ZEICHNUNGEN IN GRAU

[89]

FRIEDE

Der abend umflattert mich mit schweigsamem flügel
Der tag ist hin mit dem heftigen wirbel
Dem wilden und unersättlichen treiben.
In schneller und planloser jagd
Stürzten sich meine gedanken in fülle
Die einen die andren verschlingend.
Ich seufzte: wann wird der augenblick kommen
Dass ich über dieses und jenes noch sinne?
Der abend ist eingetreten – stille.
Ich bin für mich und ungestört.
[90]
Nun bieten sich mir reichlich die stunden
Doch steh ich da magnetisch gebannt
Die augen heftend nach der lampe
Die draussen unbestimmt zurückstrahlt
Im dunklen spiegel der nacht.
Ich will nicht mehr denken .. ich kann nicht mehr:
Ich möchte nur meine kniee beugen
Gar nichts denken – beinah beten.

[91] GELBE ROSE

Im warmen von gerüchen zitternden luftkreis
Im silbernen licht eines falschen tages
Hauchte sie von gelbem glanz umgossen
Ganz gehüllt in gelbe seide.
Nur lässt sie bestimmte formen ahnen
Wenn sich ihr mund zu sterbendem lächeln verzieht
Und ihre schulter ihr busen zu leichtem zucken.
Göttin geheimnisvoll vom Brahmaputra vom Ganges!
Du schienest aus wachs geschaffen und seelenlos
Ohne dein dichtbeschattetes auge
Wenn es der ruhe müde sich plötzlich hob.

[92] DAS BILD

Ich wache auf erschreckt in der nacht ..
Ich sehe wolken schwarz und riesengross
Beständig sich zerfetzen und vereinen
Und während eine schar von larven
Unsichtbar doch wol zu fühlen
Meine erregte lippe zittern lässt
Erscheint mir das bild:
Heute streift ich es unter vielen ..
Im augenblick hat es so tief mich bewegt
Von sehnen durchbohrt mich verlassen.
Hernach vergass ichs .. die träume selbst
Vermochten nicht es aufzuerwecken.
Rächend sich und sein recht verlangend
Kam es in den ängsten der nacht
Mächtig sich noch einmal aufzudrängen.

[93] PRIESTER

Mit der nebel verschwinden eilen sie
Mit dem tag der den deckenden schleier hebt.
Beide zeigen untrügliche spuren
Von freuden über maass genossen –
Zeigen weisen die schnell verraten
Wahnsinnigen kuss und umarmung.
Priester die selber zum opfer sich bringen
Ohne klugen rückhalt sich liefern
Den orgien die zerstören und töten!
[94]
Ihre stirnen spiegel der begierden!
Mit jener unleugbaren hässlichkeit
Die des lasters majestät ist.
Doch sind sie gerechtfertigt beide
Denn sie haben ja beide noch
Jugendlich haltung und gang ..
Unter Ihren langen augenbrauen
Brennen noch ungestillte wünsche
Um Seine lippen zuckt noch
Das lächeln der seligen.

[95] GIFT DER NACHT

Ich kehre wieder. Die nahe glocke
Mit ihren am längsten hallenden schlägen
Entlässt den alten tag.
Müde sink ich zurück doch ohne schlaf –
Träumend allein.
Und ich sehe mich wieder als knaben
Der die strafe nicht kennt
Für wilde gelüste
Der hässliche falten nicht kennt
Und augen von finsterem glanz ..
Mit dem unberührten samt
Kindlicher wangen noch!
[96]
Knabe über das alter hinaus
Seltsam bewahrt
In frische und jugend
Durch der kerzen dampf
Und des weihrauchs duft!
Und so wollt ich finden
Die weise Lasterreiche
Mit zerstörenden künsten:
Wollte mit offenen armen
In mein unheil rennen
Wie ein rasender lieben
Mich ganz verderben
Und bald des todes sein.

[97] EIN SONNENAUFGANG

Vor kurzem entzündete sich
Auf dunklem ofen des himmels
Nach kalter winternacht
Die neue sonne.
Nun zeigt sie sich im ersten leuchten
Sie schimmert still.
Mit den wolken die sie umflattern
Die ihren glanz widerspiegeln
Erhellet sie spärlich
Die morgendämmerung.
Schnell verstärkt sie sich
Und die farbigen vorhänge
[98]
Die ihr zu nah kommen
Erfasst und sengt sie.
Darauf erfüllt sich
Die ganze luft mit grauem
Undurchdringlichem rauch.
Es wächst und wächst wärme und licht
Bis endlich alles – wolken und nebel
In unendlicher feuersbrunst
Lohend verschlungen werden
Und ohne fremde nahrung
Durch eigene kraft allein
Die flammende scheibe strahlt.

