Erstes Kapitel
»Noch einen tüchtigen vollgefüllten Römer, Herr Wirt; zwar schlug es schon neun, aber der Regen stürmt an die Fenster; wir sitzen hier traulich und warm beisammen, und ich merke schon, wir werden heute ein wenig aus dem Schick kommen und Mühe haben, die Bürgerglocke einzuhalten. Kommt Ihr Eurerseits aber auch aus dem Schick, Herr Wirt, und geht ein Fäßlein weiter, wenn Ihr einschenkt, und irrt Euch in der Sorte!«
So rief der ehrsame Bürger und Drechslermeister Franz Weppering, der an dem breiten Tische in der Gaststube des Wirtshauses zum »Weißen Lamm« den besten Platz einnahm.
»Oho!« erwiderte der kleine freundliche Herr Thomas, indem er sich das kleine schwarzsamtene Käppchen in die Stirne schob und zugleich mit dem schweren Kellerschlüsselbunde harmonisch klapperte, »oho! was den Schick betrifft, das heißt, die schönen Ordnungen, Privilegien, Satzungen, Gesetzlichkeiten, Edikte und Verordnungen, wie sie von Kaiser und Rat ergangen, so sucht darin der ehrsame Thomas, weltberühmter Gastwirt in der weltberühmten Reichsstadt Nürnberg, dessen Tugenden der Himmel gehörig zu wägen und zu lohnen wissen wird, in deren Kenntnis seinesgleichen. Aber anlangend den Wein, so wäre es ja außerm Schick, wenn ich Eurenthalber, Meister Franz, das rechte Fäßchen vorübergehn und Euch bessern Wein geben sollte, als Euch dienlich und Ihr mir bezahlt.«
[680] »Ihr haltet den Wein«, nahm Meister Wepperings Nachbar das Wort, »aber auch wirklich ein wenig zu teuer und könntet alten Stammgästen, so wie wir, wohl immer einige Kreuzer weniger für das Maß anrechnen.«
»Ich weiß nicht,« rief Herr Thomas lachend, »ich weiß nicht, was ihr wollt, ihr Herren, ihr trinkt bei mir den schönsten, edelsten, wohlschmeckendsten, feurigsten Wein in dem ganzen lieben Nürnberg, und den gebe ich euch aus purer Amicitia. Denn die paar Kreuzer, die ihr mir dafür bezahlt, sind ja bloß ein anmutiges Douceur für die Mühe des Einschenkens. Aber ohne Scherz, ihr Herren denkt immer, uns Wirten kostet der Wein gar nichts, und wir leben noch immer in dem verfluchten Jahr 1484, wo ein ganzer Eimer Wein für ein recht schönes Hühnerei hingegeben wurde, und doch hat es damit eine ganz besondere Bewandtnis. Ich weiß nicht, ihr Herren, ob ihr die Geschichte von den zerbrochenen Hühnereiern wißt; soll ich sie euch erzählen?«
»Und,« rief Weppering, »und uns während der Zeit dursten lassen; nein, nein, behaltet euren Schnack für Euch und holt so guten Wein, als Ihr's verantworten könnet.«
»Ich wollte,« sprach ein sehr alter Mann, der entfernt an der Ecke des Tisches saß und still für sich eine kleine Schüssel Eingemachtes verzehrte, wozu er einen sehr edlen Wein, doch nur tropfenweise, trank, »ich wollte, ihr lieben Gäste, ihr ließet unsern Herrn Wirt die Geschichte von den zerbrochenen Eiern erzählen, denn sie ist gar hübsch und anmutig.«
»Wenn,« rief Weppering, »wenn Ihr es wollt, mein ehrwürdiger Herr Doktor, so mag Herr Thomas so viel erzählen, als er Lust hat, und ich werde meine rauhe Kehle so lange netzen mit den Tropfen aus dem Brunnen der Hoffnung.«
Der Wirt, ganz Freude und Freundlichkeit, knüpfte ohne Umstände den Schlüsselbund wieder fest, setzte sich seinen Gästen gegenüber an den breiten Tisch, ließ ein [681] großes Paßglas Wein langsam und behaglich in die Kehle hineinglucken, streckte den Körper über den Tisch und stemmte beide Backen auf die Ellenbogen.
»Ich erzähle euch also, ihr höchstschätzbaren Gäste und würdigen Freunde, die
wundersame Geschichte
von den zerbrochenen Eiern
und zwar nicht, wie mir gerade das Maul steht, sondern, soviel möglich, mit denselben zierlichen Phrasen, Redensarten, Wörtern und Ausdrücken wie der alte Chroniker, der eine artige Zunge führte und seine Rede wohl zu setzen wußte.
Früh morgens, am Tage Marzii des Evangelisten, im Jahr des Herrn 1484, befand sich viel Landvolk auf dem Wege von Fürth nach Nürnberg und trug den Nürnbergern zu, was sie nun eben an schönen Produkten des Landes zu ihrer Leibesnahrung und Notdurft vonnöten. Unter dem Landvolk schritt aber ein gar stattliches Bauernweib in Sonntagskleidern daher, die auf jeden Gruß: ›Gelobt sei Jesus Christus!‹ demütiglich das Haupt verneigend: ›In Ewigkeit!‹ antwortete und überhaupt, wenn die Leute auch was Ausländisches an ihr bemerken wollten, doch ein frommes, ehrliches Ding schien.
