[9] Erster Band
Komische Erzählungen

Vadano a volo i canti. Anima pura

Sempre è sicura.

Chiabrera.

[9] [11]I.
Aurora und Cephalus.

Se della moglie sua vuol l' uomo

Tutto saper, quanto ella fece, e disse;

Cade dall' allegrezze in pianti, e in guai;

Onde non può più rilevarsi mai.

Ariosto.


[11][13]

Aurora und Cephalus.

Noch lag, umhüllt vom braunen Schleyer
Der Mitternacht, die halbe Welt;
Es ruht' in ungestörter Feyer
Das stille Thal, das öde Feld,
Der Nymphen-Chor an ihren Krügen,
Der trunkne Faun auf seinem Schlauch;
Vielleicht fügts Nacht und Zufall auch,
Daß Manche noch bequemer liegen;
Der Elfen schöne Königinn
Hatt' ihren Ringel-Tanz beschlossen,
Und sanft auf Blumen hingegossen
Schlief jede kleine Tänzerinn;
Und kurz, es war zur Zeit der Mette,
Als sich Auror zum erstenmal
Aus ihrem Rosen-Bette
Von Tithons Seite stahl.
Die Schlafsucht, die sie ihrem Gatten
Sonst öfters vorzurücken pflag,
Kam diesesmal ihr wohl zu statten.
Sie zieht die Brust, an der er schnarchend lag,
Sanft unter ihm hinweg, verschiebt mit Zephyr-Händen
Die Decke, glitscht heraus, deckt leis' ihn wieder zu,
[13]
Wirft einen Schlafrock um die Lenden,
Und wünscht ihm eine sanfte Ruh.
Sie fand im Vorgemach die Stunden,
Die ihre Zofen sind, vom Schlummer noch gebunden,
Nur eine ward, indem die Göttinn sich
Mit leisem Fuß bey ihr vorüber schlich,
Aus einem Traum, den Mädchen gerne träumen,
Halb aufgeschreckt; sie schrie, wie Nymphen schreyn,
Um feuriger geküßt, nicht um gehört zu seyn;
Auror' erschrickt und flieht; allein,
Das Mädchen legt sich, ruhig auszuträumen,
Auf's andre Ohr, und schlummert wieder ein.
Die Göttinn eilt, spannt (was sie nie gethan)
Mit eigner schöner Hand vor ihren Silber-Wagen
Drey rosenfarbe Stuten an,
Und läßt sich nach Hymettus tragen.
Dort steigt sie ab, läßt Pferd und Wagen
In einer Grotte stehn, und sucht mit zartem Fuß,
Aus dessen Tritten Rosen sprossen,
Den schönen Cephalus.
Aurora? Wie? – das Muster weiser Frauen,
Auf deren Treu, die schon Homer uns pries,
Ein jeder alter Mann sein junges Weibchen schauen
Und sie zum Vorbild nehmen hieß?
Sie, die nur ihrem Tithon lachte,
[14]
Und, ob er gleich bey silbergrauem Haar
Und taubem Ohr kaum noch ergötzbar war,
Doch Tag und Nacht auf sein Ergötzen dachte;
Die ihre schöne Brust zu seinem Pfülben machte,
Und wenn, nach alter Männer Art,
Die schöne Brust von ihm begeifert ward,
Sich's doch nicht eckeln ließ, ihm ganze Nächte wachte,
Ihm oft die Füße rieb, ihm oft den Puls befühlt',
Erwärmend ihn in ihren Armen hielt,
Ihn immer fragt', ob ihm was fehlte,
Und bis er schlief ihm Mährchen vorerzählte –
Aurora, die so viele Proben gab,
Wie zärtlich sie den alten Tithon liebe;
Sie fiele nun auf einmal ab,
Und hegte fremde Triebe?
Mir ist es leid, daß ich's gestehen muß,
Ihr mögt nun, was ihr wollt, von ihrer Tugend halten,
Allein, so war's! Sie schlich von ihrem Alten
Sich heimlich weg, und sucht den jüngern Kuß
Des schönen Cephalus.
Helvetius und Büffon werden sagen,
Das dieses nicht so unnatürlich sey;
Allein, wie fromme Leute klagen,
So denken beide ziemlich frey.
Doch selbst Sanct Thomas will vorlängst gesehen haben,
[15]
Daß junger Mädchen Aug' auf schönen jungen Knaben
Sich gern verweilt; und an Gestalt,
An Neigungen und Reizbarkeit der Sinnen,
Sind, wie man weiß, die ältesten Göttinnen
Stets sechszehn Jahre alt.
Dis war Aurorens Fall, als auf Hymettus Höhen,
Zur Jagd geschürzt, mit Bogen, Pfeil und Spieß,
Der schone Jäger ihr zum erstenmal sich wies.
Verbeut die strengste Pflicht, was sichtbar ist, zu sehen?
Sie sah in Unschuld hin, und blieb, ihm nachzusehen,
Uneingedenk der laurenden Gefahr,
Auf einer Silber-Wolke stehen.
War's ihre Schuld, daß er so reizend war?
Es bleibt hiebey. Doch, da sie, wider Hoffen,
Zum zweytenmal ihn schlafend angetroffen,
Wie sollte sie dem Einfall widerstehn,
Von ihrem Wagen abzusteigen
Um ihn genauer anzusehn?
Die Dämmrung macht oft Manche schön,
Die sich im Sonnenschein mit schlechtem Vortheil zeigen,
Sie muß doch sehn, ob's hier nicht auch so sey.
Er flog letzthin zu schnell vorbey;
Was schadet's näher hinzugehen?
Sie thut's. Allein, wie angenehm erblaßt,
Da sie ihn recht in's Auge faßt,
Ihr Rosen-Mund – den Tithon selbst zu sehen!
[16]
Den Tithon? – Ja, doch wie er damals war,
Als er, in auserlesner Schaar
Der schönsten Phrygier, vor Allen
Der Schönste war, vor Allen ihr gefallen,
Mit langem dunkelbraunen Haar,
Mit blühendem Gesicht und Lippen von Corallen.
Je mehr sie ihn beschaut, je stärkre Farben leiht
Ihr gern betrognes Herz der seltnen Aehnlichkeit.
Sie überläßt sich nun mit Ruh den neuen Trieben,
Und findt, ich weiß nicht was für eine Süßigkeit,
Den werthen Greis im Cephalus zu lieben.
Mit welcher Lust, mit welcher Zärtlichkeit
Sie auf das Ebenbild von Tithons schöner Zeit
Die gern betrognen Blicke heftet!
So war er einst mit jedem Reiz geschmückt,
So ward er oft, eh ihn der Jahre Last entkräftet,
Im Taumel süßer Lust an ihre Brust gedrückt!
So sieht und liebt, nach Platons Lehren,
Der junge Kallias in seiner Tänzerinn
Das höchste Gut, womit sich unsre Geister nähren,
Eh' sie, Gott weiß warum, in diese Leiber ziehn.
Singt ihm, den Grazien zu Ehren,
Ihr süßer Mund ein tejisch Liedchen vor,
So glaubt euch der entzückte Thor,
Er höre den Gesang der Sphären:
Ein Druck von ihrer weichen Hand,
[17]
Ein Kuß der buhlerischen Zungen,
Erweckt von seinem Götter-Stand
Die schlummernden Erinnerungen;
Auf einmal ist's, ob um ihn her
Der blaue Himmel offen wär',
Er sieht die Sterne doppelt blinken;
Er steigt, verliert sich in den Schwarm
Der Geister, welche Nektar trinken,
Glaubt in den Quell des Lichts zu sinken,
Und sinkt in – Phrynens Arm.
Daß oft dergleichen Aehnlichkeiten
Zu süßen Irrungen verleiten,
Ist ein Erfahrungsatz, den Niemand läugnen wird.
Aurora sah, durch sie verführt,
Im schönen Cephalus den Tithon sich verjüngen,
Und sah es kaum, so faßt sie schon den Schluß,
Die Stunden, welche sie, nicht ohne Ueberdruß,
Bey Diesem nur verträumen muß,
Mit Jenem muntrer zuzubringen.
Mit welcher Lust verschlingt ihr lauschend Ohr
Der raschen Stöber Laut, die ins Gehölze dringen!
Sonst hörte sie der Lerchen frühes Chor
Gern neben ihrem Wagen singen:
Allein ihr däucht in diesem Augenblick
Hylaktors Jagd-Geheul die lieblichste Musik.
Sie sieht die muntern Jäger ziehen,
[18]
Das Hift-Horn tönt, der Wald erwacht,
Die Hunde schlagen an, die scheuhen Rehe fliehen;
Doch plötzlich fühlt von einer fremden Macht
Der Jüngling sich ergriffen, fortgezogen,
Und schneller als ein Pfeil vom Bogen
Durch Luft und Wolken weg, wer weiß wohin, gebracht.
Betäubt von seinem Abentheuer
Begriff er nicht, wie ihm geschah.
Er sieht aus Furcht, die stets Gespenster sah,
Bey zugeschloßnem Aug, ein gräßlich Ungeheuer
Mit offnem Schlund ihm dräun und glaubt sein Letztes nah.
Doch Düfte von Ambrosia,
Die ihm, mit süßerm Schwall, als von den Zimmet-Hügeln
An Ceylans Strand, entgegenwehn,
Ermuntern ihn zuletzt, die Augen aufzuriegeln;
Und o! wer wünschte nicht, was er itzt sah zu sehn!
Der Perlenmutter-Saal mit Säulen von Rubinen,
Den unsre Göttinn sich zum Schauplatz auserkohr,
Hat einem Kenner nicht romantisch gnug geschienen.
So stellt euch dann umwölbet mit Schasminen
Auf weichem Moos ein Blumen-Bette vor,
Mit reichem Sammt bedeckt; auf diesem Blumen-Bette,
Was Jupiter sich selbst gewünschet hätte:
Die schönste Fee, so schön und jung, als man
An einem Sommer-Tag sie immer sehen kann;
Und diese Fee in einer Lage
[19]
Wie Titian der Liebes-Göttinn giebt,
Und in dem halbgebrochnen Tage,
Worinn die blöde Schaam sich williger ergiebt;
Verhüllt, doch so, daß jede kleine Regung
Das neidische Gewand verschiebt,
Und unter seidnem Flor die steigende Bewegung
Des schönsten Busens sichtbar wird –
Den Anblick stellt euch vor, und werdet nicht gerührt!
Der Jüngling ward's, der in dem Augenblicke,
Worinn der schöne Gegenstand
Ihn überrascht, zu gutem Glücke
Sich selbst zu ihren Füßen fand.
Die Göttinn wundert, wie natürlich,
Sich ungemein, ihn hier zu sehn;
Und er giebt ihr, doch nur figürlich,
Den ganzen Eindruck zu verstehn,
Den so viel reizungsvolle Sachen
Auf sein geblendtes Auge machen.
Die Freyheit, die er nimmt, fällt billig
Dem Schicksal, nach Gebrauch, zur Last;
Und wenn Auror' ihn nur nicht haßt,
Ist er zu jeder Strafe willig.
Aurora will ihm gern gestehn,
Daß Leute, die ihm ähnlich sehn,
Nicht sehr gehaßt zu werden pflegen:
Es sey ihr auch nicht sehr entgegen,
[20]
(Sie hält, indem sie dieses spricht,
Die Rosen-Finger vor's Gesicht)
Von einem hübschen Mann sich hochgeschätzt zu wissen –
Wie weit ihr eignes Herz hiebey
Vielleicht zu gehen fähig sey,
Das werde mit der Zeit sich erst entwickeln müssen –
Man komme mit Beständigkeit
Und vielem Muth im Lieben weit;
Doch, was sie seiner Zärtlichkeit
Für diesesmal gestatten wollte –
(Und dieses selbst vielleicht noch nicht gestatten sollte)
Sey, nebst dem Recht, sie ungescheut
Auf seinen Knieen anzuschauen,
Ein ungezweifeltes Vertrauen
In seine Ehrerbietigkeit.
Mein Mann verspricht mit vielen Schwüren,
Indem er ihre Knie aus Dankbarkeit umfaßt,
Sich sehr bescheiden aufzuführen;
Doch Dankbarkeit ist eine schwere Last!
Aus Dankbarkeit, von der er glühet,
Wird ihre schöne Hand, wer weiß wie oft, geküßt,
Und da man sie zerstreut zurücke ziehet,
Indem er noch im Küssen ist,
Verirrt sein Mund – da seht mir doch die Musen! 1
[21]
Die kleinen Spröden schämen sich
Und halten plötzlich ein – doch ich bekenn' es, ich,
(Und Cicero an Pätum spricht für mich)
Verirrt – wie leicht verirrt man sich! –
Verirrt sein Mund auf ihren Busen.
»Wer einmal, (spricht Marx Tullius,
Doch nicht im Buche von den Sitten)
Und wär's nur mit dem linken Fuß,
Des Wohlstands Gränzen überschritten,
Dem rath' ich, statt aus Blödigkeit
Auf halbem Wege stehn zu bleiben,
Vielmehr die Unbescheidenheit,
So weit sie gehen kann, zu treiben.«
Dies Axioma mag sehr oft nach Ort und Zeit
Ein Körnchen Salz in praxi nöthig haben;
Vermessne, unbescheidne Knaben,
Mit Bart und ohne Bart, gehn leicht hierinn zu weit.
Doch Cephalus (man muß eins wie das andre sagen)
[22]
Befand sich wohl bey dem, was Marcus schrieb:
Er wagts von Grad zu Grad, bis ihm vor lauter Wagen
Nichts mehr zu wagen übrig blieb.
Wenn seinem Ungestüm die Göttinn endlich wich,
So that sie freylich nichts, als was sie längst beschlossen.
Mit Cephalus verhielt es sich
Nicht so. Ihm war ein Glück, das ihn den Göttern glich,
Durch bloßen Zufall aufgestoßen,
Und diese Zauberey, die süße Trunkenheit,
Die sein Gehirn auf ziemlich lange Zeit
Der Stimme seiner Pflicht verschlossen,
Ward gradweis aufgelöst, uno endlich ganz zerstreut.
Ihm hatte, da sein Mund (wie schon gesagt) verirrte,
Die Phantasie den gleichen Streich gespielt,
Wodurch die Göttinn ihn für ihren Tithon hielt.
Es stellt' im Feuer der Begierde
Ihm in Auror' sich seine Procris dar:
Wie ähnlich, Götter! Ja, fürwahr!
Sie ist's, Sie ist's! An Stirn und Brust und Haar
Kann in der Welt sich nichts vollkommner gleichen!
Wen muß dies Lächeln nicht erweichen?
So lächelt Procris nur! So schön
Sah er in ihren blauen Augen,
Vor Uebermaaß der Wonne, Thränen flehn,
Und war entzückt sie aufzusaugen!
So dacht' er und Auror, in diesem Stück mehr klug
[23]
Als zärtlich, sieht und nährt den nützlichen Betrug.
Nehmt noch dazu die zärtlichste der Farben,
Die dieser Göttinn eigen ist,
Das süße Rosenroth, das ihren Leib umfließt,
Und einen Mund der Griechisch küßt,
Und Augen, die vor Wollust starben:
So wird bey Leuten, die verzeihn,
Sein Selbstbetrug vielleicht verzeihlich seyn.
Doch, wie die stärksten Zauberey'n
Der Wahrheit endlich weichen müssen,
So däucht auch ihm, nach wiederholten Küssen,
Die Aehnlichkeit nicht mehr so groß zu seyn.
Der Dunst zerfließt, der sein Gesicht geblendet,
Er staunt, er fühlt sich träg' und lau,
Und zürnt schon auf sich selbst, daß er an Tithons Frau
So viel Entzückungen verschwendet.
Vergebens sucht ihr feuervoller Blick
Die Flamme wieder anzufachen,
Ihm winkt umsonst ein neues Glück
In ihrem offnen Arm; die Scherze fliehn zurück,
Und Reu' und Ueberdruß erwachen.
Bald kommt es, wie man denken kann,
Zu Fragen und Erläuterungen,
Und Cephalus, von Schaam und Schmerz bezwungen,
Fängt stotternd diese Beichte an:
Zu wahr ist's nur, o Göttinn, mein Betragen
[24]
Beleidigt deinen Reiz, und läßt mir weiter nichts,
Als tiefbeschämt mich selber anzuklagen.
Nicht halb so sehr verwirrt von deinen Klagen,
Als meiner eignen Schuld, weiß ich, beym Gott des Lichts!
Nicht was ich sagen soll – Mein Herr, das thut hier nichts,
Fällt ihm Aurora ein, ihr braucht euch nicht zu plagen;
Der Eingang will, so viel ich merke, sagen,
Ihr liebt mich nicht, und habt mich nie geliebt?
Ach, allzuwahr! (ruft Cephalus betrübt,
Indem Auror, doch nur mit halbem Munde,
Bey seinem Ach ihm an die Nase lacht)
Ja, ich gesteh's, daß diese Morgen-Stunde
Mich doppelt ungetreu, mich doppelt strafbar macht.
Unwürdig so beglückt zu werden,
Liebt' ich, o Göttin, dich – die, ohne Schmeicheley,
So sehr verdient, daß ihr ein Herz sich weih –
Dich liebt' ich nie; und ihr – der einzigen auf Erden,
Für die ich zärtlich bin – ihr ward ich ungetreu!
Das Compliment, versetzt die Dame,
Ist minder schmeichelhaft als neu;
Doch, wenn man bitten darf, der Name
Der Schönen, die das hohe Glück genießt,
Daß solch ein Herz für sie nur zärtlich ist?
Der Schein, ich fühl's und sag's mit Schmerzen,
Ist wider mich, spricht Cephalus;
Und doch – vergieb, daß ich so deutlich reden muß!
[25]
Du hattest nichts als meinen Kuß,
Und Procris war in meinem Herzen.
Wir waren schon vom Führband an
Die unzertrennlichsten Gespielen,
Und lieben uns, seitdem wir fühlen,
So zärtlich als man lieben kann.
Als Kind schon kannt' ich keine Lust
Als meiner Procris liebzukosen,
Lag gerne mit ihr unter Rosen,
Und spielte mit der jungen Brust.
Wie ward sie oft im Sommerschatten
Am kühlen Bach von mir belauscht!
Wir wußten nicht warum, und hatten
Schon unsre Herzen ausgetauscht.
So wurden wir bey Scherz und Küssen
Eins in des andern Armen groß,
Und unwillkommne Pflichten rissen
Mich weinend itzt aus ihrem Schooß.
Nun folgten kriegerische Spiele
Dem Gänsepiel, der blinden Kuh;
Es floh vorm lermenden Gewühle
Der Kindheit sorgenlose Ruh.
Allein das Bild der holden Schönen
Schwebt mir, wohin ich gehe, nach;
Ein banges wehmuthsvolles Sehnen
Ertränkt mein Aug in stillen Thränen,
[26]
Und hält in oder Nacht mich wach.
Itzt deucht der Tag mich nicht mehr helle,
Die Luft nicht blau, der Frühling todt;
Nichts reizt mich mehr, kein Abendroth,
Kein Hayn, kein Schlummer an der Quelle.
Allein sobald ein Götter-Fest
Die Mädchen sichtbar werden läßt,
Und Procris, weiß und frisch-umkränzet,
Mit offner Brust und freyem Haar,
Die Schönste in der bunten Schaar,
Wie Hebe mir entgegenglänzet;
Dann ist mir – nein! der Götter Glück
Kann keinen höhern Grad erschwingen!
Mein offnes Aug, mein starrer Blick
Scheint ihre Reize zu verschlingen:
Sie sieht im gleichen Augenblick
Nach mir sich um, und unsre Blicke
Begegnen sich; sie seufzt, und zieht,
Da sie mein Auge schmachten sieht,
Verschämt die ihrigen zurücke;
Doch bald von Amorn übermogt,
Der ihr im jungen Busen pocht,
Kann sie sich länger nicht erwehren,
Sich zärtlich nach mir hin zu kehren;
Sie füht – »Sehr wohl, mein Herr! Sie fühlt,
Was alle junge Mädchen fühlen.
[27]
Sagt mir, ihr, der so vieles fühlt,
Was soll die Elegie erzielen,
Womit ihr mich hier abgekühlt?
Man dächte, wenn man euch so reden hört, es hätte
Noch Niemand es, wie ihr gemacht;
Fangt lieber den Roman von hinten an, ich wette
Er endet doch in einer Hochzeit-Nacht.«
Um kurz zu seyn, so sind es nun drey Jahre,
Fuhr Cephal fort, daß Hymen uns beglückt,
Und ich in Procris Arm erfahre,
Daß After-Liebe nur von Sättigung erstickt.
Mir ist, ob jede Nacht die allererste wäre,
Man sagt sonst der Genuß verzehre
Der stärksten Liebe Glut; bey uns ist's umgekehrt,
Die unsre wird dadurch genährt,
Und wächst, dem Phönix gleich, aus ihrer eignen Asche.
Der Herr (fällt hier die Göttinn ein)
Hat, wahrlich! aus der Purpur-Flasche
Bescheid gethan, er liebt ja ungemein!
Wer hätte sich bey so gestellten Sachen
Des Glücks versehn, ihn ungetreu zu machen?
So widersinnisch als es klingt,
Versetzt er mit gesenkten Blicken,
So wahr ist's doch: was mir ihr Bild vor Augen bringt,
Ein Zug von ihr, ein Blick, ein Augen-Nicken,
Wie Procris nickt, das setzt mich in Entzücken;
[28]
Und reizend, Göttinn, wie du bist,
Konnt' Amorn diese Hinterlist
Nur gar zu leicht, zumal im Dunkeln, glücken.
Allein bey kälterm Blut und hellerm Sonnenschein
Soll Venus selbst nicht fähig seyn,
Noch einmal mich so zu berücken.
Die Göttinn wendet lächelnd ein:
Was einst geschehen sey, das könne mehr geschehen.
Sie hofft umsonst! Er schwört ihr Stein und Bein,
Sie niemals mehr für Procris anzusehen.
Und meynst du, fragt Auror, daß ihre Gegentreu
Der seltnen Großmuth würdig sey,
Ihr einer Göttinn Gunst zum Opfer darzubringen?
Die Herzen, glaube mir, sind rar,
Die man versuchen darf, du kennest Amor's Schlingen!
Ein zärtlich Weib ist immer in Gefahr.
Und wäre sie in Danae's Verwahr,
Wohin kann nicht ein goldner Regen dringen?
Seyd unbesorgt, erwiedert unser Held,
Ihr würde selbst vom Zevs vergebens nachgestellt.
Ich kenne sie; sie würd' in ihrem Leben
Auf einen andern Mann, und wär' es ein Adon,
Sich keinen Seiten-Blick vergeben.
Der Götter Fürst regiert auf seinem Thron
Nicht ruhiger, als ich in ihrem Herzen.
[29]
Du bist beglückt, versetzt Tithonia,
Und ferne sey's von mir, sie bey dir anzuschwärzen.
Allein, erinnre dich, was kaum dir selbst geschah.
Gelegenheit, mein guter Freund, und Jugend
Sind immer ihrem Falle nah.
Wie oft, daß sich die strengste Tugend
Zu schwach zum Widerstande sah?
Zu allem Glück war kein Versucher da;
Allein man spielt nicht allezeit im Glücke,
Und Unschuld, die nichts Böses denkt noch scheut,
Fällt manchmal bloß aus Sicherheit
In Amors unsichtbare Stricke.
Aurora, die mit Kenntniß sprechen kann,
Spricht so beredt vom süßen Gift der Sünde,
Und unsrer Fehlbarkeit, giebt ihm so viele Gründe,
Und führt so manches Beyspiel an,
Daß ihr die List gelingt. Der Mann fällt in Gedanken,
Und staunt mit unterstütztem Haupt,
Und staunt so lang, bis er Frau Procris fähig glaubt,
Wo nicht zu fallen, doch zu wanken.
Die Eifersucht, ein Uebel, daß er nie
Bisher gekannt, verwirrt schon sein Gehirne,
Es schwindelt ihm, es schwanken ihm die Knie,
Er reibt sich die gerümpfte Stirne,
Und seine kranke Phantasie
Zeigt ihm bereits in einer dunkeln Grotte,
[30]
Bey Lunens ungewissem Licht,
Was jeder kluge Mann dem Gotte
Von Delphi selbst nicht glaubt, das schreckliche Gesicht!
Dies schwindet zwar, doch seine Unruh nicht;
Es bleibt doch möglich, daß sie fehle.
Wie Manche fiel! Wird Procris wohl allein
Vom Reiz verbotner Frucht nicht zu versuchen seyn?
Sie wird's vielleicht – vielleicht auch Nein,
Und dies Vielleicht, dies foltert seine Seele.
Es koste, was es will, er muß beruhigt seyn!
Die Göttinn spricht: In solchen Fällen
Pflegt man zu bessrer Sicherheit
Oft gute Freunde anzustellen;
Doch Mancher hat es auch bereut.
Nimm, [fährt sie fort, und zieht vom kleinen Finger
Ein Reifchen ab] nimm diesen Talisman,
Er macht dich fremd, unkenntlich, älter, jünger,
Zum reichsten oder schönsten Mann,
Zu was du willst; ein Wunsch, so ist's gethan.
Du kannst hiedurch die Probe selber machen:
Hält sie sich gut, so opfre ja dem Glük;
Wo nicht, so bleibt doch nichts an deiner Stirn zurück,
Und wenn du weinst, so wird doch Niemand lachen 2.
[31]
Mein Cephalus geht Alles willig ein,
Bedankt sich, küßt die Hand, doch macht er wenig Worte,
Und wünscht, aus diesem Zauber-Orte
Nur schon daheim zu seyn.
Er eilt hinweg, sieht vor der goldnen Pforte
Ein rosenfarbes Pferd gesattelt und gezäumt,
Steigt auf, und trabt davon, als hätt' er viel versäumt.
Frau Procris saß indeß nach ihres Landes Sitten,
Wie beym Homer Calypso, in der Mitten
Vor einer hübschen Mädchen-Schaar,
Worinn sie, nach Gebühr, als Frau die Schönste war.
Die spinnt, die andre zwirnt, die würkt, und jene flicken,
Die Dame selbst ist emsig dran,
So künstlich als man sticken kann,
Minerven zum Geschenk ein Schleyer-Tuch zu sticken.
Homer erzählte gleich mit großem Wörter-Pracht
Was sie darauf gestickt – als, Sonne, Mond und Sterne,
Den Pol, der Götter Sitz, und in der Ferne
Den Erebus, ja gar die alte Nacht;
Das feste Land, ringsum verschlossen
Vom grauen Ocean, und Luft und Berg und Thal,
Und eine schöne Flur, von Sonnenschein umflossen,
Und einen Hain, wo Vögel ohne Zahl
Die liederreichen Kehlen stimmen,
Und Nymphen, die mit halb entblößtem Leib
In scherzendem Gewühl auf blauen Wellen schwimmen,
[32]
Und einen Hirten-Tanz, und wenn die Sterne glimmen,
Im tiefen Hain der Faunen Zeitvertreib;
Dann wie im Herbst durch falbe Trauben-Gärten
Der Wein-Gott zieht, und mit zerstreutem Haar
Die Mänas, und mit taumelnden Gebehrden
Der Satyrn ungezähmte Schaar,
Die tanzend um den Wagen schweben,
Un wie sie den Silen, der fiel,
Lautlachend auf den Esel heben,
Und halbversteckt im Laub der Reben
Der Liebes-Götter loses Spiel:
Dies und wohl zwanzigmal so viel,
Was in der Stadt, im Tempel, auf den Gassen,
Und auf dem Feld begegnen kann,
Das würde sie der gute alte Mann,
Der gar zu gerne malt, recht zierlich sticken lassen:
Doch was man ihm verzeiht, sieht Andern selten an.
Genug! Frau Procris saß und stickte,
Als sich ein Herr Amphibolis,
Dem gleich die Gunst der Kammer-Nymphe glückte,
Bey ihro Gnaden melden ließ.
Ihr erster Einfall war, den Fremden abzuweisen,
Allein das Mädchen überzieht;
Er ist ein feiner Mann, Madam, er kommt von Reisen,
Und bringt vom Herrn uns Nachricht mit.
Man läßt ihn vor, hört seinen Auftrag an,
[33]
Dankt ihm, entschuldigt sich, und läßt ihn wieder gehen.
Das Schlimmste war dabey, daß man
Ihn kaum ein einzigsmal nur flüchtig angesehen.
So sehr er sich beym ersten Blick
Des Mädchens Gunst erwarb, so muß man doch gestehen,
Daß seine Mien' ihm dieses schnelle Glück
Vermuthlich nicht verschafft. Der Herr Amphibolis
War, in der That, bey weitem kein Narciß,
Und auch der Jüngste nicht – ein Seemann, stark von Knochen,
Rasch wie sein Element, im Reden kurz und rund,
Plump von Manier, und gar nicht ausgestochen,
Großnasicht überdies, und größer noch von Mund.
Die Damen schütteln ihre Köpfe? –
Geduld! ich sag' es ja, schön war er nicht;
Allein, er hatte was, das in die Augen sticht,
Er hatte was, womit ein Carnevals-Gesicht
Die Schönsten – schüttelt nur die Köpfe! –
Die Schönsten unter euch dem Amor selbst entführt,
Das manchen Höcker deckt, und eckelhafte Kröpfe
Mit Grazien und Liebes-Göttern ziert;
Kurz, das, wodurch ein Gnom oft zum Adonis wird,
Er hatte – Geld, und was dazu gehöret,
Juwelen, Perlen, Diamant,
Smaragd, Rubin, als hätt' in seiner Hand
Sich, was er nur berührt, in Edelstein verkehret.
Mit solchen Waffen hielt der Herr Amphibolis
[34]
Sich eines schnellen Siegs gewiß.
Er überströmt mit einem Perlen-Regen
Das ganze Haus, und kauft sich jedes Herz,
Sie wallen ihm und seinem Gold entgegen:
Nur Procris kann er nicht bewegen;
Nur Procris bleibt, zu ihres Mädchens Schmerz,
Beym Glanze Persischer Guineen
So kalt, als wie bey seinem plumpen Flehen.
Hans La Fontain! Nun sagt mir noch einmal,
Der Cassen-Schlüssel sey der Schlüssel zu den Herzen!
Meynt ihr, es gelte nur, ohn' Ausnahm, ohne Wahl,
Das schöne Volk so häßlich anzuschwärzen?
Von Wäscher-Nymphen, gut! da geb' ich Alles zu,
Die sind in Rom, und selbst in Cambalu,
So feil als in Paris; auch dieses geb' ich zu,
Daß Damen selbst, zumal die Spielerinnen,
Ihr Herz an Zahlungs Statt sich lassen abgewinnen;
Daß manche, die von Berg und Thal sich schreibt,
Wenn alte Richards ihre Bitten
In baarem Geld ihr vor die Füße schütten,
Aus Ekel zwar sich eine Weile sträubt,
Doch selten unerbittlich bleibt;
Auch das gesteh ich ein – Allein so dreiste singen,
Die Beste sey mit Gold zur Uebergab zu zwingen,
Das nenn' ich Felonie, das schmäht
Zugleich der Schönen Ruhm und Amors Majestät.
[35]
Die Probe kann für tausend andre dienen,
Die hier die Dame Procris gab.
Der Meer-Mann liest in ihren stolzen Mienen,
Daß einem Mann, wie er, hier keine Myrthen grünen,
Weil's nun nicht anders ist, so sucht er seinen Stab,
Packt seinen Kram von Perlen und Rubinen
Hübsch wieder ein, und führt sich ab.
Auch war sonst nichts zu thun. Er geht, in seinem Herzen
Vergnügter als im trüben Blick;
Allein, von Freuden und von Scherzen
Umflattert, kommt er bald als Seladon zurück.
Herr Heger, malen Sie zu dieser Phyllis Füßen
Uns einen hübschen Knaben hin;
Ein rund Gesicht, wie einer Schäferinn,
Hellbraunes Haar, ein glattes Kinn,
Ein schwarzes Aug', und einen Mund zum Küssen;
Schlank von Gestalt, geschmeidig, zierlich,
In allen Wendungen so reizend als natürlich,
Wie Zephyr leicht, und schmeichelhaft und dreist,
Wie ein Abbé – kurz, schön als wie gegossen,
Und um und um von diesem Reiz umflossen,
Von diesem Glanz, von diesem Jugend-Geist,
Den Winkelmann uns am Apollo preist –
Wie schön er ist! Man muß ihn gerne sehen!
Die Augen zu, ihr Mädchen lauft davon!
Hier ist Gefahr – Ihr lächelt, und bleibt stehen?
[36]
Wohlan so guckt – es ist mein Seladon.
Der Weise nur, wenn wir der Stoa glauben,
Ist schön und voller Reiz, nur er ist groß und frey,
Hochedel, Hochgelehrt, ein Crösus noch dabey,
Und ein Monarch, so gut als Uzim Oschantey.
Doch bey den Stoikern in Hauben
Ist dieser Lehrsatz Ketzerey.
Was Crantor und Chrysipp von ihrem Weisen pralen,
Das legen sie dem Schönen bey.
Sey schön, ich meyne schön zum malen,
Ein Seladon, und, auf mein Ehren-Wort,
Sie schicken dir zu lieb den Zoroaster fort;
Du machst beym ersten Blick die Herzen unterthänig,
Bist weise, tapfer, edel, ja, wie dort
Astolfens Zwerg beym Ariost, ein König,
Wo nicht der Könige, doch oft der Königinnen –
Sie läugnen's zwar; allein das irrt mich wenig:
Was Herz und Mund verheelt, läßt oft ihr Aug' entrinnen.
Mein Seladon gefällt aufs erstemal;
Beym zweyten pocht schon was im reizenden Oval,
Das sittsam, um und um verdecket,
Sich in gewebte Luft vor unserm Blick verstecket;
Beym dritten wird sie oft zerstreut,
Und Seufzerchen, wie Liebes-Götter,
Entschlüpfen ihr, vielleicht aus Bangigkeit,
[37]
Denn, (wie die Chronik sagt) war's um die Rosen-Zeit,
Und selben Tag sehr schwüles Wetter;
Am vierten wundert Procris sich,
Daß sie nicht Anfangs gleich bemerket,
Wie sehr er ihrem Manne glich;
Am fünften wird ihr Ohr noch mehr hierinn bestärket,
Indem er seine Liebes-Pein
Zu ihren Füßen klagt; nichts kann so rührend tönen,
Und nichts dem Ton so ähnlich seyn,
Worinn einst Cephalus sein Sehnen
Ihr vorgegirrt – Am sechsten – »Wie?«
(Ruft hier ein Geck, der kommen, sehn und siegen
Vom Angola gelernt:) Am sechsten? Welche Lügen!
»Ein Masulhim braucht nicht so viele Müh!
Parbleu! Mein Herr, noch nie hat eine Schöne,
Die ich mit meiner Gunst beehrt,
So viele Stunden sich gewehrt,
Als Procris Tage! – Selbst die feyrliche Climene,
Die so mit ihrer Tugend rauscht,
Ward jüngst im Schlaf von mir belauscht,
Und hat vielleicht, bey dämmernden Gardinen,
Mit ihrem Sylphen mich vertauscht:
Mit Amarinten, mit Nerinen,
Ward der Roman in einer Sommer-Nacht
Sehr feyrlich angestimmt, und bis zum Schluß gebracht;
Die stolze Celia, die kleine Rosemunde –«
[38]
Gut, gut, Herr Geck! Wir kennen eure Macht;
So gar die weise Kunigunde
Ergäbe sich euch in der ersten Stunde;
Doch eine Procris wird so schnell nicht zahm gemacht;
Und kurz, es brach nach sieben vollen Tagen
Die Nacht herein, und diese Nacht vergieng
Schon halb, als Seladon sich bebend unterfieng,
Den ersten Kuß auf ihren Mund zu wagen.
Und, welch ein Kuß, indem sie sich bemüht,
Ihm zu entfliehn; und doch ihm nicht entflieht!
Wie blinkt ihr Aug'! Wie süße Seufzer regen,
Indem zugleich vor holder Schaam und Lust
Dies Aug' sich schließt, die halbenthüllte Brust,
Und hauchen ihm den Geist der Lieb' entgegen! –
Ihr Götter! – Seladon? – Was kann
Solch eine Wollust – Wie? Du fährst ergrimmt zurücke? –
Wie glücklich, ruft er, war' in diesem Augenblicke
Ein jeder Andrer – als dein Mann!
Kein Donner-Keil, der an der Gattinn Seiten
Den besten Jüngling rührt und schnell zu Asche macht,
Sie leben läßt – sie, die nun jede Nacht,
Sonst nur gestört von seinen Zärtlichkeiten,
Mit seinem Schatten-Bild und ihrem Schmerz durchwacht;
Kein Wolken-Bruch, der wild und ungehemmt
Ein sichres Thal schnellrauschend überschwemmt;
Kein Stoß, der Rheas Riesen-Glieder schüttelt,
[39]
Kein Sturm, der Meer und Luft, Olymp und Acheron
Im Wirbel faßt und durch einander rüttelt,
Ist schrecklicher als unser Seladon,
Im Augenblick, da Seladon verschwindet,
Und Procris ihren Mann in ihrem Buhler findet.
Was, meynt ihr, kann ein Weib von zärtlichem Gemüth,
Die unverhofft sich so gefangen sieht,
Was kann sie thun? Was kann sie sagen? –
Nichts sagte sie, schwoll gleich von Grimm
Und stolzer Schaam ihr Herz, indem sein Ungestüm
Mit einer Fluth von ungerechten Klagen
Eie übergießt. Was hälfen Gegen-Klagen?
So sehr sie auch durch eine Hinterlist,
Die Zärtlichkeit und Treu beleidigt,
Dazu berechtigt ist.
Ihr Frauen, die ihr euch ein wenig schuldig wißt,
Glaubt mir, daß Schweigen oft weit sicherer vertheidigt,
Als Alles, was Fleury zu sagen fähig ist.
Die schöne Lobred' anzuhören,
Die er ihr hält, das würde, wie ihr däucht,
Ihm wenig Trost, ihr wenig Lust gewähren;
Sie nimmt daher den kürzern Weg – sie weicht,
Schießt einen Blick, der alle Liebes-Götter
Aus ihren schönen Augen scheucht,
So einen Blick, als ob ein Donnerwetter
Ihm in die Seele schlüg', auf Cephaln, und entfleucht.
Kaum ist sie fort, und nirgends zu erfragen,
[40]
So wechselt Cephalus die Ton-Art seiner Klagen,
Und Alles wird nunmehr in anderm Licht gesehn.
Er sieht sein Weibchen nun nicht ungetreu, nur schön,
Nur liebenswerth; und unter jenen Bildern,
Die sein verlornes Glück ihm schildern,
Den Schatten mancher süßen Nacht,
Worinn sie ihn den Göttern gleich gemacht,
Vergäß er bald, daß diese holden Augen
Dem schönen Seladon gelacht,
Und einen fremden Mund verwegen gnug gemacht,
Aus ihrem Mund Ambrosia zu saugen.
Doch wie? Zu rascher Cephalus!
Worinn bestand denn ihr Verbrechen?
Zürnst du auf deinen eignen Kuß,
Und willst an ihr und an dir selber rächen,
Was du als Seladon gethan?
Du sprichst, sie sah mich doch für einen Andern an –
Wie? Ist dir denn die Macht der Sympathie verborgen?
Grausamer, frage jenen Morgen,
Da dir, sammt ihrem Rosen-Haar,
Das den Betrug verrieth, Aurora Procris war!
Dort war's die Phantasie, vielleicht auch die Begierde,
Die sie in deinem Wahn mit Procris Reizen zierte:
Hier war es mehr, als Wahn und Aehnlichkeit,
Du selbst war'st Seladon. Du suchtest sie zu trügen,
Nicht Procris sich; ein großer Unterscheid!
[41]
Und doch gelang dir's nur, ihr Auge zu belügen,
Nicht ihre Zärtlichkeit;
Selbst unter den geborgten Zügen
Entdeckte dich ihr Herz; ihr Auge wandte sich
Von Seladon, ihr Arm umfaßte dich.
Betrogner Cephalus! Was hat sie dann verbrochen?
Die Allgewalt der Sympathie
Zog sie in deinen Arm, und du bestraftest sie?
Doch, du entbehrst sie nun; und Procris ist gerochen!
So denkt er itzt, wenn Einsamkeit und Nacht
Der Schönen Flucht ihm unerträglich macht.
Er zehrt sich ab mit Sehnsucht und Verlangen,
Sucht sie des Tags, wohin sein Fuß ihn trägt,
Und wenn er Nachts an einen Baum sich legt,
Glaubt er im Traume sie zu finden, zu umfangen,
Und rast wie Roland schier, wenn er erwacht,
Und ihm der Tag den Irrthum sichtbar macht.
Man sagt, wer immer sucht, findt allezeit am Ende
Dies oder das, und oft noch mehr,
Als er gesucht. Indem er weit umher
Das Land durchstreicht, läuft ihm von ungefähr
Die schönste Dryas in die Hände.
Es wallt ihr langes Haar, so schwarz wie Vogelbeer,
Um Schultern, die den Schnee beschämen,
Und was ihr Kleid, gebläht vom losen West
[42]
Und bis ans Kniee geschürzt, dem Jüngling sehen läßt,
Ist Alles, was man braucht, um Herzen von Asbest
Die Unverbrennlichkeit zu nehmen.
Selbst Cephalus, den seit der Procris Flucht
Nichts mehr gerührt, fühlt diesmal sich versucht;
Die Sympathie spielt ihre Spiele wieder:
Doch wehrt er sich, glitsch so geschwind er kann
Vom Hals zum Knie, vom Knie zum Fersen nieder,
Schnappt erst nach Luft, und redt sodann
Mit halbgeschloss'nem Aug' die Schöne stotternd an:
O du, wie nenn' ich dich, wo nicht Dian,
Doch wahrlich ihrer Schwestern eine,
Denn so verkündigt dich die göttliche Gestalt;
Entdecke mir den Aufenthalt
Des besten Weibs, um deren Flucht ich weine:
Vielleicht daß sie in irgend einem Haine
Zu deinen Schwestern sich gesellt?
O nenne mir, bey dem, was in der Welt
Dein Liebstes ist, den Ort, der sie mir vorenthält;
So soll, von Marmor aufgestellt,
Dein schönes Bild mit Blumen-Kränzen
Alltäglich frisch bekränzt, in meinem Garten glänzen.
So sagt er, wirft sich vor ihr hin,
Und will ihr weißes Knie umfassen;
Allein die schöne Jägerinn
Kann aus Bescheidenheit es nicht geschehen lassen,
[43]
Sie schlüpft ihm lächelnd aus der Hand,
Winkt ihn zurück, und spricht: Mein jungferlicher Stand
Erlaubt mir nicht, die Ehre anzunehmen,
Die deine Gunst mir zugedacht:
Doch höre auf, um Procris dich zu grämen!
Ich bin erfreut, daß mich der Zufall fähig macht,
Dir einen Dienst zu thun. Zwar sollt' ich Anstand nehmen;
Sie steht in unserm Schutz; sie hat auf Lebens-Zeit
Der keuschen Göttinn sich geweiht,
Und schwur, auf ewig dich zu meiden.
Das mag sie auch! Genug, mich rührt dein Leiden;
Ihr andern habt, ich weiß nicht was, das euch
Gefährlich macht, ich will es nur gestehen;
Mir schmilzt das Herz von euern Thränen gleich;
Kurz, folge mir, du sollst sie sehen.
Mein Cephalus fällt ganz entzückt
Zum andernmal zu ihren Füßen,
Vergißt aus Dankbarkeit schon wieder, was sich schickt,
Und drückt ihr Knie mit feuervollen Küssen.
Doch schnell besinnt er sich's – der Thor! –
Indem die reizende Rosette
(So hieß man sie im Nymphen-Chor)
Es selbst beynah vergessen hätte.
Er bebt, zieht Mund und Arm zurück,
Und sucht beschämt in ihrem Blick
Den Zorn, den er allein dadurch verdient,
[44]
Weil er zu viel und auch zu wenig sich erkühnt.
Du zauderst? ruft ihm, da er zittert,
Und unentschlossen scheint, halblächelnd, halberbittert,
Rosette zu: steh auf und folge mir;
Die Schöne, die du suchst, ist nicht sehr weit von hier.
Er dankt, und folgt durch tausend krumme Pfade
Der schalkhaftlächelnden Dryade.
Ihm klopft sein Herz zugleich vor Angst und Lust.
Wie freut er sich, an seine treue Brust
Das lang entbehrte Weib zu drücken!
Wie schmiegt er sich vor ihren strengen Blicken
Im Geiste schon! Mit welcher Zärtlichkeit
Will er auf seinen Knien sie um Vergebung flehen!
Er schwört ihr zu, nicht eher aufzustehen,
Bis der Begnadigung, womit sie ihn beglückt,
Ihr süßer Mund das Siegel aufgedrückt.
Mit diesen zärtlichen Gedanken
Langt Cephalus und seine Führerinn
An einer Grotte an, um die des Weinstocks Ranken,
Wald-Lilien, und düftender Schasmin
Ein leichtgewebtes Gitter ziehn.
Hier schleiche (lispelt ihm Rosette)
Dich still hinein; du findest sie, ich wette,
Vom Bad erfrischt, auf ihrem Ruhe-Bette,
In einem Augenblick vielleicht,
Worinn sie selbst dich hergewünschet hätte,
[45]
Und wo man insgemein uns mit Erfolg beschleicht.
Mein Held gehorcht, und findet, wie Rosette
Ihm vorgesagt, Frau Procris, auf dem Bette,
In süßem Schlaf – Doch, Götter! welch Gesicht!
Hat ihn das Aug' der gräßlichen Medusen
Versteinernd angeblitzt? Wie? Er bewegt sich nicht?
Er steht erstarrt? Was zeigt ihm denn das Licht,
Das hier die Nacht zu holder Dämmrung bricht?
Was siehst du, Cephalus? – O! schreckliches Gesicht!
Ein Jüngling ruht an ihrem Busen.
Wie wohl ein solcher Anblick thut,
Will ich die Männer rathen lassen.
Nicht Jeder weiß, wie Dandin sich zu fassen.
Der arme Mann! Ihm stockt sein Blut,
Ihm starrt das Haar; er will die Arme regen,
Will schreyn, und kann, vor Schrecken und vor Wuth,
Die Arme nicht, die Zunge nicht bewegen.
In dieser Noth thut ihm sein Aug' allein,
Nur noch sein Aug', wiewohl zu größrer Pein,
Den letzten Dienst: Er starrt mit Schrecken
Den Jüngling an, und glaubt – o Zufall! o Natur!
Ein andres Selbst, doch ein geborgtes nur,
In diesem Jüngling zu entdecken.
Er irrte nicht; es war der Seladon,
Von dem er jüngst Gestalt und Reize borgte;
[46]
Der schönste Hirt, schön wie Endymion,
Der, da mein Cephalus nichts weniger besorgte,
Frau Procris (die er sich seit ihrem Nymphen-Stand
Zur Herzens-Königinn erkohren)
Zu seinem Sieg schon vorbereitet fand.
Betrogner! Durch dich selbst, durch dich gehst du verloren!
Verfluchte Eifersucht! Verfluchter Talisman!
Was für ein Dämon trieb dich an,
In Seladons Gestalt durch tausend Zärtlichkeiten
Dein ehrlich Weib zur Untreu zu verleiten?
Wer zweifelt wohl, du albernes Gesicht,
Daß Glas und Unschuld leicht zerbricht?
Bey beiden braucht es keiner Proben;
Sie werden nur, weil sie zerbrechlich sind,
Mit größrer Sorgfalt aufgehoben.
Frau Procris war ein gutes Kind,
Die Unschuld selbst; und wär es auch geblieben;
Du selbst verriethest sie dem wahren Seladon;
Du lehrtest sie in Andern dich zu lieben;
Sie lernte gut, du siehst die Frucht davon!
So lispelt itzt das strafende Gewissen
Dem Selbstbetrognen zu; doch (wie es immer geht)
Kömmt nach der That die Reu auch hier zu spät.
Was soll er thun? Sie ruh'n von ihren Küssen
So reizend aus! Es wäre Grausamkeit,
Den süßen Schlaf der Glücklichen zu stören.
[47]
Soll er die Billigkeit, soll er die Rache hören?
Es kostet Müh und innerlichen Streit;
Doch siegt zuletzt die Zärtlichkeit,
Und schmelzt den Grimm in wehmuthsvolle Zähren.
Fast athemlos wirft er den letzten Blick
Auf das geliebte Weib und sein verlornes Glück,
Sieht sie – ihr Götter! welch ein Blick!
In fremdem Arm so sanft, so lieblich schlafen,
Sieht's, ächzet laut, und flieht zurück,
Sein Unglück an sich selbst zu strafen.
Nicht ferne von dem Ort, aus dem er wüthend lief,
Verbreitet sich, umkränzt mit Myrthen-Hecken,
Ein kleiner See, hell wie Krystall, nicht tief,
Doch tief genug, die Nymphen zu verstecken,
Die oft bey lauer Abend-Luft,
Die Dämmerung zu jungferlichen Scherzen,
Und, wenn sie sicher sind, zum frischen Bade ruft.
Hier sucht mein Cephalus das Ende seiner Schmerzen
In einem feuchten Tod. Verzweifelnd, ohne Sinn,
Sieht er zum letztenmal noch auf die Grotte hin,
Drückt dann die Augen zu, und stürzt sich in die Wellen.
Wie wunderbar in seinen Fällen
Das Schicksal ist! Der Kampf des Tages und der Nacht
War noch nicht lang, als dies geschah, geendet;
Aurora, die bereits den frühen Lauf vollbracht,
Erblickt, da sie den Wagen wendet,
[48]
Den kleinen See, und findet ihn bequem;
Sie denkt, ein kleines Bad wär' hier ganz angenehm,
Steigt ab, entladet sich von Schleyer, Rock und Mieder,
Und überläßt die rosenfarben Glieder
Der buhlerischen Fluth – Das dachtest du wohl nicht,
Du guter Cephalus, daß deiner ird'schen Bürde
Aurora selbst die letzte Liebes-Pflicht
In ihrem Arm erstatten würde?
Sein Fall erschreckt ihr lauschend Ohr,
Sie schwingt sich aus der Fluth empor,
Sieht, und erkennt, indem sie siehet,
Den alten Freund, der schon den letzten Athem ziehet.
Die dringende Gefahr macht, daß sie itzt vergißt,
Wie wenig er verdient, daß sie so gütig ist.
Sie schwimmt hinzu, trägt ihn mit eignen Armen
In eine Grotte hin, wo ihm das weiche Moos
Zum Bette wird, setzt ihn auf ihren Schooß,
Und läßt sein kaltes Herz an ihrer Brust erwarmen.
Das Mittel hilft! Sie fühlet bald,
Daß Etwas noch in seinen Adern wallt,
Sieht seine Wangen sich mit neuen Rosen färben,
Und küßt ihn bald ins Leben ganz zurück.
[49]
Zum Malen wäre das ein hübscher Augenblick,
Hier könnt' ein Vanloo Ruhm erwerben.
Er öffnet halb den neubelebten Blick,
Erkennt Auror, und sinkt an ihre Brust zurück,
Nicht vor Verzweiflung mehr, vor Dankbarkeit zu sterben.