[99] WECHSEL

Ich sah sie zum erstenmal .. sie gefiel mir nicht:
Es ist an ihr nichts schönes
Als ihre schwarzen schwarzen haare.
Mein mund berührte sie flüchtig eines tags
Und sehr gefielen mir ihre haare
Und auch ihre hand ..
Es ist an ihr nichts schönes
Als ihre haare – ja – und ihre feine hand.
Ich drückte sie etwas wärmer eines tags
Und sehr gefiel mir ihre hand
Und auch ihr mund.
Heute ist nichts mehr an ihr
Was mir nicht sehr gefiele
Was ich nicht glühend anbetete.

[100] EINER SKLAVIN

Da nun das göttliche ziel verschwindet
Und des augenblicks flamme
Ein bild von lehm verklärt:
Da lebhafte schatten von schönem
Lang gesammelt und bewahrt
Das einst verworfene opfer fordern:
Werd ich ihr sagen: schweig!
Damit nicht süsser ruf und widerruf
Der rede sich entweihe!
Dass nicht törichte niedre worte
Aus künstlichem himmel mich reissen
Zur abwesenheit des heiligen
Den ekel fügen .. ich werde sagen:
Öffne nie den mund
Ausser für küsse und seufzer ..
Schweig so wie ich schweigen werde.

[101] IN DER GALERIE

In der welt der farben beschloss ich
Vom staub des alltags mich zu befreien.
Ich trete ein. Du gehst die beim ersten anblick
Durch deine stirn mir hohes wissen offenbartest
Und tiefes urteil durch deine augen.
Mit welcher lust hätt ich an deiner seite
Die weiten säle durchwandern mögen
Unwissend lachen stumpfe blicke
Und leeres reden der menge verachtend
Und aus den vielen formen bauen mögen
[102]
Eine einzige mauer von auserlesnem ..
Ach warum gehst du? du kennst mich nicht.
Ich streife umher unfähig zu geniessen ..
In dem weiten hinguss
Von fleisch und blau und grün
Find ich dein antlitz nicht.

[103] [105]LEGENDEN

[105][107]

