[353] Bilder und Sprüche

1.

Was schwingest Du mit Adlersblick
Des Straußes schweren Flügel?
Sieh Deinen Leib! er sinkt zurück
Zum niedern Erdehügel.
Der Himmel ist für Deinen Blick,
Der Staub für Deinen Flügel.

2. Die Schwimmer

Das Leben ist ein stürmisch Meer;
Wir schweben hin, wir schweben her,
Wir streben schwer durchs Leben!
O Thor, so wirf die Bürden schwer,
Die Sorgenbürden wirf ins Meer!
Wie leichter, nacket sterben!

3.

Was weilest Du im Erdgetümmel
Unter der Wolke voll Sturm und Blitz?
Spann auf die Schwingen! Ueber der Wolke
Ist heitrer Himmel,
Der Ruhe Sitz.

4. Das nackte Goldgebirge

Als wenn auch Armuth, tief verhüllt,
Nicht Edles bergen könnte!
Sieh, jener Felsen, dürr und wild,
Wenn er sein Gold Dir gönnte!

[354] 5. Caligula an Alexander's Bild

Beschmitzest Du, o Weibermann,
Den Heldenstein mit Gold?
Dem rauhen Steine sieh es an,
Was Du nachahmen sollt.

6. Leben der Götter und Weisen

Warum die Götter selig leben?
Sie brauchen nicht und können geben!
Einst Sokrates im bunten Trödel spricht:
»Was Alles darf ich nicht!«

7. Was da braust

Der große Strom, wie rauscht er hehr
Und tief und prächtig still zum Meer!
Der Felsenstrudel, er braust ins Ohr;
Denn unten guckt – nur Fels hervor.

8. Mondesgang

Und wenn sie neidend hie und dort
Dir Schatten würfen vor,
Geh ruhig Deines Weges fort,
Zum Himmel sieh empor!
Die Königin ihr Licht verlor
Und – wandelt fort!

9. Statuen

Dies Götterbild, man betet's an,
Den Künstler man vergißt!
In Schriften lebst Du, großer Mann,
Den lebend Hunger frißt.

[355] 10. Seelenquartier

Wie Leib und Seele
Sich so verschieden fügt!
Die eine liegt
In Moderhöhle,
Die andre wie ein Engel fliegt.

11. Wenige Spannen drüber

Was machst Du nieden im Volke
Unter der Wolke
Voll Sturm und Blitz?
Spann auf die Schwingen! Ueber der Wolke
Ist Himmelssitz.

12. Die alte und neue Weisheit

Ein kleiner Bart,
Und kann so fragen!
Und wenn ich Dir nun Alles wollte sagen,
Du Bärtlein zart,
Wo Du's denn tragen?

13. Räthsel

A.

Ein kleines zart Luftvögelein
Hat Knochen nicht noch Beinelein,
Es schwebt am Himmel sonnenklar,
Nährt sich vom Koth der Götter gar
Und schwirrt und schwirrt ums blaue Rund
Und kommt nicht wieder auf Erdengrund;
Denn 's hat, gesagt, nicht Beinelein,
Heißt Paradiesesvögelein,
Trinkt Thau und lebt so sonder Müh.
B.

Ah! Hof-Esprit!

[356] 14. Der Witzling, wenn er alt wird

Jung stach er witzig, schön umlaubt!
Jetzt alt – o hüte Dich!
Der Dorn im Winter ist entlaubt
Zu starrem, blut'gem Stich.

15. Wahl der Dichtkunst

Wirf weg die lydische Flöte,
Die Dich verstellt!
Und nimm die Laute der Tugend
Und nimm die Harfe der Götter!
Sie rührt, erhebt, gefällt.

16. Zwei Meinungen

A.

Ein trefflich Buch!
B.

Voll Höllenfluch!
Und fleuchst Du nicht den Baum, wo schön
Nur Sodomsäpfel stehn?

17. Deukalion und Zeno

Der mächtige Deukalion
Warf Menschen sich aus Stein;
Und Zeno, edler Göttersohn,
Schuf Menschen, freien, zarten Thon,
Sich wiederum zu Stein.

18. Literatura

Das Reich der Wissenschaft ist Flora's großem Reich,
Voll Gras und Kraut und Blumen, gleich.
[357]
Die kommen da, die bunten Auen
Nur höflichst anzuschauen;
Der reißt die Faust voll Kraut und Gras
Und hat nun – was?
Der dürret, presset sehr genau
Sich – dürres Heu und Thau;
Der Vierte gar possirlich ist,
Sogar das Gras er frißt;
Der tändelt, und Der spielet gern
Mit Farben und Gerüchen,
Für Damen und für Herrn
Holt sich Bouquette nah und fern,
Bis Blümlein all verblichen;
Der kränzt sich, eia! selbst sein Haar;
Der gräbt sich ein in Blumen gar
Und modert in Gerüchen;
Viel sind, sehr viel der Herren zwar,
Dort, dort kommt eine andre Schaar,
Schwirrt fröhlich hin zur Blumenau.
Die Morgenröthe lacht;
Die holden Bräute stehn im Thau
Und duften süße Pracht!
Die Bienlein laben sich im Thau,
Verschmähen nichts auf weiter Au,
Zerstören nichts, gehn gar genau,
Sie rauben sanft; der süße Raub
Wird Honig und war Blumenstaub.
Sie schwirren fort – die Sonn' erwacht!
Sieh, wie die Aue lacht!

19.