Das Weib trug einen Korb mit schönen Hühnereiern, und jedem, welcher verwundert rief: ›Ei, Nachbarin, was sind das für schöne glänzende Eier,‹ erwiderte sie gar freundlich, indem ihr die kleinen grauen Äugelein blitzten: ›Ei, meine Henne darf keine schlechtern legen für die ehrsame Frau Bürgermeisterin, der ich diese in die Küche trage.‹ Das Weib ging auch wirklich mit ihrer Ware geradesweges in das Haus des Bürgermeisters.
Sowie sie eingetreten, tät sie gehorsam und demütiglich, was ihr der Vers an der Wand gebot:
[682] Dann wurde sie von Frau Marta, der Haushälterin, zu der ehrsamen Frau Bürgermeisterin geleitet, die sich in ihrer Prangkuchen befand.
Da sah es denn nun so prächtig und blank aus, daß es eine wahre Augenverblendnis war; schöne metallene Gefäße, manchmal von solcher Sauberkeit, als ob sie Peter Vischer selbst gearbeitet hätte, standen umher. Der Fußboden war getäfelt und gebohnt; was unsre edle Tischler- und Drechslerzunft wohl an zierlichen und saubern Sachen zu liefern vermag, davon war ringsumher was zu finden. Die Frau Bürgermeisterin saß aber in einem prächtigen Lehnstuhl von Nußbaum, mit Ebenholz ausgelegt und grünen Samtkissen, mit goldenen Troddeln, der nicht weniger als fünf Fuß in die Breite hielt; so breit mußte er aber sein, weil das Maß nach dem Gesäß der Frau Bürgermeisterin genommen.
Das Weib reichte den Korb mit Eiern der Frau Bürgermeisterin demutsvoll hin, indem sie hoch beteuerte, daß Sprut, ihre beste Henne, sich alle Mühe gegeben, die Eier so schön als möglich für die Frau Bürgermeisterin zu legen.
Die Frau Bürgermeisterin nahm dem Weibe mit gar freundlicher Miene das Körblein aus der Hand und übergab es ihrer Haushälterin, der Frau Marta.
Als aber nun das Bauerweib die Eier bezahlt verlangte, gerieten die Frau Bürgermeisterin und Frau Marta, die den Korb mit Eiern für eine angenehme Verehrung gehalten hatten, in großen Zorn, und das arme Bauerweib hatte Mühe, die Hälfte des niedrigsten Preises für ihre Ware zu erhalten.
Frau Marta hatte indessen die Eier aus dem Korbe gezählt und für die zerbrechliche Ware keinen schicklicheren Platz gefunden, als das grünsamtene Kissen im Lehnstuhl der Frau Bürgermeisterin, den sie eben verlassen.
Nach Paracelsi Rat hatte die Frau Bürgermeisterin soeben, um die heftige Gemütsbewegung ein wenig zu besänftigen, [683] ein paar Gläschen Aquavit genommen und wollte nun aufs neue der Ruhe pflegen. Als sie sich aber sänftiglich in den Lehnstuhl drückte, tat das den Eiern, die auf dem Polster lagen, nicht gut, sondern sie zerbrachen Stück vor Stück, und kein einziges blieb ganz.
Die Frau Bürgermeisterin sprach unmutig: ›Warum habe ich diese schöne Eier zerbrochen?‹ Da meinte aber die schelmische Magd, daß die Eier zwischen solchen Polstern unversehrt hätten liegen können bis zu unserer fröhlichen Urständ. Aber die Bauersfrau aus Fürth sei eine böse Hexe, die den Leuten Eier von schönem Ansehn verkaufe, welche nachher zerbrochen wären.
Die Frau Bürgermeisterin unterließ nicht, den Vorfall ihrem ehrenfesten Herrn Gemahl, dem Bürgermeister, anzuzeigen. Der hochweise Rat, bestürzt, in dem Weichbilde der guten frommen Stadt eine Hexe zu wissen, ließ die arme Bauerfrau aufgreifen, nach Nürnberg bringen, wo sie alles von der Frau Bürgermeisterin erhaltene Geld von Heller zu Pfennig zurückzahlen mußte und dann vom Büttel zum Tore und über die Grenze geschleppt wurde. Von allem Weibsvolk wurde sie verhöhnt, und man rief ihr nach:
›Seht, das ist die Hexe aus Fürth, die die Eierkörbe verkauft, in die sich nachher der Satan setzt und die Eier zerquetscht mit seinem höllischen –‹
Jenseits des Grenzzeichens blieb das Weib, von den Bütteln verlassen, auf einer Anhöhe stillestehen, und es war graulich anzusehen, wie sie hoch und dünn hinaufschoß, bald einer Hopfenstange gleichend, und mit den dürren Armen herumfocht, die sie endlich über Nürnberg fest ausstreckte, und mit einer Stimme, die so kreischend und mißtönend war, daß man wohl den Satan selbst darin erkannte, laut in die Lüfte rief:
Der Satan unterließ nicht, seiner Dienerin kräftig beizustehen, und in alle Weiber Nürnbergs fuhr das unwiderstehliche Gelüste, sich in Eierkörbe zu setzen und die darin befindliche Ware zu zerbrechen, so daß einer, dem es nach einem guten Eierschmalz gelüstete, dies wohl mit Golde hätte aufwägen mögen.
