Friedrich Halm
Der Sohn der Wildnis
Dramatisches Gedicht in fünf Akten

[Motto]

Les hommes sont méchants, cependant l'homme est naturellement bon! – – Qu'on admire tant qu'on voudra la société humaine, il n'en sera pas moins vrai, qu'elle porte nécessairement les hommes à s'entrehaïr à proportion, que leurs intérêts se croisent.

J. J. Rousseau.

Personen

[74] Personen.

    • Der Timarch von Massalia.

    • Polydor, ein Kaufmann.
    • Myron, ein Waffenschmied
    • Adrast
    • Amyntas
    • Elpenor, Bürger von Massalia.

    • Lykon, ein Fischer.

    • Ingomar, Anführer einer Horde Tectosagen.

    • Alastor
    • Trinobant
    • Ambivar
    • Novio
    • Samo, Tectosagen.

    • Actäa, Myrons Hausfrau.

    • Parthenia, Myrons und Actäas Tochter.

    • Theano, eine Nachbarin Myrons.

    • Ein Herold, Ratsherren Massalias, Griechen und Griechinnen.

1. Akt

Erster Akt.

Massalia; Marktplatz, im Vordergrunde rechts Myrons Haus.


Actäa auf der Schwelle des Hauses sitzend, eine Stufe niedriger zu ihren Füßen. Parthenia, am Rocken spinnend, neben ihr ein Körbchen mit Flachs.

ACTÄA.
Bedenk' nur, Kind, der Polydor ist reich,
Ein Mann von grünen Jahren, Witwer zwar,
Doch reich, ein vornehm angesehner Mann,
Und wirbt um deine Hand –
PARTHENIA
aufstehend.
Die Sonne sinkt;
Für heute hätt' ich mir genug gesponnen,
Beim Nachbar gibt's Oliven abzunehmen,
Da will ich denn hinüber –
ACTÄA.
Nein, du bleibst,
Du sollst mich hören, Wildfang! Lang genug
Ergötzen dich Gekicher, Narrenpossen
Und tolles Kinderspiel! Zeit ist es endlich,
Dich abzutun des unstet wilden Wesens
Und ernste Reden ernsthaft zu vernehmen.
PARTHENIA
die sich wieder gesetzt hat.
Ich hör' ja, Mutter!
ACTÄA.
Ja, so sagst du immer,
Und während ich mich heiser rede, schwärmt
Durch Feld und Flur dein flüchtiger Gedanke,
Wie sonst du selbst, den Schmetterlingen nach;
Doch jetzt ist's Zeit, mit deines Lenzes Blüten
Zu wuchern für den Herbst. Nur Jugend freit,
Und wie sie kommt, entflieht sie, eh' wir's denken;
Das Los der Unvermählten aber ist
Ein einsam Alter und der Spott der Toren:
Und dieses wird dein Los sein, denn dein Sinn
Versagt Gehör verständ'gem Rat und beut
Den Göttern Trotz! – So hast den Medon erst
Du ausgeschlagen –
[75]
PARTHENIA.
Ei, der war eisgrau
Und trippelte und keifte –
ACTÄA.
Den Evander –
PARTHENIA.
Der duftete nach Kräuteröl und Salben,
Und seine Nähe war mir wie Arznei!
ACTÄA
entrüstet aufspringend, während Parthenia fortfährt zu spinnen.
Recht! Fahr nur fort so! Tritt dein Glück mit Füßen,
Blieb Reue doch noch keiner Torheit aus! –
Du glaubst vielleicht, es blüh' am Lebensbaume
Dir ganz ein eignes wunderbares Los;
Du hältst dich wohl für schön, für hochverständig,
Wohl gar für reich –
PARTHENIA
aufspringend.
Jung bin ich, froh und heiter,

Die Mutter umschlingend.

Und ihr, ihr liebt mich ja, was brauch' ich weiter?
ACTÄA.
Dich lieben! – Ja, so wenig du's verdienst,
Bei allen Göttern, ja, wir lieben dich!
Doch nein, was schließ' ich dich in meine Arme!
Ich bin dir böse, bitterböse! – Fort!
Wir lieben dich, du aber liebst nicht uns;
Du willst dich uns zum Trotz nur nicht vermählen;
Es wäre denn dir etwa beigefallen,
Zu warten auf den Mann im Mond –
PARTHENIA
nach einer Pause.
Worauf
Ich warte? Mütterchen, ich will dir's sagen!
Ich war ein Kind noch, doch ich merkt' es wohl;
Von Hero und Leander sprachst du mir,
Von ihrer Liebe; als ich aber fragte,
Was Liebe sei, da fuhrst du lächelnd fort
Und sagtest mir, wie Liebe kommt und wächst,
Wie plötzlich hell es wird im dunklen Herzen
Und jeder Pulsschlag spricht: Der ist's! Der trägt
In seiner Brust ein Stück von deiner Seele,
Dem möcht' ich leben, mit dem untergehen!
So sagtest du; ich aber merkt' es wohl,
Und als nun Medon und Evander kamen,
Um mich zu werben, legte ich verstohlen
Die Hand aufs Herz und lauschte seinem Schlag
Und horcht' und horchte; doch das Herz schwieg still.
Und sieh, so wart' ich, bis es sprechen will!
ACTÄA.
Was sagst du da, ich hätte –

Für sich.

Gute Götter!
[76] So läuft uns allen mit dem jungen Herzen
Die alte Zunge fort!

Laut.

Du töricht Kind!
Das also ist es, darauf wartest du?
Dein Herz soll sprechen? – Schlag dir's aus dem Sinn!
Wenn je so tolles Zeug ich dir erzählt,
So war's ein Schwank, ein eitel Kindermärchen
Und birgt in süßem Namen nicht'gen Wahn.
Der Wirklichkeit lenk' deine Blicke zu,
Und fass' Gelegenheit beim kargen Haare;
Kein Zweiter kömmt dir, wie der Polydor,
So reich, so ehrenhaft –
PARTHENIA.
So ehrenhaft,
Und drückt dem Vater seine Waren ab
Und spart und knickert –
ACTÄA.
Das verstehst du nicht;
Er ist ein guter Wirt, und bist du erst
Sein Weib, mag vieles anders werden. Mache
Nur einmal Ernst! Sag': Ja! Tu mir's zuliebe,
Sag': Ja! mein Kind!
PARTHENIA.
Sieh, Mütterchen, ich will
Nicht mehr in Wald und Wiesen schwärmen, will
Still sitzen wie die andern Mädchen, will
Dich nicht mehr kränken, will am Auge dir
Absehen deinen Willen, aber den,
Den Polydor, den kann, den will ich nicht,
Den werd' ich niemals nehmen!
ACTÄA.
Nicht?
PARTHENIA.
Du zürnst?
Doch ist es so, so muß ich dir's doch sagen.
ACTÄA.
Und ich, ich sage dir, wir, deine Eltern,
Wir altern und wir sehnen uns nach Ruhe;
Das Haus und die paar Äcker sind verschuldet;
Dein Vater ist ein armer Waffenschmied,
Und wenn bei Tag die Felder er bestellt,
So muß bei Nacht er hämmern in der Schmiede;
Und ruht der Feldbau, zieht er schwer beladen
Wie jetzt mit seinen Waffen fort, zum Kauf
Sie auf den Nachbardörfern auszubieten. –
PARTHENIA.
Der arme Vater!
ACTÄA.
Arm! Ich bin noch ärmer!
Ich bleib' daheim, doch meine Sorge geht
[77] Und trägt mit ihm die Last der Waren
Und keucht mit ihm den Berg hinan; ich fühle
Die Stürme, die sein graues Haar durchwühlen,
Den Regen mit, der niederströmt auf ihn,
Und denk' ich erst, in dunkler Bergschlucht stürmen
Die wilden Allobrogen oder gar
Die schlimmern Tectosagen auf ihn ein,
Berauben ihn, erschlagen ihn vielleicht!
So muß ich weinen, weinen – Aber du,
Du, die er liebt wie seinen Augenstern,
Für die er Blut und Leib und Leben wagt,
Du könntest ihn entheben aller Mühen
Und meine Tränen trocknen, uns beglücken
Und selber glücklich sein! Du aber kannst und willst
Und tust es nicht, du undankbares Kind!
Das bist du! Ja! So muß ich dir's doch sagen!

Sie geht ins Haus ab.
PARTHENIA
nach einer Pause.
Undankbar! Nein, die Götter wissen's! Nein,
Das bin ich nicht, undankbar nicht! Für mich
Beut rauhem Sturm das greise Haupt er dar;
Für mich, aufächzend unter schwerer Bürde,
Klimmt keuchend er bergan! Er soll nicht – Nein,
Ich will die Mutter Lügen strafen – will –
Was will ich denn? – Dem Krämer mich vermählen! –
Ihr ew'gen Götter! Nein, ich kann's nicht denken –
Das hieße sterben, hieß' begraben sein.
Und doch, was gräm' ich mich? – Die Tage fliehen,
Und lag so hell die Zukunft erst vor mir,
Rief ahnungsvoll ein unbekanntes Glück
Mein Herz herbei, die Mutter sagte ja,
Es sei nur Wahn, ein Märchen nur sei Liebe,
Und so am End' ist alles Trug auf Erden,
Ein Märchen alles, was das Leben schmückt,
Und wirklich nur das Einerlei der Tage;
Und dann, beim Himmel, dann verlier' ich nichts,
Und für ein Schlimmers spar' ich mir die Klage,
Obwohl's vielleicht das Allerschlimmste eben,
Den Märchentraum der Jugend aufzugeben!
Doch wie dem sei, Bedenken, fahr hin!
Der Vater soll nicht mehr für mich sich mühen,
Soll nicht – Wer kommt da – Polydor –

Sie macht eine Bewegung, sich zu entfernen.

[78] Doch nein:
Ich bleibe – Soll mein Glück verhandelt sein,
So steh' der Preis erst fest, um den ich's gebe!
Da kommt er her und bläht sich auf und wirft
Das Haupt empor und legt die Stirn in Falten,
Sein Blick, sein Schritt ist Hochmut ganz und gar;
Und ich sein Weib – mir macht's das Herz erkalten.

Sie tritt zu ihrem Rocken, an dem sie sich zu schaffen macht, während Polydor im Hintergrund der Bühne links auftritt.
POLYDOR
ohne Parthenia zu bemerken.
Es geht nicht, dieser Sklave zehrt mich arm,
Und bräch' ich auch dafür den Kindern ab,
Ich kann nicht alle sie zugleich bewachen;
Es geht nicht ohne Hausfrau –
PARTHENIA
für sich.
Tut er nicht,
Als läg' das Heil der Welt auf seinen Schultern,
Und rechnet, wett' ich, ein'gen Hellern nach –
POLYDOR.
Die Kallinike zwar ersetzt mir keine;
Das war ein treu Gemüt, die konnte sparen;
Des Waffenschmiedes Tochter aber macht
Wohl Not zur guten Wirtin – wähl' ich die,
So wähl' ich recht! Doch sieh, da ist sie selbst;
Als Wink der Götter acht' ich dies Begegnen. –
Ei guten Tag, mein Mädchen, guten Tag!
PARTHENIA.
Sag' guten Abend, denn die Sonne sinkt.
POLYDOR.
Laß immerhin mich guten Tag dir sagen,
Denn wie wär' Abend, wo dein Auge strahlt!
PARTHENIA
für sich.
Nun stellt er gar sich an, als wollt' er lächeln! –

Laut.

Ich bitt' dich, laß die schönen Worte weg,
Damit wir ernst ein ernstes Ding besprechen!
Du denkst daran, mit mir dich zu vermählen –
POLYDOR
für sich.
Das rennt ja mit der Tür ins Haus – Nun ja,
Die liebe Ungeduld kann's nicht erwarten? –

Laut.

Ganz recht, ich denke dran –
PARTHENIA.
So sagt die Mutter,
Und staun' ich gleich, daß deine Wahl mich trifft,
Daß Kalliniken du so schnell vergessen –
POLYDOR.
Vergessen – Nein! Ein Mann wie ich vergißt
Nicht, was er je verlor, nicht Geld noch Gut,
Noch Geldeswert, und das war Kallinike;
[79] Doch drängen mich gar viele wicht'ge Gründe
Zu neuer Wahl! Vor allem meine Kinder –
PARTHENIA.
Die armen Waisen –
POLYDOR.
Arm, das sind sie nicht!
Genäschig nimmersatte Rangen sind's,
Unbändig wilde Buben! – Soll ich nun
Um schweres Geld von Samos, von Milet
Mir einen Pädagogen kommen lassen?
Zähmt Sanftmut nicht am besten rohe Kraft?
Und du – du bist ja sanft –
PARTHENIA.
Sanft sagst du? –

Sich abwendend für sich.

Ja,
Sanft wie ein Lamm, das man zur Schlachtbank führt –
POLYDOR.
Zudem entfernt mich mein Geschäft so oft
Vom Hause, auf dem Markt bald gilt es, bald
Im Hafen sein, und soll indes ein Sklave
Mir Haus und Hof und Warenlager hüten
Und manchen wohlgefüllten Schrein? Das kann
Ein Weib nur, nur ein treues Weib! Und endlich –
Zwar bin ich rüstig noch und fühle mich
Ganz jung zuzeiten, doch schon melden sich
Vorboten an des Alters, hier und da
Ergraut ein Haar, und Gicht zuckt ab und zu
Durch meine Glieder, und wer pflegt mich dann,
Wer hält die warme Stube mir bereit
Und Kräutertrank und Krankensüppchen? Nur
Ein liebend Weib.
PARTHENIA
für sich.
Mir sinkt der Mut, ihr Götter!
POLYDOR.
Noch ist ein andrer Grund, der aber strahlt
Aus deinem Blick, der blüht auf deinen Wangen;
Er heißt, mein Rosenknöspchen –
PARTHENIA.
Nein, den Grund
Behalt für dich und laß nur eins mich hören.
Du weißt, mein Vater baut das Feld und müht
Sich ab am Amboß, trägt auf seinen Schultern
Die Last der Ware fernen Käufern zu
Und ist bei Jahren doch und braucht der Ruhe!
Sprich, wirst du das bedenken, wenn ich dein?
POLYDOR.
Ei, freilich werd' ich das! Wie sollt' ich nicht?
Gewiß, ich will es reiflich mir bedenken!
PARTHENIA.
Und tun, was willst du tun für meinen Vater?
POLYDOR.
Tun! Was ich tun will, fragst du? Ei, mich rühmen
[80] Ist meine Sache nicht, doch will ich tun,
Was du nur wünschen kannst! Er wird vorerst
Mein Schwieger sein, der Schwieger Polydors,
Des reichen Polydors, mir anverwandt,
Und von den Göttern stammen meine Ahnen;
Denk', welche Ehre, von den Göttern, Kind!
PARTHENIA.
Es mag so sein, doch Ehre gibt nicht Brot!
POLYDOR.
Auch dafür soll gesorgt sein, denn ich nehme
Fürs erste deinem Vater, wie bisher,
Zu guten Preisen seine Waren ab –
PARTHENIA.
Zu guten Preisen! Heißt das gut für dich?
POLYDOR.
Und dann noch eins, dann will ich – merk' nun auf,
Und führ' dir's zu Gemüte, Mädchen – wisse,
Ich will dich ohne Mitgift nehmen – Ganz
Ohn' alle Mitgift; wie du leibst und lebst,
Ohn' eine Drachme Mitgift nehm' ich dich!
PARTHENIA.
Das alles tätest du für meinen Vater?
Das alles! Wirklich!
POLYDOR.
Viel ist's freilich! Ja,
Beinah' zu viel!
PARTHENIA.
Bei allen Göttern, ja,
Es ist zu viel! – Und so hab' guten Abend.

Sie will gehen.
POLYDOR.
Nein, bleib! Nicht ohne Antwort sollst du gehen!
PARTHENIA.
Und Antwort sollst du haben! Merk' wohl auf!
Schaff' deinen Kindern einen Pädagogen,
Um welchen Preis, wo immer her es sei;
Dein Haus zu wahren, sorg' für Schloß und Riegel;
Und kränkelst du, dort an der Ecke bietet
Die Hökerin heilsame Kräuter feil,
Bereite selbst dir deinen Kräutertrank;
Mir aber, wisse, blüht kein bittrer Kraut
Auf Erden als dein Anblick! Merk' es wohl;
Dies meine Antwort, laß sie dir genügen.

Sie geht ins Haus ab.
POLYDOR
ihr eine Weile erstaunt nachblickend.
Was war das? Hört' ich recht? Sie schlägt mich aus?
Mich aus, den reichen Polydor? Das Kind
Des Waffenschmiedes mich, den Göttersohn?
Sie will mich nicht und sagt's so rund heraus,
Als wär' ich ihres Vaters Schmiedgeselle,
Und spottet meiner noch. Kein bittrer Kraut
Auf Erden als mein Anblick! Ja, er soll
Dir bitter werden und den andern mit!
Fortan sich selber zum Verderben schmiede
[81] Der blöde Alte seine Waffen! – Ich,
Ich nehme keine Klinge mehr ihm ab;
Ich bring' die Rechte seiner Gläubiger
An mich; ich lad' ihn vor Gericht, ich will
Von Haus und Hof, selbst aus der Stadt ihn treiben,
Ihn und sein trotzig Kind! Das will ich, ja,
Und sollt' es mich die letzte Drachme kosten;
Nicht rasten will ich, bis sein Los erfüllt.

Während er heftig bewegt auf und nieder geht, erscheint im Hintergrunde der Bühne links Lykon, der Fischer.
LYKON.
Die Straße grad' hinunter, sagten sie,
Dann um die Ecke, und vom Brunnen rechts
Das nächste Haus! – So muß es dieses sein!

Er geht auf das zunächst an dem Hause Myrons gelegene Haus zu und pocht an der Türe.

Heda! Macht auf, ihr drinnen! Aufgemacht!
Ja, schließt die Ohren nur und stellt euch taub,
Das Unglück pocht zu laut; am Ende müßt
Ihr doch dran glauben –
POLYDOR
links im Vordergrunde der Bühne, für sich.
Ei, was will der Mann?
THEANO
die Tür des Hauses öffnend.
Wer lärmt, wer pocht da?
LYKON.
Komm heraus!
THEANO.
Was soll es? Sprich!
LYKON.
Du bist des Myrons Weib, des Waffenschmiedes?
THEANO.
Ich, nein, mein Mann ist tot!
LYKON.
So dank' den Göttern;
Denn besser noch ist Tod als Sklaverei.
THEANO.
Wie, was? Der Myron, sagst du –
LYKON.
Ist gefangen,
Von wilden Tectosagen fortgeschleppt!
POLYDOR
für sich.
Gefangen! Ei, das kömmt ja ganz gelegen.
THEANO.
Der Myron fortgeschleppt, gefangen –
LYKON.
Ja,
Ich sah's mit diesen Augen –
THEANO.
Ew'ge Götter!
Der Myron – sieh, da gehen seine Freunde –

Zu Adrast und Elpenor, die im Hintergrunde über die Bühne gehen.

Herbei, Adrast, Elpenor! Hier der Mann
Bringt Kunde, Myron sei gefangen,
Von wilden Tectosagen fortgeschleppt!
ADRAST.
Wie, sprichst du wahr?
[82]
ELPENOR.
Und wie geschah es? Rede!
LYKON.
Unfern der Küste war's; ich macht' im Walde
Mir Segelstangen für mein Boot zurecht,
Da kam ein Mann des Weges, schwer beladen;
Ich stand vom Busch verdeckt, und jener streckte
Sich etwa einen Bogenschuß vor mir
Zu rasten hin ins Moos; da plötzlich wird
Es laut im Dickicht; und wie Wolfsgeheul
Tönt gellend rings der Schrei der Tectosagen.
POLYDOR
für sich.
Das habt ihr gut gemacht, ihr Rachegötter!
ACTÄA
mit einer Magd auf der Schwelle ihres Hauses erscheinend und die Stufen hinabsteigend.
Da ließ sie wieder sorglos, wie sie pflegt,
Den Rocken stehen! Schaff' ihn du ins Haus!
LYKON
zu Theano, Adrast und Elpenor.
Mich barg der Busch, doch jener mußte dran,
Und ansgeplündert ward des Alten Habe! –
ACTÄA
zur Magd, die indes den Rocken ergriffen.
Auch hier das Körbchen nimm –

Die Magd geht mit Rocken und Körbchen ins Haus.
LYKON.
Sie fragten ihn
Dann, wer er sei, und als nun jener sprach,
Er sei ein Waffenschmied, da jauchzten sie,
Sich ihres Fanges freuend: Der muß mit!
Und trieben ihn, deß graue Haare kläglich
Im Winde flatterten, gebunden hin
Des Weges –
ACTÄA
die indes, der Magd folgend, die Stufen zum Hause hinangeschritten, auf der Schwelle plötzlich innehaltend.
Graue Haare?
Ein Waffenschmied – gebunden – fortgetrieben –
Wer war der Waffenschmied? –

Von der Stufe herabsteigend.

Sprecht – sag' ich, redet,
Wer war der Mann?
LYKON
nach einer Pause zu den übrigen, die gesenkten Blickes dastehen.
Ist das des Myrons Weib?
ACTÄA.
Des Myrons Weib, ihr Götter! Myron wäre –
Nein, nein – Was steht ihr stumm? Sagt: Nein, es ist
Nicht Myron – Redet, sag' ich –

Nach einer Pause aufschreiend.