Der Stoff zu dieser Erzählung ist aus der Bibel der Griechen genommen. Ovidius hat ihn zuerst bearbeitet; nach ihm Ariost; nach diesem la Fontaine; und nach ihnen Wieland. Die zween ersten haben diese Geschichte rührend erzählt; die zween letzten komisch.

Lassen Sie sich, meine schönen Damen, an die lieblichste Quelle des Thessalischen Tempe unter Rosen auf Bluhmen nieder, und hören jeden von diesen Genieen der Phantasie diese Geschichte erzählen, und winden indessen einen Rosenkranz, Ihren Liebling damit zu bekränzen.

Ovidius läßt diese Geschichte den Cephalus selbst 3 einigen Helden erzählen.

Procris, fängt dieser zu erzählen an, war die Schwester der berühmten Orithyia; die Begebenheiten dieser schönen Dame sind euch vielleicht bekannt. Procris war würdiger, wenn man beider Sitten und Gestalt vergleicht, entführt [50] zu werden. Erechtheus, ihr Vater, vereinigte mich mit ihr, mit ihr vereinigte mich die Liebe. Man nannte mich glücklich, und ich war es; vielleicht wär ich es noch, aber die Götter wollten es nicht.

Wir lebten im zweyten Monat unsrer Ehe, als ich eines Tages früh, da ich den Hirschen nachstellte, von dem Gipfel des immer blühnden Hymetus Aurora erblickte; vor ihrem Glanze verschwand die Dämmerung, wider meinen Willen schwebte sie mit mir davon.

Die Göttinn erlaube mir, die Wahrheit zu sagen: obgleich ihr Rosenmund verführerisch anzusehen ist, und sie die Gränzen der Nacht und des Lichts beherrscht, und Nektar sie nährt, so liebt' ich doch meine Procris. Procris war im Herzen, und Procris mir immer im Munde. Voll Zärtlichkeit beschrieb ich ihr unsre Liebe, das Entzücken der ersten und jüngsten Umarmung.

Mit Verdruß hörte mich die Göttinn an. Undankbarer! sagte sie, hemme deine Klagen: habe deine Procris: wenn ich in die Zukunft sehen kann, so wünschest du bald, sie nie gesehen zu haben: – und zornig sandte sie mich ihr wieder zurück.

Indem ich zurückkehre, und überdenke, was die Göttinn mir sagte, überraschte mich die Furcht, ob meine Gemahlinn die Rechte der Ehe auch wohl beobachtet haben mögte. Schönheit und Jugend konnten sie verleitet haben, [51] mir untreu zu seyn, die Unschuld ihrer Sitten aber hieß mich das Gegentheil glauben.

Allein ich war doch abwesend: diese, von der ich zurückkehrte, ein Beyspiel, wie leicht sich das weibliche Herz entflammt: wir fürchten Alles, wenn wir lieben. Ich beschließe, die Unschuld ihres Herzens mit Geschenken anzugreifen, und ihre Treue auf die Probe zu stellen. Aurora begünstigte diese Furcht und verändert, ich empfand es, meine Gestalt. Unkennbar komm' ich nach Athen, und tret' in mein Haus. Es trauerte über die Entführung seines Herrn; Alles zeugte darinnen von der Unschuld meiner Geliebten.

Nach tausend Listen gelang es mir kaum, vor die Tochter des Erechtheus zu kommen. Ich verstummte, als ich sie erblickte, und stand beynahe von meinem Vorhaben ab. Kaum konnt' ich mich enthalten, ihr die Wahrheit zu gestehen, und mit den zärtlichsten Küssen, wie ich sollte, an ihren Busen zu fliegen 4.

Sie war traurig, aber in ihrer Traurigkeit war Keine schöner, als sie. Sie brannte vor Verlangen nach ihrem entrissenen Gemahle. Ihr könnt' auf ihre Reize schließen, da selbst der Schmerz sie so bezaubernd machte. Wie oft widerstand ihre Tugend meinen Verführungen! Wie oft sagte sie: Für einen Einzigen bewahr' ich meine Liebe, [52] er mag seyn, wo er will; ihm allein meine Freuden. Welcher vernünftige Mann wurde die Treue durch diese Erfahrung nicht bewährt genug gefunden haben? Noch bin ich nicht zufrieden, und streite wider mich selbst. Ich häufe Versprechen auf Versprechen, und vermehre die Geschenke. Endlich trieb ich sie bis zur Verwirrung – 5

»Treulose! – rief ich aus, und entblöße die Brust – ich bin dein Gemahl und nicht dein Liebhaber; ich selbst bin deiner Schande Zeuge.

Sie antwortete nichts. Von heimlicher Schaam überwunden floh sie das Haus, und den ungerechten Gemahl. Von mir beleidigt, war ihr das ganze männliche Geschlecht verhaßt. Sie schweifte auf den Gebirgen umher, und wurde eine Gespielinn der Diana.

So bald sie mich verlassen hatte, drang ein heftiger Feuer mir bis in die Gebeine. Ich bat um Vergebung, und gestand, daß ich strafbar sey –«

Procris wird von der Reue des schönen Cephalus gerührt, und nimmt ihn nicht allein wieder zu Gnaden an, sondern macht ihm auch noch ein Geschenk mit einem Jagdhunde, dem nichts entfliehen kann; und einem Wurfpfeile, der immer trifft, und von sich selbst wieder zurück fliegt. Beides hatte sie von der Diana erhalten. Darauf erzählt [53] Cephalus eine Probe, wie schnell dieser Hund habe laufen können, und wie die Götter, damit er immer bewundert werde, ihn in seinem schnellsten Lauf in Marmor verwandelt haben, und macht eine Schilderung der Glückseligkeit bey seiner Procris.

»Noch süß, ruft er aus, ist die Erinnerung jener seligen Zeit! glücklich war ich durch sie, glücklich war sie durch mich; ich sorgte für sie, und sie für mich; durch Liebe hatte sich eins in das andre verloren. Sie würde das Bett des Zevs meiner Liebe nicht vorgezogen haben, und mich hätte Venus selbst nicht verführen können. –«

Am Morgen pflegt' er mit seinem Pfeil' auf die Jagd zu gehn, und wenn er sich müde gejagt, sich in's Gebüsch eines Hügels zu setzen, und der jüngsten Tochter des Eurus ein Lied zu singen, daß sie um seinen Busen flattern möge, das Feuer, das ihn verzehre, zu kühlen. Jemand, der dies hörte, hinterbrachte seiner Procris, daß er mit einer Nymphe in diesem Hain verliebte Zusammenkünfte habe, und ihr untreu sey. Sie will es nicht eher glauben, als bis sie es selbst gesehen. Cephalus geht nach seiner Gewohnheit wieder auf die Jagd, ruht eben, wie vorher, wieder unter den Schatten des Hügels aus, und ruft dem kühlen Lüftchen, daß es seinen Busen erquicke. Indem hört er hinter sich ein Geräusch; glaubt, es komme von einem wilden Thiere; wirft seinen Pfeil darnach; erblickt seine Procris, und das Blut quillt aus ihrer Brust [54] hervor. Er fliegt zu ihr hin. Sie ringt mit dem Tode. »Bey unsrer Liebe – flehte sie noch, bey den obern und untern Göttern beschwör' ich dich, diesem Mädchen nicht zu gestatten, nach meinem Tode meine Stelle in unserm Bett' einzunehmen –« »Ich erklärt' ihr ihren Irrthum, allein was half es? Das Leben verfloß mit ihrem Blute. Ihre letzten Blicke waren auf mich geheftet; in meinen Mund athmete sie ihre Seele aus, und starb mit heiterm Gesichte. –«

Ariost hat aus dieser Geschichte eine Episode in seinen Orlando furioso gemacht, den Cephalus in einen Ritter, und Aurora in eine Zauberinn verwandelt – kurz; daraus einen Gesang in sein Heldengedicht geschaffen, wie Homer aus den Gerüchten vom Trojanischen Krieg' eine Iliade.

Ich kann hier, da ich kein ganzes Buch über eine Erzählung schreiben will, nur einen Auszug aus diesem Gesange machen.

»Ein alter Zauberer vermählte sich mit einer jungen schönen Dame, und zeugte eine Tochter mit ihr. Diese versprach schon in ihrer Kindheit, dereinst so schön, wie Danae zu werden. Wie er dies sah, so setzte er sich vor, sie so zu erziehen, daß er sie ihrem künftigen Gemahl in aller Unschuld in die Arme liefern könne. Er befahl deßwegen seinen Geistern, den schönsten Pallast in ein abgelegenes Tempe zu bauen, und diesen mit den Bildsäulen der unschuldigsten Damen, die auf dieser Erde gelebt hatten, [55] auszuschmücken, und weil deren Anzahl zu gering war, auch noch diejenigen abzubilden, die in den künftigen Jahrhunderten erscheinen würden.«

Hier ließ er nun seine Tochter von alten wohlgesitteten Matronen erziehen, und in allen weiblichen Künsten unterrichten. Wie sie dem Alten mannbar zu seyn schien, suchte er den schönsten Jüngling, der da mals lebte, zu ihrem Gemahl aus, zauberte ihn in diese Einsamkeit, und übergab ihm seine Tochter, samt dem Pallast und dem Tempe.

»Sie war so schön und so gesittet, daß kein Wunsch mehr bey ihr statt hatte. Sie konnte würken, sticken und nähen, besser als Pallas. Ihr Gang, der Ton ihrer Stimme schien etwas Himmlisches zu seyn, das nicht auf die Erde gehörte; und die Künste und Wissenschaften verstand sie eben so gut, als ihr Vater. Mit großem Verstand und nicht geringerer Schönheit (die so gar die Steine in sie würde verliebt gemacht haben) war eine Liebe, eine Süßigkeit verbunden, die mir noch bey der Erinnerung das Herz durchdringt. Ihr größtes Vergnügen, ihr Liebstes war, bey mir zu seyn, wo ich stund und gieng.« sagt ihr Gemahl noch nach 20 Jahren.


Ella era bella, e constumata tanto,
Che più desiderar non si potea.
Di bei trapunti, e di ricami, quanto
Mai ne sapesse Pallade, sapea.
Vedila andare, odine il suono, e 'l canto,
[56]
Celeste, e non mortal cosa parea;
E in modo all' arti liberali attese,
Che quanto il padre, o poco men, n' intese.
Con grande ingegno, e non minor bellezza
(Che fatta l' avria amabil fin' ai sassi)
Era giunto un' amore, una dolcezza,
Che par ch' a rimembrarne il cor mi passi.
Non avea più piacer, nè più vaghezza,
Che d' esser meco, ov' io mi stessi, o andassi.

Fünf Jahre darauf starb ihr Vater, und eine vornehme, reizende und schöne Dame, Melissa, verliebte sich in ihn auf das Heftigste. Diese verstund so viel von der Zauberey, als nur irgend eine Zauberinn wissen konnte; sie machte die Nacht helle, dunkel den Tag, die Sonne stille stehen, und die Erde blühen. Aber doch konnte sie ihn nicht dahin bringen, daß er ihren Flammen Nahrung gegeben, daß er nur einen Funken seiner ersten Liebe entzogen hätte; endlich verführte sie ihn doch noch so weit, daß sie die Begierde in ihm erregte, den Versuch zu machen, ob ihm seine Gemahlinn auch so treu bleiben würde.

Darauf gab sie ihm einen bezauberten Becher, aus welchem der, welcher eine treue Gemahlinn hatte, trinken konnte, dem aber alles auf den Busen floß, welchem dieses Glück nicht beschieden war. Er machte den Versuch damit, und seine Gemahlinn hielt die Probe aus. Nun mußt' er sich einige Monate von ihr entfernen, die Gestalt [57] eines jungen, schönen und reichen Ritters an sich nehmen, der bey einer gewissen Gelegenheit sich in sie verliebt hatte, aber immer abschlägige Antworten bekam, und zu ihr zurückkehren.

Er wußte alle Gelegenheiten seines Hauses, und konnte sich also leicht in ihr Zimmer schleichen; Melissa begleitete ihn, als ein Bedienter. Er fand seine Gemahlinn ganz allein, schüttete seine Seufzer aus, und zugleich Rubinen, Diamanten und Smaragden, und versprach ihr noch ungleich größere Geschenke. Er sagte ihr, um sie zu bewegen, daß Niemand es sehen und was davon erfahren könne; daß er schon lange ihr Liebhaber gewesen sey, und daß seine Standhaftigkeit einiges Mitleiden verdiene.

»Im Anfang wurde sie nicht wenig darüber bestürzt, sie wurde roth, und wollte nichts hören; allein wie sie die schönen Edelsteine wie Feuer glänzen sah, so wurde das harte Herz erweicht; sie antwortete leise und kurz: vielleicht würde sie sein Verlangen erfüllen, wenn sie versichert würde, daß es Niemand wieder erführe.

Diese Antwort war ein vergifteter Pfeil, den ich mir die Seele durchbohren fühlte. Es gieng mir eiskalt durch die Gebeine und Adern; die Stimme blieb im Schlunde hängen. Melissa hob den Schleyer der Zaubereyen von mir, und meine vorige Gestalt war wieder zu sehen. Denke, was für eine Farbe diese an sich nahm, [58] die in einem so großen Verbrechen sich von mir ergreifen sah.

Wir hatten beide die Farbe des Todes, blieben beide stumm und mit niedergeschlagenen Augen stehen. Kaum konnt' ich der Zunge die Stärke geben, und der Stimme mich bemächtigen, daß ich rief: O Gemahlinn! also hättest du mich verrathen, wenn dir meine Ehre Jemand hätte abkaufen wollen? – Sie konnte mir keine andre Antwort geben, als mit Thränen ihre Wangen befeuchten.

Schaam und Zorn, sich so geschändet zu sehen, stieg endlich bey ihr zu einem grausamen Haß. Eie ergriff sogleich den Entschluß, mich zu fliehen, und den andern Morgen befand sie sich schon bey dem Ritter, dessen Gestalt ich an mich genommen. Er nahm sie mit Freuden auf; und sie ließ mir sagen, ich sollte nicht hoffen, sie jemals wieder zu besitzen, und von ihr geliebt zu werden.« –

La Fontaine, der bloß dem Ariost nacherzählt, hat dieses Genie mit seinem Esprit und seiner Naivität so sehr verdünnt, in seinem bezauberten Becher, daß diese Erzählung alles Ueberraschende bey ihm verloren, und – ich sag' es mit Schmerzen von dem Arzte der Verdrüßlichkeiten meines Lebens – sehr langweilig dadurch geworden ist. Das Genie des Ariosto liegt bey ihm in [59] der zierlichsten Einfassung, aber diese bedeckt es so sehr, daß man seine stärksten Strahlen davor nicht sehen kann. Er ist unausstehlich weitschweifig und langweilig, wenn man ihn nach dem Italiener hört. Selbst der stolze und oft zum Aergerniß gerechte Boileau würde hier verzweifeln, ihn auf Kosten des Schöpfers Ariosto zu erheben, wie er ihn beym Giocondo in vielen Stücken als Schmeichler erhoben hat.

Um meinen Damen und jungen Dichtern das Vergnügen der Vergleichung zu verschönern, will ich die Beschreibung des Moments in dieser Geschichte, wobey sich das Genie in seiner höchsten Stärke zeigen konnte, aus der Erzählung dieser Götterkinder herausziehen.

Dieses Moment ist ohne Zweifel, wo sich der Liebhaber seine Gemahlinn als Mann zu erkennen giebt.


Ovidius.

Muneraque augendo, tandem dubitare coegi.
Exclamo: mala! – pectora detego – lectus adulter
Verus eram coniunx, me, perfida, teste teneris.
Ich vermehre die Geschenke, und zwang sie endlich zu zweifeln –

Treulose! – ruf' ich aus, und gebe mich zu erkennen – dein Mann war ich, und nicht dein Liebhaber; ich selbst bin deiner Schande Zeuge.


Ariosto. 6

Turbossi nel principio ella nun poco,
[60]
Divenne rossa, ed ascoltar non volle;
Ma il veder fiammeggiar poi come foco
Le belle gemme, il duro cor fè molle;
E con parlar rispose breve, e fioco
Quel, che la vita a rimembrar mi tolle;
Che mi compiaceria, quando credesse,
Ch' altro persona mai nol risapesse.
Fù tal risposta un venenato telo,
Di che mene sentit l' alma trasissa.
Per l'ossa andommi, e per le vene un gelo;
Nelle fauci restò la voce fissa.
Levando allora del suo incanto il velo
Nella mia forma mi tornò Melissa.
Pensa di che color dovesse farsi,
Che in tanto error da me trovarsi.
Divenimmo ambi di color di morte,
Muti ambi, ambi restiam con gli occhi bassi.
Potei la lingua a pena aver si forte,
E tanta voce a pena, ch'io gridassi:
Me tradiresti dunque tu Consorte,
Quando tu avessi, chi'l mi' onor comprassi?
Altra risposta darmi ella non puote,
Che de rigar di lagrime le gote.

Diese drey Stanzen sind im Auszug' übersetzt.

la Fontaine.

L' Epoux ne voulut pal pousser plus loin la chose;
Ni de sa propre honte être lui – même cause.
Il reprit donc sa forme, e dit à sa moitié:
Ah Caliste! autrefois de Damon si chérie,
[61]
Caliste, que j'aimai cent fois plus, que ma vie,
Caliste, qui m'aimas d'une ardente amitié,
L'argent t'est il plus cher, qu' une union si belle?
Je devrois dans ton sang éteindre ce forfait:
Je ne puis; & je t'aime encor tout infidele:
Ma mort seule expiera le tort, que tu m'as fait.

»Der Gemahl wollte die Sache nicht weiter treiben, und nicht selbst die Ursache seiner Beschimpfung seyn. Er nahm also seine vorige Gestalt wieder an, und sagte zu seiner Hälfte: –« u.s.w. Man wird mir leicht vergeben, daß ich nicht weiter übersetze.


Wieland.

»Wie glücklich, ruft er, wär' in diesem Augenblicke
Ein jeder Andrer – als dein Mann!
Kein Donner-Keil, der an der Gattinn Seiten
Den besten Jüngling rührt und schnell zu Asche macht,
Sie leben läßt – sie, die nun jede Nacht,
Sonst nur gestört von seinen Zärtlichkeiten,
Mit seinem Schatten-Bild und ihrem Schmerz durchwacht;
Kein Wolken-Bruch, der wild und ungehemmt
Ein sichres Thal schnellrauschend überschwemmt;
Kein Stoß, der Rheas Riesen-Glieder schüttelt,
Kein Sturm, der Meer und Luft, Olymp und Acheron
Im Wirbel faßt und durch einander rüttelt,
Ist schrecklicher als unser Seladon,
[62]
Im Augenblick, da Seladon verschwindet,
Und Procris ihren Mann in ihrem Buhler findet.«

Der Mann des Ovidius spricht, wie er in dieser Lage gesprochen haben würde, nachdem die Kraft seines Herzens durch die Liebeshändel mit hundert Corinnen verlodert war; es ist ein Zorn des Wohlstandes, ohne Gefühl der Liebe.

Ariost dringt geradezu in's Herz. Die Leidenschaft ist mit so starken Meisterzügen geschildert, nicht gemalt, sondern ausgegraben, wie die Schöpfer der Niobe und des Laokoons sie ausgegraben haben würden.

Das Blut des Mannes, der bey einem solchen Auftritte so predigen könnte, wie der Mann des la Fontaine, müßte Schneewasser seyn.

Wielands Beschreibung dieser Scene ist die schönste Poesie, man muß bedenken, daß er diese Geschichte nicht rührend, sondern komisch erzählen wollte, und folglich dieses Moment nicht, wie Ariost, behandeln konnte.

Indessen ist doch sein erstes Gleichniß rührend, und völlig passend. Ihr Seladon war wie vom Donner gerührt, und zu Asche gemacht bey dem Worte:dein Mann – und dieser lebt in dem folgenden auf, wie ein Orkan.

Ich erklare dieses Gleichniß deßwegen, weil ich beym ersten Lesen dessen Schönheit nicht so sehr empfand, als jetzt. Ich hatte damals so viel Gleichnisse gelesen, die [63] den wirklichen Gegenstand mehr aus der Phantasie des Lesers wegzauberten, als anschaulicher machten, daß meine Phantasie auch hier mit ihren jungen Fittichen über die Empfindungen hinwegflog, die dabey in's Herz hätten gehen sollen. Sie sollte die Gattinn und Procris bey dem Donnerkeile sehen; und bey dem Wolkenbruch und Orkan – eine verirrte Grazie und Procris und ihren Mann, und flog mit den Blitzen, und schwebt' über Donnerwettern.

Ariost und Wieland sind nicht nachzuahmen, man muß ein Genie geboren seyn, um etwas hervorzubringen, daß diesen Stellen gleich ist. Fleiß und Kunst hilft hier nichts.

Pergolesi lockt mit sieben Tönen bey dem &emisit spiritum – in dem Seelengemählde seiner Madonna, das nie übertroffen werden wird, und wenn die Genieen des Raphael, Correggio und Tizian in einem neuen Maler vereiniget wieder geboren würden – Pergolesi lockt mit sieben Tönen die süßesten Zähren aus dem Herzen, die ein künstlicher Musicus mit dem Winde der schönsten Läufe aufgetrocknet haben würde, ehe sie noch bis in die Augen gekommen wären; und so würde es jedem Andern gegangen seyn, der, ohne Genie, bloß durch Kunst, diese Scene wie Wieland hätte beschreiben wollen.