Daß aber, sagt der weise Chroniker, man hätte einen ganzen Eimer Wein für ein Ei tauschen können, ist nur wie ein Sprichwort anzusehen, das auf wundersame Weise entstanden.
Ein würdiger Herr Patrizier der Stadt wollte dem satanischen Unwesen mit dem Zerdrücken der Eier ein Ende machen und ließ daher unter lustigem Trompetenschall und Trommelschlag öffentlich bekanntmachen, daß diejenige Frau, welche ihm Eier brächte, für jedes derselben, das unversehrt in seine Hände käme, einen Eimer guten Wein erhalten solle.
Unter vielen Weibern, denen der Versuch, ihrem Gelüst zu widerstehen, noch zuletzt schmählich mißglückt war, meldete sich endlich die Frau seines Meiers, ein frommes, züchtiges Weib, die freilich an jenem Tage auch die vermeintliche Hexe sehr verfolgt und verhöhnt hatte, und überreichte dem Herrn ein Körbchen der wohlerhaltensten Eier.
›Mich wundert,‹ sprach der edle Herr sehr freundlich, [685] ›daß Ihr nicht längst gekommen seid, liebe Frau, denn Ihr seid so fromm und gut, daß Ihr von Verhexungen und bösen Lüsten nichts wißt. Der Wein ist so gut als Euer.‹
Hiemit wollte der edle Herr den Korb fassen, den riß ihm aber das Weib mit dem größten Ungestüm aus der Hand und setzte sich hinein mit dem größten Wohlgefallen, so daß alle Eier zerquescht wurden.
Das arme Weib war vor Scham ganz außer sich und weinte sehr.
›Ei,‹ sprach der Herr mit beschwichtigendem Ton, ›ei, Frau Margareta, gebt Euch doch zufrieden, es kommt ja noch auf einen Versuch an, vielleicht widersteht Ihr dem Bösen.‹
Frau Margareta ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern war acht Tage darauf mit dem letzten Schock Eier da, das der Hühnerhof nachgeliefert. Sie hatte viel festen und frommen Willen gefaßt; doch sowie sie mit den Eiern in dem Zimmer des gnädigen Herrn stand, ging alles mit ihr um die Runde. Sie sah schon mit lüsterner Begier den Korb an mit dem Gedanken, wie anmutig es sich in den Eiern sitzen würde, und war zu ihrer nicht geringen Betrübnis überzeugt, daß ihr heute der Versuch noch viel weniger gelingen würde als das erstemal.
Es begab sich aber, daß in dem Augenblick des Nachbars Weib, die mit der Frau Margareta in beständigem Zank und Streit lebte, ebenfalls mit einem Korb hineintrat, um denselben Versuch zu machen. Da wurde aber Frau Margareta ganz wütend vor dem Gedanken, daß sie vor ihrer ärgsten Feindin mit Schmach und Schande bestehen solle, und ihre Augen leuchteten wie lichterlohe Flamme. Der andern Antlitz glich auch einem glimmenden Kohlentopf, und kam noch hinzu, daß beide die gespreizten Hände gegeneinander ausstreckten, so waren sie wohl gereizten wilden Tieren ähnlich, die sich anfallen wollen.
Der edle Herr trat hinein.
[686] Beide stürzten auf ihn zu und reichten ihm ihre Körbe dar. Doch sowie er sie faßte, riß Frau Margareta den ihrigen ihm schnell aus der Hand und duckte nieder. Mit gar heftigem wilden Ungestüm hatte die Nachbarsfrau auch dem Herrn Ritter ihren Korb aus der Hand gerissen und setzte sich jetzt mit dem größten Wohlbehagen hinein.
In dem Gelächter, das das Weib jetzt anstimmte, fistulierte der leidige Gottseibeiuns seine obligate Stimme darein und jubilierte über seine höllischen Eierkuchen.
Frau Margareta hatte sich aber sanft von der Erde erhoben und überreichte dem Herrn Ritter freundlich das Körbchen mit sechzig Stück wohlerhaltenen Eiern. Sie hatte glücklich ihr Gelüst überwunden und die Nachbarin getäuscht, und so mag es wohl sein, daß Weibergroll stärker ist als alle Hexenkunst.