Wehe mir!
ADRAST.
Sie sinkt! –
[83]
ELPENOR.
Sie schlägt zu Boden!
THEANO
die Sinkende unterstützend.
Rettet, helft!
POLYDOR
für sich.
Die hat ihr Teil! Nun bleibt das Mädchen noch!
AMYNTAS
der mit andern Männern und Frauen auf Theanos Ruf herbeigeeilt.
Gefangen, sagt ihr – Myron –
THEANO.
Kommt doch, helft
Die Unglückselige ins Haus mir bringen! –

Theano und mehrere Frauen bringen die halbohnmächtige Actäa ins Haus.
AMYNTAS.
Und Tectosagen führten ihn hinweg?
LYKON.
Ja, Tectosagen, und drei Wochen sind's,
Daß, wie sie pflegen, aus der Heimat Bergen
Ein Haufe dieser zott'gen Schlingel brach,
Das Land verwüstet, Wandrer überfällt
Und Huf' und Klauen wegtreibt von den Triften,
Und diese waren's, die auf Myron stießen.
PARTHENIA
aus dem Hause stürzend und rasch auf die um Lykon versammelte Gruppe zueilend.
Wo ist der Mann, der diese Kunde brachte?
Du bist es – sprich – ist's Wahrheit? Sahst du selbst –
LYKON.
Zehn Schritt' kaum kamen sie an mir vorbei,
Der Alte und die jubelnden Barbaren.
PARTHENIA.
Und du entkamst, und er –
LYKON.
Ich stand im Busch,
Ein einzelner, und wagt' mich nicht zu regen;
Erst als der Haufe ganz vorüber war,
Da wandt' ich mich zur Flucht! Der Alte aber
Ward mein gewahr und rief mir flehend nach:
Ich bin der Myron von Massalia,
Der Waffenschmied! Um aller Götter willen,
Geh hin und sag' daheim, daß sie mich lösen!
Der Wilden einer aber schrie mir zu:
Ja, lauf nur, lauf, und will ihn einer lösen,
Der zähl' uns dreißig Unzen Silber auf;
Das gilt der Mann! – So lief ich meiner Wege,
Und jene zogen den Cevennen zu!
PARTHENIA.
Und er gefangen! – Nein – Weg, feige Tränen!
Klar sei mir, Auge, Seele, sei mir Stahl!
Sie zogen, sagst du, den Cevennen zu,
Sie fordern Lösegeld! Verschuldet zwar
Sind Haus und Äcker, doch uns bleiben Freunde –
POLYDOR
für sich.
Bar Geld wär' besser –
PARTHENIA.
Ihr, ihr helft, Adrast!
Amynt! Ihr wuchst mit ihm heran, ihr teiltet
[84] Mit ihm der Kindheit Spiel, des Alters Sorgen,
Ihr rettet ihn; ihr könnt es, ihr seid reich;
Ihr wollt es, ihr seid gut! Sprecht, edle Männer,
Sagt: Ja! Ihr streckt das Lösegeld uns vor!
ADRAST.
Ich, dreißig Unzen! Wollten doch die Götter,
Ich hätt' so viel erspart für meine Kinder.
AMYNTAS.
Das Meer trägt all mein Gut, und wer mag bauen
Auf Flut und Winde? Ich bin arm vielleicht,
Indem ich rede!
POLYDOR
für sich.
Ja, die guten Freunde!
PARTHENIA.
Erbarmt euch, daß die Götter eurer sich
Erbarmen, daß dein Schiff den Hafen finde,
Daß deine Kinder nie der Knechtschaft Joch,
Der Armut Bürde drücke! Rettet, laßt
Der Mutter Gram, mein Flehen euch erweichen!
ADRAST.
Laß ab! – Vielleicht, daß später – aber jetzt
Erwarte nichts von mir, ich kann nicht helfen!
PARTHENIA.
Ihr großen Götter!
AMYNTAS.
Ja, die Zeit ist schwer;
Und jeden drückt die eigne Last genug!
PARTHENIA.
O Kindermärchen Freundschaft!
STIMME DES HEROLDS
außer der Bühne.
Platz,
Ihr Bürger, dem Timarchen!
PARTHENIA.
Fahrt ihr hin!
Was fleht' ich auch zu euch! Die Mutter wacht;
Massalia wird ihre Kinder schützen!
HEROLD
mit einem weißen Stabe, links im Hintergrunde der Bühne auftretend.
Platz, sag' ich, dem Timarchen!
PARTHENIA
zu den Füßen des Timarchen sinkend, der dem Herold in Begleitung einiger Ratsherren folgt.
Rettung, Hilfe!
HEROLD
den Stab schwingend.
Zurück!
TIMARCH.
Nein, laß! Du aber, Mädchen, sprich,
Weshalb begehrst du Hilfe?
PARTHENIA.
Rette! Myron,
Der Waffenschmied – mein Vater – im Gebirge –
Die Tectosagen führten ihn hinweg –
So rett' ihn du aus seiner Knechtschaft Banden!
TIMARCH.
Sehr dauert mich des wohlverdienten Mannes,
Doch ihn zu retten –
PARTHENIA.
Laß die Hörner tönen!
Zu ihren Schwertern laß die Bürger greifen –
Hat alle doch er ihnen sie geschmiedet;
Und edler Stahl und gute Klingen sind's –
[85] Massalias Macht biet auf für seinen Sohn,
Jag' ihren Raub den wilden Räubern ab
Und gib ihn frei der freien Heimat wieder!
TIMARCH.
Das geht nicht an; denn alte Satzung wehrt's
Aus jener Zeit her, wo gegründet kaum
Massalia mit den wilden Küstenvölkern
Im Kampf noch um sein junges Dasein lag;
Da ward beliebt, damit die Sorge nicht
Um einzelne die Wohlfahrt aller störe,
Und Vorsicht keckem Mute sich verbinde,
Massalia schütze seine Bürger nur,
So weit der Schatten seiner Mauern reicht!
Und da ihn Myron überschritten –
PARTHENIA.
Gnade,
Laß Gnade walten –

Aufspringend.

Nein, nicht Gnade, Recht,
Mein Recht gewähr' mir! Steht Massalia
Nicht fest gegründet, reicht gebietend nicht
Sein Arm weit über seiner Mauern Schatten?
So brauch' es seine Macht! Was sind Gesetze,
Die Zwang und Fessel sind, statt Wehr und Waffen?
Er ist gefangen, mach' ihn frei, Timarch!
TIMARCH.
Es geht nicht an! Wer einen Stein verrückt
Am Bau des Rechtes, wirft das Haus zusammen;
Siel selber zu, ich kann helfen!

Er wendet sich abzugehen.
PARTHENIA
zu seinen Füßen sinkend.
Bleib!
Erbarmen!
TIMARCH.
Bei den Göttern wohnt Erbarmen;
Auf Erden wohnt das Recht, und ich will's wahren!
Gib Raum!
HEROLD.
Platz, sag' ich, dem Timarchen!

Der Timarch mit seinem Gefolge geht im Hintergrunde der Bühne rechts ab.
PARTHENIA
nachrufend.
Gnade!
Weh mir! Kein Ohr, das meinen Jammer hört!

Sie verbirgt kniend das Gesicht in beide Hände.
POLYDOR
die Hände reibend, für sich.
Ich kann nicht helfen! Einen Kuß dafür,
Du Goldmann, daß du sprachst: Ich kann nicht helfen!
ELPENOR.
Ich stehl' mich weg! Ihr nützen kann ich nicht,
Und ihre Tränen zehren mir am Herzen!

Er geht im Gespräch mit mehreren der Umstehenden ab, von denen schon früher ein großer Teil dem Timarchen nachströmte.
[86]
ADRAST.
Komm, folg' mir, Fischer! Herberg' geb' ich dir
Und Botenlohn! Ihr aber, Freunde, kommt,
In meinem Hause ruhig zu erwägen,
Was frommen mag im Drange solcher Nöten!

Er geht mit Amyntas, Lykon und den übrigen Anwesenden rechts im Hintergrunde der Bühne ab, so daß Parthenia, in der Mitte der Bühne mit verhülltem Antlitz kniend, allein mit Polydor zurückbleibt.
POLYDOR
der sich dem Hause des Myron gegenüber auf den zu einem Hause hinaufführenden Stufen mit übereinandergeschlagenen Beinen hingesetzt hat.
Recht, geht nur, geht! Jetzt kommt die Reih' an uns,
Und treffen will ich sie, daß sie's gedenke!
PARTHENIA
das Antlitz emporrichtend und umherblickend.
Fort, alle fort! – Sie fliehen meine Nähe;
Kein Arm, der Beistand, der mir Hilfe böte! –
Unglück geht, ahn' ich, seinen Weg allein! –

Aufspringend.

Und dennoch find' ich Hilfe, muß sie finden!
Ich will zu Polydor –
POLYDOR.
Zu Polydor?
Ei, bist du krank, so bittres Kraut zu suchen,
Als dir sein Anblick ist?
PARTHENIA
für sich.
Nun helft, ihr Götter,
Und schmelzt in Demut mir der Seele Stolz!

Laut.

Im Staube sieh mich hier zu deinen Füßen –
POLYDOR.
Ei seht doch, seht, im Staub, zu meinen Füßen!
PARTHENIA.
Vergiß, vergib und löse mir den Vater!
Als Sklavin will ich mich zum Dienste dir
Verdingen –
POLYDOR.
So!
PARTHENIA.
Will treulich Haus und Hof
Und Gut dir wahren und dein Alter pflegen
Und deine Kinder hüten –
POLYDOR.
Seht doch, seht!
Das alles tätest du – das alles – wirklich –
PARTHENIA.
Das alles und noch mehr! Gewähre du
Nur eines, löse mir den Vater!
POLYDOR
aufstehend.
Ei!
Und dreißig Unzen, denk' ich, fordern jene;
Nein, nein! Das käm' zu hoch! Ich bin ein Mann,
Der guten Rat befolgt, und sieh, so will
Ich denn nach deinem Rat für meine Kinder
Mir einen Pädagogen kommen lassen
[87] Und will mein Haus mit Schloß und Riegel wahren,
Und werd' ich krank, so will ich Kräuter kaufen
Dort an der Ecke bei der Hökerin;
So denk' ich es zu halten; du, mein schönes Kind,
Du löse deinen Vater, wie du kannst!
Verdinge dich als Sklavin dem Barbaren,
Mach', was du willst, nur eines bitt' ich dich,
Mein Stachelröschen, mich laß aus dem Spiel!

Für sich.

Jetzt hat sie's hin, und mag sie dran gedenken!

Er geht rechts im Vordergrund der Bühne ab.
PARTHENIA
die während der letzten Rede Polydors aufgestanden und von ihm weggetreten ist.
Geh hin und freu' dich nur und denke, daß
Verzweiflung mich erfaßt, und daß dein Hohn
In Wahnsinn stürzt die hoffnungslose Seele.
Doch ist's nicht so! Die Menschen fliehen mich,
Die Götter aber sind zu mir getreten,
Und schwellend füllt ihr Anhauch mir die Brust
Mit jenem Mut, der alles überwindet,
Mit jenem Mut, der, seiner Kraft bewußt,
Kein Ziel unnahbar seinem Fluge findet.
O Tor, der meinen Schmerz zu stacheln kam,
Die Götter hießen so zu mir dich sprechen;
Du zeigtest mir der Rettung dunkle Bahn,
Du lehrtest mich des Vaters Fesseln brechen!
Hinweg, hinweg! Die Nacht sinkt dunkelnd nieder;
Bett' andern sie zur Ruh' die müden Glieder,
Parthenia, auf! Dein Tagewerk beginnt! –
Die Mutter aber –
THEANO
die während der letzten Worte Parthenias aus dem Hause getreten.
Nun, es ist vorüber;
Sie liegt jetzt ruhig hin, und labend senkt
Sich Schlummer, scheint's, dem müden Haupte nieder –
PARTHENIA.
Und mög' er lang die Seele ihr umdämmern!
THEANO.
Komm denn hinein, den Trank ihr zu bereiten
Aus Bilsenkraut und würzigem Nepenthe!
PARTHENIA.
Ich weiß ein kräft'ger Kraut und geh' es holen!
THEANO.
Wie, jetzt? – Es dunkelt –
PARTHENIA
die Hand auf dem Herzen.
Klar und hell ist's hier!
THEANO.
Und du – allein?
PARTHENIA.
Die Götter sind mit mir!
[88]
THEANO.
Jetzt Kräuter suchen! Nein, du bist von Sinnen!
Du sollst nicht, sag' ich –
PARTHENIA.
Wache du bei ihr;
Mich aber führt der Seele Drang von hinnen!
Ist's Wahrheit, was des Geistes Auge sah,
So liegt das Ziel, so liegt die Rettung nah,
Und alles wag' ich, alles zu gewinnen!
THEANO.
Wohin – Was soll das – Bleib – Parthenia!

Indem sie Parthenien nacheilt, fällt der Vorhang.

2. Akt

Zweiter Akt.

In den Cevennen. Wald, dichtes Laubgewölbe; wo das Gebüsch sich lichtet, Aussicht auf wilde Felsenpartien. Im Hintergrunde links ein halberloschenes Feuer, über demselben ein Kessel; mehrere Tectosagen in Tierfelle gekleidet; schlafend im Kreise herumgelagert; daneben Speere, Helme, Schilde, umgestürzte Becher und Krüge unordentlich auf einen Haufen zusammengeworfen; im Hintergrunde rechts einige Zelte aus Tierhäuten.


Im Vordergrunde rechts liegen Ambivar, Novio und Trinobant um einen Felsblock herum und würfeln. Links in der Mitte der Bühne schläft Ingomar unter einem Baume, an dessen Stamm sein Schwert und sein Schild lehnen; in einiger Entfernung von ihm sitzt Myron auf der Erde.

AMBIVAR.
Ein Auge mehr; mein ist der Einsatz!
TRINOBANT.
Wetter!
Das nenn' ich Glück.
NOVIO.
Nun ist die Reih' an mir!
AMBIVAR.
Was gilt's?
NOVIO.
Ich hab' daheim ein schwarzes Füllen,
Zweijährig, flüchtig wie der Wind! Gilt's?
AMBIVAR.
Topp,
Ich setz' zwei fette Hammel dir dagegen.

Sie würfeln.
MYRON.
Mir ist, als wär's ein Märchen! Erst verschlangen
Wie Wölfe gierig sie das derbe Mahl,
Dann tranken sie sich braunen Metes voll;
Jetzt klappern die mit Würfeln, jenen aber
Lähmt Trunkenheit die ungeschlachten Glieder,
Und Schlaf drückt bleiern ihre Augen zu.
Und ich, der Sklave dieser tierischen
Barbaren; gestern noch Massalias Bürger,
Ein freier Mann, und heute –
INGOMAR
in unruhiger Bewegung im Schlafe sprechend.
Nach! Setzt nach!
NOVIO.
Met, Sklave, Met!
[89]
AMBIVAR
würfelnd.
Da liegt's! Mein ist das Füllen!
TRINOBANT.
Zehn Angen!
NOVIO.
Blitz und Brand!
MYRON
für sich.
All meine Habe
Genügte nicht, vom Joch mich loszukaufen;
Auch bin ich hoch in Jahren! Wär' ich jung,
Ich faßte Mut, versuchte zu entrinnen!
So bleibt mir keine Rettung, keine –
NOVIO
zu Myron, mit der Faust drohend.
Met!
Ich säg' die tauben Ohren dir vom Schädel;
Met, Sklave, Met!
MYRON
hastig einen Krug ergreifend und Novio hinreichend.
Hier, hier ist Met.
AMBIVAR.
Nun weiter!
Was gilt es, Trinobant?
TRINOBANT.
Mein Armband hier!
AMBIVAR.
Mein Wehrgehäng' dagegen! Gilt es?
TRINOBANT.
Gilt!
MYRON
mit dem Kruge sich entfernend.
O wär' dies Gift, wie gerne tränkt' ich euch! –
Kein Ausweg, keiner! – Zwar der Polydor,
Adrast, Amynt, Elpenor, meine Freunde,
Gewiß sie denken mein, sie lösen mich!
O! täuscht nicht, Götter, meine Zuversicht,
Führt gnädig in die Heimat mich zurück
Und laßt mich sterben in der Stadt der Väter!
INGOMAR
im Schlafe sprechend.
Nach! Nach! Schlagt tot, schlagt tot!

Er erwacht.

Wie, träumt' ich? Schade,
Entschieden war der Kampf, der Tag war unser!
Wie liefen sie! Was gab es nicht für Beute,
Wieviel Gefangne! Und nun war's ein Traum
Und ist dahin! – Wo nur Alastor bleibt?
TRINOBANT.
Verloren! Nun, für heute hab' ich's satt.
AMBIVAR.
Noch eins!
TRINOBANT.
Ein andermal.

Er steht langsam auf und nähert sich Ingomar.
AMBIVAR.
Und du?
NOVIO.
Nun gut!
AMBIVAR.
Ich wag' mein letztes Beutestück daran,
Das Allobrogerweib –
[90]
NOVIO.
Und ich dagegen
Dies Schwert, von jenem Sklaven dort erbeutet.
MYRON
für sich.
Mein Schwert, sie würfeln um mein blankes Schwert!
So wohlfeil dacht' ich nicht es loszuschlagen;
O daß sein Stahl in ihren Herzen wühlte!
INGOMAR
der indes aufgestanden und sich Samo genähert hat.
Auf, sag' ich, Samo, auf!
TRINOBANT
hinzutretend.
So schlafen Tote!

Samo aufrüttelnd.

He, Samo, auf!
SAMO
sich schlaftrunken aufrichtend.
Ist's Zeit zum Nachtmahl?
INGOMAR.
Nein.
Die Rinder heimzutreiben von der Weide,
Die letzthin wir erbeutet, ist es Zeit;
Und also reibt den Schlaf euch aus den Augen!
Fort, sag' ich, fort!
AMBIVAR
während Samo, Trinobant und die übrigen allmählich erwachten Tectosagen sich im Hintergrunde der Bühne entfernen.
Mein Wurf war besser!
NOVIO
sich ebenfalls erhebend.
Nein,
Der meine war's.
AMBIVAR.
Du lügst!
NOVIO
ihn bei der Brust packend.
Hund, spielst du falsch?
AMBIVAR
sein Handbeil schwingend.
Hund – Hunde beißen!
MYRON
für sich.
Schlagt zu, erwürgt euch, freßt euch auf wie Spinnen!
INGOMAR
der indes in den Vordergrund der Bühne getreten.
Was soll das?
NOVIO
mit Ambivar ringend.
Meuchlerischer Schuft!
INGOMAR
sie gewaltsam auseinanderdrängend.
Laßt ab!
NOVIO.
Wer wagt es –
INGOMAR.
Ich! – Ihr wähltet mich zum Führer,
So haltet Frieden, ich gebiet' es euch!
NOVIO.
Gib Raum!
AMBIVAR
das Beil schwingend.
Sein Herzblut oder deins!
INGOMAR
drohend.
Zurück!
Ein Schritt noch, und ich send' euch zu den Schatten!

Novio weicht zurück, Ambivar läßt das gehobene Beil sinken.
INGOMAR.
Noch einmal, geht! Erklimme, Novio,
Den Fels dort, nach Alastor auszuschauen;
Du, brauch' dein Beil und fäll' uns Holz zum Nachtmahl!
Fort, sag' ich –
[91]
AMBIVAR
für sich hinmurmelnd.
Gut, die Zeit wird kommen! – Gut!

Novio und Ambivar gehen zu verschiedenen Seiten ab.
INGOMAR
ihnen nachblickend.
Trotz bieten mir? Beim Blitz des Himmels! – Doch
Fahrt hin! Euch Prahler treib' ich noch zu Paaren,
Und kömmt kein Stärkrer, als ihr beide seid,
So ist die Stunde, die mich zwingt, noch weit,
Und unbesiegt zum Himmel werd' ich fahren! –
Was wollt' ich nur? Ja, trinken wollt' ich! Sklave,
Den Metkrug her!

Nachdem er getrunken, Myron den Krug zurückstellend.

Das war ein Trunk, das labte!

Sich auf den Felsblock hinstreckend, auf dem früher gewürfelt wurde.