I ERKENNTNIS

Es quellen die bäume in sommerahnung.
Im wogengehöhlten bette rinnen
Nur schmale güsse auf schlängelndem pfade.
Hier stürzen im lauf sie von felsen sich nieder
Dort einen sie sich in strudelndem bad.
Am ufer jugendliche glieder sich dehnen
Jungfräuliche blumen danach schmachten
Von ihnen geknickt und getötet zu werden.
Das haupt des efeben berührt den boden
Nur leise stüzt es sein ruhender arm.
Sein auge folgt müde dem kieselstein
[107]
Den reiner beständiger fluten spiel
In leuchtenden alabaster schleift.
Das luftmeer über der dämmerzone
Wo tod und keimbegierde ringen
Zu ruh und trägem schlummer stimmt.
Mann des glückes! bereits verzweifelnd
Fandest du in dem weltengetöse
Die Erträumte die Göttliche.
Niederem kreis entrissest du sie.
Willig in diese einsamkeit
Die von wonnen übergossen
Und durch fehldinge heilig ist:
Zog sie mit dir vereinigt aus
Ohne orakel und fluchesgeleit.
In deiner hütte wo dich kein wesen
Lästigen ansinnen überliefert
Kein profanes auge dich reizt
Hast du sie ganz – von dir nur geschaut –
Dir nur blüht sie und lächelt sie zu.
[108]
O herber schmerz! grausame enttäuschung!
Im paradies das zu pflanzen ich glaubte
Erwächst mir unkraut und dornen-gestrüpp.
Warum von allem anbeginn schon
Wo lusterwartung das sinnen ersticken
Und grübelnde blicke blenden sollte
Ist mir das widrige denkbild erschienen
Das niemals mir zu verwischen gelang?
Wie kann ich frieden und lust mich ergeben
Wenn unwissend noch zu erfahren ich dürste
Ob sie als reine priesterin kam?
Denn unerbittlich mit göttinneneifer
Verwerf ich sie wenn vor anderem altar
Sie opfernd je auf den knieen schon lag.
Leise kommt sie den weg erratend
Gierig nach seiner nähe zauber
Ungesehen von ihm sich vermeinend
Der sie gar wol sah und nicht benötet
Gleichgültig gebaren zu heucheln.
Unschuldig kniet sie zur seite ihm nieder
Streift seine haare in flüchtigem kuss.
[109]
Er emporfahrend: rief ich dich weib?
Nahe dich nur wenn ich deiner bedarf!..
Sie erhebt sich – ohne erwidrung –
Denn wozu? wenn der lange blick
Von verzweiflung vorwurf und scham
Ihn nicht rührt. Sie geht hinweg
Schmerzhafte mutter aus freudennot.
Indessen ich in qualen mich winde
Will leichter mühe sie mich erobern ..
Sie stellt sich ob meines zornes betrübt
Vielleicht auch ist sies weil ihre betörung
An mir nicht so leicht wie an andern gelingt.
Ja grade die zärtlich schmeichelnden weisen
Die ihre schwüre bekräftigen sollen
Mit ihrer feinheit und kunst mir verraten:
Sie wurde durch die probe erfahren ..
Nur gaukelspiel ist ihre kindlichkeit.
Und immer noch säum ich .. ein augenblick
[110]
Vermöchte mich zu versichern .. weshalb nicht
Erfass ich den schleier mit forschendem finger?
Ich fühle dass ach! noch ein leztes geflacker
Von sterbender hoffnung mir bleibt.
Ich fürchte den grossen tag zu beschwören
Der meinen urteilspruch mir bringt.
Ich könnte wol sagen: Unheilvolle
Jezt bin ich gewiss dass du mich belogst ..
Verachtung dir und verstossung!
Doch könnte ich sagen: ich quälte dich
Beargwöhnte dich die du wahr gewesen?
Ich brüter von schimpflichen gedanken
Bezweifelte trotz deiner küsse und tränen
Dich aller reine und heiligkeit quell?
Ein tag beginnt sein licht zu verteilen.
Sie treten beide über die schwelle
Vorn ersten vollen scheine geblendet
Verändert doch zwiespältiger art:
Das weib in himmlischem glanz erstrahlt
Er niedergedrückt und verstört.
Jezt will er gehen .. ein weibliches wissen
[111]
Befiehlt ihr ihn nicht zurückzuhalten
(Nach ungewohntem ist einsamkeit not
Noch flösst das so neue ihm schrecken ein)
Sie lässt ihn .. schlecht ihren jubel verhehlend
Und schlecht – unselige! deutung findend
Für seine miene nach solchem genusse.
Sie schaut ihm lange ahnungslos nach
Sie süsser und herrlicher jezt.
Damit zu voller schönheit und frische
Sie wunderbar sich entfalten konnte
Bedurfte sie nur der küsse regen
Und seliger stunden weckenden tau.
Dem wald entgegen durcheilt er die fluren
Das herz voll gift und reuezorn:
Nun Sinnloser hast du gewissheit!
Verderbliches wissen! lästrische probe!
Ich war verbrecher vom augenblick an
Da ich zum verein an die seite ihr trat
Mit einer schandtat kauft ich die lösung.
Ach endlich glaubte sie mich besiegt
Geheilt von dem übel das sie am meisten
[112]
Zerquälen musste .. so wonne-erfüllt
Bedünkten sie die umarmungen echt
Die tierische zuckungen übersüssten
Die liebeseingabe sie geglaubt.
Da ist der sturzbach .. dunkle wellen
Von des gebirges wettern genährt
Wälzen sich wo vor kurzem noch friedlich
Silberne linien und lachen glissen.
Wie er hässlich mein bild mir zurückwirft
Fluch mir verheissend wie alle es tun
Blumen und fluren und bergesgipfel.
Deine klaren wasser bezeugten
Meine zager- und dulderstunden.
Düstere wogen die heulen und schäumen
Machen mir zeichen: sie ziehn mich hinab
Dass ich dort meine verdammnis beginne.