O ihr jungen Versemacher alle, die ihr nichts von Begeisterung bey diesen Stellen fühlt, hört auf, eure[64] Nerven zu peinigen, um Empfindung in Reime ohne Genie zu denken. Ihr werdet nie die Achtung schöner Seelen damit erhalten; und die Bewunderung der Journalisten, wenn ihr euch auch diese erkaufen oder erschmeicheln würdet, ist weiter nichts, als ein Opium, wovon euer Ruhm anfangs taumelt, aber bald darauf in Convulsionen stirbt.

Ariost verdient hier auch noch deßwegen den Vorzug, daß er den guten Ton so wohl zu beobachten, und das Mitleiden für seinen Helden zu erhalten gewußt hat, da er die Zauberinn Melissa dem Gemahle seine vorige Gestalt wieder geben läßt.


Levando allora del suo incanto il velo
Nella mia forma mi tornò Melissa.

Ob diese Handlung gleich mehr Leidenschaft als Klugheit bey der Zauberinn verräth, so kann man den Ariosto doch deßwegen nicht tadeln, weil er ja schon gesagt hatte, daß sie heftig verliebt in den Ritter war.

Der Mann der drey andern Dichter sagt seiner armen verführten Gemahlinn gerade zu: ich bin dein Mann!

Wieland allein hat diese Härte mit dem schönsten Colorit überzaubert. Cephalus konnte nach dem Plan seiner Erzählung sich nicht zärtlicher zu erkennen geben, als:


Wie glücklich wär' in diesem Augenblicke
Ein jeder Andrer, als – dein Mann!

[65] Der Ritter des Ariosto ist so voll Grazie, so edel, rührt uns so sehr mit seiner verführten Unschuld, ohngeachtet einiger Unwahrscheinlichkeiten, die er leicht mit dem starken Glanze, den er den Leidenschaften giebt, wegblendet, gleich seinem Bruder Shakespear, daß Cephalus, obgleich mit den feinsten Zügen eines Apelles gemalt, gegen ihn verlieren muß.

Zum Ersatz aber ist Wielands Aurora eine Göttinn, und seine Procris eine Grazie, da die Gemahlinnen des Ariost und la Fontaine nur Erdentöchter sind, die sich von Edelsteinen und Gold ihre Unschuld entführen lassen. (Freylich waren die Ueberbringer auch keine plumpe, stark-knochichte Seeleute; der Ritter des Ariost ist nicht weniger verführerisch, als Seladon.)

Kurz, Ariost und Wieland, jeder hat seinen Mann nach seiner Absicht, als Meister behandelt. Wieland ließ den Cephalus seinen Fehltritt so schlecht entschuldigen, der Aurora so albern begegnen, bey der Dryas so kindisch sich aufführen, um Stoff zum Komischen zu haben, und er hat seinen Endzweck, die übertriebne Eifersucht aus der feinern Welt zu verbannen, eben so gut mit Spott erreicht, als Ariost mit Rührung; oder vielmehr mit Spott und Rührung zugleich. Er hat die Zeichnungen des Ovidius und Ariosto zu vereinigen und das Gemälde mit den Grazienzügen eines Apelles auszumalen gewußt. Der Dialog zwischen Aurora und Cephalus ist ein Meisterstück. Ueberhaupt [66] ist Wieland in Anlegung und Bearbeitung des Dialogs vorzüglich ein Meister; man kann die Beyspiele davon in Musarion, im Idris, Amadis, und fast in jedem seiner neuern Gedichte finden.

Anziehender ist ferner dessen Schilderung der Liebe des Cephalus, und macht die wechselseitige Treue weit wahrscheinlicher, als im Ariosto und la Fontaine. Ich kann mich nicht erwehren, hier eine Stelle aus dem Aminta des Tasso (gegen welchen Guarini nur ein glücklicher Witzling ist, es im Vorbeygehen zu sagen) zu übersetzen, welche mit dieser Wielandischen Beschreibung viel Aehnlichkeit hat. Aminta erzählt (1 Handl. 2 Scene) die Geschichte seiner Liebe.

»Da ich noch ein Kind war, so, daß ich kaum mit der kleinen Hand die Früchte von den gebogenen Aesten der Stauden abpflücken konnte, wurde ich der Vertraute des schönsten und geliebtesten Mädchens, das je seine goldene Locken in die Luft hat flattern lassen. Kennst du die Silvia? die Zierde der Haine, die Flamme der Seelen? Von dieser red' ich, ach ich Armer! mit dieser lebt' ich einige Zeit so vereinigt, als nie zwo Turteltauben seyn werden, und gewesen sind. Unsere Wohnungen waren vereinigt, aber vereinigter unsere Herzen. Wir hatten gleiches Alter, aber noch gleichere Gedanken: ich stellte mit ihr den Fischen Netze und den Vögeln Schlingen, und verfolgte die Hirsche mit ihr, und die flüchtigen Gemsen; wir theilten Vergnügen [67] und Beute. Während ich aber der Räuber des Wildes war, wurd' ich, ich weiß nicht wie, mir selbst entrissen. Nach und nach wurd' in meinem Busen, ich weiß nicht, von welcher Wurzel, wie ein Kraut, das von selbst sich pflanzt, ein unbekanntes Verlangen geboren, immer bey meiner schönen Silvia zu seyn; ich trank in ihren Blicken eine seltne Wonne, die am Ende, ich weiß nicht, was für eine Bitterkeit ließ. Ich seufzte oft, und wußte die Ursache meiner Seufzer nicht. Ich liebte, eh' ich verstand, was Liebe sey. Am Ende erfuhr ich es wohl.

Silvia und Phyllis saßen an einem Tage im Schatten einer schönen Buche, und ich bey ihnen; da kam eine kluge Biene, die Honig auf den beblühmten Wiesen zu sammeln flog, auf die Wange der Phyllis, auf die Wange, so roth, wie die Rose – stach sie, und stach sie noch einmal voll Begierde, die sie vielleicht, von der Aehnlichkeit getäuscht, für eine Bluhme hielt. Da fing Phyllis an zu klagen, ungeduldig über den scharfen Stich: aber meine schöne Silvia sagte: schweige, schweige, beklage dich nicht Phyllis! mit Zauberworten will ich den Schmerz der kleinen Wunde benehmen. Ehedem lehrte mich die weise Aresia dieses Geheimniß, und hatte dafür mein Horn von Elphenbein mit Gold ausgelegt, zum Lohn. – So sprach sie, und drückte die Lippen ihres schönen süßen Mundes an die gestochene Wange, und murmelte, ich weiß nicht, was für Verse, mit einem lieblichen Lispeln. O wunderbare Wirkung! [68] sie fühlte sogleich den Schmerz entweichen, entweder durch die Kraft dieser Zauberworte, oder, wie ich glaube, durch die Kraft des Mundes, der Alles heilt, was er berührt.

Ich, der ich bis jetzt nichts anders wollte, als den lieblichen Glanz der schönen Augen, und die süßen Worte, weit süßer als das Murmeln eines langsamen Bachs, der den Lauf zwischen kleinen Steinen bricht, oder das Säuseln der Luft in den Zweigen, empfand nun in dem Herzen eine neue Begierde, diesen meinen Mund an den ihrigen zu schmiegen: und, ich weiß nicht wie; listiger und schalkhafter, als gewöhnlich (sieh' nur, wie Amor den Verstand uns schärft!) ersann einen edeln Betrug, mein Verlangen zu stillen. Ich that, als hätt' eine Biene mich in die Unterlippe gestochen, und fieng an, so zu jammern, daß die Arzney, die die Zunge nicht forderte, das Gesicht verlangte. Die gutherzige Sylvia hatte Mitleiden mit meinem Uebel, und erbot sich, mir die erdichtete Wunde zu heilen; und machte, ach ich Verlassener! tiefer und tödtlicher die wirkliche Wunde, als sie ihre Lippen an meine Lippen fügte; von keiner Blume saugen die Bienen so süßen Honig, als ich von diesen frischen Rosen saugte, obgleich die brennenden Küsse, die die Begierde, sich zu befeuchten, trieb, Furcht und Schaam im Zügel hielt, oder langsamer und weniger verwegen machte; aber während diese Süßigkeit mit einem geheimen Gifte vermischt zum Herzen stieg, empfand [69] ich so große Wonne, daß ich that, als ob der Schmerz von diesem Stiche noch nicht vergangen wäre, so daß sie verschiedenemal die Zauberey wiederholte.« –

Doch ich erröthe, da ich meine Sprache nach der süßen Melodie der Italienischen Verse lese, und es ist mir unmöglich weiter zu übersetzen. Hier ist das Original, wer es versteht, der les' es noch einmal; und wer es nicht versteht, der les' es, damit der süße Klang in seinen Ohren, wie Syrenstimme, ihn locke, auf der Stelle anzufangen, die Sprache der Grazien und Musen – die Sprache der Liebe verstehen zu lernen.


Essendo io fanciulletto, sì che a pena
Giunger potea con la man pargoletta,
A torre i frutti da i piegati rami
De gli arboscelli, intrinseco divenni
De la più vaga, e cara verginella,
Che mai spiegasse al vento chioma d' oro.
La figliuola conosci di Cidippe,
E di Montan ricchissimo d' armenti,
Silvia, onor de le selve, ardor de l'alme?
Di questa parlo, ahi lasso! vissi a questa
Così unito alcun tempo, che fra due
Tortorelle più fida compagnia
Non sarà mai, nè fue.
Congiunti eran gli alberghi,
Ma più congiunti i cori:
Conforme era l' etate,
Ma 'l pensier più conforme:
[70]
Seco tendeva insidie con le reti
A i pesci, ed agli augelli, e seguitava
I cervi seco, e le veloci damme;
E 'l diletto, e la preda era commune.
Ma, mentre io fea rapina d' animali,
Fui, non so come, a me stesso rapito.
A poco a poco nacque nel mio petto,
Non sò da qual radice,
Come erba suol, che per se stessa germini,
Un' incognito affetto,
Che mi fea desìare
D' esser sempre presente
A la mia bella Silvia;
E bevea da' suoi lumi
Vn' estranea dolcezza,
Che lasciava nel fine
Vn non sò che d' amaro:
Sospirava sovente, e nan sapeva
La cagion de' miei sospiri.
Così fui prima Amante, ch' intendessi,
Che cosa fosse Amore.

Doch ich will nichts mehr abschreiben, damit jede Leserinn sogleich so gnädig seyn möge, dem unschuldigen, verliebten Aminta einen Besuch zu erlauben.

Die Veränderungen in der neuen Auflage sind immer von einer Meisterhand; verschiedene matte, mißtönende

Stellen sind weggelassen worden. Man kann daraus sehen, daß der Umgang mit Grazien auch den schönsten Geist noch bilden kann. Welch' eine wilde Dissonanz in der angenehmsten Melodie war es z.B. wenn die Göttinn sprach:


[71]
Was soll die Elegie erzielen?
Ihr liebtet euch, das ist das Ganze;
Wozu so vielen Wörterpracht?
Nehmt lieber den Roman bey'm Schwanze;
Ich wette gleich, er schließt mit einer Hochzeitnacht.

Wie glücklich ist die Veränderung des ungefälligen Stölzes in Spott in folgender Stelle:

Das Compliment, versetzt die Dame,
Ist minder schmeichelhaft, als frey –

mit dem Wörtchen neu für frey; u.s.w.


Die verschiedenen Lesearten können hier den jungen Dichtern mehr nützen, als alle diese, welche Burmann, Scaliger und dergleichen, im Schweiß ihres Angesichts und der Gedankenleere ihres Geistes, aus allen Bibliotheken von Europa gesammelt haben.

Ich muß wider Willen diese Anmerkungen beschließen; ich mögte sonst meinem Vertrauten, meinem geliebtesten unter allen Genieen, meinem Ariosto oder dem Vater der Musarion noch einige Lobsprüche aus den Quellen der Empfindung geben; und das Geständniß seiner Empfindungen, beym Anblick der höchsten Schönheit so gar, wird jetzt, ohne Persifflage, für Thorheit geachtet. –

Sie aber, meine schönen Damen, bekränzen ihren Wieland mit Rosen; den ewig grünenden Lorbeerkranz der

Musen hat Ariosto schon um seine Schläfe.

Fußnoten

1 Tassoni ist hier weit übertroffen:

Gli abbracciamenti, i baci, e i colpi lieti

Tace la casta Musa, e vergognosa;

Da la congiunzion di que' Pianeti

Ritorce il plettro, e di cantar non osa:

Mormora sol fra sè detti segreti,

Ch'al suggir de la notte umida ombrosa,

Fatto avean Marte, e'l giovane Tebano

Trenta volte cornuto il Dio Vulcano.

Secchia R. C. II. St. 57.

2 Dieser Dialog ist ein so vollkommnes Meisterstück, daß ihn jeder junge Dichter, als ein Muster ansehen kann, seine Kräfte darnach zu versuchen. Die Göttinn spricht in einem so guten Ton, als je eine Pompadour hat sprechen können.

3 Am Ende des siebenden Buchs der Verwandlungen.

4 Eine der schönsten Stellen, die seine Nacherzähler ihm gelassen haben.

5 Bis hieher ist alles griechisch schön, unverdorbene Natur, voll rührender Einfalt; und die Zeichnung zur ersten Hälfte der Wielandischen Erzählung.

6 Cant. 43. St. 38.

[72] II.
Endymion.

An Spröden, die mir Hohn gesprochen,

Hat immer mich ihr eignes Herz gerochen.

(V. 226.)


[73][75]

Endymion.

In jener dichterischen Zeit,
Mit deren Wundern uns der Amme Freundlichkeit
Durch manches Mährchen einst in süßen Schlummer wiegte;
Als sorgenfreye Müssigkeit
Sich ohne Pflichten, ohne Streit,
Mit dem, was die Natur freywillig gab, begnügte,
Kein Mädchen spann, kein Jüngling pflügte,
Und Manches thunlich war, was Basedow verbeut;
Eh' noch der Stände Unterscheid
Aus Brüdern Nebenbuhler machte,
Und gleißnerische Heiligkeit
Das höchste Gut der Sterblichkeit,
Die Lust, um ihre Unschuld brachte;
Und kurz, in jener goldnen Zeit,
Da die Natur, von keinem Joch entweiht,
Gesetze gab, wodurch sie glücklich machte,
Die Welt noch kindisch war, und Alles scherzt' und lachte:
In dieser Zeit lebt' einst auf Latmos Höh'n
Ein junger Hirt, wie Ganymedes schön,
Schön wie Narciß, doch nicht so spröde,
Wie Ganymed, allein nicht halb so blöde.
[75]
So bald man weiß, Endymion
War schön, so denkt ein jeder schon,
Daß ihn die Mädchen gerne sahen;
Zum mindsten liefen sie nie, wenn er kam, davon;
Das läßt sich ohne Scheu bejahen.
Die Chronik sagt noch mehr, als ich
Den Musen selbst geglaubet hätte;
Sie buhlten, spricht sie, in die Wette
Um seine Gunst; sie stellten sich
Ihm wo er gieng in Steg' und Wege;
Oft warfen sie ihm Bluhmen zu,
Und floh'n dann hinter ein Gehäge;
Belauschten seine Mittags-Ruh
Und guckten, ob er sich nicht rege.
Man meynt, daß er im Bad so gar
Nicht immer ohne Zeugen war,
Doch läßt sich das gewiß nicht sagen.
Genug, kaum fieng es an zu tagen,
So wurde schon von mancher schönen Hand
Der Bluhmen-Flur ihr schönster Schmuck entwandt;
So putzt sich schon, dem Schäfer zu gefallen,
Im Hain, am Bach, der Nymphen ganze Schaar,
Die badet sich, die sticht ihr blondes Haar,
Die läßt es frey um weiße Schultern wallen.
Herabgebückt auf flüssige Crystallen
Belächelt sich die schöne Damalis;
[76]
Wie Vieles macht sie ihres Siegs gewiß!
Ein Mund, der Küssen winkt, ein Lilien-Nacken,
Der Augen feuchter Glanz, die Grübchen in den Backen,
Ein runder Arm, und o! der Thron der Lust,
Die blendende, die anmuthsvolle Brust!
Sie sieht noch mehr, nichts zeigt sich ihren Blicken,
Das nicht verdient selbst Götter zu berücken:
Sie siehts und denkt, ob Leda ihrem Schwan
Mehr Reizungen gewiesen haben kann?
Und zittert doch und wünscht: o! fände mich
Endymion nur halb so schön als ich!
Die Schönheit wird mit Wunder angeblickt,
Doch nur Gefälligkeit entzückt.
War Juno nicht, war nicht Minerva schön,
Als Zevs den Paris ausersehn,
Den Streit der Schönheit zu entscheiden?
Man weiß, sie ließen sich, um bösen Schein zu meiden,
Dem Richter ohne Röcke sehn.
Lang ließ der Hirt von einem Reiz zum andern
Die ungewissen Blicke wandern,
Und zehnmal rief ein neuer Blick
Den schon gefaßten Schluß zurück:
Untadelich ist alles, was sie zeigen.
Beysammen, sind sie gleich – allein,
Scheint Jede reizender zu seyn,
Was wird zuletzt des Schäfers Urtheil neigen?
[77]
Der Juno Majestät? der Pallas Würde? – Nein!
Die flößen nichts als Ehrfurcht ein,
Ein stärkrer Reiz wird hier den Ausschlag geben müssen:
Sie, die so zaubrisch lächeln kann,
Cythere lacht ihn an – er fällt zu ihren Füßen,
Und beut, sie eine Nacht nach Herzenslust zu küssen,
Der Lächelnden den goldnen Apfel an.
Die Freundlichkeit raubt unserm Schäfer oft
Die Gunst, worauf die stolze Schönheit hofft.
Die blasse Schaar der halbverwelkten Wangen
Erwerben sich durch zärtliches Bemühn,
Durch Blicke, die an seinen Blicken hangen,
Und süßen Scherz, manch kleines Recht an ihn.
Wie eifern sie, ihm liebzukosen!
Die schmückt sein Lamm, die kränzt ihm Huth und Stab;
Der Lenz wird arm an Blüth und Rosen,
Sie pflückten ganze Haine ab.
Sie wachten, daß ihn nichts in seinem Schlummer störte,
Sie pflanzten Lauben hin, wo er zu weiden pflag;
Und weil er gerne singen hörte,
So sangen sie den ganzen Tag.
Des Tages Lust schließt bis zum Sternen-Glanz
Manch munters Spiel und mancher bunte Tanz,
Und trennt zuletzt die Nacht den frohen Reih'n,
So schläft er sanft auf Rosen-Betten ein.
Die Nymphen zwingt der keuschen Göttinn Schein,
[78]
Sich allgemach hinweg zu stehlen;
Sie zögern zwar, doch muß es endlich seyn.
Sie geben ihm die Hand, die angenehmen Seelen!
Und wünschen ihm wohl zehnmal gute Nacht;
Doch weil der Schlaf sich oft erwarten macht,
Bleibt eine stets zurück, ihm Mährchen zu erzählen.
An Böses wurde nie von keinem Theil gedacht.
Der Schäfer war vergnügt, das Nymphen-Volk nicht minder,
In Unschuld lebten sie beysammen wie die Kinder,
Zu manchem Spiel, wobey man selten weint,
Den ganzen Tag, oft auch bey Nacht, vereint.
Doch, wann hat Ate je vergessen,
Für jede Lust uns Schmerzen zuzumessen?
Und träumten (zum Beweis, daß Alles Unschuld war)
Nichts weniger als von Gefahr.
Der Nymphen schöne Königinn
Erfuhr – man weiß nicht wie? – Vielleicht von einem Faun,
Der sie beschlich – vielleicht auch, im Vertrau'n
Von einer alten Schäferinn,
(Der, weil sie selbst nicht mehr gefiel,
Der Jugend eitles Thun mißfiel)
Kurz, sie erfuhr das ganze Schäfer-Spiel.
Man kennt den strengen Sinn
Der schönen Jägerinn,
Die in der Götter-Schaar
[79]
Die größte Spröde war.
Kein Sterblicher, kein Gott vermogte sie zu rühren.
Was sonst die Sprödesten vergnügt,
So gar der Stolz, selbst unbesiegt,
Die Herzen im Triumph zu führen,
War ihrem größern Stolz zu klein.
Sie zürnte schon, nur angesehn zu seyn,
Bloß, weil er sie vom Wirbel bis zur Nasen
Im Bad erblickt, ward Acton einst zum Hasen.
Dies Beyspiel flößte selbst dem Satyr Ehrfurcht ein.
Ihr schien ein Blick sie schon zu dreiste anzufühlen,
Kein Zephyr wagt's sie abzukühlen,
Und keine Bluhme schmückt' ihr Haar,
Die einst wie Hyacinth, ein schöner Knabe war;
Von Liebe nur im Schlaf zu sprechen,
Hieß bey Dianen schon ein strafbares Verbrechen:
Kurz, Männer-Haß und Sprödigkeit
Trieb selbst Minerva nicht so weit.
Man rathet leicht, in welche Wuth
Der Nymphen Fall sie setzen mußte;
Es tobt' ihr jungferliches Blut,
Daß sie sich kaum zu fassen wußte.
So zornig sahn die Nymphen sie
In keinem andern Falle nie.
Calisto ließ sich doch von einem Gott besiegen,
Das milderte die Schnödigkeit der That;
[80]
Doch einem Hirten unterliegen,
Wahrhaftig! das war Hochverrath.
Ein fliegender Befehl citirt aus allen Hainen
Das Nymphen-Volk persönlich zu erscheinen.
Sie schleichen allgemach herbey,
Und keine läuft, daß sie die erste sey.
Die Göttinn steht an ihren Spieß gelehnt,
Und sieht mit ernstem Blick, der ihren Kummer höhnt,
Im ganzen Kreis nichts als beschämte Wangen,
Und Blicke, die zur Erde niederhangen.
Hofft nicht, spricht sie, durch Läugnen zu entgehn,
Man wird euch bald die Zunge lösen können,
Und werdet ihr nicht gütlich eingestehn,
So soll euch mir der Gott zu Delphi nennen.
Durch Zaudern wird die Schuld nicht gut gemacht.
Nur hurtig! Jede von euch Allen,
Die sich vergieng, laß ihren Schleyer fallen.
Sie spricht's, und – Hem! wer hätte das gedacht?
Diana sprichts, und – alle Schleyer fallen.
Man stelle sich den Lärmen vor,
Den die beschämte Göttinn machte,
Indeß der lose Cypripor
Aus einer Wolke sah und laut herunter lachte.
Wie? rief sie voller Wuth empor,
(Doch selbst die Wuth verschönert ihre Wangen)
Du, Wildfang, hast dies Unheil angestellt,
[81]
Und kommst noch gar damit zu prangen!
Zwar rühmst du dich, daß alle Welt
Für ihren Sieger dich erkenne,
Daß selbst der Vater Zevs, so oft es dir gefällt,
Von unerlaubten Flammen brenne;
Daß, seiner Majestät beraubt,
So oft du willt, der Götter Haupt
Bald als eine Drache, bald als Stier,
Bald als ein böckischer Satyr,
Und bald mit Stab und Schäfer-Tasche
Der Nymphen Einfalt überrasche.
Doch trotze nicht zu viel auf deine Macht!
Die Siege, die dir noch gelungen,
Hat man dir leicht genug gemacht.
Wer selbst die Waffen streckt, wird ohne Ruhm bezwungen.
Auf mich, auf mich, die deine Macht verlacht,
Auf meine Brust laß deine Pfeile zielen.
(Ich fordre dich vor tausend Zeugen auf!)
Sie werden sich vor halbem Lauf
In meinen feuchten Strahlen kühlen,
Und stumpf und matt um meinen Busen spielen.
Du lachst? laß sehn, wie viel dein Bogen kann,
Versuche dich an mir, und sieg' – und lache dann!
Doch stünd' es dir, versichert! besser an,
Du kämst, statt Köcher, Pfeil und Bogen,
Mit einem Vogel-Rohr geflogen.
Latonens Kindern nur gebührt
[82]
Der edle Schmuck, der deinen Rücken ziert.
Bald hätt' ich Lust, dich wehrlos heimzuschicken,
Und, weil der Flug dich nur zur Schelmerey verführt,
Dir noch die Schwingen auszupflücken.
Doch flieh nur, wie du bist; laß meinen Hain in Ruh,
Auf ewig flieh aus meinen Blicken,
Und flattre deinem Paphos zu;
Dort tummle dich auf weichen Rosen-Betten,
Mit deinen Grazien, und spiele blinde Kuh
Mit Zephyrn und mit Amoretten.
Die Göttinn sprichts. Mit lächelndem Gesicht
Antwortet ihr der kleine Amor – nicht.
Gelassen langt er nur von ungefähr
Den schärfsten Pfeil aus seinem Köcher her;
Doch steckt er ihn, als hätt' er sich bedacht,
Gleich wieder an, sieht Phöben an und lacht:
Wie reizend schminkt der Eifer deine Wangen!
(Ruft er, und thut als wollt' er sie umfangen)
Ich wollte dir, wie Amors Wunde sticht,
Ein wenig zu versuchen geben;
Allein, bey meiner Mutter Leben!
Es braucht hier meiner Pfeile nicht.
An Spröden, die mir Hohn gesprochen,
Hat mich noch stets ihr eignes Herz gerochen:
Und, Schwesterchen, (doch unter dir und mir:)
Was nützt der Lerm? er könnte dich gereuen;
[83]
Weit sichrer wär's, die kleine Ungebühr
Den guten Kindern zu verzeihen.
Die Nymphen lächelten, und Amor flog davon
Die Göttinn zürnt, und rächt an ihnen
Des losen Spötters Hohn.
Unwürdige, Dianen mehr zu dienen,
(Spricht sie mit ernstem Angesicht)
Zur Strafe der vergeßnen Pflicht
Hat euch mein Mond zum letztenmal geschienen.
Sobald sein Wagen nur den Horizont besteigt,
Sey euch verwehrt im Hain herumzustreichen,
Bis sich des Tages Herold zeigt;
Entflieht mit schnellem Fuß, die Einen in die Eichen,
Die Uebrigen zu ihren Urnen hin;
Dort liegt und schlaft, so lang ich Luna bin!
Sie sprichts, und geht die Drachen anzuspannen,
Die ihren Silber-Wagen ziehn,
Und die bestraften Nymphen fliehn
Mehr traurig als belehrt von dannen.
Der Tag zerfließet nun
Im allgemeinen Schatten,
Und alle Wesen ruh'n,
Die sich ermüdet hatten;
Es schlummert Thal und Hain,
Die Weste selbst ermatten
Von ihren Buhlereyn,
[84]
Und schlafen unter Küssen
Im Schooße von Narcissen
Und Rosen gähnend ein.
Der junge Satyr nur
Verfolgt der Dryas Spur;
Er reckt sein langes Ohr
Bey jedem leisen Zischen
Aus dem Gesträuch hervor,
Ein Nymphchen zu erwischen,
Das in den finstern Büschen
Vielleicht den Weg verlor.
Er sucht im ganzen Hain
Mit wohl zerzaußten Füßen;
Umsonst! Der Göttinn Dräu'n
Zwang sie, sich einzuschließen;
Die armen Mädchen müssen
Für kürzre Nächte büßen,
Und schlafen itzt allein.
Dem Faun sinkt Ohr und Muth,
Er kehrt mit kühlerm Blut
Beym ersten Morgenblick
Zu seinem Schlauch zurück.
Er denkt, mich zu erhenken
Da müßt' ich albern seyn!
Ich will die Liebespein
In süßem Most ertränken.
[85]
Indessen schwebt der Göttinn Wagen schon
Nah über jenem Ort, wo in des Geißblatts Schatten
Die Nymphen dir, Endymion,
Vielleicht auch sich, so sanft gebettet hatten.
Wie reizend lag er da! Nicht schöner lag Adon
An seiner Göttinn Brust, die, weil er schlief, ihm wachte,
Mit Liebetrucknem Blick auf ihren Liebling lachte,
Und stillentzückt auf neue Freuden dachte;
Nicht schöner ward der junge Ganymed
Vom Vater Zevs, der große Augen dreht,
In Junons Armen einst gefunden;
Nicht schöner lag, durch doppelte Gewalt
Der Feerey und Schönheit überwunden,
Der Wollust athmende Rinald
Von seiner Zauberinn umwunden:
Als hier, vom Schlaf gebunden,
Endymion – Gesteht, daß die Gefahr
Nicht allzuklein für eine Spröde war.
Das Sicherste war hier, die Augen zuzumachen.
Sie that es nicht und warf, jedoch nur obenhin
Und blinzend, einen Blick auf ihn.
Sie stutzt und hemmt den Flug der schnellen Drachen,
Schaut wieder hin, erröthet, bebt zurück,
Und suchet mit verschämten Blick,
Ob sie vielleicht belauschet werde;
Doch da sie ganz allein sich sieht,
Lenkt sie mit ruhigerm Gemüth
[86]
Den Silber-Wagen sanft zur Erde,
Bückt sich, auf ihren Arm gestützt,
Mit halbem Leib heraus, und überläßt sich itzt
Dem Anschaun ganz, womit, nach Platons Lehren,
Sich im Olymp die reinen Geister nähren.
Ein leicht beschattendes Gewand
Erlaubt den ungewohnten Blicken
Nur allzuviel, sie zu berücken.
Man sagt so gar, sie zog mit leiser Hand
Auch dieses weg, doch wer hat zugesehen?
Was sagt man nicht? – Und wär' es auch geschehen,
So zog sie doch beym ersten Blick
Gewiß die Hand so schnell zurück,
Als jenes Kind, das einst im Grase spielte,
Nach Bluhmen griff, und eine Schlange fühlte.
Indessen klopft vermischt mit banger Lust
Ein süßer Schmerz in ihrer heißen Brust;
Ein zitterndes, wollüstiges Verlangen
Bewölkt ihr schwimmend Aug' und brennt auf ihren Wangen.
Wo, Göttinn, bleibt dein Stolz, die Sprödigkeit?
Dein Busen schmilzt wie Schnee in raschen Flammen.
Kannst du die Nymphen noch verdammen?
Was ihre Schuld verdient, ists Tadel oder Neid?
Die Neugier hat, wie Zoroaster lehrt,
[87]
Von Anbeginn der Weiber Herz bethört.
Man denkt, ein Blick, von Ferne, von der Seiten,
Ein bloßer Blick, hat wenig zu bedeuten.
O! glaubet mir, ihr habt schon viel gethan,
Der erste Blick zieht stets den andern an;
Das Auge wird (es sagts ein weiser Mann)
Nicht satt vom Sehn, und Luna's Beyspiel kann
Uns hier, wie wahr er sagte, lehren.
Der Gegenstand, der Ort, die Zeit,
Wird die Entschuldigung der Göttinn machen müssen.
Selbst ihre Unerfahrenheit
Vermindert ihre Strafbarkeit.
So neu sie war, wie kann sie wissen,
Wie manche wissens nicht, daß man
Vom Sehn sich auch berauschen kann?
Sie schaut, und da sie so, wie aus sich selbst gerissen,
So unersättlich schaut, kommt ein Gelust sie an,
Den schönen Schläfer gar – zu küssen.
Zu küssen? Ja, doch man verstehe mich!
So züchtig, so unkörperlich,
So sanft, wie junge Zephyrn küssen;
Mit den Gedanken nur
Von einem solchen Kuß,
Wovon Ovidius
Die ungetreue Spur
Nach mehr als einer Stunde
[88]
(Laut seiner eignen Hand)
Auf seines Mädchens Munde
Und weißen Schultern fand.
Es kostet sie, den Wunsch sich zu gestehen,
Sie glüht von keuscher Schaam vom Wirbel bis zum Zehen,
Und lauscht, und schaut sich um. Doch allgemeine Ruh
Herrscht weit umher im Thal und auf den Höhen,
Kein Blättchen rauscht. Itzt schleicht sie leis' hinzu,
Bleibt unentschlossen vor ihm stehen,
Entschließt sich, bückt sich sanft auf seine Wangen hin,
Die, Rosen gleich, in süßer Röthe glühn,
Und spitzt die Lrppen schon, und itzt – itzt war's geschehen,
Als eine neue Furcht (wie leicht
Wird eine Spröde scheu!) sie schnell zurücke scheucht,
Sie mögt' es noch so leise machen,
So könnte doch der Schäfer dran erwachen.
Was folgte drauf? Sie müßte weiter gehn,
Ihm ihre Neigung eingestehn,
Um seine Gegenliebe flehn,
Und sich vielleicht – wer könnte das ertragen?
Vielleicht sich abgewiesen sehn –
Welch' ein Gedank! Kann Luna so viel wagen?
Bey einer Venus ja, da mögte so was gehn,
Die giebt oft ungestraft den Göttern was zu spaßen,
Und kann sich eh im Netz ertappen lassen,
[89]
Als ich, die nun einmal die Spröde machen muß,
Bey einem armen trocknen Kuß.
Und wie? er sollte mich zu seinen Füßen sehn?
Dianens Ehre sollt' in seiner Willkühr stehn?
Wie? Wenn er denn den Ehrfurchtsvollen machte,
(Man kennt der Schäfer Schelmerey)
Und meiner Schwachheit ohne Scheu
An einer Nymphe Busen lachte?
Wie würde die der Rache sich erfreun,
Und meine Schmach von Hain zu Hain
Den Schwestern in die Ohren raunen?
Die eine spräch's der andern nach,
Bald wüßtens auch die Satyrn und die Faunen,
Und sängen's laut beym nächtlichen Gelach.
In kurzem eilte die Geschichte
Vermehrt, verschönt, gleich einem Stadt-Gerüchte,
Bis zu der obern Götter Sitz;
Dem Momus, der beym Saft der Nectar-Reben
Die Götter lachen macht, und Junons scharfem Witz
Beym Thee-Tisch neuen Stoff zu geben. 1
[90]
Die Göttinn bebt, erblaßt und glüht
Vor so gefährlichen Gedanken,
Und wenn sie dort die Neigung zieht,
So macht sie hier die Klugheit wanken.
Man sagt, bey Spröden überzieh
Die Liebe doch die Vorsicht nie.
Ein Kuß mag freylich sehr behagen,
Doch ists am Ende nur ein Kuß;
Und Freuden, wo man zittern muß,
Sind doch (was auch Ovide sagen)
Für Damen nicht, die gerne sicher gehn.
Sie fängt schon an, nach ihrem Drachen-Wagen
Den scheuen Blick herumzudrehn,
Schon weicht ihr scheuer Fuß – doch bleibt er wieder stehn;
Sie kann den Trost sich nicht versagen,
Nur einmal noch (sie hat ja nichts dabey zu wagen)
Den schönen Schläfer anzusehn.
Noch einmal? ruft ein Loyolist;
Und heißt denn das nicht Alles wagen?
Vielleicht; doch ist es, wie ihr wißt,
Genug, die Göttinn loszusagen,
Daß sie es nicht gemeynt; die Frist
War allzukurz, euch Raths zu fragen;
Und überdem vergönnet mir zu sagen,
Daß Escobar auf ihrer Seite ist.
Vorsichtig oder unvorsichtig,
[91]
(Uns gilt es gleich) genug, so viel ist richtig,
Sie bückte sich noch einmal hin und sah,
(Doch mit dem Vorsatz, ihn auf ewig dann zu fliehen,)
Den holden Schläfer an. Betrogne Cynthia!
Sie sieht, schon kann sie ihm den Blick nicht mehr entziehen,
Und bald vergißt sie auch zu fliehen.
Ein fremdes Feuer schleicht durch ihren ganzen Leib,
Ihr feuchtes Aug' erlischt, die runden Kniee beben,
Sie kennt sich selbst nicht mehr, und fühlt in ihrem Leben
Sich itzt zum erstenmal ein Weib.
Erst ließ sich ihr Gelust mit einem Kusse büßen,
Itzt wünscht sie schon, sich satt an ihm zu küssen.
Doch macht sie stets die alte Sorge scheu.
Diana muß sich sicher wissen,
Und wird ein Bißchen Feerey
Zu brauchen sich entschließen müssen.
Es wallt durch ihre Kunst
Ein zauberischer Dunst,
Von Schlummer-Kräften schwer,
Um ihren Liebling her.
Er dehnt sich, streckt ein Bein,
Und schläft bezaubert ein.
Sie legt sich neben ihn
Auf Rosenlager hin,
(Es hatte, wie wir wissen,
Für eine Freundinn Raum)
[92]
Und unter ihren Küssen
Den Schlaf ihm zu versüßen,
Wird jeder Kuß ein Traum.
Ein Traumgesicht von jener Art,
Die oft, trotz Scapulier und Bart,
Sanct Franzens fette Seraphinen
In schwüler Sommer-Nacht bedienen;
Ein Traum, wovor selbst in der Fasten-Zeit
Sich keine junge Nonne scheut,
Der, wie das fromme Ding in seiner Einfalt denket,
Sie bis ins Paradies entzückt,
Mit einem Strom von Wollust tränket,
Und fühlen läßt, was nie ihr Aug' erblickt.
Ob Luna selbst dabey was abgezielet –
Ob ihr das schelmische Gesicht,
Cupido, einen Streich gespielet –
Entscheidet die Geschichte nicht.
Genug, wir kennen die und den,
Die gerne nie erwachen wollten,
Wenn sie Aeonenlang so schön
Wie unser Schäfer träumen sollten.
Was Jupiter als Leda's Schwan
Und als Europens Stier gethan,
Wie er Alkmenen hintergangen,
Und wie der hinkende Vulkan
[93]
Sein Weibchen einst im Garn gefangen;
Wie stille Nymphen oft im Hain
Dem Faun zum Raube werden müssen,
Wie sie sich sträuben, bitten, dräun,
Ermüden, immer schwächer schreyn,
Und endlich selbst den Räuber küssen;
Des Weingotts Zug, und wie um ihn
Die taumelnden Bacchanten schwärmen,
Wie sie von trunkner Freude glühn,
Und mit den Klapper-Blechen lermen;
Sie wiehern laut ihr Evoe!
Es hallt vom fernen Rhodope
Zurück; der Satyr hebt mit rasender Geberde
Die nackte Menas in die Höh,
Und stampft in wildem Tanz die Erde.
Ein sanftrer Anblick folgt dem rohen Bacchanal,
Ein stilles, schattenvolles Thal
Führt ihn der Höhle zu, wo sich die Nymphen baden;
Diana selbst erröthet nicht,
(Man merke, nur im Traumgesicht
Und von geschäfftigen Najaden
Fast ganz verdeckt) von ihm gesehn zu seyn.
Welch reizendes Gewühl! Es scheint vom Widerschein
So mancher weißen Bust, die sich im Wasser bildet,
So manches goldnen Haars, die Fluth hier übergüldet,
Dort Schnee im Sonnen-Glanz zu seyn.
[94]
Sein trunknes Auge schlingt mit gierig offnen Blicken
So viele Reizungen hinein,
Er schwimmt in lüsternem Entzücken,
Und wird vor Wunder fast zum Stein.
Man glaubt, daß Cynthia hiebey
Nicht ungerührt geblieben sey;
So süß auch Küsse sind, wenn wir Tibulle hören,
So haßt doch die Natur ein ewig Einerley.
Beym Nectar-Tisch und beym Concert der Sphären
Sind Götter selbst nicht stets von Langerweile frey.
Zum mindsten sagts Homer. Wie wird denn, satt von Küssen,
Diana sich zu helfen wissen?
Sie that, (so sagt der Faun, der sie beschlichen hat)
Was Platons Penia im Götter-Garten that.
Was that denn die? wird hier ein Neuling fragen.
Sie legte – Ja doch! Nur gemach!
Schlagt euren Plato selber nach, 2
Das läßt sich nur auf Griechisch sagen.
Verliebt und weise seyn, ist, wie ein Alter glaubt,
Den Göttern kaum, den Menschen nie erlaubt.
Wer ganz Empfindung ist, kann keine Schlüsse machen.
Der Gegenstand, der itzt Dianen an sich zieht,
Macht, wie Galen bemerkt, nebst Wallung im Geblüt,
Die Augen übergehn und die Vernunft erschwachen;
[95]
Und Martialis muß gestehn,
Daß selbst Cornelia, die Mutter beider Gracchen,
Mit kaltem Blut ihn selten angesehn.
Die Spröden mögen sich hier ein Exempel nehmen.
Das schöne Volk nicht zu beschämen,
Verschwieg' ich gern, wie tief Diana fiel;
Allein der Faun verrieth das ganze Spiel.
Zum Unglück war's der schlimmste unter allen.
Er hatte, wie gesagt, den Nymphen zu gefallen,
Den ganzen Hain umsonst durchspürt,
Und dachte gleich zu seinen vollen Schläuchen
Sich unbemerkt zurückzuschleichen,
Als aus den nahen Myrthen-Sträuchen
Sein lauschend Ohr ein wollust-athmend Keuchen,
Ein liebliches Geseufz und süßes Girren rührt.
Der Satyr stutzt, und denkt bey sich:
Hier ist man glücklicher als ich,
Dies Seufzen hat was zu bedeuten.
So seufzt, beym Styx! trostlose Liebe nicht.
Er schleicht dem Tone nach, und sieht ein hellers Licht
Sich über das Gebüsch verbreiten,
Schleicht immer fort, entdeckt das Drachen-Paar,
Die ungeduldig sich am leeren Wagen sträuben,
Und stutzt noch mehr. Wie? denkt er, mag wohl gar
Diana, die so spröde war,
Die Männer-Hässerinn, sich hier die Zeit vertreiben?
Kaum denkt er's aus, so zeigt ein neuer Blick
[96]
Ihm Luna's Fall und Amors Meisterstück.
O! Göttinn, welch ein Augenblick!
Wie wird der rohe Faun dich höhnen!
Ein Andrer schliche sich von einer solchen Scenen,
Mit angewandtem Aug', aus Großmuth still zurück;
Er würde sich so gar noch Zweifel machen,
Und hieß' es nur ein täuschend Nacht-Gesicht:
Allein in Faunen wohnt so viele Tugend nicht.
Ein wildes überlautes Lachen
Weckt sie, und zeigt den Zeugen ihrer Lust.
Sie hebt ein sterbend Aug' und schließt es plötzlich wieder,
Ein kalter Schaur durchfährt die aufgelösten Glieder,
Vor Schrecken starrt die ausgedehnte Brust.
Sie sinkt betäubt bey ihrem Schäfer nieder,
Und seufzt und weint, daß sie nicht sterben kann,
Was kaum so reizend war, sieht sie mit Grauen an.
Sie wälzt auf Rosen sich, als wie auf Kohlen-Feuer,
Des Zephyrs Athem deucht ihr Pest,
Endymion ein Ungeheuer,
Die weite Welt ein Drachen-Nest.
Sie so betrübt zu sehn, das schmelzte Tartar-Herzen.
Der Faun bleibt ungerührt; er lacht noch ihrer Schmerzen,
Und leert den schaalen Witz, den er bey manchem Schmaus
Gesammelt hat, bey diesem Anlaß aus;
Sieht sie auf ihren Arm sich stumm und trostlos stemmen,
Und eine Thränenfluth, die nicht zu stillen war,
Den schönsten Busen überschwemmen,
[97]
Sieht's und erfrecht sich, der Corsar!
Durch Küsse ihren Lauf zu hemmen.
Sie stößt ihn weg, doch nur mit matter Hand.
Was hälf' ihr, gegen einen Zeugen
Von dieser Art, ein stolzer Widerstand?
Es liegt zu viel an seinem Schweigen.
Der ungeduldige Sylvan,
An dem schon alle Adern glühen,
Verspricht und droht zugleich. Sie sieht ihn schüchtern an,
Erröthet, staunt, und sucht, was sie nicht hindern kann,
Zum wenigsten noch aufzuziehen.
Was soll sie thun? Hier ist die Antwort schwer;
Dem größern zu entgehn, ein kleiners Uebel leiden?
Um bösen Ruf und Aergerniß zu meiden,
Erlaubt Caramuel wohl mehr.