Und nun erzähl' mir, Sklave, was es sei,
Und kürze mir die Zeit.
MYRON.
Ich dir?
INGOMAR.
Sag' an
Vorerst, wie nennst du dich?
MYRON.
Ich – Myron, Herr!
INGOMAR
ihm nachspottend.
»Ich, Myron, Herr!« das zirpt wie Hänflingsbrut
Im Nest und sieht so sauer drein, als wär's
Beim Schlehenbusch zu Gast gewesen! Sprich,
Was hast du? Ei, gab's etwa Geißelhiebe,
Indes ich lag und schlief? –
MYRON
erschrocken.
Wie, Geißelhiebe?
INGOMAR.
Sie schlugen dich?
MYRON.
Nein, Herr!
INGOMAR.
Bei allen Göttern,
Was greinst du also, blöder Alter? Rede!
Du hast hier Speis' und Trank vollauf; du ruhst
Zur Nacht auf weichem Moos, und sind wir erst
Daheim, wird eine Schmiede dir erbaut;
Da schaffst du dann und hämmerst wie zuvor
Und lebst wie vor! –
MYRON.
Und rechnest du für nichts,
Der Freiheit zu entbehren?
INGOMAR.
Freiheit! Wie?
Es macht mich lachen! Freiheit missest du?
Du hattest sie nicht mehr, als wir dich fingen,
Denn Alter zwang dich lähmend schon ins Joch;
Stark ist nur Jugend, und nur Kraft ist frei! –
[92]
MYRON.
Und ist es, wie du sagst, lähmt Alter mir
Die Kraft; wer wird bei euch mich warten, pflegen?
INGOMAR.
Dich pflegen! Wächst ein Kraut, das Alter heilte?
Wir wissen besser, was der Krankheit taugt;
Bei uns daheim, wird einer alt und siech,
So geht er in den Wald, nimmt für drei Tage
Sich Speise mit, legt unter einem Baum
Aufs Moos sich hin, zehrt seinen Vorrat auf,
Und nach drei Tagen geht er zu den Göttern!
MYRON.
Und ihr seht zu? Ihr wehrt nicht ab? Es läßt
Der Sohn den Vater –
INGOMAR.
Sterben! Warum nicht?
Wenn seine Stunde kam, was sollt' er leben,
Sich selbst zur Qual, den Seinigen zur Last?
Kraft ist des Lebens Inhalt; wenn sie flieht,
So ist es uns ein Schwertgriff ohne Klinge,
Ein leerer Köcher, und wir werfen's weg!
MYRON.
Im Walde, nach drei Tagen – Grauenvoll!
Ich also, schwände mir die letzte Kraft,
Ich müßte auch –
INGOMAR.
Du nicht, du bist ein Sklave,
Und dein Geschick verhängt die Willkür deß,
Der dich erwirbt als seinen Teil des Fanges;
Doch mag auch sein, du fällst als Beutestück
Durchs Los den Göttern zu, und opfernd trifft
Im Kreis der heil'gen Steine dich das Beil!
MYRON.
Das Beil! Weh mir! Das Opferbeil! – Ich fühle
Den Stahl im Nacken! Wehe mir!
INGOMAR.
Der tut,
Als wär' die Welt nicht, wenn nicht er drin lebte!
MYRON.
O schützt mich, ihr, der Heimat milde Götter!
Massalia, weh mir, daß je mein Fuß
Hinausschritt über deines Tores Schwelle,
Daß töricht je –
INGOMAR.
Schweig, sag' ich, schweige! Sei
Du feig für dich, doch füll' mein Ohr nicht an
Mit deinen Klagen –
MYRON
zurückweichend.
Ich – ganz recht – ich schweige!
INGOMAR
für sich.
Es mögen Männer sein in seinem Volke,
Doch der ist keiner! – Sklave!
MYRON.
Herr!
INGOMAR.
Sei klug
Und fürcht' dich nicht! Das Los wird dich nicht treffen,
[93] Und schmiedest du uns tücht'ge Schwerter nur,
Tust deinen Dienst und lebst nach unserm Sinn,
So soll's bei uns dir noch gefallen –
MYRON.
Mir
Gefallen –
INGOMAR.
Tor, du liebst so sehr das Leben,
Du klagst um Freiheit, und du kennst sie nicht!
Bei uns ist Freiheit, Freiheit ist im Freien,
Im Walde wohnt sie, auf den Bergen weht
Ihr Atemzug! Und Leben – lebt denn ihr?
Wie's uns gefällt, bald dort daheim, bald hier,
Für heut nicht sorgen, noch für morgen sparen,
Jagd, Zechgelag, Gefechte und Gefahren,
Das nenn' ich leben, das ist eine Lust,
Das macht die Adern schwellen, hebt die Brust!
Ihr aber dort in euern dumpfen Mauern,
Ihr habt das Leben nur, es zu vertrauern.
MYRON.
Ich ward in ihrem Umkreis, Herr, geboren;
Dort wohnt Vertrag und Recht, Gesetz und Ordnung –
Ein treues Weib und eine liebe Tochter,
Das Beste, was auf Erden ich erwarb,
Besitz' ich dort – besaß ich, sollt' ich sagen –
INGOMAR.
Nun Tränen gar! Hinweg, aus meinen Augen!
Um Weiber Tränen? Bist du selbst ein Weib?
Was sind denn Weiber – eitel üppig Volk,
Geboren, zu gebären und zu dienen!
Das wirft verbuhlte Blicke, kaum noch reif,
Das kauert um den Herd und füttert Kinder,
Das salbt sein Haar und spiegelt sich im Bach!
Wär' ich ein Gott und hätt' die Welt zu schaffen,
Mir dürft' kein Weib sein, keins! – Wir nehmen Weiber,
Wie man ein Bad nimmt, wenn die Sonne heiß;
Und du – um Weiber weinen! Fort, hinweg
Aus meinen Augen!
MYRON.
Herr, du zürnst; doch wärst
Du gestern noch ein freier Mann gewesen
Und wärest heut gleich mir, der Heimat fern,
Ein armer Sklave –
INGOMAR.
Ich – ich wär' kein Sklave!

In der Ferne wird ins Horn gestoßen.

Still, horch'! – Das ist Alastors Horn! Sie sind's,
Sie kommen!

[94] Zu Novio, der im Hintergrunde der Bühne auftritt.

Sind sie's? Rede!
NOVIO.
Ja; sie ziehen
Die Talschlucht dort herauf; Alastor aber,
Vorausgeeilt den andern, klimmt behende
Den Abhang schon heran. Da ist er!

Alastor tritt rasch im Hintergrunde der Bühne auf; nach und nach erscheinen auch Samo, Trinobant, Ambivar und andere Tectosagen und treten allmählich in den Vordergrund.
ALASTOR.
Ja!
Da bin ich; aber besser wär's gewesen,
Ich hätt' des Weges Mühen mir erspart!
Ich komm' mit leeren Händen!
INGOMAR.
Sprichst du wahr?
Die fetten Herden, die Avenios Bürger
Alljährlich ins Gebirg' zur Weide senden –
ALASTOR.
Ich sah nicht eine Klaue.
INGOMAR.
Schlimm genug!
So bringst du –
ALASTOR.
Nichts! Doch ja! Eins bracht' ich auf,
Ein schmuckes hübsches Ding von Mädchen.
NOVIO.
Wie,
Ein Weib?
INGOMAR.
Ein Weib, das war des Ganges wert!
AMBIVAR.
Wie kamst du zu den Fang?
ALASTOR.
Er lief von selbst
Uns zu! Wir lagen lauernd im Gebüsche!
Da rauschten fernher Schritte, Stimmen schallten,
Und jene kam, des Pfades Steingerölle,
Der Sonne Brand nicht achtend, rasch des Weges.
Nun brechen wir heraus! Der Knabe, der
Ihr Führer war, entflieht; sie aber weicht
Zurück, und unsre ausgestreckten Arme
Abwehrend mit der Hand, beginnt sie: »Steht,
Euch such' ich! Seid ihr Tectosagen?«
TRINOBANT.
Ei,
Das Mädchen, sagst du?
NOVIO.
Nun, und ihr?
ALASTOR.
Wir lachten;
Du suchst uns, sprachen wir; nun hast du uns,
Nun bist du unsre Beute. Aber sie,
Zornglühend, reißt sich los aus unsern Händen:
»Nein,« ruft sie drohend, »nein! Nicht eure Beute!
[95] Ich bring' für euren Sklaven Lösegeld,
So hab' ich frei Geleite!«
MYRON
für sich.
Lösegeld
Für ihren Sklaven!
INGOMAR.
Bringt sie Lösegeld,
So sprach sie wahr, so hat sie frei Geleite.
ALASTOR.
Mit einem Wort, wir ließen uns herbei,
Des Weges sie zu Ingomar zu weisen,
Zu unsrem Führer, und sie folgte uns,
Das heißt, sie ging voran beschwingten Schrittes,
Und wir kopfschüttelnd trabten hinterdrein.
TRINOBANT.
Ei, die hat Herz im Leibe!
INGOMAR.
Doch sag' an,
Für welchen Sklaven bringt sie Lösegeld?
ALASTOR.
Für Myron, sprach sie, von Massalia.
INGOMAR.
Für den!
MYRON.
Ihr großen Götter!
INGOMAR.
Nun fürwahr,
Kein Ding so schlecht, es findet seinen Käufer.
MYRON.
Frei! Lösegeld! Massalia wiedersehen!
Ihr Götter, laßt mich nicht von Sinnen kommen!
Und du – o sprich! Nicht wahr? Ihr Haar ist dunkel,
Das Auge hell und klar, und schlank die Glieder,
Die Stimme süß, wie Nachtigallensang,
So süß – o sprich – Nicht wahr, es ist mein Kind? –
ALASTOR.
Da sieh es selbst!

Parthenia tritt im Hintergrunde der Bühne, umgeben von mehreren Tectosagen, auf.
MYRON.
Parthenia, mein Kind!
Mein liebes, teures Kind! Du bist es! Ja,
Dein Auge strahlt mich an! Nun hab' ich dich,
Nun hab' ich alles wieder! Dacht' ich's doch,
Wenn mein Parthenion mich lösen kann,
Sie tut's! Sie hat's getan!
PARTHENIA.
Mein teurer Vater!
INGOMAR.
Da weint er wieder! Nun, beim Donnergott,
Der Bursche ist wie eine Regenwolke.
ALASTOR.
Genug der Tränen, des Geflüsters, Weib;
Du suchtest Ingomar; hier ist er, rede!
PARTHENIA
vor Ingomar kniend.
Laß denn ein Kind zu deinen Füßen, Herr,
Um seines greisen Vaters Freiheit flehen!
Uns ist er alles, und was nützte euch
[96] Ein Mann, wie er, gebrechlich, hoch in Jahren;
O schenkt mir gnädig, was euch wertlos ist –
NOVIO.
Wie? Schenken –
AMBIVAR.
Ei, ist das ihr Lösegeld?
ALASTOR.
Umsonst will sie ihn haben!
INGOMAR.
Weib, dein Vater
Ist unser aller Sklave; wär' er mein,
Ich schenkt' ihn dir, des Griesgrams los zu sein;
Doch ist's nicht so, und also hoffe nicht,
Mit schlauem Wort uns schmeichelnd zu berücken,
Und flehtest du –
PARTHENIA
rasch sich erhebend.
Genug, spar' deinen Atem!
Die Götter wollen's! Nehmt denn Lösegeld!
INGOMAR.
Und welches bietest du?
PARTHENIA.
Mich selbst!
MYRON.
Du rasest –
INGOMAR.
Dich selbst?
PARTHENIA.
Ein grünes Leben für dies welke,
Für Alter Jugend, frische Kraft für Schwäche,
Das biet' ich euch; sagt: Ja! und gebt ihn frei!
MYRON.
Du sollst nicht – Nein! –
INGOMAR.
Dein Vater schmiedet Waffen
Und kann uns nützlich sein; du aber bist
Ein Weib!
PARTHENIA.
Du meinst, ich wär' euch nur zur Last?
Das glaubt nicht. Spinnen kann ich, zierlich weben,
Gewänder weiß ich anzufertigen
Und leckere Gerichte zu bereiten;
Des Saitenspieles bin ich kundig, auch
Gar schöne Märchen weiß ich zu erzählen
Und süße Lieder, euch in Schlaf zu singen;
Auch bin ich stark, gesund an Leib und Seele,
Und immer froh und heiter war mein Sinn!
INGOMAR.
Nun, das tut not! Dein Vater konnt' nur weinen!
PARTHENIA.
Sagt: Ja! Der Tausch soll euch nicht reuen!
MYRON.
Nein,
Sie raset, hört sie nicht!
INGOMAR.
Du dorten, schweig!
Und ihr, was meint ihr? Sprecht!

Er tritt mit den übrigen Tectosagen links in den Vordergrund der Bühne, so daß Myron und Parthenia rechts im Vordergrund allein bleiben.
MYRON
während sich Ingomar mit den Tectosagen leise bespricht, zu Parthenia.
Unselige,
[97] Was tatest du? So willst du mich befreien?
Ich aber – gält's mein Leben – ich will nicht!
Wie, wußte Polydor, und wußten, rede,
Die andern alle dir nicht bessern Rat?
PARTHENIA.
Nicht Rat noch Hilfe war bei deinen Freunden!
MYRON.
Massalia aber, der Timarch, des Rates
Erlauchte Glieder?
PARTHENIA.
Taub war jedes Ohr;
So komm' denn ich und breche deine Ketten –
MYRON.
O hätt ich diese Stunde nie erlebt!
Denn besser wär' dir in des Drachen Höhle,
Als hier zu sein bei diesen, die Natur
Schuf menschlich nur zum Spott, bei ihnen, die
Dem Hungertod preisgeben ihre Väter,
Die ihre Sklaven – schaudre, armes Kind! –
Als Opfer ihren Götzen schlachten!
PARTHENIA.
Ei!
Mich werden sie nicht schlachten!
INGOMAR
während Myron und Parthenia leise zu sprechen fortfahren.
Laßt sie ziehen!
Wir haben Weiber nur zu viel daheim;
Der Alte schmiedet Waffen –
TRINOBANT.
Doch er stirbt
Uns über Nacht, und sie ist jung und lebt
Noch lange Jahre.
NOVIO.
So ein schmuckes Ding
Heimgehen lassen! Gebt den Alten frei!
INGOMAR.
Sie sind von Sinnen!
AMBIVAR.
Hört, laßt beide uns
Behalten!
INGOMAR.
Nein, so rät ein Schuft! Sie kam
Auf Treu und Glauben, und sie finde sie!
PARTHENIA
während die Tectosagen leise unter sich zu sprechen fortfahren.
Es ist geschehen, und so gib dich drein!
Die Mutter härmt sich, trockne ihre Tränen!
Ich bin ja jung, leicht trag' ich, was dich drückte,
Und wo du stürbest, leb' ich mutig fort!
Sei frei und laß mich bleiben!
MYRON.
Bleiben! Hier,
Wo Tod dein harrt, ja Schlimmres noch als Tod,
Gewalttat, Schmach, Verderben! Nimmermehr!
Eh', Götter, lehrt dies letzte Gut, entgangen
Der Räuber Gier, lehrt diesen Dolch mich brauchen –
[98]
PARTHENIA
Myron in den Arm fallend und ihm den Dolch entwindend.
Mir gib den Dolch! Und nun zieh ruhig hin;
Denn deiner würdig leb' ich, oder sterbe! –
Doch dahin kommt es nicht; denn heimgekehrt,
Versagt Massalia auch dir seine Hilfe,
Du wirbst zum Beistand Fischer dir und Hirten,
Du führst sie an, ihr überfallt die Räuber –
MYRON.
Sprich leise – Freunde sammeln – Überfall –
Ein Gott legt dieses Wort dir auf die Lippen –
INGOMAR
zu den Tectosagen.
Ihr wollt es so, und eure Wahl entscheidet!

Zu Parthenia.

Vernimm denn, Weib, erfüllt ist dein Begehren;
Wir nehmen dich als Lösegeld für jenen;
Er ziehe hin, du bleibst!
PARTHENIA.
Habt Dank, ihr Götter!
MYRON.
Sie soll nicht, sag' ich! – Ich bin euer Sklave
Und will es bleiben, frei zur Heimat ziehe
Die Freie hin!
INGOMAR.
Wer fragt nach deinem Willen?
Wir wollen, daß du gehest, daß sie bleibe,
Und so zieh hin!
PARTHENIA.
Zieh hin, du kehrst ja wieder,
Du lösest mich – O weck' nicht ihren Grimm!
INGOMAR.
Nun, soll's noch lange währen? Auf, Gesellen,
Und macht die steifen Glieder ihm gelenk!
NOVIO.
Macht fort!

Novio und Trinobant nähern sich Myron.
MYRON.
Wollt ihr mein Kind aus meinen Armen reißen?
TRINOBANT
ihn packend.
Komm; troll' dich, Alter!
PARTHENIA.
Nein! Faßt nicht so rauh
Ihn an; er geht, freiwillig geht er! Fort,
O säum' nicht länger, geh!
MYRON.
Wohlan, es sei!
Ich gehe, doch ich kehre wieder –
AMBIVAR.
Ei, das wäre!
MYRON.
Euch allen zum Verderben kehr' ich wieder!
ALASTOR.
Das droht noch –
AMBIVAR.
Schlagt ihn tot!
INGOMAR.
Nein, stäupt ihn fort
Und laßt den Prahler laufen!
EINIGE TECTOSAGEN.
Fort mit ihm!
ANDERE.
Hinweg, hinweg!
[99]
MYRON
von den Tectosagen im stürmischen Gedränge fortgerissen.
Parthenia, mein Kind, leb' wohl!
PARTHENIA.
Leb' wohl! Er geht! – Ich seh' ihn niemals wieder!

Sie schlägt die Hände vor das Gesicht und bleibt heftig schluchzend im Vordergrund der Bühne stehen.
INGOMAR
der im Hintergrund der Bühne auf eine Anhöhe getreten, den Abgehenden nachblickend.
Der schreitet aus, der läuft! Bei allen Göttern!
Der Prahler, weiß ich, ruht nicht, bis daheim
Sein Haupt er birgt in seines Weibes Schürze. –
Es muß ein seltsam Ding doch sein, sich fürchten!
Ich hab' mich nie gefürchtet, und beim Himmel,
Ich möcht' fast einmal fühlen, wie es tut! –
Die Sklavin aber – Seh' ich recht? Du weinst?
Ist das der heitre Sinn, mit dem du prahltest?
So hältst du Wort –
PARTHENIA
halb für sich.
Ich seh' ihn niemals wieder!
INGOMAR.
So wollt' ich doch – Wie, tauschten wir für Übles
Das Schlimmre ein, für einen kind'schen Alten
Ein töricht, zaghaft, weinerliches Weib?
Genug der Tränen –
PARTHENIA.
Ja, fürwahr genug;
Nicht, weil du sie verhöhnst, weil sie vergebens!
Ich will nicht weinen mehr! Bei allen Göttern,
Und wär' es bloß, um Lügen dich zu strafen,

Mit dem Fuße stampfend.

Ich will nicht, sag' ich, will nicht weinen mehr!

Sie trocknet sich rasch die Augen ab und tritt in den Hintergrund der Bühne, wo später einige Tectosagen erscheinen, die während der nächsten Szene ab und zu gehen, sich beim Feuer zu schaffen machen, die Glut schüren, Holz zutragen usw.
INGOMAR
Parthenia nachblickend.
Das lass' ich gelten! – Der zum mindesten
Hilft Unmut doch, den Jammer abzuschütteln;
Die regt sich doch und wehrt sich ihrer Haut!
Ich will nicht weinen mehr, das ist ein Wort,
Und hält sie's mannhaft, wie sie's ausgesprochen –

Zu Parthenia, die indes zwei Krüge ergriffen und mit denselben im Vordergrunde rechts abgehen will.

Halt, Mädchen, halt! Wohin? –
PARTHENIA.
Wo sollt' ich hin,
Als dort zum Bach, die Krüge auszuschwenken!

Sie geht ab.
INGOMAR.
Die Krüge – Nun das mag wohl not tun – Ja,
Geh hin mit deinen Krügen – Wie, schon fort?
[100] Das nenn' ich mir ein eigenwillig Ding;
Doch das hat Leben, das greift zu, das schafft,
Das rührt sich! Wir gewinnen bei dem Tausch;
Ich wollte nur, sie könnte Schwerter schmieden! –
Die Sonne steht noch hoch! Ich könnte jagen –
Doch nein – Ich seh' den Herden nach! – Noch besser,
Ich leg' mich hin und schlafe noch ein Stück;
Dann geht's zum Nachtmahl, und der Tag ist um,
Und morgen komme, was die Götter geben!

Er geht auf den Baum zu, an dessen Stamm seine Waffen hängen, Parthenia kehrt mit den Krügen und einem großen Strauß von Feldblumen zurück; sie setzt sich auf den Felsblock rechts im Vordergrund, stellt die Krüge neben sich und fängt an Kränze zu winden.
INGOMAR
plötzlich innehaltend und, ohne Parthenia zu bemerken, langsam in den Vordergrund zurückkehrend.
»Mich nehmt als Lösegeld!« Und wirft das Haupt
Zurück, als böte sie uns Tonnen Goldes;
Und wieder dann: »Ich will nicht weinen mehr!«

Ein trotzig Ding! Und das behagt mir eben!
Ich mag es leiden, wenn ein Roß sich bäumt;
Des Bergstroms Tosen lieb' ich und das Meer,
Wenn seinen Schaum es schleudert an die Sterne:
Denn zahme Trägheit ist lebend'ger Tod,
Und Leben atmet nur der Kampf der Kräfte.
Doch sieh, da ist sie!

Er nähert sich Parthenia und beugt sich dann, an den Fels gelehnt, zu ihr hinab.

Ei, was schaffst du da?
PARTHENIA.
Ich? – Kränze flecht' ich –
INGOMAR.
Kränze! – Ist mir doch,
Als hätt' ich sonst im Traum sie schon gesehen!
Doch ja – Mein Bruder, der als Knabe starb,
Mein kleiner Folko – ja ganz recht – das ist's!
Sie hat sein dunkles Haar und seine Augen,
Und selbst die Stimme spricht bekannt zu mir.

Dies also nennt ihr Kränze, und wofür
Denn flichtst du sie?
PARTHENIA.
Für diese Krüge.
INGOMAR.
Wie?
Was sagst du?
PARTHENIA.
Ist's bei euch nicht Sitte? Wir
Daheim, wir lieben's, wenn um Schalen, Becher
Und andres Trinkgeschirr sich Blumen schlingen.
INGOMAR.
Wir aber, Mädchen, achten nur darauf,
[101] Daß Met die Krüge bis zum Rande fülle;
Drum laß und müh' dich nicht mit deinem Kranze;
Was nützt das Spielwerk!
PARTHENIA.
Spielwerk! Nützen! Wie,
Muß alles nützen denn, selbst Kränze? Sie
Sind schön, das nützen sie. Ihr Glanz erfreut
Das Aug', ihr Duft erfrischt die Seele! Da,
Sieh her! –

Aufspringend und den halbfertigen Kranz um einen der Krüge schlingend, den sie ihm dann hinhält.