[113] [115]II FRÜHLINGSWENDE

Vor keinem windeszug bebt der hain.
In der frühe fiel leiser regen ..
Nun rinnt der blätter feuchte zu tropfen
Und tränkt die erde in kleinen pausen.
Die sonne versucht mit feinen strahlen
Der eichen dichtes dach zu durchdringen
Ob sie verdächtige sümpfe spähe
Bekränzte rinder die mählich verenden
Seitenpfade gleitend von blut
Und ob der göttlichen fordrung genüge
Der flammenden herde steigender rauch.
[115]
Ein greis in priesterlichem ornate
Erscheint im hain .. der Alleingeborene
In stolzer gewande beschwerlicher würde
Befolgt ihn am arme knabenhaft folgsam.
– Es ist sein fest .. der tag ist gekommen
Wo beide bilder er schauen soll.
Schon seit dem erwachen verkündeten opfer
Und alter bräuche glücklicher ausspruch
Des hohen lenkers versöhnung und gunst.
Im schweigen das grosser handlung vorangeht
Gemessen sie zum heiligtum schreiten
Wo uralte wipfel zur wölbung sich schliessen:
Die stämme mit rätselvollen emblemen.
Siehst du die Hehre in männerrüstung?
Die wilde kraft entzündenden brauen?
Der freigeborene guten samens
Empfindet sie und kennt sie für immer.
Zum erstenmal schwing die gewaltige axt
Die schwacher jugend wesen vernichtet
Und fortan ziere dies schwert deine gurt!
Der sohn dankt mit gehorsamer zunge
Mit kindes unbewusster list
Froh weil ahnend dass froh er sein soll.
Er erntet umarmung und warmen segen
[116]
Und lang noch hebt sich stumme sammlung
Der beiden beter empor zu der säule.
Sie wandeln weiter zum andern tempel.
Am eingang stehen holunderbüsche
Die bei der berührung wolken wirbeln
Und leise lispeln und sündenah:
Du bist ein mann nun und kühnen auges
Magst du entschleierte reize beschauen ..
Sie lohnen mit weichen küssen den starken.
Verachte wen stets ihre bande erschlaffen!
Ein tor wer ganz ihren spenden entsagt!
Des jünglings blicke mit solcher verwirrung
Sich vor dem bilde zu boden senken
Dass gar die lippe dem lachen feindlich
Ein flüchtiges zucken nicht überwand:
Wenn heute nach dem freudengelage
Der reizenden sklavin atem dich wärmt
Dann hast du das scheue pochen vergessen
Dann wird auch diese göttin dir klar.
[117]
Pflichtentbunden entflieht der jüngling
Langer riten heiligem zwange
Wieder herr seiner wünsche und tritte
Freuden zu frönen die lebhaft am morgen
Vor ihm gegaukelt und deren erwartung
Während der weihen geduld ihm verlieh:
Drüben am grünumgitterten weiher
Wo er so oft in einsamer freiheit
Selig gestalten und taten gesponnen
Und auf behaglichem fittich entsandte:
Wo der minze blätter ihn locken
Strenger duft verborgener bollen
Und des schilfes formsames feld.
Als er die wiese kürzend durchteilet
Gewahrt er nicht Sie noch in sicherer ferne
Die lästig oft seine bahnen kreuzte?
Und die nach der kindheit albernem spiele
Er mied und nie mehr verstehen konnte?
Die oft mit worten und mienen ihn störte
Ihm ohne bedeutung müssig und quälend
Die hinter mütterlichem lächeln
[118]
Wenn überraschendes auge nahte
Den glühenden willen weise verbarg.
Wonnejauchzend empfing sie die kunde
Dass als Erlesener ihr nun erblühe
Was ihre mühe segenlos suchte.
Kalter monde mässigem laufe
Folgte sie brennend bis endlich erwachte
Feiertag! jagender pulse schaffung!
Früh hat sie noch des schmuckes entbehrend
Lauernd in den geländen geharrt
Aus seinen blicken und mienen zu lesen
Einmal vor der siegreichen nacht.
Die dunkel vom vater verheissene kennt er.
Er faltet in schüchternem missmut die stirn.
Ich werde sie heut ja gehorsam noch dulden.
Was will sie den glücklichen mittag mir rauben
Den wol ich verdient nach dem heiligen eifer
Mit dem ich der götter wünsche erfüllt
[119]
Durch lange stunden vor ihren altären?
Ihr weichend seine schritte er wendet
Und sucht im walde den längeren pfad.
Er springt die schattige böschung hinunter
Zum lieben orte wo er nur herr ist.
Er rastet auf niedergeschlagenen ästen
Die hohlen rohre kunstvoll er schneidet
Im ruhigen fluss der gedanken froh.
Der kommende abend nur trübt ihm den frieden
Vor männer händedrücken ihm graut
Und vielen ihm unnütz entzogenen silben.
Ihn kümmert wenig der festesjubel
Und nächtig bei bannendem gelage
Der becher und redenden trinker lärm
Der würdigen sänge heisere töne
Und drauf die hochgepriesenen freuden
Die kaum er ahnt die lieber er miede ..
Im wasser inmitten der blassgrünen algen
Und schwanker zum ufer getriebener blumen
Erblickt er nur immer sein eigenes bild.