Bei bösen Menschen und bei bösen Hunden scheue
Das Schweigen mehr als ihr Geschrei!

20.

Den Schrankenläufern steht der Kranz am Ziele,
Den Weisheitskämpfern steht der Kranz im Tode.

[358] 21. Der Greis

Für jeden andern Gott verloren,
Leb' ich als Pflanze noch für Floren,
Und wenn auch sie mich bald zerstäubt,
Weiß ich, die Wurzel bleibt.

22. Stufen

Wer lebt und wohl geneußt – die Götter werden ihn
Zum frohen Mahle führen;
Wer thut und froh entbehrt – die Götter werden ihn
Zum Throne führen.

23. Anklagen

Ein Thor, der klaget
Stets Andre an.
Sich selbst anklaget
Ein halb schon weiser Mann.
Nicht sich, nicht Andre klaget
Der Weise an.

24.

Wenn ich des Lebens mich nun satt gelebet habe,
Der Feige kriecht – der Weise geht zum Grabe.

25. Das Gebet ans Schicksal

Ich folge willig, wie Du mich,
O Schicksal, wollest leiten;
Denn folgt' ich nicht, was würde ich
Als Zwang und Gram erbeuten?

26. Das Unsere und Fremde

Was nicht in Deiner Macht,
O Thor, das wünschest Du;
[359]
Und was in Deiner Macht,
Verlierst Du drüber – Ruh!

27. Das Leben

Ein Gastmahl ist Dein Leben.
Nimm, was Dir wird gegeben;
Was nicht ist da,
Was Dir nicht nah,
Erbettle nicht,
Erwarte, bis es Dir gegeben;
Sei froh, und wenn die Nacht anbricht,
Dann bange nicht,
Steh freudig auf und danke für Dein Leben!

28. Das Gespräch

A.


Ich trat zu Sokrates in seinen Kerker ein –

B.


Wo Sokrates, da kann kein Kerker sein.

29. Würgen und Wahrheit sehn

Ihr Könige, der König Adler traun
Hat starke Klaun!
Ihr Könige, der König Adler traun,
Er kann auch schaun, zur Sonne kann er schaun!

30. Nachbarsarbeit

A.

Ha, trefflich Werk! wie zart und schön!
B.

Nur anzusehn,
Anrühren nicht;
Es bricht!

31. Tempel der Weisen

A.

Aegyptens Thierabgötterei
Ist längst, o längst vorbei!
Den Weisen bauen sie jetzt Tempel,
[360]
Verehren drinnen zum Exempel –
B.

Und was denn? –
A.

Ei!
Affen und Narren mancherlei.

32. Mit Vielem nichts

A.

Hofiret da
So reich und kraus! –
B.

Heida!
Wie nicht auf Mönchenpergament,
Das A in bunte Züge rennt
Und ist nur A.

33. Autor und Kritikus

K.

Der gute Autor nickt doch ein
Mit seinem Augenpaar.
A.

Und Du, Herr Argus, überfein,
Mit hundert Brillen gar,
Du schnarchest ein.

34. Dichtkunst

Verkehrte Welt! o Tugend,
Wo Dein Gewinn?
Am Himmel dichten
Sie Sternvieh hin,
Und unten im Erdenbauch
An Pluto's Rauch
Elysium!
Hum!

35. Alte und neue Allegorie

A.

Durch Tugend in der Ehre Tempel!
B.

Ja, alter Welt Allegorie.
Durch Goldkoth in der Ehre Tempel!
So käuen jetzo sie.

[361] 36. Maler und Leser

Nun, Herr, gebt auch ein Wort dabei!
So sind wir mindstens Zwei.

37. Eingang

Ich singe nicht für Phönix' letzte Jungen;
Mein Schwänchen stirbt, wenn es hat ausgesungen.

38. Die Lebensalter

Kindlein, Du genießest noch,
Und weißt nicht.
Jüngling, und Du hoffest doch,
Und hast nicht.
Aber, Greis, was soll Dein Streben,
Bangen und Beben,
Ewig zu leben?

39. Die Gleitbahn

Die Wollust ist ein dünnes Eis;
Wohl, wer hinüber zu gleiten weiß!

40. Geist und Herz

Holde Musen, laßt zur Seiten
Euch die Tugenden begleiten!
Was der Geist erobert hat,
Hat im Herzen Statt.

41. Das Lenken

An Ohren faßt man leere Töpfe
Und leere Köpfe.

[362] 42. Der kleine Fitzli

Wie groß will nicht der kleine Fitzli sein!
Er steigt auf einen Stuhl: »Heida! bin ich noch klein?
Und bald will ich noch größer sein!«
Er steigt auf einen Berg
Und – ist ein Zwerg.

43. Philosophie

Mich zu vergnügen, wie es sei,
Sieh, das ist mir Philosophei.
Mein Tagewerk ist abgethan,
Wenn ich mich meiner Lebensbahn
So nach gerade
Entlade.

44. Musik

Das Leben und die Leyer wird
Durch weise Stimmung süß.

45. Schiffahrt

Zur guten Schiffahrt brauchst Du Wind und Steuermann;
Zum guten Leben dient Dir Glück und die Vernunft.

46.

Talare hindern freien Gang,
Reichthümer freie Seele.

47.

Wie sich bei sanfter Zeit der Schiffer auf Stürme faßt,
So fasse Du im Glücke Dich auf Unglück!

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Herder, Johann Gottfried. Bilder und Sprüche. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-56FB-E