Läßt das nicht schön?
INGOMAR.
Beim Strahl der Sonne,
Das Ding gefällt mir! Dieses dunkle Grün,
Die hellen Blumen! – Ei, du mußt daheim
Auch unsre Weiber Kränze winden lehren!
PARTHENIA.
Das lernt sich leicht! Bald flicht dein Weib dir Kränze,
So schön, wie ich! –
INGOMAR.
Mein Weib! Ich und ein Weib!
PARTHENIA.
So hast du nicht gefreit?
INGOMAR
auf sein Schwert schlagend.
Das ist mein Weib;
Mein gutes Schild, mein Speer ist's! Mag, wer will,
Hinwerfen, was ihm gutes Glück erwarb,
Den Vätern ihre Töchter abzufeilschen,
Um Sklaven, Rinder oder rotes Gold,
Und tags darauf des Kaufes Hast bereuen,
Ich weiß mir bessern Rat und beßre Ware!
PARTHENIA.
Ihr großen Götter!
INGOMAR.
Ei, was starrst du mich
Verwundert an? Was hast du?
PARTHENIA.
Wie? Ihr werbt
Mit Gold, mit schnödem Gold um eure Bräute?
Ihr kauft sie, tauscht sie ein, sie selber Sklaven,
Um Sklaven so wie sie? Ihr ew'gen Götter,
Sind Weiber Waren?
INGOMAR.
Wie gehabst du dich?
Ich denke, Weiber dienen allerwegen,
Und wir fürwahr, wir halten sie nicht streng!
PARTHENIA.
Nicht? Tut ihr's nicht, ihr gnädigen Gebieter?
O lebte nur mein Geist in euren Frauen,
Nur einen Tag –
INGOMAR.
Gemach, was schmähst du uns?
Wir folgen unserm Brauch, wie ihr dem euren;
[102] Denn ihr, ihr, scheint es, freit nach eigner Wahl
Und achtet nicht auf eurer Väter Willen!
PARTHENIA.
Wir hören ihn und folgen unsren Herzen,
Wir fallen nicht dem besten Anbot heim;
Uns all', Massalias freigeborne Töchter,
Uns bindet Neigung nur mit leichtem Band,
So duftig als der Kranz in meinen Händen;
Uns führt dem Freier nur die Liebe zu!
INGOMAR.
Die Liebe! Wie? Ihr freit aus Liebe? Ei,
Wie macht ihr das?
PARTHENIA.
Aus Liebe freien?
INGOMAR.
Ja;
Ich hab' so manchen treuen Kampfgenossen,
Und herzlich lieb' ich manchen wackern Freund,
Doch freien, sagst du, und aus Liebe? Liebe –
Was ist das?
PARTHENIA.
Was das ist? Die Mutter sagt,
Es sei das süßeste von allen Dingen,
Des Lebens Himmel; ich erfuhr es nie!
INGOMAR.
Du nicht? Gewiß nicht?
PARTHENIA.
Nein, gewiß nicht!

Den Kranz, an dem sie windet, wohlgefällig betrachtend.

Doch
Sieh her! Wie schön! – Hier, hätt' ich sie, hier sollten
Hochrote Blumen her!
INGOMAR.
Dort flammen Blüten
Wie Purpur im Gebüsch!
PARTHENIA.
Was sagst du? Dort!
Ach ja! – Welch brennend Rot – die stünden herrlich!
Ach geh doch, bitte, pflück' mir welche ab.
INGOMAR
macht eine rasche Bewegung abzugehen, hält aber plötzlich inne.
Ich dir?
PARTHENIA.
Doch brich mir nur die allerschönsten,
Die frischesten –
INGOMAR
für sich.
Der Herr der Sklavin dienen? –
Und warum nicht? Das arme Kind ist müde!
PARTHENIA.
Wie, säumst du?
INGOMAR.
Nein, gleich sollst du Blüten haben,
So frisch und tauig, als der Busch sie beut!

Er geht rasch links im Vordergrunde der Bühne ab.
PARTHENIA
den Kranz vor sich hinhaltend und betrachtend.
So gut gelang mir's nie! – Der Kranz, fürwahr,
[103] Soll reizend werden! – Reizend, und für wen?
Hier schmückt er keines Götterbildes Schläfe,
Hier blickt nicht lächelnd drauf die Mutter nieder;
Ich bin allein, verlassen! – Nein, hinweg,
Ich will nicht weinen mehr! Ich bin ein Weib,
Und hätt' ich Grund und Sehnsucht auch zu klagen,
Nein – daß ich feig, das sollen sie nicht sagen!
INGOMAR
mit einigen Blütenzweigen auftretend und langsam über die Bühne hinschreitend, für sich.
Der kleine Folko, wenn nach Obst, nach Blumen,
Wenn irgend sonst in Spielzeug er begehrte
Und weinte: Bring' mir's doch! Ich will es haben!
Da mußt' ich's tun, ich wollt' nun oder nicht:
Und vieles, find' ich, hat sie von dem Knaben!
Da sind die Blüten!
PARTHENIA.
Dank dir, Dank! Doch sieh,
Die taugen nicht! Du hast zu knapp am Stiel
Die Blumen weggebrochen –

Sie wirft einige von den Blüten auf die Erde.
INGOMAR.
Gut, ich will –
PARTHENIA.
Nein, nein! – Der Zweig hier fügt sich – habe Dank!
INGOMAR.
Zum Dank erzähl' mir noch von deiner Heimat,
Und was noch sonst die Mutter dir gesagt!
Erzähl'; ich sitz' hier neben dir –
PARTHENIA.
Nein, nein! – Nicht hier!
Du drücktest ja die Blumen mir zunichte!
INGOMAR
sich zu ihren Füßen hinsetzend.
Wohlan, ich sitze hier, und nun erzähle!
PARTHENIA.
Und was denn soll ich dir erzählen?
INGOMAR.
Wie
Ihr liebt und freit, wie Liebe kommt und geht,
Was Liebe ist, erzähl' mir! Bei den Göttern,
Mir ist das Wort, als wär's ein tiefer See,
Und auf den Grund hinunter möcht' ich schauen!
PARTHENIA.
Wie Liebe kommt – die Mutter meinte, schnell;
Sie meinte – Reich' mir dort das Veilchen her! –
Lieb' komme, wie die Blumen, über Nacht;
Lieb' sei ein Feuer, das ein Blick entfacht,
Das Träume nähren und Gedanken schüren;
Lieb' sei ein Stern, zum Himmel uns zu führen,
Ein grüner Fleck in dürrem Heideland,
Ein Körnchen Gold im grauen Lebenssand,
Und als die Götter, müde dieser Welt,
[104] Sich flüchteten hinauf ins Sternenzelt,
Mitnehmend, was auf Erden sie besessen,
Da hätten sie die Liebe hier vergessen.
INGOMAR
der den Blick nicht von Parthenia verwandt hat, nach einer Pause.
Ich fass' es nicht!
PARTHENIA.
Ich auch nicht! – Mutter meint,
Man müßte das erleben! Doch ich weiß
Ein altes Lied; das sagt es deutlicher,
Mir mindestens! Wie hieß es nur? Ganz recht!

Sie spricht langsam, als wenn sie sich auf das Lied besänne.

Mein Herz, ich will dich fragen:
Was ist denn Liebe? Sag'! –
»Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!«

Und sprich: woher kommt Liebe? –
»Sie kommt und sie ist da!«
Und sprich, wie schwindet Liebe? –
»Die war's nicht, der's geschah!«

Und wann ist –
Nein –
INGOMAR.
Fahr fort!
PARTHENIA.
Ich weiß nicht weiter!
INGOMAR
leidenschaftlich.
Sinn nach!
PARTHENIA.
Ich sinne nach und kann's nicht finden!
Es kommt wohl wieder bei Gelegenheit,
Und dann – Hier braucht es Rosen! Ei, dort blüht
Ein Strauch, und welche Rosen! – Ich will hin;
Hier hüte mir indessen Kranz und Blumen!

Sie springt auf, schüttet Blumen und Kranz in Ingomars Schloß und läuft links im Vordergrunde ab.
INGOMAR
nach einer Pause, ohne seine Stellung zu verändern, in tiefen Gedanken vor sich hinsprechend.
Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag.

Der Vorhang fällt.

3. Akt

[105] Dritter Akt.

Schauplatz wie im vorigen Akte; Ingomars Speer und Schild, wie früher, an den Baum gelehnt; das Feuer unter dem Kessel erloschen.


Ingomar, in Gedanken versunken, tritt mit Alastor links im Vordergrunde auf.

ALASTOR
die angefangene Rede beschließend.
Und darum senden mich die andern nun,
Bei dir, als unserm Führer, anzufragen,
Was du beschließest, wenn es heimwärts geht? –
INGOMAR
halblaut vor sich hinsprechend.
Ich will ihr sagen – Nein, das nicht! Beim Himmel,
Es könnte scheinen – Nein, ich will ihr sagen,
Daß ich zufrieden bin mit ihrem Dienste,
Daß ich –
ALASTOR.
Du hörst nicht, scheint es –
INGOMAR.
Ich – Sieh da,
Alastor – Ja, du kamst und sagtest mir –
ALASTOR.
Ich sagte dir, der Bach sei ausgefischt,
Verscheucht ringsum das Wild in allen Wäldern,
Und kaum genüg' die Weide mehr den Herden.
INGOMAR.
Ja, ja, das war's!
ALASTOR.
Auch rückt die Zeit heran,
Die unser Volk daheim, um alte Schmach
Zu rächen, festgesetzt zum Fehdezug
Ins Land der Allobrogen.
INGOMAR.
Wie – ganz recht –
Der Fehdezug – ganz recht – so war's beschlossen –
ALASTOR.
Und jene fürchten nun dabei zu fehlen –
INGOMAR.
Dabei zu fehlen – Ich – der Ingomar!
Eh' fehlt dem Wetter Donnerschlag und Blitz,
Als ich dem Kampfe!
ALASTOR.
Nun, wir dachten's wohl,
Und so sag' an, wann denkst du aufzubrechen?
INGOMAR
halblaut vor sich hinsprechend.
Aufbrechen soll ich – heimwärts ziehen – heimwärts?
In ihre Heimat, in die meine nicht! –
Denn mir, mir ist, als wär' ich hier daheim,
Als wär' ich hier geboren, hätte hier
Zuerst zum Licht die Augen aufgeschlagen,
Als wär' ich nie gewesen, als erst hier! –

Laut.

Wo sind die andern?
[106]
ALASTOR.
Dort im Moos gelagert,
Am Waldsaum nehmen sie das Frühmahl ein.
INGOMAR.
Gib ihnen Met, solang der Vorrat reicht,
Und laß sie trinken! –
ALASTOR.
Wie, so brechen wir
Nicht auf?
INGOMAR.
Ich will bis morgen mir's erwägen –
ALASTOR.
Bis morgen –
INGOMAR.
Ja! Bis morgen, sag' ich. Geh!
ALASTOR.
Verändert scheinst du mir in Wort und Wesen,
Und kaum mehr kenn' ich dich! Wohlan, bis morgen!
Und kehre mit des Morgens lichtem Strahl
Besonnenheit und Einsicht dir zurück.

Er geht links im Hintergrund ab.
INGOMAR.
Mich kaum mehr kennen! Recht, das trifft ins Leben!
Ich kenn' mich kaum mehr selbst! Wie kommt das nur?
Ich bin wohl krank? Ja, ja, das mag es sein;
In Fieberträumen spinnt mein Geist sich ein,
Und irrend da und dorthin schweift die Seele!

Er wirft sich auf den Felsblock rechts im Vordergrunde; nach einer Pause.

Ich traf einmal ein Reh mit meinem Pfeile,
Und neben meinem Opfer, das ringsum
Das Moos mit seinem Herzblut tränkte, stand
Das Rehkalb da, unkundig der Gefahr,
Ja selbst des Endes, das die Mutter nahm;
Denn ganz noch Anfang war sein junges Leben. –
Und als ich näher trat, auf meine Schultern
Das tote Wild zu laden, lief mir's zu,
Und Futter nahm es an aus meiner Hand
Und sah mich arglos an mit klugen Augen!
Und immer dieses Auges mußt' ich denken,
Sooft ich in des Mädchens Auge sah;
Bald sprüht es Trotz, bald strahlend von Vertrauen
Läßt sorglos es den Grund der Seele schauen –
Der Kinderseele –

Aufspringend.

Sie und wieder sie
Und immer sie – Bei allen Göttern – Wie,
Hat Ingomar an Beßres nicht zu denken
Als an ein Weib, an einer Sklavin Augen? –

Becherschall und wüstes Trinkgelärm außer der Bühne.

Die jauchzen dort, und wie der Kriegsruf kündet,
Der freudig in der Becher Klang sich mischt,
[107] Würzt ihre Mahlzeit künft'ger Siege Bild;
Sie kämpfen schon im Geist und tilgen rächend
Der Väter Schmach in Allobrogenblut,
Und ich – Hinweg, ihr kränkelnden Gedanken!
Das Sturzbad wilder Schlacht kühlt heiße Schläfe,
In Feindesadern quillt der Heilung Born,
Und öffnen will ich sie und will genesen!
Mir Waffenklang und Kampf und Siegeslust;
Was sind mir Weiber –
Freilich sie – sie scheint
Aus anderm Stoff genommen als die andern,
Und denk' ich jener dort daheim, gehüllt
In zottig rauhe Felle, sonngebräunt,
Den Leib mit plumpem Zierat überladen,
Der Knechtschaft froh, mit schnöden Buhlerkünsten
Demütig werbend um des Herren Gunst,
So faßt mich Ekel an – und sie, die Griechin –

Becherschall und Zuruf außer der Bühne.

Kampf, ruft ihr – Kampf – Umsonst, kein Widerhall
Antwortet euch in meines Herzens Schlägen! –
Krank bin ich, krank, was immer auch mir fehle,
Ich fühl' es, krank im tiefsten Mark der Seele!

Er wirft sich wieder auf den Felsblock, während Parthenia rechts im Vordergrunde mit einem Körbchen am Arme auftritt und langsam, ohne Ingomar zu bemerken, dem Vordergrunde links sich zuwendet.
PARTHENIA.
Jetzt sitzen sie daheim und härmen sich
Und denken mich gequält, mißhandelt, tot;
Und wieviel besser ist mir's nicht ergangen,
Als sie befürchten, als ich selbst gehofft!
So träumt der Mensch, und nur die Götter wachen.
Es ist so schlimm nicht, dies Barbarenvolk,
Zwar wild und rauh und ungezähmter Sitte,
Doch treibt sie all' der Ingomar zu Paaren,
Und sieht er selbst gleich oft so grimmig drein,
Als wollt' er mir zum mindesten ans Leben,
So hat's mit dem doch eben nicht Gefahr;
Den fürcht' ich nicht, der läßt sich wohl bereden,
Der ist der Beste aus der ganzen Schar! –

Auf den Felsblock zugehend und Ingomar bemerkend.

Sieh da –
INGOMAR.
Du hier! Woher des Weges?
PARTHENIA.
Erdbeeren pflückt' ich dort im Busch! Sieh her,
Das volle Körbchen! Willst du?
[108]
INGOMAR.
Nein, nein!
PARTHENIA.
Nein! –
Dank, denk' ich, wär' so leicht gesagt als: Nein!
Dank, hörst du – Wie – was starrst du mich so an?
Du bist doch nicht –
INGOMAR.
Was sollt' ich sein? – Hinweg,
Ich will allein sein! Geh!
PARTHENIA.
Das mag geschehen!

Sie geht.
INGOMAR
aufspringend.
Du gehst, Parthenia! Nein, bleib bei mir! –
Mein Kopf ist wüst, und meine Pulse fliegen.
PARTHENIA
rasch umkehrend.
So bist du krank! Und sprich, was fehlt dir? Rede!
Ich hab' der Mutter manches abgelauscht
Und Kräutertränke weiß ich zu bereiten,
Bannsprüche gegen Schwindel herzusagen!
Was fehlt dir? Rede!
INGOMAR.
Nichts! Jetzt fehlt mir nichts!
Dein Atem, dünkt mich, löscht die Flamme aus,
Die Fieberbrand im Herzen mir entzündet,
Und deine Stimme sang das kranke Kind
In Schlaf! Doch früher – Wirre Träume faßten
Wie Wirbelwind die kreisenden Gedanken –
PARTHENIA.
Nun aber bist du wach?
INGOMAR.
Vom Zechgelag,
Vom Taumel der Genossen treibt mich's fort,
Mein Ohr flieht Schlachtenruf und Klang der Waffen;
Nach Stille lechzt mein Herz und träumt und träumt,
Errötet seines Traums und träumt ihn wieder –
Parthenia, ich wollt', du wärst ein Mann –
PARTHENIA.
Ein Mann?
INGOMAR.
O dann wär' alles, alles gut!
Du wärst mein Jagdgenoß, mein Waffenbruder,
Ich ginge wie dein Schatten neben dir,
Ich wachte, wenn du schliefst, ich trüg' dich, wärst
Du müde! Wie der Fels den Klang des Hornes,
Und wie der Bach der blauen Blume Schein,
Die blüht an seinem Rand, so gäb' mein Sinn
Nachbildend deiner Seele Regung wieder!
Dein Lächeln wäre meins, dein Schmerz wär' meiner,
Des Lebens ganzen Inhalt teilten wir;
Das Eigenste, Geheimste selbst der Seele,
[109] Des Herzens Schlag, die Keime der Gedanken –

Plötzlich innehaltend.

Ihr Himmlischen –
PARTHENIA.
Was hast du? Rede,
Was weht dich an?
INGOMAR
langsam vor sich hinsprechend.
»Zwei Seelen und ein Gedanke,
Zwei Herzen und ein Schlag!« –
PARTHENIA.
Das ist das Lied, das mich die Mutter lehrte.
INGOMAR
halb für sich.
Das ist das Lied, das mir den Sinn verkehrte,
Das war der Blitz, der das Gewölk zerriß!
PARTHENIA.
Nun träumst du wieder, scheint es –
INGOMAR.
Sprachst du nicht,
Lieb' sei ein Feuer, das ein Blick entzündet,
Das Träume nähren! – Ja, sie nährten es,
Und hoch zum Himmel schlagen seine Flammen!
PARTHENIA.
Wie? – Liebe, sagst du? –
INGOMAR.
Liebe, sprach die Mutter,
Lieb' sei ein Stern, zum Himmel uns zu führen,
So komm denn, komm! Es schimmern seine Strahlen,
Und hell und heiter liegt der Weg vor uns!
PARTHENIA.
Sein Auge funkelt, seine Wangen glühen! –
Ihr ew'gen Götter!
INGOMAR.
Laß die Götter oben
Im Schoß der Wolken ruhen! Nahmen sie
Mit sich doch, was die Welt an Reiz besessen;
Nur Liebe, sagst du, hätten sie vergessen,
So laß uns liebend selig sein, wie sie!
Parthenia, sei mein!
PARTHENIA.
Hinweg, du rasest!
INGOMAR.
Bei allen heißen Träumen meiner Nächte,
Bei allen Flammen, die mein Herz durchwühlen;
Der Becher schäumt, er soll getrunken sein –
Mein bist du, mein! –
PARTHENIA
ängstlich zurückweichend.
Wo berg' ich mich? Zurück!
INGOMAR.
Mein bist du –
PARTHENIA
den Dolch rasch gegen die eigene Brust zückend.
Steh! Es gilt mein Leben.
INGOMAR.
Halt!
Halt ein! Das Eisen weg! –

Sie halb bestürzt, halb unwillig von der Seite ansehend.

Wie ist mir nur –
[110] Was hält mich – Bin ich nicht ihr Herr? Ist sie
Nicht meine Sklavin? – –
Zornflammend blitzt ihr Auge auf mich her;
Ich hab' mich nie gefürchtet, und mir ist,
Als zwänge Furcht mir jetzt die Augen nieder!
PARTHENIA.
Ich Unglücksel'ge!
INGOMAR.
Unglückselig? – Wie,
Ich hab' dich wohl erschreckt; ich war zu rasch!
Doch rasch ist meine Art, und rauh mein Wesen,
Und Liebe –
PARTHENIA.
Liebe! Das war Liebe nicht!
Ich liebte nie und niemand als die Eltern,
Und dacht' ich je wie andere daheim,
Um Liebe mich der Heimat zu entfremden.
So dacht' ich mir, es müßt' ein treu Gemüt
In scheuem, leisem, zärtlichem Bestreben
Mich halb bezwingen, halb sich mir ergeben;
Es müßt' in mir den eignen Wert verehren,
Empfangen alles wollen, nichts begehren;
Es müßt' mich schützen wollen, leiten, tragen –
Doch was verschwend' ich Worte nur an dich!

Sie will gehen.
INGOMAR
ihr in den Weg tretend.
Bleib, sag' ich, bleib! Unwürdig achtest du
Mich deiner Worte? Weißt du, wer ich bin?
Ich bin ein großer Häuptling, klangvoll tönet
Durch alle Berge meiner Taten Ruf;
Ich bin dein Herr, und ehren, mein' ich, sollte
Dich deines Herren Gunst, und so bedenke,
Wer ich bin, und wer du?
PARTHENIA.
Wer ich bin? Ich! –
Parthenia bin ich, zwar des Myrons nur,
Des Waffenschmiedes, Kind, doch eine Griechin,
Massalias freie Tochter, aufgeblüht
Im heitern Dienste segensreicher Götter,
Genährt an milder Sitte Mutterbrust,
Gewiegt im Arm der Schönheit und des Maßes!
Du aber bist der rauhen Wälder Sohn,
Und wuchsest mit der Wildnis Tieren auf,
Und wärst du auch der Erste deines Volkes,
Uns bist du ein Barbar, ein Landverwüster,
Ein Rinderdieb, und wisse, wir daheim,
Wir stäupen Diebe aus und kreuz'gen Räuber!
INGOMAR.
Vermessene!
[111]
PARTHENIA.
Und nun, da dies gesagt,
Nun atm' ich auf, und nun bedenke du,
Wer du bist, und wer ich?
INGOMAR.
Wie, wagst du – Hohn
Und Spott – mir Hohn! – Nun denn, bei allen Göttern,
Erfahre, Sklavin, wie man Sklaven zwingt!
PARTHENIA.
Ihr zähmt mit Durst und Hunger sie vielleicht,
Ihr lehrt sie wohl mit Geißelschlägen Liebe?
Doch Sklaven lieben nicht; sie fürchten nur
Und hassen, und so hass' ich dich, und nichts,
Nichts, wisse, wird Gewalt von mir ertrotzen,
Als eins, das schlimmer noch als Haß –
INGOMAR.
Verstumme!
Bei meinem Zorn! Kein Wort mehr –
PARTHENIA.
– als Verachtung!
INGOMAR.
Das büß' mit deinem Blute!
PARTHENIA.
Nimm es hin!
INGOMAR
der mit gezücktem Schwerte auf Parthenia zugestürzt, plötzlich innehaltend.
Nein! Eh' mein Leben!

Das Schwert entsinkt ihm.