Ich glaube, daß man diese Geschichte, von einem italienischen Genie erzählt, nicht ohne Vergnügen lesen werde. Tassoni hat sie in seinen geraubten Wassereymerals eine Episode eingeflochten. Sie ist nach meiner Empfindung eins der schönsten Stücke seines ganzen Gedichts; wenigstens für Ausländer, die nicht so lange in Bologna und Modena sich aufgehalten haben, daß sie die komischen Wendungen alle darinnen verstehen könnten.

[98] Herr Wieland scheint nicht an diese Erzählung gedacht zu haben, als er seinen Endymion schrieb; sein Genius hat hierbey einen ganz eignen Flug genommen; wobey er unterdessen doch immer dem Tassonischen begegnen mußte. Mir war es ein angenehmer Anblick, diese zwey Götterkinder sich begegnen, und Bekanntschaft machen zu sehen.

Hier ist die Uebersetzung der Tassonischen Stanzen davon:


47. Endymion lag, von der Arbeit des langen Tags abgemattet, auf einem Rasen voll Bluhmen im süßen Schlummer; kühler wurde der Himmel, und um ihn scherzten die Lüfte herum. Die kleinen Liebesgötter waren zu ihm herab gestiegen, und hatten vom Köcher und Horn ihn entgürtet; sie glaubten bey den verschlossenen Augen und dem Glanze des Gesichts den Cupido zu sehen.


Dormiva Endimion tra l' erbe, e i fiori
Stanco del faticar del lungo giorno;
E mentre l' aura, e 'l ciel gli estivi ardori
Gli gian temprando, e amoreggiando intorno,
Quivi discesi i pargoletti Amori
Gli avean discinta la faretra, e 'l corno;
Ch' a i chiusi lumi, e a lo splendor del viso
Fu loro di veder Cupido avviso.

[99] 48. Mit den schönen Locken spielten die Winde, die wie goldner Regen auf die Wangen fielen. Die Amoretten eilten herbey, und theilten sie mit ihren Händen auf diese und jene Seite des schönen Gesichts; und flochten eine liebliche Arbeit aus den Bluhmen, wovon sie sich ringsumher den Schooß voll gesammlet hatten, für die Stirne einen Kranz, für Fuß und Arme Ketten, und den Busen ein Angehänge.


Sventolando il bel crine a l' aura sciolto,
Ricadea su le guance in nembo d' oro;
V' accorrean gli Amoretti, e dal bel volto
Quinci, e quindi il partian con le man loro;
E de' fiori onde intorno avean raccolto
Pieno il grembo, tessean vago lavoro,
A la fronte ghirlanda, al piè gentile,
E a le braccia catene, e al sen monile.

49. Peonien und röthliche Anemonen verglichen sie dabey mit dem lieblichen Mund; und mit der glatten Wange Lilien und Rosen. Peonien verloren, und Lilien und Rosen. Wind und Fluth schwieg stille, und in dem Wiesengrunde regte sich nicht ein Lispel. Wasser, Luft und Erde schienen in verschiedenen Gestalten schweigend zu sagen: Sieh! Amor schlummert.


E talor pareggiando a l' amorosa
Bocca o peonia, o anemone vermiglio,
E a la pulita guancia o giglilo, o rosa:
La peonia perdea, la rosa, e 'l giglio.
Taceano il vento, e l' onda, e da l' erbosa
Piaggia non si sentia mover bisbiglio;
L' aria, l' aqua, e la terra in varie forme
Parean tacendo dire, ecco Amor dorme!

[100] 50. Wie in den Gefilden des Himmels, wo der große Stier in den Strahlen leuchtender Sterne flammt, die Töchter des Atlas mit goldenem Haare zu funkeln pflegen, und die andern weniger schön rings um diese glänzen, die größer und reizender ist, als sie; so schien Endymion mitten unter den Liebesgöttern zwischen den Bluhmen zu liegen –


Qual ne' celesti Campi, ove il gran Toro
S' infiamma a i rai di luminose stelle,
Sogliono sfavillar con chioma d' oro
Le figliole d' Atlante alme sorelle,
Ch' a la maggiore, e più gentil di loro
Brillando intorno stan l' altre men belle;
Tal in mezzo agli Amori Endimione
Parea tra l' erbe, e i fior de la stagione –

51. Als die schöne Göttinn des ersten Himmels, mit den Strahlen der untergegangenen Sonne das Haupt umwunden, auf der Scene der Welt den Schleyer enthüllte. Still und einsam erblickte sie die Fluren, und goß den Thau auf Gras und Violen, richtete von ohngefähr den Blick in diese Gegend, und stieg, lüstern nach dem Gesichte, herab vom Himmel.


Quando la bella Dea del primo Cielo
Tutta cinta de' rai del morto Sole,
A la scena del Mondo aprendo il velo,
Le campagne mirò tacite, e sole,
E sparsa la rugiada, e scosso il gelo
Dal lembo sovra l' erbe, e le viole,
A caso il guardo in quella piaggia stese,
E vaga di veder, dal Ciel discese.

[101] 52. Erschrocken über der Göttinn Erscheinung, verschwanden die Knaben; und sie, sie hielt den Schritt zurück, und stand betrachtend still, da sie den Jüngling allein hier schlummern sah. Das jungfräuliche Herz hielt die Kühnheit im Zügel, schaamhaft und unentschlossen hatte sie schon den Fuß umgewandt, um zurückzukehren, aber sie wurde von dem schönen Gesichte wieder gerufen.


Sparvero i pargoletti, a l' apparire
De la Dea spaventati; ed ella, quando
Vide il giovane sol quivi dormire,
Ritenne il passo, e si fermò guardando.
L' onestà verginal frenò l' ardire,
E negli atti sospesa, e vergognando,
Avea già, per tornare, il piè rivolto;
Ma richiamata fu da quel bel volto.

53. Sie fühlte durch die Augen eine Gluth in's Herz sich schleichen, die mit einem süßen Verlangen die Seele fesselte: nach und nach näherte sie sich ihm, bis sie an der Seite des Jünglings saß; sie pflückte die schönen Bluhmen los, die die Amoretten zum Scherz auf tausenderley Art durchflochten hatten, bekränzte sich die Stirn und schmückte den Busen damit; Gift und Flamme waren sie für sie alle. 3


Senti per gli occhi al cor passarsi un foco,
Che d' un dolce desio l' alma conquise:
Givasi avvicinando a poco a poco,
Tanto ch' al fianco del garyon s' assisse;
E di que' vaghi fior, ch' avean per gioco
Gli amoretti intrecciati in mille guise,
S' incoronò la fronte, e adornò il seno,
Che tutti fur per lui fiamma, e veleno.

[102] 54. Die Bluhmen reizten die Hand, und die Hand die Küsse auf die Wangen! auf die Lippen, auf die Augen, auf die Brust, die so lebendig, so hangend gegeben wurden, den, daß der Jüngling bestürzt davon erwachte: er zitterte durch und durch vor Ehrfurcht bey dem Blitzen der göttlichen Augen; schon stand er auf, sich auf den Boden zu werfen, wenn sie ihn nicht in den Armen gehalten hätte.


Trassero i fior la man, la mano i baci
A le guance, a le labbra, agli occhi, al petto,
Che s' impresser sì vivi, e sì tenaci,
Che si destò smarrito il giovinetto:
Al folgorar de le divine faci,
Tutto tremò di riverente affetto,
E ad atterrarsi già ratto surgea,
S' ella non l' abbracciava, e nol tenea.

[103] 55. Schöne, schläfrige Seele, sagte sie, was zitterst du? was staunst du? ich bin Luna; Amor, Schicksal und Fortuna leiten mich in diese Gegend, mit dir zu schlummern; sey ohne Sorge, sitz' und ruhe, und sey nur darauf bedacht, die Flamme, die ich dir entdecke, in die Stille der braunen Nacht zu verhüllen, oder den Zorn des Himmels zu erfahren.


Anima bella, disse, e dormigliosa,
Che paventi? Che miri? I' son Luna,
Ch' a dormir teco in questa piaggia erbosa
Amor, Necessità guida, e Fortuna;
Tu non ti conturbar, siedi, e riposa,
E nel silentio de la notte bruna
Pensa occultar l' ardor ch' io ti rivelo,
O di sperimentar l' ira del Cielo.

56. O du Auge der Welt, in dem die Fackel der Sonne sich spiegelt, ich bin, versetzte der Knab', ein unwürdiger Schäfer, aber wenn es dir gefällt, so gnädig zu seyn, mich aus der Gränze der Sterblichkeit zu ziehen, so sey versichert von meiner Treue; diesen Schleyer geb' ich dir zum Pfande; Etlio, mein Vater, gab ihn schon meiner Mutter Calice, und auch zum Zeichen seiner Treue.


O pupilla del mondo, in cui la face
Del sol s' imprenta, pastorello indegno
Son io (disse il garzon) ma se ti piace
Trarmi per grazia fuor del mortal segno,
Vivi sicura di mia fè verace,
E questo bianco vel te ne sia pegno,
Ch' a mia madre Calice Etlio già diede
Mio padre, in segno anch' ei de la sua sede.

[104] 57. So sprach er, und zog den weißen, mit Lilien und Perlen eingefaßten Schleyer, der Rücken und Brust von der rechten Schulter herunter bis zur linken Seite ihm umgab, herab, und überreicht' ihn der Göttinn zum Geschenke, die keine Zurückhaltung mehr in dem ganz entflammten Herzen hatte, und wie eine Bluhme, wann's friert, in seine Arme sank.


Così dicendo, un vel candido schietto,
Che di gigli e di perle era fregiato,
E 'l tergo in un gli circondava, e 'l petto
Giù da la spalla destra al manco lato,
Torse in dono a lá Dea, ch' ogni rispetto
Già spinto avea del cor tutto infiammato;
E come fior che langue, allor ch' agghiaccia,
Si lasciava cadèr ne le sue braccia.

[105] 58. So fest umwunden hält die Rebe den unfruchtbaren zweigigten Ulmenbaum nicht; so stark und strenge schlingt sich Epheu nicht um die schattichte Fichte, als die Verliebten, von heftigem Verlangen entbrannt, eins an des andern Busen sich fesselten: die Zungen schossen indessen die süßen Stacheln nach den Herzen, die Amor härtete.


Vite cosi non tien legato, e stretto
L' infecondo marito olmo ramoso,
Nè con sì forte, e sì tenace affetto
Stringe l' edera torta il pino ombroso;
Come stringeansi l' uno a l' altro petto
Gli amanti accesi di desio amoroso:
Saettavan le lingue intanto il core
Di dolce punte, che temprava Amore.

59. So brachte die Göttinn unter ungewohnten, süßen Empfindungen, Worten, Blicken, Seufzern und Umarmungen, die allein frohe, verliebte Liebende kosten, zween Tage zu, und klagte die Gestirne und die Elemente an, daß sie in einem so großen und langen Irrthume dem Wilde gefolgt, und nicht der Liebe.


Così mentre vezzosi atti, e parole,
Guardi, baci, sospiri, e abbracciamenti
Facean dolcezze inusitate, e sole
A gli amanti gustar lieti, e contenti;
Levò la Diva l' uno, e l' altro sole,
Accusando le stelle, e gli elementi,
Poichè con tanti, e con sì lunghi errori
Seguite avea le fiere, e non gli amori.

[106] 60. Ach ich Elende, sagte sie, was für einen Irrthum hab' ich an dem Tage ergriffen, als ich den Bogen ergriff, und den Wald betrat! Wie viele Jahre hab' ich darinnen zugebracht und verloren, die ich nie wieder einzubringen hoffe! O des irrenden, eiteln, übelverstandenen Lebens? wie in die Luft hab' ich es geworfen. Wie viel besser wär' es gewesen, diese Früchte zu pflücken, als den Fuß mit Gefahr dem Wilde nachzusetzen.


Misera me, dicea, quant' error presi
Quel dì, ch'io presi l' arco, e'l bosco entrai!
Quant' anni poscia ho consumati, e spesi
Che di ricoverar non spero mai!
O passi erranti, e vani, e male intesi,
Come al vento vi sparsi, e vi gettai!
Quant' era meglio questi frutti corre,
Ch' a rischio il piè dietro a le belve porre!

61. Jetzt erkenn' ich mein Vergehen, und mögte wieder gut es machen, aber der Himmel erlaubt mir es nicht: nur allein bleibt mir übrig, die Zukunft so anzuwenden, daß ich niemals wieder darüber mich betrübe. Luft und Erde und Meer sey Zeuge dessen, was ich beschlossen habe; das Gesetz, das ich mache, verpflichte, so lange die Sonne währt, mich selbst und das ganze weibliche Geschlecht.


Or connosco il mio fallo, e farne ammenda
Vorrei poter, ma il Ciel non me 'l consente:
Restami sol, che del futuro i prenda
Pensier, di cui mai più non sia dolente.
Però l' Aria, la Terra, e 'l Mare intenda
Quel che di terminar già fisso ho in mente,
E la legge, ch'io fo, duri col sole
Sovra me stessa, e la femminea prole.

[107] 62. Der Himmel, den ich beherrsche, bedecke nie eine schöne Dame – einige wenige ausgenommen, die größer, als ich, und jedes Gestirn, seyn werden, – die mit reinem und keuschen Eifer erdulde, ihr Leben als eine Feindinn der Liebe zu beschließen, ohne diese so süßen Empfindungen zu fühlen, wenn's nicht verstellter Weise, und wider ihr Verlangen geschieht.


Io stabilisco, che non copra il Cielo,
Ch'io governo, mai più femmina bella;
Eccetto alcune poche, ch'io mi celo,
Che fien di me maggiori, e d' ogni stella;
Che sopporti con casto, e puro zelo
Finir la vita sua d' Amor ribella,
E che stia intatta di sì dolce affetto,
Se non mentitamente, o al suo dispetto.

* * * * *


Die Göttinn behält freylich beym Tassoni ihre göttliche Majestät, da sie Wieland tief herab von ihrem Throne gestürzt hat. Die gutherzigen Damen werden ohne Zweifel den Tassoni Wielanden vorziehen.

[108] Ich las beide Erzählungen einer Dame vor, die an Herz und Geist und Reizen eine Freundinn der Aspasia hätte seyn können. Als ich meine Vorlesung geendigt hatte, so sagte sie: »Die Tassonische Erzählung scheint Orpheus gesungen zu haben: die Wielandische? – der muthwillige Geist wird bey euch Dichtern oft dem guten Herzen untreu; es ist nicht möglich, daß dieses bey dem Anblick einer so sehr mißhandelten griechischen Schönheit angenehme Empfindungen haben könne.« Ohne Zweifel ist hier dieses Urtheil zu strenge; es soll auch nur ein bezaubernder Wink für unsre jungen unbesonnenen Blasphemisten der griechischen Schönheiten seyn.

Fußnoten

1 Sollte eine Göttinn bey dem ersten Genuß der Liebe wohl einen so langen Monolog halten können? Amor erlaubt ihr gewiß nicht, so weit sich von ihrem Herzen zu entfernen. In einer schüchternen Empfindung konnten alle diese Gedanken, wie zitternde Embryonen, mit süßer Angst das spröde Herz beklemmen.

2 In seinem Abendmahle.

3 Wer soll den Vorzug haben? meine Ohren geben ihn der Sprache der Liebe; mein Herz wird von beiden entzückt. Tassoni dringt immer nach und nach, ohne abzulassen, tiefer hinein; diese zwo Stanzen sind klassisch schön.

[109] III.
Laurette.

Molti consigli delle Donne sono

Meglio improviso, ch' a pensarvi usciti;

Che questo è speciale, e proprio dono

Fra tanti, & tanti lor del ciel largiti.

ARIOSTO.


Was können Witz und Liebe nicht,
Wenn beide sich genau vereinen!
Dann wird, wann uns ein Rath gebricht,
Der Anschlag von sich selbst erscheinen;
Denn Amor ist noch so verschmitzt,
Als wir in den Geschichten lesen,
Und, wenn der Schalk ein Herz besitzt,
So muthig, wie er sonst gewesen.
Boccaz hat ihn genau gekannt,
Er lehret viel von seinen Streichen,
Und glaubt, es werde durch Verstand,
Die Liebe stets den Zweck erreichen.
In Welschland war ein junges Weib.
Dem weder Reiz noch Regung fehlte;
[110]
Nichts übertraf den schönen Leib,
Als nur der Geist, der ihn beseelte.
Der schwarzen Augen schlauer Scherz,
Der Anstand lockender Gebehrden
Bezauberten ein jedes Herz,
Und mußten Gismunds Meister werden:
Laurette wird von ihm verehrt,
(So wollen wir die Schöne nennen)
Allein sie schätzet ihn nicht werth,
Ihm ihre Gegengunst zu gönnen.
Sie widersteht der Schmeicheley,
Und, was noch mehr, auch den Geschenken.
Warum? sie selbst ist nicht mehr frey,
Und kann an Guido nur gedenken;
An Guido nur, der ihr gefällt,
Und Jenem schon zuvorgekommen;
Drum wird vor Gismund und der Welt
Ein Ernst voll Keuschheit angenommen,
Ein unerheitertes Gesicht,
Ein Wohlstand, der in Ehrfurcht setzet,
Und Tugend, Ehrbarkeit und Pflicht,
Viel höher, als das Leben schätzet.
Umsonst ist seine Redekunst,
Umsonst sein Flehen und Versprechen:
Nichts, nichts erwirbt ihm ihre Gunst,
Nichts kann den frommen Vorsatz brechen.
So züchtig sind zu aller Zeit,
[111]
So unerbittlich viele Schönen,
Die doch den Wahn der Grausamkeit
In eines Dritten Arm verhöhnen.
Doch Gismund wird auf einmal kühn,
Als man ihm heimlich kund gemachet,
Daß diese Lippen, die ihn fliehn,
Sehr oft den Guido angelachet.
Nachdem ihm auch die Kammermagd,
Die man, errathet wie? gewonnen,
Getreuen Beystand zugesagt,
Wird bald ein Mittel ausgesonnen.
Er eilt Laurettens Zimmer zu,
Die auf des Lieblings Schooße lauschet,
Und jetzt mit ihm in sichrer Ruh
Die allerbeßten Küsse tauschet.
Sie hört ihn kommen. Sie erschrickt,
Und hatte Recht sich zu erschrecken.
Ihr Guido muß, so gut sichs schickt,
Sich eiligst hinters Bett verstecken.
Sie bebt, und glaubt, es sey der Mann;
Doch als sie Gismund kaum erkannte,
Fieng der schon eine Predigt an,
Darinn er sie nicht heilig nannte.
Er schwört, den strafbaren Betrug
Vor Niemand länger zu verschweigen,
Sucht sie, ohn' einigen Verzug,
[112]
Sich nicht geneigter zu erzeigen.
Sie klagt; er droht. Sie seufzt; er lacht.
Sie fleht um Aufschub, doch vergebens.
Er will: sie endlich auch. Dies macht
Die Endschaft alles Widerstrebens.
Man sagt sich Lieb' und Eintracht zu,
Und giebt, und nimmt von beiden Zeichen.
Ach Guido! was gedachtest du?
Was konnte deinem Unmuth gleichen?
Allein nun setzt es erst Gefahr,
Nun giebts die schlimmsten Augenblicke:
Der Mann, der hier nicht nöthig war,
Kömmt, eh' man es gedacht, zurücke.
Wie wäre, sonder Weiberlist,
Dies jemals glücklich abgegangen?
Jedoch, wo die beschäfftigt ist,
Da sieht man leicht, was anzufangen.
Herr Gismund rennt, auf ihr Geheiß,
Ganz trotzig, 1 mit entblößtem Degen,
[113]
Dem Manne, der von gar nichts weiß,
Als sucht' er seinen Feind, entgegen.
Er knirscht, und ruft: Du sollst gewiß
Durch diese Faust noch heut' erkalten!
Drauf geht er ohne Hinderniß,
Und Niemand sucht ihn aufzuhalten.
Lorenzo eilte, ganz entstellt,
Sogleich ins Zimmer der Laurette,
Und fand sein Liebstes auf der Welt,
Sein treues Weibchen, auf dem Bette.
Mein Engel, hättest du gesehn! – –
Was denn? – Ich kanns vor Angst nicht sagen.
Ich zittre noch. – Was ist geschehn?
Ach Kind! was hat sich zugetragen? –
Herr Gismund – Rede! – kömmt hieher
Mit bloßem – Wie? – mit bloßem Schwerdte;
Und vor ihm lief, ich weiß nicht wer,
Der Sicherheit und Schutz begehrte.
Ich glaube, daß er auch allhier
In einem Winkel sich verkrochen:
Denn Gismund fand ihn nicht bey mir,
Und trollte sich mit vielem Pochen.
Das ist mir herzlich lieb, mein Schatz,
Erwiederte der Hörnerträger,
Es ist mein Haus kein Tummelplatz
Für Meuchelmörder oder Schläger.
[114]
Drauf ruft er durch das ganze Haus:
Mein Freund, wo habt ihr euch verborgen?
In welchem Winkel? nur heraus!
Hier ist nichts weiter zu besorgen.
Mein Guido kömmt, und danket ihm,
In aller Demuth, für sein Leben,
Daß er vor Gismunds Ungestüm
Ihm eine Zuflucht hier gegeben.
Ihn will, zu größrer Sicherheit,
Der Alte selbst nach Hause bringen,
Und ist mit eigner Faust bereit,
Ihm, auf den Nothfall, beyzuspringen.
Es waffnet sich der theure Mann.
Laurettens Furcht gewinnt ein Ende.
Die Liebesgötter sehn es an,
Und klatschen jauchzend in die Hände.

Diese Erzählung ist eine unsrer vollkommensten.Hagedorn hat seine Laurette nach der Isabella des Boccaz gebildet, und sie nur unschuldiger oder deutscher gemacht, als er sie beym Italiener fand; ihr Gemahl war, wie er am Ende sagt, in einem hohen Alter, und bey'm Boccaz ist sie die Gemahlinn d' un cavaliere assai valoroso e da bene; dieser weiß sie auch nicht besser zu entschuldigen, [115] als daß er sagt: l' uomo non può sempre usare un cibo, ma tal volta desidera di variare.

Das Original ist in drey Stellen wahrscheinlicher, als die Copie. Bey dem Italiener ist der Gemahl der Laurette auf einige Tage auf die Jagd geritten, so, daß sie ihren Guido mit desto mehr Bequemlichkeit bey sich haben kann; und nachdem Alles geschehen, ersinnt sie eine List, damit Gismund weder von ihrem Gemahle, noch dieser von jenem das, was sie von dieser Begebenheit nicht wissen, erfahren könne. Ich mögte von den Aspasien in Deutschland hören, was sie in diesem Falle würden gethan haben.

Vermuthlich fand es der Herr von Hagedorn, da er seine Erzählung für deutsche Damen schrieb, nicht für nöthig, den Mann auf die Jagd reiten zu lassen, damit Laurette ihren Liebhaber ohne Sorge in ihren Armen haben könne. –

In Deutschland giebt es außerdem ja immer viele Herrn, die so gutherzig sind, nicht länger, als die ersten Monate ihrer Ehe, auf ihre Gemahlinnen eifersüchtig zu seyn.

Und dann beschreibt Boccaz den Liebling der Laurette ausdrücklich, als einen sanften, gefälligen Jüngling, der Gismunden die Spitze nicht habe bieten können. Man kann daraus sehen, daß die Damen, schon vor vielen Jahrhunderten, bey der Wahl ihrerFreunde – welchem [116] Worte eine Grazie bey uns die Bedeutung gegeben zu haben scheint, die das WortFreundinn bey den Griechen hatte, um das unausstehliche Wort Buhler aus den guten Gesellschaften zu verbannen – mehr auf sanfte Sitten, und eine naive Einfalt, als Witz, Feuer und Muth gesehen haben; und daß man folglich, wenn man sein Glück bey ihnen machen will, nichts weniger als witzig und weise, und tapfer seyn müsse.

Einige von unsern Aspasien verlangen noch zu diesen Eigenschaften ein männliches Alter.

Unsere gelindesten Weisen halten dies für eine wahre Schande, und für eine unbegreifliche Vergehung, wenn sie unsere vollkommensten Damen diesen Gebrauch beobachten sehen. Ich sehe mich daher genöthigt, ihre Apologie deßwegen zu machen.

Diese Wahl gereicht ihnen zur wahren Ehre.


1) Verwehrt ihnen das süße Gefühl ihrer Unschuld, das sich nicht aus dem Herzen treiben lassen will, sich einem Alcibiades zu ergeben, dem sie nicht zu beweisen hoffen können, es noch immer, ohngeachtet ihrer Vergehung, im Busen zu haben; und ohne dieses Gefühl ist die Liebe eine Kost, an welcher kein feiner Sinn einen Geschmack wird finden können, und wenn auch die Musen ihre lieblichsten Lieder dabey singen, und die Grazien Tänze aus Elysium tanzen müßten.

[117] 2) Ist die Einfalt verschwiegener, als der Witz; und Worte, nicht Handlungen, machen bey dergleichen Begebenheiten das mehrste Unheil.

3) Scheint sie mehr Empfindung zu haben, als die Weisheit.


Indessen kann es nicht fehlen, daß eine unausstehliche Langeweile die Damen bey dieser Liebe endlich in die Verlegenheit setzen müsse, dieser Spielwerke ohne Seele überdrüssig zu werden, so gern sie es auch nicht werden mögten; und ich bin so frey, ihnen zu sagen, daß sie sehr irren, nach der Meynung der größten Menschenkenner, wenn sie mehr Verschwiegenheit, Empfindung und Dankbarkeit bey dem männlichen Alter zu finden hoffen, als bey einem weisen gefühlvollen Jünglinge. Je älter der Mensch wird, desto geringer wird seine Sympathie, sein Vergnügen an der Glückseligkeit eines Andern, sein Hang zur Liebe und Freundschaft, desto größer sein Mistrauen, seine Eigenliebe u.s.w. Er kann keinen Geschmack mehr an den Scherzen und Spielen und allen den süßen kleinen Freuden finden, ohne welche die Liebe nicht leben kann. Alles hat für ihn den Reiz der Neuheit verloren. – O meine schönen gnädigen Damen! Sie machen sich unglücklich, wenn Sie einen mechanischen Mann mit stumpfen Sinnen, einen einfältigen immer lächelnden Damöt zu ihrem Lieblinge erwählen; bey dem ersten werden Sie ihre Launen, mit denen Sie [118] uns so sehr bezaubern, sich abgewöhnen müssen, und bey dem andern unausstehliche Langeweile haben, die auch bey dem ersten ihnen nicht selten beschwerlich fallen wird. Aber am unglücklichsten würden sie sich machen, wenn sie ein feiges Herz ihrer Liebe würdigten; eine deutsche Laurette hat vor kurzem dies erfahren; der tapfere Liebhaber überraschte sie bey ihrem Guido, dieser wollte entschlüpfen, aber Gismund sagte zu ihm: Bleibe, Elender! siehe da, und gehe nicht eher von dannen, als bis ich dir es befehle – und Laurette mußte – ihn vor der Thüre stehen, und nicht von dannen gehen sehen.

Fußnoten

1 Boccaz hat seine Gestalt noch anschaulicher beschrieben, er sagt:

Tirato fuori il coltello, tutto infocato nel viso, tra per la fatica durata; e per l' ira havuta della tornata del marito, come la donna gl'impose, così fece.

[119] IV.
Der Schiffer.

Nix Bodenstrom, ein Schiffer, nahm –
War es in Hamburg oder Amsterdam;
Daran ist wenig oder nichts gelegen –
Ein junges Weib.
Das ist auch sehr verwegen,
Freund, (sprach ein Kaufherr, den zum Hochzeitsschmause
Der Schiffer bat,) du bist so lang und oft vom Hause;
Dein Weibchen bleibt indeß allein;
Und dennoch – willst du mit Gewalt ein Hahnrey seyn?
Indeß, daß du zur See dein Leben wagst,
Zu Surinam, am Amazonen Flusse,
Dich mit den Hottentotten, Kannibalen plagst;
Indeß wird sie –
Mit Eurem schönen Schlusse!
Versetzte Nix. Indeß! Indeß! Ey nun!
Das nehmliche wird Euer Weibchen thun –
Denn, Herr, was braucht's dazu für Zeit? –
Indeß ihr auf der Börse seyd.

Lessing.

[120] V.
Die gründliche Betrübniß.

Auf seinem Bette liegt Lubin,
Sein Weib ist voller Jammer:
Und, ach! aus beider Busen fliehn
Viel Seufzer durch die Kammer.
Doch sagt man, daß vor gleicher Noth
Nicht beide Gatten beben.
Der Mann befürchtet seinen Tod,
Und seine Frau sein Leben.

Löwen.

[121] VI.
Die seltsamen Menschen.

