seine Augen sprühen Flammen – mußte sich ohne Abschied von mir trennen.« – Mit einer tiefen Verbeugung setzt er nach einem allgemeinen Stillschweigen hinzu: »ich habe nicht säumen wollen Ew. Majestät Befehlen zu gehorchen.«

»Verbunden! sehr verbunden!« – ruft der König im lustig seyn sollenden Tone – »Aber jetzt wäre es grausam Ihnen mit meinen Angelegenheiten beschwerlich zu fallen. Kommen Sie Fräulein! – indem er sich zu mir wendet – Sie müssen Ihr Versprechen erfüllen, und mir die neue Anlage zeigen.«

Ich wußte von keinem Versprechen und von keiner Anlage. Aber in ein dummes Hinbrüten [125] versunken, lasse ich mich halb bewußtlos mit fortreißen.

»Mein Fräulein – sagt der König – lösen Sie mir das Räthsel! Eine Braut, die vor ihrem Geliebten erblaßt?« –

»Ihro Majestät! Fräulein S... ist nicht Braut.«

»Sie ist es nicht?« – ruft er, und weckt mich erst jetzt aus meiner Betäubung. Ich will mir helfen – Vergebens! er läßt nicht nach mit Fragen, treibt mich von einer Unbesonnenheit zur andern, und verwickelt mich endlich so sehr in meine Antworten, daß mir bald nichts mehr zu gestehen übrig bleibt.

Mit tödtlichem Schrecken sehe ich ihn jetzt [126] meine Hände in unbändiger Freude ergreifen und sie mit Küssen bedecken. Höre ihn mich beschwören, seine Freundin zu seyn, Julie zu bewegen, seinen Schutz anzunehmen, zu glauben, daß er mein Vertrauen auf keine Weise mißbrauchen werde. – O Gott! ich weiß nicht mehr, was er mir alles sagte. – Mir war, es habe der Donner vor mir eingeschlagen. Stumm, zitternd und taumelnd ließ ich mich von ihm bis zu meinem Zimmer begleiten.

Julie fand mich im Fieber. Noch jetzt bin ich nicht davon befreit. Das Reisen hat uns der Arzt verboten. Haben sie die Güte meine Mutter zu benachrichtigen. Fort müssen [127] wir, das ist gewiß. Aber wann? wohin? kann ich noch nicht entscheiden.

Juliens Gesundheit scheint unverwüstbar. Sie spricht mir Muth ein, und versichert, es werde noch alles gut gehen. Ach woher nehme ich die Kraft, ihr meine Unbesonnenheit zu gestehen? Ich suche die Gelegenheit und zittre davor. Auf jeden Fall melde ich Ihnen unsre Abreise.

[128]
38. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und dreißigster Brief
Olivier an Reinhold

Wäre ich nur in dem Gewühle des Krieges geblieben. Hätte irgend ein feindlicher Säbel, eine wohlthätige Kugel sich meiner erbarmt; dann wäre ich jetzt im Frieden. – Doch wer weiß – Wahrhaftig! man könnte versucht werden schon hier an eine Vergeltung zu glauben. Wie oft hat mich die Eifersucht der Weiber amüsirt – und jetzt! – Der König hat sie gesehen – und in meinem Herzen ist die Hölle mit allen ihren Quaalen.

[129] Ob ich für sie fürchte? O denke es nicht! Es ist Lästerung. Nein sie ist und wird ewig bleiben was sie war. Aber er sieht sie, er untersteht sich ihre Hand zu berühren. Begreifst Du, was ich leide? – Ob ich ihrer denn würdiger bin? Das sage ich nicht! Keiner ist ihrer würdig. Aber er – er mag es wagen einen seiner Gedanken laut werden zu lassen.

Sonderbar müssen wir uns neben einander ausnehmen. Er schmeichelt mir, und ich, natürlicher Weise, bin gezwungen ihn zu schonen. Aber unsre Blicke mögen einen schönen Kommentar abgeben. – Weswegen er mit seinem Auftrage noch nicht hervorrückt? ist [130] mir unbegreiflich. Ich warte darauf, um das Entscheidende zu wagen.

Sieh! was hat nun all Eure Vorsicht geholfen? – Das Schicksal führt uns trotz Euch wieder zusammen. Ohnfehlbar habt Ihr statt zu verbessern verschlimmert. Wahrlich! Ihr mögtet was darum geben, daß alles im vorigen Gleise noch fortschlenderte. Dann wüßte ich noch nicht, was es heißt, ohne sie zu leben. Dann wäre vielleicht eine sanfte allmählige Trennung noch möglich. Jetzt ist es Raserey daran zu denken.Sie oder den Tod. Darauf könnt Ihr Euch verlassen.

[131]
39. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Neun und dreißigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Bestes Fräulein! ich beschwöre Sie, nichts zu übereilen. Oft wirkt das, was wir Zufall nennen, mehr, als wir bey dem besten Willen vermocht hätten.

Versuchen Sie einmal, sich eine kurze Zeit leidend zu verhalten. Besonders handeln Sie nicht gegen den Obristen. Es ist gefährlich.[132] – Meine theure Freundin! Lassen Sie uns auch gegen ihn gerecht seyn. Wahrlich! er leidet sehr viel; gewiß mehr, als wir begreifen.

»Aber Julie?« – Julie, bestes Fräulein! ist sicher. Und wäre sie es nicht – in der That, dann zweifle ich, daß wir ihr Sicherheit verschaffen können. – Nur Zeit gewonnen! dann ist alles gewonnen. Wenigstens, alles was uns zu gewinnen übrig bleibt.

[133]
40. Brief. Olivier an Reinhold
Vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Ganz richtig! ich soll wieder Tausende zur Schlachtbank führen; weil es dem Herrn, weil es seiner allmächtigen Dame so beliebt. Meine braven Kerle lassen sich in Stücken hauen, ich stürze ihnen nach, wie ein Verrückter, und das alles wird, gegen eine Nation[134] die für Eigenthum und Freiheit kämpft, zu nichts dienen, als ein paar Lücken in den Zeitungen auszufüllen.

Sollte nicht eine Zeit kommen, wo die armen hungrigen 4 Groschen Helden, ihren an der Verdauung laborirenden Gebiethern die Waffen zu Füßen legen, und in Demuth anhalten würden: Höchstdieselben mögten, wenn irgend etwas zwischen Ihnen und Dero Herren Vettern auszumachen seyn sollte, die Gnade haben, solches mit eignen hohen Händen zu bestreiten. Besagte Helden wären indessen gesonnen das Feld zu bauen und auf diese Weise zu den Thronverzierungen das Ihrige beizutragen; wofern nur die Hasen [135] und Hirsche der Herren Gebiether nichts dawider einzuwenden hätten. – – Ja ich glaube, sie wird kommen diese Zeit. Die Herren Gebiether werden sie selbst herbeiführen und auf diese Weise für die Unverdaulichkeiten am besten Sorge tragen.

Welche Antwort ich aber gegeben habe? – Daß ich bereit sey den Augenblick zu gehen; sobald Fräulein S... mir ihre Hand zur Belohnung reichen wolle.

»Sonderbarer Einfall!« – riefen Ihro Majestät und beliebten dabey mit entsetzlichen Schritten das Zimmer zu messen. – »Ich glaube wahrhaftig, Sie haben mich zum Brautwerber ausersehen.«

[136] »Ich gestehe, daß unter allen Belohnungen«

»Mit welchen Sie mich bis jetzt immer zurückwiesen.«

»Ich wünschte Ew. Majestät von meiner uneigennützigen Anhänglichkeit zu überzeugen« –

»Und jetzt?« –

»Hat das Leben durch Julie von S... einen Werth für mich bekommen.«

»So! so! nun ich habe nichts dawider.«

»Was könnten Ew. Majestät dawider haben?«

»Wahrhaftig, Herr Obrister! Sie spielen heute eine sehr komische Rolle.«

»Ew. Majestät sind heute vielleicht sehr komisch gestimmt; und daher mag ich Ihnen [137] wohl so erscheinen. Sonst war das Komische eben nicht meine Sache.«

»Nun! so haben Sie Sich erst seit Kurzem darauf gelegt. Denn, gestehen Sie! es war doch sehr komisch, schon bey unsrer ersten Zusammenkunft Fräulein S... Ihre Braut zu nennen; und jetzt noch einer Vorsprache zu bedürfen.«

»Dieser Vorsprache würde ich nie bedurft haben, wenn Fräulein S... ihrem Herzen hätte folgen können.«

»Ach mein lieber Obrister! es ist eine gar eigene Sache um ein Frauenzimmerherz. – In unsern Jahren thut man sehr wohl, keine zu großen Ansprüche daran zu machen.« –

[138] Ich hatte etwas sehr Bitteres auf der Zunge; aber glücklicher oder unglücklicher Weise trat der Günstling herein.

»Adieu, lieber Olivier! – rief der König – In vier Wochen hoffe ich den Herrn General zu empfangen.«

Was ich nun thun will? – Zu Julie will ich gehen, und sie soll entscheiden.

[139]
41. Brief. Reinhold an Olivier
Ein und vierzigster Brief
Reinhold an Olivier

Bester Olivier! wenn Du noch nicht gegangen bist; so höre mich. Ach daß es Dir möglich wäre Dich zu fassen! die Folgen einer Übereilung zu begreifen. – Hast Du alles vergessen? – Sie sollte frey bleiben, Du wolltest sie nicht zwingen. – Nun soll sie sich aufopfern, soll ihr ganzes Leben hindurch weinen. [140] Was hat die Reine, Unschuldige gethan, so in ein entsetzliches Schicksal verwickelt zu werden? Warum soll sie den Mann ihres Herzens nicht wählen dürfen? – Deine Liebe selbst müßte sie schützen. Welch eine Gestalt hat diese Liebe angenommen! – Könnte ihr ärgster Feind schlimmer gegen sie handeln? –

Olivier reiß Dich einmal los von Dir selbst! Du kannst es, wenn Du es willst. Schreite muthig aus dem Zauberkreis der Leidenschaft. Jetzt bist Du ein Dritter, bist nicht mehr der von schrecklicher Eigenliebe bis zum Wahnsinn verblendete Olivier. Olivier! was fühlt nun Dein menschliches Herz? – Ach [141] sieh! es kehret nie wieder das Blütenalter der Liebe. – Soll sie es niemals durchleben? Wenn sie nun einst, wie Du es glaubst, mit uns zerstört wird, wenn kein Bewußtseyn ihres vorigen Zustandes möglich ist, wenn vielleicht kein besserer ihrer wartet; dann willst Du es seyn, der ihr die einzigen Augenblicke raubt, die den Menschen für sein Daseyn trösten können!

Nicht wahr? Dein innigstes Mitleiden erwacht. Nein, Du willst nicht zum strafbarsten Mörder an ihr werden!

[142]
42. Brief. Olivier an Reinhold
Zwey und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Du hast sie nicht gesehen; das macht Dein Philosophiren begreiflich. Auch bewahre Dich Gott dafür! Du wärest noch unglücklicher als ich, Du würdest leiden, wo ich handle.

Wer zweifelt, daß ich mein Verfahren an einem Dritten mißbilligen würde? Aber ich, ich kann nicht anders. »Schreite muhig [143] aus dem Zauberkreis der Leidenschaft.« Aber in diesen Kreis hat das Schicksal meine ganze Glückseligkeit gebannt. Außer ihm ist eine scheußliche, grausenvolle Öde. Ich kenne sie schon diese Hölle. Nein, nein! daß ich mich vor den Quaalen der Verdammten schütze, das will ich verantworten.

Ach wenn das Treiben und Drängen der unglücklichen Erdenwürmer mich anekelte, wenn Wollust und Ruhmsucht mir schienen was sie sind, wenn ich mich nach allen Seiten wendete und trostlos fragte;warum? warum wozu? – Dann erschien sie mir wie ein höheres Wesen, die grübelnde Vernunft war gefangen, und ich glaubte.

[144] Nein, Du irrst! nein sie kann nie aufhören zu seyn, und sollten wir alle verschwinden. Sie ist mit sich einig, ist ein unzerstörbares Ganze. In ihr lebt wahrhaft ein unsterblicher Geist. Darum will ich mich an sie schließen, will fest an ihr halten, daß sie mich hinüber ziehe in das unbegreifliche Leben.

Noch habe ich sie nicht gefragt. Ein sonderbares, linkisches, muthloses Wesen befällt mich in ihrer Gegenwart. Aber sie sieht was ich leide, sie begreift, wie unmöglich es ist, daß ich sie einem andern Manne überlasse. Auch vermeidet sie jede männliche Gesellschaft. Es ist gut, ich weiß ihr Dank dafür; aber [145] es kann, es darf auch nicht anders seyn – ich würde rasen.

Freilich! manchmal erschrecke ich wohl vor dem Gedanken, sie könne ganz die Meinige werden. – Aber dann habe ich sie ja, dann wird die Gewohnheit, sie zu sehen und zu besitzen, diese quaalvolle Empfindung mildern. Dann werde ich nicht mehr die Gewänder, die sie umschließen, die Lüfte, die sie umwehen, beneiden.

Letzt kamen wir von einem Spaziergange. Sie klagte über Durst, und foderte ein Glas Wasser. Wie sie es so mit Begierde ergriff, es an den Mund brachte, und nun in hastigen Zügen es leerte – ja, da hatte ich mit [146] mir zu kämpfen. Zweimal streckte ich die Hand aus nach dem Glase, und ließ sie dann beschämt wieder sinken. – Wer hätte mich begriffen? wer hätte geahnet was ich litt, sie etwas so mit Begierde verlangen, es körperlich mit sich vereinigen zu sehen. – Endlich bekam ich das Glas und – freilich stieg mir das Blut dabey ins Gesicht – ja ich konnte es nicht lassen, heimlich zerschmetterte ich es gegen einen Stein.

Ach bedaure mich! Ich weiß wohl, es ist weit mit mir gekommen.

[147]
43. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Drey und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Ich soll mich leidend verhalten? – Nun Sie werden sehen, wohin das führt. Sicher wäre sie? – Mein guter Freund! was nennen Sie sicher? – Daß für ihre Unschuld nichts zu fürchten ist; wer kann davon mehr überzeugt seyn als ich? Aber ihre Ruhe! – Sie sollten nur hier seyn! –

Wahrlich! Herr Olivier scheint all Ihr Mitleiden verbraucht, und Ihre Gerechtigkeit [148] nur für sich in Beschlag genommen zu haben. Er kommt mir vor wie jener Wolf, der sich beklagte, daß er ein schönes Lamm in der Nachbarschaft, wozu er doch so großen Appetit habe, nicht zerreißen könne. Darnach mögen Sie ohngefähr schließen, welchen Eindruck seine Leiden auf mich machen, und wie sehr ich gesonnen bin, mich duldend dabey zu verhalten.

Die unglückliche verblendete Julie sieht freilich mit andern Augen. Jeden Tag peinigt sie sich, irgend eine neue gute Eigenschaft an dem Herrn Obristen zu entdecken.

»Es ist doch ein schöner, großer Charakter! voll Kraft und ausdauernden Muth. So weich kann er nun freilich nicht seyn, wie ein [149] Weiberherz ihn verlangt. Aber gewiß! er ist empfänglich für alles Gute und Schöne. – Daß er unser Geschlecht vormals nicht schätzte? ach das mogte vielleicht seine Schuld nicht seyn. – Daß er ein wenig viel gelebt hat? Es ist eine Schimäre, Reinigkeit der Sitten von einem Manne zu verlangen. – Seine Hände triefen zwar von Blut; aber er stritt ja für sein Vaterland« – Wenn ich das Wort höre, beiß ich mir in die Lippen – »und die Welt nennt ihn einen Helden

Für den Herrn Obristen ist demnach in aller Herzen gesorgt; nur in dem meinigen wollen seine Vollkommenheiten nicht haften. – Trotz des Schafpelzes, steht mir leider der [150] Wolf immer vor Augen, und ich kann die Zeit nicht vergessen, wo er glaubte die jetzige Verkleidung entbehren zu können. Früh oder spät wird er den alten bequemen Glauben wieder annehmen, und wehe dann einem Jeden, der nicht auf seiner Hut ist!

Immerhin wollte ich alles gelten lassen; wenn sie ihn nur liebte. – Es wäre doch eine befriedigte Leidenschaft, die in dem genußleeren Menschenleben wohl einige Rücksicht verdient. – Aber, sie fühlt nichts als Mitleiden. Davon bin ich jetzt lebhafter als jemals überzeugt.

Daß der König, bey aller sogenannten Liebenswürdigkeit sie nicht gerührt hat, bedarf [151] wohl keiner Versicherung. – Aber seit einiger Zeit ist hier ein junger Sicilianer, der, wenn der Obriste für einen Herkules gelten kann, sich dreist für einen Apoll ausgeben darf. Er spricht das Deutsche nur gebrochen; aber es klingt wie Musik in seinem Munde. Er kann nur halb dadurch andeuten, was er wünscht; aber seine Bewegungen voll südlichen Feuers und südlicher Anmuth sagen mehr als die vollkommenste Sprache. Der Obriste ist sein Held und Julie sein Abgott. Wohl bemerkt! daß dieser Abgott sehr menschlich für ihn empfindet.

Aber glauben Sie, man überließe sich dieser sehr natürlichen Empfindung? behüte! So wie der junge Mann erscheint, läuft man [152] davon und mögte lieber die Fenster zumauern, um nicht den vierten Theil eines sichtbaren Ermels auf seinem Gewissen zu haben. Nichts desto weniger gerathen der Herr Obriste sehr häufig in große Verlegenheit. – Jetzt muß ich abbrechen; aber nächstens sage ich Ihnen vielleicht ein Wörtchen darüber.

Unsere Abreise? – Nun, sie gehört in das Kapitel der guten Vorsätze, und ist demnach vor jeder Übereilung gesichert.

[153]
44. Brief. Olivier an Reinhold
Vier und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Heute stehe ich mit dem überlegten Vorsatze auf, sie um eine entscheidende Antwort zu bitten. Ich trete in die Allee, und halte noch einmal jedes Wider und Für in meinem Kopfe zusammen; als ein wunderschöner junger [154] Mann mich anredet. Ich sehe ihn an, und schreye laut auf: »Antonelli!« – »Sein Sohn,« – antwortet er, und liegt in meinen Armen.

Als ich ihn so an meine Brust drücke, und mich nicht satt an ihm sehen und küssen kann; zieht er ein Schreiben hervor. Es war von der Mutter. Wie weich ich jetzt bin! – ich konnt' es nicht auslesen. – Du weißt, der Vater fiel an meiner Seite. – Das Mutterherz hatte gesprochen, und – wie gesagt – ich konnt' es nicht auslesen.

Ich gab ihm die Hand, und nannte ihn meinenSohn. Das Wort war heraus. Einige Minuten darauf hätte ich es nicht sagen [155] können. Julie trat in die Allee und ein Gewühl von schmerzhaften Ahnungen umpfieng meine Seele. –

Der junge Mensch blieb staunend und sprachlos vor ihr stehen. Ich mußte ihn an seinen Hut erinnern. – Ach es wird mir zu viel, ich unterliege.

[156]
45. Brief. Reinhold an Olivier
Fünf und vierzigster Brief
Reinhold an Olivier

Heldenseele erwache! Auf mein Olivier! es gilt! Zum Kampfe gegen das tückische, grausame Schicksal! Sieh! es will Dich unterjochen! – Meinen Olivier unterjochen! – O der Schande! Nein, nein! Noch kann er die entehrende Leidenschaft überwinden. Triumphiret nicht! plötzlich wird er erwachen, und sich bewußt werden was er ist, Trieb nach einer unendlichen Thätigkeit hat ihn in dieses Labyrinth geführt; [157] aber eine höhere Liebe als die, welche er darin suchte, wird ihn aus der Finsterniß leiten.

Nein, er soll nicht Verzicht thun auf Glückseligkeit. Im höhern Maaße, als er es jemals geahnet hat, wird sie ihm zu Theil werden. Nur Muth! nur einige Schritte! wie viel Anstrengung sie auch kosten! Sie führen zum Lichte, zum höheren, genußvolleren Leben.

Mein Olivier, ich umarme Dich, und bitte Deinen Schutzgeist Dich nicht zu verlassen.

[158]
46. Brief. Olivier an Reinhold
Sechs und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Guter Mensch! was rufst Du mir zu? Es ist vergebens. Olivier ist an keine Aufopferung gewöhnt. Mag es das Schicksal verantworten. –

Ich bedurfte Ruhm; mein Kopf und mein Arm mußten ihn erwerben. Mein Körper foderte sinnlichen Genuß; für und ohne Geld hatte ich mehr als ich brauchte. Mein Geist [159] dürstete nach Wahrheit; und ich war glücklich genug, das was ich gefunden hatte, dafür zu halten.

Jetzt war mein Lebensplan fertig. Ich wollte genießen; und es fehlte mir nicht an den Mitteln. Wer hätte mich nicht glücklich gepriesen? – Aber mein Herz war vergessen, und rächte sich schrecklich an mir.

Was bleibt nun übrig? – Aufgeben? Verzicht thun? – Da steht die Unmöglichkeit! überwinde sie wenn Du kannst. – Ja, wäre die Rede nur von sinnlichem Wohlgefallen; ich würde den Gegenstand wechseln, mich betäuben, und vergessen. Aber Sie! – O Gott! –

[160] Wie konnte ich diese Vortreflichkeit ahnen, in der gräßlichen ewig verschlingenden Natur? In ihr, die ihre Kinder nur zum Tode gebiert, und was sie schaffen, mörderisch im ewigen Kreislaufe zerstört. Konnte ich glauben, sie wollte etwas anderes; als vorüberfliegenden sinnlichen Genuß für ihre Geschöpfe? – Sah ich nicht die Unglücklichen nur darum sich zerfleischen? Fand ich nicht Dummheit oder Heucheley, wenn sie vorgaben für etwas Edleres zu kämpfen? Hatte ich selbst jemals für etwas Erhabeners gestritten? Oft wollten die Andern mich es glauben machen und würden mich vielleicht zu diesem Glauben bekehrt haben, wäre er zu meiner Ruhe nothwendig [161] gewesen. Aber bey meinem System konnte ich gar wohl seiner entbehren.

Uns aufgerichteten Thieren schien mir ganz recht zu geschehen, wenn wir beym Fluge nach den Sternen durch die mütterliche Erde, etwas unsanft an unsere Abkunft erinnert würden. Diese Luftschifferey, nach so vielen mißlungenen Versuchen, ferner noch zu treiben, schien mir ganz eigentlicher Wahnsinn, und der damit Behafteten glaubte ich keinen bessern Weg als zum Arzte vorschlagen zu können.

Jedesmal, wenn mir nun das Leben nicht genügte, mir ekelhaft vorkam, suchte ich den Grund in einem krankhaften Zustande meines Körpers, und war glücklich oder unglücklich genug, [162] mir durch eine Reise, durch irgend eine andere Zerstreuung wieder aufzuhelfen.

Aber da sich dieses Engelherz mir öfnete, war es um mein System, und mit ihm um meine Ruhe geschehen. Dieser himmlische Sinn, kein Werk des Beispiels, der Erziehung, war rein und vollendet aus den Händen der Natur hervorgegangen; hatte alles was ihn entheiligen konnte, mit eigner Kraft zurückgestoßen.