Der edle Herr Ritter zahlte richtig für jedes der sechzig Eier einen Eimer Wein, und so kam es, daß es hieß, zu der Zeit habe man für ein einziges Ei einen ganzen Eimer Wein hingegeben.«
Sowie der Wirt aufsprang, den Schlüsselbund auf den Tisch warf und nach seinem Paßglase griff, zum Zeichen, daß er geendet, brachen alle in ein lautes, schallendes Gelächter aus; nur der ehrwürdige Herr ausgenommen. Dieser lächelte nur ein wenig, wie es seinem Stande und seinem Alter ziemte, und nahm dann das Wort:
»Hatte ich nicht recht, ihr lieben Gäste, euch die Geschichte von den zerbrochenen Eiern zu empfehlen, denn außerdem, daß die Geschichte an und vor sich selbst lustig und unterhaltend genug ist, so gebe ich auch gern unserm Herrn Thomas Gelegenheit, sein Talent, alte Geschichten, nur was weniges nach seiner Weise zugestutzt, zu erzählen, zu zeigen.«
Alle stimmten in das Lob ein, das der ehrwürdige Herr dem Herrn Thomas gezollt hatte, und der Wirt zum [687] »Weißen Lamm« wußte recht gut sich, die Hände reibend, zu verbeugen, die Augen niederzuschlagen und jenes ungemein freundlich und bescheiden zurückweisende Gesicht zu schneiden, das soviel sagen will als: »Nicht wahr, daß ich solch ein Kauz sei, das hättet ihr nicht geglaubt, ihr Leute.«
Meister Weppering hatte über den zerbrochenen Eiern keinesweges den bessern Wein vergessen, den er noch heute abend zu schlucken willens war, ohne ihn zu bezahlen.
»Topp! Herr Wirt!« rief er, »Ihr seid der beste Erzähler weit und breit, aber da Euch heute der gerechte Ruhm gespendet wird, der Euch gebührt, so ist es billig, daß Ihr Eure Ehre feststellt dadurch, daß Ihr bessern Wein spendet. Also bessern Wein, Herr Wirt.«
»Ich weiß nicht,« sprach der Wirt, »was Ihr für Umstände macht, hier ist die Weintafel; doch mich will bedünken, ihr lieben Gäste, als wenn heute der Abendstern gerade aufs Mutterfäßchen schiene.«
»So ist es!« schrie Weppering, »und ich dächte, Meisters, wir ließen eins springen.«
»Ihr seid,« nahm Meister Erxner das Wort, »Ihr seid immer derjenige, Weppering, von dem man zur Schwelgerei und zu unnützen Ausgaben verleitet wird.« – »Ganz gewiß,« fiel Meister Bergstainer, ein ganz junger Mann von noch nicht dreißig Jahren, seinem Nachbar in die Rede, »und ich dächte, wir verzehrten friedlich und freundlich den Rest unseres Weins und suchten die Ruhe.«
»Ist,« sprach der Alte mit einem Lächeln, das sein Gesicht auf gar anmutige Weise belebte, »ist hier der Jüngste, wie es scheint, der Mäßigste und Nüchternste, so ist es dem Widerspiel, das in der Welt überhaupt regiert, ganz angemessen, daß ich, als der Älteste von euch allen, mich zur Gegenpartei schlage.
Ich habe hier unten bei unserm Herrn Wirt ein paar Fäßchen sehr guten Würzburger Wein stehen; ich bitte [688] euch, mir zu erlauben, davon für uns einschenken zu lassen.«
Weppering erhob ein Jubelgeschrei. Bergstainer sprach aber sehr bescheiden: »Es ziemt uns nicht, ehrwürdiger Herr, die Ehre abzulehnen, die Ihr uns antun wollt; doch vergönnt uns auch, daß wir, gibt uns das Glück die Gelegenheit dazu, gleiche Gastfreundschaft Euch erzeigen mögen.«
In dem Augenblick machten zwei Gäste, fremde Krämer aus Augsburg, die im »Lamm« eingekehrt, Anstalt, aufzubrechen.
»Wo wollt ihr hin,« rief der Alte, »wollt ihr uns verlassen, eben jetzt, da der gute Wein kommt?«
»Herr,« erwiderte einer von ihnen, »wir dürfen die Gastfreundschaft dieser guten Leute nicht mißbrauchen, die uns schon den ganzen Abend bewirtet haben.«
»So dürfet,« fiel ihm der Alte freundlich ins Wort, indem er die Hand des Kaufmanns faßte, »so dürft ihr nun gleiche Gastfreundschaft von mir nicht versagen.«
Da sprang der andere Krämer, ein junger stattlicher Mann von kräftigem Bau und freimütigem Antlitz, plötzlich auf und rief mit starker Stimme: »Nein, ich kann mich nicht länger zurückhalten, das recht herzinnigliche Wohlbehagen, welches mich stets in den ersten Stunden meines Hierseins durchdringt; die Art, wie mich hier Unbekannte in ihrem Kreise aufnehmen, vorzüglich aber die große Freude, Euch, mein ehrwürdiger Herr, wiederzusehen, will sich Luft machen.«
Bei diesen Worten des Krämers sahen sich die übrigen ganz verwundert an, denn jedem fiel nun ein, daß er nicht wisse, wer der Alte sei, unerachtet er ihn schon seit vielen Jahren kenne.