Wehe mir!
Ich will und kann nicht! Zorn entflammt mein Blut;
Die Welt und mich möcht' ich in Stücke reißen;
Ich bin nicht ich mehr – Meine Kraft ist hin!

Er wirft sich in der heftigsten Bewegung zu Boden.
PARTHENIA
nach einer Pause.
Was war das? Hier sein Schwert zu meinen Füßen,
Das blitzend erst noch meinem Haupt gedroht!
Er hingestreckt und kaum der Sinne mächtig –
Was war das? Tat ich ihm zu hart? Zu hart! –
Wo kam der Zorn hin, der mein Herz erfüllte?
Sein Dünkel – war's auch Dünkel –
Seh' ich recht?
Du weinst – Was weinst du, Ingomar?
INGOMAR
aufspringend.
Ich weinen!
Ein Weib mag weinen! Ich – ich weine nicht! –
Krank bin ich, krank! Nichts weiter. Mich verachten!
Der Heimat Ruhm und Stolz, der Feinde Schrecken –

Nach einer Pause, sie ein paar Augenblicke zornig anschauend.

Zieh hin! Ich kann dich missen! Meintest du,
Ich könnt' es nicht? – Ich kann es – Ziehe hin!
Frei bist du, hörst du, frei! Frei wie ich selbst!
[112] Zieh hin zur Heimat! Fort! Kein Säumen!
Dein Atem weht mich an mit Fieberträumen,
Dein Blick vergiftet! Fort, zur Stelle fort!

Er stürzt im Vordergrund der Bühne ab.
PARTHENIA.
Er geht und geht im Zorne! – Mag er zürnen;
Gerecht nur war es, seinen Stolz zu kränken,
Wenn prahlend meinen der Barbar verletzt!
Mit Fieber, sprach er, weht mein Hauch ihn an!
Und fort, fort soll ich auf der Stelle! Nun,
Er soll's nicht zweimal sagen – Ich bin frei;
So tragt mich denn zur Heimat, leichte Schritte!
Die Mutter winkt, der Vater öffnet mir
Die Arme –

Innehaltend.

Wie? Und soll in Groll und Hader
Von ihm ich scheiden, der der Knechtschaft Joch
So leicht mir machte, der mir Freiheit gab;
Denn tat er's auch im Zorn, er tat's! Und ich –
Beim Strahl des Tages, ich erwart' ihn hier;
Er muß des Weges hier zurück! Und dann –
Der Augenblick legt wohl das rechte Wort
Mir auf die Lippen, und sein Groll wird fliehen,
Und leichtern Herzens werd' ich heimwärts ziehen! –

Während sie sich auf den Felsblock setzt, auf den sie früher das Körbchen hinstellte, treten Ambivar, Samo und Trinobant, die während der letzten Rede Parthenias im Hintergrunde rechts erschienen sind, allmählich in den Vordergrund.
SAMO.
Bis morgen, sprach er, will er's überlegen!
AMBIVAR.
Und morgen sagt er wieder so, und so
Kommt's nie zum Aufbruch –
TRINOBANT.
Schlag' der Donner drein!
Hier still zu liegen –
AMBIVAR.
Und die Unsern treten
Indes die Heerfahrt an ins Allobrogenland
Und nehmen uns den besten Raub vorweg –
SAMO.
Wir dulden's nicht!
TRINOBANT.
Kommt! Kommt zu Ingomar!
Wir wollen heut noch fort –
AMBIVAR.
Ihr wollt, doch er –
Er liegt im Moos und tändelt mit der Griechin,
Hört Lieder an, läßt Märchen sich erzählen –
TRINOBANT.
Die Griechin, sag' ich, ist an allem schuld,
Die hält ihn –
SAMO.
Ja, das Weib hat ihn verhext!

Sie sprechen leise fort.
[113]
PARTHENIA.
Er kommt nicht! Sagt' er nicht, er fühl' sich krank!
Er sagte so, gewiß, er ist es auch!
Sein Antlitz glühte bald, bald sah er blaß,
So blaß, und wenn er nun – bei allen Göttern,
Mir schlägt das Herz – dort in des Busches Schatten
Verborgen späh' ich seinen Spuren nach! –

Sie geht rasch über die Bühne und verschwindet links im Vordergrunde.
AMBIVAR.
Es ist nicht anders, glaubt mir, als ich sage;
Nicht eher bricht der Ingomar uns auf,
Als bis die Griechin fort –
TRINOBANT.
Doch ist sie sein!
AMBIVAR.
Nichts da! Noch ward die Beute nicht verteilt,
Und unser ist sie noch, so gut als sein!
SAMO.
Recht, unser ist sie!
TRINOBANT.
Und wohin mit ihr?
AMBIVAR.
Ein Fahrzeug, weiß ich, ankert an der Küste;
Kaufleute von Karthago sind es! Seht,
Dort bringen wir sie hin! Die geben Schwerter,
Armbänder, Schuppenpanzer uns für sie.
SAMO.
So sei's!
AMBIVAR.
Ans Werk denn!
TRINOBANT.
Doch der Ingomar,
Wenn er erfährt –
AMBIVAR.
Das mag er, wenn's getan!

Für sich.

Schuft hat er mich genannt, und ich will's sein,
Zahl' heut ich nicht noch meine Schuld ihm heim.
SAMO.
Da kommt sie –
AMBIVAR.
Still! Hierher! Kommt hier herüber!

Sie ziehen sich in den Hintergrund der Bühne rechts zurück, während Parthenia links im Vordergrunde aus dem Gebüsche tritt.
PARTHENIA.
Im Moose liegt er hingestreckt und birgt
Das Antlitz in den Händen, und sie zittern,
Und schwer aufatmend hebt sich seine Brust!
Ist dieses Krankheit, oder –
Ew'ge Götter!
Ich fürchte, mich auch faßt das Übel an!
AMBIVAR
der indes mit seinen Gefährten Parthenien, die, in Gedanken versunken, dasteht, unbemerkt näher geschlichen.
Nun angefaßt, Gesellen!

Die Tectosagen fassen sie bei den Armen und halten sie fest.
PARTHENIA.
Halt, zurück!
Was wollt ihr?
[114]
SAMO.
Still, mein Hühnchen, still!
PARTHENIA.
Fort! sag' ich, fort –
TRINOBANT.
Still, Mädel, oder –
PARTHENIA.
Nein,
Ihr sollt nicht, laßt –
AMBIVAR.
Ins Dickicht fort mit ihr!
PARTHENIA
während sie von den Tectosagen rechts im Vordergrunde der Bühne ins Gebüsch gezogen wird.
So rettet ihr, ihr Rächer in den Wolken!
Helft – rettet –

Schon außer der Bühne.

Ingomar! –
INGOMAR
rasch links im Vordergrunde der Bühne auftretend.
Wer rief da? War's
Nicht ihre Stimme?

In die Szene blickend.

Ambivar – Ein Schwert –
Ein Schwert!

Er rafft das Schwert, das er früher fallen ließ, vom Boden auf.

Ha hier, und Blut soll's trinken! –

Rasch im Vordergrunde der Bühne rechts ab; nach einer kurzen Pause stürzt Parthenia aus dem Gebüsche hervor.
PARTHENIA.
Weh mir! Entsetzen!
INGOMAR
das Schwert in der Hand, ihr auf dem Fuße folgend.
Bleib, was fliehst du? Bleib,
Ich bin's ja! Ich! – Wie blaß du siehst! – Du wankst,
Parthenia! – Laß meinen Arm dich stützen! –
PARTHENIA.
Weg, deine Hand ist blutig!
INGOMAR.
Er ist tot,
Und möge sein Geschick die andern warnen! –
Du senkst dein Haupt! – So roh und täppisch faßten
Die rohen Hände meine Blume an! –
Was zitterst du – Wärst du verletzt – Verletzt –
Sie sollen's büßen, alle! – Mann für Mann
Im Staube schleif' ich her zu deinen Füßen!
PARTHENIA.
Horch'! Schritte, Waffenklang –
INGOMAR.
Ich bin bei dir,
Und keine Macht der Erde soll dich kränken!
PARTHENIA.
Dort! dort! Weh mir, sie kommen –
INGOMAR.
Laß sie kommen!
wie Adlerflügel rauscht es mir ums Haupt;
Wie Götterweihe zuckt's durch meine Glieder,
[115] Und streckt mich nicht ein Blitz vom Himmel nieder,
All dem, was Menschen können, biet' ich Trotz!

Während der letzten Worte Ingomars sind nach und nach Alastor, Trinobant, Samo, Novio und andere Tectosagen mit Speeren, Schwertern und Keulen bewaffnet, im Vordergrunde rechts in drohender Haltung aufgetreten.
INGOMAR
auf sie zuschreitend.
Ihr dort, sagt an, was soll's? Was bringt ihr? Redet!
ALASTOR
nach einer Pause.
Blut ward vergossen, und es schreit um Rache;
Du trafst den Ambivar mit deinem Schwert –
INGOMAR.
So tat ich, weil die Hand er frevelnd legte
An diese hier, die mein!
ALASTOR.
Sie ist nicht dein;
Gemeingut bleibt die Beute bis zur Teilung,
So ward beschlossen –
SAMO.
Gib das Weib heraus!
NOVIO.
Ergreift sie –
INGOMAR.
Kommt heran, ihr alle!
PARTHENIA
sich Ingomar in die Arme werfend.
Halt!
Zu viel sind ihrer! Halt! Sie töten dich –
INGOMAR.
Weg, Weib, wo Männer streiten! Kommt heran!
ALASTOR
zwischen Ingomar und die Tectosagen tretend.
Halt, sag' auch ich, und hört mich an, Gefährten!
Wir wählten dich zum Führer, Ingomar,
Und sprachen dir der Beute Fünfteil zu,
Daß einer sei, der Zwist und Hader schlichte,
Der unsern Vorteil wahre, unser Recht;
Du aber gibst dich träger Ruhe hin
Und eignest trotzig dir die Sklavin zu
Und schlägst in raschem Zorn den Kampfgenossen!
So brachest du, des Rechtes Schutz und Schirm,
Mit doppelter Gewalttat Recht und Frieden
Und übel lohnend ehrendes Vertrauen –
INGOMAR.
Ich brach nicht Recht und Frieden! Jener tat's,
Der, diese raubend, euch wie mich bestohlen
Und sonst auch vielfach sein Geschick verdient!
Was aber eure Wahl betrifft, so wißt:
Ich bin es müd', euch, übermütig Volk,
In Zaum zu halten; wählt denn eure Wege
Von nun an selbst; ich sag' mich los von euch! –
Die hier bleibt mein, der Beute Fünfteil aber,
Mir zugesagt als meiner Mühe Lohn,
Als Wehrgeld nehmt für Ambivar es hin
[116] Und als Ersatz für diese! Geht ihr's ein,
So sprecht; wo nicht, so laßt das Schwert entscheiden!
TRINOBANT.
Der Beute Fünfteil –
NOVIO.
Sagt' er wirklich so?
ALASTOR.
Zehn Rinder fielen mindestens ihm zu,
Das Doppelte an Schafen –
SAMO.
Ei, das wäre!
ALASTOR
nach einer kurzen Pause des Flüsterns mit den übrigen.
Ich denke, wir sind einig! Ingomar,
Du forderst keinen Anteil an der Beute?
INGOMAR.
Ich sagte so!
ALASTOR.
So ist die Sklavin dein,
Und lenkst du jetzt zur Heimat unsre Schritte,
So wollen treu, wie vor, wir dir gehorchen.
INGOMAR.
Mein Sinn steht fest! Ich sag' mich los von euch!
Ich will zu unsern Nachbarn, den Avernern,
Den Pyrenäen zu, und neue Länder
Und andre Sitte sehen! Zieht denn hin;
Ich bleibe –
ALASTOR.
Doch bedenk', der Fehdezug
Ins Allobrogenland –
INGOMAR.
Es ward bedacht;
Fahrt hin!
ALASTOR.
Fahr hin auch du! Ihr aber brecht
Die Zelte ab und laßt uns heimwärts ziehen!
INGOMAR
während Alastor und die übrigen Tectosagen sich allmählich langsam entfernen, zu Parthenia.
Nun, Mädchen, sei getrost! – Sie ziehen ab,
Und wär' dein Zittern, dein Erbleichen nicht,
Sie kämen nicht so leichten Kaufs davon!
Und nun verscheuch' die Angst aus deinen Zügen;
Hier sitz und ruhe!
PARTHENIA.
Ingomar, hab' Dank!
INGOMAR.
Wie, Dank? Wofür?
PARTHENIA.
Ich weiß, du tatest nur,
Was dir dein Herz gebot; doch daß dein Herz
Dir so gebot, und daß, daheim verhöhnt,
Ich in der Wildnis einen Retter fand,
Dafür laß mich in dir den Göttern danken! –
Gedenke mein, die deiner treu gedenkt,
Und so leb' wohl!
[117]
INGOMAR.
Leb' wohl – Was sagst du? Wie,
Du willst nicht ins Avernerland mir folgen –
PARTHENIA.
Du schenktest mir die Freiheit, laß mich denn
Zur Heimat ziehen –
INGOMAR.
Ich – Dir Freiheit schenken –
Ich – träumst du? –
PARTHENIA.
Wie? Du nimmst dein Wort zurück?
INGOMAR.
Mein Wort – fürwahr – mir ist, als hätt' ich – Gab
Ich dir mein Wort, so gilt's, und so zieh hin!
PARTHENIA.
Hab' Dank!
INGOMAR.
Nein, nein! Parthenia, mir ist,
Als sollt' kein Tag mehr sein auf Erden, als verlöschte
In ew'ge Nacht der Sonne heitrer Schein! –
Ich kann's nicht glauben, daß du gehen willst! –
PARTHENIA.
Die Eltern harren ihres Kindes –
INGOMAR.
Ja,
So ist's, und so zieh hin –
Nein, nein – Bedenke
Den dunklen Wald, der Klippen Schwindelrand,
Der grausen Klüfte tosendes Gewässer,
Und lauernd in den Höhlen Wolf und Bär,
Und du – du willst allein –
PARTHENIA.
Ich kam allein,
Und also kehr' ich heim!
INGOMAR.
Du sollst nicht – Nein,
Alastor soll und Novio dich geleiten!
Heda, herbei!
PARTHENIA.
Nein, eher Bär und Wolf
Als jene Wilden –
INGOMAR.
Wie, du meinst – Fürwahr,
Das hieß' dem Wolf des Lammes Hut vertrauen!
Nun denn –

Rasch herausbrechend.

Ich will dich selbst geleiten –
PARTHENIA.
Du? –
INGOMAR.
Was siehst du mich so forschend an? Du meinst,
Ich wär' viel besser nicht als jene? – Nein,
Parthenia, ich bin nicht, der ich war!
Nie kannt' ich Furcht, und kaum als Kind nur Tränen,
Und beide hast du heute mich gelehrt;
Mich fürchte nicht mehr! Glaub', vertraue mir;
Die Götter alle ruf' ich an zu Zeugen –
[118]
PARTHENIA.
Nein, schwöre nicht! Mir ist, als spräch' dein Auge
Viel treuer, heiliger, als Schwüre können,
Und spräch' es Lüge, so wär' alles Trug! –
Wohlan, geleit' mich denn und sei mein Führer!
INGOMAR.
Du willigst ein – So komm, ich will dich führen;
Der Wälder kühlste Schatten such' ich auf,
Den weichsten Rasengrund; vor jedem Steine,
Vor jedem Dornbusch warn' ich dich: Hab' acht!
Und geht's bergan, so soll mein Arm dich stützen –
Nein, nein – nicht stützen – tragen soll er dich –

Er will sie umschlingen.
PARTHENIA
zurückweichend.
Bin ich ein Kind, daß du mich tragen willst?
Ich bin geübt im Wandern, Steigen, Klettern,
Und sorge nicht, ich halt' dir gleichen Schritt;
Nicht deines Armes braucht es, nur der Hand,
Die da und dort den rechten Weg mir zeige.
INGOMAR.
Du also meinst –
PARTHENIA.
Ich mein', du gehst voran –
Wegweisern ziemt es ja, voran zu schreiten –
Ich aber folg' dir nach –
INGOMAR.
Du folgst mir nach –
PARTHENIA.
Und droht Gefahr –
INGOMAR.
Ich wend' sie dir vom Haupte.
PARTHENIA.
Zuzeiten auch auf ebnem Pfade gehen
Wir nebeneinander hin und plaudern eins,
Und daß du nicht mit leeren Händen gehest,
So nimm das Körbchen mit den Erdbeern dort!
INGOMAR.
Das Körbchen –
PARTHENIA.
Ja, das Körbchen – Willst du nicht?
INGOMAR.
Ich will, gewiß, ich will –

Er nimmt das Körbchen.
PARTHENIA.
Ich aber – Sieh,
Ich will dagegen Speer und Schild dir tragen –
INGOMAR.
So schwere Last –
PARTHENIA
die indessen den am Baume lehnenden Speer erfaßt und den Schild aufgenommen.
Nein, laß – mir macht's Behagen!
Von jeher war ich blanken Waffen gut;
Es steckt mir wohl vom Vater her im Blut! –
Und nun, was säumen wir – du hast den Korb –
Ich denk', wir gehen! – Hörst du? – Ei, du bist
So ernst, so still –
[119]
INGOMAR.
Mir ist, als träumt' ich – Komm,
Der nächste Weg führt dort hinab am Bach!
PARTHENIA.
Voran denn, Führer, und ich folg' dir nach!

Ingomar, das Körbchen tragend, geht rechts im Vordergrunde ab; Parthenia, den Schild am Arm, den Speer in der Rechten, folgt ihm; der Vorhang fällt.

4. Akt

Vierter Akt.

Waldgegend; im Hintergrunde Aussicht auf das ferne Massalia und einen Teil des Meeres; links im Vordergrunde eine felsige, dicht mit Gebüschen bewachsene Anhöhe, von der ein schmaler Steig gegen die Mitte der Bühne zu herabführt.


Myron, Adrast und Elpenor treten im Hintergrunde der Bühne rechts auf.

MYRON.
Schmach, sag' ich, Schmach! Es hilft der Wolf dem Wolf;
Des Busches eine Ranke hilft der andern
Und hält den Arm fest, der die Rose brach;
Doch jenes Vipernnest, das prahlt mit Recht
Und milder Sitte, doch Massalia sieht,
Ohn' eine Hand zu regen, seine Bürger
Zum Raub der Knechtschaft werden; unerhört
Verhallt ihm seiner Kinder Hilferuf –
Schmach, sag' ich, Schmach –
ADRAST.
Du weißt wohl selbst, so will's
Der Väter Brauch; die Stadt schirmt ihre Bürger,
So weit der Schatten ihrer Mauern reicht,
Und da nun jene fern dich im Gebirg'
Ergriffen –
MYRON.
Ei, die Stadt schirmt ihre Bürger,
So weit der Schatten ihrer Mauern reicht;
Das heißt wohl, bleib daheim, so bist du sicher;
Wo nicht, so schirm' dich selbst! O weise Satzung,
O väterlicher Schutz! –
ELPENOR.
Der Ahnen Sitte
Und Sorge für das allgemeine Wohl –
MYRON.
Der Ahnen Sitte! Seid ihr eure Ahnen?
Gemeinwohl? Wie! Ist mein, des Myron, Wohl
Nicht etwa auch ein Stück Gemeinwohl? – Schmach,
Schmach, sag' ich, Schmach euch allen! Erst versagt
Des Vaters Lösung ihr dem Kind, und da
Es, folgend seines Herzens frommem Drang,
Der weiter reicht als eurer Mauern Schatten,
Sein eignes Haupt für meins ins Joch geschmiegt,
[120] Nun weigert ihr mir eine Hand voll Leute,
Mein einzig Kind den Räubern abzujagen;
Und Griechen seid ihr; und ihr prahlt mit Bildung,
Herzloses Volk!
ELPENOR.
Du schmähst Massalia
Vielleicht mit Recht! Doch tritt nicht uns zu nahe;
Wir blieben deinem Schmerz nicht fremd.
ADRAST.
Und wenn
Wir lässig erst uns deinem Kind gezeigt,
Als Hilfe sie für dich von uns erfleht,
So war's, weil rascher sie der Rettung Pfad
Gefunden, als wir Trost und Rat –
MYRON.
Ja sie – sie ist
Ein Weib an Liebe und an Mut ein Mann!
Ihr beide aber – eure Hände her!
Ihr meint es ehrlich, ihr seid treue Herzen;
Nur jene andern, nur der Polydor –
Mir schwillt die Galle, wenn ich sein gedenke –
Die haben all' mein armes Kind verlassen
Und sprachen eines Vaters Flehen Hohn!
ELPENOR.
Wir helfen dir! Wir bieten dort am Strand
Die Fischer auf; zwar Eingeborne sind's
Des Landes, Salier, doch uns befreundet
Und aufgesäugt im Haß der Tectosagen!
ADRAST.
Der alte Rhesus hat uns zugesagt,
Nun gilt es noch, den Arbogast gewinnen!
MYRON.
Ja, kommt, deswegen sind wir hier! Wir wollen
Zu jenen Fischern hin und sie bereden!
Ist's hart gleich, daß Massalias Sohn, ein Grieche,
Barbarenvolk anwerben muß zum Kampf
Mit ihresgleichen; dennoch kommt! O lähmte
Nicht Alter meine Kraft, ich wär' mir Mann
Genug, allein sie loszukämpfen! Doch
Hinweg, zu Arbogast –
ELPENOR.
Ich poch' indes
An Astors Hütte dort im Erlenbusch;
Der, weiß ich, steht zu uns mit Leib und Leben!
MYRON.
Recht, such' ihn auf und bring' uns Kunde dann,
Wir treffen uns im Moose bei der Eiche;
Und nun, hinweg! Sie säumte nicht so lang,
Als kühn zu mir sie durch die Wildnis drang!
Fort, sag' ich, fort!