So war es denn gewiß! die Unergründliche wollte mehr als das thierische Wohlseyn – bildete Wesen zu höheren als irdischen Freuden. –

Denke, wie diese nicht nachgebetete, oder [163] einsam ergrübelte, sondern durch lebendige Erfahrung abgedrungene Bemerkung auf mich wirken mußte! – Mir war, als träte ich aus einer dumpfigen Gruft an das erquickende Tageslicht, als öfne sich mir eine Unendlichkeit voll Wünsche und Hofnungen. – Begreifst Du nun, daß ich nicht bloß sie, daß ich mich, mein beßres Selbst in ihr liebe? –

»Sie kann trotz allem – wirst Du sagen – meine Freundin bleiben.« Nein, nein! das ist ein leerer Schall! Muß ich sie, die mein eigentliches Leben in sich schließt, Stunden, Tage lang, ohne die Hofnung, daß sie mir einst ganz angehören wird, entbehren, kann ich diesen himmlischen Körper nicht innig [164] mit mir vereinen, ein Wesen mit ihm ausmachen; so ist es um mich geschehen. Ein Anderer sollte das alles besitzen? – O dann halte nur die Kette für mich bereit! –

»Muth?« – Nun man sagt, ich habe ihn gezeigt. – Von einem andern Muthe sprichst Du? Wohlan! auch gegen das Böse habe ich jetzt Muth. Aber sich von dem ewig Guten zu trennen, das thut nur ein Wahnwitziger.

[165]
47. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Sieben und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Die Verlegenheiten des Herrn Obristen wollte ich Ihnen zum Besten geben und war freilich damals gestimmt in einen ziemlich komischen Ton zu verfallen; aber leider hat es jetzt mit diesen Verlegenheiten eine sehr ernsthafte Bewandniß, und das Komische giebt sich von selbst.

Geschlagene Leute sind wir! – Ein schreckliches, unerhörtes Verbrechen lastet auf unserer [166] Seele. – Mit einem Worte! – fassen Sie sich – wir haben ... getanzt. – Ob die Erde nicht bebte? ob sich die Sonne nicht verfinsterte? – Ach nein! Aber der Obriste hat, vor Schrecken und Ärger, einen Schwindel davon getragen.

Gott weiß es! Dies hat auch mich fürchterlich erschreckt; aber .... Doch sie mögen selbst urtheilen.

Nach, wer weiß wie vielen abschlägigen Antworten, bittet uns der König heute zu dem letzten Balle. Wie gewöhnlich sucht man Entschuldigungen hervor. Aber er läßt sich nicht irre machen, und besteht darauf, uns wenigstens als Zuschauerinnen daran Theil nehmen [167] zu sehen. Julie frägt mich unentschlossen mit den Augen. Ich gebe ihr durch Zeichen zu verstehen, daß ja nichts dabey zu wagen ist, und ... wir versprechen zu kommen.

Hoch erfreut eilt der König davon; aber Angst, Reue und Schrecken ziehen nun augenblicklich bey uns ein. »Was wird der Obriste denken! – Man hätte ihn um Rath fragen, man hätte schlechterdings nicht zusagen sollen.«

Ich gestehe, diese übertriebene Bedenklichkeiten erbitterten mich. Um so mehr, da der König, trotz meiner kindischen Furcht, sich bis diesen Augenblick mit musterhafter Anständigkeit betragen hat. Wie gesagt, die Bedenklichkeiten erbitterten mich und ich hielt eine [168] Strafpredigt über Freiheit, Selbstschätzung u.s.w. die sich vor Meister und Gesellen konnte hören lassen.

Julie schwieg. Es scheint ihr unmöglich, einem heftigen Menschen zu widersprechen. Freilich, wer durch die stille Trauer auf diesem Engelgesichte nicht zur Besinnung kommt, mögte wohl schwerlich dazu gelangen. Ich aber suchte mich jetzt absichtlich dagegen zu verhärten, verliebte mich immer mehr in meine Tiraden, und würde ohne Zweifel noch eine gute Stunde damit fortgefahren haben, hätte mich der Durst nicht in einer der schönsten überfallen.

Hastig ergrif ich ein Glas Wasser; aber [169] eben so schnell fiel mir Julie in den Arm: »Trink nicht – sagte sie mit einer Stimme, die sich zu der meinigen wie eine Flöte zu einem kleinen Brummbaß verhielt – das Wasser ist eiskalt, und Du bist schrecklich erhitzt.«

Noch wollte ich trotzen; aber da sah ich in das Himmelauge, aus dem die Liebe nicht weicht, alle meine Tiraden waren vergessen und ich mußte froh seyn mich an ihrer Schulter verbergen zu können.

Das Andenken dieses Augenblicks hat etwas so feierlich rührendes für mich, daß ich meine Erzählung schlechterdings auf ein andres Mal verschieben muß. Ich will Sie durchaus [170] weder feierlich, weder rührend noch gerührt machen. Denn, wahrhaftig! würde hier die ganze Welt gerührt; so mögte es schlimm um uns aussehen.

Nur so viel zur Nachricht: Der Obriste ist außer Gefahr, und wie gewöhnlich von fünf Uhr an gestiefelt, gespornt und vollkommen marschfertig. Zum Niederlegen bey Tage haben ihn weder die Bitten des Königs noch des Arztes vermögen können. Sein Kammerdiener – der ihn, wohlbemerkt, niemals anrühren darf – versichert, er habe ihn bis diese Stunde noch nicht in Nachtkleidern gesehen. Dagegen aber müssen eine wohlgereinigte Uniform mit Wäsche und allem Zubehör auf den [171] andern Tag bereit liegen, um dem Obristen beim Erwachen sogleich in die Hände zu fallen

Sonderbar! Ihnen das wie eine Neuigkeit zu erzählen! Was will ich damit? – Nun es macht eine dumme Empfindung in mir rege. Meine Feinde würden sagen; es verdrüßt mich.

[172]
48. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Sie ist mein! Ach das war zu viel gesagt! – Nein! noch ist sie nicht ganz mein; aber sie wird nie eines Andern. Das hat sie mir versprochen und das gilt mehr, als wenn Andre schwören.

Höre wie es kam! Geschäfte halber war ich den ganzen Tag ihres Anblicks beraubt gewesen. Nur erst gegen Abend konnte ich auf ein paar Minuten zu ihr fliegen. Sie war [173] nicht zu Hause. Mir unbegreiflich; denn ich hatte sie ja immer gefunden. Ich fühlte die Unbescheidenheit; konnte mich aber nicht enthalten zu fragen: »wo ist sie denn?« – »Auf dem Balle.« Ich muß sehr blaß geworden seyn; denn ich sah das Mädchen erschrecken. Aber ohne mich weiter einzulassen, eilte ich davon.

Wie ich in den Saal trete, finde ich alles in einer Ecke zusammengedrängt. »Was giebts?« – frage ich den Lieutenant D... – »Der König tanzt mit Fräulein S....« – antwortet er – »Aber mein Gott! was fehlt Ihnen, Herr Obrister?« – »Nichts! nichts!« – sage ich, und dränge mich vor.

[174] Sie! sie selbst! mit ihm, an seiner Hand, tanzte – Nein! nein! das ist nicht wahr! schwebte leise, unhörbar. Nur von fern berührte er sie, bückte sich jedesmal, wenn sie sich näherte. Jetzt sollte gewalzt werden, und ich grif krampfhaft an den Degen. Ob ich es gleich wußte, nicht zweifelte. – O ich hatte Recht! Er wagte es nicht, und sie konnte es nicht dulden, oder sie wäre nicht sie selbst gewesen. – Mit schüchterner Achtung – ja wahrhaftig mit Schüchternheit – führte er sie hinauf, während die Andern ras'ten. O, er ist noch nicht ganz verwahrlost! Er fühlt noch ihren Werth. – Ich war wieder zu mir selbst gekommen, ich hatte mich gefaßt. Aber [175] jetzt trat Antonelli hervor, und ehe er noch um ihre Hand bitten konnte, war ich aus dem Saale, riß meinen Braunen in den Garten, und stürmte mit ihm durch die Felder.

Mit einem Male – so viel weiß ich noch – ward alles schwarz um mich her, mein Pferd stürzte und ich verlor das Bewußtseyn.

So hatte man mich gefunden. Mein treuer Brauner war unbeweglich bey mir stehen geblieben. Ich erwachte in meinem Bette und fand Antonelli an meiner Seite.

»Julie! Julie!« – rief er und stürzte zur Thür hinaus. Noch ehe ich recht zur Besinnung kam, war er wieder da, umarmte [176] mich, küßte meine Kleider und alles was ihm vorkam.

Ach es ist ein unbeschreiblich liebenswürdiger Junge! Mit tiefem Schmerz muß ich es mir gestehen. – Ich glaubte er würde vor Freuden die Decke zersprengen; als endlich der Arzt erschien, und ihm Ruhe gebot.

Aber daran war nicht zu denken. Mit tausend närrischen Vorschlägen plagte er nun den armen Mann. Ich müsse in die freie Luft. Könne ich nicht gehen; so wolle er und der Kammerdiener mich tragen. Der große Lehnstuhl müsse dazu eingerichtet werden – u.s.w.

[177] Alles Kopfschütteln des Arztes half nichts. Er tobte hinaus zu den Leuten. Stricke, Betten, allerley Geräthschaften mußten herbeygeholt werden, und ehe wir es uns versahen, stand er mit seinem Tragsessel vor uns.

Nun erklärte freilich der Doctor, für diesmal könne nichts daraus werden, und nöthigte ihn, unverrichteter Sache wieder abzuziehen. Aber nach einer kleinen Weile erschien er abermals und hatte sich wieder ein Anderes ersonnen.

Der Doctor sollte mit ihm zu Julien gehen und sie bitten, zu mir zu kommen. Dann sollte sie an meiner Seite sitzen, während er auf der Flöte spielen und dazu tanzen wollte.

[178] Der ernsthafte Mann konnte sich doch jetzt des Lächelns nicht enthalten und fragte nun, wer denn diese Julie wäre? – Antonelli höchst erstaunt, hier jemand zu finden, der noch nichts von Julie gehört hatte, zog ihn nun, ohne weiter auf Einwendungen zu hören, mit Gewalt aus der Thüre.

Was konnte ich von dem großen Kinde anders erwarten, als daß er das theure Mädchen mit oder wider ihren Willen herschleppen würde. Darum sprang ich, ohne meine Schmerzen zu achten, schnell aus dem Bette, warf mich in meine Uniform, und eilte in das andere Zimmer, um sie zu empfangen

[179] Ich hatte richtig geahnet. Nach wenigen Minuten hörte ich schon den Lebendigsten aller Lebendigen – so nennt ihn Wilhelmine – jauchzend und tobend die Treppe stürmen. Aufgerissen ward die Thür, und wie ein Pfeil schoß er, ohne mich zu bemerken, in die Kammer.

In meinem Leben werde ich das Gesicht nicht vergessen, mit dem er wieder heraus kam. Aber jetzt blickte er nach dem Sopha und würde mich ohnfehlbar erstickt haben, wäre ihm nicht zu rechter Zeit eingefallen, er müsse sogleich die fröhliche Bothschaft verkündigen.

Kaum hatte ich mich also von seinen kräftigen Umarmungen erholt, so sah ich das [180] himmlische Mädchen, von dem Arzte geführt, zu mir eintreten. Mein Zimmer verwandelte sich von nun an, und hat auch seitdem immer etwas Magisches behalten.

Ich wollte ihr entgegen, der Arzt befahl mir zu bleiben. Antonelli ruhte nicht; sie mußte sich zu mir setzen. Ich sah ihre unbeschreibliche Verlegenheit; aber ach Gott! ihre Nähe that mir so wohl. – Doch Antonelli war es noch alles nicht recht. »Ansehen! – rief er – die Hand geben! Sprechen! viel Gutes sprechen! Ich die Flöte holen!« Jetzt war er wie ein Sturmwind hinaus, und hatte den Arzt mit sich fortgerissen.

[181] Wir blieben allein. Ich fühlte es, und sie fühlte es noch tiefer. – Daß sie zuerst sprechen würde, konnte ich nicht hoffen. Ihre Augen waren an den Boden geheftet, und ein hohes Roth hatte das Engelgesicht überzogen.

»Julie! – sagte ich endlich – wollen Sie mir auch nicht die Hand geben; ansehen können Sie mich wenigstens. Ich habe sehr viel gelitten.«

Ich glaubte, sie könne nicht schöner werden. Ich hatte geirrt. Mit tiefem Schmerze ward ich es jetzt inne und mit dem Muthe der Verzweiflung ergriff ich nun ihre Hand, drückte sie fest an mein Herz, und rief: »Julie! Wenn Sie einen Andern lieben, wenn [182] Sie mich nicht lieben können; so sagen Sie es! Machen Sie mich mit einem Male so unglücklich, als ich werden kann.«

Sie schwieg. Mein Urtheil war gesprochen. Ich dachte, empfand nichts mehr. Mein Herz hörte auf zu schlagen; aber mein Auge wandte sich noch einmal zu ihr hin. Da sah ich, daß sie die Lippen öfnete, und mein Blut begann wieder den Lauf.

»Julie! – rief ich – was wollten sie sagen? – Sagen Sie es! sagen Sie es! was es auch sey! – Lieben Sie einen Andern? können Sie mich nicht lieben?« –

[183] »Ich achte Sie, und werde nie einem Andern gehören.«

Ja! ja! das sagte sie; und ich stürzte vor ihr nieder und rief: nun will ich gehen! will gehen in den Tod! Wann auch das Schicksal gebietet!

[184]
49. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Neun und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Julie sagte mir, der Obriste hätte gestern ein großes Paquet an Sie abgehen lassen. Was kann ich nun weiter erzählen? Sie wissen ja alles. – Sie ist gebunden; und ich werde mich losmachen. Was soll ich hier? – Sie hat meines Rathes nicht bedurft, und wird [185] dessen künftig eben so wenig bedürfen. Ich mag diese Unnatürlichkeiten nicht länger mit ansehen. Ich bin ihrer müde. Meinetwegen mag bewundern wer da will; ich kann mir nicht helfen! – Mein gesunder Menschenverstand sagt mir: es taugt nichts, und wird nie etwas taugen. – Wenn ich mir die Folgen dieser schrecklichen Überspannung denke, so weine ich vor Gram und Verdruß.

Es ist Selbstmord! ja, sagen Sie was Sie wollen! es ist der grausamste, fürchterlichste Selbstmord. Mußte sie sich nicht einem Manne erhalten, der sie liebte, den sie lieben konnte? – Darf sie sich muthwillig elend machen? –

[186] Sie ist gut, ja sie ist besser als Alles was wir kennen und kennen werden; aber einen Fehler hat sie doch: sie ist zu weich, und ohne Härte giebt es keine Tugend.

Was wird nun diese übermenschliche Aufopferung hervorbringen? – O Gott, ich darf nicht daran denken! – Leben Sie wohl.

[187]
50. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Funfzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Bestes Fräulein! Das war nicht Ihr Ernst. Wie könnten Sie sich von Ihrer Julie trennen; jetzt da sie Ihrer am meisten bedarf? – Ich will sie nicht rechtfertigen; aber das Mitleiden, die innigste Theilnahme ihrer Freundin [188] darf ich für sie auffodern. Wie viel mag sie leiden! – sich selbst hat sie verloren, nun soll sie auch noch ihre Wilhelmine verlieren. –

Doch welch ein Geschwätz! In der That ich verdiene eine Strafe, daß ich von einer kleinen Aufwallung so viel Wesens mache. Wilhelminen kennen und glauben, sie werde sich jemals von Julien lossagen! Diese Lächerlichkeit springt in die Augen. – Kein Wort mehr davon! Es wäre das was die Franzosen nennen:die Heiligen bekehren.

Noch einmal! ich wollte Julie nicht rechtfertigen; aber mir selbst das alles begreiflich machen, der Versuchung konnte ich nicht [189] widerstehen. Wenn sie nun – dachte ich – ihre Freiheit bewahrt hätte? was würde die wahrscheinliche Folge gewesen seyn? –

Sie hätte einem Andern ihre Hand gegeben und ... wäre glücklicher geworden? – Schwerlich! gewiß nicht. Welcher Mann könnte dieser reinen Seele das seyn, was sie ihm seyn wird? – In jeder menschlichen Verbindung wird sie aufopfern müssen. Nie wird sie an ein menschliches Wesen hinauf sehen und sich in seinem Anschauen mit Wohlgefallen vertiefen können. Nicht einmal ein ähnliches wird sie finden. Mit einem Worte! hienieden ist kein eigentliches Glück für sie zu erwarten. Sicher hat sie auch längst Verzicht [190] darauf gethan. Findet sie nur einen Mann, der sie begreift; mehr darf sie nicht hoffen. Und, mein Fräulein, mögen wir es gestehen wollen oder nicht, diesen Mann hat sie gefunden.

Hier, lesen Sie diese Briefe, und wenn Sie dann nicht überzeugt werden; so gebe ich mich gefangen.

[191]
51. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Ein und funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Das habe ich nicht gewußt und – aufrichtig gesagt – das würde ich auf keinen Fall geglaubt haben. Sie selbst fodre ich auf; wenn Sie diese Briefe nicht empfangen hätten; würden sie geglaubt haben, der Obriste könne sie schreiben? –

[192] Aber was beweisen sie denn nun, diese Briefe? Daß er Julie begreift? Immerhin! aber denken Sie an mich! dieses Begreifen wird Julie doppelt elend machen.

Sich ganz zu ihr erheben; das vermag er nicht. Die Fieberhitze giebt ihm jetzt Kraft; aber diese Kraft wird mit dem Fieber verschwinden.

Könnte Julie immer so unabhängig, so entfernt von ihm bleiben; ich würde mich selbst zur Täuschung geneigt fühlen. Aber, geben sie Acht! Sie ist in seiner Gewalt, und bey dem besten Willen wird jede Täuschung unmöglich. Der Obriste muß in seinen eigentlichen Charakter zurückfallen. Dann wird er [193] seine Frau für eine Schwärmerin erklären, und diese Schwärmerey entweder verspotten, oder zu seiner Bequemlichkeit nutzen.

Auf diese Weise endigt denn noch alles so ziemlich erträglich. Aber wie? wenn er sich rächt für die Überlegenheit seiner Frau? – Haben sie auch daran gedacht? –

[194]
52. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Zwey und funfzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Wahrlich, mein Fräulein! Sie sehen weit in die Zukunft; aber wer kann Sie darum beneiden? – In der That! ich halte Sie jetzt für die Unglücklichste von uns Allen.

Warum nun der Hofnung so gänzlich entsagen? warum nun das Schlimmste ergreifen? – Der Obriste soll sich rächen für die Überlegenheit seiner Frau? – Nein, mein Fräulein! [195] das liegt nicht in der männlichen Natur; oder diese Überlegenheit muß sich auf eine sehr unliebenswürdige Weise ankündigen.

Nur ein Pfaffe könnte mit einem Weibe um Reinheit des Herzens sich streiten. Könnte sich rächen, wenn sie mehr wäre, als er sich vorgenommen hätte zu scheinen. Der wahre Mann ist gewöhnlich zu sinnlich, zu sehr durch die Gegenwart gefesselt, zu sehr von ihr begünstigt, um mit dem Weibe hierinnen wetteifern zu wollen. Sein Reich ist ganz eigentlich von dieser Welt, und wenn es ihm in diesem Reiche nicht gar zu übel ergehet; so denkt er nur spät an das Andre.

Überdem bietet ihm ja diese Reinheit so [196] manches Ruhekissen für seine irdischen Wünsche. Wo er hervortreten will, da zieht sie sich zurück, wo er erndten will, da hat sie niemals gesäet. Mit einem Worte! hier ist kein Wetteifer möglich. Weswegen soll er sich rächen.

Aber Oliviers Eifersucht kann erwachen. Und freilich, hier gestehe ich Ihnen, wird mir bange. Doch was kann diese Bangigkeit helfen! Julie hat entschieden, und wir vermögen nichts, als ihr Schicksal zu mildern.

[197]
53. Brief. Olivier an Reinhold
Drey und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

Morgen reiset der König, und in acht Tagen muß ich ihm folgen. Um mich völlig zu bestimmen, hat er mir meine alten Kamaraden zugeschickt. Sie bestehen darauf, ich soll [198] sie anführen und schieben mir ihre Ehre ins Gewissen. Was konnte ich thun? – ich habe Ja gesagt, und so geht es denn wieder in die feindlichen Säbel.

Wenn einer mich träfe! – Wenn ich die Einzige nicht wiedersähe! Wenn ich nach dem Tode fortdauern müßte, ohne sie zu besitzen! – Nein! nein! das ist nicht möglich! Allenthalben durchbreche ich die Schranken und eile wieder zu ihr hin.

Der König weiß, daß sie nicht reich ist, und hat ihr eine Pension angeboten, mit der Erlaubniß sie verzehren zu können, wo es ihr gut dünkt. Natürlich hat sie sie ausgeschlagen. Man muß ihm verzeihen. Er ist an seine [199] bettelnden Schranzen gewöhnt. Auch hat er nicht den Muth gehabt, selbst von der Sache zu sprechen.

Die Mutter ist wieder hergestellt, und Julie geht mit Wilhelminen nach W... Antonelli wird unter mir dienen. Es ist ein Trost für mich, den herrlichen Jungen an meiner Seite zu haben. Wäre er bey Julien geblieben – der Gram hätte mich getödtet.

Er liebt sie und mich bis zur äußersten Schwärmerey. Mit seiner kindlichen Unschuld schlägt er die Eifersucht in dem Augenblicke nieder, wo er sie reizt, und zwingt sie sich in Liebe zu verwandeln.

Er hat sich bey mir angesiedelt und weicht [200] nicht mehr von meiner Seite. Oft erschüttern mich seine kindischen Spiele bis in das Innerste der Seele.

Eins seiner liebsten ist, wenn er durch die ganze Reihe von Zimmern bis in das äußerste laufen kann. Dann muß ich rufen: wo bist Du mein Sohn? und nun stürzt er in meine Arme, und weint und lacht, und bedeckt mein Gesicht mit unzähligen Küssen.

Letzt war Julie dabey, und da ruhte er nicht, sie mußte die Worte in ein Rezitativ bringen. Nun hat er eine Antwort komponirt, die er nach den Umständen verändert.

Bald hat der Sohn den Vater verloren, und kann ihn, trostlos, nicht finden. Dann [201] schildert er die Sicherheit des väterlichen Hauses, und die Liebe des Vaters. Dieser ist immer ein Krieger und hat tausend Gefahren überwunden. Bis ans Ende der Welt will der Sohn ihm nun folgen. In den Tod will er gehen, um den Vater zu retten u.s.w.

Aber der Sohn hat auch eine himmlische Freundin. Von Lichtglanz umflossen, schwebt sie nur über der Erde und tröstet die leidenden Menschen. Wenn er gut ist, wird sie ihn lieben ... Ach! und was weiß ich, was die kindische, liebliche Phantasie sonst noch erdichtet.

So bin ich den ganzen Tag von seinen Zauberbildern umgaukelt und höre ich dann [202] einmal wieder von andern Leuten ein vernünftiges prosaisches Wort, ohne Musik, so wird mir ganz unheimlich zu Muthe.

In dieser Zauberwelt verstärken sich alle meine Gefühle. An den Abschied mag ich nicht denken.