Ein Mann, der in der Welt sich trefflich umgesehn,
Kam endlich heim von seiner Reise.
Die Freunde liefen schaarenweise,
Und grüßten ihren Freund; so pflegt es zu geschehn;
Da hieß es allemal: Uns freut von ganzer Seele,
Dich hier zu sehn, und nun: Erzähle!
Was ward da nicht erzählt! Hört, sprach er einst, ihr wißt,
Wie weit von unsrer Stadt zu den Huronen ist;
Eilf hundert Meilen hinter ihnen
Sind Menschen, die mir seltsam schienen:
Sie sitzen oft am Tisch bis in die späte Nacht,
Der Tisch wird nicht gedeckt, der Mund nicht naß gemacht,
Es könnten um sie her die Donnerkeile blitzen,
Zwey Heer' im Kampfe stehn; sollt' auch der Himmel schon
Mit Krachen seinen Einfall drohn,
Sie blieben ungestöret sitzen.
Denn sie sind taub und stumm; doch läßt sich dann und wann
Ein halbgebrochner Laut aus ihrem Munde hören,
Der nicht zusammenhängt, und wenig sagen kann,
[122]
Ob sie die Augen schon darüber oft verkehren.
Man sah mich oft erstaunt zu ihrer Seite stehen;
Denn wenn dergleichen Ding geschieht,
So pflegt man häufig hinzugehen,
Daß man die Leute sitzen sieht.
Glaubt, Brüder, daß mir nie die gräßlichen Gebehrden
Aus dem Gemüthe kommen werden,
Die ich an ihnen sah; Verzweiflung, Raserey,
Boshafte Freud' und Angst dabey,
Die wechselten in den Gesichtern.
Sie schienen mir, das schwör' ich euch,
An Wuth den Furien, an Ernst den Höllenrichtern,
An Angst den Missethätern gleich.
Allein, was ist ihr Zweck? so fragten hier die Freunde,
Vielleicht besorgen sie die Wohlfahrt der Gemeinde? –
Ach nein! – So suchen sie der Weisen Stein? – Ihr irrt. –
So wollen sie vielleicht des Zirkels Viereck finden? –
Nein! – So bereun sie alte Sünden? –
Das ist es alles nicht. – So sind sie gar verwirrt,
Wenn sie nicht hören, reden, fühlen,
Noch sehn, was thun sie denn? – Sie spielen.

Lichtwer.

[123] VII.
Der Adel.

Im Dunkeln jener Zeit, von der mit kühnem Dichten
Kein feiler Hozier 1 uns wagt zu unterrichten,
Verlor sich Arnolfs Stamm; den wilden Saladin
Sah, an des Jordans Strand, sein tapfrer Ahnherr fliehn,
Und dieses Ahnherr ward beym großen Karl zum Grafen;
Es zitterten vor ihm die Sachsen und die Slaven.
Ein Heilger selbst war ihm vom Vater her verwandt,
Doch Arnolf kam nicht hin, wo er den Heilgen fand;
Er half sein Vaterland bey zwanzig Jahr verderben,
War Liebling seines Herrn und starb – wie Reiche sterben.
Hochseelig pries ihn zwar geweihter Lippen Spruch,
Doch wahrer sprach von ihm gepreßter Layen Fluch;
Wo Bau'r und Excellenz der Thaten Lohn empfinden,
Mußt' er, zum schlechten Trost, noch seinen Kutscher finden;
[124]
Der fragt erstaunungsvoll nach Arnolphs Missethat?
Ein Sohn, war Arnolphs Wort, für den ich alles that;
Ihn, und mein alt Geschlecht durch ihn erhöht zu wissen,
War mir kein Unrecht groß, und dafür muß ich büßen.
Du aber, guter Hanns, weswegen bist du hier?
»Herr, sprach der Kutscher drauf, der Sohn – der war von mir.«
Die Fabel wird wohl nicht auf unsern Adel passen;
Denn der verdammt sich nicht, um Kinder reich zu lassen.

Kästner.


Ende des ersten Bandes.

Fußnoten

1 Ein Genealogist.

[128] Zweyter Band
Komische Erzählungen

Vadano a volo i canti. Anima pura

Sempre è sicura.

Chiabrera.


[129][131]

I.
Der Bluhmenkranz.

Dort, wo die Alster sich in engen Ufern krümmt,
Und rauschend ihren Lauf durch Büsch' und Wälder nimmt,
Wo deutsche Treue sich beym deutschen Handschlag findet,
Des Landmanns froher Fleiß für sich die Garben bindet,
Und alte Freyheit noch den angeerbten Huth
Frisch in die Augen drückt, und unbefehdet ruht;
Da ist ein kühler Ort, dem keine Schönheit fehlet,
Den Amor hundertmal der Eifersucht verhehlet,
Und dem allein entdeckt, der ihn zum Führer wählet.
Der Zephyr folgt mit Lust den kurzen Wellen nach,
Die hier in grüne Tiefen fallen;
Die Schäfer nennen's einen Bach,
Wir Dichter, fließende Krystallen.
Ein dick Gesträuch umschränkt die innre Spur,
Wohin oft Wunsch und Sehnsucht leiten,
Auf diesen Platz lockt uns die Liebe nur,
Und ihre Mutter, die Natur.
[131]
Hier saß Mathild'. Es eilet ihr zur Seiten
Ein kleiner Schwarm verbuhlter Fröhlichkeiten:
Der schlaue Scherz, die süße Schmeicheley,
Die Hoffnung selbst, und Reinhold kömmt herbey,
Der sie so oft besingt, so unverstellt verehret,
Und in der Einsamkeit sie bloß aus Liebe störet.
Auf seinen Wangen ist zu schaun,
Anstatt der Jugend Milch, ein lebhaft männlich Braun.
Den Augen fehlt kein Geist, noch Ehrfurcht den Gebehrden.
Er hat, was man gebraucht, nie sehr gehaßt zu werden.
Dies ist des Reinholds Bild, der seiner Schönen Hand
Voll auserles'ner Bluhmen fand,
Woraus sie einen Kranz zu knüpfen angefangen,
Den unerkauften Schmuck, mit dem nur Hirten prangen.
Allein, sobald sie hier den muntern Freund erblickt,
Will ihr die Arbeit nicht, so wie zuvor, gelingen.
Fast jeder Stengel wird durch ihr Versehn zerknickt,
Und Reinhold wird versandt, ihr frische herzubringen.
Er thut es; doch umsonst, und siehet mit Verdruß
Die Bluhmen, die er reicht, so wie die ersten brechen.
Dies, spricht er, ist zu viel! Ich will durch öftern Kuß
Die Unvorsichtigkeit bey jeder Bluhme rächen.
Sie lächelt, und schweigt still, fängt auch von neuem an.
Wiewohl, wer kann vorher des Schicksals Tücke wissen?
Da ihr auch der Versuch noch minder glücken kann,
[132]
So wird der ganze Kranz, voll Ungeduld, zerrissen;
Und Reinhold giebt nunmehr gerechter Strenge Raum.
Wem wird im Küssen nicht die Rache süßer schmecken?
Er nähert sich, sie seufzt; er straft, sie murret kaum.
Hier schließt sich Busch und Wald, sie hülfreich zu verstecken.
Man sagt, sie thaten dies, was einst Aeneas that,
Als Dido und der Held in einer Höhle waren.
Was aber thaten die? Wer das zu fragen hat,
Der ist nicht werth, es zu erfahren!

Der Herr von Hagedorn hat diese Geschichte dem Vergier nacherzählt, in dessen Sammlung von Erzählungen sie eine von denen ist, die er den französischen Grazien erzählt hat. Das Original ist so schön, daß ich es ganz hierher setzen mögte, um Jeden selbst die Vergleichung machen zu lassen. Er beschreibt die Schäferinn:


Bras nud, qui les regards attire,
Cheveux moitié flotants & moitié renouès,
Habit leger, dont se seroient jouès
Les moindres vents, gorge assez découverte,
Couverte assez pour faire desirer.
[133]
Pieds faits au tour, dont la blancheur offerte
Charmoit, brûloit, qui les sait admirer.

Alle diese Schönheiten hat der Herr von Hagedorn noch erhöht, und die französische Grazie in griechische verwandelt. – Worte, süßes Geschwätz, in Empfindungen.

Was Dido und der Held in einer Höhle thaten? wird den Damen ihr gutes zärtliches Herz sagen, und ihre Phantasie wird ihnen dabey ein so schönes Gemälde davon machen, daß es das Virgilische weit übertrifft.

[134] II.
Dionysius der Tyrann und Aristipp der Weise.

Zu Aristipp, dem großen weisen Mann,
Sprach Dionysius der mächtige Tyrann:
Du magst mir deine Weisheit preisen,
Mir sagen, daß für Geld ich sie nicht kaufen kann –
Genug; die Weisheit siehet man
Bey Reichen nur, die Reichen nicht bey Weisen!
Er sprach's, und sah dabey – sein Fürstliches Geblüt
War aufgewallet – starr den großen Weisen an.
Der Weise sagte: Ja, wie man
Die Aerzte nur bey Kranken sieht!

Gleim.

[135] III.
Die eilfertige Schäferinn.

Der junge Schäfer Tityrus
Empfand, was Jeder fühlen muß.
Er ward der Macht der schönen Schäferinnen,
An mancher unruhvollen Nacht,
Die er mit Wünschen zugebracht,
Und die ein Traum, sonst nichts, oft wahr gemacht,
Zu seiner schönsten Marter innen.
Er räumte Silvien allein
An Schönheit und an Witz den größten Vorzug ein.
Erst wünscht er nur, sie immer zu erblicken.
Doch dieser Wunsch ist viel zu leer:
Wer zärtlich liebt, der wünschet bald noch mehr,
Die Liebe suchet uns weit stärker zu berücken.
Er wünschte sie zu sehn,
Und seine Zärtlichkeit, mit Bitten und mit Klagen,
Der jungen Silvia zu sagen.
Doch dies war leichter noch gewünschet, als geschehn:
Sie und Lykoris trieben beide,
Als Schwestern, stets zugleich die Heerden auf die Weide.
Oft schleicht sich Tityrus zu ihren Triften hin,
Vielleicht ist sie allein, die schöne Schäferinn?
O nein! Er kömmt und irrt, und bleibt ganz traurig stehen,
[136]
Man fragt ihn, was er will;
Er weiß es wohl, doch schweigt er still,
Und weil er gar nichts sagt, heißt man ihn wieder gehen.
So kehrt der Schäfer oft zurück,
Und ohne Kuß, und ohne Blick;
Nur mit Verdruß; nur mit vergeblichem Bemühen.
So ist die Zeit,
So ist das Glück und die Gelegenheit,
Kein Mensch sieht sie so stark, als ein Verliebter, fliehen.
Man nennt oft, übereilt, die Liebe seine Last.
So hatte Tityrus auch den Entschluß gefaßt,
Erst Silvien, und dann die Liebe zu vergessen.
Jedoch, wer dieses will, der hat es schlecht ermessen.
Kaum hat er einen Augenblick gesessen,
So rauscht der Zephyr durch den Wald.
Dies hört der junge Schäfer bald.
Er horcht, warum? Er springet auf, weßwegen?
Vielleicht, weil sich die Blätter stark bewegen?
O nein! er meynt, es käme Silvia,
Er meynt noch mehr, er meynt, sie sey schon da.
Weg, armer Tityrus, mit dem verhaßten Triebe!
Vergiß erst Silvien, hernach vergiß die Liebe!
Hast du den Augenblick nicht diesen Schluß gefaßt?
Wie kömmt es, daß du ihn zuerst vergessen hast?
Man nennt oft, übereilt, die Liebe seine Last.
Doch, weil sein schmeichelhafter Sinn
Ihm schon von seiner Schäferinn
[137]
Oft viel gesagt und oft gelogen,
So warf er sich nun ganz verdrüßlich bey seinem Baume wieder hin.
Er dachte;
Vielleicht, was Silvia bey ihrer Heerde machte?
O nein! dies dacht' er nicht.
Was aber sonst? Wer liebt, wird dies von mir nicht fragen:
Was ein Verliebter denkt, kann er oft selbst nicht sagen.
Itzt springt er noch einmal von seinem Lager auf.
Doch nun betrügt der Zephyr ihn nicht wieder,
Kein rauschend Blatt ermuntert seine Glieder:
Er siehet Silvien, in vollem Lauf,
Die nichts als ihren Hylax mitgenommen,
Von ihrer Flur nach seinen Triften kommen.
Er siehet sie, drum springt er hurtig auf.
Ach! Silvia, geliebte Schäferinn,
Du eilst, woher? wohin?
O mache mir einmal die Freude,
Und bleib ein wenig hier, wo ich die Heerde weide.
So redet sie der junge Schäfer an:
Allein sie sagt, daß sie nicht bleiben kann.
Nein, spricht sie, Tityrus, mir ist befohlen,
Ein Schaf von Daphnens Trift zu holen.
Lykoris hütet itzt die Schafe ganz allein,
Deswegen muß ich nun bald wieder bey ihr seyn.
[138]
Und wenn du mir gleich itzt die Heerde schenken wolltest,
So glaube, daß du mich doch nicht bereden solltest.
Er bittet nur um einen Augenblick.
Umsonst, sie gehet fort. Er hält sie gar zurück.
Sie schreyt, und fänget an, mit ihm zu ringen;
Ihr Hylax will auf den verwegnen Schäfer springen.
Allein sie sieht es noch zu großem Glück,
Drum stößet sie den bösen Hund zurück.
Dies fodert auch das Mitleid von den Schönen.
Ihr Mädchen, nehmt dies allemal in Acht;
Den kleinen Hund, der euren Schooß bewacht,
Müßt ihr zum Beißen nicht gewöhnen.
Der Schäfer fährt mit Bitten fort.
Ach! spricht er, Silvie, so höre nur ein Wort.
Sie hört. Er fanget an zu klagen:
Mich quälen Zeit und Glück seit mehr als sechszehn Tagen.
Kaum hat er dis gesagt, so will sie wieder gehn.
O, da dich Zeit und Glück seit sechszehn Tagen quälen,
So, spricht sie, kann ich zum voraus verstehn,
Du hast mir Vieles zu erzählen.
Er bittet noch um einen Augenblick.
Er küsset ihre Hand. Hält sie nicht dies zurück?
Sie bleibt. Die Liebe läßt ihn itzt viel kürzer sprechen.
Er blickt sie zärtlich an;
Wie viel hat nicht ein Blick oft kund gethan?
Er drückt die schöne Hand;
[139]
Ein sanfter Druck macht oft das ganze Herz bekannt.
Ihr Auge fängt nun schmachtend an zu brechen.
Nein, spricht sie, laß mich gehn!
Sie sprichts, und dennoch bleibt sie stehn.
Ach! liebst du mich? fängt er recht zärtlich an zu fragen.
Wie nun betroffne Silvia?
Der Eigensinn verbeut dir, Ja,
Und die Empfindung, Nein zu sagen.
Doch für ein Mädchen sind auch dies die schwersten Fragen;
Gieb Acht, verliebter Tityrus,
Ich wette drauf, daß sie nun wieder eilen muß.
Ein Mädchen läßt sich nicht so leicht gewinnen.
Und wenn es halb gewonnen ist,
So sucht es doch mit angeborner List,
Zu fliehn, und dem Bekenntniß zu entrinnen.
Auch Silvie will sich davon befreyn,
Drum fället ihr das Schaf auf einmal wieder ein,
Und dieser Vorwand heißt sie fliehen,
Sich dem Triumph der Liebe zu entziehen.
Sie geht, doch nein, sie sagt erst, daß sie gehen will.
So, spricht der Schäfer, kannst du mich verlassen?
So willst du mich, weil ich dich liebe, hassen?
O schweig doch, Tityrus, mit diesen Klagen still.
Sie geht ja nicht, sie sagt nur, daß sie gehen will.
Ein Kuß,
Den ihr nur Tityrus,
[140]
Und sonst kein Andrer reichen muß,
Zieht ihre flüchtigen und schönen Glieder
Ganz kraftlos in den Schatten nieder.
Hier sank die Ueberwundne hin.
Was war der Sieg? Dies hat mir Niemand wollen sagen.
Gnug, die Besiegte war die schönste Schäferinn;
Drum wußt' ichs, ohne viel zu fragen.

Rost.

[141] IV.
Die Haushaltung.

Zankst du schon wieder? Sprach Hans Lau
Zu seiner lieben Ehefrau.
»Versoffner, unverschämmter Mann!«
Geduld, mein Kind, ich zieh' mich an.
»Wo nun schon wieder hin?« Zu Weine.
Zank du alleine.
»Du gehst? Verdammtes Kaffeehaus!
Ja! – blieb' er nur die Nacht nicht aus –
Gott! ich soll so verlassen seyn?
Wer pocht? – Herr Nachbar? – nur herein!
Mein böser Teufel ist zu Weine;
Wir sind alleine.«

Lessing.

[142] V.
Das junge Mädchen.

Ein junger Mensch sprach einen wackern Mann,
Durch einen guten Freund, um seine Tochter an.
Der Alte, der sein Kind noch nicht versprechen wollte,
War dennoch ungemein erfreut.
Und bat den Freund, mit vieler Höflichkeit,
Daß er bey ihm zu Tische bleiben sollte.
Die Tochter, ob sich gleich der Vater sehr verstellt,
Erräth die Sache bald. Was? fängt sie an zu schließen,
Ein fremder Herr, den man zu Tische gleich behält,
Was bringt doch der? Ich solls nicht wissen;
Allein umsonst bückt er sich nicht so tief vor mir.
Ist auch der gute Freund wohl meinetwegen hier?
Der Fremde hofft, es soll ihm noch gelingen,
Und wagt es bey dem Glase Wein,
Das Wort für seinen Freund noch einmal anzubringen.
Mein Herr, fiel ihm der Vater ein,
O! denken Sie doch nicht, daß ich zu hart verfahre:
Mein Kind kann wirklich noch nicht freyn,
Sie ist zu jung; sie ist erst vierzehn Jahre.
Indem er dies noch sprach: trat Fiekchen selbst herein,
[143]
Und trug ein Essen auf. Was? fieng sie an zu schreyn,
Was sagten Sie, Papa? Sie haben sich versprochen.
Ich sollt' erst vierzehn Jahre seyn?
Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen. 1
»Ließ sie der Vater denn nicht freyn?«
Das weiß ich nicht; doch nein, ich wills nur sagen:
Denn unter denen, die mich fragen,
Da könnten wohl selbst junge Mädchen seyn;
Die zu beruhigen, will ich's aufrichtig sagen:
Der Vater schämte sich, und ließ die Tochter freyn.

Gellert.

Fußnoten

1 Diese Erzählung ist aus einem alten deutschen Vademecum genommen. Die berühmte Naivität:

»– Was? fieng sie an zu schreyn,

Was sagten Sie Papa? Sie haben sich versprochen.

Ich sollt' erst vierzehn Jahre seyn?

Nein, vierzehn Jahr und sieben Wochen –«

ist darinnen nur kürzer ausgedrückt: Nein, Vater – sagte das Mädchen erröthend – vierzehn Jahr und vierzehn Wochen. Geliert hat diese scherzende Naivität vielleicht in zu heftigen Ernst verwandelt: Aber ich bin mit diesem Vielleicht vielleicht bey einem so großen Manne schon zu verwegen.

[144] VI.
Die Zauberinn.

O Fotis! lebe wohl, ich sterbe,
Mein Schatz ist dieses Zauberbuch;
Das ist mein Gut, du bist der Erbe,
Du bist es ohne Widerspruch.
Nimm hin und lies: die Welt wird zittern,
Der Abgrund fliehn, der Himmel wittern,
Sprach Pamphile, die Zauberinn,
Zu ihrer Magd, und fuhr dahin.
Die Fotis nahm die Zauberschriften,
Und ward dadurch bald fürchterlich,
Sie rief die Leichen aus den Grüften,
Sie trieb die Ströme hinter sich,
Durch ihren Spruch versetzt sie Berge,
Macht Stein' aus Volk, aus Riesen Zwerge;
Thessalien sang ohne Scheu,
Daß Fotis eine Göttinn sey.
Der Ruf erhebt sie zur Sibylle,
Man glaubt, vor ihr sey nichts versteckt,
Der Menschen Thun, der Götter Wille
Sey vor ihr klar und aufgedeckt.
Vom Nil und Ganges, von den Meeren
[145]
Kömmt Volk, der Fotis Spruch zu hören,
Der Stuhl, darauf die Weise sprach,
Gab Delphens Dreyfuß wenig nach.
Was ganze Völker göttlich nannten,
Schien einem einz'gen Schäfer nichts;
Olint, den sieben Heerden kannten,
Hielt es für Blendwerk des Gesichts.
Verwegner Schäfer! bleib in Schranken;
Die Fotis straft auch die Gedanken,
Die ihrer Ehre schädlich sind;
Schlägst du der Zaubrer Zorn in Wind?
Umsonst, Olint ist nicht zu zwingen,
Der Fotis Langmuth macht ihn kühn;
Er will sie um die Ehre bringen,
Und es gelingt ihm sein Bemühn.
Es sey nun ein betrübt Geschicke,
Es sey, daß dieses Schäfers Tücke
In Fotis Buch vergessen war,
Die Kunst ward endlich offenbar.
Dort, wo in Tempe Lustgehölzen
Zwölf Bäche sich in gleicher Eil
Von Pelions Gebürgen wälzen,
Entdeckt sich einer Höhle Theil,
Die Felsen stützen sie, wie Mauren,
Sie war des klügsten der Centauren,
[146]
Des weisen Chirons Aufenthalt,
Und viel Olympiaden alt.
Hier lag und schlief in dunkler Stille
Die allzu sichre Schäferinn;
Ihr Buch, das Leibbuch der Sibylle,
Warf sie unachtsam bey sich hin.
Sie schläft, Olint wacht ihr zum Schaden,
Kömmt im Gesicht der Oreaden,
Durchsucht der Fotis ödes Haus,
Und holt das Zauberbuch heraus.
Es sammlen sich der Hirten Töchter
Aus Neugier all' um den Olint,
Und dieser zeigt mit Hohngelächter,
Wie eitel Fotis Künste sind.
Man machte mit dem Zauberbuche
Sofort selbst allerley Versuche,
Und fand, daß es Theils Gaukeley,
Theils Wirkung der Naturkunst sey.
Die Wahrheit besser zu ergründen,
Wird Fotis endlich selbst besucht.
Man siehet sie die Hände winden,
Man hört, daß sie dem Glücke flucht.
Man lacht, und sie beschwört die Götter
Umsonst zu Tilgung ihrer Spötter,
Sie ward der Kinder Zeitvertreib,
Ein Spott des Volks, ein schwaches Weib.

[147] * * *


Dies sag' ich allen kleinen Geistern:
Auch ihr sucht durch gelehrten Dunst
Der Welt die Augen zu verkleistern,
Als wär't ihr Zaubrer in der Kunst.
Professor, Doctor und Magister!
Excerpta, Lexika, Register,
Die sind der Quell des großen Lichts,
Nimmt man auch die, so könnt ihr nichts.

Lichtwer.

[148] VII.
Circe.

Nach des Ulysses Koch und Räthen,
Berührte Circens Wunderstab
Zuletzt auch seinen Hofpoeten,
Dem er den Tisch zum Lohne gab.
Ey! ey! wie wird es dem ergehen?
Werd' eine Gans! rief sie. Doch er
Blieb unverwandelt vor ihr stehen,
Und sagte seine Verse her.

Pfeffel.

[149] VIII.
Die Undankbarkeit des männlichen Geschlechts.

Mit Lauretten, seiner Freude,
Sitzt am Alsterfluß Tiren,
Wo sie auf der nächsten Weide,
Zweene Spatzen buhlen sehn.
Voll von zärtlichem Gefühle
Scheinen beide gleich vergnügt,
Als, nach einem kurzen Spiele,
Einer schnell von dannen fliegt.
Sieh', ach! sieh' doch, spricht Laurette,
Ist der Undank zu verzeihn?
Der itzt wegflog, wird, ich wette,
Ganz gewiß das Männchen seyn.

[150] IX.
Melson.

Der Dollmetsch, welcher oft mehr Sprachen, als er wußte,
Vor seiner Königinn 1 sogleich erklären mußte,
Der schlaue Melson fand durch seine Munterkeit
Den Rath, den nur der Witz verleiht.
Einst kömmt aus Indien ein schwarzer Abgesandter,
Erscheinet vor dem Thron, und fängt den Vortrag an,
Den er nicht übersetzen kann;
Denn keine Sprache war dem Melson unbekannter.
Doch hilft die List ihm aus. Ihm winkt die Königinn.
Er nähert sich, und spricht: dies ist der Rede Sinn:
Großmächtigste! Dein Ruhm dringt bis in unsre Gränzen.
Nur dich verehrt ein jeder Theil der Welt.
Wo sollte nicht, in Marmor aufgestellt,
Dein Bild und Lob den spätsten Enkeln glänzen?
Es ist dir Brama hold. Zur Ehre schuf er dich.
Dein Anblick, wie dein Geist, ist mehr als königlich.
[151]
Dies hört' Tavernier, der sich im Saal befand.
Des Fremden Sprache war ihm ganz genau bekannt.
Er hatte, wie man weiß, von seinen vielen Reisen
Mehr, als ein Stammbuch, aufzuweisen.
Er sagte: Königinn, was Melson itzo spricht,
Das redte der Gesandte nicht.
Wer wird, sprach Melson drauf, den Mischmasch wissen wollen?
Mir liegt die Pflicht der Ehrfurcht ob.
Die Königinn verdient das Lob:
Und hat ers nicht gesagt, so hätt' ers sagen sollen.

Fußnoten

1 Anna v. Oesterreich, Gemalinn Königs Ludewigs XIII von Frankreich, und Regentinn zur Zeit der Minderjährigkeit Ludewigs XIV.

[152] X.
Drey Taube.

Es haben oft zugleich der Leser und der Dichter,
Und auch der Kritikus kein zuverlässig Ohr.
So lud vor einen tauben Richter
Ein Tauber einen Tauben vor.
Der Kläger sagt': Auf meinem Felde
Hat er dem Wilde nachgehetzt.
Beklagter: Nein; von seinem Gelde
War längst das Drittheil abgesetzt.
Der Richter sprach: Das Recht der Ehen
Bleibt heilig, alt und allgemein.
Es soll die Heirath vor sich gehen,
Und ich will bey der Hochzeit seyn!

von Hagedorn.

[153] XI.
Der betrübte Wittwer.

In Poitou, (ich will mit Fleiß die Gegend nennen,
Damit sich die befragen können,
Die, wenn ein kleiner Umstand fehlt,
Schon zweifeln, ob man wahr erzählt,)
In Poitou ließ einst ein Mann sein Weib begraben;
Allein, man merk' es wohl, man ist in Poitou;
Da geht es, wenn sie Leichen haben,
So prächtig, wie bey uns, nicht zu.
Man kleidet sie geschwind mit leinen Sterberöcken,
Und trägt den Sarg, ohn' ihn erst zuzudecken,
An den für ihn bestimmten Ort.
So trug man auch den offnen Sarg itzt fort;
Doch was geschieht, indem sie ihn so tragen,
Der Leichenweg gieng dicht an einer Hecke hin;
Hier ritzt ein Dorn die todte Frau ins Kinn.
Auf einmal fängt sie an, die Augen aufzuschlagen,
Und ruft: Wohin wollt ihr mich tragen?
Hier, deucht mich, hör' ich Viele fragen,
Wie kam die gute Frau zurück?
Hielt es der Mann auch für ein Glück,
Die Hälfte wieder zu bekommen,
[154]
Die ihm der Tod zuvor genommen?
Wie mag ihm wohl gewesen seyn?
Das letzte wird man leicht erfahren.
Nach weniger, als sieben Jahren,
Büßt sie das zweytemal ihr junges Leben ein.
Der Mann gab ihr von neuem das Geleite,
Und gieng gesetzt an seiner Gattinn Seite,
Wie alle harte Bauersleute.
Allein so bald er nur die Hecke wieder sah:
So wies er erst, wie viel sein Herz empfände,
Er rung mit Thränen beide Hände.
Ach, rief er aus, da war es, da!
Kommt ja der Hecke nicht zu nah!

Gellert.

[155] XII.
Der Mohr und der Weiße.

Ein Mohr und Weißer zankten sich,
Der Weiße sprach zu dem Bengalen:
Wär' ich, wie du, ich ließe mich
Zeit meines Lebens niemals malen.
Besieh dein Pechgesichte nur.
Und sage mir, du schwarzes Wesen!
Hat dich die spielende Natur
Nicht uns zum Scheusal auserlesen?
Gut! sprach der Mohr, hat denn ihr Fleiß
Sich deiner besser angenommen?
Die Tafel ist bey dir noch weiß,
Der Maler soll erst drüber kommen!
Die Welt, darinn wir Menschen sind,
Gleicht einem ungeheuren Baume,
Darauf bist du, mein liebes Kind,
Unstreitig die unreife Pflaume.
Sie zankten sich noch lange Zeit,
Und weil sich Keiner geben wollte,
[156]
Beschlossen sie, daß ihren Streit
Ein kluger Richter schlichten sollte.
Als nun der Weiße Recht behielt,
Da sprach das schwarze Kind der Mohren:
Du siegst; ich habe hier verspielt,
In Tunis hättest du verloren!

* * * * *


So manches Land, so mancher Wahn.
Es kömmt bey allen Nationen
Der Vorzug auf den Ort mit an;
Schön ist, was da gilt, wo wir wohnen.

Lichtwer.

[157] XIII.
Der blöde Schäfer.

Oft sind die Schäferinnen spröde,
Und fliehn aus Eigensinn des Hirten Zärtlichkeit;
Oft aber machen sie zur Lust Gelegenheit,
Und da ist oft der Schäfer gar zu blöde.
Doch, welcher dieses ist,
Sein Glücke nur aus Furcht vergißt,
Und nichts bey seiner Liebe waget,
Der ist hernach nicht werth, daß ihn ein Mensch beklaget.
Ein junger Hirte, Phylimen,
War von Natur verliebt, auch zum Gefallen schön;
Es eiferten die Schäferinnen,
Die Gunst des Jünglings zu gewinnen.
Wie mancher Strauß, wie manches Band
Ward seinetwegen nicht zum Putzen angewandt?
Die Eine sang ihm oft ein zärtlich Hirtenlied,
Die Andre war bemüht,
Sein Herze durch den Tanz zu fangen:
Allein zuletzt bereuten sie
Doch Alle die verlorne Müh,
Nebst dem verrathenen Verlangen.
[158]
Die Furchtsamkeit
Hielt jederzeit
Den Antrag Phylimens zurücke.
Kaum sprach sein Herz noch durch die Blicke.
Er gieng zu mancher Schäferinn
Oft mit dem festen Schlusse hin,
Ihr nichts als Zärtliches zu sagen.
Umsonst, er konnt' es niemals wagen.
Und hätt' ihn Eine nur um seine Gunst gefragt,
So hätt' er, glaub' ich, Ja gesagt.
Doch, welche Nymphe wird hierum den Schäfer fragen?
Nur Daphne war zu sehr in ihn verliebt,
So daß sie auf die stärksten Mittel dachte,
Wodurch sie sich den Schäfer eigen machte.
Was sie beschloß, ward standhaft ausgeübt.
Das, was die Schönen sonst nur zu erwarten pflegen,
Vergaß sie ihrer Liebe wegen.
Was allemal die Hirten selbst gethan,
That sie, und redete den blöden Schäfer an.
Sie sagt' ihm, daß er unter Allen
Ihr einzig und allein gefallen.
Nichts fiel ihr zu bekennen schwer,
Sie sagt' ihm dies, wer weiß, ob nicht noch mehr.
Er dankt' ihr für die Zärtlichkeit,
Und war vergnügt, und that erfreut,
Allein zu mehrerem sich zu entschließen,
Fiel ihm zwar öfters ein,
[159]
Jedoch sein Muth war viel zu klein,
Sie auf das erstemal zu küssen.
Was dachte Daphne wohl hierbey?
Sie sprach ihn zwar nicht von dem Fehler frey,
Doch glaubte sie, anstatt ihn höhnisch zu verlachen,
Ihr Umgang würd' ihn wohl noch endlich herzhaft machen.
Umsonst, er kam, sprach nichts, gieng furchtsam wieder fort,
Und was er ja noch sprach, war ein erfragtes Wort;
Doch ließ er stets die Klage hören,
Wie grausam das Geschick und seine Daphne wären.
Man mußte hier so stark, als Daphne, zärtlich seyn,
Ihm statt der Rache noch beständig zu verzeihn.
Sie nahm sich endlich vor, das letzte zu probieren,
Und ihn durch eine kleine List,
Die in der Liebe sonst ein sichres Mittel ist,
Zu seinen Pflichten anzuführen.
Einst warf die junge Schäferinn
Sich, noch bevor er kam, bey ihrer Heerde hin,
Als wäre sie bey ihren Schafen
Vor Hitz' und Müdigkeit ein wenig eingeschlafen.
Ihr runder Arm macht' ihr das harte Lager weich,
Und ihre Hand vor ihren Augen Schatten,
Die mehr zu lauschen, als zu schlummern hatten.
Dem Busen war mit Fleiß das Oberkleid zu kurz,
Ihr kleiner Schäferschurz
[160]
Ward noch daneben
Der warmen Mittagsluft zum Spielen übergeben.
Sie hatte sich die Stellung ausgedacht,
Die blöde Schäfer klug, und kluge lüstern macht.
Sie lag und lernte schon, wie sie erschrecken wollte,
Wenn Phylimen sie küssend wecken sollte.
Er kam, doch weil er sie in diesem Schlummer sah,
So trat er ihr kaum noch mit leisen Schritten nah.
Der Anblick war zu schön, sein Herz fieng an zu schmachten.
Er konnte hier
Die Nymphe nicht genug betrachten.
Ihr meynet, daß er nun einmal verwegner war?
Er machte Daphnen nicht sein Daseyn offenbar.
Er sprach nichts mehr als dies: Wie sanft ist ihre Ruh!
Ihr schönen Augen, bleibt in eurem Schlummer zu.
Ihr Blätter, rauschet nicht, und blöcket nicht ihr Heerden,
Die schöne Daphne muß durch nichts gestöret werden.
Und hierauf schlich er sich nun ohne Kuß und Wort
Mit leisen Schritten wieder fort.
Doch Daphne, die er hatte schlummern lassen,
[161]
Fieng ihn auf einmal an zu hassen.
Die fehlgeschlagne List hielt sie für ihre Schmach,
Drum sprang sie auf, und schickt' ihm diese Worte nach:
Du hast dein eignes Glück vermieden,
Und bist der Lust nicht werth, die Daphne dir beschieden.
Er hörte dies, und lief zurück.
Doch ein versäumter Augenblick
Wird keinem Hirten wieder kommen.
Auch Daphne hatte hier bereits die Flucht genommen.

[162] XIV.
Faustin.

Faustin, der ganzer funfzehn Jahr
Von Haus und Hof und Weib und Kindern war,
Ward, von dem Wucher reich gemacht,
Auf seinem Schiffe heimgebracht.
»Gott, seufzt der redliche Faustin,
Als ihm die Vaterstadt in dunkler Fern' erschien,
Gott strafe mich nicht meiner Sünden,
Und gieb mir nicht verdienten Lohn,
Laß, weil du gnädig bist, mich Tochter, Weib und Sohn,
Gesund und fröhlich wieder finden.«
So seufzt Faustin, und Gott erhört den Sünder.
Er kam und fand sein Haus in Ueberfluß und Ruh.
Er fand sein Weib und seine beiden Kinder,
Und Segen – Segen Gottes! – zwey dazu.

Lessing.

[163] XV.
Der Kanonikus und seine Köchinn.

Ein heiliger Kanonikus begeht,
Bey seinen wohlbespickten Pfründen,
In einem Tage größre Sünden,
Als ganz durch's Jahr ein hungriger Poet.
Ein solcher war's, von dem aus Liebe
Die Köchinn ihren Abschied nahm;
Zu dem, aus einem gleichen Triebe,
Nanette sich zu präsentiren kam.
Könnt ihr, fragt er, mit einem frommen Wesen,
Gut kochen? – Wenig! – Waschen? – Nein! –
Doch Schreiben und die Zeitung lesen? –
Nein, gar nicht! – Und – fiel er ihr ein:
Zum Lohn? – Herr, hundert Thaler! – Sachte!
Da die Geschickteste auf's Jahr
Nur zwanzig fodert! – Recht! rief sie, und lachte:
Doch ich, mein Herr! – Nun, ihr? –
Herr! ich bin unfruchtbar.