[120] [122]III DER SCHÜLER

Dass ich nun bald den höheren grad erringe
Versprechen mir die väter die mich lieben
Ja ehren und zu manchem rate ziehn.
Mir öffnen sich gemach und hof und garten
Sowie der dichten schriften nachtgewölbe
Die sich den Einfach-Frommen nie erschliessen.
Fast bin ich herr wenn auch im zöglingskleid ..
Und stolzen pochens hört ich längst das raunen
Der beiden Ältesten: dass ich dereinst
Die zierde sei der ganzen bruderschaft.
[122]
In düstren hallen flossen meine tage
Bei frommer übung .. und in schwerem sinnen
Auf manches dunklen Weisen blatt gebeugt
Entschwanden mir die nächte .. unterbrochen
Nur hie und da vom lauten festes-chor.
Mir klar erschienen alle dinge droben
Und hier von einst und jezt mit jener klarheit
Wie sie die lehre bringt .. mir ward zum lohn
Fern von der menschen sündigem eitlem streben
Die friedlichkeit der frommen wo allein
Der zweifel blieb: wie solche helle leuchte
Nicht alle sterblichen durchdringen müsse.
Was bringt nun diese wandlung? doch nicht einzig
Mein schweifen in den unbetretenen erkern
Wo ich bei manchem seltsamen gerät
Den spiegel glänzenden metalls entdeckt
Vor dem ich meines eigenen leibs geheimnis
Und anderer zuerst bedenken lernte.
Auch wäre frevel länger noch zu glauben
Dass jenes blonde kind der jüngste schüler
Das oft mich mit den grossen augen sucht
[123]
So gänzlich meinen sinn erschüttern könne.
Dann kam die reise .. welch ein wink der fügung!
Nur selten merkte ich in meiner zelle
Den wandel der gestirne und der jahre
Und ob ich gleich durch unsre gärten ging
Ich gab nicht acht auf blühen und auf welken ..
Ein tiefer freund des denkens fühlt das kaum.
Doch dort in andrer luft in andrem land
Entdeckt ich als ein andres fluss und flur.
Ich sah die hellen und die bleichen himmel
Die wälder gaukelten mir bilder vor
Und aus dem duft der morgendlichen wiesen
Aus ferne winkenden gekrönten mauern
Und aus der menschen schritten und gebaren
Und ihrer sänge rätselvollem sehnen
Erhoben sich mir unbekannte welten.
Und als der neue mond die rückkehr heischte
Befiel mich eine wilde angst: ich wäre
[124]
Gegangen nur wie mit verbundnen augen ..
Es gäbe glück von dem kein wissen redet
Und enge sei die feste welt der lehrer.
Ich schlürfte trunken jeden laut von aussen
Ich fühlte innres rasen .. meine glieder
Als drängten sie zu neuen diensten bebten
Und schauerten .. es drang in mich ein hauch
Und wuchs zu solchem brausen so gewaltig
Und schmerzlich dass ich selbst mich nicht mehr kannte.
Ich kehrte heim und hoffte zu genesen
In dem gewohnten leben .. rief mir freuden
Erhebungen und pflichten alle vor.
Auch dachte ich mit fasten und gebeten
Zu bannen was vielleicht versuchung war ..
Mit doppelter ergebung alle freuend
Von denen ich mich täglich mehr entfernte.
Mein widerstand bleibt schwach und ohne hilfe
Nichts mehr ist hier mir wert – auch nicht dies kleid.
Ich folge stumpf den täglichen gebräuchen
Und harre nur der stunde wo ich einsam
Befreit von allen blicken durch den abend
[125]
Der blauen ferne meine seufzer sende.
Morgen im frührot lass ich diese stätte.
Kein wort wird mich entschulden .. von den vätern
Ist keiner mir gewiss der es begriffe.
Sie hatten meinen dank solang ich weilte.
Ich weiss nicht ganz was mich auf einmal so
Von ihnen und den früheren freunden trennt
Noch welchem nächsten ziel ich mich ergebe.
Ich weiss nur dass ich einen ort des friedens
Verlasse und vielleicht jezt vielen leiden
Entgegengehe .. Doch es treibt mich auf
Der alten toten weisheit zu entraten
Bis ich die lebende erkannt: der leiber
Der blumen und der wolken und der wellen.
[126]

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TextGrid Repository (2012). George, Stefan. Zeichnungen in Grau und Legenden. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-D08D-3