Elpenor geht links im Hintergrunde ab, Myron und Adrast im Vordergrunde rechts.
[121] Nach einer Pause erscheint zuerst Ingomar, dann Parthenia links im Vordergrunde auf der Felsenhöhe.
INGOMAR.
Hierher, Parthenia!
Hier führt der Weg!
PARTHENIA.
Dort führt er, mein' ich –
INGOMAR.
Nein,
Dort geht es in die finstre Schlucht hinab,
Wo Molch und Schlange hausen, und hier führt
Der Weg ins Freie!
PARTHENIA.
Nein, dort geht's ins Freie,
Und warum sollt' ich –
INGOMAR
indem er sie bei der Hand faßt und sie während der nächsten Reden, langsam vor ihr hergehend, von der Höhe hinabführt.
Nein, tu's nicht! Gedenk',
Wie gestern noch im Moor – ich riet vergebens –
Hartnäckig du dem eignen Sinne folgtest;
Wie plötzlich unterm Fuß der Grund dir wich,
Und riß ich nicht den Schild dir rasch vom Arme
Und warf ihn hin, daß Halt die breite Fläche,
Den Schritt zurückzuziehen, dir gewährte –
PARTHENIA.
Fürwahr, ich wär' versunken!
INGOMAR.
Und ich wär's
Mit dir!
PARTHENIA.
Ich weiß, du wärst mit mir versunken! –
Ich brachte Unheil über deine Waffen;
Im Moorgrund liegt dein Schild, und heute nacht
Auf jener Heide, wo Gestrüpp und Moos
Nur spärlich Feuerung uns bot, zerbrachst
Du deinen Speer, mit seiner Trümmer Glut
Vor rauhem Nachtfrost schützend mich zu wahren!
Du treuer Führer! –
INGOMAR.
Hier, hierher den Fuß!
PARTHENIA.
Ich weiß, du meinst mir's gut, und immer führtest
Du mich den besten Weg, nur, dünkt mich, jetzt –
INGOMAR.
Auch jetzt! – Denn sieh, hier lichtet sich der Wald,
Und zu der Ebne neigt sich das Gebirge!
PARTHENIA.
Beim Himmel, du hast recht! – Des Waldes Schatten
Liegt hinter uns, auch ist mir fast, als wenn –
Ich kenne diese Gegend! – War's nicht hier,
Wo, für den Vater von der Heimat scheidend,
Ich betend an der Schwelle des Gebirges
Mich niederwarf und zu den Göttern flehte
Um Mut und Kraft und Sieg –
[122]
INGOMAR.
Hier, meinst du? Nein!
Gewiß, du irrst; die Heimat ist noch ferne;
Sie muß noch ferne sein –
PARTHENIA.
Nein hier, hier war's!

Sich gegen den Hintergrund wendend.

Und sieh, dort wogt das Meer, dort ragt verklärt
Im Purpurlicht der Tempel Artemis',
Massalias Burg, des Vaterhauses Dach!

Kniend.

Und wieder werf' ich hier im Staub mich nieder;
Ihr Himmlischen, die meinen Pfad bewacht,
Habt Dank; der Liebe Sendung ist vollbracht,
Und gnädig führt ihr mich zur Heimat wieder!
INGOMAR
für sich.
Ich wollt', ich läg' im Moor bei meinem Schilde –
PARTHENIA
aufspringend.
Die lieben Eltern werd' ich wiedersehen,
In ihre Arme freudeweinend sinken,
Von ihren Wangen Freudetränen trinken! –
O sei gegrüßt mir, meiner Väter Stadt!
Wie Götterlächeln spielt dir Abendhelle
Um Tor und Säulengang, um Turm und Wälle!
O lang noch in der Lüfte zitternd Blau
Streck' ruhmgekrönt empor die stolzen Zinnen;
Jahrhunderte laß kommen und verrinnen,
Du steh und prange, meines Volkes Bau!
Und du – so sprich doch –
INGOMAR.
Ich, was sollt' ich sagen?
PARTHENIA.
Wie, schmollst du, wie ein übellaunig Kind,
Wenn Freude meiner Seele Flügel leiht?
Du trugst mit mir der Sonne Mittagsbrand,
Der Nächte Frost, des rauhen Pfades Mühen,
Und freutest dich am Ziele nicht mit mir?
INGOMAR.
Mich freuen! – Nein, ich kann nicht, und – beim Himmel,
Ich will auch nicht, und warum sollt' ich auch?
Läg' jene Stadt im Meeresgrund versunken,
Und ging das Schiff hin über ihre Zinnen,
Und ragte statt der Türme Rohr und Schilf!
PARTHENIA.
Was faßt dich an?
INGOMAR.
Am Ziele, sagst du – Ja,
Wir sind am Ziel, und soll ich des mich freuen?
Allein mit dir, der Himmel über uns,
Und ringsum Wald und Moor und tiefes Schweigen,
Da freut' ich mich; da war ich deine Welt,
[123] Ich, ich allein; die Stille war so dumpf,
So weit die Wildnis, und Gefahr so nah,
Da rückten wir zusammen, Seel' an Seele;
Jetzt aber werfen ihre frost'gen Schatten
Dort jene Mauern zwischen uns und scheiden,
Was Mühsal knüpfte, Einsamkeit verband!
PARTHENIA.
Nichts scheiden sie – Und doch – Wie kommt das nur –
Fürwahr, jetzt denk' ich's erst – wir sollen scheiden! –
INGOMAR.
Was sagst du – scheiden – Ja, fürwahr, das ist's!
Das also krampfte mir das Herz zusammen
Beim Anblick jener Stadt? Der Name nur
Gebrach, er ist gefunden! Scheiden! – Ja,
Wir müssen scheiden; denn was sollt' ich dort
Bei feinen Griechen, ich, der rohe Wilde,
Umhegt von Mauern, ich, der freie Mann?
Wir müssen scheiden! Noch ein Gruß, ein Blick,
Und dorthin abwärts wendet sich dein Pfad,
Und meiner führt zurück in meine Berge;
Dein Schritt verhallt, und alles ist geschehen! –
Ich wollte, Weib, ich hätt' dich nie gesehn! –
PARTHENIA.
So wollt' ich auch und wollte – Laß uns scheiden,
Es muß so sein.
INGOMAR.
Es muß! Und wenn ich nun
Mit starkem Arm dich faßte, wie der Geier
Die Taube faßt, und trüg' dich – Nein, das war,
Und ist vorüber! Was besäß' ich auch,
Besäß' ich dich, und deine Liebe fehlte?
Du liebst nur, weiß ich, wenn ein treu Gemüt
In leisem, scheuem, zärtlichem Bestreben
Dich halb bezwungen, halb sich dir ergeben!
Du willst geleitet sein, geschützt, getragen,
Und tat ich das nicht? Führt' ich dich nicht treu
Durch Wald und Schlucht am falschen Moor vorbei?
Und trug ich nicht den Waldstrom dich herüber?
Und senkte sich der Abend trüb und trüber,
Da macht' ich Feuer, bis der Schlummer kam,
Dich, müdes Kind, in seine Arme nahm;
Da saß ich dann, die Träume dir zu hüten,
Die rosig hell um deine Lippen blühten!
Ich war ein treuer Führer! – War ich's nicht?
PARTHENIA.
Mir dunkelt's vor den Augen!

Ingomar die Hand reichend.

[124] Ja, du warst
Ein treuer Führer!
INGOMAR.
Sieh, ich hielt dir Wort,
So täusche denn auch du nicht mein Vertrauen!
Nichts mehr von Scheiden! Bleib bei mir! Sei mein!
Der Besten einer bin ich meines Volkes,
Und reiche Beute wahrt mein Zelt daheim!
Und fürchte nicht den Zwang der fremden Sitte;
Fog' deiner Heimat Brauch, und frei wie ich,
Nicht Magd, des Hauses Herrin fühle dich,
Nur dir gehorchend, nur der Macht der Bitte!
Komm, sag' ich, komm! Ich bau' uns eine Hütte,
Umschattet von des Waldes Wipfeldach,
Davor ein Wiesfleck, nebenbei der Bach,
Rings alles grün und still, und Abendschein
Und Waldduft quillt durch Tor und Tür herein!
Komm, sag' ich, komm! Ich mein' den Ort zu sehen;
Sprich: ja! sei mein, bald soll die Hütte stehen!
PARTHENIA
abgewendet, für sich.
Weh mir! Wie Honig saugt mein trunknes Ohr
Die süßen Worte!
INGOMAR.
Wie, du senkst dein Auge?
Du schweigst? Mißtraust du mir? Beim ew'gen Himmel,
Ich sprach dir wahr! Ich will dich halten mit
So leisem Druck, so zärtlichem Berühren,
Wie deine Hand den Kranz, an dem sie windet;
Am Auge seh' ich jeden Wunsch dir ab,
Jetzt denkst du's, und es ist; ich schaff' dir täglich
Den feisten Hirsch, das zarte Reh ins Haus;
Dir zinse, was im Flusse Flossen regt,
Und was auf Flügeln durch die Lüfte strebt!
Kein Fahrzeug leg' an unsern Küsten bei,
Das Zoll dir nicht von seinen Waren gäbe,
Reich sollst du sein, geehrt – die Wort' versagen!
Was nur ein Mann vermag, das sollst du haben,
Nur mein sei, mein, und nichts von Scheiden mehr!
PARTHENIA
in heftiger Bewegung.
Nein, nein! Hinweg! Verstummt, Sirenenlieder!
INGOMAR.
Du willst nicht?
PARTHENIA
sich fassend.
Hör' mich an!
INGOMAR.
Du glaubst mir nicht –?
PARTHENIA.
Mich hören sollst du! Sieh, ich bin dir gut,
Und mehr gut, als du meinst, und wüßtest du –
[125] Doch das bleibt zwischen mir und meinen Göttern –
Genug! Wir Mädchen, wisse, wir daheim,
Ist unsre Wahl auch frei, wir achten heilig
Der Eltern Rat, der unsre Neigung lenkt,
Und meine Eltern, weiß ich –
INGOMAR.
Sie sind fern –
PARTHENIA.
Ihr Bild lebt hier, und hier spricht ihre Stimme;
Wie, spricht sie, wie, du wolltest, kaum entronnen
Dem Joch der Knechtschaft durch der Götter Huld,
Dem Fremden folgen, willst der Eltern Nähe,
Des milden Brauchs der Heimat dich begeben,
Sein Weib, des Feindes Weib zu werden, fremd
Wie er, die Gattin des –
INGOMAR.
Was hältst du inne?
Sprich, sag's heraus! Die Gattin des Barbaren!
So nennt ihr's, weiß ich, und so meinst du's ja!
PARTHENIA.
Ich meine, daß du edel bist und gut;
Ein lichter Stern, nur von Gewölk umschattet,
Ein Krug voll edlen Weines, nur der Kranz
Gebricht, und schlöss' nicht, wie der Muschel Hülle
Der Perle Glanz, der Heimat rauhe Sitte
Das reiche Kleinod deines Herzens ein,
Du möchtest eines Weibes Stolz wohl sein;
Verstummen müßt' der Neid vor deinem Werte,
Selbst Schmähsucht, ob ein Opfer ihr entrann,
Müßt' grollend flüstern: Ja, das ist ein Mann!
Das müßt' sie, wärst ein Grieche du geboren,
Wär' Recht, Gesetz und Ordnung dir nicht fremd,
Wär' Stärke nicht dein Gott, das Schwert dein Richter!
Doch ist es so –
INGOMAR.
Fahr fort! Behalte nichts
Zurück! Sag' alles, leer' den ganzen Köcher!
PARTHENIA.
Ungleich begabt der Götter Huld die Menschen;
Dem wirft sie Reichtum, jenem Armut zu,
Doch Liebe achtet's nicht; der prangt mit Reizen,
Die jenem fehlen; Liebe achtet's nicht;
Doch eins muß sein, in dem der Herzen Schlag,
In dem der Flug der Seelen sich begegnet,
Ein Göttliches, das ihnen leuchtend strahlt
In allen Stürmen, Recht muß sein und Sitte;
Gemeinsam Recht, gemeinsam heil'ge Sitte
Muß binden, was sich liebt, daß Achtung läutre
Und Dauer leihe rascher Jugendglut,
[126] Und das ist's, das! Ein Meer liegt zwischen uns –
Ein Abgrund, Berge füllen ihn nicht aus –
Ich eine Griechin, du ein Tectosage –
INGOMAR.
Ein Tectosage! Sprich nur, wie du's denkst,
Und sag': Ein Rinderdieb, ein Landverwüster,
Ein Wegelagrer –
PARTHENIA.
Ingomar!
INGOMAR.
Das ist's!
Ich merkte deine Worte! Ja, das ist's;
Du schämst dich mein! Genug, zuviel! Fahr hin!
Wir müssen scheiden, sprachst du, – du sprachst wahr,
Es muß so sein, so sei's –
PARTHENIA.
Und zürnend willst
Du scheiden! Bleib, ich lass' dich nicht, du sollst
Mich hören erst –
INGOMAR.
Ich will nicht hören mehr;
Mein Ohr ist übervoll von deinen Worten!
Doch zürnen – Nein! – Du sprichst, wie dort sie sprechen;
Ich aber fühl' getrost in tiefstem Herzen,
Wir sind auch Männer, wir Barbaren. Prahlt
Mit mildem Brauch, meßt ängstlich eure Schritte;
Gerader Sinn geht über alle Sitte
Und wächst auch wild auf, wie der Baum im Wald!
Dies merk' und denke meiner – und – Genug –
Leb' wohl –

Er wendet sich zu gehen.
PARTHENIA.
Leb' wohl! Nein, halt! – Du sollst nicht scheiden,
Ohn' eine Gabe, die in ferner Zeit
Noch Farb' und Leben meinem Bilde leiht! –
INGOMAR.
Das braucht's nicht!
PARTHENIA
ihm ihren Dolch reichend.
Nimm!
INGOMAR
den Dolch erfassend.
Den Dolch – Ha, Spott und Hohn!
Gedenken soll ich, daß mein Rasen dir
Einst gegen dich die eigne Hand bewehrte!
PARTHENIA.
Er soll dich mahnen, daß drei Tag' und Nächte
Allein durch Moor und Wald und Dorngeflechte
Du sorgend, stützend, wachend mich geführt,
Ohn' daß ich jemals sein Gefäß berührt;
Des mahn' dich dieser Dolch, und geh jetzt, geh! –
INGOMAR
schreitet rasch auf Parthenia zu, dann, plötzlich innehaltend, nach einer Pause.
Leb' wohl!

Er geht rasch links im Vordergrunde ab.
PARTHENIA.
Er geht, er geht! Allmächt'ge Götter!
[127] Er könnte wirklich – Nun, so geh' er hin,
Ich kann es tragen, wenn er gehen kann!
Und hieß ich ihn nicht gehen? Muß er nicht? –
Muß, muß – das Wort hallt dumpf wie Grabgewölbe!
Er ging – Wie grün, wie hell war's vor, und jetzt –
Wie matt und dämmernd blinkt der Sonne Schein,
Wie fahl der Rasen rings, wie dürr das Laub!
Mir ist, als wär' der junge Lenz gestorben!
Wie, Tränen – Nein, ich will nicht weinen! Nein!
Es muß so sein, und was dies Her bewegt,
Euch Göttern sei es in den Schoß gelegt,
Und mögt ihr gnädig es zum Heil mir wenden!
Ihr guten Götter gabt mir ja so viel!
Dort winkt die Heimat; Eltern, Freunde,
Gespielen find' ich wieder; wedelnd springt
Der treue Hund an mir heran, und grinsend
Begrüßt mich Polydor, mein reicher Freier! –
Mich schüttelt Fieber, tritt sein Bild vor mich!
Wie höhnisch wies er nicht mein Flehen ab,
Das jenen Sohn der Wildnis doch bewegte!
Der freilich – hätt' ich dem gesagt: Hilf, rette
Sein greises Haupt! – der hätt' sich nicht bedacht,
Der hätte frisch sich auf den Weg gemacht,
Und standen Heere drohend ihm entgegen,
Der rang ihn los, der hätt' ihn heimgebracht!
O sein Gemüt war grün, wie seine Wälder!
INGOMAR
links im Vordergrunde der Bühne zögernd und langsam wieder auftretend.
Parthenia!
PARTHENIA
aufschreiend.
Du bist es – Du zurück –
INGOMAR.
Ich bin's, und grad'
Heraus gesagt, ich kann von dir nicht scheiden;
Ich kann nicht, sag' ich, kann nicht, und kein Mensch
Kann mehr, als was er eben kann; darüber
Hinaus fängt unser Schicksal an, und meins,
Mein Schicksal heißt: Dir angehören!
INGOMAR.
Wie,
Du meinst wohl –
INGOMAR.
Sieh, ich hab' mir's überlegt!
Du schämst dich meiner nicht, nur meiner Sitte;
Denn, bin ich auch kein Grieche, bin ich doch
Ein Mann, und der muß gelten allerwegen;
[128] Selbst vor den Göttern gilt ein rechter Mann,
Drum auch vor dir und vor den andern dort;
Es muß so sein! Nicht wahr, Parthenia,
Du schämst dich meiner nicht?
INGOMAR.
Ich, dein mich schämen –
INGOMAR.
Mir war, als tätest du's, und trotzig kehrte
Ich wahnverblendet dir den Rücken zu,
Als hing' mir eine Welt an unsrer Sitte,
Die doch nur eben wie dies Tierfell ist,
Bequem, weil lang gewohnt und viel getragen.
Hab' nun ich meines Schildes mich entschlagen,
Der dort im Moor liegt, brach ich meinen Speer,
Was gälte mir dies Tierfell eben mehr?
PARTHENIA.
Was sagst du – Wie –

Für sich.

Mir will das Herz zerspringen!
INGOMAR.
Gesinnung macht den Mann, und nicht sein Kleid,
Und wenn es mich beschwert, was soll ich's tragen?
Im neuen wird mein Herz nicht anders schlagen!
So werf' ich meines Volkes Sitte ab,
Ich folg' dir in die Mauern jener Stadt,
Ich will ein Grieche werden.
PARTHENIA.
Du mir folgen! –

Für sich.

So reich die Wonne, und so eng die Brust!
INGOMAR.
Und sieh, nun ist mir wohl, da dies beschlossen;
Gar vieles, weiß ich, hab' ich zu erwerben,
Zu lernen noch – doch das, beim Strahl der Sonne,
Das tröstet mich, ich weiß, ich werd' es lernen;
Du liebst mich noch! Ich fühl's, wie Siegesjubel,
Wie Götterstimmen zuckt's durch meine Brust,
Du liebst mich noch, wirst noch mich lieben müssen!
PARTHENIA
für sich.
Und wer denn, Himmel, müßte ihn nicht lieben?

Laut.

Mir folgen, sagst du, nach Massalia –
Und lebt ein Gastfreund dort, dich aufzunehmen?
INGOMAR.
Ein Gastfreund? Nein! Was braucht es das? Den ersten,
Der dort des Weges herkommt, sprech' ich an
Um Salz und Feuer; gleich die Männer dort,
Denn Griechen nennt sie ihre Tracht.
PARTHENIA.
Die dort!
[129] Ihr ew'gen Götter! Gießt ihr alles Glück
Auf mich herab in dieser einen Stunde,
Was bleibt noch übrig für des Lebens Rest?
Er ist's, er ist's!

Dem in Begleitung Elpenors auftretenden Myron in die Arme sinkend.

Mein Vater!
MYRON.
Kind! Mein Kind!
Du hier! Gerettet! Mir zurückgegeben!
Habt Dank, ihr Himmlischen – Nein, habt nicht Dank,
Was ließt ihr mich nicht ihren Retter sein?
Ich hätt' die Räuber alle, ich allein –

Ingomar erblickend und ängstlich zurückweichend.

Wie, was? Adrast – Elpenor – Rettet, helft!
Herbei, die Tectosagen –
PARTHENIA.
Sorge nicht –
Er war es, Ingomar, der deinem Kinde
Die Freiheit schenkte, der in deine Arme
Zurück zur Heimat schützend es geleitet!
MYRON.
Er, sagst du, er! So kam der Mann allein –
PARTHENIA.
Er tritt, ein Freund, ein Bittender, zu dir,
Und darf er gleich als Pflicht Gewährung fordern,
Mein Fürwort noch mahnt deine Dankbarkeit,
Ihm mild zu sein, wie er es mir gewesen.
Komm, hör' ihn an, und du indes, Elpenor,
Erzähl' mir von der Mutter, von Theano,
Von unsern Freunden, laß mich alles wissen,
Denn Sehnsucht leiht der ärmsten Kunde Wert.
MYRON
der sich mittlerweile, von Parthenia geführt, Ingomar genähert, für sich.
Er kam allein, das ist ein andres! Ei,
Willkommen auf Massalias Gebiet!
Sobald nicht, dacht' ich, wieder dich zu sehen.
INGOMAR.
Und ich nicht dich, und dennoch kam es so!
MYRON.
So kam es, ja!
INGOMAR.
Parthenia sagte dir,
Ich käme, dich zu bitten, und so ist's;
Ich fordre viel in wenig Worten. Sei
Mein Freund, und mehr noch, sei mein Lehrer; biete
Wegweisend mir die Hand als deinem Schüler;
Nimm unter deinem Dach mich auf und lehre
Mich eure Sitte, lehr' mich unter Griechen
Ein Grieche sein! Das alles bitt' ich dich,
Und du gewähre mir's –
[130]
MYRON.
Was sagst du? Ich,
Ich in mein Haus dich nehmen –
INGOMAR.
Meine Heimat,
Und heilig soll mir's sein!
MYRON.
Wie, seine Heimat!
Er will wohl gar nicht fort mehr – Griechensitte
Gedenkest du zu lernen, und von mir? –
Mir wird ganz schwül.

Für sich.