[203]
54. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Vier und funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Diesen Morgen ist der Obriste abgereist. Von ihm und Julien hörte ich kein Wort; aber Antonelli drückte wechselweise ihre Gefühle aus. Dieser wunderbare Mensch scheint durch [204] eine Art von Inspiration die geheimsten Empfindungen zu kennen. Mit bewundernswürdiger Leichtigkeit weiß er sich in jeden Zustand zu versetzen und spricht andere Gefühle mit einer Kraft und Wahrheit aus, die zur Bewunderung hinreißt. Wo er sich naht, da werden alle Gegenstände verwandelt. Man befindet sich nicht mehr auf der kleinen alltäglichen Erde. Alles ist groß, alles verkündigt ein reicheres, höheres Leben. Selbst der Schmerz wird in seiner Nähe zum Genuß; denn er muß sich veredlen und verschönern.

Wahrlich! der Obriste ist und bleibt doch ein verzogenes Kind des Schicksals. Welcher [205] Mensch kann sich zweyer Wesen wie Julie und Antonelli rühmen? – Wenn jetzt etwas aus ihm wird, so kann er sich nicht damit brüsten.

Sonnabend gehe ich mit Julien nach ***. Ich habe einen zweyten Bedienten angenommen, damit Friedrich unser ordentlicher Führer werden kann. Sein Alter, seine Welt- und Menschenkenntniß und sein äußerst gebildeter Ton macht ihn mir in dieser Rücksicht unschätzbar.

In *** kommt er nun recht in seine Sphäre. Er freut sich wie ein Kind auf die Gemählde-Sammlung und hat mir schon wer weiß was für Wunder davon erzählt.

[206] Meine Mutter ist wohl und schreibt mir sehr fleißig. Da aber diese Briefe nur Versicherungen ihrer Liebe und Beschreibungen kleiner häuslicher Scenen enthalten; so habe ich Ihnen bis jetzt nichts davon mittheilen wollen.

Julie läßt Sie grüßen. Leben Sie wohl, aus *** ein Mehreres.

[207]
55. Brief. Olivier an Reinhold
Fünf und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

Welch ein fürchterliches Wetter. Ist es nicht, als ob der ganze Himmel in Regen herabstürzen wollte. Meine armen Leute sinken ein bis an die Knie und die Kanonen sind kaum mehr [208] fortzubringen. Schon den vierten Theil der Mannschaft haben wir durch Krankheit eingebüßt. Es ist schrecklich! Jeder leidet für sich, aber ich leide für sie alle. Ich lasse Wein, Brandwein und alles was stärken und erquicken kann, unter sie austheilen; aber wenn ich des Morgens den bleichen Gesichtern das Marsch! zurufen soll; so muß ich mich wohl zehnmal räuspern.

Wären wir nur wo wir seyn sollen! Gienge es nur gegen den Feind; dann müßte alles schon werden. Aber dieses Kämpfen mit den Elementen zerstört die Kraft der Seele und des Körpers.

Antonelli freilich scheint von dem allen [209] nichts zu empfinden. Er ist der Barde unsers kleinen Heeres, und mitten im Sturm und Regen dichtet er seine Gesänge. Wäre er nur allenthalben. Da, wo die Leute ihn sehen, lächeln sie mitten unter den Schmerzen und lassen sich willig täuschen durch sein liebliches, tröstendes Geschwätz. Allmählig kommen sie dann auch ins Erzählen. Besonders den Alten ist er äußerst willkommen. Er frägt, ergänzt und eh' sie es sich versehen, ist er der Beschreiber. Jetzt erstaunen sie selbst über das was sie thaten, und schwören mit funkelnden Augen: sie wollen alles wahr machen, was er von ihnen prophezeiht.

Unser erstes Augenmerk ist nun auf B... [210] gerichtet. Es wird Menschen kosten; aber wir müssen es haben.

Was macht die Einzige. Ich will ihr nicht schreiben, um in diesem allgemeinen Elende meiner eignen Schmerzen nicht zu gedenken.

Lebe wohl! Bald hoffe ich etwas Entscheidendes melden zu können.

[211]
56. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Sechs und funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Ein Kind von fünf Jahren machte Julien vor einigen Tagen ein Kompliment, das der feinste und gewandteste Dichter kaum schmeichelhafter und passender hätte ersinnen können.

[212] Nachdem wir die Gemählde in der äußern Gallerie besehen hatten, wollten wir eben in die innere treten; als ein kleiner goldlockiger Knabe mit großem Angstgeschrey zu seiner Mutter lief, und sich so tief er nur konnte, in ihre Kleider zu verhüllen suchte.

»Was fehlt Dir, mein Kind?« – sagte die Mutter – »Ach Mama! die große Frau! Sie ist herunter gestiegen, sie kann gehen!« – und so suchte er sich immer tiefer zu verbergen. Die Mutter, ein sanftes, vernünftiges Weibchen, ließ den kleinen Krauskopf ohne ihm vorzudemonstriren, in ihren Kleidern, und fragte erst, nachdem er schon mehrere Male aus [213] seinem Hinterhalte hervorgeschielt hatte: »Wo ist denn die große Frau?« – »Da! da!« – rief der Knabe und zeigte auf Julie – »Sie hat ein hübsches Kleid angezogen. Aber Mama: wo ist der kleine Junge? » – »Ach!« – sagte die Mutter – »er meint die große Madonna!«

Nun ward Julie wie mit Blut übergossen, und peinigte mich, sogleich mit ihr fortzugehen. Natürlich ward ich ein wenig böse. In der That, sie hat mir durch diese übertriebene Schüchternheit schon so manches Vergnügen geraubt. Überdem ehrte Jedermann ihre Verlegenheit. Nur ein junger Künstler umarmte den Knaben und lobte ihn gegen die Mutter.

[214] Demohngeachtet mußte ich mich entschließen, wollte ich sie nicht allein gehen lassen, für diesen Morgen alles aufzugeben, und mit den anhaltendsten Bitten habe ich sie noch nicht wieder hinauf bringen können.

Nun ist sie beständig zu Hause und läßt sich kaum zu einem Spaziergange bereden. »Der Knabe – sagte sie letzt mit Thränen in den Augen – hat eine Lächerlichkeit auf mich geworfen. Man wird mich die herumwandelnde Madonna nennen.« –

»Nun, und wenn man Dich so nennt? Ein gewaltiges Unglück!!«

»Ein Frauenzimmer mit einem Beynamen!« – sagte sie und eilte nun, ohne weiter [215] auf meine Ausrufungen zu hören, mit sehr betrübtem Gesicht in ihr Zimmer.

Der kleine vorlaute Bube wird mich also wohl zwingen *** weit früher als ich gewollt hätte zu verlassen. Doch werde ich Ihnen vor meiner Abreise sicher noch einmal schreiben.

[216]
57. Brief. Reinhold an Olivier
Sieben und funfzigster Brief
Reinhold an Olivier

Hier schicke ich Dir einen Brief von Wilhelminen. Es ist viel von Julien darin und dies wird Dir angenehmer seyn als vielerley, was ich Dir schreiben könnte.

Eure Lage ist schrecklich; aber Du hast ja wohl schrecklichere überwunden. Ich sage mit [217] Dir: mögte es nur gegen den Feind gehen! – Doch bitte ich Dich, suche die Gefahr nicht so absichtlich wie vormals. Du selbst hast mir gestanden, es sey oft ganz ohne Nutzen, und blos um des Ruhms willen geschehen. Ich liebe Dich und kann den Gedanken nicht ertragen, Dich fern von mir sterben zu lassen.

Lebe wohl! lebe wohl! mache, daß ich Dich wiedersehe.

[218]
58. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

Wuth, Reue und Verzweiflung zerreißen wechselweise mein Herz. Nichts, nichts kann ich thun. Ich muß die unglücklichen Menschen vor Hunger und Ermüdung zu meinen Füßen hinstürzen sehen und kann,kann ihnen nicht helfen.

O, daß ich mein Wort gegeben! daß ich mich an das schreckliche Leben gebunden habe! – Liebe und Freundschaft, die Erinnerung [219] alles Sanften und Schönen ist rein aus meinem Herzen verschwunden. Nur Wuth über die Buben, die uns in dieses Elend geführt haben, beweist mir, daß ich empfinde, Spott und Schande werden sie erndten, die heillosen Betrüger! – Aber ich, ich schwöre es! und sollte ich nur zehn Mann gegen den Feind bringen, ich werde mich retten vor dieser Schande. –

Leb wohl, und rechne nicht auf die Zukunft.

[220]
59. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Neun und funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Wir giengen heute in die Oper, und waren durch das was wir von dem ersten Sänger gehört hatten, berechtigt, unsre Erwartung aufs höchste zu spannen.

Er sollte uns Cäsar auf Farmakusa darstellen. Ehe wir hinkamen, hatte ich meinen [221] Cäsar schon fertig. Es war ein langer stattlicher Mann, mit großem brennendem Auge und milder Hoheit auf der Stirne. Sein Gang war fest, seine Bewegungen waren kraftvoll und edel. Er sprach einen schönen Tenor und, wenn er es nicht ändern konnte, mußte er ihn freilich auch singen. Der singende Cäsar! – Ey nun ich war ja in der Oper, und war ja nur um des singenden Cäsars willen hingegangen.

Der Vorhang flog auf, und nach einer Weile erschien ein kleiner dicker Mann, der sich alle Mühe gab, sich noch ein wenig dicker zu machen. Recht gern würde ich ihn für einen mit Macaroni wohl ausgestopften Schäfer gehalten [222] haben; wäre ich nicht durch eine weiß taffetne mit ponceau Bande eingefaßte Toga belehrt worden, daß ich es mit dem unüberwindlichen Cäsar selbst zu thun habe.

Welch ein langer Periode! Meinen Helden würde er in Verlegenheit gesetzt haben. Offenbar fehlte es ihm in der ersten Viertelstunde an Athem. Wir waren ziemlich weit vom Theater entfernt, und konnten ihn sehr deutlich schnaufen hören.

Ich schloß die Augen, um nicht an meinen verlornen Cäsar erinnert zu werden. Aber jetzt wurde ich durch ein wirklich meisterhaft vorgetragenes Adagio so lieblich getäuscht, daß ich sie plötzlich wieder öfnete.

[223] Da stand nun freilich der kleine Schäfer; aber er war jetzt zu Athem gekommen, hatte seine Toga in einige recht große Falten geworfen, und stimmte eine Bravourarie an, mit deren Eingang er sich vor Meister und Gesellen konnte hören lassen.

Ich horchte. – Wie viel Kraft, wie viel Ründung und Biegsamkeit! aber o mein Gott! wie viel Schnirkel und Verzierungen. Der Komponist hatte schon allenthalben verbrämt; aber unserm Cäsar war es noch viel zu simpel. Triller, Vorschläge u. s w. nichts ward gespart; aber nichts gieng auch verloren. Das dankbare Publikum nahm alles auf, und äußerte [224] seine Zufriedenheit durch den lautesten Beifall.

Wirklich! es heißt bey uns Deutschen noch immer:je mehr, je lieber. Unsre berühmtesten Sänger mögen in Italien ausgepfiffen werden, glaubwürdige Leute mögen uns versichern, daß wir nur bekommen was man dort nicht brauchen kann, und daß unsre hochgepriesenen Schnirkeleien von dem guten Geschmacke längst nicht mehr anerkannt werden. – Es hilft nichts. Wir müssen bewundern. Dies ist uns eben so sehr Bedürfniß, wie andern Nationen das Tadeln.

Julie nach ihrer löblichen Methode, nahm wieder alles von der besten Seite. Während [225] ich mich ärgerte, sah ich sie ruhig genießen. Hin und wieder ein kleines beinah unmerkliches Lächeln abgerechnet, sonst war nichts Tadelndes an ihr zu bemerken.

»Liebste Wilhelmine!« – sagte sie, als ich mich darüber ausließ – »der Freuden sind so wenige! will man sich nur an dem Vollkommnen ergötzen; so wird es bald gar keine mehr geben.«

Was macht der Obriste? Hat er noch nicht geschrieben?

[226]
60. Brief. Olivier an Reinhold
Sechszigster Brief
Olivier an Reinhold

Das ist sie, das ist sie! An diesem Bilde erkenne ich die Unvergleichliche. Ja wohl hatte der Knabe Recht; sollte ein Erlöser der Menschen von einer Sterblichen gebohren werden; so mußte sie diese himmlischen Züge haben.

O dieses Zurückziehen vor allem Glänzenden wird sie mir ewig verehrungswürdig [227] und unvergeßlich machen. Wie mit dieser Erinnerung meine ganze unzerstörbare Liebe wieder erwachte! Wie mir alles Elend jetzt so nichtig erscheint. Nein! nein! das Leben hat noch einen Werth; denn sie athmet darin.

Leb wohl! Morgen geht es nach G... Trage diesen Ring zu meinem Andenken. Wie ich auch endige; mit Schande wird es nicht seyn.

[228]
61. Brief. Olivier an Julie
Ein und sechszigster Brief
Olivier an Julie

Meine Julie! ich muß Ihnen schreiben. Ich gehe morgen gegen den Feind. Ich weiß nicht, ob ich Sie wieder sehe. –

O meine Julie! nur seitdem ich Sie kenne habe ich mich selbst, habe ich den Adel der Menschheit begreifen lernen. Haben Sie Dank! Einzige! Geliebte! Unvergeßliche! [229] Welch ein herrliches, unaussprechliches Gefühl durchströmt meine Seele bey Ihrem Andenken! Wie sind alle meine Kräfte verdoppelt! ja, ja! ich bin etwas werth! denn ich kann Sie lieben und begreifen.

Nichts mehr! keine Klagen! Überlebe ich den morgenden Tag; so schließe ich selbst diesen Brief. Wo nicht; so besorgt ihn Antonelli oder mein Adjutant.

Kein Lebewohl meine Julie! –

[230]
62. Brief. Harrison, Adjutant des General Olivier an Julie von S...
Zwey und sechszigster Brief
Harrison, Adjutant des General Olivier
an Julie von S..

Gnädiges Fräulein!


Ich habe die Ehre: Ihnen die Einnahme von G.... durch die p.... Truppen zu melden.

[231] }Unser tapfrer und allgemein verehrter General ist uns erhalten. Gleichwohl hat er zwey schwere Wunden davon getragen, über deren Folgen sich die Ärzte bis jetzt noch zweifelhaft erklären.

Vielleicht wäre es möglich diesen großen und seinem Vaterlande unschätzbaren Mann zu erhalten; wenn Sie, mein Fräulein, sich entschließen könnten, durch Ihre Gegenwart seine Leiden zu mildern.

Muß ich Ihnen beschreiben, wie innig er es wünscht, und wie sehr er dennoch fürchtet, Sie durch eine Bitte zu beleidigen? -

Aber meine Kamaraden und ich, wir, mein Fräulein, können und dürfen nicht [232] fürchten, das Leben unsers Generals im Namen des Vaterlands von Ihnen zu fodern.

Verzeihen Sie der Freimüthigkeit eines Soldaten, und genehmigen Sie die Versicherung seiner höchsten Achtung, und seiner unwandelbaren Ergebenheit.

[233]
63. Brief. Der Adjutant Harrison an Reinhold
Drey und sechszigster Brief
Der Adjutant Harrison an Reinhold

Auf Befehl meines Generals habe ich die Ehre Ihnen folgendes von der Einnahme der Vestung G.... zu melden:

Sie liegt auf einem schroffen Felsen und [234] bestreicht acht Hauptstraßen. Hatte sehr gute Werke und etwa zwölftausend Mann Besatzung.

Ein Officier der Garnison war zu uns übergegangen. Auch kannten mehrere der Unsrigen das Innere des Platzes ziemlich genau. Hierauf gründete sich unsre Hofnung. Die übrigen, freilich ansehnlichen Schwierigkeiten, machten uns weiter nicht bange.

In aller Stille wurde am Neunzehnten Abends ein Detaschement von sechszehnhundert Mann ausgehoben und erhielt Befehl, sich bey N... zu versammlen.

Alles gieng so gut, daß die Bestimmung dieses Korps der Armee gänzlich unbekannt [235] blieb. Nur aus den mitgenommenen Beilen, Äxten und Brecheisen konnte man vielleicht, doch nur unvollkommen, etwas ahnen.

Gegen sieben Uhr setzte sich die kleine auserwählte Schaar in Bewegung. Jeder hatte eine weiße Binde um den Arm, und war übrigens mit allem Nöthigen versehen.

So gieng es schweigend durch die kalte Herbstnacht. Nur einige Wolken schwebten am Himmel. Oft brach der Mond hinter ihnen hervor und das stille Häufchen drängte sich dichter an einander.

Jetzt waren wir bey N... Man nahm Abschied von den Kamaraden, das kleine Heer ward in zwey Kolonnen, diese in zehn Attacken [236] vertheilt, und nun gieng es rasch gegen die Vestung.

Während der General den Hauptangriff dirigirte, sollte Graf Antonelli sich der L.... Straße bemeistern, durch den gewölbten Gang bey des Commandanten Wohnung hervorbrechen, und sich wieder, nachdem die Thore gesprengt seyn würden, zur Einnahme des ganzen Platzes mit uns vereinigen.

Jetzt schlug es Zwey, noch einige hundert Schritte, wir hatten die Vestung umgangen und waren glücklich bey dem Fuße des Glacis angekommen.

Die erste Schildwache pfiff sich ein Stückchen um munter zu bleiben, dann und wann [237] schallte ein Zuruf der feindlichen Posten, sonst war kein Laut zu vernehmen.

Jetzt hörten wir das dumpfe Hinan! und ehe wir selbst es nur glaubten, war der Berg schon erstiegen. Aber in dem Augenblicke waren wir auch von der Schildwache entdeckt. Kein andrer Rath! unsre Bajonette mußten sie zum Schweigen bringen. Ihren Kamaraden gieng es nicht besser, und so waren wir nach kurzem über die Palisaden hinweg.

Aber hier änderte sich plötzlich die Scene. Zwey feindliche Posten gaben Feuer, man [238] hörte den Angrif auf die Stadt und alles kam in Bewegung.

»Zu den Waffen! zu den Waffen! die Feinde! Hier Kamaraden!« So erscholl es von allen Seiten. Jetzt schmetterte die Lärmtrommel dazwischen, und das Getöse stieg bis zur schrecklichsten Betäubung.

Indessen war der Angrif auf die Stadt glücklich ausgeführt, und wir erstiegen nun muthig die Wälle. Balken, Steine, Handgranaten stürzten uns entgegen und zerschmetterten die Brüder vor unsern Augen.

Der General sahe es, hörte das Röcheln dicht um sich her, und sein Schmerz schien sich in Wuth zu verwandeln.

[239] »Hinan Brüder! hinan! – rief er – daß Menschenblut nicht umsonst vergossen werde!«

Es half; noch einige Minuten, und wir waren oben.

Aber in dem Augenblicke wurden Graf Antonelli und seine Gefährten entdeckt. Mit fürchterlichem Getöse drang er jetzt durch den unterirdischen Gang, und nun begann ein wüthendes Gemetzel. Zwey Thore hatten wir inne; aber er und der Platz waren verlohren hätte die Verzweiflung unsre Kräfte nicht verdoppelt.

Wie ein junger Löwe brach er aus seinem Hinterhalte hervor, und befand sich beinah [240] immer allein unter den Feinden. Unbegreiflich ist es, daß sie ihn nicht zum Gefangnen machten. Der Gang war so enge, daß nur drey Mann neben einander stehen konnten. Natürlich wurden diese sogleich getödtet, oder verwundet, versperrten denen die an ihre Stelle treten wollten den Weg, und machten so die Grundlage von einem Haufen Leichen. Dichte davor fanden wir Antonelli allein, unverwundet, aber durch Blut und Staub beynahe unkenntlich.

Jetzt hörte er die Stimme unsers Generals, und ein sechsfaches Leben schien ihn zu begeistern. Mehrere der Unsrigen sahen ihn [241] kommen und hörten vor Erstaunen nicht ihre Führer. Rechts links schlug er die Feinde. Er stand bey uns, und wir starrten ihn an.

Aber jetzt wurden wir schrecklich aus unsrer Betäubung geweckt.

»Der General ist verwundet!« – durchlief es die Reihen. – »Nicht wahr! nicht wahr!« – rief Antonelli – und so gieng es wieder in den dichtesten Haufen der Feinde.

Nun keine Rast! wir mußten hindurch, und kamen nur bey dem Worte Sieg zur Besinnung.

Die Vestung war unser, der Commandant getödtet, die Garnison gefangen; aber unser Häufchen zu neunhundert eingeschmolzen und [242] unser allgemein verehrter General an zwey Stellen verwundet.

Ich habe Fräulein S... geschrieben und übersende Ihnen hierbey eine Abschrift dieses Briefes. Ohne meine Bitte werden Sie alles beytragen, unsern Wunsch zu erfüllen. Ist es möglich, Fräulein Julie zu überreden, so haben wir Hofnung.

[243]
64. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Vier und Sechzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Fräulein Julie wird in diesen Tagen einen Brief von dem Adjutanten des Obersten erhalten, oder schon erhalten haben. Sie verstehen mich – ja bestes Fräulein! ich wage es für ihn zu bitten. Können Sie mich tadeln? seit meinem achtzehnten Jahre ist es mein Freund. Gewiß Sie fühlen, was das heißt – fühlen es um so mehr; wenn Sie bedenken, daß es mir meine Geschäfte unmöglich machen, [244] zu ihm zu eilen, und seine Pflege zu übernehmen.

Es sind doch nur Fremde, die ihn umgeben. Wie könnten sie, bey dem besten Willen, die Theilnahme eines Freundes ersetzen! Dies kann nur ein Wesen – seine Julie. – O mein Fräulein, rauben Sie ihm, rauben Sie mir nicht diesen Trost.

Gewiß Sie begreifen eine Männerfreundschaft. Wenn Sie Ihre Empfindung zum Maasstabe nehmen; so habe ich sicher keine Fehlbitte gethan.

[245]
65. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Fünf und sechzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Wie fein Sie mich zu bestechen suchen. Nein! nein! ich darf meine Empfindung nicht mehr zum Maasstabe nehmen. Sie ist verändert, durchaus verändert! Sonst würde ich ja Himmel und Erde bewegen diese Reise zu verhindern.

Wer kann gegen das Schicksal! – Mag nun kommen was da will! Es müßte sonderbar zugehen; wenn es schlimmer wäre als ich es mir vorstelle.

[246] Leben Sie wohl. Wir packen ein. Der Oberste – nicht doch! Der General, wollte ich sagen, ist nach dem Schlosse R... gebracht, und für uns eine prächtigere Wohnung, als wir bedürfen, eingerichtet.

Ich habe einige Soubertten- und Marketenderkleider mitgenommen. So etwas Ähnliches werde ich ja wohl vorstellen müssen. Schade nur, daß es mir an der dazu gehörigen guten Laune zu fehlen scheint.

Von unserm Residenzschlosse R... ein Mehreres.

[247]
66. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Sechs und sechszigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Wir haben den Obersten sehr schlecht gefunden. Aber ich sehe es: alles hat sich verschworen. Man will sie aufopfern. Mit welcher sonderbaren Gewalt lenkt dieser Mann aller Herzen nach seinem Willen? – Antonelli, der Adjutant, mehrere angesehene junge Männer [248] verrathen alle Augenblicke: wie tief sie von Juliens Schönheit gerührt werden; und dennoch scheinen sie sich das Wort gegeben zu haben, alles zu thun, um sie ihm näher zu bringen.

Das ist ein Lobpreisen! ein Wehklagen! – Sogar den Arzt haben sie bestochen. »Fräulein Julie soll ihm die Medizin reichen. Fräulein Julie soll dies, soll jenes thun.« Und dabey treibt Antonelli ein Wesen, daß ich nicht weiß wie sie es aushalten kann.