Der Alte bemerkte sehr wohl diesen Ausdruck des Befremdens, der auf allen Gesichtern ruhte, und erhob sich ebenfalls von seinem Sessel. Nun erst wurde die unbeschreibliche [689] Würde seines Körpers sichtbar. Mehr klein als groß, war sein Körper im reinsten Ebenmaß gebaut. Das Alter schien über diese Formen keine Gewalt zu haben. Über sein Antlitz verbreitete sich ein milder Ernst, dem jener Zug von sehnsüchtiger Schwermut beigemischt war, welcher ein tiefes Gemüt verkündet.
»Ich lese«, sprach er mit sanfter Stimme, »in euren Gesichtern einen sehr gerechten Vorwurf. Menschen, die miteinander Verkehr treiben, müssen mit ihrem gegenseitigen Standpunkte im Leben bekannt werden, denn sonst ist an irgendein Vertrauen nicht zu denken. Wißt also, ihr lieben Leute, daß ich mich Mathias Salmasius nenne und schon vor langen Jahren in Paris die Doktorwürde erlangt habe, mich auch sonst vieler gelahrter Würden, sowie der besondern Gunst und Gnade Sr. Majestät des Kaisers selbst und anderer vornehmer Fürsten und Herren berühmen könnte, die mich, da ich auf mannigfache Weise ihnen durch meine Wissenschaften nützlich werden zu können die Ehre hatte, mit schönen Ehrenzeichen belohnt haben. Näher wird es mich euch bringen, wenn ich euch sage, daß ich in Ansehung meiner Abkunft und meiner Neigung eurem großen Albrecht Dürer verwandt bin. Mein Vater war ein Goldschmied, so wie der seinige, und so wie er wollte ich Maler werden, und der große Wohlgemuth sollte mein Lehrer sein. Doch nur zu bald wurde ich gewahr, daß mich die Natur zu dieser Kunst nicht bestimmt hatte, sondern daß mich die Wissenschaften unwiderstehlich hinzogen, denen ich mich denn auch ganz ergab. –«
»Vergeßt,« setzte Mathias lachend hinzu, »vergeßt nur gleich, ihr lieben Freunde, alles, was ich gesagt habe, und seht in mir weiter nichts, als einen gutmütigen Reisenden, der gar zu gern nach dem schönen Nürnberg kommt und in dem ›Weißen Lamm‹ bei dem sehr tapfern und ehrenfesten Wirt, Herrn Thomas, einkehrt, der den besten Wein führt und dabei eine vollständige, anmutige [690] Chronika seiner herrlichen, weltberühmten Vaterstadt zu nennen ist.«
Herr Thomas scharrte mit dem Fuß so weit hinten aus, daß ihm das Samtkäppchen vornüber fiel. Ohne es aber aufzuheben, ja verächtlich darüber wegschreitend, schritt er erst an den Tisch und schenkte die Gläser voll.
»Wir«, nahm Bergstainer endlich das Wort, nachdem sich die Meister von einiger Scheu erholt, an der Seite eines hochgelahrten, vornehmen Mannes zu sitzen, »wollen tun, wie Ihr geboten habt, ehrwürdiger Herr, Eure Würden und Ehrenstellen auf einen Augenblick vergessen und nur daran denken, daß wir Euch schon seit Jahren recht aus dem Grunde des Herzens lieben und ehren. Daß Ihr vornehmen Standes seid, haben wir immer vermutet. Denn das zeigte ja Euer sauberer Anzug und Euer ganzes Wesen, und so haben wir nicht unrecht getan, wenn wir Euch mit dem Titel ›Ehrwürdiger Herr!‹ begrüßten.«
»Wer,« erwiderte der Doktor Mathias, »wer möchte nicht gern in dem schönen anmutigen Nürnberg und in seiner reizenden Umgebung verweilen. Recht hatte Kaiser Karl, daß er die Stadt von Hause aus in seinen Schutz nahm und ihr besondere schöne Privilegien gab. Die Lage, das Klima –«
»Nun,« unterbrach Meister Weppering den Doktor Mathias, »nun, was das Klima betrifft, so wollen wir heute wenigstens nicht viel Redens davon machen, denn hört nur, wie es wieder schrecklich tobt und stürmt, als sei der Dezember im Anzuge.«
»Schämt Euch,« nahm Doktor Mathias das Wort, »schämt Euch, Meister Weppering, wie könnt Ihr ein vorübergehendes Unwetter, das die Tiroler Berge uns heraufschickten, unserm Klima zuschreiben. Also Klima, Kulturfähigkeiten, alles vereinigt sich hier. Deshalb glänzte Nürnberg so schnell auf – deswegen blüht der Handel schon seit dem vierten Jahrhundert – deshalb war Nürnberg der Augapfel der Fürsten und Herren. [691] Doch der Himmel ließ noch besonders einen Stern leuchten über Nürnberg, und es geschah, daß große Männer geboren wurden, die den Glanz und Ruhm der Stadt bis in die entferntesten Gegenden verbreiteten. Denkt an Peter Vischer, an Adam Kraft. Aber vor allen Dingen an euren großen, mächtigen Albrecht Dürer.«
Sowie Magister Mathias diesen Namen nannte, entstand eine Bewegung unter den Gästen. Sie standen auf, stießen stillschweigend die Gläser an und leerten sie.