Löwen. nach dem Grecourt.

[164] XVI.
Aurelius und Beelzebub.

Es wird Aurel, der nichts, als Armuth scheut,
Zum Mammonsknecht, zum Harpax unsrer Zeit.
Ihm ist der Klang von vielen todten Schätzen
Ein Saitenspiel, das Zählen ein Ergötzen.
Oft schläft der Thor, noch hungrig und mit Pein,
Vom Hüten matt, auf vollen Säcken ein;
Denn Geld und Geiz nimmt täglich bey ihm zu;
Geld ist sein Trost, sein Leben, seine Ruh,
Sein Herr, sein Gott! Stets nagt ein scharfer Neid
Sein blutend Herz: jüngst mehrt' ein vielfach Leid
Des Wuchrers Quaal und Unzufriedenheit.
Der Witwen Fluch? Beraubter Waisen Ach?
Die Reue? Nein. Dergleichen Kleinigkeit
Giebt Reichen itzt kein großes Ungemach.
Was Wichtigers: Zu spät erfolgte Renten,
Ein drohender Protest, zu wenige Procenten,
Ein viel zu mildes Jahr, der zu fürwitzge Zoll,
Dies alles füllt sein Herz mit Unmuth, Zorn und Groll.
Er wird zuletzt verzweiflungsvoll.
Als er so großer Noth so peinlich nachgedacht,
Ruft der Unsinnige so gar in einer Nacht
[165]
Den Satan an, und Satan schickt ihm gleich
Den größten Herrn aus seinem Reich,
Der itzt, den Alten zu berücken,
In einer neuen Tracht erschien,
Wohl zehnmal schöner, als wir ihn
In den Gemälden oft erblicken,
Wo ihm die Augen funkelnd glühn,
Und Hörner seine Stirne schmücken.
Er hatte weder Schweif, noch Klauen,
Der Hölle zaubernde Gewalt
Gab ihm die menschliche Gestalt,
Und Keinem durfte vor ihm grauen.
Er überkam, nach unsrer Stutzer Art,
Ein schönes leeres Haupt, ein wohl gepudert Haar,
Wobey zugleich dem Kinnchen ohne Bart
Ein Flügelwerk von Band, anstatt des Schattens, war.
Er selbst, wie seine Pracht, war ohne Fehl und Tadel,
Und Herr und Kleid von gleichem Adel.
Nur ließ man ihm (so lautet der Bericht)
Den einen Pferdefuß. Warum? Das weiß ich nicht.
Er war ja sonst, ohn' allen Zweifel,
Ein hübscher, recht galanter Teufel.
Bald fand der karge Greis den längst gesuchten Rath,
Als dieser Kavallier zu ihm ins Zimmer trat.
[166] 1Mein Herr, wie heissen Sie? – Beelzebub. – Willkommen!
Der oberste der Teufel? – Ja! –
Ich hatt' es nicht in Acht genommen,
Weil ich noch nicht auf Dero Füße sah.
Sie setzen sich. – Wie geht es in der Höllen? –
Wie lebt mein reicher Onkel da? –
Recht wie ein Fürst. – Und wie befindet sich
Der Lucifer? Ich bitte dich
Die Komplimenten einzustellen.
Dich reich zu machen, komm' ich hier.
Ich bin dein Retter. Folge mir.
Sein Führer bringet ihn in einen öden Wald
Von heiligen, bemooßten, alten Eichen,
[167]
Den Sitz des Czernebocks, 2 der Gnomen 3 Aufenthalt,
Die Schlachtbank vieler Opferleichen.
Hier, herrscht fast tausend Jahr, ein schwarzer, wilder Schrecken
In grauser Finsterniß. Den unwirthbaren Sitz
Verklärt, doch selten nur, ein rother schneller Blitz.
[168]
Hier sollte sich der Trost Aurels entdecken.
Hier blieb der Fliegenfürst und sein Gefährte stehn.
Er stampft dreymal: dreymal erbebt der Grund:
Es öffnet sich ein lichter, tiefer Schlund,
Und läßt im Augenblick so große Baarschaft sehn,
Als würde fast der Reichthum aller Welt
Hier, an Geschmeid und Gold, den Augen dargestellt.
Sieh', spricht der Höllengeist, auf diesem Platz
Liegt ein Geschenk für dich, der Schatz.
Wie wird der Filz durch dieses Wort entzückt!
Kein irdsches Paradies scheint ihm so schön geschmückt,
So reich an innerm Werth. Kein Thumherr, kein Prälat,
Der seiner Pfründe Zins in Rheinwein vor sich hat,
Kein Bischoff, der erfreut, an einem Kirchweihfest,
Das erste Glas besieht, das er sich reichen läßt,
Weiß mit so merklichem, doch wohlbefugtem Sehnen
Sein fromm und fett Gesicht durch Lächeln auszudehnen.
Er streckt frohlockend aus die hoffnungsreiche Hand.
Wiewohl, o harter Zwang! Glück voller Unbestand!
Halt, ruft Beelzebub, dies ist dir zwar gegeben,
Allein vor Morgen nicht zu heben.
Der Schatz versinkt auf dieses Donnerwort.
Gestrenger Herr! wie kurz ist meine Freude!
Betrogener Aurel! wie findest du den Ort?
Den Busch? die Kluft? den Schatz? – Er ist und bleibet dein.
[169]
Betrogen! Was? Ich ein Betrüger? – Nein! –
Sey klug, und laß ein Zeichen dort,
Und nimm dir, wenn es tagt, das Gold und das Geschmeide.
Gleich setzt er tiefgebückt sich und ein Zeichen hin.
Er jauchzt mit neu vergnügtem Sinn,
Und sagt aufs zierlichste mit vielen Worten Dank.
Beelzebub verschwand standsmäßig mit Gestank.
Es springt Aurel um den bemerkten Platz,
Als ob er seinen Fund schon hätte;
Doch stößt er sich an einem Baum.
Aurel erwacht (denn alles war ein Traum)
Und von dem vorgestellten Schatz
Bleibt nur das Zeichen in dem Bette.

* * * * *


Es ist der Geiz der Teufel vieler Alten,
Und der Beelzebub, der lockend sie bethört.
Ihr ungebrauchter Schatz ist aber nicht mehr werth,
Als was Aurel allhier erhalten.

Der Stoff zu dieser Erzählung ist aus dem Moyen de Parvenir des Herrn von Verville genommen.

Ein Genie kann noch manche schöne unbekannte Bluhme aus diesem Lande, das kein zärtliches Auge betrachten [170] kann, in die Gärten der Huldgöttinnen verpflanzen, wo man ihren Ursprung ihnen gewiß nicht ansehen, und sie als ein himmlisches Gewächs bewundern wird. Außerdem würden sie die Grazien nie zu sehen bekommen; wenige unter ihnen können so viel vertragen, wie die gelehrte Königinn von Schweden Christina, die sich, an dem Krankenbette des Salmasius, Erzählungen im Geschmacke des Grecourt von ihrer Hofdame daraus vorlesen ließ.

Fußnoten

1 Pray, let me crave

Your Name, Sir – Satan – Sir, Your Slave;

I did not look upon Your Feet:

You'll pardon me: – Ay now I see't:

And pray, Sir, when came Yon from Hell?

Our Friends there, did You leave Them well? –

All well; but pr'ythee, honest Hans,

(Says Satan, leave Your Complaisance.

Prior, im Hans Carvel.

2 Czernebock war, nach dem Bericht des Helmolds,Lib. I.C. XXXV. der böse, schwarze Gott der Slaven, welche Schwarz in ihrer Sprache Czorny und Bag nannten. Ihm ward der gute und weiße Gott, Juterbock, (der Morgengott) oder Belbock entgegen gesetzt.

3 La terre est remplie preseque jusqu'au Centre de Gnomes, gens de petite stature, gardiens des tresors, des minieres & des pierreries. Ceux-ci sont ingenieux, amis de l'homme, & faciles à commander. Ils fournissent aux enfans des Sages tout l'argent, qui leur est necessaire & ne demandent gueres pour prix de leur service, que la gloire d'être commandés. Les gnomides leurs femmes sont petites, mais fort agreables, & leur habit est fort curieux. M.S. le Comte de Gabalis p. 264. in der Bibliotheque de Campagne T. 2.

[171] XVII.
Das Diebsgeschlechte.

Ein Mitglied von der finstern Bande,
Die grober Pöbel Diebe nennt,
Erzählte seiner Braut von seinem hohen Stande,
Denn, sprach er, es ist Zeit, daß ihr die Freundschaft kennt.
Mein Vater, hub er an, ein Engel im Vergiften,
Schwang sich durch seine Kunst aufs Rad,
Mein theurer Großpapa, der lauter Wunder that,
Herrscht, seit ich jung ward, in den Lüften,
Und meiner Mutter Ruhm ist aller Welt bekannt;
Man hat an ihrem Todestage
Auf zwanzig Klaftern Holz verbrannt.
Erlaubt mir, sprach die Braut, daß ich euch gleichfals sage,
Wer meine lieben Aeltern sind:
Ich bin nur eines Kaufmanns Kind,
Er reichte freylich nicht an eures Hauses Helden;
Zwar hat er, ohne Ruhm zu melden,
Auf zwölf Familien zu Bettelvolk gemacht,
Und noch den Ruhm ins Grab gebracht,
[172]
Daß er ein halbes Land betrogen:
Sein Vater war ein Advokat,
Die Pest und Geißel seiner Stadt,
Der ganze Dörfer ausgesogen;
Und seine Frau hielt wirthlich Haus,
Und lieh' auf Zins und Pfänder aus,
Und ließ vom Thaler sich, in ihrem ganzen Leben,
Die Woche nur neun Pfennig geben:
Doch dieses muß ich euch gestehn,
Daß diese Leute nicht an jene Väter reichen,
Die eures Stammbaums Glanz erhöhn,
Nein! an Geburt muß ich euch weichen!
Vergebt mir, sprach der Bräutigam,
Was fehlet eurer Aeltern Stamm?
Ihr müsset das Verdienst nicht mit dem Lohn vermengen,
Sie waren Alle werth, zu hängen.

Lichtwer.

[173] XVIII.
Damon und Pythias.

Wer hat den größten Schatz auf Erden,
Und wo mag er gefunden werden?
So frug, wenn man es glauben soll,
Der Grieche Damon einst den Delphischen Apoll.
Des Gottes Antwort war: Du hast ihn längst besessen,
Und weißt es nicht; vor deiner Thür
Wirst du ihn finden, traue mir.
Wie schnell fliegt Damon fort! jetzt geizig, erst vermessen.
Wie? denkt er, scherzt Apoll? Nein! Gottern ziemt kein Spaß!
Jetzt sieht er schon sein Haus; da steht sein Pythias.
Mein Theurer! ruft er ihm von weiten,
Ein Schatz, der größte Schatz liegt hier;
Komm eilends, halb gehört er dir.
Sie waffnen sich mit Grabescheiten,
Der Ort wird umgewühlt; sie graben in die Nacht,
Kein Feyerabend wird gemacht.
Kein Schatz erscheint. Doch seht! mit lächelnder Geberde
[174]
Wirft Damon unverhofft sein Werkzeug auf die Erde.
O! rief er, bin ich nicht ein Thor?
Freund, den die Tugend mir erkohr,
Komm, Pythias! laß dich umfangen,
Du bist der größte Schatz! kann Damon mehr verlangen?
Ich billige des Griechen Satz:

* * *


Ein treu erfundner Freund, das ist der größte Schatz.

[175] XIX.
Die Nachbarn.

Ein Mann hatt' einen Baum, der goldne Früchte trug,
Sein Nachbar hieb aus Neid bey Nachte
Viel Aeste von dem Baum; allein er war nicht klug,
Weil er das Jahr darauf dreyfache Früchte brachte.

* * * *


So nützlich ist uns oft ein Feind:
Er dient, wenn er zu schaden meynt.

Lichtwer.

[176] XX.
Der Patient.
(Eine wahre Geschichte.)

Ich lag gefährlich krank.
Gequält von Pillen und von Trank,
War, ach! mein Wunsch, mein Trost in dieser Noth,
Herr Doktor Markus und der Tod.
Die beide zankten sich,
Wie unversöhnliche, geschworne Feind', um mich.
Ach, seufzt' ich, eh' ich lang' auf diesem Lager liege,
So gieb doch, Gott, daß Einer nur bald siege!
Kaum war der Seufzer fort,
Da schallet in mein Ohr das Wort:
Trink! und es stand vor meinem Bett' ein Freund,
(Mehr Freund, als Doktor Tod und Doktor Markus meynt)
Der reichte mir ein Glas Burgunder,
Und sprach: Trink das! Ich trank, und, o welch Wunder!
[177]
Der Magen, welcher Trank und Pillen
Nicht annahm, nahm den Wein
Gehorsam ein.
Ich bat, ein Glas nur noch zu füllen.
Die Lebensgeister kamen wieder
In alle halb erstorbne Glieder.
Frisch war das Herz und roth der Mund,
Mein Weinglas leer, und ich gesund.
Herr Markus und der Tod sahn sich einander an,
Und fragten: Du, wer ist der Mann?

Gleim.

[178] XXI.
Das Wunderbild.

Zur Zeit, da Luther und Calvin,
Von Gott gerüstet, sich bestrebten,
Die armen Menschen, die in dicker Blindheit lebten,
Vom Aberglauben abzuziehn:
Da war ein Wunderbild, geschmückt wie Kaiserinnen.
Die Lahmen beteten: Frau, heile meinen Fuß!
Der Taubgewordne gab der Erde manchen Kuß,
Um sein Gehör hier wieder zu gewinnen;
Das unfruchtbare Weib verließ den alten Mann,
Und stellte große Wallfahrt an,
Mit frommen Jünglingen, die auf der Mutter Rathen
Bey diesem Gnadenbild um gute Weiber baten,
Die man so schwer erbitten kann.
An einem Festtag kniete nieder
Ein ganzes Volk um den Altar.
Sie sangen Hymnen, sangen Lieder,
Und an die Brust schlug sich, wer recht andächtig war;
Am längsten blieb zu ihrem Fuße
Ein armer bärtiger Soldat,
Der sie vielleicht im Ton der Buße
[179]
Für seiner Jugend Schuld zur Mittlerinn erbat.
Er ganz allein hat da gelegen,
Als schon die Priester allen Segen
Und allen Ablaß ausgetheilt,
Und dann zum fetten Mahl und guten Wein geeilt.
Der Tag ward zugebracht mit Freuden,
Und an dem andern Morgen früh
Gieng, unsre liebe Frau, ein Priester, umzukleiden;
Denn mehr als fünfzig Kleider hatte sie.
Vor Schrecken fuhr der Priester ganz zusammen.
»Den frechen Dieb soll Gott verdammen!
Hier fehlet eine Perlenschnur!«
So schrie er, als sein Herz in ihm zusammenfuhr:
Es wurde nachgeforscht, und endlich ward befunden,
Daß lange nach den Andachtsstunden
Noch ein Soldat vor ihr gekniet.
Er wird geholt; er kömmt gebunden;
Und als er nun die Richter sieht,
So spricht er: »Ja, ich läugne nicht, zu haben
Die theure Perlenschnur. Doch ihre Hände gaben
Mir selber diesen Schatz. Ich bin ein armer Mann,
Der Weib und Kinder hat, und sie nicht nähren kann.
Ich hörte, daß dies Bild so viele Wunder thäte,
Drum lieg' ich lange da, und bete:
Ach! hilf mir, liebe Frau! wenn du begabet bist
Mit solcher Gotteskraft auf Erden!
[180]
Mir hilft kein römischer, katholisch guter Christ.
Wenn du nicht hilfst, so muß ich werden
Aus Armuth heut ein Calvinist.
Ich wiederholte diese Bitte
Mit tiefgeschöpften Seufzern oft;
Klagt' ihr den Mangel, den ich litte,
Und da geschahe, was kein böser Ketzer hofft,
Das große Wunderwerk. Die Mutter Gottes langte
Mir diese Perlenschnur, die an dem Halse prangte,
Mit ihrer starken Hand herab,
Und sprach, indem sie mir sie gab:
Geh hin und kaufe Brodt für Weib und Kinder!
Nur werde kein verlorner Sünder,
Lauf niemals aus der Kirche Schooß!
Sie sprach's: Die Heiligen sind Alle meine Zeugen.«
Die Richter hörten dies, und Alle mußten schweigen.
Die Priester riefen aus: »Maria, Du bist groß!«

Frau Karschinn.

[181] XXII.
Der Hänfling des Pabstes Johannes XXIII.

Zwey Dinge haben sich noch nie verbinden können:
Ein Weib und recht verschwiegen seyn.
Abbt Grecourt sagts. 1 Ich muß ihn nennen,
Um mich Unschuldigen vom Argwohn zu befreyn,
Als fiele mir dergleichen ein.
Ihm will ich stets den Haß verschiedner Damen gönnen.
Zum spöttischen Beweis erzählt er ein Gedicht.
Ihr Schönen, was erzählt man nicht?
Der fürchterliche Pabst, der durch den Blitz des Bannes
Dem fünften Ludewig, dem Bayern, widerstand,
Der drey und zwanzigste Johannes,
War, wie Franzosen sind, bey Nonnen recht galant:
Galant; doch wie ein Pabst, ohn' Abgang seiner Würde.
Er sprach zu Frontevaux sehr oft den Schwestern zu,
[182]
Theils zur Erleichtrung seiner Bürde,
Theils zur Befördrung ihrer Ruh.
Dies Kloster war ein Sitz geweihter Schwätzerinnen.
Sie suchten Alles auszusinnen,
Durch ihrer Zungen Fertigkeit
Den Schutz und die Gewogenheit
Des Oberhirten zu gewinnen.
Und die Hochwürdigen gewannen seine Huld.
Sie war kaum reichlicher, noch schöner anzulegen.
Was gab er ihnen nicht! Bald Ablaß, bald Indult;
Und bald, verschwendrisch, seinen Segen.
War ihnen das genug? O nein!
Wann weiß der Mensch vergnügt zu seyn?
Sie ließen sich gar von dem Wahn bethören,
Den Männern beichten sey nicht recht,
Und von dem weiblichen Geschlecht
Sollt' Eine stets der Andern Beichte hören:
Und dieses einzusehn, sey auch der Päbste Pflicht.
Er kömmt auch kaum ins Kloster wieder,
So wirft vor ihm sich die Aebtissinn nieder,
Küßt zärtlich seinen Fuß, und spricht:
O heilger Vater, hör' ein Flehen:
Laß bey dem Priester uns nicht mehr zur Beichte gehen!
Wir Alle schämen uns, ihm Alles zu gestehen.
Im Wachen und im Schlaf giebts manche Kleinigkeit,
Die, Männern zu vertraun, sich jede Nonne scheut.
[183]
Laß künftig uns einander beichten.
Wir sind weit fähiger, die Sünden zu beleuchten.
Den Pabst befremdet sehr der Bitte Dreistigkeit.
Wie? sagt er: ihr wollt Beichte sitzen?
Ihr guten Kinderchen könnt sonst der Kirche nützen.
Wißt: dieses Sacrament erheischt Verschwiegenheit.
Die ward euch nicht zu Theil. Ihr denkt schön und erhaben,
Und ihr, Geliebteste, besitzet viele Gaben:
Doch eine nicht, die Zuverlässigkeit.
Allein ich nehm' es in Bedenken.
Vielleicht weiß Frontevaux sich klüglich einzuschränken.
Ist die Aebtissinn nicht verständig, wie ein Mann?
Zur Prüfung will ich hier noch heut' ein Kästchen senden.
Das überliefre sich nur ihren keuschen Händen!
Wenn sie, nichts ist so leicht, mir's wieder geben kann;
Doch uneröffnet, merkt dies an!
So bin ich ganz geneigt, euch Alles zuzuwenden.
Das Kästchen kömmt. Die Ankunft wird bekannt,
Und jeder Nonne Blick und Hand
Will, darf und muß es sehn, betasten und recht kennen.
Sie reißen sich darum. Die Eifernden zu trennen,
Kömmt die Aebtissinn, und die Nacht.
Das schöne Kästchen wird voritzt nicht aufgemacht.
Der Vorwitz quälet oft mehr, als der Alp der Sorgen.
Die Nonnen flieht der Schlaf: auch die Aebtissinn wacht,
[184]
Voll reger Ungeduld, bis an den müden Morgen.
Die Messe geht nun an. Gebet, Gesang und Chor
Geräth erbärmlich schlecht: man zischelt sich ins Ohr,
Und singt nicht, sondern schwatzt, und fragt sich, und will wissen,
Warum sie nichts eröffnen müssen?
Die weibliche verschleyrte Klerisey
Versammlet sich, noch vor der Mittagsstunde,
Und stimmet, als aus einem Munde,
Gehorsamst der Aebtissinn bey,
Daß man, obgleich der Pabst es nicht erlauben wolle,
Das Kästchen untersuchen solle.
Selbst unserm Arbrissel stand etwas Vorwitz frey.
Es bleibt ja unter uns: wir Alle können schweigen.
Das eben soll uns selbst jetzt die Eröffnung zeigen.
Auch kein Koncilium erräth,
Daß wir im mindsten nur am Deckelchen gedreht.
Doch damit lassen wir die Frau Aebtissinn schalten.
Die nimmt den Deckel ab. Ein Hänfling fliegt heraus.
Ein Wunderwerk hatt' ihn erhalten.
Er flattert, singt, entwischt, setzt sich aufs nächste Haus.
Da mag für ihn der Vögel Schutzgeist walten.
Man klopft gebietrisch an. Wer wars? – der Pabst war da.
Er kam. Sobald er nun den frommen Haufen sah,
Wollt' er sein schönes Kästchen schauen:
Denn, sprach er, es enthält, was ihr so sehr begehrt,
[185]
Die Bulle selbst, die euch den Beichtstuhl schon gewährt.
Allein! – darf man auf Weiber bauen?
Ihr zaudert, wie mich deucht. Gebt her! – Was seh' ich itzt?
Ist meine Bulle schon entflogen?
Das schönere Geschlecht ist sinnreich und verschmitzt,
Doch zum Geheimniß nicht erzogen.
Dem Priester nur geziemt, daß er euch Beichte sitzt.
Ein junges Nönnchen war dem alten Brauch gewogen,
Und sagt': ich liebe nicht dergleichen Neuerung,
Mein Beichtiger ist mir schon gut genung.

von Hagedorn.


Diese Geschichte ist dem Grecourt nacherzählt, so schön, als eine Grazie einem Faun nacherzählen kann, ob sie gleich mit einigen schlüpfrigen Anspielungen bereichert ist; wohin die Anspielung auf denRobert von Arbrisselle gehört; welcher Heilige den Leserinnen der Wieländischen Schriften bekannt seyn wird.

Fußnoten

1 Etre discrette & femme tout ensemble

Ce sont deux points, que jamais on n'assemble,

Et la moins femme, en ce sexe indiscret,

Garderoit mieux son bonneur, qu'un secret.

[186] XXIII.
Europa.

Als Zevs Europa lieb gewann,
Nahm er, die Schöne zu besiegen,
Verschiedene Gestalten an,
Verschieden ihr verschiedlich anzuliegen.
Als Gott zuerst erschien er ihr;
Dann als ein Mann, und endlich als ein Thier.
Umsonst legt er als Gott den Himmel ihr zu Füßen;
Stolz fliehet sie vor seinen Küssen.
Umsonst fleht er als Mann, im schmeichelhaften Ton;
Verachtung war der Liebe Lohn.
Zuletzt, mein schön Geschlecht, gesagt zu deinen Ehren –
Ließ sie – von wem? – vom Bullen sich bethören.

Lessing.


Vergier ist der Erfinder dieser Erzählung; Herr Lessing wäre also einigermaßen unschuldig, wenn die Damen deßwegen auf ihn zürnen sollten.

[187] XXIV.
Die schlauen Mädchen.

Zwey Mädchen brachten ihre Tage
Bey einer alten Base zu.
Die Alte hielt, zu ihrer Muhmen Plage,
Sehr wenig von der Morgenruh.
Kaum krähte noch der Hahn, bey frühem Tage,
So rief sie schon: Steht auf, ihr Mädchen! es ist spät,
Der Hahn hat schon zweymal gekräht.
Die Mädchen, die so gern noch mehr geschlafen hätten;
Denn überhaupt sagt man, daß es kein Mädchen giebt,
Die nicht den Schlaf und ihr Gesichte liebt;
Die wanden sich in ihren weichen Betten,
Und schwuren dem verdammten Hahn
Den Tod, und thaten ihm, da sie die Zeit ersahn,
Den ärgsten Tod rachsüchtig an.
Ich habs gedacht, du guter Hahn!
Erzürnter Schönen ihrer Rache
[188]
Kann kein Geschöpf so leicht entfliehn.
Und, ihren Zorn sich zuzuziehn,
Ist leider! eine leichte Sache.
Der arme Hahn war also aus der Welt.
Vergebens nur ward von der Alten
Ein scharf Examen angestellt.
Die Mädchen thaten fremd und schalten
Auf den, der diesen Mord gethan,
Und weinten endlich mit der Alten
Recht bitterlich um ihren Hahn.
Allein was halfs den schlauen Kindern?
Der Tod des Hahns sollt' ihre Plage mindern,
Und er vermehrte sie noch mehr.
Die Base, die sie sonst nicht eh' im Schlafe störte,
Als bis sie ihren Haushahn hörte,
Wußt' in der Nacht jetzt nicht, um welche Zeit es wär';
Allein weil es ihr Alter mit sich brachte,
Daß sie um Mitternacht erwachte:
So rief sie die auch schon um Mitternacht,
Die, später aufzustehn, den Haushahn umgebracht.

[189] * * * *


Wärst du so klug, die kleinen Plagen
Des Lebens willig auszustehn:
So würdest du dich nicht so oft genöthigt sehn,
Die größern Uebel zu ertragen.

Gellert.

[190] XXV.
Gellerts Tod.

Als Gellert jüngst, den manche Schöne
Aus Mode liest und liebt, der eiteln Welt entfloh,
Beklagten Doris und Klimene,
Die Karten in der Hand, des Dichters Asche so:
»Madam, Sie werden schon die schlimme Nachricht wissen?« –
Sie geben – Nein! Was ist's? – »Ach Gellert ist nicht mehr« –
Ist's möglich? Ey Madam, das jammerte mich sehr! –
»Sie heben ab« – So früh ward er der Welt entrissen?
Er ist kein Jüngling mehr, allein – »Sie haben Recht!« –
Ich habe schlecht gekauft – »und ich nicht minder schlecht!
Kein Sechsziger will heute mehr gelingen« –
Fünf Blätter! – »Sie sind gut« – Ein niedliches Genie! –
»Wie wird ganz Deutschland ihn besingen!« –
[191]
Ich liebt' ihn ganz gewiß, Madam, so sehr, als Sie –
»Die Quart in Coeur, die Terz in Trefle, gelten die?« –
Ja, warf ich Pik nicht weg, könnt' ich die Quinte haben.
Man hat ihn wohl mit vielem Pomp begraben? –
»So, so!« – Er starb, woran? – »An der Hypochondrie.«
Drey Damen! – »Nein, drey Könige sind besser.« –
Ich zähle zwölf. – »Nie war ein Dichter grösser –
Und frömmer. Was er schrieb, erbauet, wie ein Spruch« –
Weiß es Kleanthis schon? – Sie wird ihn sehr beklagen! –
»Coeur Aß!« – Ich habe noch drey Buben anzusagen –
Sie wußte fast sein ganzes Fabelbuch –
»Und meine Pachterinn singt alle seine Lieder« –
Hier trat das Mädchen ein: Madam! – »Was giebt es wieder?« –
Erschrecken Sie sich nicht, ihr kleiner Hund – »Joli« –
Erblaßt fährt Doris auf, ihr zittern alle Glieder:
»Joli! was ist's? Was bringt ihr? Redet! Wie?« –
Er hat den ganzen Tag auf Ihrem Bett gelegen,
[192]
Nicht essen und nichts trinken mögen,
Und ächzet laut. – »Das allerliebste Vieh!«
Krank ist er? krank! – Madam, Sie werden mir vergeben. –
»Holt einen Doktor her! Geschwind, ich muß ihn sehn.
O den Verlust könnt' ich nicht überleben!
Wo ist er? – Kommt! Es ist um mich geschehn!« –

Ein Ungenannter.

[193] XXVI.
Der kleine Töffel.

In einem großen Dorf, das an die Mulde stieß,
Starb Grolms, ein Bauersmann. Die Wittwe freyte wieder,
Und kam mit einem Knaben nieder,
Den man den kleinen Töffel hieß.
Sechs Sommer sind vorbey, als es im Dorfe brannte,
Der Knabe war damals gerade sechszehn Jahr,
Da man, wiewohl er schon ein großer Lümmel war,
Ihn noch den kleinen Töffel nannte.
Nunmehro drosch er auch mit in der Scheune Korn,
Fuhr selber in das Holz; da trat er einen Dorn
Sich in den linken Fuß; man hörte von den Bauren
Den kleinen Töffel sehr bedauren.
Zuletzt verdroß es ihn, und als zur Kirchmeßzeit
Des Schulzen Hadrian, ein Zimmermannsgeselle,
Ihn: kleiner Töffel! hieß, hatt' er die Dreistigkeit,
Und gab ihm eine derbe Schelle.
Die Rache kam ihm zwar ein neues Schock zu stehn,
Denn Schulzens Hadrian gieng klagen,
Und durch das ganze Dorf hört man die Rede gehn,
Der kleine Töffel hat den Hadrian geschlagen.
O! das that Töffeln weh, und er beschloß bey sich,
[194]
Sich in die Fremde zu begeben.
Was? sprach er, kann ich nicht ein Jahr wo anders leben?
Immittelst ändert sich's, und man verkennet mich.
Gleich gieng er hin, und ward ein Reuter.
Das höret Nachbars Hans, die Sage gehet weiter,
Und man erzählt von Haus zu Haus,
Der kleine Töffel geht nach Böhmen mit hinaus.
Der arme Töffel springt vor Bosheit fast in Stücken.
Indessen kömmt Befehl, es soll der Sachsen Heer
Den Gränzen Böhmens näher rücken.
Nunmehr ist Töffel fort, man spricht von ihm nicht mehr,
Die Sachsen dringen ein, gehn bis nach Mähren hinter,
Und Töffel gehet mit. Es geht ein ganzer Winter,
Ein halber Sommer hin, man senkt den Weinstock ein,
Als man den Ruf vernimmt: Es sollte Friede seyn!
Da meynt nun unser Held, daß man die Kinderpossen,
Die ihn vordem so oft verdrossen,
Vorlängst schon ausgeschwitzt. Er wirkt sich Urlaub aus,
Und suchet seines Vaters Haus.
Er hörte schon den Klang der nahen Bauerkühe;
Ein altes Mütterchen, das an den Zäunen kroch,
Ersah' ihn ungefähr, und schriee:
Je kleiner Töffel! lebt ihr noch?

[195] * * * *


Das Vorurtheil der Landesleute
Verändert nicht der Oerter Weite,
Tilgt weder Ehre, Zeit noch Glück;
Reist, geht zur See, kommt alt zurück,
Der Eindruck siegt, da hilft kein Sträuben,
Ihr müßt der kleine Töffel bleiben.

Lichtwer.


Dies ist eine unserer schönsten Erzählungen; überhaupt ist Lichtwer, ob er gleich sehr wenig erzählt hat, wegen seiner originellen komischen Laune in die erste Klasse der Erzähler zu setzen.

[196] XXVII.
Nigrinens Tod.

Es sagte, sonder alle Gnade,
Die ganze Stadt Nigrinen todt.
Was that die Stadt in dieser Noth?
Ein Zehntheil von der Stadt sprach: Schade!
Doch, als man nach und nach erfuhr, daß das Geschrey
Ein bloßes blindes Lärmen sey,
So holten, was zuvor das eine Zehntheil sprach,
Die andern neune nach.

Lessing.

[197] XXVIII.
Liebe und Gegenliebe.

Vom schweren Dienst der Eitelkeit,
Von theuren Freunden voller Neid,
Den Henkern unsrer Lebenszeit,
Eil' ich den Freuden und der Ruh
An deinem vollen Busen zu.
Laß itzt mein Herz von dir erlernen,
Die Sorgen scherzend zu entfernen.
Zum irdschen Himmel wünscht es sich
Nur dies, dein Schlafgemach, und dich.
Der Gott der Liebe schließ' uns ein;
Sonst komme Niemand! er allein
Soll Pförtner, Zeug' und Hüter seyn!
Ich seh' den unzufriednen Haufen
Nach Höfen und Pallästen laufen,
Wo Gold und Schmelz und helle Pracht
Gefahr und Knechtschaft schimmernd macht.
Doch will auch ich von deinen Knieen
Zu solchem Sitz der Ehrsucht fliehen,
Und wünsch' ich mir ein höher Gluck,
Als dieses Lächeln, diesen Blick;
[198]
So folge Qual und Ungemach
Dem Meyneid zur Bestrafung nach;
Und daß der Fluch vollkommen sey,
Seh' ich mich groß, dich ungetreu.
»So zeigt mit Schwüren und mit Küssen
Leander, wie man heftig liebt,
Dem, als bezaubert hingerissen,
Die Schöne dies zur Antwort giebt:«
Was kann mich auf der Welt betrüben,
Willst du, mein Schatz, mich ewig lieben?
Du, dessen Huld mich stolz gemacht,
Mein Wunsch ben Tag, und Traum bey Nacht!
O würde, wie ich dir geneigt,
Durch mehr, als Weibermuth, gezeigt!
Mich schrecket nichts; denn dir zu gut,
Vergießt Elmira gern ihr Blut,
Wenn ihre Grabschrift nur erzählt,
Daß sie den Tod für dich erwählt!
Hofft meine Sehnsucht nicht vergebens,
Du Trost und Kleinod meines Lebens;
So trennt den Bund der Zärtlichkeit
Kein steigend Glück, kein stürzend Leid.
Und sollten Schätze, Reich und Kronen
Den Wechsel tausendfach belohnen;
So heiß' ich, aus getreuem Sinn,
[199]
Weit lieber deine Buhlerinn,
Als eine große Königinn. 1
Wie viel ist mir an Dir verliehn!
Wird mein Verlangen nicht zu kühn;
So müssen sich noch unsre Schatten,
Mit wiederholter Eintracht, gatten!
»Ihr Götter, scheints euch selbst nicht schön,
Zwo Seelen so vereint zu sehn?
Sie seufzt, und reicht, zum Unterpfand,
Die weiße, weiche, warme Hand.
Ist dieses Paar nicht zu beneiden?
Doch, dauren auch der Menschen Freuden?
Nachdem er sich noch was verweilt,
Und ihr den Abschiedskuß ertheilt,
Eilt er von seiner Herrscherinn
Den Augenblick zur Hofstatt hin;
[200]
Sie aber auch den Augenblick
In ihres Kleons Arm zurück,
Der damals, als Leander kam,
Zum Winkel seine Zuflucht nahm.«

* * *


O schönes Beyspiel gleicher Triebe!
O wahres Muster heut'ger Liebe!

Fußnoten

1 Ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich, wenn der Mann, der den größten Theil der Welt beherrscht, mich zu seiner Gemahlinn machen, und mir die Regierung seines Reiches, so lang ich lebte, übergeben wollte, daß ich es für eine größre Ehr' und Glückseligkeit halten würde, deine Geliebte, als jenes Mannes Königinn zu seyn. Heloisa in Epist. I ad Abaelardum.

[201] XXIX.
Die Küsse.

Als sich aus Eigennutz Melisse
Dem muntern Koridon ergab,
Nahm sie, für einen ihrer Küsse,
Ihm anfangs dreyßig Schäfchen ab.
Am andern Tag erschien die Stunde,
Daß er den Tausch viel besser traf.
Sein Mund gewann von ihrem Munde
Schon dreyßig Küsse für ein Schaf.
Der dritte Tag war zu beneiden:
Da gab die milde Schäferinn
Um einen neuen Kuß mit Freuden
Ihm alle Schaafe wieder hin.
Allein am vierten giengs betrübter,
Indem sie Herd' und Hund verhieß
Für einen Kuß, den ihr Geliebter
Umsonst an Doris überließ.

von Hagedorn.