So wie er naht steigt ihre Verlegenheit bis zur peinlichsten Unruhe. Glücklicher Weise ist er zu sehr mit seiner eignen Empfindung beschäftigt, um es zu bemerken. Aber ich [249] sehe bestätigt, was ich schon vor längrer Zeit ahnete. Sie liebt ihn, – können Sie es begreifen – das Mitleiden wird sie hinreißen, sie wird sich aufopfern.

Das alles muß ich nun so mit ansehen – Soll ich sie aufklären über ihre Empfindung? – soll ich es nicht? Gott mag es wissen! ich weiß nicht mehr was hier gut ist.

[250]
67. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Sieben und sechzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Alle Zweifel sind gehoben. Was ich vorher sah ist geschehen. Er hat ihr sein ganzes Vermögen hinterlassen wollen; sie hat es ausgeschlagen. Er hat es gewagt – der Grausame[251] – um ihre Hand zu bitten; und sie hat sie gegeben.

Was helfen Klagen? – Das Leben wird darum nicht kürzer.
Ich will Abschied von meiner Mutter nehmen und mir ein kleines Thal in der Schweitz aussuchen.
[3]

Zweyter Theil

1. Brief. Olivier an Reinhold
Erster Brief
Olivier an Reinhold

Wilhelmine hat Dir geschrieben, Du weißt alles. Ach! ich halte nicht mehr die Menschen, welche Götter zu seyn glaubten, für wahnsinnig. Ja! lache nur! ich, ich selbst, dünke mich ein Gott. Meine Wunden? – o die sind geheilt! vergessen! Ich lebe, lebe ein Leben, was nur ein Gott leben und begreifen kann.

[3] Siehe! ich darf sie halten, halten in meinen Armen! – darf mich berauschen in den himmlischen Zügen – darf sie mein nennen! – O Gott! wer hätte geglaubt, des Menschen Herz könne so viel Seeligkeit fassen! und darum sage ich Dir: ich bin ein Gott; ich kann alles was ich will.

Nein, es sind mehr als menschliche Kräfte, die mich beleben. Du hast es gehört, wir haben gesiegt; allenthalben gesiegt. Die Einnahme von B... war nur ein Vorspiel. Ich hatte ihr Wort, wußte, daß Sieg mich wieder zu ihr führte. – Wer konnte mich nun überwinden? –

Ach! bevor die Himmlische uns ergreift, [4] taumeln wir mit gefesselten Sinnen auf der herrlichen Erde; verstehen kein Rauschen des Waldes, kein Flöten der Nachtigall, sehen die Sonne steigen und sinken, und begreifen uns selbst nicht. Aber sie naht, und der Götterfunke hat gezündet. Lichtglanz ergießt sich über alles was uns umgiebt. Kein Stillstand, kein Tod mehr für uns. Wir können nur Leben begreifen, geben, und empfangen.

Gott sey gelobt! der Feldzug ist geendigt. Wir haben keine Feinde mehr; aber mögte die ganze Welt sie auch haben, ich kenne nur Freunde.

Verlange nicht, daß ich Dir beschreibe, aus einander setze. – Könnte ich es; so wäre [5] ich minder seelig. Wer kann das Unbeschreibliche beschreiben! –

Erräthst Du es nicht, nun, so lies es denn: Sie trägt schon meinen Nahmen. Er klingt anders seitdem; das behaupte ich, und Du selbst würdest es finden. Ich verführe die Leute, ihn so oft als möglich auszusprechen, und dann horche ich, und habe mein innigstes Wohlgefallen daran.

Ach sag was Du willst! lache wie Du willst! ich kehre mich nicht daran. Ich bin glücklich und seelig, und wenn Du mich sähest, würdest Du es auch seyn.

[6]
2. Brief. Wilhelmine an Julie
Zweyter Brief
Wilhelmine an Julie

Wie geht es Dir? Ich sollte wohl nicht darnach fragen; aber – rechne es unter meine Gewohnheitssünden. Ich? – Nun, abermalige Kämpfe. – Mein Herr Vater hielt nicht weniger als drey Heyrathsprojecte für [7] mich bereit, und wußte sich vor lauter Bewunderung nicht zu lassen.

Was er denn so sehr bewundert? Dich! Dich! Deine Klugheit, Weisheit, Nachgiebigkeit. Meine Mutter wollte einige Zweifel dagegen erheben; aber er fuhr sie so wahrhaft ehemännisch an, daß ich zu seinen Ermahnungen weiter keines Kommentars bedurfte.

Gottlob! ich bin mündig. Das Vermögen meines Oheims muß mir ausgezahlt werden, und dann säume ich keinen Augenblick. Das Guth ist verpachtet. Mögen sie zerstören, was ich angelegt habe. Was kümmert's mich! Meine Hoffnungen sind auch zerstört.

Hin will ich noch einmal, Deine Zimmer [8] will ich noch sehen. Das eine ist recht hübsch. Es ist gerade so, wie Du mir auf unserer Reise ein Zimmer beschriebest. Sie sollen es zuschließen. Niemand soll es bewohnen bis .... Nein! nein! nichts mehr! es ist alles vergeblich!

Schreib mir noch einmal, dann will ich reisen.

[9]
3. Brief. Julie an Wilhelmine
Dritter Brief
Julie an Wilhelmine

Vormals schien mir meines Oliviers Schmerz der tiefste, jetzt scheint mir der Deinige noch tiefer. O meine Wilhelmine! was sprichst Du von zerstörten Hoffnungen? – Glaubst Du, [10] diese Hoffnungen würden jemals erfüllt worden seyn? – Glaubst Du, die Natur würde sich nicht rächen? – Hat sie zwey Weiber geschaffen sich alles zu werden, und ihre unwandelbaren Gesetze zu verspotten? –

Gewiß! Du würdest noch früher als ich, Dich elend gefühlt haben. Denn siehe, Dir kann ich es wohl vertrauen; ich habe niemals etwas von dem Erdenleben gehofft. Wie soll ich es Dir beschreiben? – Mir ist, als schweben nur Schattengestalten mir vorüber, als sey nichts wirklich von dem was mich umgiebt.

Töne, Farben, ja die gröberen Sinne des Geschmacks, des Geruchs, scheinen mir auf etwas Vollkommneres zu deuten. Wenn ich [11] eine Rose, eine Hyacinthe rieche, erwachen Ahnungen in mir, für die ich keinen Nahmen habe. Sehe ich schöne Gestalten, höre ich harmonisch verbundene Töne; dann verklären sich diese Ahnungen zur Gewißheit, und mir ist, als sollte ich plötzlich der Erde entfliehn.

Was mich dann noch hält, was mir dann hier noch wirklich erscheint, ist: ein stiller, heiliger Sinn, der sich stets zu dem Vollkommnen neiget; aber darum die Schattenfreude nicht störet.

O mögte ich ihn haben diesen Sinn! mögte ich ihn erhalten, wenn er mir einst zu Theil wird! leider! jetzt bin ich noch weit davon entfernt. Wie könnte sonst Andrer Schmerz [12] so schrecklich auf mich wirken? – Ist mir die Freude ein Schatten, warum ist er es nicht auch? warum reißt er mich hin zu Irrthümern? warum will ich dem Schicksale vorgreifen? –

Doch was schwatze ich! beste Wilhelmine! versuche keinen Sinn da hinein zu bringen. Es ist keiner darin. Gewiß keiner.

[13]
4. Brief. Wilhelmine an Julie
Vierter Brief
Wilhelmine an Julie

Wer bedarf des Lichts, wo es Tag ist? – Ich habe mir keine Mühe gegeben, Sinn in Deine Worte zu bringen. Für mich sind sie nicht dunkel. Auch begreife ich sehr wohl, daß Dir die Freude wie ein Schatten; aber nicht der Schmerz so erscheint.

Wollte der Himmel! ich begriffe eben so leicht, wie man sich berufen glauben kann, der ganzen Welt Schmerzen zu lindern, und [14] gegen seine eigenen die unmenschlichste Gleichgültigkeit zu behaupten.

Mag die Natur es verantworten, wenn sie ein Geschöpf dem Andern zum Opfer bestimmt. Aber das Opferthier darf sich wehren, es darf dem Verderben entfliehn. Auch in ihm regt sich der Trieb des Lebens, mahnet es zum Genuß und zur Erhaltung des Wohlseyns. Wer verspottet nun die Gesetze der Natur? wer wird dafür büßen? – –

Zwey Weiber können sich nicht alles seyn? – Schlimm genug? schlimm genug, daß die Geschöpfe welche den Weibern dieses sogenannte Alles seyn sollen, dieses Alles so elend repräsentiren.

[15] Im ausschließenden Besitze dessen, was den Geist erheben, ihn zur Selbstüberwindung, zur Tugend entflammen kann, glauben sie sich zu den ausschweifendsten Leidenschaften berechtigt. Nenne mir ein Laster, was sie nicht an uns abscheulich, und an sich erträglich fänden? Nenne mir eine Tugend, die sie nicht von uns foderten, um sie nach Wohlgefallen zu zerstören.

Und die Natur sollte mich strafen; wenn ich mich nicht vor einem dieser Sultane niederwürfe, überglücklich, daß er mir die Gnade erzeigte, seinen Fuß auf meinen Nacken zu setzen? –

Nein! nein! noch haben wir unsre fünf Sinne! und was die Natur auch versuchen [16] mag sie zu empören, sie sind der Fesseln gewohnt, und ohnehin, unter allen Umständen, zu einer ewigen Sclaverey verdammt.

Ich habe nichts zu gewinnen; aber ein unschätzbares Guth zu verlieren. Meine Freyheit. Welch ein großes, seelenerhebendes Wort! Wo gäbe es ein Glück ohne sie! wo gäbe es einen Schmerz, den sie nicht linderte. Wenn mich alles verläßt, dann wird mein Herz mir die Welt.

[17]
5. Brief. Reinhold an Olivier
Fünfter Brief
Reinhold an Olivier

Warum verwechseltest Du mich immer mit Dir selbst? Lachen sollte ich? Was gäbe es da zu lachen? – Es sey denn, daß Du etwas lächerliches ahnetest. Wäre das; so müßte ich Dich bedauern, müßte glauben: Du sähest [18] schon jetzt die Zeit im Geiste, wo Dir das Höchste, was dem Menschen gegeben ist, wie ein Kinderspiel erscheinen wird.

Möge der Himmel Dich vor dieser thörichten Weisheit bewahren. Einen Freund hättest Du dann weniger.

[19]
6. Brief. Olivier an Reinhold
Sechster Brief
Olivier an Reinhold

Warum nun gleich so kurz und so bitter? Wahrlich Du irrst! Ach wenn ich ein Spiel ahne; so ist es ein sehr ernsthaftes Spiel, und wobey ich leider der verlierende Theil seyn werde. –

Mein Glück hat mich berauscht, die Vergangenheit und die Zukunft habe ich vergessen. [20] Nur so ist es möglich glücklich zu seyn. – Aber der Rausch ist verschwunden, und dafür die Zweifelsucht mit allen Quaalen erwacht.

Wie? ist das Liebe, was sie mir zeigt? – Ist es Mitleid? Ist es Ergebung? – Zwar verzeihen wir den Weibern keine Ausbrüche der Sinnlichkeit; aber sollte sie sich darum niemals verrathen? Ist es bey wahrer Liebe möglich, jede Aufwallung zu unterdrücken? Und wenn auch eine ganze Reihe menschlicher Empfindungen diesem schwärmerischen Herzen vormals unbekannt war; mußten sie nun nicht erwachen? Ach was soll ich glauben? – Ihre Aufführung ist untadelhaft. Selbst Antonelli wird mit einer Art Kälte [21] empfangen. Aber ... ich weiß nichts hinzuzusetzen. Ich fühle es, ich bin ungerecht, und doch ruft eine Stimme in meinem Innern: es ist nicht so wie es seyn sollte.

Auch Antonelli ist verändert. Alle seine Munterkeit ist verschwunden. Was fehlt ihm? – Ich vermeide die Antwort auf diese Frage.

[22]
7. Brief. Reinhold an Olivier
Siebenter Brief
Reinhold an Olivier

Und, setze ich hinzu, Du wirst wohl thun, sie zu vermeiden. – Doch nein! lieber gleich das Messer an den Schaden! er könnte unheilbar werden.

Also – denn warum soll ich nicht schreiben, was Du denkst? – Antonelli hat seine Munterkeit verlohren, heißt mit andern Worten; er ist sich seiner Empfindung [23] bewußt, seine Unschuld ist dahin, er wünscht Julie zu besitzen, das ist nicht möglich, und er fühlt sich elend.

Julie? ob sie Dich liebt? – Aber hat sie Dir Liebe versprochen? Ich achte Sie, und werde nie einem Andern gehören. Das waren ihre Worte. Hast Du sie vergessen? Woher kommen nun mit einemmale die Träume von Liebe?

Fasse Dich! was hilft der Zorn? was hilft die Reue? – Ich kenne Dich, und will Dich vor Dir selbst zu retten suchen.

Siehe, was vermagst Du über die Vergangenheit? nicht einen Gedanken, viel weniger eine Handlung kannst Du zurücknehmen. [24] Aber die ganze Zukunft, in so fern Dein Wille auf sie wirken kann, hängt von Dir ab. Darum nun fasse sie unerschrocken ins Auge! Was läßt sich von ihr erwarten?

Entweder Du erhebst Dich zur Gerechtigkeit, Du foderst nicht mehr, als sie versprach, und suchst zu verdienen, was Du wünschest. Mag immerhin ihre Sinnlichkeit für einen Andern sprechen, mag es ihr unmöglich seyn, lebhafter für Dich zu empfinden; ihre Pflicht wird die Oberhand behalten. Es ist nicht gedenkbar, es ist schlechterdings unmöglich, daß sie sich jemals zu etwas Unedlem herablasse. Worauf soll nun ein anderer Mann seine Hoffnung gründen? Und was wird aus einer [25] männlichen Liebe ohne Hoffnung? – Sie erstirbt, sie muß ersterben, und alles kehrt wieder in die ruhige Ordnung zurück.

Vielleicht bist Du so glücklich Vater zu werden. Dann ist sie mit tausend Banden an Dich gefesselt. Die ganze Kraft ihres Herzens wird sich in der Mutterliebe erschöpfen. Ihre Welt ist in Deiner Nähe, Du bist der Gott in dieser Welt, und was außerhalb ist wird ihr fremd.

So empfindet eine Julie; oder alles müßte mich täuschen.

Aber wie wird sie bey aller Reinheit und Vortrefflichkeit empfinden, wenn Du der Leidenschaft folgst?

[26] Du ahnest Mangel an Liebe, und fühlst Dich unglücklich. Aber wird Mißtrauen, Härte und mürrische Kälte, das gewöhnliche Gefolge der Eifersucht, diesen Mangel ersetzen? – Wirst Du glücklicher seyn, wenn Du Furcht, dann Mißfallen und zuletzt Abscheu erregst? – O fort, fort mit den Greueln die ich jetzt ahne! Nein! nein! Du wirst, Du mußt das Beste erwählen.

[27]
8. Brief. Olivier an Reinhold
Achter Brief
Olivier an Reinhold

Es ist alles gut was Du sagst; aber es paßt nicht. Sie ist nicht so rein, wie Du glaubst. Grade diese Kälte verräth sie. Wenn sie mich, wenn sie ihr eignes Herz nicht fürchtete, warum blieb sie nicht wie vormals? Nur seit dieser abschreckenden Kälte ist Antonelli traurig, leidenschaftlich geworden.

Ach! ihre Sinnlichkeit ist erwacht! sie hat sich auf ihn gewendet, und seine Unschuld ist [28] ihr lästig. Er soll wünschen, kämpfen, ein Roman soll es werden! und das unter meinen Augen! Tod und Teufel! Ich müßte nicht ich selbst seyn, wenn ich es duldete!

Empfindungen kann ich nicht gebieten, das weiß ich; aber die Ehre kann ich retten, und bey meinem Leben! das werde ich nicht unterlassen.

[29]
9. Brief. Olivier an Reinhold
Neunter Brief
Olivier an Reinhold

Du antwortest nicht? – ich verstehe Dein Schweigen. Aber höre! höre und erstaune.

Ich wollte mit ihr auf meine Güther. Alles war zur Abreise bereit. Ich hatte sie gebeten, sich wegen der lästigen Besuche, für krank auszugeben.

Gestern wünscht sie in den Garten zu gehen. Auf meinen Befehl war er verschlossen. Aber der Gärtner glaubt, weil sie es ist, den Augenblick öffnen zu müssen, und, der Dummkopf schließt nicht wieder zu.

[30] Antonelli kommt, frägt nach mir, der Bediente sieht den Garten offen, glaubt, ich sey darin, und läßt ihn hinein gehen.

Jetzt kehre ich von einem Besuche zurück, und höre das Alles. Seit einer Stunde war Antonelli in dem Garten. Seit einer Stunde! – Ich fasse mich, ich gehe hinein.

Es war seine Stimme. Laut rief er ihren Nahmen. Mein Blut wollte erstarren. Ich nähere mich der Laube, worinnen sie waren. Ja! ja! sie beide! allein –

Er hält sie bey ihren Kleidern. Sie will entfliehn, sieht mich, und stürzt, laut schreyend, mir in die Arme.

Ich dachte, die gegen einander kämpfenden [31] Empfindungen würden mich tödten. Sie bittet, fleht, ich möge sie auf ihr Zimmer bringen. Sie konnte nicht gehen, ich mußte sie tragen. Der unbesonnene Bube hat die Frechheit mir zu folgen, klagt sich laut an, spricht von einer unüberwindlichen Leidenschaft, sagt: er könne nicht leben, ohne sie zu sehen. –

Die Wuth verschließt mir den Mund; aber ich winke dem Kammerdiener. Er versteht mich. Der Wagen fährt vor, ich bringe sie hinein und wir rollen davon.

Also, keine Palliative! Ich bin bey meiner empfindlichsten Seite angegriffen, und thue was ich muß.

[32]
10. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Zehnter Brief
Wilhelmine an Reinhold

Helfen Sie! helfen Sie schnell! Er hat sie auf seinen Güthern, sie ist eingesperrt, kein Mensch darf zu ihr. Alles, alles ist gekommen wie ich dachte! schlimmer als ich dachte. Antonelli, der Unglückliche! ist bey mir. Er liebt sie mit einer fürchterlichen Leidenschaft. Wahrscheinlich hat sie sich durch Kälte zu retten geglaubt und ihn dadurch aufs Äußerste gebracht.

[33] Mit aller Unbesonnenheit, und Heftigkeit eines kunstlosen Herzens, hat er ihr seine Liebe gestanden, und Olivier, der ihn in dem Augenblick entdeckte, bis zur schrecklichsten Wuth aufgebracht.

Wenden Sie alles an, daß sie nicht leide, daß sie nicht hart behandelt werde. Oder ich kenne mich selbst nicht mehr, ich weiß nicht, zu welchen Mitteln ich greife.

[34]
11. Brief. Reinhold an Olivier
Eilfter Brief
Reinhold an Olivier

Ist es wahr? ist es möglich! was ich lese, was ich höre? So plötzlich ist es dahin gekommen? – Du hast nicht einmal den Willen, Dich zu beherrschen! klagst sie selbst an! Sie in der Du vormals die höchste Reinheit und Güte erkanntest. – Eine Buhlerin, eine gemeine Buhlerin, der die Unschuld eines junger Mannes lästig ist, soll sie geworden seyn? –

[35] Wer hätte es wagen dürfen, Dir vor wenigen Monaten auch nur etwas ähnliches zu sagen? – wer dürfte es jetzt noch wagen, ohne mit seinem Leben dafür zu büßen?

Wie krank mußt Du seyn! daß Dir das Scheußlichste, das Unsinnigste als wahr erscheint.

Ich habe um Urlaub angesucht. Erhalte ich ihn; so eile ich zu Dir.

[36]
12. Brief. Olivier an Reinhold
Zwölfter Brief
Olivier an Reinhold

Komm' nicht! das Übel würde nur ärger. Ich dulde keinen Mann in ihrer Nähe. Kein Klügeln mehr! Ist die Ehre verlohren, dann kann ich vom Morgen bis zum Abend philosophiren, ich bekomme sie darum nicht wieder.

Ja, ich will es glauben, sie war rein, bis ich ihre Sinnlichkeit weckte. Aber jetzt – das verstehst Du nicht! Ein Weib ist ein Weib, und Natur ist stärker, als Vernunft.

[37] Warum stürzte sie mir mit dieser Heftigkeit in die Arme? Woher diese Thränen, diese Todesblässe, und jetzt, dieser unüberwindliche Trübsinn. Ich sehe es, sie will sich darüber erheben; aber sie vermag es nicht.

Ist ihr Wille noch so rein wie vormals, was kann ihr dann fehlen? – Sie muß mir danken, daß ich sie gerettet habe, und scheinbar thut sie das auch. Aber im Innersten ihres Herzens wüthet das Gift – und in dem meinigen? – O es war Schicksal! wer konnte entrinnen? –

[38]
13. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Dreyzehnter Brief
Wilhelmine an Reinhold

Antonelli ist fort. Gestern hörte er, Olivier habe R.... zu seinem Aufenthalte gewählt. An Zurückhalten, Überlegen, war gar nicht zu denken.

Ich habe ihm Friedrich nachgeschickt. Wo er seinen Bedienten gelassen hat? mag Gott wissen. Ich habe vergessen darnach zu fragen. Aber ihn nun wieder allein gehen zu lassen war mir unmöglich. Nicht wahr? ich habe Recht gethan?

[39] Man sagt, sie dürfe nicht einmal schreiben. Es ist abscheulich. Meine Mutter weint, und mein Vater scheint alle Heyrathsanträge vergessen zu haben.

Ich kann nicht aus der Stelle. Alle meine Koffer sind gepackt. Aber was würde bey einer noch größern Entfernung aus mir werden. – Sähe ich nur eine einzige Zeile von ihrer Hand, wüßte ich nur, was sie jetzt denkt und empfindet – ich wollte mich fassen. Aber diese schreckliche Ungewißheit! – O! lange darf sie nicht dauern.

[40]
14. Brief. Reinhold an Olivier
Vierzehnter Brief
Reinhold an Olivier

Ob Deine Drohung mich abgehalten haben würde? weiß ich nicht; aber leider ist mir der Urlaub versagt.

Ich hoffe, es war nur Übereilung. Du wirst Dich nicht ganz der Leidenschaft hingegeben, [41] Du wirst Dir gestanden haben, daß alles, was Du von Ehre vorbrachtest, nur aus dem Bedürfniß entstand, Dich wenigstens scheinbar zu rechtfertigen.

Aber gut, ich nehme an: Du habest das Alles wirklich geglaubt; aber jetzt? – Ich bitte Dich! erspare die Reue und kehre zurück, weil es noch Zeit ist.

Gewiß ich kann von meinem Leben nicht überzeugter, als Du von der Nichtigkeit Deiner Besorgnisse seyn. Doch gesetzt, sie hätten irgend einen Grund; offenbarst Du dann Deine Schande nicht selbst, zeigst Du nicht, daß Du nur der Gewalt Deine sogenannte Ehre verdankst?

[42] Welch eine geringe Meinung Deines Werthes! welch eine überwältigende Furcht: Du mögtest das Schlimmste verdient haben! – In der That, ich zweifle, ob Dich irgend jemand wegen eines auf diese Weise erhaltenen Gutes beneiden, und den Mann ohne Furcht in Dir erkennen wird.