»Dies sind,« fuhr Doktor Mathias fort, »dies sind hohe leuchtende Sterne am Firmament der Kunst, aber der Einfluß solcher hohen Geister erstreckt sich bis aufs Handwerk, so daß die schnöde Grenzlinie, welche begann, Kunst und Handwerk zu trennen, wieder beinahe ganz verschwindet und beide sich als Kinder einer Mutter freundlich die Hand bieten. So kommt es, daß die Welt die Sauberkeit, die korrekte Zeichnung, die richtige Ausführung in Euren Elfenbeinarbeiten bewundert, Meister Weppering, und daß die Frauen des Sultans in Konstantinopel ihre Gemächer mit Euren Kunstarbeiten schmücken. So kommt es, daß Eure Gußarbeiten schon jetzt ihresgleichen suchen und immer mehr an Wert gewinnen.«
»O Peter Vischer!« rief hier Bergstainer, den Doktor unterbrechend, aus, indem ihm die Tränen in die Augen traten.
»Seht,« sprach der Doktor, »das ist die wahre Begeisterung, die ich meine; faßt Mut, Bergstainer, Ihr werdet's noch zu Großem bringen! – Und was soll ich zu Euch sagen, Ihr mein guter lieber Meister Erxner, da Ihr an Kunstfleiß und Geschicklichkeit –«
Des Doktor Mathias milde Worte wurden in dem Augenblick durch ein seltsames wildes Getöse unterbrochen, das sich unter dem Tore des Wirtshauses wahrnehmen ließ.
Ein lahmes, unbeschlagenes Pferd trollierte unbehilflich [692] auf und nieder, und dazwischen rief eine rauhe mißtönende Stimme:
»Heda, Wirtshaus!«
Die Torflügel knarrten, das Pferd wurde hineingeführt, und brummend und scheltend plumpte der Reiter vom Pferde auf den Boden, so daß von den Tritten des schweren, bespornten Stiefels alles klirrte und dröhnte.
Der Wirt kam hineingestürzt und rief lachend: »Ei, ei, meine werten Gäste, da kommt eben ein Kerl zu mir ins Haus, der ist, glaube ich, einer von George Hallers oder Fritz von Steinbergs Gesellen, der aufs neue unnützen Lärm verführen will, wie seine Kumpane im Jahre 1383. Sein Pferd ist freilich eine Schindmähre – er selbst aber ein gar stattlicher Mann, wie ihr gleich sehen werdet, und von lustigem Temperament, denn schon hat er alles in Grund und Boden verflucht und dem Satan übergeben, weil man im Regen unausbleiblich naß wird.«
Die Türe ging auf, und herein trat der Mensch, der sich mit so viel Geräusch angekündigt. Er war breitschultrig, beinahe sechs Fuß hoch; und da er den runden Hut mit sehr breiter Krempe, an dem einige schmutzige Fasern hinabhingen, die ehemals einer Feder angehört zu haben schienen, nach spanischer Art hinabgeschlagen trug, die ganze übrige Gestalt aber in einem gelben Reitermantel fast eingewickelt war, so mußte man freilich erwarten, was sich aus dieser unkenntlichen Mumie Näheres entwickeln werde.
»Das verfluchte vermaledeite Land, daß mein Fuß es niemals mehr betreten hätte. Mitten in der schönsten Jahreszeit schmeißt einen das Himmel-Hage Donnerwetter zusammen, daß man keinen gesunden Fleck auf dem Leibe behält und sich die schönsten Kleider verdirbt. Mantel und Hut sind auch wieder des Satans und die neugekaufte Feder.«
Damit riß der Mensch den Hut vom Kopfe und schwenkte ihn rücksichtslos aus, daß die großen Tropfen über den [693] Tisch flogen, wo die Gäste saßen. – Dann warf er den Mantel ab, und man erblickte nun die hagre Gestalt des Menschen, der ein Reiterwams von ganz unscheinbar gewordener Farbe und hohe Stiefeln, ebenfalls nach Reiterart aufgezogen, trug.
Sein Antlitz, das nun auch sichtbar worden, war von solch auffallender Häßlichkeit, daß man beinahe hätte vermuten sollen, der Fremde trüge eine Maske; doch konnte es auch sein, daß die scharfen Schlagschatten in der sparsam beleuchteten Gaststube, sowie die ausgestandene Witterung das Gesicht des Fremden auf diese entsetzliche Weise entstellten. Merkwürdig war es auch, daß der Fremde die schweren Stücke seines Anzuges, d.h. die ungeheuren Reiterstiefeln mit den Rolandsspornen, nur mit der äußersten Kraftanstrengung an seinem Leibe zu tragen schien. Dadurch wurden seine Bewegungen zweideutig; man wußte nicht, war er noch kräftiger Mann, war er schon hinfälliger Greis; auf beides konnte auch sein Antlitz deuten.