[202] XXX.
Die Schäferstunde.

Homer, Virgil, Lucan, und wer ihr Alle seyd,
Dringt durch ein Heldenlied bis zur Unsterblichkeit!
Singt göttlich, gebt sogar der Ewigkeit zu lesen,
Daß eure Helden groß, ihr größer noch gewesen.
Mir prägt kein stolzer Trieb dergleichen Lieder ein,
Mein Ruhm mag immerhin, gleich mir, vergänglich seyn;
Ich ehr' euch ohne Neid; denn soll mein Lied erschallen,
So such' ich nur dadurch den Mädchen zu gefallen.
Was ich besingen will, ist größer als der Held,
Den jeder Dichter noch für schwer zu finden hält.
Die Schäferstunde hat die Helden selbst bezwungen;
Den größten Helden hat, wer sie besingt, besungen.
Ihr Schönen zürnet nicht,
Daß meine Muse stets mit euch von Schäfern spricht.
Dem Helden einen Stand zu wählen,
Steht allemal dem Dichter frey;
Fontaine nahm die Könige der Lombardey,
Von jungen Hirten läßt sich noch weit mehr erzählen.
Amyntens Herz empfand schon längst den starken Trieb,
Von dem der große Pan selbst nicht verschonet blieb.
Den Trieb, der diesen Gott zu einem Schäfer machte;
[203]
Den Trieb, der diesen Gott um seine Syrinx brachte.
Amyntas war verliebt, der jungen Doris Blick
Versprach ihm mit der Zeit das größte Schäferglück:
Allein so viel er auch der süßen Hoffnung glaubte,
So fehlte jedesmal, daß die Gelegenheit
Noch seiner Zärtlichkeit
Mehr, als den bloßen Wunsch, erlaubte.
Den Wunsch, den er so oft gethan,
Den sah er auch der Doris an,
Ob sie denselben gleich vor ihm verbergen wollte;
Vielleicht, damit Amynt nur stärker wünschen sollte.
Sie liebten sich, und wußten dies,
Noch eh' sie sichs gesagt, gewiß:
Doch eine Liebe will nicht nur die andre wissen;
Die Sehnsucht nach den ungezählten Küssen;
Die Wollust, sich auch da noch schmachtend anzusehn,
Wenn der verlangte Wunsch geschehn;
Die Freyheit, sich das Zärtlichste zu sagen;
Die Hoffnung, das, was man noch nie gewagt, zu wagen,
Dies alles war an ihrer Ungeduld
Nach mehrerer Erfahrung Schuld.
Doch in der Liebe kömmt das Glücke
Zwar meistentheils, nur nicht im ersten Augenblicke.
Ihr Schönen, eilt mit mir nach jener Gegend hin,
Und weil ich nur im Geiste gegenwärtig bin;
[204]
So darf euch kein Bedenken quälen,
Mich zum Begleiter zu erwählen.
Ihr sollet den Amynt bey seiner Schäferinn
In der erwünschten Stunde sehen.
Was euer Blick hiebey zu fürchten hat,
Wird im Gebüsche nur geschehen.
Doch sollte hie und da ein Blatt
Vom Zephyr weggewehet werden,
So messet mir die Schuld nicht bey;
Seht weg, seht hin, es steht euch Alles frey.
Ich kann den Winden nicht gebieten;
Doch vor dem Zephyr hat man sich nicht stark zu hüten.
Einst trieb die Schäferinn die Heerde weiter fort.
Sie fand, und nicht umsonst, den angenehmsten Ort,
Wo Bluhm' und Gras die schönsten Farben mischten.
Das Wasser, das sich hier von steilen Felsen goß,
Die es durch ihren Grund erfrischten,
Wo es in einen Bach mit schnellem Rauschen floß;
Das Volk verbuhlter Nachtigallen,
Wo bald der Sproßer schmetternd rief,
Und bald mit Steigen und mit Fallen
Durch die verliebten Töne lief;
Die Luft, die mit den Blättern spielte,
Auf die erhitzte Fläche stieß,
Und in den frischen Bluhmen wühlte,
Wovon sie den Geruch durch diese Gegend bließ;
[205]
Dies alles ließ die Schäferinn nicht gehen.
Sie blieb mit ihrer Heerde stehen.
Sie warf sich auf die Wiese hin;
Hier lag die schöne Schäferinn.
Sie dehnte sich, und sprach mit zärtlichem Verlangen:
Ach! könnt' ich doch Amynten hier umfangen!
Sprach sie nichts mehr? O ja, ein halbverschlucktes Ach!
Ein matter Blick, der aus den blauen Augen brach,
Ein Busen, welcher sich aus Ungeduld empörte,
Die sagten dem genug,
Der hier im Busche lag, und so verliebt als klug,
Ich weiß nicht, ob mehr sah', als hörte.
Kurz, da die Schäferinn sich dessen nicht versah,
So stund auch schon Amynt vor ihren Augen da.
Doch, wie er in den Busch gekommen,
Hab' ich noch nie gefragt, und auch noch nie vernommen.
Vor Schrecken glaubte dies die junge Doris kaum.
Sie hielt den Anblick erst für einen leeren Traum.
Sie dacht', ein Schlummer wollt' ihr diese Freude machen,
Drum furchte sie nichts mehr, als plötzlich aufzuwachen.
Ihr Schönen, hat euch nie von einer Lust geträumt,
Die euer Mund oft dem mit Ungestüm versagte,
Der es, sie wachend zu erbitten, wagte,
Und die ihr ihm oft träumend eingeräumt?
Ihr Schönen, habt ihr dies erfahren,
[206]
So darf ich euch nichts mehr
Von ihrer Lust zu träumen offenbaren.
Was aber that Amynt? Ist dies wohl Fragens werth?
Ein Schäfer, der den schönsten Augenblick begehrt,
Bedienet sich der vortheilhaften Zeit
Zur zärtlichsten Verwegenheit.
Er sprach, sie sprach, und was? Dies könnt ihr leicht errathen.
Ich sag' euch itzt nichts mehr, als was sie thaten.
Ein halb gegebener und halb geraubter Kuß
War des verliebten Schäfers Gruß.
Drauf folgten schon die zärtlichsten Gebehrden,
Die leichter nachgemacht, als hier beschrieben werden.
Sie blickte den Amynt mit Furcht und Schalkheit an,
Mit Schalkheit, weil er ihr noch nichts gethan;
Mit Furcht, damit ers auch nicht wagen sollte.
Kurz, Doris wollte nicht, und wollte.
Ihr Auge sprach mehr, als ihr Mund verschwieg;
Er seufzte nur, indem der schöne Busen stieg.
Hier warf Amynt mit neuer Lust
Die Finger auf die warme Brust,
Worauf er, wie er zärtlich glaubte,
Die Freyheit, mehr zu rauben, raubte.
Sein Mund erwählte diesen Ort,
Mit jedem Kusse gieng ein lauter Seufzer fort,
Mehr Schätze wurden hier entdeckt und ausgegraben,
[207]
Als Erd' und Meer in ihren Gründen haben.
Die kleine schöne Hand
That zwar dem Schäfer Widerstand,
Doch so, damit Amyntas fühlte,
Daß ihr beredter Griff mehr spielte,
Als ihm nach den verliebten Waffen zielte.
Doch was Amynt bisher gethan,
Das sahe Doris noch für nicht gefährlich an.
Allein itzt hielt er sie bey beiden Händen;
Itzt schlang er seinen Arm um die gewölbten Lenden;
Itzt macht' er sich zu dem geschickt,
Was keinem Schäfer leicht so hurtig glückt.
Jedoch die Nymphe riß sich los.
Ihr Eifer war so groß,
Daß sie Amynten hieß, aus ihren Augen gehen.
Sie sagte dies, allein sie sagt' es mit Verdruß.
Jedoch ein kluger Schäfer muß
Die Worte nicht, die Blicke nur verstehen.
Er blieb und fieng sogar das Werk verwegner an.
Ihr Schönen sagt, wie er verwegner scherzen kann?
Er scherzte so, damit sie merken sollte,
Daß er im Ernste scherzen wollte.
Kurz, er entblößete der jungen Doris Knie;
Er sah es, doch mit so viel Lust, als Müh.
Ihr Mädchen, zürnet nicht, daß er ihr Knie gesehen,
Sonst sag' ich nichts von dem, was mehr geschehen.
[208]
Genug, daß Doris widerstritt,
Und was er that, erst überwunden, litt.
Allein er wußte sie mit hundert kleinen Sachen
So lüstern, als erhitzt, zu machen.
Die Augen funkelten, die Zunge selbst ward schwer,
Die Lippen zitterten, die volle Brust weit mehr,
Der Athem ward mit Schlucken eingefangen,
Von Hitze glühten ihre Wangen,
Sie rief, Amynt, ach geh! Sie schrie, Amynt, ach nein!
Hier wurden ihr die Augen klein,
Itzt mangelte die Kraft zu widerstreben,
Drum mußte sie sich dem Amynt ergeben.
Doch eh' sie sich ergab, rief sie die Götter an:
Thut mir anitzt, was ihr den Nymphen oft gethan,
Und laßt auch mich
Die Wohlthat der Verwandlung spüren.
Verwandelt diesen Ort in einen finstern Wald,
Doch schonet hier der menschlichen Gestalt!
Denn diese mogte sie am wenigsten verlieren.
Ihr Bitten ward erhört. Ein dichter Rosenstrauch
Wuchs neben ihr hervor, und der verbarg sie auch.
[209]
Allein dies war kein Wald: jedoch, ich muß nur lachen,
Die Götter müßten ja
Die Erde voller Wälder machen.
Genug sie wurden doch durch ihren Busch bedeckt.
Ihr meynt, sie lagen hier nun ganz und gar versteckt?
Der Busch verbarg sie nur den neidischen Gesichtern,
Doch aber nicht vor den verschwiegnen Dichtern.
Ihr Schönen, bleibet hier,
Und waget noch den letzten Blick mit mir.
Seht hin, ich sehe schon die leichten Blätter weichen,
Ich sehe den Amynt sein schönstes Glück erreichen;
Sagt, ob ihr dieses sehen könnt?
Ihr schweigt, doch mir ist mehr, als euch, zu sehn vergönnt,
Ihr blickt aus Vorwitz hin, drum kann es euch nicht glücken,
Ihr könnt die Doris nicht vor dem Amynt erblicken.

Aus dieser Erzählung kann man Rosts Genie am beßten beurtheilen. Bloß deßwegen hat sie sich in diese Sammlung geschlüpft.

[210] In den wenigen Erzählungen, die wir von ihm haben, übertrifft er bisweilen den la Fontaine an Naivetät; nichts destoweniger aber werden Viele mit mir wünschen, daß er etwas mehr beschrieben haben mögte, als das, was Jedermann weiß. Seine Doris und sein Amynt sind ein Paar gewöhnlicher Menschenkinder. Das Horazische vtile ist gar nicht bey ihm zu finden, und sein dulce ist weder Wein aus Cypern, noch aus Surento, noch Champagne.

[211] XXXI.
Axiochus und Alcibiades.

Axiochus, ein Schalk von schmeichelhaften Sitten,
Und Alcibiades, der Stutzer von Athen,
Zween Freunde gleicher Art, bey Mädchen wohl gelitten,
Schön, feurig, jung, galant, beredt und wunderschön,
Verstärkten da die Treu, wo Manche sie verscherzen;
Was beiden reizend schien, hieß beiden auch gemein.
Fand einer keine Lust den eignen Schatz zu herzen,
So stellte sich dafür des andern Mädchen ein.
Wie artig Jede war, dient wenig zur Geschichte:
Gnug, daß die Eine drauf ein Töchterchen gebar,
Die in den Windeln schon liebreizend von Gesichte,
Und Helenen vielleicht an Zügen ähnlich war.
Flugs sieht man beiderseits zur kleinen Doris eilen,
Ein jeder nennet sie sein wahres Ebenbild,
Und will das Vaterrecht nicht mit dem Freunde theilen,
Das Recht, das sie zugleich mit Lust und Neid erfüllt.
Jedoch, als Doris nur, der Mutter nachzuahmen,
Und Küsse zu verstehn, sich alt genug befand,
Entsagten beiderseits dem ernsten Vaternamen,
Und suchten Gegengunst, die Pflicht und Furcht nicht band.
[212]
Der Eine sprach, du bist der Vater zu dem Kinde;
Dies ist dein Aug' und Mund! Was kann dir gleicher seyn?
Halt! rief der Andre drauf, auf mich, auf mich die Sünde!
Herr Schwager, glaube wir, sie stammt von dir allein. 1

Fußnoten

1 Dieses ist eine wahre Geschichte, die der griechische Geschichtschreiber Athenäus erzählt; man kann leicht daraus sehen, daß sie griechisch sey, da Jedem der Name Vater ein so süßer Name war, daß sie sich darum stritten.

[213] XXXII.
Sokrates und der Wittwer.

Das frömmste Herz, der schönste Leib,
Das inniglich geliebte Weib,
Wird ihres jungen Mannes Küssen
Durch einen frühen Tod entrissen.
Untröstlich über den Verlust,
Zückt er den Dolch auf seine Brust,
Gehindert von getreuen Händen
Zerstößt er sich die Stirn an Wänden.
Kaum zähmen Bande seine Wuth,
Daß er sich nicht ein Leid anthut.
Auf Bitte wird er losgebunden,
Allein vom Schmerz ganz überwunden,
Begiebt er sich zu dem Sokrat,
Und bittet flehentlich um Rath.
Ach! sprach er, Weisester auf Erden,
Kann meiner Noth geholfen werden?
[214]
Ich soll nicht sterben, da das Licht
Mir dennoch tausend Geißeln flicht.
Der Weise schlug die Augen nieder:
Komm, sagt' er, nach acht Monden wieder.
Ja! nach acht Monden, welche Zeit!
Da hatt' er wiederum gefreyt.

von Hagedorn.

[215] XXXIII.
Der neue Pygmalion.

Mich nun verlassen? Cynthio!
Mich nun auf ewig? liebst du so
Die zärtliche Rosette?
Belohnst sie mit Verrätherey,
Und achtest wenig ihr Geschrey
Am naß geweinten Bette?
Verschmähst getreuer Liebe Gunst,
Da sie, behülflich deiner Kunst
Den Marmor zu beleben,
Zu deinen Venusbildern dir,
Was schön und artig war an mir,
In Unschuld Preis gegeben?
Wohlan, Verräther! so vergiß,
Wer diese Hülle mir entriß
Mit seinen Schmeicheleyen,
Und ach! mit Küssen ohne Zahl,
Wer durfte mir zum erstenmal
Die junge Brust entweihen?
[216]
Du fliehst Rosettens Angesicht?
O Cynthio! so sprachst du nicht,
Du wirst es mir gestehen,
Als ich die Hülle faßte, gieng,
Und meine Heiligen behieng,
Aus Furcht, sie mögten sehen.
Als noch mein unverstellter Blick
Zu manchem hohen Meisterstück
Am Morgen dich entzückte;
Als ich, sobald der Abend kam,
Das Werkzeug deinen Händen nahm,
»Und dich mein Arm beglückte.«
Verzeih, Geliebteste, verzeih,
Mein Ruf ist eine Wüsteney,
Verborgen deinen Küssen.
In Wäldern muß ich fromm und wild,
Für jedes allzuschöne Bild,
Nach dir geformet, büßen.
Im Himmel, o du gutes Kind!
Bekenn' es nur, im Himmel sind
Nicht Heben und Dianen.
Da treffen wir uns wieder an:
Ich will indeß, so gut ich kann,
Für uns die Wege bahnen.
[217]
Das treue Mädchen weinte Blut,
Und dennoch wandelte voll Muth
Der Heilige von dannen,
Bereits im Haar den goldnen Schein,
Im Kopfe nichts, als Engelein,
Agnesen und Susannen.
Nach einer kurzen Reise, kroch
Er in ein dunkles Felsenloch,
Und baute seine Zelle;
Dann trug er Steine in den Wald
Zusammen; und die wurden bald
Zur artigen Kapelle.
In tiefer Reue schnitzt er nun,
Vom Beten dann und wann zu ruhn,
Sich eine Magdalene,
Mit blonden Locken, dünner Tracht,
In allen Theilen wohl gemacht,
Bis auf die kleinste Thräne.
Sie lag am Felsen jämmerlich,
So schön, daß auch ein Türke sich
Mit ihr betrübet hätte.
Und wißt ihr, wem sie ähnlich war?
An Auge, Busen, Mund und Haar,
Der weinenden Rosette.
[218]
Was sch ich? welche Prüfung? O!
Der Himmel will, deß bin ich froh,
Die stolze Brust zermalmen.
Ich folge williglich. Er bringt
Das Bild in sein Kapellchen; singt
Ihm lauter Klagepsalmen;
Und pflegt es, mit geweihter Hand,
Und schenkt ihm täglich allerhand
An Bluhmen und an Kerzen;
Er seufzet, kniet ohn' Unterlaß;
Jedoch auf einmal schreckt ihn was
In seinem bangen Herzen.
Er geht, mit Zweifeln angefüllt,
Und sucht, und flieht das schöne Bild,
Verändert ihm die Stelle;
Berührt es, jammert, bebt zurück,
Und schließet jeden Augenblick,
Und öffnet die Kapelle.
Berühmt im ganzen Lande ward
Herr Cynthio mit seinem Bart,
Und seiner Magdalene.
Da kamen Pilger, weit und breit,
Matronen voller Heiligkeit,
Und manche junge Schöne.
[219]
Die opferten. Was half es ihm?
Und was dem innern Ungestüm
Sein Beten und Kasteyen?
Er schmachtete, verzehrte ganz:
Kein Fasttag und kein Rosenkranz
Vermogt' ihn zu befreyen.
An einem frühen Morgen schlug
Sein Herz ihn wach: Der Arme trug
Ein Lämpchen in die Mette.
O Bild, so reizend warst du nie!
Sein Geist verwirrte sich: Er schrie:
Ach heilige Rosette!
Und alsobald erwärmte sich
Der Marmor, seine Blässe wich,
Der Busen schien zu beben;
Die Augen glänzten allgemach:
Da lächelte das Bild und sprach:
O Cynthio, mein Leben!
Rosette war es. Sie vergaß
Den Liebling nicht. Rosette saß
Bey seiner Magdalene.
Vergönne, daß in frommer Ruh,
Ich mit den Heiligen, wie du,
Mein Engel! mich versöhne.
[220]
Zu deinen Bildern hielt ich still,
Wenn du sie formtest, und ich will
Zur Buße mich bequemen.
Du magst zu einer Ursula
Walpurgis und Cöcilia
Von mir die Züge nehmen.
Das that er; und im ganzen Land',
Auf Märkten und an Wegen, stand
Von Allen um die Wette
Bekränzt, in Weihrauch eingehüllt,
Mit einer Glorie das Bild
Der lachenden Rosette.

Jacobi.

[221] XXXIV.
Das Zeichen in den Augen.

Hippokrates, der Denker, stets in Sorgen
Für seine Menschen, die er kranken sah,
Begleitet von der Jungfer Izia,
Kam zu Demokritus, dem Lacher – »Guten Morgen,
Mein Jüngferchen!« So freundlich grüßte da
Demokritus das Mädchen. »Schlafen Sie,
Mein Jüngferchen, sprach er beym Abschiednehmen
Des Abends noch, recht wohl! Des andern Tages früh
Sah er das Jüngferchen, und ohne sich zu schämen,
Frug er: Madame, wie geschlafen?« Denn
In ihren Augen las er: diese, diese Nacht
Hat mich zu einer Frau gemacht.
Und da, was that das Jüngferchen?
Es lächelte dem Lacher, sah ihn an,
Und sagte: Schlimmer Mann,
Wenn sie's in unsern Augen lesen,
Dann ist ein Schlimmrer nie gewesen.

Gleim.

[222] XXXV.
Philemon und Baucis.

Poeten wissen tausend Sachen,
Die in dem groben Theil der Welt
Der Wahn und Aberwitz belachen,
Und Einfalt für unmöglich hält.
Wir singen: Boreas muß schweigen;
Der Wald erstaunt; es horcht das Meer;
Und wenn wir uns recht mild erzeigen,
So kommt der Mond gehorsam her.
Wer untersteht sich, uns zu schimpfen,
Als der nicht Midas Strafe weiß?
Wer macht aus Schiffen schöne Nymphen,
Aus Daphnes Haar ein Lorbeerreis,
Aus Byblis Zähren eine Quelle,
Aus Jupiter Europens Stier?
Wer führt den Orpheus in die Hölle?
Daß Götter zu den Menschen kommen,
Wie Phrygien längst wahr befand,
Beschwuren sonst die alten Frommen,
Und ist nur Dichtern recht bekannt.
Wie zärtlich sie der Welt gewogen,
[223]
Lehrt aus Philemons goldner Zeit
Ovidius, der nie gelogen,
Und Swift der Ruhm der Geistlichkeit.
Weil von der Unterwelt zu den gestirnten Höhen
Die Boten selten richtig gehen,
Fiel zweenen weisen Göttern ein,
Als Wanderer, um nicht erkannt zu seyn,
Den Erdkreis selber zu besehen.
Kurz: es gesellte sich, aus großer Menschenliebe,
Zum Donnergott der Gott der Diebe!
Der schlaue Jupiter entgieng durch diese Flucht
Der alten Juno Eifersucht,
Die ihm den Nektar längst vergällte,
Und was er als ein Stier und Schwan,
Und in der Jugend sonst gethan,
Ihm täglich unter Augen stellte.
Dem Vater folgt Merkur, mit kindlich frohem Muth,
Doch ohne Federhut.
Sie hatten bald, was man die Welt genannt,
Das narrenvolle Rund bis dahin durchgerannt,
Wohin vielleicht nicht ich, noch du, mein Leser, kommen,
Bis an Mäanders fernen Strand.
Als Licht und Tag nun abgenommen,
Erblickten sie, zu ihrer linken Hand,
Ein hohes Schloß, das Ueppigkeit und Pracht
Dem Uebermuth zum Sitz gemacht.
[224]
Hier wohnt, und schwelgt ein trotziger Dynast,
Des armen Landes reiche Last,
Der Liebling eines Herrn, dem oft geschätzte Horden
In treuer Blöße zinsbar worden.
Bey diesem suchten itzt die Götter kurze Rast.
Sie stellten sich, nach wahrer Pilger Weise,
Vom Mangel ausgezehrt, ermüdet von der Reise,
Und flehten sehr um Streu und Speise.
Vergebens flehten sie; man wies sie höhnisch ab;
Und als Merkur sich gar ins Schloß begab,
So fand auch er, je mehr er bat:
Nichts sey vermeßner, stolzer, kühner,
Als kleiner Herren kleine Diener,
So oft man ihrer nöthig hat.
Sie eilen schnell in manches Reichen Haus,
Allein viel schneller noch heraus.
Noch etwas wird versucht: Sie klopfen an die Hütte,
Die einsam in dem Thale steht.
Hier wiederholt Merkur die Bitte,
Und hier nur wird er nicht verschmäht.
Hier lebet ohne Mißvergnügen,
Und durch die Heilungskraft der Zeit
Von allen Regungen der Eifersucht befreyt,
Ein unbeerbt, zugleich veraltend Paar,
Dem, durch des Schicksals seltnes Fügen,
[225]
Der bangen Ehe Joch nicht unerträglich war.
Der Mann, Philemon, geht, und nöthigt sie herein;
Führt Beide vor den Heerd, heißt Beide fröhlich seyn,
Ruft das geliebte Weib, und Baucis kommt auf Krücken.
Sie grüßte jeden Gast mit treuem Händedrücken,
Das endlich Jupiter, der wohl zu leben wußte,
Mit einem Kuß vergelten mußte.
So ists, mit einem Kuß; jedoch nur auf die Wangen;
Nicht mit dem Nachdruck und Verlangen,
Womit er oft an Ledens Mund gehangen;
Und gleichwohl flößt in ihre Brust
Der träge Kuß recht jugendliche Lust.
Sie stoppelt Scheit und Stroh schon hurtiger zusammen.
Ein Bündel Reiser wird auf dürren Kien gelegt,
Und als sie Asch' und Kohlen aufgeregt,
Facht, bläst, und hustet sie den ganzen Stoß zu Flammen.
Hierauf wird warme Milch, nebst Feld- und Gartenfrüchten,
In irdnen Schüsseln aufgetischt,
Bey ungleich größrer Lust, als wo das Splitterrichten
Die theuren Bissen würzt, wo Fluch und Wein sich mischt,
Der Scheelsucht Auge glüht, der Bosheit Zunge zischt.
Die Fremden besser zu erfreuen,
[226]
Umsteckt der milde Wirth den Tisch mit dichten Mayen,
Sucht seinen Witz hervor, der, nach des Landmanns Art,
Mit Worten spielt und sein Gelächter spart,
Und schwatzt vom Ackerbau, vom Wiesewachs, von Saaten;
Wie heuer recht nach Wunsch des Nachbars Korn gerathen.
Frau Baucis aber lehrt der Wittrung Eigenschaft,
Der Seuchen Art, der Kräuter Kraft,
Und sagt den theuren Tischgenossen,
Wie viele Jahr' in ihrer Eh' verflossen;
Wie dieses Dach von Schilf, und den geschwärzten Heerd
Ihr langer Fleiß erbaut, und noch kein Fluch beschwert;
Was sie besitzen, was noch fehlt,
Das Alles wird itzt her erzählt;
Auch wie sie neulich erst was Herrliches geerbet:
Und was? Ein Trinkgeschirr, das noch nicht abgenützt,
Woran Silen, der sich auf Keltern stützt,
Und mit Satyren zecht, aus Buchenholz geschnitzt;
Auf dessen Deckel sey Philemon eingekerbet.
Sie foderts, und er bringts, voll Most,
Zum süßen Schluß der Abendkost.
Das frische Naß wird treulich eingesogen;
Doch füllet sich von selbst der Becher wieder an.
Die Alte siehts bestürzt; es stutzt der Biedermann,
[227]
Der weder Feind noch Freund in seinem Trunk betrogen.
Nachdem er ihn von neuem ausgebracht,
Hat er auf jeden Gast nunmehr gedoppelt Acht,
Bis Jupiter sich kenntlich macht.
Er sagt: Wir sprechen nicht als Spötter;
Vernehmt die Wahrheit: Wir sind Götter!
Herr Wirth, Frau Wirthinn, glaubt es nur:
Ich bin der Zevs, Er ist Merkur.
Ihr zweifelt? Können Götter lügen?
Wißt: Ich kann donnern, Er kann fliegen.
Philemon schielt ihn an. Ein Strahl vom innern Licht
Erheitert seinen Blick, er glaubt und klügelt nicht.
Ein heilger Schauer fährt durch Baucis kalte Glieder.
Sie sehn im Gast den Gott, und fallen vor ihm nieder.
Ihr Götter! sagt der Greis, wie gütig nehmt ihr an,
Was euch die Dürftigkeit wohlmeynend reichen kann.
Es ist kein Sterblicher an Glück uns gleich zu nennen:
O hätten wir nach Wunsch euch jetzt bewirthen können!
Doch aller Ueberfluß im schönsten Speisesaal
Ist mangelhaft und schlecht zu einem Göttermahl.
Wo solche Gäste selbst die Tafel schmücken wollen,
Muß Erde, Meer und Luft die beßten Schüsseln zollen.
Es tagt, und Majens Sohn führt das entzückte Paar
[228]
Den hohen Berg hinan, der in der Nähe war.
Hier spricht der Donnergott: Der Bosheit Lauf zu hemmen,
Soll der Mäanderfluß die Frevler überschwemmen!
Er winkt; der Strom gehorcht. Man sieht das Schloß, das Land,
Wo sich kein liebreich Aug' auf fremde Noth gewandt,
Von Wind und Fluth bestürmt, mit Schrecken untergehen.
Philemons Wohnung bleibt auf einer Insel stehen;
Doch nicht als Hütte mehr. Was Schilf, was irden war,
Wird Marmor oder Gold; ihr Tischchen zum Altar;
Die Kann' ein Opferkelch; die Pfosten werden Säulen;
Und mehr Bequemlichkeit dem Tempel zu ertheilen,
Ihr Bett' ein Kirchensitz, der noch, nach alter Kraft,
Die Hörer gähnen lehrt, und oft den Schlaf verschafft.
Dies große Wunderwerk erweckt den treuen Beiden
Verwirrung, stumme Lust, und ehrfurchtreiche Freuden,
Erstaunen, Dankbarkeit und neue Zuversicht,
Bis unser Phrygier das Schweigen unterbricht:
Ach! mögte Jupiter mich Armen würdig finden,
In diesem neuen Bau die Opfer anzuzünden,
Des Lebens Ueberrest, als Priester, ihm zu weihn!
O! sollt' ihm diese Hand den ersten Weihrauch streun!
Der Gott erhöret ihn, und will ihm auch vergönnen,
[229]
Nebst ihr noch einen Wunsch ohn' Anstand thun zu können.
Falls, ruft Philemon aus, ein Flehen dir gefällt,
Das itzt die Liebe wagt, die uns zuerst gesellt;
Wird mir und Baucis einst der Tod zugleich erscheinen,
Und Keines je von uns des Andern Grab beweinen.
Der Wunsch der Zärtlichkeit, der Wünsche Widerspiel,
Die oft der Ehstand heckt, erreicht sein edles Ziel.
Der Götter Gunst versprichts. Ein Donner läßt sich hören;
Der Blitz zertheilt die Luft: Zevs eilt durch alle Sphären.
Hievon verbreitet sich der bald erschollne Ruhm,
Und Jedermann besucht das neue Heiligthum;
Zum Theil, Philemon selbst um Alles zu befragen;
Zum Theil, aus frommer Pflicht ihm Gaben anzutragen,
Die er, voll vom Beruf, den ihm sein Glück bestimmt,
Mit priesterlicher Hand oft abweist, öfter nimmt.
An einem Feyertag, als er im Vorhof gehet,
Und Reisenden erzählt, woher der Bau entstehet,
Verwandelt sich sein Haupt; zu Blättern wird sein Haar;
Den Leib deckt Rind' und Moos; und Baucis wirds gewahr,
Und suchet, doch umsonst, ihm ihre Hand zu reichen:
Sie wird zum Lindenbaum, so wie ihr Mann zur Eichen.
Der wohlerfüllte Wunsch ist ihrer Treue Lohn,
Und jeder Vater zeigt die Bäume seinem Sohn.
[230]
Man siehet ihre Zweig' am allerschönsten grünen,
Und vielen Liebenden mit holden Schatten dienen.
Der Ruf legt ihnen bald die Zauberwirkung bey:
Hier reize Laub und Gras zur süßen Buhlerey.
Man sagt gar, daß allhier auch spröde Schäferinnen
Das Schmeicheln, und zuletzt den Schmeichler liebgewinnen;
Daß Manche, deren Stolz dem Hirten widerstand,
Zum erstenmal ihr Herz hier voller Mitleid fand;
Daß einer Phyllis Kuß den Lykas hier beglücket,
Und er sie drauf gelehrt, was noch weit mehr entzücket.
Der nächste Lenz verrieth die ihm erzeigte Huld.
Der Baum, der arme Baum, nicht Phyllis trug die Schuld.
Die Mutter hätte bald Philemon, nebst der Frauen,
Wenn Zevs sie nicht beschützt, erbärmlich abgehauen.

von Hagedorn.

[231] XXXVI.
Der zärtliche Liebhaber.

Ein junger, reicher Lord,
Der mehr als eine Welt sein treues Julchen liebte,
Der auf ein halbgesagtes Wort
Den kleinsten Wunsch von ihr sich zu errathen übte,
Gieng einst in einer Sommernacht,
Vom heitern Himmel angelacht,
Mit ihr, für deren Glück er Alles hingegeben.
»O sieh doch! rief das Mädchen schnell,
O sieh doch, welch ein Stern! wie spielend und wie hell!
Der schönste, den ich sah in meinem ganzen Leben!«
Sie fühlt des Lieblings Hand in ihren Händen beben.
Er sieht den Stern mit traurigem Gesicht,
Und dann sein Mädchen an, und spricht:
Ach! Julchen, ach! verlang' ihn nicht,
Ich kann ihn dir nicht geben!

Jacobi.


Ah! Diane, ne la désire pas; je ne peux pas te la donner. Sind die eignen Worte des seltenen Mannes.

[232] XXXVII.
Der Falke.