Ich bitte Dich! nichts Kleinliches! nichts mehr was Deiner unwürdig ist. –

Nachschrift

Ich kann mich der Frage nicht erwehren: wie möchte es wohl gegangen seyn, wenn Du Julien nicht befohlen hättest krank zu werden? – Vielleicht wäre das Bekenntniß der Liebe [43] noch jetzt, noch in vielen Jahren, wahrscheinlich niemals über Antonelli's Lippen gekommen.

Willst Du; so wird es, trotz allem was geschehen ist, auch jetzt noch unwirksam. – Ich bitte Dich! wolle es! Du mögtest sonst mehr zu bereuen haben, als Du glaubst.

[44]
15. Brief. Olivier an Reinhold
Funfzehnter Brief
Olivier an Reinhold

Du hast immer Deinen Willen gehabt; wenn es Dir gelungen ist, mich im Voraus mit mir selbst zu versöhnen. Aber jetzt zweifle ich daran.

Du kennst sie nicht; sonst würdest Du manches nicht geschrieben haben.

Ja, ich gebe zu, die Leidenschaft hat mich verblendet. Es ist wohl manches von dem [45] was ich glaubte, nicht möglich. Aber ich, ich selbst weiß ja, wie man sie liebt, wie man kein Verbrechen scheut, wenn es auf ihren Besitz ankommt.

Sieh, bey andern Weibern bleibt noch immer die Hoffnung, man könne etwas Ähnliches, vielleicht gar etwas Besseres wieder finden. Aber bey ihr ist das schlechterdings unmöglich.

Diese Engelgestalt kehrt nicht zum zweytenmale wieder. Dieser stillsiegende Geist kann nur diesen Körper bewohnen.

Du solltest sie erwachen, Du solltest sie einschlummern sehen. – Es ist einzig. Letzt habe ich sie eine halbe Nacht beobachtet. Der [46] Mond schien ihr gerade in das Engelgesicht und – nun ja, ich nannte mich einen Verrückten, daß ich je etwas Unedles von ihr geglaubt hatte.

Aber hoffe darum nicht, daß ich sie fremden Augen wieder Preis gebe. Mein Glück ist zu groß, und das Schicksal um so tückischer.

Den groben Tagelöhnern fällt, wenn sie in ihre Nähe kommt, das Arbeitszeug aus den Händen. Den Sohn meines Gärtners habe ich wegschaffen müssen. Er stahl Schuhe, Bänder, und alles was er von ihrer Kleidung habhaft werden konnte, um das alles nachher wie Heiligthümer zu verehren. Brachte ganze[47] Nächte im Garten, vor unserm Schlafzimmer, auf der feuchten Erde zu.

Wir wußten nichts davon. Der Bube hatte sich, seitdem ihn der Vater aus der Fremde kommen ließ, immer vor mir verborgen. Kaum sah ich ihn ein paar Mal im Vorüberlaufen.

Gestern Morgen öffnet Julie die Thür, und fliegt heftig erschrocken wieder zurück. »Was ist?« – frag ich nicht minder erschrocken, da ich die Todesblässe auf ihrem Gesicht bemerke. »Es lag ein Mann – antwortet sie, und taumelt mir zitternd entgegen – es lag ein Mann auf der Erde. Beynah wäre ich über ihn gefallen.« – »Wer untersteht [48] sich!« – ruf ich, und reiße die Thür auf – da sehe ich den Buben in die Wohnung seines Vaters fliehen.

Nun erzählt mir der Alte, wie oft er ihn gewarnt habe, wie aber alles fruchtlos gewesen sey. Er irre jetzt ganze Tage in dem benachbarten Walde umher, und kehre nur des Abends wieder zurück.

Es versteht sich, daß ich nun auf die Abreise drang. Seitdem habe ich den Tollkopf nicht wieder gesehen.

Jetzt läugne, daß ich zu strengen Maaßregeln gezwungen bin.

[49]
16. Brief. Olivier an Reinhold
Sechzehnter Brief
Olivier an Reinhold

Wer war der Gärtnerbursche? – O mein weiser Freund! das mögtest Du bey Deinem Sicherheits-System wohl schwerlich errathen. Der Herr Graf Antonelli.

Nun, was sagst Du dazu? – Auch ich, von Dir eingeschläfert, war dumm genug, nicht sogleich darauf zu verfallen. War dumm genug, nicht einzusehen, daß nur in einem südlichen, brennenden Gehirn der Gedanke entstehen [50] konnte, der Geliebten auf diese Weise zu nahen.

Ich weiß, wie das in diesem Kopfe lodert, kenne die Wünsche dieses kindischen, brennenden Herzens. Über ihn wegschreiten sollte sie. Von ihren Füßen wollte er berührt werden. – Ächt italienisch! – Ein deutscher Mann hat von dieser Selbstvernichtung, von diesem mit Leib und Seele zu eigen geben, keinen Begriff. Aber die deutschen Weiber können das alles gar treflich begreifen.

Wie ich es entdeckt habe? Wie man das meiste entdeckt; durch Zufall.

Gestern da ich an der Bleiche vorüber gehe, treibt mir ein feines gesticktes Tuch entgegen. [51] Ich halte es fest, und bemerke ein A. darinne. Noch denke ich nichts bestimmtes; aber in dem Augenblicke sehe ich des Gärtners Frau sich ängstlich zwischen der übrigen Wäsche umhertreiben, und dem Winde ein Stück nach dem andern abjagen.

»Wem gehört denn das alles?« – frage ich – »Meinem Sohne« – antwortet sie bluthroth, stotternd, und zitternd.

»Ist er noch nicht abgereist?« – »Ach Gott, nein! Er hat ein hitziges Fieber, und da war es doch nicht möglich.«

»Versteht sich! – Aber was für einen Arzt habt Ihr denn?«

»Einen Arzt? – Du lieber Gott!«

[52] »Nun! Ihr werdet doch nicht wahnsinnig genug seyn den Menschen so liegen zu lassen? Euer einziges Kind so aufzugeben!« –

»Laßt mir den Alten kommen! oder – setze ich hinzu, indem ich rasch, ohne weiter auf sie zu hören, fortschreite – besser, ist besser!« Mit diesen Worten stehe ich an der Thür des Hüttchens; aber da fällt mir das A. wieder in die Augen, und ich trete einige Schritte zurück.

Indem kommt mir der Alte entgegen, und ich stürze nun mit einer Art von Wuth hinein zu dem Bette.

Da lag er, von Fieberhitze glühend. Nannte laut ihren Namen, klagte sich an, [53] klagte mich an, und wußte nicht, daß ich vor ihm stand.

»Das, das ist Euer Sohn!« – sage ich zu dem Alten, um mir durch einen Vorwurf Luft zu verschaffen.

»Ach gnädiger Herr! machen Sie mich armen Mann nicht unglücklich! Ich hätte kein Mensch seyn müssen« –

»Schweig! – sage ich – ich will nichts mehr hören. Geh' zum Haushofmeister. Er soll Leute herschicken und im rechten Flügel ein Zimmer bereit halten.«

Der Anblick hatte mich erschüttert. Das Herz hatte den Kopf überwältigt. Jetzt wollte ich den Alten zurückrufen; aber gewaltsam [54] fühlte ich mich wieder zum Bette hingezogen, und als ich abermals zur Thür gieng, war es zu spät.

Da stand ich nun, und mein böser Geist hielt mir den ganzen Brief der Mutter wieder vor Augen. Mit Todesangst übergebe ich Ihnen mein Alles. Ich strich und strich an meiner Stirne, und die Zeile wollte nicht fort.

Die Leute waren schon gekommen, er war schon in meinem, meinem eigenen Hause, eh ich das schreckliche Gewühl meiner Empfindungen entwickeln konnte.

Laß mich Athem schöpfen! Ein ander Mal.

[55]
17. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Siebenzehnter Brief
Reinhold an Wilhelmine

Wissen Sie es schon? Antonelli ist krank, ist entdeckt. Der General selbst hat ihn in sein Haus genommen. O er ist mein Freund! und wird es ewiglich bleiben.

Sagen Sie! wie ist es möglich, einen Mann zu hassen, bey dem das Herz immer die Oberhand behält? –

Allerdings! auch wir hätten unter ähnlichen Umständen dasselbe gethan. Aber er! [56] mit seiner fürchterlichen Heftigkeit! mit seiner glühenden Eifersucht! – Nein! nein! es war schön! es war wirklich sehr edel.

Aber, welche Folgen wird es haben? – Ich zittre für Antonelli, für Julie, am meisten für ihn selbst. Wahrlich! das Schicksal nimmt ihn in eine harte Schule. Er, der seines Herzens so oft spottete, wie fürchterlich muß er dadurch büßen. Welch ein Labyrinth! Ich würde nicht hineingekommen seyn, daß darf ich wohl behaupten; aber ob, und wie ich mich wieder heraus finden würde? – In der That darauf weiß ich keine Antwort.

[57]
18. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Achtzehnter Brief
Wilhelmine an Reinhold

Wenn Sie, mein theurer Freund! am Rande eines Abgrundes lustwandeln, sich noch dazu auf dem Wege berauschen, und alle Warnungen Ihrer Freunde nicht achten, so bedarf es keiner Inspiration, um zu wissen, wie es Ihnen gehen wird.

Wenn Ihnen aber die Abgründe, wie die starken Getränke von Natur zuwider sind, so [58] braucht niemand zu antworten, denn niemand wird fragen.

Der Herr General muß erndten, was er gesäet hat. Unser allgemeines Schicksal. – Wer sich darüber wundert, gehört in das Land der gebratenen Tauben.

Geben Sie mich auf! Sie sehen, das Bewundern wird mir eben so unmöglich, wie das Beklagen. Zu dem Ersten gehört immer eine angemeßne Entfernung von dem Gegenstande, zu dem Zweyten ein gewisser Grad von Hoffnung. Leider fehlt es mir an beyden, und ich bin daher selbst im hohen Grade zu beklagen.

Ihr Freund hat alle heitere Aussichten [59] meines Lebens zerstört. Mich nun unter seine Bewundrer aufnehmen zu lassen, würde in der That zu den Übermenschlichkeiten gehören, die ich, grade um sie recht bewundern zu können, so viel als möglich von mir entfernt halte.

Hätte das Jedermann gethan; so stünden die Sachen vielleicht etwas besser. Wie sie nach einigen Jahren, vielleicht schon nach einigen Monaten stehen werden, ist bey mir keinem Zweifel unterworfen. –

[60]
19. Brief. Olivier an Reinhold
Neunzehnter Brief
Olivier an Reinhold

Ob sie es weiß? Ob sie ihn erkannt hat? – Das frage ich mich des Abends, wenn ich die Augen schließe, und des Morgens, wenn ich sie wieder öffne.

Meine Leute haben den strengsten Befehl, seinen Namen nicht zu nennen. Auch wissen nur drey um die Sache. Doch wäre es möglich. –

Sie verräth eine Angst, eine Beklommenheit. – Ihr offner, heiterer Sinn ist gänzlich verschwunden. Oft, wenn ich unvermuthet hereintrete, finde ich sie tief in Gedanken versunken, [61] und nur meine Stimme weckt sie aus ihren Träumereyen.

Diese Schwermuth hat sie unbeschreiblich verschönert. Kein Band, keine Blume kommt in ihr Haar. Ach wer sie so sähe, um dessen Verstand wäre es geschehen.

Auf meinen Befehl trägt sie beständig einen Schleyer. Oft, wenn endlich die männlichen Bedienten entfernt sind, ich mir stundenlang den Genuß versagt habe, sie unverhüllt zu sehen, treibt mich mein Wahnsinn den Schleyer wegzureißen. Wie vom Blitze getroffen, stehe ich dann vor ihr.

Es ist eine neue Erscheinung. Ohne es zu wissen, habe ich diesen Engelzügen andre, [62] gemeine Züge untergeschoben, habe zur Lindrung meiner Schmerzen, mir ein andres, minder schönes Bild zusammengesetzt. Jetzt werden sie durch diesen einzigen Blick zur furchtbarsten Quaal wieder erhöht.

Mit Wuth, mit Todesangst fasse ich sie dann in meine Arme, stürze mit ihr fort in das entlegenste Zimmer, starre sie an, laufe auf und ab wie ein Rasender, presse ihre Hände gegen meine Brust, frage sie: ob sie mich liebt? ob sie mein ist? ob sie mein seyn will auf ewig?

Schwere Thränen rollen dann über das Engelgesicht. Ihr großes, zartes Herz fühlt dann alle meine Leiden. Sie sagt mir: daß [63] sie für mich leben und sterben, daß sie zur Erhaltung meiner Ruhe jeden menschlichen Anblick vermeiden will.

O! wie wird mir dann! Abermals fasse ich sie in meine Arme, hebe sie hoch gen Himmel, falle vor ihr nieder, verstumme, versinke mit namenloser Wonne in ihrem Anblick.

Aber plötzlich, dünkt mich, ich höre ein Geräusch. »Den Schleyer!« – ruf ich mit gepreßter Stimme. Reiße die Vorhänge zusammen, stürze durch drey, vier Thüren, schließe sie alle hinter mir zu, komme endlich hinaus – Niemand ist da, und ich erwache zu neuen Zweifeln und zu neuen Quaalen. –

[64]
20. Brief. Olivier an Reinhold
Zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Er fängt an sich zu bessern, und der Arzt giebt Hoffnung. Was habe ich bey seinen Phantasien gelitten! – Er glaubte mit ihr vereinigt zu seyn, und schilderte seine Liebe unter glühenden Bildern. Aber dann war es, als ob er mich plötzlich erkannte, und eine gräßliche Vorstellung jagte die andre.

[65] Gestern lag er wieder in einem halbwachen Traume, erkannte mich; aber nicht wie vormals, mit Schrecken. Er hielt meine Hand, nannte mich wieder seinen Vater, erzählte mir von seiner unglücklichen Liebe, beschwor mich, Mitleiden mit ihm zu haben, ihm ihren Anblick nur ein einziges Mal zu vergönnen. Er wolle dann alles, alles thun, was ich von ihm verlange.

Und ich? – O frag mich nicht? ich bin ein unglücklicher Mann.

[66]
21. Brief. Olivier an Reinhold
Ein und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Was? bin ich ein Weib geworden? Soll dieser Knabe mich beherrschen? Er darf sie nicht sehen, er muß fort. Zwey können sie nicht besitzen. Meine Rechte sind die ältern, und ich habe mehr Nachsicht gehabt, als ich sollte.

Was irre ich herum bey Nacht und bey Tage? Was zweifle ich? was frage ich? Nur [67] Eins thut hier Noth, und dieß Eine muß geschehen.

Will ich Verzicht thun? Will ich es? – Rasender Gedanke! Will ich leben, ohne zu athmen? – und, liebt er sie wie ich? Wie viel Weiber kennt er, um dieEinzige zu würdigen.

Aber sie? – Wenn sie ihn erkannt hätte, wenn sie sich hingerissen fühlte von Jugend, von Schönheit, überwunden von diesem gänzlichen Dahingeben? – O! fort! fort! Zum Wahnsinn ist es noch Zeit genug.

[68]
22. Brief. Olivier an Reinhold
Zwey und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Jetzt wollte ich Du wärest hier, Du könntest mir rathen. Begreife meine Angst! ihr ist nicht wohl. Ich habe mir den Fall niemals gedacht. Ihre blühende Gesundheit machte mich sicher.

Sie klagt nicht, läugnet wenn ich frage; aber der Augenschein straft sie Lügen.

Ach ist es ein Wunder! Seit vier Wochen hat sie keinen Athemzug frische Luft geschöpft. [69] O, ich Grausamer! Wie war es möglich! – Wenn es zu spät wäre, wenn sie krank würde. – Nein! nein! dahin kommt es nicht. Aber schnell muß man helfen. Helfen? – Wie, o mein Gott! – Soll ich sie ihm in die Arme führen? – Nichts! nichts! Keine weibische Schwäche! Er muß fort. Jetzt gleich, jetzt augenblicklich soll Anstalt gemacht werden.

[70]
23. Brief. Julie an Wilhelmine
Drey und zwanzigster Brief
Julie an Wilhelmine

Wie lange habe ich Dir nicht geschrieben. Vergieb mir beste Wilhelmine! Ich war es meinem theuern Manne schuldig. Ach Du hast keinen Begrif wie er mich liebt, und wie viel er leidet durch diese Liebe. Wie sehr wäre ich ihrer unwürdig, suchte ich nicht alles zu vermeiden was irgend seiner Ruhe nachtheilig werden könnte.

Um jeden Zweifel zu entfernen bin ich sogar eine geraume Zeit nicht aus meinem [71] Zimmer gekommen, und wäre bald krank darüber geworden. Da hättest Du ihn sehen sollen! – O gewiß! ich muß um vieles besser werden, diese Liebe ganz zu verdienen.

Solltest Du glauben, ich würde noch von der gemeinsten Eitelkeit beherrscht? – Vor einigen Wochen öffne ich des Morgens die Thür unsers Schlafzimmers, und sehe einen Mann ausgestreckt auf der Erde liegen. Er hatte das Gesicht unter dem Arme verborgen; aber seine Gestalt blieb mir unvergeßlich.

Was ist das nun anders als Eitelkeit! – kann es nicht ein wahnsinniger Mensch gewesen seyn? können ihn nicht tausend mir unbekannte Ursachen, zu dem sonderbaren Entschlusse gebracht [72] haben, sein Nachtlager vor unsrer Thür zu wählen? Aber nein! die Eitelkeit – oder sollte es wirklich mein Herz seyn? – besteht darauf, um meinetwillen war er da, um meinetwillen ist er wohl oft schon da gewesen.

Sonderbar genug verwechsle ich ihn immer, durch eine gewisse Ähnlichkeit getäuscht, mit Antonelli. Mit Antonelli, der mich lange vergessen hat.

Ach wie sehr täuscht sich ein junger Mann in diesem Alter. Antonelli glaubte eine unüberwindliche Leidenschaft für mich zu fühlen, und nach einigen Wochen bin ich rein aus seinem Gedächtniß verschwunden.

Wenn ich nun meinem thörichten Herzen [73] gefolgt, und jetzt allen Quaalen der Selbstverachtung Preis gegeben wäre! – Aber Gott sey gelobet! ich bin gerettet.

Seit ich die milde herrliche Luft unter den Blüthenbäumen wieder athme, ist himmlischer Friede in mein Herz zurück gekehrt und alle meine Gefühle sind wieder dem Manne geweiht, der mich so einzig, der mich mehr liebt, als ich bis jetzt noch verdiene.

Wie sein herrlicher, großer Charakter sich mir alle Tage mehr entwickelt! So wie ein Mensch leidet, hört er auf sein Feind zu seyn und wäre er es auch Jahre lang gewesen. Wer hätte dieses tiefe Erbarmen unter dieser rauhen Hülle gesucht! – Wahrscheinlich hat[74] ihn sein Stand gezwungen, so viel als möglich davon zu verbergen und sogar zu vertilgen.

Gewiß erscheint er auch seinen Leuten noch immer wie ein harter Mann. Aber ich, der er sich so ganz hingiebt, ich blicke in sein schönes Herz und bewundre ihn im Stillen.

O wie freue ich mich, daß dieses Herz mit allen seinen lieblichen Schwächen, in meine Hände gefallen ist. Ich will es schonen und ehren. Seine Leidenschaft soll mir heilig seyn, und wenn sie mir auch jemals als Haß erscheint; immer will ich denken: es war doch nur Liebe.

Jetzt eben gieng er von mir. »An wen schreibest Du?« – fragte er, und sah mich [75] forschend dabey an. »An Wilhelminen« – sagte ich lächelnd. »Klagst Du auch?« – fragte er weiter und eine rührende Trauer verbreitete sich über sein Gesicht. »Weswegen sollte ich klagen?« – antwortete ich heiter – »Etwa deswegen – setzte ich hinzu, indem ich seine Hand küßte – daß ich unbeschreiblich geliebt, weit mehr geliebt werde; als ich verdiene?« –

Ach die Worte kamen grade aus meinem Herzen. Sie schienen mir so einfach, und so wahr. Gleichwohl erschütterten sie ihn auf eine sonderbare Weise.

Der theure liebe Mann! wann wird er einmal zur Ruhe kommen? –

[76]
24. Brief. Wilhelmine an Julie
Vier und zwanzigster Brief
Wilhelmine an Julie

Gieb Dir keine Mühe! Ich bin zu gut unterrichtet um mich täuschen zu lassen. Aus freyen Willen wärest Du auf Deinem Zimmer geblieben? – Ja, ja! eine ganz gute Erfindung für Deine Bedienten. Aber bey mir – wie gesagt, Du kannst die Mühe ersparen.

Ließe mich auch jemand Jahr aus Jahr ein so viel freye Luft schöpfen, und so viele Briefe schreiben als mir beliebte; ich würde [77] dumm genug seyn mir einzubilden: dergleichen verstünde sich von selbst.

Eben so kläglich schicke ich mich zum Bewundern. Freund Reinhold kann Dir ein Lied davon singen.

Welche Disharmonie! In der That, nehme sich Dein Herz nicht manchmal die Freyheit, Dir ein Wörtchen zuzuflüstern, unsre Freundschaft würde zum Räthsel. Aber bey diesen Einschiebseln, die Dir wahrscheinlich als Unregelmäßigkeiten erscheinen, fliegt Dir das Meinige wieder zu. Ich triumphire, daß Dir die hochbelobte Kunst unsrer französischen Gouvernante de corriger la nature noch nicht gelungen ist.

[78] Doch wer weiß! mit der Zeit kann alles noch werden. Hast Du doch schon mit Hülfe dieser Kunst herausgebracht: Antonelli habe Dich vergessen, habe Dich vielleicht niemals geliebt.

Ja! ja! die Vielleichts machen einem viel zu schaffen. Wollte der Himmel, ich wäre mit denen, die mir noch auf dieser kleinen schwerfälligen Erde übrig bleiben, schon fertig, dann könnte ich Dir bey den Deinigen helfen.

Ob ich jetzt immer so lustig bin? O ganz erschrecklich! Du siehst die Spuren der Freude hier auf dem Papiere.

[79]
25. Brief. Julie an Wilhelmine
Fünf und zwanzigster Brief
Julie an Wilhelmine

Die Spuren waren von Thränen. O meine Wilhelmine! noch immer grämst Du Dich; bestehst darauf: ich sey unglücklich. Warum hältst Du diese Vorstellung so fest? Das Gegentheil ist ja doch möglich, und wird sogar immer wahrscheinlicher.

Auch ich, Geliebte, habe manches über [80] mein künftiges Leben nachgedacht. Hätte ich hoffen können, mit einem Manne, den ich leidenschaftlich liebte, glücklich zu werden; wer wüßte was ich gethan haben würde. –

Aber welchen Grund konnte ich dieser Hoffnung geben. Alles belehrte mich, daß es auch dem besten Manne unmöglich wird, leidenschaftliche Liebe an einem Weibe zu ertragen, daß Leidenschaft und Weib, ihm eben so widrig klingt, wie Häßlichkeit und Weib, und daß, wo diese traurige Disharmonie sich findet, an kein Glück zu denken ist.

Wie wäre es auch möglich? Haben wir uns einmal dem männlichen – für uns wahnsinnigen Gedanken – überlassen: genießen [81] zu wollen; so achten wir keine Schranken. Von einer feinern Organisation, weit mehr als die Männer, zum Streben nach dem Unendlichen getrieben, wollen wir nun eine Verbindung, die unter zwey unvollkommnen Wesen, nicht einmal in der Idee bestehen kann.