Mit Mühe legte er ein Schwert von der Seite, das, was Größe und Schwere betrifft, einem Ritter der Tafelrunde angehört zu haben schien. An dem Gürtel hing ein zierlich gearbeiteter Dolch, und außerdem guckte noch auf der Seite das große Heft eines Messers hervor. Indem er das Schwert in den Winkel stellen wollte, entsank es seiner Hand, fiel auf den Boden, und alle seine Mühe, es aufzuheben, blieb vergebens; Herr Thomas mußte ihm beispringen. Er murmelte ein Schimpfwort zwischen den Zähnen und bestellte ein Glas gewürzten Wein, wobei er versicherte, daß der Satan alles zerschlagen solle, wenn der Wein nicht Herz und Magen stärkend genug wäre.
»Das ist,« sprach Herr Mathias, »das ist ja ein grober ungeschlachter Geselle, der uns hier unsre ruhige Freude verdirbt;« »den ich«, nahm Meister Weppering das Wort, »aber bald zur Vernunft bringen werde.« »Das wird«, erwiderte Herr Mathias, »hier wahrscheinlich nicht schwer [694] halten, denn solche brutale Renommisten tragen gewöhnlich eine elende feige Seele in sich.«
Unterdessen hatte der Wirt das von dem Fremden bestellte Glas Wein herbeigebracht und reichte es ihm jetzt hin.
Doch kaum brachte der Fremde den Wein an die Lippen, als er sich gebärdete, wie wenn tausend höllische Furien ihm plötzlich in den Leib gefahren wären. Mit dem Ungestüm des wildesten Zorns schleuderte er das Glas mit dem Würzwein an die Erde, daß es in tausend Stücken zerbrach, indem er dabei schrie: »Was, du halunkischer Wirt, du willst mich vergiften, ehe mich andere als du und deine Kumpane hier erblickt haben, damit du mich berauben und verscharren kannst, vergiften mit deinem Höllengesöffe?«
Herr Thomas fühlte sich an dem kitzlichsten Punkte angegriffen. Der Zorn übermannte ihn; er ging mit geballten Fäusten und zornfunkelnden Augen auf den Fremden los und schrie mit einer Stimme, die die des Fremden beinahe noch übertönte: »Welcher böse Geist führt Euch in mein Haus, Ihr grober Geselle; wenn Euch unser Land nicht gefällt, warum kommt Ihr hinein? wenn Euch mein Haus, mein Wein nicht ansteht, schert Euch zum Teufel und sucht Euch eine Soldatenherberge, wo Ihr fluchen und toben könnt nach Gefallen. Doch die findet Ihr hier, dem Himmel sei es gelobt, in unserm ganzen lieben Nürnberg nicht. Und was den Wein betrifft, so ist der Wirt des ›Weißen Lamms‹ weltberühmt, weil er sich stets getreu an die Weinordnung unseres gnädigsten Herrn, des Kaiser Maximilian vom 24. August 1498 gehalten und vorzüglich den Firne- oder Würzwein nach dem Buchstaben der Vorschrift bereitet hat.
Was, Ihr grober Mensch, glaubt Ihr, daß der heilige Sebald bei mir sitzt und mir die zerbrochenen Gläser ganz macht, wie er es nach dem Legendisten wohl sonst getan hat, daß Ihr mir eins meiner schönsten Paßgläser [695] zerschmeißt. Ihr stört alle Ruhe, alle bürgerliche Ordnung; und beweisen will ich aus dem schönsten Privilegium des gnädigsten Herren Kaiser Karl des Vierten, daß ich Euch die Nase abhauen kann, wenn Ihr nicht Ruhe haltet; und was hält mich ab, Ihr nächtlicher Störefried, Euch durch meine Leute fortbringen zu lassen, wenn Ihr nicht ruhig seid!«
»Gesindel,« brüllte der Fremde und zog Dolch und Messer. Da sprang aber der junge Krämer hinter dem Tisch hervor und stellte sich mit seiner tüchtigen eisernen Elle dicht vor den Fremden hin und sagte sehr ernst und gefaßt:
»Herr Soldat! denn solch ein Söldner, der einem Fähnlein entlaufen, seid Ihr doch. Ich frage Euch, ob Ihr hier ruhig sein wollt oder nicht. Hört Ihr nicht augenblicklich auf zu toben, so werde ich Euch trotz Eures Rolandsschwertes, trotz Eures Morddolchs, trotz Eures Banditenmessers mit meiner guten Augsburger eisernen Elle den ganzen Leichnam dermaßen zerwalken, daß Ihr viele Zeit hindurch, fehlt es Euch an Geld, Tuch zu kaufen, wenigstens blaues nicht nötig haben sollt zum Reiterwams.«
Der Fremde ließ beide Arme mit Dolch und Messer langsam sinken und murmelte, indem er die Augen niederschlug, zwischen den Zähnen etwas von Betrügereien und Schelmereien.