Wem ist dein Ruhm, dein Vorzug unbekannt?
Hetrurien, der Künstler Vaterland,
Wo die Natur, das Auge zu entzücken,
Recht sinnreich ist, Berg, Thal und Busch zu schmücken,
Und Wahl und Kunst, durch edelmüthgen Fleiß,
Der Schöpferinn klug nachzuahmen weiß.
Der Arno sah hier sonst an seinem Schilfe,
Den Pan voll Muth und Nymphen ohne Hülfe,
Und noch erblickt sein reizendes Revier
Der Schönen Schaar, und Lieb' und Lust mit ihr.
Dort, in Florenz, verehrte man vor Zeiten
Ein schönes Weib, voll Stolz und Trefflichkeiten.
Es war nur sie dem Wunder aller Welt,
Der Venus gleich, die Cosmus aufgestellt. 1
[233]
Sie war es nur, die Aller Sehnsucht übte,
Geliebet ward, und Keinen wieder liebte:
Frau Silvia, für die so manche Nacht
Der Stutzer Volk geseufzet und gewacht,
Und, schlief es ja, mehr als ihr Ehegatte,
Zum langen Traum nur sie gewünschet hatte.
An Zärtlichkeit und an Verehrung glich
Kein Einziger dem edlen Friederich.
Nicht nur sein Gut, er hätte selbst sein Leben,
Um einen Kuß, bezaubert hingegeben.
Er wußte wohl, das Geld erkauft den Sieg
Unzweifelhaft, sowohl in Lieb' als Krieg,
Sprengt Schlösser auf, kann Wall und Burg ersteigen,
Wiegt Wächter ein, macht Knecht' und Mägde schweigen,
Und wiederum, schnell wie das Spiel sich dreht,
Den Knecht, die Magd verführerisch beredt.
Nichts lockt so sehr von Allem, was wir kennen;
Nichts auf der Welt ist freundlicher zu nennen.
Avidien, 2 dir lacht in der Natur
[234]
Nichts, als das Geld; sonst Alles lächelt nur.
Nichts gleicht für dich, an Liebreiz und an Freude,
Dem Sonnenerz, der beßten Augenweide.
Doch Friederich war kein Avidien:
Nur Sylvia war ihm auf Erden schön.
Er hielte sich glückselig im Verschwenden,
Für Sylvia auch Alles aufzuwenden.
Allein umsonst, wie viel er auch empfand;
Ein trockner Kuß auf Handschuh oder Hand,
Ein kurzer Dank, womit sie ihn beehrte,
Der ihren Stolz durch Pracht und Knechtschaft mehrte,
Ein karges Lob, ein seltner Seitenblick,
Das war sein Lohn, das war sein ganzes Glück.
So ward er arm, weit früher, als er dachte;
Weil er noch stets aus Hufen Baarschaft machte.
Dies Rittergut und jenes Marquisat
Versilberten noch immer seinen Staat;
Doch nur ein Jahr. Anselmo, sein Verwalter,
Ist insgeheim sein jüdischer Erhalter,
Kauft einen Hof; baar, doch für halbes Geld,
Zu diesem Hof ein großes Ackerfeld,
[235]
Zu diesem Feld ein Vorwerk und die Pflege,
Die Fischerey, die Jagd, und das Gehäge,
Und weil Pandolf, ein Wechsler, Vorschuß thut,
Zum Vorigen das Schloß, das Rittergut,
Der Erbschaft Kern. Sein Herr läßt sich betrügen,
Und jedes Gut in fremde Hände fliegen.
Die Lieb' ist schlau, allein sie rechnet schlecht,
Und gegen sich ist sie oft ungerecht.
Sie sammlet nicht. Die milde Kunst zu lieben
Gleicht nie der Kunst, die Xenophon beschrieben. 3
Dem Friederich verblieb nur dreyerley:
Ein Pferd, ein Falk' und eine Meyerey.
Sonst hatt' er nichts, als taube, falsche Freunde.
Die Freunde gieb, o Himmel meinem Feinde!
Doch, Himmel, nein! so hab' ich nie gehaßt,
Und diesen Fluch hat nicht mein Herz verfaßt.
Kein Einziger war willig ihm zu dienen.
Sie ließen ihn, als einen Baum, vergrünen,
Der Schatten gab, dem man noch helfen kann:
Ihm half man nicht, ihn sah man nicht mehr an.
[236]
Ein Tischfreund sprach: Er ist recht zu beklagen;
Der Andre: Ja! das wollt' ich eben sagen.
Der Dritte schwieg; und Jeglicher vergaß,
Was er zuvor allein in ihm besaß,
Der, wenn er nur der Freunde Mangel wußte,
Voll Ungeduld, ihn hülfreich heben mußte,
Der jeder Kunst, der Tonkunst, Poesie
Und Malerey weit mehr als Lob verlieh,
Und Sylvien, zum Vortheil vieler Leute,
Turniere, Ball und Lustbarkeiten weihte.
Wie hätten sonst Stand, Jugend, Aufwand, Pracht,
Ihm in Florenz die Schönen hold gemacht!
Sie gönnten nicht der Silvien ihr Glücke.
Der Wink zur Lust, die Sprache schlauer Blicke,
Der Seufzer Ruf, der schmeichelhafte Scherz
Verfolgten ihn, und buhlten um sein Herz.
Doch ward sein Herz von keinem Reiz bemeistert;
Es ward allein von Silvien begeistert.
Was er gedacht, empfand, und hört', und sah,
Und sprach, und schrieb, war Alles Silvia.
In diesem Wahn, und eingenommnen Sinnen
Sah' er sein Gut wie lockern Schnee zerrinnen,
[237]
Der sternend glänzt, das Auge blendend rührt,
Doch allgemach in Tropfen sich verliert.
So mußt' er bald der schönen Marquisaten,
Die er besaß, bey neuer Noth, entrathen,
Und weil die Reih' auch bald die Grafschaft traf,
So floh die nach; nun war er nicht mehr Graf.
Wie kränkt ihn das! Die Wollust stolzer Ohren,
Des Namens Schmuck, der Titel gieng verloren.
In Frankreich ist Marquis von hohem Ton,
In Welschland Graf, und anderswo Baron.
So heißt man gern: auch lernet diese Namen
Manch Bürgerkind auf Reisen nachzuahmen;
Daher ihm auch die Wirthinn und der Wirth
Gehorsamst dient, und sich zum Vortheil irrt.
Der Silvia Gemahl, und Herr, und Hüter
Hatt' um Florenz viel angestammte Güter,
War reich und groß; und Friedrichs Göttinn nahm
Nichts von ihm an, wenn er zu opfern kam.
Es war ihr Herz zu edel, zu erhaben.
Sie duldete den Geber, nicht die Gaben,
Und stellt' ihm nur den steten Aufwand frey,
[238]
Den öftern Ball, die öftre Mummerey,
Das Ritterspiel, das rauschende Gepränge,
Der Ehrenmahl' und Freudenfeste Menge,
Womit er ihr Geburts- und Namenstag
Und manchen mehr stolz zu verschönern pflag.
Doch auch kein Kuß vergnügte seine Triebe.
Er ist und bleibt ein Märtyrer der Liebe.
Die Hoffnung selbst versüßt nicht sein Bemühn.
Er muß nunmehr die Meyerey beziehn.
Er muß die Stadt, den Sitz gewohnter Freuden,
Er muß auch sie, die er vergöttert, meiden.
Betrübter Trost, daß ihn ein Dach versteckt,
Ein Dach von Rohr, das halb sein Haus bedeckt,
Das wüste Haus, wo in der Mauer Ritzen
Ein Marder wirft, und Kautz und Eule sitzen,
Und Licht und Tag, grausamer als die Nacht,
An jeder Wand nur Elend sichtbar macht!
Hier wohnt er nun; beschämt daß seine Treue
Sein Unglück ist; doch immer ohne Reue.
Er klagt nur sich, nur sein Verhängniß an,
Daß Silvia ihn nimmer lieb gewann.
[239]
Er klaget nur, baß er so stolz gewesen,
Zur Schönen sich die Schönste zu erlesen.
Er hatte hier, im öden Aufenthalt,
Ein greises Weib von widriger Gestalt,
Von trägem Dienst, voll Husten, Gicht und Jammer.
Die Küche glich der leeren Speisekammer.
Im alten Stall stund traurig und allein
Ein gutes Pferd, doch nicht von Knochen fein.
Und unterm Dach saß einsam auf der Stange
Sein edler Falk. Dem war im Hühnerfange
Kein andrer gleich. Mit dem ritt er ins Land,
Und opferte dem Gram, den er empfand,
Manch Rebhuhn auf, als ob es büßen sollte,
Daß Silvia ihn nicht erhören wollte.
So lebte hier der gute Friederich,
Durch eigne Schuld, verlassen, kümmerlich,
Und stets verliebt. Der Unmuth, der ihn plagte,
Stieg mit zu Pferd, und trieb ihn, wann er jagte.
Sein zärtlich Herz war seine größte Quaal.
Indessen starb der Silvia Gemahl,
Und hinterließ nur einen Sohn zum Erben,
Ein schwaches Kind, und sollte der versterben,
[240]
So hatt' er sie im Testament bedacht,
Und diesem Sohn zur Erbinn sie gemacht.
Sie wollte nun, geruhiger zu leben,
Sich auf das Land und in ein Schloß begeben,
(Von Friedrichs Hof lag es fünfhundert Schritt)
Und nahm dahin den kleinen Junker mit.
Dort wird er krank. Was sie erleiden müssen,
Da Arzt und Tod ihr ihren Herrn entrissen,
Traf nicht so sehr ihr eheliches Herz,
Als dieses Weh, und ihres Söhnchens Schmerz.
Den ganzen Tag sitzt sie vor seinem Bette,
Und forscht, und fragt, was er doch gerne hätte?
Ob dies? ob das? Was ihrem Kleinen fehlt?
Was er zur Lust, was er zur Speise wählt?
Sie will sich gern nach seinem Sinn bequemen.
Er wegert sich, was sie ihm giebt, zu nehmen.
Er weist es ab, schreyt, lärmt, ist nimmer still.
Nur jener Falk' ist, was er haben will.
Sonst will er nichts. Seitdem man ihm erzählet,
Daß dieser Falk noch nie den Raub verfehlet,
Daß er so scharf von Aug' und Klauen sey,
Sonst lustig, zahm, nicht falsch, nicht menschenscheu:
[241]
Seit solcher Zeit war es einmal geschehen,
Daß er ihn selbst, und seinen Herrn gesehen,
Der dieses Kind an seinen Busen drückt,
Und einen Kuß, durch ihn, der Mutter schickt.
Den Falken nun, den will er, und sonst keinen.
Sonst ruht er nicht: sonst kann er nichts, als weinen.
Die Mutter seufzt. Sie wußte freylich wohl,
Wie sehr man oft den Kindern fugen soll.
Doch kann sie sich, ja darf sie sich entschließen,
Den Friederich um etwas zu begrüßen,
Das ihn vielleicht oft vor dem Hunger schützt,
Das Einzige, das er zur Jagd besitzt,
Das Einzige, das ihm das Glück gelassen?
Hat er nicht Recht, nunmehro mich zu hassen?
Erwies ich ihm, als er sich mir geweiht,
Nur mich verehrt, die mindste Dankbarkeit?
Wie kann ich nun ihm unter Augen gehen?
Wie, unbeschämt, um seinen Falken flehen?
Ich, deren Stolz ihn in sein Elend stürzt,
Ihn, dessen Noth gewiß sein Leben kürzt!
Doch kann mein Sohn nicht sterben und nicht leben.
Ich soll, ich muß ihm diesen Falken geben.
Wie quält er sich! Er schlummert keine Nacht,
[242]
Als bis man ihm zum Falken Hoffnung macht.
Es sey gewagt, mein Freund läßt sich erbitten;
Ich kenne ja sein Herz und seine Sitten.
Am nächsten Tag, als nur der Morgen scheint,
Eilt sie zum Hof' und sucht den treuen Freund,
Und findet ihn in seinem kleinen Garten.
Er war bemüht, die Sprößlinge zu warten.
Sie geht zu ihm, unangemeldt, hinein.
Bald sieht er sie. Wie kann es möglich seyn,
Spricht er entzückt, daß ich dich hier verehre?
Ich glaub' es kaum, daß ich dich seh' und höre.
So bin ich dir doch heute nicht verhaßt! –
O nein, mein Herr, zu dir komm' ich als Gast. –
Als Gast? zu mir? Erblicke mit Erbarmen
Den Liebenden, den Flüchtling, und den Armen,
Und höhn' ihn nicht. Was hat dich hergebracht?
Denn dein Besuch war mir nicht zugedacht. –
Mein Freund, du irrst. Das will ich dir beweisen.
Ich bleibe hier, und kam, mit dir zu speisen. –
Was hätt' ich wohl! an Allem leid' ich Noth.
Was tisch' ich auf? – Wie? hast du denn kein Brodt?
Versetzte sie. Gleich geht er aufzusuchen,
Ob noch vielleicht ein guter Honigkuchen,
[243]
Ob etwas sonst zum Mahl vorhanden sey.
Da flieget ihm sein schöner Falk' entgegen,
Sein treuer Falk'. Ohn' alles Ueberlegen
Erwürgt er ihn, rupft ihm die Federn aus,
Und hackt ihn klein, und eilt, und läuft durchs Haus.
Selbst ist der Mann: er selbst will Alles holen.
Doch wird der Tisch der Alten anbefohlen.
Ihr Herz verwünscht den plötzlichen Besuch;
Doch langt sie bald das Tisch und Tellertuch
Mit Wahl hervor, setzt in das Zimmer Mayen,
Pflückt Quendel ab, die Tafel zu bestreuen,
Holt Rosmarin; dem wird der Majoran,
Die Ringelbluhm' und mehr hinzugethan.
Man sitzt, man ißt, und um ihn zu verbinden,
Scheint Silvia hier Alles schön zu finden.
Noch kein Gericht hat ihr so gut geschmeckt.
Warum sie kam, wird ihm nach Tisch' entdeckt.
Vergönnst du mir, mich dir zu offenbaren?
Wo fang' ich an? wie weiß ich fortzufahren?
Ich fodre dir mit Unrecht Alles ab,
Was noch bisher dir Trost und Freude gab.
Doch könntest du die Mutterliebe kennen,
[244]
Du würdest mich beklagenswürdig nennen.
Erbarme dich. Ach, Freund, betrachte nur
Die Regungen der Pflicht und der Natur.
Mein Sohn ist krank; ihm nagt ein innrer Kummer,
Der seltsam ist, und raubt ihn Kraft und Schlummer:
Denn dieser Sohn, mein einzig Kind, erstirbt,
Falls nicht mein Flehn den Falken ihn erwirbt:
So heftig ist sein einziges Begehren.
Du seufzest schon; ach glaube meinen Zähren.
Ach hätte mir mein langer Widerstand,
Mein spröder Stolz nicht ganz dein Herz entwandt!
Dein edles Herz! Doch wolltest du ermessen. –
Der Falk' ist hin: du hast davon gegessen,
Spricht Friederich; und seine Herrscherinn
Fragt ihn bestürzt: Was hör' ich? ist er hin?
Der Arme sagt: Ach hätt' ich dir, mein Leben,
(Vergieb dies Wort) dafür mein Herz gegeben!
Zum Unglück nur treibt mich mein Schicksal an:
Ich soll nichts thun, das dich gewinnen kann,
Dich, Silvia. Dir etwas vorzusetzen,
War dein Geheiß, und ward mir zum Ergötzen.
Ich suchte nach: ich sah den Boden leer,
[245]
Und auch mein Falk fand keine Aetzung mehr.
Ihn würgt' ich ab, gleichgültig, ohne Reue:
Ihn opfert' ich der Schönheit und der Treue.
Wie? seufzest du? Ist etwas uns zu werth,
Wenn die erscheint, die unsre Brust verehrt?
Doch hör' itzt auf die deinige zu quälen.
Es soll dir nicht an einem Falken fehlen.
Ich schaff' ihn dir von starkem Muth und Flug.
Die Wittwe sagt: O nein; es ist genug!
Du giebst mir itzt das größte Liebeszeichen,
Mein beßter Freund! Es mag mein Sohn erbleichen,
Der Himmel mag ihn länger mir verleihn,
So dank' ich dir. Kehr' oftmals bey uns ein.
Versprich es doch, versprich es, bald zu kommen.
Du wirst gewiß erkenntlich aufgenommen.
Sie reicht ihm selbst die Rechte lächelnd dar,
Die weiße Hand, die sonst so furchtsam war.
Nun darf er sich mit tausend Küssen rächen.
Sein Mund verstummt, und seine Thränen sprechen.
Der kranke Sohn folgt bald dem Vater nach.
Der zweyte Tag sah' ihn geschröpft und schwach,
Der dritte todt; und über sein Erblassen
[246]
Will Silvia sich gar nicht trösten lassen.
Allein der Bund der Liebe mit der Zeit
Ist viel zu stark für ihre Traurigkeit.
Nicht bloß aus Dank, auch weil ihr Herz ihn wählet,
Wird Friederich mit Silvien vermählet.

Boccaz ist der erste Erfinder dieser Geschichte, oder vielmehr der erste Erzähler derselben; denn, wie er versichert, soll sie sich wirklich in Florenz zugetragen haben. Sie ist eine der schönsten für junge Grazien, unter allen seinen Erzählungen, und wenn man einige lange italienische Perioden nicht übel nehmen will, so vortrefflich erzählt, daß man sie als ein Muster einer guten Erzählung betrachten kann.

La Fontaine hat sie ihm nacherzählt, und mit sehr vielem Witze bereichert; aber es ist mir, wenn ich ihn nach dem Italiener höre, als ob ich ein rührendes Lied, das ich vorher mit zärtlichen Empfindungen gelesen, nun in einer lustigen Melodie singen hörte, bey [247] welcher die launichtsten Einfälle eines Piccini meinen Ohren widrig klingen.

Der gute Genius des Herrn von Hagedorn hat ihm eingegeben, den la Fontaine hierinnen nicht übertreffen zu wollen; er hat dessen feinsten Witz mit dem Rührenden des Boccaz zu vereinigen, und das Ganze mit einigen Pinselzügen von den Rosenfarben seiner Phantasie noch zu verschönern gewußt. Indessen muß ich gestehen, daß er mehr dem la Fontaine, als dem Boccaz nachgezeichnet habe, und daß ihm einige Schönheiten des ersten Originals entschlüpft seyen.

Ich will meinen Leserinnen einige derselben hier mittheilen.

La Fontaine und von Hagedorn sagen, Silvia sey aus Stolz so grausam gegen den verliebten Friederich gewesen. La Fontaine: elle étoit toujours hautaine & rude; und von Hagedorn: Sie war ein schönes Weib voll Stolz und Trefflichkeiten: Ein kurzer Dank, womit sie ihn beehrte, der ihren Stolz und seine Knechtschaft mehrte, u.s.w.

Der Italiener kannte die Natur der Leidenschaften besser; er wußte, daß der Stolz das schwächste Ding[248] sey, wenn die Liebe ihn ernstlich angreife; er sagt:sie war zu tugendhaft, um ihm Gehör zu geben: Ella era non meno honesta, che bella; und ich glaube, daß dieses die einzige Ursache sey, weßwegen eine Dame einem jungen Ritter, der alle mögliche Vollkommenheiten besitzt, die eine Aspasia verlangen kann, ihre Gunstbezeugungen versagen könne.

Der Italiener hat ferner den Besuch der Silvia bey dem armen Friederich weit schöner beschrieben, als seine Nachahmer. Ich will zum Beweise einige Stellen des Originals übersetzen.

»Sie gieng ihm mit aller weiblichen Holdseligkeit entgegen, und nachdem sie Friederich ehrerbietig gegrüßt hatte, sagte sie zu ihm: Ich wünsche Sie glücklich anzutreffen, und komme, Ihnen das Unglück einigermaßen zu ersetzen, das Sie meinetwegen erduldet haben, da Sie mich mehr liebten, als Ihnen zuträglich war; ich und meine Begleiterinn wollen diesen Mittag bey Ihnen speisen.«

Friedrich versetzt' ihr darauf: Ich kann mich nicht entsinnen, gnädigste Frau, jemals einigen Schaden durch [249] Ihre Schuld erduldet zu haben u.s.w. Darauf führt er sie in seinen Garten, und läßt eine Gärtnerinn zur Gesellschaft bey ihnen, und entfernt sich, die Mahlzeit zu besorgen.

Er empfand noch niemals seine Armuth so sehr, als jetzt; und verwünschte sich selbst und sein Schicksal; wie ein Mensch, der außer sich ist; und rennte hiehin, dahin und dorthin.

Ich finde immer, um es bey dieser Gelegenheit zu sagen, daß Wenige unter den deutschen Dichtern so glücklich gewesen sind, die hohen Grade der Leidenschaften richtig zu beschreiben. Unsere beßten Dichter stürzen bisweilen von dieser Höhe herab, wenn sie mit ihren unzulänglichen Kräften sie zu erreichen streben; diese hohe einfache Schönheit können sie selten ausdrücken, in dem übrigen Allen vortrefflich seyn. Unsere gewöhnlichen Kunstrichter wissen von diesen Graden leider! gar nichts, und doch sind sie der untrüglichste Maaßstab, nach welchem die Größe der Genieen gemessen werden, und weßwegen man gegen die Fehler der jungen Köpfe entweder gnädig oder unbarmherzig seyn muß; sie schlagen[250] drein mit ihren Ruthen, und bedenken nicht, welchen Schaden sie damit stiften können. –

Nachdem Silvia bey unserm Herrn von Hagedorn gesagt hat: »Ich kam mit dir zu speisen«, so antwortet der edle Friederich:


Was hätt' ich wohl? An Allem leid' ich Noth.
Was tisch' ich auf? – Wie, hast du denn kein Brodt?
Versetzte sie. Gleich geht er aufzusuchen u.s.w.

das ist zu kläglich beym ersten Empfang für einen Ritter und eine große Dame. La Fontaine hat den Herrn von Hagedorn dazu verführt; Dieser sagt das nämliche:


Je n'ai, dit il, cuisinier, ni marmite;
Que vous donner? – n'avez vous pas du pain?

der Italiener ist travestirt.

Die Dame bittet ferner bey ihm mit weit mehr Grazie um den Falken, als bey dem Franzosen und Deutschen; und die Lage des Ritters dabey ist meisterhaft gemalt. »Er fieng an, in ihrer Gegenwart so zu weinen, daß er kein Wort antworten konnte. Die Dame glaubte, die Ursache seiner Thränen sey der Schmerz, sich von seinem geliebten Falken zu trennen; und war schon im Begriff zu [251] sagen, daß ihr die Grausamkeit gereue, ihn darum gebeten zu haben, als Dieser ihr antwortete: Seitdem ich auf Sie meine Liebe gerichtet, hab' ich fast immer mich über mein widerwärtiges Glück beklagen müssen, aber Alles war leicht gegen den Streich, den es mir jetzt spielt; nie werd' ich mich darüber zufrieden geben; Sie kommen in meine arme Hütte, da Sie in meinem größten Reichthum mich nicht zu besuchen würdigten; und verlangen von mir ein kleines Geschenk, und ach! auch dieses hat mir mein böses Schicksal entrissen; ich nahm das Liebste, Beßte, was ich noch besaß, es Ihnen zur Mahlzeit vorzusetzen. Wir haben den Falken verzehrt, und der Schmerz darüber, daß ich ihn nicht geben kann, wird niemals aufhören.«

Von Hagedorn läßt ihn naiv darauf antworten: »Der Falk ist hin, du hast davon gegessen.« Die Antwort ist vortrefflich; aber die Zärtlichkeit des italienischen Ritters rührt mich mehr. –

Die Dame tadelte ihn, daß er eines solchen Falken ihrentwegen nicht geschont hatte, und bewunderte darauf die Größe seiner Seele, die die Armuth nicht hatte verringern können, und bezeugte sich gerührt über seine große Liebe zu ihr; und nahm traurig von ihm Abschied. Ihr Sohn starb, und dieser letzte Beweis seiner unveränderlichen Liebe zu ihr bewog sie, sich mit ihm zu vermählen.

[252] Der Herr von Hagedorn und la Fontaine lassen den Ritter und die Dame nicht edel genug reden; nichts desto weniger aber hat der erste sie in vielen Stellen verschönert.

La Fontaine beschließt diese Erzählung mit einer sehr guten Lehre, die ihm die Damen nicht übel nehmen können, da er doch nicht von ihrem ganzen Geschlechte redet:


––– Il ne faut, qu'on se trompe
A cet exemple, & qu'un pareil espoir
Nous fasse ainsi consumer nôtre avoir,
Femmes ne sont toutes reconoissantes:
A cela près ce sont choses charmantes.
Sous le Ciel n'est un plus bel animal;
Je n'y comprens le sexe en general.

Fußnoten

1 Die Mediceische Venus stund ehemals im mediceischen Pallast zu Rom, woher sie zur Zeit des Pabstes Innocentii XI auf des Großherzogs Cosmi III Befehl nach Florenz gebracht, und in dem kostbaren Zimmer, la Tribuna, aufgestellet worden.

2 Avidien, mit dem Beynamen der Hund, war einer von den ersten Geizigen Roms; Horaz hat ihn in seinen Satyren auf die Nachwelt gebracht.

3 Die Haushaltungskunst.

[253] XXXVIII.
Die Grazien.

Als an einem Frühlingsabende sich die drey Grazien neben einem Walde in acidalischen Quellen belustigten, verlor sich plötzlich Aglaja, die schönste der Grazien. Wie erschracken die Töchter der Anmuth, als sie Aglajen vermißten! Wie liefen sie durch die Bäume und riefen!


So ängstlich bebt auf Cremonesersaiten
Der zärtste Silberton.
Aglaja! – rief der Silberton.
Aglaja! – half der Nachhall sanft verbreiten.
Umsonst, Aglaja war entflohn.
»Ach Pan schlich längst ihr nach! Der Frevler hat sie schon!
Ach, Alcidalia, blick her von deinem Thron!
Soll sie nach langen Ewigkeiten
Nur jetzt nicht länger uns begleiten?
Zwo Grazien sind aller Welt zum Hohn,
Und ach! die dritte hat er schon! –«
So klagten sie. Umsonst! Aglaja war entflohn.

Nun schlichen sie an den Büschen herum, und schlugen leise [254] an die Blätter, und flohen nach jedem Schlage furchtsam zurück.


Denn stellten sie sich gleich, den Räuber auszuspähen,
So zitterten sie doch vor Furcht, ihn nur zu sehen.

Endlich kamen sie an ein Rosengebüsche, das meine Chloe versteckte – und mich. Chloe saß vor mir, ich hinter Chloen.


Jetzt bog ich schlau an ihrem Hals mich langsam über,
Und stahl ihr schnell ein Mäulchen ab;
Jetzt bog sie unvermerkt den Hals zu mir herüber,
Und Jedes nahm den Kuß auf halbem Weg' sich ab,
Den Jedes nahm und Jedes gab.

In diesem Spiel überraschten uns die Grazien, und sie lachten laut, da sie uns küssen sahen, und hüpften fröhlich zu uns herbey. Da ist Aglaja! – riefen sie. Die Schalkhafte! – Du küssest, da wir unruhig herumirren, und dich nicht finden können? – und jetzt lief man mit meiner Chloe davon.


Was? rief ich, lose Räuberinnen!
Wie sollte sie Aglaja seyn?
Ihr irrt euch sehr, ihr Huldgöttinnen!
Für Grazien ist das nicht fein!
Gebt Chloen mir zurück! Betrogne, sie ist mein!

Doch die Grazien hörten mich nicht, und liefen mit meiner Chloe davon. Zornig wollt' ich ihnen nacheilen, als [255] plötzlich Aglaja hinter einer Buche hervortrat, und mir winkte, und freundlich lächelnd also zu mir sprach:


Warum willst du zu Chloen eilen?
Beglückter Sterblicher, Aglaja liebet dich.
Küss' itzt einmal statt Chloen mich;
Wünsch nicht dein Mädchen zu ereilen;
Ich, eine Göttinn, liebe dich.
Schüchtern sah ich die Huldgöttinn an.
Auf ihren Wangen sprach Entzücken,
Und Jugend und Gefühl aus den verschönten Blicken.

Gefährliche Reizungen! Aber mit dreister Hand ergriff ich die Huldgöttinn, führte sie zu ihren Schwestern, und sprach: Hier ist Aglaja, ihr Grazien! –


O Chloe, meine Lust, mein Glück! –
Gebt meine Chloe mir zurück!
Ist dies Aglajens Mund und Blick?
Da, nehmt die Huldgöttinn zurück.

von Gerstenberg.

[256] XXXIX.
Fragment einer Geschichte des Apollo.

Hier haben Sie, mein werthester Freund! die Geschichte des Gottes der Musen und der Aerzte, die ich Ihnen versprochen. In den tausend Folianten, die ich über ihn nachgeschlagen, hab' ich viel Mangelhaftes und Unrichtiges gefunden.

Nicht einmal von dem ersten Zeitalter des Gottes, eh' er in Ungnade fiel, ist in den Götterchroniken etwas zu finden. Von dieser seiner ersten Zeit hätten die ersten Dichter, die Apollo begeisterte, so schöne Sachen zu erzählen gehabt;


Da saß er ganze Tage lang
Auf seinem Helikon, und sang
Von Schiffbruch und von Donnerwettern,
Von Riesen und von Liebesgöttern,
Von Helden, Weisen, Faunen, Spöttern;
Von Rosen und von Myrthenblättern;
Er sang des Frühlings Wiederkehr,
Und fand er keine Reime mehr,
[257]
Dann sang er seine Musen,
Und ihre vollen Busen.

Glücklich ist derjenige, der immer singen kann, und Apollo war es. Dazu kam noch, daß Keiner besser sang, und daß alle Dichter ihn verehrten. Andere Zeitvertreibe konnten ihm eben so wenig fehlen.


Wenn ihn der Hypochonder plagte,
Dann stieg er auf den Pegasus,
Den Bogen in der Hand, und jagte
Bis zum beschneyten Kaukasus:
Da dacht' er nicht an seine Leyer;
Er tödtete die Ungeheuer.
Diese Glückseligkeit daurete Jahrhunderte,
Bis endlich Doktor Aeskulap 1
Gestorbenen das Leben wieder gab;
Am unbesuchten Höllenfluß
Alecto sich die Finger nagte,
Und über böse Zeiten klagte;
Der alte Charon, voll Verdruß,
Die großen Feueraugen rollte,
Den Abschied förmlich nehmen wollte;
Und kurz, im ganzen Tartarus,
[258]
Im weiten Reiche blasser Schatten,
Die Richter und der Syndikus
Kein Protokoll und keine Sporteln hatten.

Pluto beschwerte sich über den Verfall seiner Staaten, welcher vielleicht dem politischen System der kleinen Götter, wie der großen, zuwider war; doch setzte dieses noch den Olymp nicht genug in Bewegung. Zuletzt aber sollte durch die Kunst des Aeskulapius ein Mann vom Grabe zurückgerufen werden, der sich besser zu den Todten, als zu den Lebenden schickte.


Ein Feind der holden Cypria,
Der nie empfand, und immer dachte,
Der Allen Sterblichen nur Langeweile brachte,
Und selbst den Vater Zevs, wenn er vom Himmel sah,
Bey seinem Nektar gähnen machte.

Dieses war die Kunst zu weit getrieben; deßwegen erschlug Jupiter den Arzt mit seinem Donner, damit Leute, welche man weder im Himmel, noch auf der Erde verlangt, ruhig in die Unterwelt wandern könnten.

[259] Unmöglich ist es, den Tod eines geliebten Sohns gelassener zu ertragen, als es Apollo that. Es ist wahr, daß er nach der Wohnung der Cyclopen gieng, welche den Donner geschmiedet hatten; daß er sie aber Alle hingerichtet, ist eine falsche Beschuldigung.


Er wollte Meister und Gesellen
Nur freundschaftlich zur Rede stellen;
Doch als der hinkende Vulkan
Ihm nicht die Werkstatt aufgethan,
Da fieng er, ohne Blutvergießen,
Mit seinem starken Bogen an,
Ihm Thür und Fenster einzuschießen.

Der Schade war beträchtlich, obgleich Apollo nicht verdiente, deßwegen aus dem Himmel gestoßen zu werden. Es war einmal sein Schicksal, und er mußt' es sich gefallen lassen, unter freyem Himmel, oder unter einem schlechten Dache, wie gemeine Hirten, zu leben. Man sagt:


Daß, wenn sein göttlich Lied den stillen Hayn erfüllte,
Die Heerde laut dazwischen brüllte;
[260]
Daß sein ambrosisch blondes Haar,
Oft ungekämmt, ein Spiel der Winde war;
Daß er der Schwester oft begegnet,
Von Kälte starr, und naß von Regen,
Und, wenn der Gott ein Lamm auf seinen Schultern trug,
Diana voller Schaam die Augen niederschlug.
Er bewieß sich hiebey so, wie es dem Gotte der Musen zukam.
Den Thoren wird ihr Unfall schwer;
Doch Weise lernen in den Armen
Der Dürftigkeit, nur zärtliches Erbarmen.
Apollo gieng vergnügt umher,
Anstatt dem Jupiter zu fluchen,
Geheime Kräuter aufzusuchen;
Und auch sein Hirtenstand war nie vom Wohlthun leer.

Seine Wissenschaft war leider den hübschen Kindern am wenigsten nütze; zumahl im Anfang', eh' er die sterblichen Mädchen recht kannte.


Zwar lernt er unter kleinen Spielen,
Wenn ihm zur Seite Chloe saß,
[261]
Ihr ganzes Spiel, und sich vergaß,
Und abgefallne Blühten laß,
Den Puls der Schäferinn zu fühlen;
Er sah den Augenwinkel naß,
Er sah die schöne Wange blaß;
Doch kam der Gott von Paphos ihn zu hören,
Und lächelte bey seinen Lehren.

Indessen erwarb er sich durch seine gesammleten Kräuter und durch den Puls der Mädchen so viele Kenntnisse, daß er bis auf den heutigen Tag, als ein Gott der Aerzte verehret wird.

Jacobi.

Fußnoten

1 Des Apollo Sohn.

[262] XL.
Nadine.

»Nadine, komm und misch in deinen Kuß
Den Zauberton, der Philomelens gleichet,
Indeß die Nacht, mit unbemerktem Fuß,
Den jungen Tag in Florens Arm beschleichet!
Ein Augenblick wird schon zu theu'r versäumt!
Sie fliehn, sie fliehn, mit Flügeln an den Füßen,
Die Stunden fliehn, die unter unsern Küssen
Ein Quincica 1 am Quell der Lust verträumt.
Wenn deinen letztern Hauch mein Mund einst aufgeküßt,
Was folget uns in's öde Reich der Schatten?
Ach! die Erinnerung, was wir genossen hatten,
Ist mehr vielleicht, als dann uns übrig ist!«
So spricht Amynt, verbirgt, indem er's spricht,
In ihrer Brust sein glühendes Gesicht,
Und fühlt, vom Arm der Liebe sanft umwunden,
Den ganzen Werth der eilenden Sekunden.
Mit Augen, wo die Traurigkeit
In süßer Wollust schmilzt, verschämt, doch hingerissen
[263]
Von eurer Macht, Natur und Zärtlichkeit,
Entwindt sie lässig nur sich seinen heißen Küssen.
Die schlaue Nacht zieht, jüngferlich bescheiden,
Ein Wölkchen, wie vom dünnsten Silberflor,
Dem Seitenblick der spröden Luna vor:
Ein Rosenbusch wächst schnell um sie empor,
Und ungefehr umflattert sie ein Chor
Von Liebesgöttern und von Freuden.
Nur einer aus der kleinen Schaar,
Ein junger Scherz von dreisterem Geschlechte,
Den eine Grazie dem schönsten Faun gebahr,
Setzt schalkhaft auf dem braunen Haar
An deiner Stirn, Nadine, sich zurechte.
Amynt wird ihn zuletzt gewahr,
Und will den losen Gaukler fangen;
Allein der Scherz, der leicht von Füßen war,
Entschlüpft, und rettet sich in's Grübchen ihrer Wangen.
Auch da verfolget ihn Amynt.
Nun, denkt er, soll mir's doch auf ihren Lippen glücken.
Doch, seht, wie sich sein Gegner schnell besinnt,
Den kleinen Gott mit Küssen zu ersticken.
Er zappelt, wie ein junger Aal
Im feuchten Netz, und schlägt, und sträubt sich mit den Flügeln,
Bis, zwischen sanft erhabnen Hügeln
Von lauem Schnee, ein dämmernd Rosenthal
[264]
Sich ihm entdeckt. Er glitsch an einer Leiter
Von Bändern unbemerkt herab;
Umsonst, der Mund, der keine Rast ihm gab,
Folgt ihm durch Berg und Thal, und treibt ihn immer weiter.
Wohin, o Venus, soll er fliehn?
Wie kann er zu entrinnen hoffen?
Er flattert keuchend her und hin,
Wo findet er die letzte Zuflucht offen?
So wie ein Reh, vom frühen Horn erweckt,
Mit raschem Lauf, der kaum das Gras berühret,
Von Bergen flieht, dann steht, die Ohren reckt,
Dann schneller flieht, vom Nachhall fortgeschreckt,
Und sich zuletzt in einen Hain verlieret,
Wo krauser Büsche Nacht ihn seinem Feind versteckt:
Der Flüchtling glaubt, in Pavos dunkelm Hain,
Wo, unendeckt, so gar beym Sonnenschein,
Sich Amor oft an Spröden schon gerochen,
Glaubt in Dionens Heiligthum,
In Dädals Labyrinth, ja im Elysium
Nicht sicherer zu seyn, als wo er sich verkrochen
Allein der Liebesgötter Schaar,
Die, Bienen gleich, doch unsichtbar
In Trauben an Nadinens Wangen
An ihrem Mund, an ihrem Busen hangen,
Bemerkten bald die reizende Gefahr,
[265]
Und riefen laut, da es zu späte war:
»Ach! Brüderchen, du bist gefangen!«

Diese kleine Erzählung ist die schönste, die Wieland gemacht hat, an Erfindung, Poesie und schmelzender Zärtlichkeit. Raphael könnte das Gemählde nicht richtiger, mit nicht mehr Grazie zeichnen, und Tizian ihm kein reizender Kolorit geben.

Fußnoten

1 Der Gemahl im Kalender der Alten des la Fontaine.

[266] LXI.
Der erste Kritikus.

Als Gott der Schöpfer fertig war
Mit Körper und mit Geisterschaar
Und tausende der Welten ihren Tanz
Schon tanzten, tausend Sonnen schon
Zehn tausend Erden, nur noch keinen Kaiserthron,
Beleuchteten mit ihrem Glanz;
Schon Meere braußten, Stürme tobten,
Und Menschen schon den Schöpfer lobten,
Und er mit Vaterblick auf Alles niedersah,
Und, Alles, Alles wäre gut,
Zu allen seinen Geistern sagte, da,
Da setzte seinen neuen Huth
Ein kleines Engelchen zu recht auf seinem Ohr,
Und schoß aus seinem Engelchor,
Als wie ein Blitz auf leerem Platz hervor,
Stand auf dem Platze, sah zu Gott dem Schöpfer auf,
Und sagte: »Mit Erlaubniß! – wäre wohl
Dem Pferde, welches seinen Lauf
[267]
Im Dienst der Menschen rasch und flüchtig enden soll,
Der Fuß so recht? und wäre wohl
Zu seinem Sprung und seinem Gang
Dem Affen nicht der Schwanz zu lang?« –
Was drauf erfolgte, wissen wir.
Den Affenschwanz, den Pferdefuß
Empfieng zu seiner schönen Zier
Das Engelchen, der erste Kritikus.

Gleim. [268]


Notes
Erstdruck: Lemgo (Meyersche Buchhandlung), 1775. Die Anthologie von Rokoko-Erzählungen unterschiedlicher Autoren wurde von Wilhelm Heinse im Winter 1773/74 zusammengestellt. Sie erschien im Herbst 1774, vorausdatiert auf das Jahr 1775, ohne Angabe von Heinses Namen.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. Erzählungen für junge Damen und Dichter. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4CFC-A