Alle Täuschungen des Wissens, der Ruhmsucht und der thierischen Sinnlichkeit, mit welchen sich die Männer, oft bis an ihr Ende, so glücklich betäuben, sind bey uns nicht wohl möglich.

Wir fühlen nun mit allen Kräften unsers Wesens: daß die Verbindung Zweyer, oder Aller zu Eins, der Zweck aller Schöpfung seyn muß. Die Zeit, wo wir den trüben [82] Dunstkreis unsrer Erde zu einem vollkommnern Leben durchbrechen werden, ist für uns schon verflossen.

Eins! eins wollen wir seyn mit dem Geliebten. Kein Gedanke, keine Ahnung soll uns entgehen. Ein ewiger seeliger Tausch, Zusammenklang alles Wissens und Begehrens. Ach! schon mitten in diesem höchsten Wunsche werden wir plötzlich durch die schreckliche Wirklichkeit unterbrochen, und sinken zurück – – – unter die Herrschaft eines Mannes.

Während wir uns so in, ja über den Wolken umhertrieben, wie fürchterlich hat sich diese Herrschaft ausgedehnt! Gleichwohl macht sie den, der sie ausübt, nicht glücklich.

[83] Mit ganz andern Wünschen und Hoffnungen war er zu uns gekommen. Selbst von den Leidenschaften irre geführt, suchte er ein Wesen, das über alle Leidenschaft erhaben, ihm himmlischen Frieden entgegen brächte. In dieser seeligen Stille wird sein Wille sich läutern, sein Verstand von nun an das Beste erwählen.

Schon der Anblick dieses Wesens, das rein und vollendet aus den Händen der Natur hervorgieng, hebt ihn über sich selbst. Alles was er mühsam erlernte, ward diesem Wesen angebohren. An Verstand und Willen weit über ihn erhaben, ist es dennoch mit dem beseeligenden Irrthume begabt: es werde in beyden[84] von ihm übertroffen. Was hat er zu fürchten? Es ist die liebende Einfalt, der er sich übergiebt.

Aber wie schrecklich wird er selbst nun aus diesem Traume erweckt. Statt heiterer, seeliger Stille, findet er leidenschaftliche Unruhe. Hört Foderungen, Klagen. – Ach! Rechenschaft soll er geben von seinen Empfindungen. Man will sie wägen und prüfen. O Gott! statt ertragen zu werden, soll er tragen. Er kann es nicht, sein ganzes Gefühl empört sich dagegen.

Um seine Leiden aufs höchste zu bringen sieht er nun noch die Schönheit entfliehen. Die Schönheit, ohne die er die Weiblichkeit [85] nicht denken kann, mit der er die ganze Weiblichkeit ausspricht.

Es ist zu viel! er muß sich rächen! – Ach, er hat sich schon gerächt, er ist schon ein Tyrann, eh er es selbst nur ahnet. Die unglücklichen Weiber! Hätten sie gestrebt liebenswürdig – der Liebe würdig – zu seyn, statt Liebe zu fodern; sie hätten das, was sie wünschten, und vielleicht weit mehr noch erhalten.

[86]
26. Brief. Wilhelmine an Julie
Sechs und zwanzigster Brief
Wilhelmine an Julie

Liebenswürdig? – Hm! nicht übel. Nun ja, mit dieser Kleinigkeit sind die Männer so ganz leidlich zufrieden. Freilich gehört dazu eine andre Kleinigkeit: die unverwelkliche Schönheit und Jugend. Unglücklicher Weise, hat es meiner theuern Freundin nicht beliebt, anzuzeigen, wie man sich diese Kleinigkeit erhalten, oder, wenn man sie nicht hat, die Götter zwingen kann, sie zu verleihen.

Ja! ja! wer kann an alles denken? – [87] Ihr unglücklichen Geschöpfe, die ihr weder das Eine noch das Andre habt, verzweifelt nur. Mag eure Zahl Legion heißen, ihr seyd zum Elende gebohren.

Vormals standet ihr noch in dem tröstlichen Wahne, ihr könntet den Männern durch Tugend ersetzen, was die Natur euch an Schönheit versagt hatte; aber jetzt! – euer Urtheil ist gesprochen! So wie eure Schönheit verwelkt, hört ihr auf Weiber zu seyn. Dann sterben die Blumen; aber euch zwingt die Natur zum martervollen Leben. Leitet nur den herabfahrenden Blitz zu euren Herzen. Oder, wenn er mit der Natur im tückischen Bunde, euch nicht treffen will, suchet nur in den Fluthen [88] euer Grab. Die beste Welt bleibt dennoch die beste.

Leb wohl! Du hast mich erbittert. Ich glaube gar, ich kann aufhören Dich zu lieben. Du bist zu unsern Feinden, zu den Männern übergegangen, und fängst an, eben so methodisch zu .... pfuy! das war häßlich.

Ach! da kommt mir ein glücklicher Gedanke! Künftig werde ich statt häßlich, immer männlich setzen. Nicht wahr? es ist eben so gleichbedeutend, wieschön und weiblich. Komisch wäre es, wenn dasHäßlichste immer das Männlichste wäre. –

Was meinst Du dazu?

[89]
27. Brief. Julie an Wilhelmine
Sieben und zwanzigster Brief
Julie an Wilhelmine

Ich meine, Wilhelmine, die da glaubt erbittert zu seyn, und die nie aufhören wird mich zu lieben, könne wohl, ein wenig ab- und zugerechnet, nicht so ganz Unrecht haben. Unter dieses Wenige gehört vorzüglich, alles was man den Windeln, Schnürbrüsten und Ausschweifungen zuschreiben muß. In der That, es wäre ungerecht, dieses sowohl, als mehreres, was Verzärtlung und Verwahrlosung der weiblichen Schönheit geraubt haben, auf die Natur zu werfen.

[90] Nimm dieß weg, Geliebte, und – so übertrieben es auch klingen mag – ich wage es, zu behaupten: daß es Dir schwer, ja vielleicht unmöglich werden soll, ein wirklich häßliches Mädchen zu finden.

Reise nach H...., gehe in das Haus der liebenswürdigen R...., siehe hier zwanzig Mädchen, die unter ihrer Aufsicht doch nur seit ihrem siebenten, achten Jahre erzogen werden, und widersprich mir, wenn Du kannst.

Wie schnell die Natur ersetzt und verbessert, wenn man ihr nur nicht zu anhaltend widerstrebt, geht beynahe in das Unglaubliche.

Aber das alles rechtfertigt mich nicht in Deinen Augen. Dein liebevolles Herz empört [91] sich gegen die Grausamkeit eines doppelten Todes. Du vergiebst mir nicht, daß ich die Weiblichkeit mit der Schönheit verschwinden lasse. Gleichwohl bestätigst Du, kurz darauf, dieß, und weit mehr.

Ja es ist schrecklich; aber es ist wahr: die Sinnlichkeit kann uns auch nicht einmal Augenblicke befriedigen. In dem gegenwärtigen müssen wir vor dem künftigen zittern. Welcher Gott wird uns helfen? – In uns ist der Gott. »Erfülle deine Bestimmung« spricht er – aber suche dich über alles Sinnliche zu erheben. Dann bist du frey und seelig.

[92]
28. Brief. Wilhelmine an Julie
Acht und zwanzigster Brief
Wilhelmine an Julie

Ach Du bist besser als ich! das weiß ich wohl und habe es immer gewußt, so wie ich alles, was Du mir sagst, lange gefühlt habe. Darum wollte ich mich an Dich schließen, in Dir alles wiederfinden, hätte es gefunden.

Geh! geh! Du hast doch nicht recht an mir gehandelt. Mein Verstand mag Dich rechtfertigen, mein Herz wird Dich ewig verklagen.

Morgen will ich reisen.

[93]
29. Brief. Olivier an Reinhold
Neun und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

Dieser Mensch bringt mich noch um, mit seiner glühenden Phantasie. Meinst Du, er verberge irgend eine Empfindung vor mir? Mit einer Heftigkeit, mit einem verzehrenden Feuer spricht er sie aus, reißt mich hin, überwältigt mich. Oft habe ich, zu meinem eignen Schrecken, mich selbst, und alles, was ich zu fürchten hatte, vergessen.

Wenn endlich meine innere Quaal aufs höchste steigt, meine Wuth über seine glühenden [94] Schilderungen hervorbrechen will, ergreift er mich plötzlich mit seiner gewaltigen Liebe.

Ich, ich selbst bin es nun, den er schildert. Mit allen meinen Leiden, mit allen meinen schrecklichen Fragen und Zweifeln.

Im höchsten Erstaunen sehe ich ihn in das Innerste meines Herzens dringen, Gefühle entwickeln, für die ich bis jetzt keinen Namen hatte, Begebenheiten hervorrufen, die ich verworren nur ahnete.

In dem Augenblicke, wo ich ihn dann mit meinen Händen zerreißen mögte; weil er sie alle nennt, meine Marter, in dem Augenblicke fällt er ein mit seiner seelenerschütternden Klage. Mein Grimm löst sich in Wehmuth [95] auf, er stürzt in meine Arme, und, ohne es zu wollen, drücke ich ihn fest an mein Herz.

Aber ihn hier zu behalten, war mir unmöglich. Alle seine Bitten vermogten nichts, er mußte sich ergeben. Gleichwohl bestand er mit einem unerhörten Trotze darauf, sich nicht weiter als eine halbe Stunde von hier zu entfernen.

Nun drohte ich mit meiner eignen Abreise. »Thue es – sagte er – und wenn Du bis an das Ende der Welt gehst; ich folge Dir nach.«

»Mir?« – wiederholte ich mit Bitterkeit.

»Ja Dir! Meinst Du, ich könne ohne [96] Dich, Du ohne mich leben? – Wer versteht Dich, wer tröstet, wer liebt Dich wie ich?«

»Bestechungen!«

»Wehe Dir, wenn Du es glaubst!« –

»Ich werde schon Mittel finden.« –

»Sie helfen Dir nichts.«

»Was unterstehst Du dich? –

»Ich unterstehe mich, das Unmögliche unmöglich zu nennen. Mache was Du willst! uns scheidest Du nicht.«

»Uns?« –

»Ja! uns

»Sie meinst du.«

»Wenn ich sie meinte; würde ich es sagen.«

»Du liebst sie.«

[97]

»Nein, Dich liebe ich, sie bete ich an.«

»Und das soll ich dulden?«

»Kannst Du es ändern?«

»Nicht in mein Haus!«

»Das verspreche ich Dir.«

»Nicht in meinen Garten!«

»Auch das.«

»Noch auf die Anhöhe!«

»Sie gehört Dir nicht.«

»Ich werde sie kaufen.«

»Ich habe sie schon gekauft.«

»Das hast Du gethan, um sie zu sehen, um von ihr gesehen zu werden.«

»Das Letzte ist nicht wahr, auch ist es unmöglich.«

[98] »Aber Du willst sie sehen.«

»Ja, weil es Dir nicht schadet.«

»Es beunruhigt mich.«

»Und mich tödtet es, wenn ich sie nicht sehe. Was willst Du lieber?« –

»Du trotzest!«

»Nein. Das sagst Du nur, Du, glaubst es nicht. Sieh mich an! ist es wahr, daß ich ohne sie nicht leben kann? ist es wahr, daß es mir unmöglich ist, jemals etwas Schlechtes zu wollen? ist es wahr, daß ich Dich liebe, daß ich mein Leben für Dich lassen würde?«

Ach! dann sehe ich in sein großes, schwarzes Auge, und verstumme.

[99]
30. Brief. Julie an Wilhelmine
Dreyßigster Brief
Julie an Wilhelmine

Wo bist Du jetzt, meine Geliebte? Zürnst Du noch mit Deiner Julie? Nein! nein! Du irrst Dich in Dir selbst. Weder Dein Verstand, noch Dein Herz klagt mich an. Wir lieben uns, und werden uns ewiglich lieben.

[100] Noch immer kann ich mich nicht von Deiner Abreise überzeugen. Mich dünkt sogar, Du wärest in meiner Nähe. Besonders wenn ich in den Garten trete, überfällt mich ein wunderbar sehnsüchtiges Wonnegefühl.

Ach es ist der Duft von den vielen, köstlichen Pflanzen, der geheimnißvolle Schatten dieser hohen unnachahmlich schönen Bäume. Wirklich, unser Garten ist ein Paradies. Ob er gleich beynahe drey Viertelstunden im Umfange hat, wollte ihn mein lieber Mann doch noch durch eine benachbarte Anhöhe vergrößern. Aber sie ist leider schon verkauft, und so werden wir wohl Verzicht darauf thun müssen.

Wie sonderbar! sonst war ich mit so Wenigem [101] zufrieden, hätte mich bey einem einzigen kleinen Blumenbeete überglücklich gefunden. Jetzt, seitdem von der Anhöhe gesprochen ist, denke ich nur immer: wie viel schöner unser Garten seyn müßte, wenn er sie mit umschlösse.

Diese wunderliche Grille beherrscht mich sogar im Schlafe. Letzt dünkte mich, ich werde von einer unsichtbaren Kraft weit über die Mauer unsers Gartens gehoben, und plötzlich auf der Anhöhe niedergelassen.

Es war eine andre Welt. Himmlische Kinder wandelten darauf. Ihr Gesicht blühte wie Rosen im Morgenlichte. Ein glänzendes Flügelpaar erhob sich über ihre Schultern. [102] Schnell, wie Gedanken, eilten sie hin und her und streiften an meiner Wange vorüber wie Frühlingshauche.

Jedesmal, wenn sie mich so berührten durchdrang mich ein unaussprechliches Wonnegefühl.

Endlich flogen sie alle auf mich zu, schlossen mich in einen dichten Kreis, und tanzten mit unglaublicher Schnelligkeit um mich her.

»Wir wechseln das Leben! wir wechseln das Leben!« – so sangen sie.

Aber mit einem Male ward ich von einem kalten Hauche angeweht. Kein Tanz mehr, kein Gesang. Die Kinder standen unbeweglich. Ich eile auf sie zu, da sind sie plötzlich in [103] Blumen verwandelt und ich erwache mit einer Art wehmüthig süßem Schauder.

Unser Fenster stand offen, und der Duft eines großen Rosenstrauchs ward vom Winde in das Zimmer getrieben. Der kalte Schauder, die Blumen, das alles war also mehr als begreiflich. Gleichwohl finde ich noch immer wer weiß wie viel Wunderbares in diesem Traume, und eile, sobald ich in den Garten komme, zuerst nach dem Orte, wo ich die Anhöhe sehen kann.

Hier sitze ich oft ganze Stunden, und denke nichts als den Traum. Dann ergreift mich eine Bangigkeit, eine Sehnsucht. – Letzt – kannst Du Dir etwas kindischeres denken! – [104] glaubte ich meinen Nahmen von dort her zu hören. Schnell springe ich auf, eile mit ausgebreiteten Armen durch das Gebüsch, und denke nicht eher an die Mauer, bis ich dichte davor stehe.

Mit gefalteten Händen, als geschehe mir Wunder welch Unglück, kehre ich nun wieder um, und ein Strom unaufhaltbarer Thränen stürzt über meine Brust.

Nicht wahr? das sieht dem Wahnsinne sehr ähnlich. Gewiß, ich bin krank. Ich muß mit einem Arzte sprechen.

[105]
31. Brief. Reinhold an Olivier
Ein und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

Gestern war T... bey mir. Ich wollte meinen Augen kaum trauen. Seit er zum Günstlinge erhoben ist, habe ich ihn nicht gesehen. Seine hämischen Anmerkungen über Dich führten oft Streit herbey, und so war ich recht wohl damit zufrieden.

[106] Nun aber gestern überfällt er mich plötzlich mit einem ganzen Heere Schmeicheleyen und Freundschaftsversicherungen. Ich lächle, mache einen stummen Bückling über den andern und vertiefe mich so hartnäckig in die Zeremonien, daß ich ihn nach einer Viertelstunde ziemlich in die gehörige Entfernung bringe.

Gleichwohl erfolgen nun eine Menge Hof-Stadtneuigkeiten, Erkundigungen nach Dir. – »Wie sich der König sehne Dich einmal bey sich zu haben. Wie es gar nicht artig sey, so spröde zu thun. Das alles würde Dir nichts helfen. Man könne Dich aufsuchen.«

Ich erschrack, und fieng an zu sondiren. [107] »Ja, ich selbst wisse am besten, wie viel an dem eigentlichen Frieden noch fehle. So still werde es nicht abgehen. Ein paar Feldzüge müsse man noch in den Kauf geben. Der König werde Dir das alles schon begreiflich machen und hoffe, Du werdest nicht aufhören, Dein Vaterland zu lieben.«

»Darüber ist kein Zweifel; – antwortete ich – aber mich dünkt, man könnte ihn in Ruhe lassen. Für ein Menschenleben hat er genug gethan, und die andern Herren sind ja auch keine Feinde vom Hinaufrücken.«

»Ach ja! wenn es nur auf das Rücken ankäme.« –

»Nun das Andre wird sich auch finden!«

[108] »Man hat's gesehen!« –

»Olivier ist kein Freund vom Kriege.«

»Darüber erstaunt man.«

»Mich dünkt ohne Grund. Er suchte Lorbeeren; jetzt hat er mehr als er bedarf.«

»Aber das Vaterland!« –

»Eben das Vaterland – sagt er – braucht Ruhe.«

»Das Wort klingt komisch in seinem Munde! – Männer, Frauen und Mädchen nannten ihn vormals den Unruhigen.« –

»Die Zeiten ändern sich; warum sollten sich die Menschen immer gleich bleiben?« –

Er antwortete mit seinem gewöhnlichen Faunenlächeln, umarmte mich, zu meinem [109] großen Leiden, einmal über das andere, und empfahl sich mit einem Epigramm.

Ich setze nichts weiter hinzu. Du selbst mußt am besten wissen was dabey zu thun ist. Rathen kann ich Dir nicht mehr; aber nie werde ich aufhören, Dich zu lieben.

[110]
32. Brief. Olivier an Reinhold
Zwey und dreyßigster Brief
Olivier an Reinhold

Entweder sie wollen mich los seyn und da sie wissen, daß ich die Kugeln nicht fürchte, mich wieder darunter schicken, in der Hoffnung, eine werde doch treffen. Oder der König hat gerade Langeweile, erinnert sich der P...schen Scenen mit Julien, und will die Komödie auf eine andere Art durchspielen. Wahrscheinlich trifft beydes zusammen, und da bin ich denn freylich vor einem Besuche nicht sicher. Hier lassen kann ich sie nicht; aber wem soll ich sie anvertrauen? –

[111] Reinhold Du liebst mich, Du hast es, auch wenn ich nicht daran glaubte, redlich mit mir gemeint. Reinhold! willst Du sie in Schutz nehmen? Dann lasse ich schnell mein Güthgen bey G... in Stand setzen. Ich weiß wohl: Du darfst Dich nicht entfernen. Aber es liegt nur eine Viertelstunde von der Stadt. Da könntest Du doch täglich einen Gang hinaus machen. Ganz allein kann ich sie nicht lassen, noch weniger sie der Mutter übergeben. – Begreife wie ich Dich achte! da ich Dich allen Andern vorziehe.

Antworte mir bald. Ich kenne ihn. Bey seinen Grillen ist keine Zeit zu verlieren.

[112]
33. Brief. Reinhold an Olivier
Drey und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

Alles! nur das nicht. Frage nicht weiter. Es geht nicht. Und wenn Du mich auf die Folter spanntest; ich würde Dir immer dasselbe antworten. Wie? Warum? kann ich Dir wahrhaftig nicht auseinander setzen. Genug ich weiß, es geht nicht. Achte mich nun weniger, entziehe mir ganz Deine Freundschaft. [113] Ich muß es geschehen lassen. Aber ich wiederhole Dir noch einmal: es ist schlechterdings unmöglich.

Nachschrift
Du hast zwey Fälle angenommen; aber wie, wenn es einen dritten gäbe?
Wenn sie Dich nicht entbehren könnten? Dich wirklich haben müßten? –
[114]
34. Brief. Reinhold an Olivier
Vier und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

Hätte ich doch meinen Brief nicht abgeschickt! Schnell muß ich Dir noch melden: daß die Königin ihrem Bruder entgegen reist und auf diese Weise den König begleitet.

Sollte es nicht das Sicherste seyn, Julie nun bleiben zu lassen? – Ich bin geneigt es zu glauben. Überlege es, und melde mir Deinen Entschluß.

[115]
35. Brief. Olivier an Reinhold
Fünf und dreyßigster Brief
Olivier an Reinhold

Das Sicherste! Eine Falle ist es. Einladungen, Lockspeisen! – Ich kenne das. Und sollte ich sie Antonelli übergeben, ich wollte es lieber; als sie auf dem glatten Hofpflaster wissen.

O wie viel leide ich! Ich bin müde es zu denken. Oft will ich die ganze schreckliche Leidenschaft von mir werfen, die Freyheit, den Tod suchen; aber dann sehe ich sie wieder [116] und mein zerrissenes Herz kann nicht von ihr lassen.

In Dich mag ich nun nicht weiter dringen. Gleichwohl muß Rath geschaft werden. Zwölf Meilen von hier ist ein Fräuleinstift. Ich will mit ihr davon sprechen.

Aber gern muß sie es thun; sonst ist es doppelt so schrecklich. Ach den ganzen Tag werde ich sie nicht sehen! Aber die Nacht will ich hin zu ihr fliegen. – Zwölf Meilen! – O Gott es geht nicht! es ist zu weit!

Da kommt sie. Ich will sie fragen. Sie selbst soll wählen.

[117]
36. Brief. Olivier an Reinhold
Sechs und dreyßigster Brief
Olivier an Reinhold

Jetzt habe ich den Muth der Verzweiflung. Ich sehe es, für mich ist kein Glück mehr zu hoffen.

Was wählte sie? – Rathe es! – Du erräthst es nimmermehr.

»Liebste! – sagte ich – wenn wir uns [118] auf eine kurze Zeit trennen müßten, wenn Du hier nicht bleiben könntest; welchen Aufenthalt würdest Du vorziehen?«

Sie behauptete für keinen entfernten Ort eine besondere Vorliebe zu haben. Es sey ihr hier so wohl.

»Aber wenn du nun schlechterdings wählen müßtest und Dich ganz nach Deinem Geschmacke bestimmen könntest.« –

»Nun – antwortete sie – dürfte es in der Nähe seyn; dann würde ich das Häuschen auf der Anhöhe allen Andern vorziehn.«

»Auf welcher Anhöhe?« – fragte ich, denn ich wollte nicht glauben was ich gehört hatte.

[119] »Dort – sagte sie, und zeigte auf Antonelli's Wohnung – diese Gegend hat etwas unbeschreiblich anziehendes für mich.«

Ich ließ sie nicht ausreden, stürzte fort, warf alles nieder, was mir in den Weg kam. Mir war als solle ich mir selbst entfliehn. Zum erstenmal in meinem Leben fühlte ich eine Art Unwillen gegen sie, der allmählig in Wuth übergieng. So stand ich vor Antonelli's Thür ohne zu wissen wie ich dahin gekommen war.

»Wo ist er« – fragte ich – »Wo er immer ist« – antworteten die Leute, und zeigten nach dem Walde.

Schon lange hatte ich vor ihm gestanden, [120] hatte schon eine Menge Flüche zwischen den Zähnen gemurmelt, noch immer hatte er mich nicht bemerkt. Endlich wurden meine Flüche lauter, und ich riß ihm das Fernglas aus der Hand. Da schien er plötzlich aus einem Traume zu erwachen und umarmte mich trotz meiner Flüche.