Da war auch Meister Weppering aufgestanden und auf den Fremden zugeschritten. Der faßte ihn bei beiden Schultern und sprach: »Bedenkt, daß Ihr in Nürnberg seid, ehe Ihr Euch vermeßt, von Lug und Trug zu sprechen.«
»Fallt ihr alle über mich her,« sprach der Fremde in rauhem Ton, indem er giftige Blicke umherwarf und vorzüglich den Herrn Mathias mit Basiliskenaugen anglotzte, »so muß ich freilich unterliegen, doch auch dabei bleiben, daß das Glas Wein, das mir der Wirt darbot, ein [696] Absud von höllischen Kräutern schien und den Magen, statt ihn zu erwärmen, wie ein Eisstrom durchfuhr.«
»Ich merke,« sprach Herr Mathias lächelnd, »daß das Mißverständnis, welches hier den Grund zu allem Streit gegeben hat, darin liegt, daß hierzulande Würzwein oder Firnewein ein aus Kräutern bereiteter Wein genannt wird. Ihr, mein fremder Herr Soldat, oder was Ihr sonst mit Eurem breiten Schwerte vorstellen mögt, verlangtet aber nur, Euch den kalt gewordenen Leib recht durchzuwärmen, ein Getränk, welches aus mit vielem Gewürze und Zucker gekochtem Wein besteht. Dieser Trank, welcher im Auslande eben gewürzter Wein heißt, ist hier wenig bekannt, und Ihr hättet daher wohlgetan, wenn Ihr Euch deutlich erklärt hättet, was Ihr zu trinken verlangt, ohne erst unnützerweise den großen Tumult anzufangen.«
Hierauf bestellte Herr Mathias bei dem Wirt ein solch fremdartiges Gebräude, wie es der Soldat im Sinn trug, und der Wirt, froh den Streit auf solche gute Weise geendet zu sehen, versprach kratzfüßelnd, daß er alles selbst, und zwar hier in der Gastküche unter den Augen des wilden Soldaten, auf das beste bereiten wolle.
Der Fremde begann auf eine Weise, die ungeschickt genug war, um nicht den Widerwillen dagegen hinlänglich zu beweisen, sein früheres Betragen mit dem Einfluß der Witterung und auf der Reise erfahrnen Unannehmlichkeiten zu entschuldigen; worauf er zuletzt um die Erlaubnis bat, seinen Wein in der Gesellschaft verzehren zu dürfen, als Zeichen der Versöhnung. Dies wurde ihm, der Nürnberger Gutmütigkeit gemäß, sehr gern verstattet.
Der Glühwein war fertig worden. Der Fremde hatte das halbe Glas geleert und den Wein diesmal vortrefflich gefunden. Nun warf er, als eben das Gespräch stocken wollte, ganz leicht die Frage hin: »Lebt Albrecht Dürer noch?«
Alle schrien im höchsten Erstaunen. »Wie, Albrecht Dürer, ob er lebt?« Aber Herr Mathias schlug die Hände [697] zusammen und sprach: »Herr! kommt Ihr aus dem Monde? in welchem Winkel der Erde, in welcher Einöde habt Ihr Euch verborgen gehabt? habt Ihr im Grabe gelegen? seid Ihr indessen blind, taub, lahm, stumm gewesen, daß Ihr eine solche Frage tun könnt? Ihr müßt samt Eurem lahmen Pferde hier vor dem Wirtshaus aus dem Schlunde der Erde emporgesprungen sein, denn sonst hätte Euch auf dem Wege hierher der große Name Albrecht Dürer in tausendstimmigem Jubel vor den Ohren klingen müssen. Habt Ihr auf der Landstraße nicht die Fülle der Leute bemerkt, die wie auf einer Pilgerfahrt nach dem lieben Nürnberg wandeln? Habt Ihr nicht die glänzenden Equipagen der vornehmen Fürsten und Herren bemerkt, die gen Nürnberg ziehen, um den Triumph des größten Mannes der Zeit zu feiern? – Albrecht Dürer!
Er hat sein größtes, sublimstes, tiefsinnigstes, herrlichstes Gemälde vollendet. Die Kreuzigung Christi steht ausgestellt auf dem Kaisersaal in hoher Vollendung. Ein besonderes Fest wird in künftiger Woche dieserhalb gefeiert, an dem, wie man sagt, der Kaiser seinen Liebling noch mit ganz besondern Gunstbezeugungen beehren wird.«
Der Fremde hatte, von seinem Sitz aufgesprungen, dies wie ganz erstarrt, ohne Zeichen des Lebens angehört. Nun schlug er eine gellende Lache auf und sank in krampfhaften Verzuckungen in den Sessel zurück.
Der Wirt flößte ihm Glühwein ein und brachte ihn dadurch zu sich selbst. »Unseres Bleibens ist länger nicht hier,« sprachen die Gäste und schlichen davon.
Indem Herr Mathias den Fremden vorüberging, legte er ihm die Hand auf die Achsel und sprach sehr ernst und feierlich: »Ihr seid Solfaterra. Was wollt Ihr hier? Noch haben die Nürnberger Euch nicht vergessen.«
[698]