Der Bursche zwar ist stark
Und wär' ein tücht'ger Helfer –
INGOMAR.
Rede, was
Beschließest du?
MYRON.
Ich weiß, versteh mich recht,
Ich weiß, ich bin zum Danke dir verpflichtet;
Doch sieh, ich bin ein armer Waffenschmied;
Und wolltest du mein Gast sein, müßtest du
Mit uns der Armut Müh' und Sorgen teilen,
Dich unserm Hausbrauch, unsrer Ordnung fügen –
INGOMAR.
Dem allem füg' ich mich –
MYRON.
Da gält's vorerst
Das Tierfell abzulegen –
INGOMAR.
Gut, es sei!
MYRON.
Dann Haar und Bart zu kürzen –
INGOMAR.
Haar und Bart!
Als Zeichen freier Abkunft gelten sie
Bei uns daheim und wachsen frei dem Freien;
Doch meine Freiheit – Gut, ich kürze sie!
MYRON.
Das läßt sich hören.

Für sich.

Der ist zahm geworden,
Und war doch wilder als ein scheues Roß! –

Laut.

Das wär' die Tracht, nun aber höre weiter!
Ich habe Felder, Wiesen, dort am Hügel
Weingärten auch; da gibt es denn zu schaffen
Mit Pflug und Harke dort und da, und sieh,
Da müßtest du denn auch –
INGOMAR.
Doch wohl nicht Pflug
Und Harke führen, Sklavendienst verrichten,
Wie Dachs und Maulwurf in der Erde wühlen?
MYRON.
Ei, wie gehabst du dich?
INGOMAR.
Nur Sklaven führen
[131] Bei uns daheim den Pflug; nur Sklaven ziemt's,
Und willst du mich zu deinem Sklaven machen,
Beim lauten Donner –
MYRON.
Ei, gemach, gemach!
Die Götter wissen's, ich will nichts mit dir;
Du selber wolltest ja ein Grieche werden;
Wir aber sind ein ackerbauend Volk,
Und drängt die Not, legt jeder Hand ans Werk,
Nicht ich allein, Actäa auch, mein Weib,
Selbst jene dort, und alle greifen zu –
INGOMAR.
Parthenia, sagst du –
MYRON.
Ei, wer sonst? Sie hilft
So gut, als eine –
INGOMAR.
Wie, Parthenia!
Auch sie – Im Grund das Werk, das einer treibt,
Ist nichts: der Sinn nur gilt, in dem wir's treiben;
Wohlan, ich will auch dem mich fügen!
MYRON.
Nun,
Wenn das ist, legst du wohl auch Hand mit an
An meinem Amboß, hilfst mir Schwerter schmieden –
INGOMAR.
Das will ich meinen! Da gilt's Kraft um Kraft;
Ja! pocht der Hammer, und der Stahl kreischt: Nein!
Hei, Schwerter schmieden, das muß lustig sein,
So lustig fast, als Schwerter schwingen –
MYRON.
Schwingen!
Wie, Schwerter schwingen! Nein, da schwingt sich nichts;
Wir sind ein stilles Volk und lieben Frieden;
Und darum, denk' ich, wär' es wohlgetan,
Du gäbst mir gleich dein Schwert –
INGOMAR.
Mein Schwert –
MYRON.
Nun ja;
Verpönt mit schweren Strafen ist's, bewaffnet
Zu gehen in Massalia; drum gib,
Ich will dir's wahren!
INGOMAR.
Ich, mein Schwert dir geben!
Mein Schwert, des Vaters Erbe –

Das Schwert vom Wehrgehänge reißend und Myron hinhaltend, heftig.

dieses Schwert,
Das Schutz und Sieg und Beute mir gewährt!
Ich dieses Schwert von meiner Seite lassen –
MYRON
ängstlich vor Ingomar zurückweichend.
Parthenia –
[132]
INGOMAR.
Dies Schwert dir geben!
Das Blut eh' meiner Adern, eh' mein Leben!
Mein Schwert bin ich, denn eins ist Schwert und Mann;
Komm einer her und nehm' er's, wenn er kann!
PARTHENIA
die bisher abseits mit Elpenor gesprochen, hinzutretend.
Was streitet ihr? –
MYRON.
Er will sein Schwert nicht geben,
Und schwere Strafen, weißt du, stehen drauf,
Massalia bewaffnet zu betreten!
PARTHENIA.
Ei, wer das End' will, muß den Anfang wollen!

Sie geht auf Ingomar zu und nimmt ihm das Schwert aus der Hand, es Myron hinreichend.

Da ist das Schwert, und jetzt – die Sonne sinkt,
Ich sehn' mich nach der Mutter, laß uns gehen –
MYRON.
Er gab das Schwert – Ja – Wunder sind geschehen!
Du frei – das Schwert – doch heimwärts nun, mein Kind,
Daß früher dein die Mutter sich erfreue!
Elpenor, meinen Dank den wackern Fischern,
Doch ihrer Hilfe braucht es nun nicht mehr;
Und kommt nun, kommt!

Er geht mit Elpenor und Parthenia rechts im Hintergrunde der Bühne ab.
PARTHENIA
im Begriffe abzugehen, sich umwendend.
Was säumst du, Ingomar?
INGOMAR
wie aus einem Traume auffahrend.
Wie, Ingomar! Und galt das mir? Bin ich
Denn Ingomar? Mir wirbeln die Gedanken,
Den Boden unterm Fuße fühl' ich wanken,
Und kaum mehr weiß ich, ob ich's jemals war!

Während er langsam den Abgehenden folgt, fällt der Vorhang.

5. Akt

Fünfter Akt.

Schauplatz wie im ersten Akt.


ELPENOR
aus dem Hause Myrons tretend und zurück sprechend.
Was säumst du, Myron? Komm, sie warten dein'!
MYRON
auf der Stufe des Hauses erscheinend.
Da bin ich schon und gleich, gleich folg' ich dir;
Mein rußig Werktagkleid nur legt' ich ab,
Geziemend vor dem Rate zu erscheinen.

Ins Haus rufend.

Den Gürtel her, Actäa, und den Mantel.
[133]
ELPENOR.
Ich will voraus und melden, daß du kommst –
MYRON.
Nein, bleib und sprich noch einmal, ist es Wahrheit,
Was schreckensbleich du mir ins Ohr geraunt? –
ELPENOR.
Die Höhen wimmeln rings von Tectosagen,
Und in den Rat berufen dich die Väter!
Es ist so, wie ich sagte!
ACTÄA
die indes mit Parthenia, Myrons Gürtel und Mantel tragend, aus dem Haufe getreten.
Große Götter,
Was sagt ihr? – Wie –
MYRON.
Was kümmert das euch Weiber?
Den Mantel her, Parthenia!
ACTÄA.
Myron, sprich!
Die Tectosagen, sagt ihr, vor den Toren?
MYRON.
Ei, still doch, still! Sie sind noch nicht herin,
Und wenn Verrat nicht Schloß und Riegel öffnet –
ACTÄA.
Er wird sie öffnen! Allerorten wohnt
Verrat; auch jene werden Helfer finden –
Gewiß, sie werden's – Ja, sie sind vielleicht
Bereits gefunden –
MYRON.
Wie – bereits gefunden –
Verräter sagst du –?
ACTÄA.
Nicht umsonst begann's
Zu knistern in des Herdes Flammen, als
Er unser Haus betrat! Sie warnten; doch
Vergebens –
ELPENOR.
Ei, sie meint den Ingomar,
Den Tectosagen, deinen Lehrling –
MYRON.
So,
Den meinst du? Nun, dann ist kein Sorgen!
PARTHENIA.
Nein;
Er ist kein Späher, kein Verräter!
MYRON.
Recht,
Der Ingomar ist echt und haltet Farbe;
Wer ihn am Pflug, wer ihn am Amboß sah,
Der weiß das! Er ist stark, und falsch sind nur
Die Schwachen; drum sei getrost –
ELPENOR.
Komm endlich;
Sie harren dein!
MYRON
halb von Elpenor fortgezogen.
Sei ruhig! Laß nicht Angst
Mit Schrecken, die nicht sind, den Sinn dir trüben!
Die Väter, wisse, ziehen mich zu Rat
[134] Als einen, der verkehrt' mit jenen Wilden;
Drum sei getrost! Jedweder Hammer fand
Noch seinen Stiel, es wird auch hier sich Griff
Und Handhab' finden! Ich, zum mindesten,
Ich fürcht' die Tectosagen nicht, ich nicht –
Ich hab's bewiesen –
ELPENOR
ihn fortziehend.
Komm doch, sag' ich, komm!

Beide links im Hintergrunde ab.
ACTÄA.
Da geht er hin, und mich verzehrt die Angst!
Die Feinde vor dem Tor! Er vor den Rat
Beschieden! Wenn sie nun, anstatt zu Rat,
Für seine Torheit ihn zur Rechenschaft,
Vielleicht zur Strafe zögen –
PARTHENIA.
Quäl' dich nicht!
Die Väter wissen ja von Ingomar
Und billigten, daß er ihn aufgenommen.
ACTÄA.
O, daß er's tat, daß er ihn aufgenommen,
Der Unheil, weiß ich, unserm Hause bringt!
PARTHENIA.
Er brachte, denk' ich, dir dein Kind zurück.
ACTÄA.
So tat er, aber zückt' er einst nicht auch
Das Schwert auf dich und schleppt' er nicht den Vater
Als Sklaven mit sich fort? Und Gutes soll
Von ihm uns kommen? Nein, sein Anblick schon,
Das lange Haar, der struppicht wirre Bart
Beklemmte mir das Herz.
PARTHENIA.
Jetzt trägt er beide
Gekürzt nach Griechenbrauch –
ACTÄA.
Die Kinder riefen
Ihm auf der Straße Faun und Satyr nach,
Denn zott'ge Felle bargen ihm die Glieder –
PARTHENIA.
Du weißt, er geht wie andre jetzt gekleidet.
ACTÄA.
Ja, griechisch ist sein Leibrock und sein Mantel;
Doch Haltung, Gang, der Stimme rauher Schall,
Der starre Trotz in Mienen, Blick und Wort,
Die sind und bleiben des Barbaren! Legte
Er auch das Tierfell ab, er bleibt ein Wilder,
Und ewig haftet Waldgeruch ihm an.
PARTHENIA.
Das muß wohl sein, denn Freiheit, Mut und Kraft,
Wie seine Wälder, atmet seine Seele.
ACTÄA.
Des Bären rohe Kraft! Erwürgte nicht
Im Kampfspiel jüngst, beim Fest der Artemis,
[135] Der Wilde fast im Ringen seinen Gegner,
Und schlug den andern mit dem Cästus tot!
PARTHENIA.
Doch schlug er nicht den Wolf auch, der so lang
Das Land verheert, und als letzthin im Hafen
Lysippus' Nachen mit dem Sturme rang,
Wer wagte sich hinan, um ihn zu retten?
Wer überhebt, als er, am Amboß wie
Am Pflug, den greisen Vater seiner Mühen?
ACTÄA.
Das tut er, ja! Ich weiß das, und er auch
Und pocht darauf und achtet meiner kaum!
Ich aber, stellt er sich auch an, als wäre
Er treu wie Gold, ich bleib' dabei, ich fürchte,
Des Feindes Späher ist er, ein Verräter,
Und ihm ins Antlitz will ich es behaupten!
Wo steckt er –

Gegen das Haus hinrufend.

Ingomar!
PARTHENIA.
Nein, Mutter, laß!
Bei allen Göttern, ehr' des Gastes Rechte;
Sein Herz weiß nichts von Arglist und Verrat!
ACTÄA.
Nein, sag' ich –

Rufend.

Ingomar! Du sollst es sehen,
Wie er erschrickt, zusammenfährt, errötet;
Geschehe dann, was wolle! Ingomar!
PARTHENIA.
O wie verkennst du diese Kinderseele,
Dies treue Herz –
INGOMAR
aus dem Hause tretend und die Stufen hinabsteigend.
Da bin ich! Riefst du mich?
ACTÄA.
Jetzt endlich kommst du! Dreimal mußt' ich rufen.
INGOMAR.
Ich hämmerte und sang ein Lied dazu –
Und so mag's sein –
ACTÄA.
Ein Lied – Nun ja, ganz recht,
Des Wiedersehens Freude macht dich singen;
Wie, oder weißt du nicht? die Tectosagen
Umlagern rings die Stadt.
INGOMAR.
Die Tectosagen!
Wie, nehmen hier sie ihren Weg vorbei
Ins Allobrogenland; denn dorthin war
Ein Fehdezug beschlossen –
ACTÄA.
In der Tat!
Ein Fehdezug ins Allobrogenland!
[136] Du aber nützest wohl des Zufalls Laune,
Um deine Freunde heimzusuchen –
INGOMAR.
Nein!
Was sollt' ich auch? Sie ziehen ihres Weges,
Ich geh' den meinen.
ACTÄA.
So! Doch gibt es Leute,
Die meinen, die vermuten, die behaupten,
Dein Weg und ihrer sei derselbe!
INGOMAR.
Wie,
Mein Weg und ihrer –
ACTÄA.
Ja, man sagt sogar,
Du hättest hier dich eingeschlichen, bloß
Um jenen Tür und Tor zu öffnen –
INGOMAR.
Ich –
Wer sagt das?
ACTÄA.
Ich, ich sag' dir's in den Bart,
Daß du ein Späher bist und ein Verräter!
Das bist du –
INGOMAR
rasch auf Actäa zuschreitend.
Weib, ich aber sag' dir –
Nein!
Dir sag' ich nichts!

Er geht ins Haus ab.
ACTÄA.
Er geht – Er schweigt und geht,
Und spottet meines Zorns! Er achtet es
Der Müh' nicht wert, nur Rede mir zu stehen!
Er wagt es – Muß ich das mir bieten lassen,
Ich, Myrons Hausfrau, eine Bürgerin
Massalias –
PARTHENIA
gegen das Haus zuschreitend und hinein rufend.
Ingomar!
ACTÄA.
Du rufst ihn – Soll
Zum zweitenmal mich seine Roheit kränken?
PARTHENIA.
Nein, Antwort geben, Rede stehen soll
Er dir –
ACTÄA.
Jetzt will ich keine Antwort mehr,
Und wär' es – doch wo denk' ich hin? Gefahr
Bedroht vielleicht des Vaters Haupt und ich –
Mich treibt's ihm nach zur Burg – du hör' indessen
Den Ingomar, und glaub' ihm, wie du pflegst,
Und mögen es zum Heil die Götter wenden!
Ich kenn' ihn, mich, mich soll er nicht verblenden!

Sie geht links im Hintergrunde ab.
[137]
PARTHENIA
unmutig einige Schritte auf und nieder gehend.
Sie geht und zürnt, und er trägt Schuld daran,
Er ganz allein, denn hat sie unrecht auch –

Ingomar tritt aus dem Hause und steigt langsam, gesenkten Hauptes die Stufen herab.
PARTHENIA.
Da ist er – Tritt heran! Sprich, weißt du nicht,
Daß unsre Sitte längst des Sklavenjoches
Das Weib entband, dem Mann es gleich zu stellen
Als Freundin, als Genossin seiner Rechte?
INGOMAR.
Ich weiß, so haltet ihr's!
PARTHENIA.
Und hieß ich dir
Drum nicht, der Hausfrau Myrons, meiner Mutter,
In Ehrfurcht stets zu nahen? Oder nennst
Du's Ehrfurcht, trotzig ihr den Rücken kehren?
Sprich, rede! Mahnt' ich so nicht oft, und wenn
Ich's tat, was tatest du nicht, wie ich sagte?
INGOMAR.
Du sagtest so; du sagtest aber auch,
Wenn deine Mutter, wie das Alter pflegt,
In Unmut grundlos hadernd mich verletze,
So sollt' ich schweigen und von hinnen gehen!
So ging ich denn und schwieg! –
PARTHENIA.
Und konntest du
Nicht still und heiter ihr ins Auge schauen
Und ruhig sprechen: Nein, du irrst; ich bin
Kein Späher, kein Verräter! Doch du ließest
Wie immer deiner Laune Zaum und Zügel
Und gabst auch mich nun ihrem Unmut preis!
INGOMAR.
So zürnst auch du mir?
PARTHENIA.
Wirst du nie denn lernen,
Nach ihrer Art die Menschen nehmen; eh' du sprichst,
Der Worte Maß und ihr Gewicht erwägen?
INGOMAR.
Nie lern' ich's, nie! Was gab ich mir nicht Mühe
Und prägte deine Worte mir ins Herz
Und wiederholte sie beim Schlafengehen;
Beim Amboß und am Pfluge kaut' ich dran,
Recht bald mir euer Wesen anzueignen,
Gewandtheit, Artigkeit und feine Sitte!
Ich werd' es niemals lernen!
PARTHENIA.
Fass' nur Mut,
Du hast schon zugelernt!
INGOMAR.
O meine Wälder!
Da prägt das Herz vollwichtig aus die Worte,
Und echt, wie der Gedanke, ist die Tat;
[138] Ihr aber preßt in Formeln euer Leben,
In: Guten Tag! Schön Dank! und: Darf ich bitten!
Ihr nennt das fein, gefällig, edel, schön! –
Ich kann das nicht und werd' es niemals lernen;
Was mich bewegt, sei's Liebe, sei es Haß,
Lust oder Leid, das strömt von meinen Lippen,
Das zuckt im Antlitz mir, das funkelt mir
Im Blick! Ich muß! Ich bin der, der ich bin,
Ich kann nicht anders!
PARTHENIA.
Und du sollst auch nicht;
Ich wollte dich nicht anders, als du bist;
Mir tut es wohl, zu wissen, was dein Blick,
Dein Antlitz, deine Lippe spricht, ist wahr,
Ist alles echt, ist alles tief empfunden;
Doch auch die Offenheit der edlen Seele
Bedarf Beschränkung! Sieh, du hast so viel
Gelernt, du ehrst Gesetz und Ordnung, hast
Dich losgesagt vom Dienst der blut'gen Götter
Für meines Volkes kunstgeschmückten Glauben;
Du bist ein Grieche schon dem Herzen nach,
Nur Anmut fehlt und Ebenmaß der Sitte,
Und das wird kommen! Wer aus rohem Stein
Ein Götterbild ins Leben rief, gewiß,
Der muß auch noch den Marmor glätten lernen!
INGOMAR
sich Parthenien nähernd.
Und wenn ich's lernte, wenn auch das gelänge,
Parthenia, wenn ich dann –
PARTHENIA
einen Schritt zurücktretend.
Noch hast du's nicht
Gelernt, wirst nicht so schnell es lernen –
INGOMAR.
Sieh,
So bist du! Statt des Schülers Fleiß zu lohnen,
Rückst ferner stets das Ziel du mir hinaus;
Ja, du entziehst mir, was du schon gewährt!
Sonst suchtest du mich auf, sprachst Trost mir zu,
Erzähltest Märchen, sangst mir Lieder vor;
Jetzt meidest du, jetzt fliehst du meine Nähe –
PARTHENIA.
Und sprech' ich denn nicht eben jetzt zu dir?
Auch das noch mußt du lernen, dankbar froh
Den guten Augenblick genießen –
INGOMAR.
Ja,
Du sprichst zu mir, dein Auge blickt mich an;
Fahr' hin, was war, und komm', was kommen kann!
[139] Nicht rückwärts mehr, noch vorwärts will ich schauen.
Nur trunken dir ins Auge tauch' mein Blick!
MYRON
außer der Bühne.
Parthenia, Parthenia!
PARTHENIA.
Horch', der Vater!
MYRON
anfangs außer der Bühne, dann hastig mit der ängstlich nacheilenden Actäa auftretend.
Herbei! Parthenia!
PARTHENIA.
Da bin ich, Vater!
MYRON.
Recht so! Und Ingomar? Auch hier! Nun wohl –
ACTÄA.
Was hast du? Sprich! Was treibt wie sinnverwirrt
Dich durch die Straßen? Soll ich's endlich hören?
MYRON.
Luft! Laßt zu Atem erst mich kommen! Wißt,
Er wird gleich hier sein –
ACTÄA.
Wer? der Feind?
MYRON.
Was Feind!
Der Feind nicht, Seine Gnaden der Timarch
Kommt wegen Ingomar –
ACTÄA.
Da seht nun selbst;
Ich sagt' es ja, er würd' uns Unheil bringen!
MYRON.
Da sprachst du tolles Zeug; denn Ansehn bringt
Er uns und Ehre! Doch, da sind sie schon;
Ihr tretet dort ans Haus; ich schreit' indes
Begrüßend ihm entgegen –
ACTÄA.
Ansehn! Ehre!
Mir pocht das Herz, als wär's ein Schmiedehammer!
DER TIMARCH
der indes in Begleitung einiger Diener aufgetreten, zu Myron, der ihn mit tiefen Bücklingen empfangen hat.
Genug! Laß, Myron, uns zur Sache kommen!
Wo ist dein Lehrling?
MYRON.
Hier, erlauchter Herr;
Gefällt dir's, tritt mit ihm ins Haus!
TIMARCH
indem er seinem Gefolge einen Wink gibt, zurückzutreten.
Wozu?
Dies sind die Deinen, und wir sind allein!
Tritt denn heran! – Du nennst dich Ingomar?
INGOMAR.
Du sagst es! –
MYRON
halblaut zu Ingomar.
Sag' doch: Herr! – Verstehst du: Herr!
ACTÄA
halblaut zu Myron.
Ja, lehr' du den, was Sitte heischt und Brauch!
TIMARCH.
Du willst hier, hör' ich, Griechensitte lernen;
Ja, hast sie schon gelernt und willst nun ganz
Der unsre, ganz Massalias Bürger werden?
[140]
INGOMAR.
So wünsch' ich –
TIMARCH.
Und Massalia gewährt
Den Wunsch! Ein Haus im Umkreis seiner Mauern
Erbaut es dir und fügt drei Hufen Landes
Und volles Stimm- und Bürgerrecht dazu –
INGOMAR.
Wie, mir?
PARTHENIA
für sich.
Ihr guten Götter!
MYRON
zu Actäa.
Siehst du, Frau!
TIMARCH.
Noch mehr; denn dreißig Unzen Silber soll
Als Mitgift hier des Myron Kind empfangen
Und soll dein eigen, deine Hausfrau sein.
INGOMAR.
Parthenia!
TIMARCH.
Dies alles nennst du dein,
Wenn erst uns deine Tat bewährt, es liege
Massalias Wohlfahrt wahrhaft dir am Herzen!
INGOMAR.
Was soll ich tun? Sprich! Wollt ihr anders nicht,
Ich soll die Erd' aus ihren Angeln heben,
Das Meer ausschöpfen, Stern' vom Himmel reißen,
Das andre tu' ich alles, was es sei!
TIMARCH.
So hör' mich an! Du weißt, die Tectosagen
Umlagern rings die Stadt; du selber, einst
Der Ihren einer, kennst dies Volk am besten
In seiner Kühnheit, seiner Beutegier,
Und treten sie uns feindlich nun entgegen –
INGOMAR.
Den Allobrogen gilt ihr Fehdezug,
Euch nicht, gewiß euch nicht –
TIMARCH.
Wie dem auch sei,
Sie sind gefährlich, und Massalia
Gedenkt für lange Zeit mit deiner Hilfe
So schlimme Nachbarn ferne sich zu halten,
Und so vernimm denn, was dein Auftrag ist:

Ingomar einige Schritte beiseite führend.