»Ein schönes Leben – sagte ich – den ganzen Tag so mit Gaffen hinzubringen. Der König kommt. Wo ist das, was ich Dir aufgetragen habe?«

Statt zu antworten, nahm er mich lächelnd bey der Hand, und führte mich zu einem Zelte, das er sich mitten im Walde hat aufschlagen lassen. Hier sah ich Karten, Risse, [121] alles in der größten Ordnung, und weit mehr vorgearbeitet als ich gewollt hatte.

»Wann ist denn das alles gemacht?« – fragte ich – nachdem ich es mit Erstaunen untersucht hatte.

»Wenn sie nicht da war.«

»Woher weißt Du denn, wann sie kommt?«

»Ich fühle es.«

»Du faselst!«

»Ich sage die Wahrheit.«

»Du hast ihr Zeichen gegeben, die Flöte gespielt.« –

»Niemals!«

»Nun, woher soll sie denn wissen, daß Du hier bist?«

[122] »Sie weiß daß ich hier bin?« – fragte er, und sein Gesicht verrieth wirklich das höchste Erstaunen. –

»O sage mir! – fuhr er fort, und drückte mir die Hände, und schmeichelte wie ein Kind – sage mir! woher weiß sie es? Hast Du es, hat es irgend jemand anders verrathen?«

»Gleichviel – antwortete ich verdrüßlich – genug sie scheint es zu wissen.«

»Ach! siehst Du! – rief er – sie fühlt es wie ich.«

Nun schrie ich laut auf vor Wuth, riß meine Hand aus der seinigen, stürzte den Berg wieder hinunter, und fand sie in Thränen.

[123] Ach, ich wollte ich wäre bey Dir. Du bist doch mein Einziges. Hier steh ich allein, verwaist. Sie haben mich ausgestoßen aus ihrem Bunde. Von einer höhern Macht hingerissen, vergessen sie mich und die Welt.

O ich leide zu viel! Ein Ende! Ein Ende!

[124]
37. Brief. Reinhold an Olivier
Sieben und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

Dein Leiden zerreißt mir das Herz. Armer, unglücklicher Mann! Mit allen Deinen Schätzen, mit allen Deinen Lorbeeren unglücklich. Ach warum mußt Du gerade jetzt diese Sehnsucht nach Liebe empfinden, jetzt, wo sich das Schicksal so grausam gegen Dich verschwöret.

Solltest Du denn gar nicht zu retten seyn?[125] – – Hast Du niemals versucht, sie als Deine Kinder zu denken? – in ihnen, durch ihre Liebe glücklich zu seyn? – Du mußt es mehr als einmal in Deinem thatenreichen Leben gefühlt haben: wie schön, wie überschwänglich die Selbstüberwindung lohnet.

Wenn ein hartnäckiger, listiger Feind Dich erbitterte, tausend Schwierigkeiten sich Deiner brennenden Ruhmsucht entgegen stellten, Du endlich nahe warst das Ziel zu erreichen, hat Dich da nicht oft Erbarmen mitten im Laufe zurückgehalten, und sind es nicht gerade diese Augenblicke, bey denen Du, wenn Dich alles Übrige anekelte, mit Wohlgefallen verweiltest? –

[126] Gewiß! Dein Schicksal liegt mir schwer am Herzen. Ich habe nur einen Wunsch: Dich mit Dir selbst einig zu sehen. Ich kenne nur eine Möglichkeit – doch, ich schweige. Aber das laß Dir sagen – denn wer wollte Dich um des augenblicklichen Schmerzens willen dem tückischen Irrthume preis geben – aufopfern wirst Du müssen, auf welche Seite Du dich wendest. Auch dann, wenn Du den Tod wählst, opferst Du auf. Wie viel? – wer kann es bestimmen! –

Die große unergründliche Natur handelt nach unwandelbaren Gesetzen. Erbarmen ist ihr fremd. Hebst Du gewaltsam ihren Schleyer; welche Macht kann Dich retten? – So [127] weit das Gedenkbare reicht, findest Du die schreckliche wieder. Darum gieb Dich duldend in ihre Hand. Dann wird sie sanft Dich erlösen.

Du sagst: ich bin Dein Einziges. So entschließe Dich dann muthig, und schnell! Komm an mein Herz! Wir wollen meinen Olivier suchen. Vielleicht finden wir ihn wieder.

[128]
38. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und dreyßigster Brief
Olivier an Reinhold

Er ist gefunden! – Wohl! ganz Recht! eben weil ich im Tode noch aufopfere, will ich mir, was das Leben gewährt, noch erhalten. Ist kein Erbarmen zu hoffen; warum soll ich mich erbarmen? – Mag ich nun Schmerz hervorbringen; ich selbst leide den höchsten. Ja ich habe mich schnell und muthig entschlossen. Ich selbst will sie nicht sehen; aber dann soll auch kein männliches Auge sie erblicken.

[129] Anfangs wollte ich mich einem deutschen Klotze vertrauen; aber ich sah bald, daß nur ein Südländer meine Leidenschaft begreifen konnte.

Ich habe Einen gefunden, der mehr noch begreift als ich empfinde. Er soll sie bewachen.

Ein menschenleeres Gütchen ist gekauft, das Haus mit einem Graben umgeben, und durch eine Zugbrücke geschützt. Drey fremde Mädchen habe ich zur Aufwartung kommen lassen, und hoffe der braune Wächter wird sie gehorchen lehren.

Keine Anmerkungen! ich bitte Dich! Es war das Einzige was mir übrig blieb.

[130]
39. Brief. Reinhold an Olivier
Neun und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

Nein! keine Anmerkungen! aber hier einen Brief von Wilhelminen. Sie glaubt, er würde durch mich am richtigsten besorgt werden. Das gute Mädchen weiß so vieles noch nicht. – Mein Schutzgeist verhüte nur, daß sie nicht nach Juliens Aufenthalt fragt. Ihre ganze [131] Verachtung würde mich treffen; wenn ich nicht mit Feuer und Schwerdt drein schlüge. Wäre sie hier, ich stünde Dir vor keiner zweyten Entführung.

Das arme Mädchen hat sich nur immer an den Schein gehalten. Sie glaubte Dich frey, und Julie gefangen. Dich Du Unglücklicher! Einen Sclaven der wüthendsten Leidenschaft frey! –

[132]
40. Brief. Wilhelmine an Julie
Vierzigster Brief
Wilhelmine an Julie

Ich bin in der Schweitz; aber meine Erwartung ist nicht befriedigt. Blendender Schnee auf den Bergen, schneidende Luft in den Thälern, die Menschen eben so kalt und düster wie sie. O das alles ist mir fürchterlich zuwider!

Ewiger Zank unter den Hohen, ewige [133] Klage unter den Niedern. Mangel bey allem Überfluß. Sclaverey bey allem Freyheitstrotz. Ach kein Feuer, keine Lebendigkeit! Einsylbig, langweilig, das prosaischste Volk auf der Erde. (So weit meine Wenigkeit sie gesehen hat.)

Ja! donnernde Wasserfälle und schaurige Klüfte. Überhangende Klippen und stürzende Lavinen. Wer Lust hat erschlagen zu werden, der kommt hier schon recht.

Ob ich das alles in einer andern Laune nicht anders gesehen haben würde? Kann seyn! aber ganz unwahr ist es nicht; darauf kannst Du Dich verlassen.

Nein! nein! mit dieser grausenden, zügellosen Natur kann ich mich nicht vertragen, [134] mit diesen Menschen nicht sympathisiren. Was helfen mir die feisten Kühe und die üppigen Wiesen? Was mir fehlt können sie mir nicht geben.

Aber was fehlt mir denn? – Nun, fürs erste will ich glauben: ein milderer Himmel, ein geistvolleres, lebendigeres Volk, Werke der unsterblichen Kunst, an denen sich mein Geist laben und erheben kann.

Italien! Italien! da will ich hin. Antonellis Mutter ist da. Auch die will ich sehen. O was gäbe ich darum, daß sie arm wäre, oder sonst meiner Hülfe bedürfte! Gewiß! sie wird mich lieben; denn ich werde ihr von dem Lieblinge erzählen.

[135] Wäre ich die Mutter dieses Sohnes; Könige und Kaiser müßten mir weichen. Ach! hätte ich nur ein Kind! nur ein einziges Kind! Ein solches Wesen, das ich mit Todesquaal mir erkauft, mit Lebensgefahr mir erhalten hätte! – Ich wollte alles! ja Dich selbst wollte ich darüber vergessen.

Nur Geduld! nur Geduld! nur nicht gelächelt! es wird sich alles finden! – In Italien giebt es noch Menschen, die Liebe verstehen. Bauer, oder Bürger, einerley! »Mein Freund – sage ich dann – gefalle ich dir; so mögte ich wohl auf ein Jahr der fünf deine Frau werden. Sind wir glücklich; so geben wir noch vier Jahre zu. Dann drey, dann [136] zwey, und zuletzt hast du die Freyheit, dich alle Jahr von mir zu trennen.

Aber in der Zeit wo du mir gehörst, gehörst du mirganz. Kein Laufen, kein Gaffen! das sage ich dir! – Ich binde mich; aber auch du bist gebunden. Hältst du nicht Wort; so ziehst du weiter. Aber die Kinder bleiben mir, oder aus der ganzen Sache wird nichts.«

Du merkst wohl, daß ich die wichtigste Klausel zuletzt bringe. Ist er damit zufrieden, dann mag er nach den ersten fünf Jahren schon weiter ziehen, und den größten Theil meiner Reichthümer mitnehmen. Ich bleibe doch reicher als er.

[137] Ob er aber dabey glücklich seyn wird? – O ja! wenn er vernünftig ist, warum nicht? – Ich würde für ihn braten und kochen, ihn warten und pflegen und alles, was mir an Freuden bekannt wäre in unserm Hause versammlen. Aber, die Kinder gehören mir! damit wecke ich ihn des Morgens, und die Kinder gehören mir! wiederhole ich ihm des Abends, und wenn er das nicht vertragen kann; so zieht er weiter; oder zieht gar nicht, weil er nicht kommt.

Nichts von Inconsequenz! die gewöhnlichen Ehen widerstehen mir noch eben so sehr wie vormals. Es ist mir unbegreiflich, warum [138] sich die Leute schlechterdings auf das ganze Leben zusammen schmieden lassen.

Was wäre denn nun dabey verlohren? wenn sie alle vier, oder fünf Jahre gesetzmäßig erinnert würden; wie viel große Ränke des Bräutigams und viel kleine der Braut erfoderlich waren, um des heiligen Joches würdig erachtet zu werden.

Nein! nein! auf kurze Zeit wenigstens müßten sie getrennt, und ohne feyerliche Erklärung nicht wieder verbunden werden.

Denke Dir! alle fünf Jahre eine neue Hochzeit! Welch ein Familienfest! Väter, Mütter, Kinder, Gesinde, alles würde jauchzen, und jede eheliche Frau würde in ihrem [139] Leben ein paar Dutzend Flitterwochen mehr zählen.

Sage nur, warum sind die Menschen nicht längst auf diesen Einfall gekommen? Warum wollen sie schlechterdings vor Langeweile sterben? Bewillkommen sich mit Gähnen Morgens und Abends, und denken auf kein Mittel zur Rettung.

Leb wohl! Auf alles was Du mir schreibst antworte ich Dir nichts; die Zeit wird schon antworten.

[140]
41. Brief. Olivier an Reinhold
Ein und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Sie ist in Sicherheit, und ich fange an ruhiger zu athmen. Ach wie ist hier alles verwandelt! – Nachtigallen sind erwacht, Blumen entfaltet, köstliche Früchte zu tausenden gereift! Wohin sie kommt, da blüht ein Paradies ihr entgegen.

[141] Lächelnd schwebte sie über die Zugbrücke und die Ketten bewegten sich nicht. Nur unter mir fiengen sie an zu rasseln. Sie wandte sich um; aber das himmlische Lächeln blieb auf dem Engelgesichte.

Nein! nein! ich habe sie nicht unglücklich gemacht! Ach Du hast Recht! unter Ketten ist sie frey, und ich bin der Gefangene. Aber Geduld! – sagt Wilhelmine. – Ich fange an mich mit ihr auszusöhnen. Sie hat mich auf etwas sehr Wichtiges geleitet. Geduld! aber kein Predigen! kein Vorschreiben! – Was ich thue, muß aus eigner freyer Entschließung geschehen; nicht, weil es Andern so beliebt, weil es Andre für das Beste erkennen.

[142] Euer Einreden, Euer Tadeln, Euer Zurechtweisen hat mich in dieses Labyrinth geführt. Hättet Ihr mich meinen eignen Weg gehen lassen; es wäre jetzt leichter um mich her. Ich hätte früher gewußt, was ich sollte.

Habe ich kein menschliches Herz? Bin ich ein Tyrann, ein Barbar? Ich fühle tiefer, lebhafter wie Ihr, mein Vater war einige hundert Meilen südlicher gebohren; daher kommt alles.

Gebt mir Euer nordisches Blut, und ich werde sie nicht einschließen, ich werde nicht wissen, was ein Blick, ein Händedruck bedeutet, woher er kommt, und wohin er führt. Ihr Eismassen wißt ja nur von Hörensagen, was [143] Leidenschaft ist! Thauet erst auf an einem südlichen Strahle, und dann richtet über südliche Naturen.

Ich gehe, ich verlasse sie. Sie, sie! – Nennt Ihr das nichts? Opfre ich nicht jetzt schon mein Wohlseyn einem höhern Zwecke? – Wer darf mir ein Ziel stecken? Wer darf sagen: »bis hieher und nicht weiter?« – Darum zähmet Euch, und redet mir nicht ein. Der Sclave ist frey, sobald er es seyn will.

[144]
42. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Zwey und vierzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Ihr Brief, meine theure Freundin, ist so richtig besorgt, als er besorgt werden konnte. Das heißt: er ist durch des Generals Hände gegangen. Ein anderes Mittel giebt es jetzt nicht. Heimliche Wege, Bestechungen, das mag für andre Leute gut seyn; für uns ist dergleichen nicht gemacht.

Ihr Brief war offen, und so ist er geblieben. [145] Der General hat ihn gelesen, und das kann Ihnen sehr gleichgültig seyn. Doch nein! nicht so ganz gleichgültig. Sie haben ihn – dies sind seine Worte – auf etwas sehr Wichtiges geleitet. Auf was? – Die Zeit wird es ja lehren.

Mehr als jemals kämpft er mit sich selbst. Das ist gewiß. Aber wie dieser Kampf endigen wird? – wer kann es bestimmen! – Auf mich – ich gestehe es – wirkt das alles ganz sonderbar. Schon seit geraumer Zeit bin ich aufgefodert etwas Entscheidendes für mich zu wagen. »Ein sorgenloseres, bequemeres Amt – sagen meine Freunde – Späterhin brauchst Du mehr Ruhe.«

[146] Aber mir ist wie einem Landmanne, über dessen Saaten ein schweres Gewitter aufsteigt. Man spricht von der nahen, gesegneten Ärndte. »Verbeßre dein Haus! Erweitre die Scheuren!« – ruft man ihm zu. – Aber sein Ohr ist verschlossen, sein Auge starrt unverwandt nach der Wetterwolke. Trifft sie die Saaten; was bedarf er der Scheuren? –

[147]
43. Brief. Julie an Wilhelmine
Drey und vierzigster Brief
Julie an Wilhelmine

Du hast noch immer nicht gefunden was Du suchst, meine theure geliebte Freundin; aber mich dünkt Du bist auf dem Wege dazu. Wohl mir! meine Wilhelmine wird glücklich seyn! was habe ich dann noch zu wünschen?

Wie sehr hast Du Recht, mir nichts auf mein Geschwätz zu antworten. Es war ein [148] Fiebergeschwätz. Gott Lob! jetzt bin ich genesen. Der König kommt nach R.... Mein Mann fürchtete mit Recht, mich seinen Zudringlichkeiten auszusetzen, und brachte mich hieher.

Julianens Ruh, nennt er diese liebliche Einsiedeley. Macht es der Nahme; oder was ist es sonst? aber in der That, ich bin hier ruhiger. Dort war mir als fehlte ich mir selbst; hier habe ich mich wieder.

Zwar ist alles fremd was mich umgiebt. Anna ist fortgeschickt, und ein andres, sehr junges, aber, wie mich dünkt, unschuldiges Mädchen, hat ihre Stelle bekommen. Ein offenbarer Gewinnst für mich. Anna schien mit [149] ein äußerst verderbtes Geschöpf, und nur weil ich sie einmal in meines Mannes Diensten fand, konnte ich sie dulden.

Gleichwohl macht es mir die arme kleine Marie, durch ihre schreckliche Demuth, beynahe unmöglich, in einen zutraulichern Ton mit ihr zu kommen. Meine Bitten scheinen ihr immer Befehle. Zitternd und zagend, als ob das Richtschwerdt sie verfolgte, lauscht sie auf meine Worte, und hat vor Angst immer die Hälfte vergessen.

Auch den andern Mädchen geht es nicht besser. Nur Meister Ubaldo, der Oberaufseher scheint von diesem Schrecken nichts zu wissen. Im Gegentheil bedarf er aller seiner Feinheit, [150] und wirklich angenehmen Gesprächigkeit, um selbst nicht ein wenig schrecklich zu werden.

Mir schien er es nur ein paar Stunden. Jetzt sind wir die besten Freunde von der Welt. Ich muß mich noch gar in Acht nehmen; sonst werde ich in der That sein verzogenes Kind.

Nichts ist ihm gut genug, wenn es für Donna Julia seyn soll, und darum macht er freywillig Koch, Kellermeister und Gärtner. Schönere Blumen und Früchte erinnere ich mich nicht gesehen zu haben. Zu meiner kleinen Tafel könnte ich Fürsten einladen. Nur Schade, daß ich sie nicht so benutze wie Meister Ubaldo es wünscht.

[151] Den Teller in der Hand steht er mir gegenüber und lauscht mit Ängstlichkeit: ob ich von diesem oder von jenem versuchen werde. Lobe ich dann die gute Auswahl, die treffliche Zubereitung; so werden meine Hände, meine Kleider mit Küssen bedeckt, und der gute Mann scheint wirklich einen Anfall von Wahnsinn zu bekommen.

Noch ärger treibt er es, wenn er meinen Flügel, oder meine Stimme hört. Aber leider versteht er keine Note; sonst würde er bey seinem zum Erstaunen richtigen Gefühle, ein sehr angenehmer Begleiter für mich werden.

Sonst läßt er sich freylich das Begleiten [152] sehr angelegen seyn. Nur seitdem ich ihn gebeten habe, kann ich allein in den Garten gehen. Es scheint ihm trotz seines Mißtrauens; oder, wie ich es jetzt lieber nennen mögte – trotz seiner Anhänglichkeit, unmöglich, mir eine unangenehme Empfindung zu verursachen.

Und so führe ich dann hier ein sonderbares, beynahe ätherisches Leben. Ich habe angefangen Kräuter und Blumen zu sammlen, Ein unaussprechlich belohnendes Geschäft. Ich glaube es könnte Götter und Menschenfeinde zähmen.

Wenn ich so mitten im hohen duftenden Grase die köstlichen Blumen, nur so weit ich sie erreichen kann, sammle, die ganze Pracht [153] dann über mein weißes Kleid verbreite, sitze ich oft trunken vom Anschauen der unendlichen Mannigfaltigkeit und Schönheit.

O nein! ich bin nicht allein, bin nicht verlassen! Allenthalben finde ich die große, gütige Mutter. Im Hauche des Frühlings, im Gesange der Nachtigall, im Rauschen des Wasserfalles spricht sie zu mir. Mit Empfindungen, mit Gedanken, mit Tönen, die sie mir gab, darf ich ihr antworten.

O ich unaussprechlich Glückliche! in meinem Herzen ist Friede. Wohl habe ich gefehlt, vielleicht meine Wilhelmine betrübt. – Aber wenn es nicht Selbstsucht, nicht Leidenschaft, wenn es nur Schwäche und Irrthum war, hatte [154] ich dann Strafe verdient? – Nein! nein! auch meine Wilhelmine wird mir vergeben, und dann bedarf ich keinen andern Himmel, als den ich schon habe.

Welche reine köstliche Luft ich hier athme! R.... ist schön; aber es liegt zu tief. Oft wiederholte ich es mir, meine Schwermuth hätte keinen andern Grund. Aber das Herz überwand die Vernunft. Immer sollte noch etwas anderes, wunderbares, übersinnliches auf mich wirken. –

Mein Vater erzählte von einem Manne, der ein äußerst angenehmer Gesellschafter war, aber oft durch sich selbst, mitten im fröhlichsten Scherze unterbrochen wurde. Bleich, verstört, [155] beynahe ohnmächtig sank er dann zurück, verschüttete den köstlichen Wein und hörte nicht mehr das Rufen der fröhlichen Brüder.

»Er dachte an mich!« – war dann seine ganze Entschuldigung.

Ein Freund von ihm war nämlich in türkische Gefangenschaft gerathen, und erzählte wirklich mehrere Jahre nachher: daß er durch mannigfaltige Arbeiten am Tage zerstreut, nur des Abends, aber dann mit unbeschreiblicher Sehnsucht, seiner gedacht habe.

So liebste Wilhelmine war mir in R... »Laß ab! laß ab!« – rief manchmal der Freund des türkischen Gefangenen. Laß ab! Laß ab! meine Wilhelmine! hätte auch ich [156] manchmal rufen mögen. Aber, nicht wahr? jetzt denkst Du ruhiger an mich? ziehst mich nicht mehr so schmerzhaft zu Dir hinüber? – Ja! ich fühle es an meinem erleichterten Herzen, wir sehen uns wieder meine Wilhelmine! wir sehen uns wieder!

[157]
44. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Vier und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Ob der General meinen Brief gelesen hat – ja wohl! mir einerley! Nur Schade, daß er nicht ein wenig mehr für ihn eingerichtet war. Will es mir merken. Ist er so sehr für diese heimlichen Näschereyen; wie viel heilsame Pülverchen lassen sich da beybringen. –

Ob er aber auch Juliens Antworten liest? Das wäre nun freilich eine ganz eigne Sache.[158] – Hier zum Beyspiel, sehen Sie einmal diese Briefe. Wie mögen ihm wohl die Träume, wie mag ihm wohl das Laß ab! laß ab! gefallen? – Ob er es auch, wie Julie, auf mich; oder was ein wenig natürlicher wäre, auf gewisse Bergbewohner 1 deutet? – Seit der plötzlichen Abreise mögen ihm diese Leute wohl ziemlich zu schaffen machen. In der Angst scheint er sie ganz vergessen zu haben.

Ja! ja! da herum stehn die Saaten verzweifelt schlecht. Noch ein wenig schlechter als ich es vor geraumer Zeit verkündigte. Bey andern Orakeln dankt man dem Himmel, wenn [159] sie nur so halb und halb erfüllet werden. Bey den meinigen giebt es immer ein gerütteltes und geschütteltes Maaß.

Finde ich nur erst einen bequemen Ort; der Dreyfuß und die Pythia ist fertig. Dann können Sie sich wegen der Häuser und Scheuren gerade an mich wenden. Mit, und ohne Wetterwolken; ich prophezeihe frisch aus dem Stegreife.

[160]
45. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Fünf und vierzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Die Prophetin scheint, wie alle übermenschliche Wesen, schwächliche Empfindungen und besonders das Mitleid zu verachten. Aber übermenschlich oder nicht; man ist nicht immer sicher vor dem was man verachtet. Unsrer Prophetin [161] geht es vielleicht trotz aller Schadenfreude – wie Uneingeweihte es nennen mögten – nicht besser. Die Wetterwolken sind ihr sehr wahrscheinlich noch fürchterlicher als mir.

Ohne Bilder! Meine Freundin scheint sie nicht zu lieben. Hier sind die Briefe zurück. Wenn ich Ihnen dafür danke; so danke ich für Schmerz und Freude zugleich. Beydes habe ich im hohen Grade empfunden. Ich begreife, ich entschuldige jetzt alles. Ja für dieses himmlische Herz giebt es freylich keinen Ersatz. Der Erste, der Einzige darin seyn wollen; ach es ist ein schöner, es ist ein sehr menschlicher Wunsch! Wäre ich an Oliviers [162] Stelle, wer wüßte wozu er mich bringen könnte. – Wahrscheinlich zu Vielem, was ich tadeln und doch nicht unterlassen würde.

Meister Ubaldo hat mir ein Lächeln abgezwungen. Armer Olivier; wofern Deine Oberaufseher nicht blind und taub sind; so steht es sehr schlimm mit der Aufsicht.

[163]
46. Brief. Olivier an Reinhold
Sechs und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Der König mag bald kommen; sonst muß er sich andre Wirthe suchen. Ob er glaubt, ich könne mich nicht losreißen? Mehr als einmal habe ich ihm den Dienst aufgekündigt. Immer hat er mich durch allerley Ränke wieder hineingezogen.

Hätte ich nur meine Güther verkauft, [164] noch morgen gienge ich aus dem verwünschten Lande. Das allein hält mich zurück. Nicht die abgeschmackte Puppe, der Ruhm, womit er mich vormals gelockt hat.

Von ihr verlassen, bin ich nun dem Wahnsinn des unbändigen jungen Menschen ausgesetzt. An ihm sehe ich, was aus mir werden würde, wenn ich sie nicht mehr hätte.

Erklären soll ich ihm: wie diese Trennung möglich war? – entdecken soll ich: wo sie ist? Er will sie nicht sehen; aber bewachen, beschützen will er sie. »Von uns entfernt, droht ihr Gefahr. Der König, tausend Andre können sie rauben. Sie ist schon geraubt, und ich, ich habe es zu verantworten.« –

[165] »Was kümmert mich der Dienst und der König! – rief er – Mögt Ihr doch Standrecht über mich halten! Ich gehe davon und suche sie auf!«

Kein andrer Rath; ich mußte ihn arretiren lassen. Es hat mich Überwindung gekostet; aber bis der König da ist, muß es so bleiben.

Bin ich etwa glücklicher? – Um den leisesten Verdacht zu entfernen, habe ich seit acht Tagen jeder Nachricht von ihr entsagt. Meine Vertrautesten ahnen nicht wo sie ist, und sollen es nicht ahnen.

So wie ich sie nicht sehe, bekomme ich meine Festigkeit wieder, bin hart wo ich es seyn muß, und gefaßt mit dem Schicksale in [166] die Schranken zu treten; falle auf dem Wege Freund, oder Feind.

Und so muß es auch seyn. Auf welche Weise ich sie erworben haben mögte; sie ist mein Eigenthum. Wer sich daran wagt, mag es mit mir versuchen.

[167]
47. Brief. Wilhelmine an Julie
Sieben und vierzigster Brief
Wilhelmine an Julie

Ich habe sie gesehen. Das war eine Freude! – Ich dachte sie mir – warum weiß ich selbst nicht – wie ein altes kraftloses Mütterchen, und fand eine angenehme, lebhafte aber freylich, trotz den Spuren großer Schönheit, nicht [168] auf nordische Art, roth und weiß blühende Frau.

Im vierzehnten Jahre wurde sie verheyrathet, Antonelli ist drey und zwanzig; jetzt kannst Du zusammen rechnen.

Sie hat Dein Gemählde, und betet alle Tage für Dich. Eine Deutsche kannst Du nicht seyn; das ist ihr nicht auszureden. Schon mehr als ein paar Dutzend Heiligenbilder hat sie mit Dir verglichen. Von der Einen hast Du die Stirn, von der Andern die Augen, von der Dritten, Vierten, Fünften, die Nase, den Mund, das Kinn u.s.w. Wohl bemerkt! unter diesen Allen keine Einzige Deutsche. – Ohne Zweifel aber sämmtlich Deine [169] Frau Muhmen, Basen, Urgroßmütter im hundert und funfzigsten, sechzigsten Gliede. – Ach Gott! wer sich doch auch einer solchen Familie rühmen könnte!

Ja, hat es mich jemals geschmerzt, aus keinem heiligen Blute entsprossen zu seyn; so ist es gerade jetzt. In allem könnte ich mit dieser liebenswürdigen Frau sympathisiren; nur die fatale Heiligenfamilie kommt immer dazwischen.

Gott weiß wie es zugeht! – Sie selbst hat doch so gar nichts Heiliges. – Nennt alle Dinge bey ihren Nahmen, liebt und haßt so südlich, so unheilig wie möglich. Allen Rosenkränzen und Heiligenbildern unbeschadet.

[170] Indessen ist doch die Glückseeligkeit dieser Auserwählten nicht ohne Wechsel. Auch sie haben ihre Sonnen- und Regentage. Ja manchmal könnten sie den ersten, besten Unheiligen beneiden.

Signora Antonelli's Schutzpatron, hat es zwar, im Ganzen genommen, recht gut. Aber ich weiß mich gleichwohl der Zeiten zu erinnern, wo er, statt vier Wachskerzen nur zwey, ja wenn er sich um Briefe von dem geliebten Sohne zu lange bitten ließ, wohl gar keine erhielt.

Die Schutzpatrone der Köche, Schiffer und Fuhrleute haben es viel schlimmer. Stöße, Schläge, die ärgsten Schimpfnahmen müssen [171] sie sich gefallen lassen, wenn sie die Bitten ihrer Gläubigen vergessen, oder zu saumseelig erfüllen.

Bey dem allen hat aber ein solcher Schutzgott für den Besitzer sehr viel Angenehmes. Ich wenigstens lasse mir einen machen, und zwar nach dem Modelle eines jungen Bauers hier in der Nähe.

Jeden Abend trägt er seine alte Mutter in die Kühle, unter ein Laubdach, was er gerade meinem Fenster gegenüber aufgeschlagen hat. Die Art, wie er ihr Lager bereitet, die Zweige an einander fügt, Blumen und Früchte herbeyholt, giebt ihm wirklich etwas Heiliges.

Letzt, als er sie wieder hinaus trug, hatte [172] er zu gleicher Zeit die Früchte mitgenommen; aber plötzlich stieß er an einen Stein und da lag der Korb und die Früchte.

Geschwinde lief ich hinunter, sammelte sie wieder in den Korb und brachte sie ihm entgegen. Er nahm sie, sah mich an, konnte mir nichts sagen, ich ihm auch nicht, und so giengen wir langsam von einander.

Als er nun den folgenden Tag wiederkam, fand er schon ein recht hübsches Sopha in der Laube und noch schönere Früchte als die seinigen. Er blickte nach meinem Fenster, legte die Hand aufs Herz und grüßte mich auf eine Art – ja, die sich recht gut sehen, aber nicht beschreiben läßt.

[173] Seitdem haben wir nun unsre ganz eigne Zeichensprache. Mir gefällt sie so wohl, daß ich den Augenblick fürchte, wo sie sich in Worte verwandeln wird. Auch suche ich ihn so viel als möglich zu entfernen.

Aber unterdessen der junge Heilige draußen mit seiner Mutter beschäftigt war, bin ich in ihrer Wohnung gewesen, und habe mir da verschiedenes gemerkt, was die arme, kranke Frau entbehrte.

Jedesmal nun, wenn er ins Haus tritt, findet er irgend etwas neues. Da kommt er dann gelaufen und peinigt meine Leute: »Sie sollen ihn vorlassen! Es wird zu viel – Er kann es nicht tragen« u.s.w. – Aber da bin [174] ich nun hart, meine Leute dürfen nicht wanken, und er muß mit seiner ganzen Schuldenlast wieder zurück.

Nun, wie gefällt Dir mein Heiliger? – Soll ich Dir eine Kopey machen lassen? oder willst Du lieber den von Signora Antonelli haben? Er gleicht ihrem Sohne, wie ein Tropfen Wasser dem andern.

[175]
48. Brief. Olivier an Reinhold
Acht und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

Der König ist hier, und Antonelli ist fort. Kaum war er des Arrests entlassen und dem Könige vorgestellt; so bat er um seinen Abschied. Bat? sage ich – trotzte, und zwar so arg; daß ihn der König in völligem Unwillen entließ.

Er findet sie nicht, das ist gewiß; und doch bin ich auf der Folter. Durch einige absichtliche Nachlässigkeiten habe ich ihn auf ganz [176] andere Wege zu leiten gesucht. Er findet sie nicht, er kann sie nicht finden. Auch ist Ubaldo eben so behutsam, ja noch behutsamer, als ich.

Volle acht, ja vielleicht zwölf, vierzehn Tage soll ich nun diese Marter so dulden. Muß täglich auf neue Feste und andere Spielereyen denken. Die herrliche Frau, die Königin, ist noch das Einzige was mich tröstet. Scheinbar glaubt sie alles, was ich ihr von Juliens Reise zu der Freundin erzähle; aber fühlt sie, daß es meinem gepreßten Herzen Noth thut, verstanden zu werden, – o so versteht, so theilt sie alles, was ich ihr nimmermehr sagen mögte.

[177] Die Gewalt dieser Frau über sich selbst, geht in das Unbegreifliche. Nach allen Schrecklichkeiten die sie erleben mußte, mit welcher Schonung sie ihn behandelt! Nein! ich war ein roher, verwahrloster Mensch; aber so vieler Liebe, so vieler Geistesgröße könnte ich nicht widerstehn.

Freylich, es ist wahr, diese außerordentliche Klugheit – ich könnte sie doch nicht an der Einzigen ertragen. Ach die hohe göttliche Einfalt ihres Herzens! beynahe glaube ich: sie ist mir noch reizender, als ihre Schönheit. – Sich selbst kann sie täuschen; Andre nimmermehr. Nein! nein! wenn ich ihr jemals untreu würde; mögte sie mich dann verabscheuen, [178] mich verstoßen: ich wollte es lieber, als diese Schonung.

Auch kann es der König nicht bergen, wie klein er sich fühlt, in der Nähe dieser wahrhaft großen Frau. Denn groß ist sie; mangelt ihr auch die unendliche Liebenswürdigkeit der Einzigen. Ach meiner Einzigen – Ich Überglücklicher! ist es möglich daß ich sie besitze? daß sie mein bleiben wird? – Ich darf dem Gedanken nicht nachhängen! Todesangst überfällt mich. – Nein! nein! er wird, er kann sie nicht finden!

[179]
49. Brief. Reinhold an Wilhelmine
Neun und vierzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

Diesen Brief, bestes Fräulein! ich kann ihn wahrlich nicht abschicken. Wozu die Anspielung auf Antonelli? – Glauben Sie, mein unglücklicher Freund leide ohnehin nicht genug? – Er würde den Brief zurückbehalten, und wahrscheinlich thäte ich an seiner Stelle dasselbe.

Wir können ja nicht bessern, warum sollen wir verschlimmern? Wenn die Erbitterung des Generals aufs höchste steigt; wird Ihre Freundin dann glücklicher? – Ich bitte Sie das zu [180] bedenken, und Juliens Ruhe nicht Ihrem Unwillen zu opfern. Gerecht, oder ungerecht; darauf kommt es ja nicht mehr an. Noch einmal! wir können nicht bessern, warum wollen wir verschlimmern? –

Nein, mag Fräulein Wilhelmine den langweiligen Prediger auch schelten – wahrlich sie ist ein wenig zu muthwillig. Die Heiligenbilder gebe ich ihr preis; aber meine Freunde sollte sie schonen. Ich glaube sogar, es bedürfe dazu keiner andern Ursach, als daß sie meine Freunde sind. Sie versicherte mich einst ihrer Achtung – muß ich nun glauben, sie habe meiner gespottet.

[181]
50. Brief. Wilhelmine an Reinhold
Funfzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

Sie schicken meinen Brief zurück? – Gut! ich werde mir schon helfen. – Sie klagen über Muthwillen? Der Ernst gefällt Ihnen besser. O wie Sie wollen! ich kann auch ernsthaft seyn.

Und so sage ich Ihnen denn: daß ich Sie sehr ernsthaft schätze, daß ich aber die Gefangenschaft meiner Freundin – nennen sie es anders, wenn sie können – mit allem Unwillen, dessen ich fähig bin, verabscheue.

[182] Sind es Ihre Freunde, die mein Liebstes auf der Welt so schändlich mißhandeln; da bedauere ich Sie um dieser Freunde willen. Aber billiger Weise könnte ich nun auch einmal fragen: warum es Ihnen denn gar nicht einfällt mich zu bedauern? – Weil ich muthwillig bin? Also haben Sie noch nicht gehört, daß oft der tiefste Schmerz sich hinter Muthwillen versteckt?

Doch mein Muthwille und meine Geduld ist zu Ende. Ich werde andre Maaßregeln ergreifen, und glaube Niemandem mehr Rechenschaft geben zu müssen.

[183]
51. Brief. Olivier an Reinhold
Ein und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

Er ist krank, oder will es scheinen, um mich aufs Äußerste zu bringen.

Die Königin zwingt sich wieder daran zu glauben und erschöpft alles, was der sorgsamsten Liebe nur möglich ist.

Ich aber kann mich des Gedankens nicht erwehren: es sind Tücke, er will nur meine Geduld ermüden, ich soll Julie wiederkommen [184] lassen, und dann glaubt er, werden seine und seiner Hofschranzen Ränke das Übrige thun.

Wie mich seine süßlichen Schmeicheleyen anekeln! Welche Quaal! das Geschmeiß den ganzen langen Tag so dulden zu müssen. Er hätte nichts Besseres ersinnen können, um mein bischen Ruhe ganz zu zerstören, um mich dem Wahnsinne so nahe als möglich zu bringen.

Was macht sie die Einzige, unaussprechlich Geliebte! Ein Blick aus ihrem Himmelauge würde das unbändige Klopfen dieses zerrissenen Herzens mildern. Kann ich sie denn nicht einmal, nicht ein einzigesmal sehen! Ach! da überfällt mich die Todesangst: sie mögte entdeckt werden. –

[185]

Meinen Verstand erhalte mir, o Gott! daß ich der Leidenschaft nicht erliege, daß ich dieses kostbare Kleinod, für das die Welt keinen Ersatz hat, daß ich es nicht preis gebe den tückischen Mördern, die nach meinem Herzen zielen.

Nein, ich will entsagen, für eine kurze Zeit entsagen, und dann will ich kommen mit aller, aller meiner Liebe, die sie nicht kennt, die ich selbst noch nicht kannte. Um dieser unendlichen Leidenschaft willen muß sie mich lieben, kann sie nie einem Andern gehören.

[186]
52. Brief. Julie an Wilhelmine
Zwey und funfzigster Brief
Julie an Wilhelmine

So bin ich denn schon von allem was ich liebte geschieden! – Ubaldo redet nur durch Blicke, die ich nicht verstehen mag. Die Mädchen zittern und schweigen, mein Mann schweigt, Du, von der ich Verzeihung, Versicherung Deiner wiederkehrenden Liebe hoffte, Du schweigst auch. – So schweigt denn alles! ist alles für mich todt. – Ach Gott! so schauderhaft muß die Meeresstille seyn vor einem Sturme.

[187] Wird man mich diesem Menschen überlassen? Ist er es allein, den ich fürchte; oder was ist es sonst? – Der süße Friede ist von mir gewichen. Eine leidenschaftliche Unruhe, eine Bangigkeit verfolgt mich. – O Gott! was habe ich gethan? was steht mir bevor?

Habe Dank, Unglücklicher! du hast meinen Schmerz in Wehmuth aufgelöst. Ich kann weinen. Ach lange habe ich nichts seelenerschütterndes gehört.

Da war ein Mensch an der Pforte und verlangte durch Zeichen, eingelassen zu werden. Ubaldo fuhr hart gegen ihn heraus. Aber nun stimmte er auf seiner Klarinette ein Adagio an, das alles, was auf dem Hofe [188] war, herbeylockte und endlich den harten Oberaufseher überwältigte. Ich selbst stand unbeweglich am Fenster und horchte auf die schön verbundenen Töne.

Die Gestalt des fremden Mannes zeugte von dem äußersten Elende. Er war mit Lumpen bedeckt, und hatte ein großes Pflaster über dem einen Auge. Seine Sprache war so unverständlich, daß Ubaldo erst mit vielem Hin- und Herreden, die Bitte um ein Nachtlager, begreifen konnte. Nach mancherley Schwierigkeiten ward es ihm endlich zugestanden. Die Musik hatte aller Herzen für ihn gewonnen.

[189] (Am folgenden Tage.)

Der Fremde ist noch hier. Ubaldo, bis zur Narrheit in sein Instrument verliebt, hat sich bey ihm in die Lehre gegeben. Es ist wahr, der sonderbare Mensch spielt zum Entzücken. Mir ist es unbegreiflich, wie er bey so außerordentlicher Geschicklichkeit, in dieses Elend gerathen konnte.


Ubaldo hat mir verschiedenes von seinen überstandenen Abentheuern mitgetheilt. Aber das alles ist so romanhaft und zum Theil so unzusammenhängend, daß man, wie Ubaldo, schon ganz und gar eingenommen seyn muß, um es zu glauben.

[190] Sollte er von meinem Manne abgeschickt sollte Ubaldo verdächtig geworden seyn? – Gott gebe es! dann würde ich von diesem, mir jetzt so widrigen Menschen befreyt werden.

Wenn er meine Briefe unterschlüge! – Wenn dieß die Ursache Deines, meines Mannes Stillschweigens wäre. – O warum bin ich denn so ganz ohne Rath und ohne Schutz! Warum kommt mein Mann nicht? – Schon nach acht Tagen wollte er mich abholen.

Sollte er krank seyn? Sollte Ubaldo es verheelen? – O Gott! O Gott! in der Gewalt dieses Menschen! – Keiner von Euch weiß wo ich bin. Ich selbst kenne nicht einmal den eigentlichen Nahmen dieses Guthes. Welche [191] Angst überfällt mich! – Ach Niemand kann mir helfen! ich selbst muß mich retten.

Wenn ich dem Fremden diesen Brief übergäbe – Wenn ich ihn flehentlich bäte – Er hat ein menschliches Herz; das verräth sein Instrument.

Ach ich Unglückliche! einem Landstreicher mich anvertrauen! der vielleicht mit Ubaldo im genauesten Verständnisse, auf nichts als niedrige Ränke bedacht ist.

Es wird dunkel um mich her! Wer rettet mich aus dieser Finsterniß! –

[192]
53. Brief. Julie an Wilhelmine
Drey und funfzigster Brief
Julie an Wilhelmine

Da liegt der Brief! Ich habe ihn gesiegelt; aber noch weiß ich nicht, wie er in Deine Hände kommen soll. –

Wenn ich nun gerade an meinen Mann schriebe – sollte sich der tückische Mensch wirklich unterstehn, den Brief zurückzubehalten? – Aber, wenn er, seiner Schuld sich bewußt, ihn erbricht – sieht, daß ich ihn anklage, ihn anklagen muß – O Gott! was soll ich thun? –

[193] Der unglückliche Fremde scheint mich sprechen zu wollen. Sollte es eine Warnung, ein Wink zu meiner Rettung seyn? – Nein, er ist kein böser Mensch! das sagt mir mein Herz. Er will mir wohl, darauf könnte ich sterben. Ich kann mich ihm anvertrauen. Ja gewiß! ich kann es thun.


Voll Unruhe trat ich an mein Klavier. Alceste lag auf dem Pulte. Ohne an die Musik zu denken, spielte ich einige Blätter nach einander weg, und kam endlich an die herrliche Stelle: »noch lebt Admet in deinem Herzen.« Wahrscheinlich würde ich sie eben so sinnlos abgespielt haben; wäre der Fremde [194] nicht in dem Augenblicke mit seiner Klarinette eingefallen.

Wie spielte er! Mit einem Thränenstrome eilte ich zum Fenster. Er muß gesehen haben, daß ich weinte. Ich war außer mir. Nein, es ist unmöglich diesem Instrumente mehr Seele einzuhauchen. Gewiß er hat unglücklich geliebt. O da ist mehr als Kunst! man fühlt es an seinem eignen Herzen.

Ich bin entschlossen! ich entdecke mich ihm. Nein! ein Mann der liebt, der unglücklich liebt, ist wenigstens in dieser Zeit kein böser Mensch.

[195]
54. Brief. Julie an Wilhelmine
Vier und funfzigster Brief
Julie an Wilhelmine

O was habe ich gethan, daß ich so unglücklich bin! Ich glaubte mich zu retten; und bin trostloser als jemals. Wäre ich bey Dir meine Wilhelmine! wäre ich bey Dir! Ich fürchte meinen Mann. Wer rettet mich! Er ist es! er selbst! Antonelli! Ach das habe ich nicht gewußt! Daran habe ich nicht gedacht. Es hat mich tödtlich erschüttert.

Sehr, sehr hat er mich geliebt! und ich? – o ich entfliehe! Entdeckt ihn mein Mann; er ist verlohren! – Ich kann Dir nicht erzählen. [196] Dieser Brief – er kommt doch nicht in Deine Hände. Ich müßte ihn selbst bringen. Ich schreibe nur um mich zu fassen, um mir selbst deutlich zu machen, was ich denke.

Lange war ich so tödtlich betäubt, daß mir alles nur wie ein dunkler Traum erschien. Wie er da vor mich hinstürzte, die Kleider von sich riß, schwur: es solle ihn kein Wesen mehr von mir trennen, er kenne die Furcht nicht mehr, Allem sey er bereit zu widerstehen. O Gott! in seinen Armen war ich! an sein Herz hat er mich gedrückt! mein Mund brennt noch von seinen Küssen! – Ich bin verlohren! ich bin verlohren!

[197]
55. Brief. Olivier an Reinhold
Fünf und funfzigster Brief
Olivier an Reinhold

Nein, Mutter-Thränen, die trage ich nicht! Er ist dahin! Ja! Antonelli! Ich habe ihn getödtet. Warum wollte er tückisch mein Eigenthum rauben? Ein Herz, für das ich tausend Leben gegeben haben würde. O dieses Herz! nun ist es auch dahin! – Ich kann das Leben nicht tragen.

Komm schnell. Schreibe Wilhelminen. [198] Ich gehe mit dem Könige. Ich will Dich noch sehen. Komm ohne Verzug. Ich reise.


* * *


Er gieng in die Schlacht, und eine Kugel brachte sein unglückliches Herz zur Ruhe. Julie ward von Wilhelminen und Reinholden schnell aus dem Trauerhause weggeführt. Nach einigen Jahren sah sie ihre Freundin mit dem edlen jungen Landmann verbunden, der schon lange Wilhelminens Herz besessen hatte. Sie selbst konnte sich zu keiner zweyten Verbindung entschließen. Jedesmal, wenn ihre Freunde davon sprachen, suchte Reinhold die Einsamkeit; sie aber blickte lächelnd gen Himmel.

Fußnoten

1 Antonelli

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Fischer, Caroline Auguste. Romane. Die Honigmonathe. Die Honigmonathe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-A7D0-3