Du sollst hinaus ins Tectosagenlager,
Als kämst du, deine Freunde heimzusuchen
Und Botschaft von der Heimat zu vernehmen;
Und so erkundend die Gelegenheit,
Des Lagers Wall und Tor, der Wachen Ordnung
Und Feldgeschrei, kehrst abends du zurück,
Bei Nacht Massalias waffenfähig Volk
Hinauszuführen, daß ein gleiches Los,
Wie jene vielen räuberisch bereitet,
In raschem Anfall rächend sie ereile!
Sieh, das ist alles; wenn du das getan –
[141]
INGOMAR.
Das tu' ich nicht –
TIMARCH.
Was sagst du? –
MYRON.
Ingomar!
INGOMAR.
Ich tu's nicht, sag' ich! Sendet, wen ihr wollt
Hinaus, um jene zu berücken; ich –
Ich will Vertrauende nicht hintergehn,
Nicht Schlafende verraten, nicht ans Messer liefern,
Die meiner Heimat Sprache sprechen! Ich tu's nicht!
TIMARCH.
Du wirst es tun, bedenkst du recht den Preis,
Den Myron, den Massalia dir bietet.
INGOMAR.
Fahr' alles hin, denn sie – sie ist mir alles;
An ihr mit tausend Wurzeln hing mein Leben,
Und blühen sollt' es, dacht' ich, wenn der Frühling käme!
Und dennoch fahr' sie hin, denn hätt' ich sie,
Und hätt' in ihr ich alles Glück der Erde,
Mir wär's Verzweiflung, hätt' ich's so erkauft,
Hinwürgend schnöd im Schlafe meine Brüder!
TIMARCH.
Wie, trägst du der Barbaren Wohl im Herzen,
Und willst ein Grieche sein?
INGOMAR.
Ich wollt' es werden;
Ich sagte mich von meinem Volke los,
In ihrer Heimat meine zu begründen,
Und mir war's Ernst damit, und treulich stünde
Ich euch zur Seite, gält' es offnen Streit;
Ihr aber sinnt Verrat und schnöde Ränke,
Und eure Waffen sind Betrug und List!
O schämt euch, schämt euch!
TIMARCH.
Zähm' die rasche Zunge
Und wisse, bis die Sonn' im Mittag steht,
Gewähr' ich dir Bedenkzeit, zu erwägen,
Ob Hilfe nicht du unserm Anschlag leihst.
Versagst du sie, so soll dein Hauch nicht mehr,
Treubrüchiger, die Lüfte hier verpesten!
Verbannung und noch Schlimmres sei das Los
Des Spähers, des Verräters! Wähle denn!
Du aber, Myron, der so übel uns
Beriet, daß diesem Mann wir rückhaltslos
Vertrauten, sieh dich vor; denn zeigte je
Sich deine Treue von der seinen Art,
Die rühmend du zum Himmel wolltest heben,
Wir fänden zu gering vielleicht ihr Maß
Und machten's voll mit deinem Blut und Leben! –

Er geht mit seinem Gefolge ab.
[142]
ACTÄA
nach einer Pause.
Wer hat nun recht? Wo ist das Ansehn nun,
Die Ehre, die dein Ingomar uns brachte?
In üblen Leumund bringt er unser Kind,
Dich bringt er in Verdacht und mag vielleicht
Noch Schlimmres, mag noch um den Kopf dich bringen!
MYRON.
Um meinen Kopf mich bringen! Fahr' er hin!
Ich will nichts wissen mehr von ihm! Ich schließe
Dir meine Türe! Fort! Sie sollen sehen,
Ich sei Massalias treuer Sohn und Bürger!
Hinein mit dir ins Haus, Parthenia!

Zu Ingomar.

Fort, sag' ich –
INGOMAR.
Myron!
MYRON
während Actäa und Parthenia ins Haus treten.
Nichts! Kein Wort mehr, schweig! –
Wir sind allein zwar, und so sag' ich dir,
Wie sehr du in die Klemme mich gebracht,
Der Himmel weiß es, hätte ich zwei Köpfe,
Den einen wollt' ich gern für dich verlieren;
Ich aber hab' nur einen! Drum hinweg!

Mit erhöhter Stimme.

Ich bin ein treuer Mann und guter Bürger,
Und so fahr hin, ich sag' mich los von dir!

Er tritt ebenfalls ins Haus und schließt hinter sich die Tür.
INGOMAR.
Es ist vorbei; dahin ist alles, alles!
Die Zukunft lag so hell, so licht vor mir;
Denn hätt' ich sie auch niemals mir verdient,
Ich hätt' sie doch vielleicht mir einst errungen!
Doch nun fuhr alles, alles hin! Nie wird
Sie mein sein, nie! Selbst sehen werd' ich sie,
Selbst ihrer Stimme Klang nicht mehr vernehmen!
Nie mehr! –
Nur ja zu sagen braucht' ich! Aber hätte
Ich tausend Jahr' auch Frist mich zu bedenken,
Nein müßt' ich sagen, nein und wieder nein! –
Mag sein, zu derb und rauh war meine Rede,
Wo gleichen Dienst auch mildre Worte taten!
Ich fand sie aber nicht; ich kann nicht fälschen,
Was echt und wahr mir aus der Seele quillt!
Das eben ist's! Und lernt' ich jahrelang,
Ich lernt' es nicht und werd' es niemals lernen!
Ich bin ein Wilder, und hinaus zum Tier des Waldes,
[143] Zu meinesgleichen stößt mich das Geschick!
Was säum' ich noch? Hinweg denn, fort, hinaus!
Und sperrt ihr feiger Argwohn mir das Tor,
Daß nicht mein Volk zur Rache ich bewehre,
Ich sterbe oder brech' durch ihre Speere!
Ich will, muß fort –
PARTHENIA
die während der letzten Worte Ingomars aus dem Hause getreten ist und sich ihm unbemerkt genähert hat.
Fort willst du, Ingomar?
INGOMAR.
Die Götter wollen's so! Wir müssen scheiden,
Und gegen Götter ist kein Widerstand!
PARTHENIA.
Du gehst und wohin gehst du?
INGOMAR.
Frag' mich nicht,
Wohin ich gehe? Sind auf Erden doch
Zwei Orte nur für mich! Ein Himmel, wo
Du bist, und wo du nicht bist, eine Wüste,
Und dahin geht mein Weg; der Sohn der Wildnis,
Zurück zur Mutter lenk' ich meinen Schritt;
Sie gab mir Treue als mein Erbteil mit,
Und schützend will ich jenen sie bewahren,
Die meine Brüder sind, wenn auch Barbaren!
Denn ohne Treue schwankt, ein Kahn im Meer,
Ein Rohr im Wind, die Seele hin und her,
Und dacht' ich anders einst, ich hab's empfunden
Fürs ganze Leben, seit ich dich gefunden,
Denn wie kann lieben, wer nicht Treue hält!
PARTHENIA.
Und du willst fort –
INGOMAR.
Ich muß. Ich dank' dir vieles!
War rohe Kraft mir sonst der Größe Maß,
Und schien das Leben mir ein voller Krug,
Nur lockender, je mehr er überschäumte,
Du flochtest mir den Kranz um seine Ränder;
Du lehrtest an der Kraft mich Mäßigung,
Am reichen Stoff die edlen Formen ehren;
Du lehrtest mich der Liebe Zauber kennen,
Der Liebe, deren Glück das Los der Götter,
Und deren Schmerz selbst noch Entzücken ist!
Dies alles dank' ich dir, und zu vergelten
Gedacht' ich's einst mit solchem Maß des Glückes,
Wie keinem Weib noch zugemessen ward!
Doch das ist nun vorbei, und im Verluste
All meines Glückes, jeder Hoffnung bar,
Ist nur ein Trost, ich tat so, wie ich mußte!
[144] Und so leb' wohl! Dein Bild begleitet mich,
Bewahre meins! Parthenia, leb' wohl!
PARTHENIA.
Und jetzt gleich willst du fort! Du sollst nicht – Nein,
Nicht jetzt gleich –
INGOMAR.
Jäher Tod hilft sanft hinüber;
Wer langsam stirbt, der stirbt zehntausendmal!
Ich weiß, du siehst mich ohne Schmerz nicht gehen,
Und das genügt! Leb' wohl!
PARTHENIA.
Du willst es so;
Ich halte dich nicht länger! – Doch dein Schwert,
Das, kommend, du dem Vater anvertraut,
Du hast dein Schwert vergessen!
INGOMAR.
Fahr' es hin!
Die Hoffnung wand es einst mir aus den Händen,
Und jetzt, jetzt –
PARTHENIA.
Nein, du sollst dein Schwert nicht missen;
Du gabst es mir, ich geb' es dir zurück!

Sie geht rasch ins Haus ab.
INGOMAR.
Du sollst nicht, sag' ich – bleib – Umsonst, sie geht!
So dehnt zu Jahren sich die herbe Stunde,
Und immer heißer quillt mein Schmerz empor,
Als wollt' er töten, und er tötet nicht!
O Schmach und Hohn! Ein Stückchen Stahl zersägt
Des Lebens Band, dem schärfern Stahle aber,
Dem tiefen Weh der Seele, hält es stand!
PARTHENIA
mit dem Schwerte zurückkehrend.
Hier ist dein Schwert, und blank, wie du's gegeben,
Bewahrt' ich dir's! –
INGOMAR
nach dem Schwerte langend.
Hab' Dank!
PARTHENIA.
Nein, laß, ich will
Dir's tragen –
INGOMAR.
Wie, was sagst du?
PARTHENIA.
Trug ich einst
Dir Speer und Schild, warum nicht jetzt das Schwert?
INGOMAR.
O damals – Nein, du sollst nicht das Geleit
Mir geben – Hier gleich, laß gleich hier uns scheiden!
PARTHENIA.
Nein, Ingomar, ich will dein Schwert dir tragen!
INGOMAR.
Wohlan denn – bis zum Markte –
PARTHENIA.
Bis zum Markt –
Nein, noch ein Stückchen weiter – bis ans Tor –
Noch weiter, bis zum Meer und übers Meer
Hinaus und über Berg und Tal und Ströme,
[145] Nach Ost und West, wohin dein Lauf sich kehrt,
Wohin dich irrend deine Schritte tragen,
Solang mein Herz pocht, meine Pulse schlagen,
Solang ich atme, trag' ich dir dein Schwert!
INGOMAR.
Parthenia, du willst –
PARTHENIA
das Schwert fallen lassend und Ingomar umschlingend.
Dir folgen, folgen,
Wohin du gehst; dein Weg soll meiner sein,
Dein Ziel sei meines; wo du Hütten baust,
Da sei mein Vaterland; die Sprache, die
Von deinen Lippen tönet, will ich reden;
Was dich beglückt, das soll mir Wonne sein,
Und was dich schmerzt, das will ich mit erleiden!
Dein bin ich, dein, und nichts von Scheiden mehr! –
INGOMAR.
Ihr ew'gen Götter! Täuscht mich Traumeswahn?
Du liegst an meiner Brust, du liebst mich, du,
Massalias Kind, den Fremdling, den Barbaren?
PARTHENIA.
O nenn' dich mir mit diesem Namen nicht!
Was sind wir gegen dich? Wie starrten sie
Beschämt, verstummt dich an, die stolzen Griechen,
Als du, der Sitte hier zu lernen kam,
Sie ihnen lehrtest, jene heil'ge Sitte,
Die uns die Götter in das Herz geprägt!
Wie groß, wie herrlich standest du vor mir,
Als du, um recht zu tun, mehr als dein Leben,
Die Hoffnung deines Lebens, aufgegeben!
Wie schämt' ich mich, daß ich dich lehren wollte,
Und was denn lehren? Was sie selbst mir erst
Durch lange Jahre mühsam angelernt,
Ohnmächt'ge Formen, Worte, Flittertand;
Du aber hattest aus der Götter Hand
Unmittelbar das echte Gold empfangen,
Den Drang der Seele, der das Gute muß!
Und ich – ich hatte töricht mich vermessen,
In Lügenform dein wahrhaft Herz zu pressen!
Vergib, vergib mir! Jetzt erkenn' ich's klar,
Ein Grieche sein ist nichts, und alles, alles,
Ein wahrhaft menschlich Herz im Busen tragen!
INGOMAR.
Parthenia mein, die Sinne schwinden mir,
Mein, mein –
PARTHENIA.
Ich war ja längst schon dein! Ich war's
Seitdem du weinen lerntest und dich fürchten;
Seit deiner Hand, die meinem Leben drohte,
[146] Das nackte Schwert entsank; seit jenem Tag
Belebte ein Gedanke unsre Seelen,
Ein Wunsch, ein Hoffen unsrer Herzen Schlag,
Und strebt' ich mädchenhaft, dir's zu verhehlen,
Ich liebte mehr nur, mehr dich jeden Tag;
Ich liebte dich, heut lernt' ich dich verstehen,
Und meint' ich sonst zu dir herabzusehen,
Und wähnt' ich stolz, du solltest mich verdienen,
Und legt' ich dir so harte Prüfung auf,
Laß dienend mich so blinden Stolz nun büßen,
Denn, lieberkauft und dein in jedem Sinn,
Als Weib, als Magd, als Sklavin sink' ich hin
Und beuge mich im Staub zu deinen Füßen!
INGOMAR
sie rasch aufhebend.
Zu meinen Füßen, meine Sklavin! Nein;
Zwei Stämme einer Wurzel laß uns sein,
Empor in eines Himmels Wölbung dringend,
Unlösbar fest in eins die Zweige schlingend.

Während Ingomar und Parthenia sich eng umschlungen halten, treten Myron und Actäa aus dem Hause.
ACTÄA.
Da sieh nun selbst!
MYRON.
So schlag' das Wetter drein!
Was soll das? Willst du um den Hals mich bringen,
Du ungeratne Dirne? Fort mit dir ins Haus!
PARTHENIA
Ingomar umschlungen haltend.
Nicht ohne ihn!
ACTÄA.
Mir lähmt's die Glieder!
MYRON
zu Ingomar.
Wie,
Hab' nicht das Gastrecht ich dir aufgekündet,
Und hieß ich dich nicht, andre Herberg' suchen?
So mach' dich auf den Weg!
INGOMAR.
Nicht ohne sie!
Sie hat gewählt, ihr werdet uns nicht trennen;
Mein ist sie, mein, fürs ganze Leben mein!
MYRON.
Wie, rast ihr, seid ihr toll?
ACTÄA.
Und sieh nur, dorten
Naht eben der Timarch –
MYRON.
Gerade jetzt!
Das fehlte noch –
ACTÄA.
Und sieh nur, sieh, Barbaren
An seiner Seite –
MYRON.
Wie, es wird doch nicht –
[147] Doch nein, sie tragen grüne Zweige ja;
Gesandte, denk' ich, sind's der Tectosagen!
ACTÄA.
Was wird nun werden –
MYRON.
Still, da kommen sie!

Der Timarch mit seinem Gefolge tritt auf in Begleitung Alastors und Novios, die grüne Zweige in den Händen tragen.
TIMARCH.
Hier ist der Mann, nach dem ihr ausgesendet,
Und gebt nun, bitt' ich, eure Botschaft kund!
NOVIO.
Er ist's!
ALASTOR.
Fürwahr, er ist es!

Auf Ingomar zugehend.

Ingomar!
INGOMAR.
Wie, seh' ich recht? Ihr seid es –
ALASTOR.
Sei gegrüßt
Im Namen unser aller, Ingomar!
INGOMAR.
Habt Dank dafür und sagt, was führt euch –
ALASTOR.
Höre!
Uns führt der lang beschloßne Fehdezug
Ins Land der Allobrogen hier vorbei,
Und Kunde ward uns, einer unsres Stammes
Wohn' dienstbar hier bei diesem Griechenvolk –
NOVIO.
Da dachten wir, es hätten unterweges
Massalias Männer lauernd dich im Busch
Gefangen und als Sklaven fortgeschleppt –
ALASTOR.
Darob ergrimmten alle, Volk und Führer,
Und sandten uns zu diesen Griechen her,
Zu sehen, ob sie dich als Sklaven halten,
Der unsers Namens Ruhm und Zierde war;
Und wär' es so, so wollen sie, statt Krieg,
Dem Allobrogenvolk ein Bündnis bieten,
Und so den Äduern und den Helvetern
Und, mit gesamter Macht die Stadt belagernd,
Nicht ruhen, bis sie solche Schmach gerächt!
TIMARCH.
Nein, wackre Boten eines edlen Volkes,
Da sei die Huld der ew'gen Götter vor,
Daß eitler Wahn und nichtiges Vermuten
Bewaffne Galliens tapfre Völker alle
Zum blut'gen Krieg mit dieser armen Stadt!
Es ist nicht, wie ihr denkt; der Mann dort –
ALASTOR.
Halt!
Wir sind an ihn gesandt, und er soll reden!
NOVIO.
Sprich ohne Scheu und sag's heraus, sie führten
Als Sklaven dich hinweg!
[148]
INGOMAR.
Ich bin ein Freier,
Und freie Wahl hat mich hierher geführt;
Und war ich dienstbar hier, so war's mein Wille,
Der Joch und Zügel selbst sich auferlegt!
ALASTOR.
Dein freier Wille war es! Nun, mag sein;
Wie aber, rede, wie erging dir's hier?
Denn besser dünkt dies Volk sich als wir andern
Und schilt Barbaren uns! So sprich denn, hielten
Sie freundlich dich, gleich einem werten Gast?
NOVIO.
Verletzten dich nicht Hohn und Stachelreden,
Und gaben sie dir gleiches Recht und Ehren,
Wie andern hierzulande –
ALASTOR.
Sprich! In Schutt
Und Trümmer soll Massalia liegen, wenn
Ein Wort, ein Blick nur dich gekränkt!
TIMARCH
geschmeidig.
Laßt, Freunde,
Hier auch mein Zeugnis gelten –
ALASTOR.
Laß ihn reden!
TIMARCH
ängstlich.
Ihr müßt mich hören –
INGOMAR
zum Timarchen.
Sei doch ruhig nur;
Ich brauch' den beiden ja nicht mehr zu sagen,
Als daß du heut das Bürgerrecht mir botest,
Und Haus und Hof und ihre Hand dazu,
Parthenias Hand –
NOVIO.
Die unsre Sklavin war!
ALASTOR.
Die also hat dein Herz von uns gewendet!
Wenn das ist, nun so sei's! Lebt wohl; wir brechen
Noch heute auf ins Allobrogenland;
Massalia habe Frieden!
TIMARCH.
Laßt noch mehr
Als Frieden, laßt uns eure Freundschaft haben,
Und ward der euren einer gleich geachtet
Dem eingeboren Volke dieser Stadt,
Gewährt auch unsern Bürgern frei Geleite
Und heilig Gastesrecht in euren Bergen;
Wir bieten euch ein Bündnis, geht es ein!
ALASTOR.
Uns ward dazu nicht Vollmacht! Kommt hinaus
Und pfleget Rat mit unsers Volkes Führern
Und hört, was sie beschließen –
TIMARCH.
Wohl, es sei;
Ich folge euch, und leih' der Götter Huld
[149] Dem Werk Gedeihen! Komm denn – doch zuvor
Ein Wort zu dir noch, wackrer Ingomar!

Er tritt mit Ingomar einige Schritte in den Vordergrund, während Alastor und Novio sich dem Hintergrund der Bühne zuwenden.

Wenn erst zur Tat du deine Hand verweigert,
Uns beßres Spiel, als wir gehofft, bereitend,
Hast treu du dich in klugem Wort bewährt;
Und also geben wir, wie wir's verhießen,
Dir Myrons Kind, ein stattlich Haus dazu
Und dreißig Unzen Silber, und gewähren
Die jedes Vorrecht, andern Bürgern gleich!

Zu Myron.

Hier steht dein Eidam! Alles Glück mit euch!

Er geht mit den Tectosagen und seinem Gefolge im Hintergrunde der Bühne ab.
MYRON.
Nun, Alte, sieh, wer hat nun recht gehabt?
Das ist ein Eidam! Haus und Hof, dazu
Das Bürgerrecht und dreißig Unzen Silber!
ACTÄA.
Ein Tectosage bleibt er aber doch!
INGOMAR.
Parthenia mein, auf ewig mir errungen!
Ich fass' es kaum! Erfüllt des Herzens Triebe,
Gelöst der Knoten, der sich wirr verschlang,
Versöhnt die Götter, der Geschicke Drang
So mild ans Ziel geführt –
PARTHENIA.
So führt die Liebe!

Während sich die Liebenden umschlingen, und Myron und Actäa hinzutreten, fällt der Vorhang.
[150]

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TextGrid Repository (2012). Halm, Friedrich. Drama. Der Sohn der Wildnis. Der Sohn der Wildnis. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-340A-E